Systemische Supervision in Lehre und Praxis -  - E-Book

Systemische Supervision in Lehre und Praxis E-Book

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Beschreibung

In den meisten psychosozialen, pädagogischen und therapeutischen Arbeitsfeldern gehört Supervision heute zu den professionellen Standards. Im Idealfall folgt sie systemischen Grundsätzen, d. h. mit einem weiten Blick auf die diversen Einflussfaktoren, die die Arbeitswelt tangieren. Für die Praxis bedeutet das u. a., dass sich Supervision immer wieder an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anpassen, ihre Settings erweitern und ihre Arbeitsweisen ausbauen muss, z. B. durch Online-Varianten. Von den Supervisor:innen selbst wird erwartet, dass sie angemessen Veränderungen anregen und das eigene Tun professionell reflektieren können. Die Grundlagen für beides werden in der Aus- oder Weiterbildung vermittelt. Das wiederum macht die Lehrsupervision zu einer besonders verantwortungsvollen Aufgabe. Dieses Buch bietet einen der besten Überblicke über das weite Feld der systemischen Supervision. Peter Ebel, Julia Strecker, Heiko Kleve und ihre Mitautor:innen stellen die relevanten Arbeitsfelder, Techniken und Settings aktuell, ausführlich und anschaulich dar. Die Beiträge decken neben den Anforderungen der einschlägigen Verbände auch die der ambulanten kassenärztlichen Psychotherapie und des Approbationsstudiums ab. org.editeur.onix.v21.shorts.Br@7192f201 Mit Beiträgen von: Barbara Bräutigam · Valérie Bubendorff · Gunda Busley · Michaela Gelke · Andreas Hampe · Josua Handerer · Cornelia Hennecke · Björn Enno Hermans · Till Jansen · Martina Kaiser · Carla von Kaldenkerken · Christopher Klütmann · Cornelia Krönes · Lennart Krönes · Maurice Malten · Haja Molter · Carla Ortmann · Jürgen Singer · Wiebke Stelling · Anne Valler-Lichtenberg · Annika Wiegold

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Die Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autor:innen, aber auch von Erstautor:innen.

In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.

Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Unternehmen finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.

Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Berater:innen, Coachs und Supervisor:innen dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellor zum Dialog und zum Experimentieren ein.

Dr. Dirk Rohr

Herausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Peter Ebel, Heiko Kleve, Julia Strecker (Hrsg.)

Systemische Supervision in Lehre und Praxis

Mit Beiträgen von Barbara Bräutigam · Valérie Bubendorff · Gunda Busley · Michaela Gelke · Andreas Hampe · Josua Handerer · Cornelia Hennecke · Björn Enno Hermans · Till Jansen · Martina Kaiser · Carla von Kaldenkerken · Christopher Klütmann · Cornelia Krönes · Lennart Krönes · Maurice Malten · Haja Molter · Carla Ortmann · Jürgen Singer · Wiebke Stelling · Anne Valler-Lichtenberg · Annika Wiegold

2022

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Beratung, Coaching, Supervision«

hrsg. von Dirk Rohr

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagfoto: © Richard Fischer, www.richardfischer.org

Redaktion: Markus Pohlmann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2022

ISBN 978-3-8497-0447-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8399-0 (ePUB)

© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Einleitung

Peter Ebel, Heiko Kleve, Julia Strecker

Teil I: Systemtheoretische Perspektive

1 (Lehr-)Supervision der Gesellschaft

Heiko Kleve

1.1 Ausgangspunkte

1.2 Gesellschaftlicher Rahmen

1.3 Intervention in biopsychosoziale Systeme

1.4 Supervision als Beobachtung des Beobachtens

1.5 Resümee

Teil II: Systemische (Lehr-)Supervision in der Weiterbildung

2 Vom Sprechen und Hören, vom Lehren und Lernen – Berliner Aspekte, Akzente und Begriffe

Peter Ebel

2.1 Was analysierte Wittgenstein? – Begriffe der Sprache – Einheiten des Denkens

2.2 Welche Haltungen waren für Wittgensteins Denken bedeutend? Wittgenstein – Design und Metapher

2.3 Welcher ergebnisoffene Forschungsprozess könnte als Vorläufer der Methode Supervision »be-griffen« werden?

2.4 Welche Forschung ergänzt die Geschichte der Methode Supervision?

2.5 Welche Aspekte werden hier für die Definition von Supervision und systemischer Supervision ausgewählt benannt?

2.6 »Wer? Wie? Was? …« ♫ ♫

2.7 »Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?«

2.8 Welche Entwicklungslinien lassen sich für die Weiterbildung Supervision in Deutschland zeichnen?

2.9 Wo? Woher? Und mit wem? – Ich wollte Systemischer Supervisor werden

2.10 An welchem Sprachspiel beteiligen wir uns?

2.11 Wie wird prozessorientiert evaluiert?

2.12 Wie wird die Qualität gesichert?

2.13 Ist Kontrolle möglich?

2.14 Wie ist der Stand der Supervisionsforschung? – Eine skizzierte Zusammenfassung

3 Kooperation im System der Supervisionsweiterbildung – Vertrauenswürdigkeit versus Verschwiegenheit

Carla van Kaldenkerken

3.1 Zusammenfassung

3.2 Einleitung

3.3 Das Verständnis von Supervision

3.4 Das Verständnis von Lehrsupervision

3.5 Kommunikationssystem Weiterbildung

3.6 Die Bedeutung der Ziele im Dreieckskontrakt

3.7 Triadische Kompetenz als Voraussetzung einer gelingenden Kooperation im Weiterbildungssystem

3.8 Der Dreieckskontrakt als Werkzeug für die Gestaltung eines vertrauenswürdigen triangulären Raums

3.9 Praktische Umsetzung

4 Lehrsupervision in der Weiterbildung angehender Supervisor·innen – Erfahrungen und Reflexionen

Anne Valler-Lichtenberg

4.1 Lehrsupervision: »Internes Setting«

4.2 Lehrsupervision im Kontext der Weiterbildungen und Masterstudiengänge

4.3 Im Kontext der Fachverbände DGSv und DGSF

4.4 Zum Schluss

5 Intuition in der (Lehr-)Supervision

Julia Strecker

5.1 Ausgangspunkte

5.2 Fallvignetten

5.3 Aspekte der Intuition: Zugänge für supervisorische Anregungen

5.4 Sieben Aspekte der Intuition – Konsequenzen für die supervisorische Haltung

6 Wie kommt das Neue in die Supervision? – Fünf systemische Haltungen und fünf Tools zur Supervisionsgestaltung

Andreas Hampe

6.1 Fünf systemische Haltungen: Leere, Holismus, Mitgefühl, Neutralität, Unbeständigkeit

6.2 Fünf ausgewählte methodische Ansätze

6.3 Zum Schluss

Teil III: Systemische Supervision in psychosozialen Kontexten

7 Du siehst, was du suchst – Supervision zwischen Personen in Organisationen als kommunikativer Kontextspaziergang

Christopher Klütmann, Cornelia Hennecke

7.1 Einleitung

7.2 Kontextualisierungsspaziergang mit drei Haltepunkten

7.3 Fazit

8 Systemische Einzelsupervision zur beruflichen Neuorientierung – Die Methode der Genogrammarbeit

Michaela Gelke

8.1 Einleitung

8.2 Anwendungsbereiche und Zielsetzung

8.3 Voraussetzungen der Supervisor·in

8.4 Grenzen der Genogrammarbeit im supervisorischen Kontext

8.5 Nutzen

8.6 Dauer

8.7 Einstieg in den Genogrammprozess

8.8 Erstellen des Genogramms – Datenerfassung

8.9 Fragetechniken zur Prozessbegleitung und Herausarbeiten der leitenden Werte und Glaubenssätze

8.10 Fallbeispiel 1

8.11 Fallbeispiel 2

8.12 Resümee

9 (Lehr-)Supervision geht online: Heilige Kuh entpuppt sich als videobegabte Eisläuferin – Drei Berichte aus dem digitalen Möglichkeitsraum

Gunda Busley, Maurice Malten, Carla Ortmann

9.1 Einleitung: Systemische Supervision und Lehrsupervision »live-online«

9.2 Gruppenlehrsupervision live-online Oder: Supervisor·in zu werden ist ein Konstruktionsprozess. Skulpturarbeit mit zweiter Kamera im Onlineraum

9.3 Team- und organisationsbezogene Supervision live-online – Relevanten Systemelementen einen Platz im Onlineraum geben

9.4 Einzelsupervision mit Selbsterfahrungsanteilen live-online

9.5 Aus Erfahrung wird Expertise – »Lessons learned« aus Bochum, Kassel und Leipzig

9.6 Ausblicke

10 Systemische Haltung im Kontext von Trennung, Scheidung und Erziehung

Cornelia Krönes, Lennart Krönes

10.1 Trennung und Scheidung – Herausforderungen aus systemischer Perspektive

10.2 Und heute? – Reflexion während des Schreibprozesses

Teil IV: Systemische Supervision in klinischen und multidisziplinären Kontexten

11 Supervision in den bisherigen postgradualen Psychotherapieausbildungen (Vertiefungsgebiet Systemische Therapie) und in der Weiterbildung nach dem Psychotherapiestudium – Eine neue Rolle für Supervisor·innen?

Carla Ortmann, Björn Enno Hermans

11.1 Carla Ortmann im Interview mit Björn Enno Hermans

12 Systemische Psychotherapie als Richtlinientherapie und systemische Supervision

Jürgen Singer, Haja Molter

12.1 Systemische Therapie in der Kassenpraxis

12.2 Praxis der Supervision

12.3 Fallvignette

13 »Verwendungszweck Lehrgeld« – Fallvignette: Von einem Kollegen, der Psychologischer Psychotherapeut werden und Systemiker bleiben wollte

Josua Handerer

13.1 Vorbemerkungen

13.2 Die Problemgeschichte(n) in Wort und Bild

13.3 (Auf-)Lösung

13.4 Schluss

14 Clara macht den Hexbugs Mut – Reflexionen einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin im Rahmen einer systemischen Online-Gruppensupervision

Martina Kaiser

14.1 Fallvignette: Kinderpsychotherapie mit Clara

14.2 Elternberatung

14.3 Elternberatung und Supervision

14.4 Systemische Supervision

14.5 Perspektivenwechsel im Onlineformat

14.6 Elternberatung

14.7 Abruptes Ende der Psychotherapie

14.8 Selbstreflexion und weitere Online-Gruppensupervision

14.9 Arbeitshypothesen

14.10 Abschließende Überlegungen

15 Multifamilientherapie und systemische Fallsupervision im Team – Erleben von Unterschieden, Möglichkeiten und Ressourcensynergien

Annika Wiegold

15.1 Einführung

15.2 Multifamilientherapie

15.3 Die Technik des zirkulären Fragens

15.4 Systemische Fallsupervision im Team

15.5 Verbindung von Multifamilientherapie und systemischer Fallsupervision im Team

15.6 Fallbeispiel: Systemische Fallsupervision mit einem Kita-Team

15.7 Resümee

16 Leitungssupervision in einer pädagogischen Organisation – Die Netzwerkkarte als Basis für nachhaltige Entwicklung

Wiebke Stelling

16.1 Was ist und wie wirkt Supervision für Leitungspersonen?

16.2 Was ist eine Netzwerkkarte?

16.3 Fallbeispiel

16.4 Reflexion und Ausblick

17 »Einfach mal ›drüber reden‹?« Grenzen der Supervision in der Polizei

Till Jansen

17.1 Supervision als Sonderform psychosozialer Betreuung?

17.2 »Saubere« Organisation und polizeilicher Habitus

17.3 Eigene Erfahrungen: Supervision im höheren Dienst

17.4 Endlich »drüber reden« dürfen? – Zwischen »Cop Culture« und neuer Reflexivität

Teil V: Systemische Supervisor·innen und Selbstreflexion

18 »Alles muss offen angesprochen werden« – Umgang mit Misserfolgserleben in der Supervision

Barbara Bräutigam

18.1 Vorbemerkung

18.2 Kriterien des Erfolgs einer Supervision und sechs Schritte des Umgangs mit dem eigenen »Scheitern«

18.3 Fazit

19 Supervisor·innen: Vielfältige Wege

Valérie Bubendorff

Verzeichnis der Abkürzungen

Literatur

Über die Autor·innen

Über die Herausgeber·innen

Einleitung

Peter Ebel, Heiko Kleve, Julia Strecker

Grundintention und Idee dieses Buches

Supervision ist aus den Feldern der psychosozialen, klinischen und multiprofessionellen Praxen des Gesundheits- und Sozialbereichs nicht mehr wegzudenken. Inzwischen ist es obligatorisch, dass Organisationen in diesen Kontexten ihren Mitarbeiter·innen supervisorische Begleitung anbieten oder ihre Beschäftigten gar zur Supervision verpflichten. Denn wer in komplexen zwischenmenschlichen Zusammenhängen professionell agiert, sich mit biopsychosozialen Themen auseinanderzusetzen hat und die Nutzer·innen der entsprechenden Dienstleistungen kompetent zu unterstützen sucht, muss eine hohe Kompetenz der Selbstreflexion realisieren. Diese kann jedoch nicht in einsamer individueller Abgeschiedenheit erreicht werden, sondern setzt andere Menschen voraus, mindestens geschulte Supervisor·innen, die etwas von ihrer Sache verstehen, die in der Lage sind, Professionelle – in welchen Arbeitsfeldern auch immer – konstruktiv zu irritieren.

Es ist die konstruktive Irritation, die im Denken, Fühlen und Handeln von Professionellen einen Unterschied macht, die die Supervision als Praxis auszeichnet. Wer eigenverantwortlich, im Team oder in interdisziplinären Gruppen arbeitet, benötigt regelmäßige Reflexionszeiten, in denen der Alltag zumindest hinsichtlich der eigenen kognitiven, emotionalen und aktionalen Prozesse temporär angehalten werden kann, um zu bewerten, ob die eingeschlagenen Wege in der Arbeit mit Menschen noch passen oder ob sie eventuell zu korrigieren sind, und – im Falle eines Korrekturbedarfs – zu überlegen, wie dies, sensibel und für alle beteiligten Akteur·innen passend, geschehen kann. Dabei hilft Supervision; sie ermöglicht das, was wir bereits mit dem Titel dieses Buches in dreierlei Hinsicht postulieren: erstens Weitsicht, zweitens das Einnehmen unterschiedlicher Blickwinkel und drittens die Anregung zur Vielstimmigkeit.

Wer im Alltag so nah an den Menschen ist wie die Professionellen im Gesundheits- und Sozialbereich, um die Nutzer·innen der entsprechenden biopsychosozialen Dienstleistungen in herausfordernden Situationen zu begleiten, benötigt Unterstützung dabei, regelmäßig Weitsicht einzuüben. Wir meinen damit ein relationales Denken, das Beziehungen zwischen unterschiedlichen relevanten Aspekten einer gerade relevanten Fragestellung zu betrachten erlaubt. Da die Beobachter·innen Teil der Beobachtung sind, gibt es niemals die eine objektive Wahrheit, sondern von uns abhängige Weltperspektiven, die uns zur Hypothesenbildung und zur Integration von harten und weichen Daten herausfordern. Diese relationale, systemische Perspektive ermöglicht es, den jeweiligen Menschen in seinen kontextuellen Abhängigkeiten zu sehen und die körperlichen, psychischen und sozialen Prozesse sowohl in ihrer gegenseitigen Verbindung als auch in ihren jeweils eigenständigen, und zwar lebendigen, gedanklich-emotionalen sowie zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Unabhängigkeiten und Eigendynamiken zu betrachten. Nur so können im Rahmen supervisorischer Prozesse die Möglichkeiten und Grenzen von Beratungen und Therapien sowie von allen anderen Arten der professionellen Unterstützung realistisch eingeschätzt werden. Wer wirksam helfen will, sollte wissen, wo die Unabhängigkeit der Menschen und Systeme beginnt, die es konstruktiv zur Eigenaktivität anzuregen gilt.

Dabei helfen Blickwinkel, die sich im Alltag oft nicht von selbst erschließen. Wir können nur dann kreativ werden, Lösungen für brennende Herausforderungen suchen und Strategien zu deren Umsetzung entwickeln, wenn wir lernen, die uns belastenden Ereignisse aus unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven zu sehen. Dabei kann in der Supervision auch die Provokation als angemessen ungewöhnliche Intervention gelten. Denn oft erst dann wird ein Unterschied zum bisherigen Denken, Fühlen und Handeln deutlich, der zu etwas führt, was bestenfalls in der jeweils infrage stehenden Praxis einen Unterschied macht, etwas Neues zutage fördert, was für alle Beteiligten gewinnbringend ist.

Dass wir alle Beteiligten fokussieren, dass wir nicht auf Kosten von Einzelnen arbeiten wollen, sondern die Bedürfnisse sämtlicher Akteur·innen gleichermaßen achten und zur Geltung kommen lassen, setzt Akzeptanz von Vielstimmigkeit nicht nur voraus, sondern fordert sie in der Supervision geradezu ein. Sie entsteht dann, wenn wir die Wechselwirkungen zwischen System und Umwelt anerkennen, zu Gehör bringen und auch in unseren Handlungen sichtbar machen. Die viel beschworene Allparteilichkeit lässt sich nur dann entfalten, wenn wir zunächst alle Stimmen, die einen berechtigten Beitrag zum Geschehen leisten, vernehmen, auf sie hören. Wie wir dann dazu einladen, das Einbeziehen der vielen Stimmen und das Begrenzen ihrer Ansprüche in eine Balance zu bringen, steht auf einem anderen Blatt. Bevor das geschehen kann, ist die jeweilige biopsychosoziale Welt in ihrer Vielfalt nicht nur anzuerkennen, sondern auf dem kaleidoskopischen Monitor der Supervision sichtbar zu machen.

Mit unserem Buch intendieren wir, die systemische Supervision in der eben geschilderten Weise in Augenschein zu nehmen. Der Begriff systemisch signalisiert für uns sowohl die Verbindung der wissenschaftlichen Grundlegung unserer Form von Supervision mit der Systemtheorie als auch die Verknüpfung mit dem Konstruktivismus. Die Erkenntnis, dass die Beobachter·innen nicht außerhalb des beobachteten Systems stehen, sondern Teil der Beobachtung sind, ist hier bedeutsam und hat Auswirkungen auf die Herangehensweise, Methodenvielfalt und Haltung. Die Haltung, also die innere Einstellung der Supervisor·innen, bildet die Basis des Handelns und der Interventionen. Die Allparteilichkeit, der uneingeschränkte Respekt, die Offenheit und Neugier, die Ressource des Nicht-Wissens und die Idee, dass immer alles auch ganz anders beobachtet, beschrieben, erklärt und bewertet werden könnte, führen zu vielfältigen Handlungsoptionen und leiten uns durch die Supervisionsprozesse. Die Supervisand·innen gelten als Expert·innen für ihre Fragestellungen, und die Supervisor·innen tragen die Verantwortung für den Kommunikationsprozess. Das Nicht-Wissen der Supervisor·innen in Bezug auf das, was die »richtige« Lösung ist, wird dadurch zur Ressource für die supervisorische Kommunikation. Dadurch anerkennen wir in äußerst konsequenter Weise die Supervisand·innen mit ihrer inhaltlichen Expertise.

Wir wollen Praktizierende innerhalb dieser Profession ermuntern, sich selbst Rechenschaft über die eigene Arbeit abzulegen und sich an dem professionellen Anspruch zu messen, den Supervision kennzeichnet und den sie pflegen sollte. Auch wenn das knapp skizzierte Ideal der Weitsicht, der vielen Blickwinkel und der zu Gehör zu bringenden Vielstimmigkeit niemals in seiner Gänze erreichbar ist, so kann es doch ein Ansporn sein, diesen Weg mit einem klaren Blick auf das nie vollständig einzunehmende Ziel weiterzuverfolgen. Die Nutzer·innen der Supervisionsprozesse, die Supervisand·innen, werden es mit Sicherheit danken. Denn dies ist der ungewöhnliche Luxus, den die psychosozialen, klinischen und multiprofessionellen Arbeitsfelder im Gesundheits- und Sozialbereich bieten: bezahlte Zeiten für Selbstreflexionsprozesse.

Entstehungsgeschichte

Die Ideen für die Entstehung dieses Sammelbandes wurden bei der Vorbereitung auf Seminare, während deren Durchführung und in deren Nachgang, im Rahmen der Weiterbildung und Aufbauweiterbildung Systemische Supervision am Berliner M7 Institut entwickelt. Sowohl in Gesprächen mit am Institut Lehrenden als auch mit Weiterbildungsteilnehmer·innen wurde eine Co-Produktionsabsicht kreiert. Dazu wurden weitere seit Jahren in der Praxis und/oder der Lehre tätige Kolleg·innen eingeladen, sich als Autor·innen an diesem Buchprojekt zu beteiligen.

Als Auftakt für die konzeptionellen, thematischen und kooperativen Absprachen fand am 26. Januar 2021 pandemiebedingt eine Online-Redaktionskonferenz statt, an der insgesamt 31 Systemische Supervisor·innen, Lehrende Supervisor·innen und Ausbilder·innen für Systemische Supervision, Lehrsupervisor·innen, Systemische Berater·innen, Systemische Therapeut·innen und Psychotherapeut·innen teilnahmen. Im Nachgang dieser Videokonferenz entschieden sich die in diesem Band versammelten Kolleg·innen für die Mitarbeit an der Publikation. Weitere Autor·innen konnten im Nachgang gewonnen werden.

Am 20. April 2021 hatten wir als Herausgeber·innen mit den Lektor·innen vom Carl-Auer Verlag eine redaktionelle Sitzung, ebenso online, in der die Richtlinien für eine Veröffentlichung vereinbart wurden. Zehn weitere Online- Videokonferenzen der Herausgeber·innen folgten, zahlreiche E-Mails wurden zwischen uns ausgetauscht, nicht gezählte Telefonate und einige wenige Gespräche zum Buchprojekt in Präsenz geführt. Außerdem fanden Online-Supervisionen für und mit den Akteur·innen dieses Buches statt. 25 Autor·innen aus sechs Bundesländern mit insgesamt 19 Beiträgen haben sich an der Fertigstellung dieses Sammelbands beteiligt. Mit ihren jeweiligen Expertisen sind sie in Privatpraxen, kassenärztlichen Praxen, im psychiatrischen Dienst, in Kliniken, in der Jugendhilfe, an Aus- und Weiterbildungsinstituten und/oder an Hochschulen und Universitäten tätig.

Die an diesem Buch beteiligten Akteur·innen haben überwiegend Mitgliedschaften in der Systemischen Gesellschaft (SG), der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) und/oder der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv). Gemeinsamkeiten und Unterschiede der curricularen Positionen dieser drei Verbände zur Supervisionsweiterbildung werden wertschätzend in den Beiträgen zur systemischen Lehrsupervision und zur Supervision in der Weiterbildung abgebildet. Die Gesamtheit aller hier zu lesenden Beiträge bietet einen Ausschnitt aus der Vielfalt von systemischer Supervision an.

Überblick – die einzelnen Beiträge

Wir haben die Beiträge in diesem vielstimmigen Buch folgenden fünf Themenbereichen zugeordnet:

Teil I

:

Systemtheoretische Perspektive

Teil II

:

Systemische (Lehr-)Supervision in der Weiterbildung

Teil III

:

Systemische Supervision in psychosozialen Kontexten

Teil IV

:

Systemische Supervision in klinischen und multidisziplinären Kontexten

Teil V

:

Systemische Supervisor·innen und Selbstreflexion.

Teil I des Buches bietet eine Grundlegung mit der systemtheoretischen Perspektive:

Heiko Kleve beleuchtet in seinem Einstiegsbeitrag grundsätzliche systemtheoretische Perspektiven auf die Supervision (Kapitel 1). Dazu stellt er das Grundgerüst der Systemtheorie von Niklas Luhmann vor, mit der insbesondere soziale Systeme als Interaktionen, Organisationen und Gesellschaften beschrieben und erklärt werden können. Welche Rolle Supervision in der komplexen und schnelllebigen modernen Gesellschaft spielen kann, wird schließlich anhand zentraler erkenntnis- bzw. beobachtungstheoretischer Fragestellungen veranschaulicht, die mit der Position des Konstruktivismus einhergehen.

Teil II des Buches versammelt fünf Beiträge, die sich mit der systemischen (Lehr-)Supervision in der Weiterbildung befassen:

Peter Ebel bezieht sich in seinem Artikel (Kapitel 2) auf die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins sowie auf den sozialen Konstruktionismus und damit auf das Hören, Fragen, Lehren und Lernen in der systemischen Supervision, ihrer Weiterbildung und ihrer Geschichte. Aufgezeigt werden Aspekte der Evaluation und der Qualitätssicherung. Außerdem wird der Begriff Kontrolle kritisch reflektiert. Schließlich erfolgt eine Zusammenfassung des aktuellen Stands der Supervisionsforschung.

Carla von Kaldenkerken skizziert in ihrem Beitrag (Kapitel 3) insbesondere ihr Verständnis von Lehrsupervision. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf den triadischen Kontrakt gelegt und die Frage der Verschwiegenheit im Kontext der beteiligten Akteur·innen problematisiert. Die Autorin stellt heraus, dass nicht so sehr starre Vertraulichkeitsregeln, sondern eher die Kompetenz, in triadischen Konstellationen passend zu agieren, zentral sein sollte. Denn zwischen den relevanten Akteur·innen muss das Vertrauen immer wieder neu hergestellt werden. Dazu dienen klare Rollen und Prozesse sowie konzentrierte Aufgabenbezogenheit innerhalb der Supervision und ihrer rahmenden Kontexte.

Anne Valler-Lichtenberg bezieht sich mit ihren Ausführungen (Kapitel 4) ebenfalls auf die Lehrsupervision und schöpft dabei aus ihrer langjährigen Praxis in diesem Kontext im Rahmen von klassischen Weiterbildungsinstituten, aber auch an Hochschulen. Dabei beschreibt sie die besonderen supervisorischen Prozesse der Lehrsupervision, die typischen Dynamiken, Wechselwirkungen und Ambivalenzen, die die Arbeit als Lehrsupervisor·in herausfordernd machen. Sie geht hierbei auf systemtheoretische Konzepte ein, zeigt aber auch, wie diese methodisch, also ganz praktisch, umgesetzt werden können.

Der Beitrag von Julia Strecker beschäftigt sich mit der Frage, wie die Rolle der Intuition im Kontext von Supervision und Lehrsupervision wahrnehmbar sowie nutzbar gemacht werden kann (Kapitel 5). Anhand von zwei Fallvignetten exemplifiziert die Autorin, welchen Facettenreichtum und Mehrwert die Intuition zur supervisorischen Arbeit beitragen kann. Sie beendet ihren Artikel mit sieben Punkten und schlussfolgert, dass Intuition sich nicht erzwingen lässt, sondern geschieht, wenn wir offen sind, ihr den notwendigen Raum zu ihrer Wahrnehmung und Entfaltung zu lassen.

Andreas Hampe beschreibt und eruiert fünf Grundhaltungen in der systemischen Supervision (Kapitel 6): 1. Leere, 2. Holismus, 3. Mitgefühl, 4. Neutralität und 5. Unbeständigkeit. Diese bilden die Grundlage für systemische Tools, die sich nahezu in jeder Supervision anwenden lassen. Über die genannten Haltungen und die im Beitrag ausführlich präsentierten Tools öffne die Supervision geradezu einen kunstvollen Rahmen, in dem sich das Neue tatsächlich zeigen und Bahn brechen könne.

In Teil III des Bandes werden vier Artikel präsentiert, die die systemische Supervision in psychosozialen Kontexten anhand unterschiedlicher Fragestellungen skizzieren:

Christopher Klütmann und Cornelia Henneke beleuchten in ihrem Artikel (Kapitel 7) die Frage, wie die Supervision als kommunikativer Kontextspaziergang zwischen Personen in Organisationen genutzt werden kann, um strukturelle und organisationsbezogene Perspektiven in den Reflexionsprozess einzubeziehen. Danach breiten sie ihre Überlegungen mithilfe der Ideen von Niklas Luhmann und Stefan Kühl zur Gestaltung von Kooperationsbeziehungen aus. Als Quintessenz des Beitrags beschreiben die Autor·innen Kooperation als existenzielle Basis auch für die personellen Beziehungen in Organisationen, zu denen die Supervision einen zentralen Beitrag leisten kann.

In dem Beitrag von Michaela Gelke geht es um die Methode der Genogrammarbeit, die sie exemplarisch in der systemischen Einzelsupervision zur beruflichen Neuorientierung untersucht (Kapitel 8). Die Autorin stellt dar, dass die Auseinandersetzung mit familiären Prägungen, Werten und Glaubenssätzen zu wichtigen Erkenntnissen hinsichtlich berufsbezogener Fragestellungen führen kann. Anhand von zwei Fallbeispielen veranschaulicht sie, wie die Beschäftigung mit Genogrammen die Perspektive der Supervisand·innen speziell hinsichtlich mehrgenerationaler Tradierungen auf berufliche Entscheidungen erweitert.

In ihrem umfangreichen Artikel erarbeiten Gunda Busley, Maurice Malten und Carla Ortmann ausführlich die Grundzüge einer Supervision, die ausschließlich in Online-Settings, also im digitalen Raum, vollzogen wird (Kapitel 9). Auf der Basis ihrer intensiven Erfahrungen mit dieser Form der Supervision während der Coronapandemie zeigen sie auf, welche Potenziale entfaltet werden können, wenn die Supervision aufgrund kontextueller Umstände ausschließlich »remote« durchgeführt wird. Dies veranschaulichen sie anhand von vielfältigen Beispielen, in denen sie Methoden vorstellen und deren Wirksamkeit praxisrelevant skizzieren. Dabei geht es auch um die Herausforderung, einen vertrauensvollen Beziehungsrahmen herzustellen und zu halten in einem Setting, das für viele Supervisand·innen wie Supervisor·innen trotz mehrjähriger Pandemie immer noch neu ist.

Cornelia Krönes und Lennart Krönes, Mutter und Sohn, beide systemisch weitergebildet und beim selben sozialen Träger beschäftigt, bieten einen generationalen Dialog zur Haltung im Kontext von Trennung, Scheidung und Erziehung an (Kapitel 10). Sie reflektieren ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Thema und verbinden diese mit der Frage, wie diese Reflexionen in Beratung und Supervision nutzbar gemacht werden können. Den Schreib- und Reflexionsprozess der beiden begleitete Peter Ebel via Online-Supervision.

Teil IV des Bandes bezieht sich in sieben Beiträgen auf die systemische Supervision in klinischen und multidisziplinären Kontexten:

Im ersten Beitrag interviewt Carla Ortmann Enno Hermans (Kapitel 11). Sie sprechen über das Thema Supervision in den noch gegenwärtigen postgradualen psychotherapeutischen Ausbildungen im Vertiefungsgebiet Systemische Therapie sowie in der zukünftigen Weiterbildung nach dem Psychotherapiestudium. Dabei suchen und finden sie Antworten auf drei zentrale Fragen: 1) Welche Bedeutung kommt der Rolle der Systemischen Supervisor·innen in diesen Aus- bzw. Weiterbildungen zu? 2) Was ist das Neue im Approbationsstudiengang Psychotherapie und der sich daran anschließenden Weiterbildung? 3) Was ist in der Zukunft hierfür zu erwarten?

Jürgen Singer und Haja Molter schildern in Kapitel 12, wie sich die Systemische Psychotherapie als noch recht neue Richtlinientherapie im Kontext der Systemischen Supervision selbst reflektiert. Es wird deutlich, wie das Systemische dieser Form der Psychotherapie gerade mithilfe der Supervision gestärkt werden kann. Besonders aufschlussreich und mehrperspektivisch ist dieser Beitrag deshalb, weil hier ein Systemischer Therapeut (Singer) und sein Supervisor (Molter) gemeinsam schreiben und ihre kooperative Arbeit reflektieren. Dabei ist interessant, wie auch in der Therapie gehalten werden kann, was der systemische Ansatz verspricht: eine Perspektive, die die Menschen mit ihren Potenzialen, Ressourcen und Stärken einbezieht, statt ausschließlich Defizite und Probleme zu wälzen.

Josua Handerer stellt eine Fallvignette über einen Kollegen vor, der Psychologischer Psychotherapeut werden und Systemiker bleiben wollte (Kapitel 13). In der Supervision nutzt der Autor eine Technik, mit der er das Anliegen des Supervisanden und den Verlauf der Supervision sowie einzelne Effekte und Highlights mit zahlreichen Skizzen illustriert und grafisch auf den Punkt bringt: im wahrsten Sinn des Wortes!

Martina Kaiser reflektiert im Rahmen einer systemischen Online- Supervision die Kinderpsychotherapie eines 8-jährigen Mädchens und fokussiert dabei die Stärkung des Kindes und seine Entwicklung von Mut (Kapitel 14). Für die anschauliche Nachvollziehbarkeit einzelner Spieltherapiesequenzen bietet die Autorin den Leser·innen eine kreative Variante an: nachgestellte Spielsituationen mit den »Hexbugs«, die online auf YouTube gesichtet werden können.

Annika Wiegold beschreibt in (Kapitel 15) das Erleben von Unterschieden, Möglichkeiten und Ressourcensynergien in der Multifamilientherapie mit bis zu 22 Personen im tagesklinischen Setting einer kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung und im Rahmen einer systemischen Fallsupervision mit bis zu 17 Mitarbeiter·innen einer Kindertagesstätte. Die Autorin erläutert, wie die Gruppengrößen und eine Vielfalt an Techniken effektiv genutzt werden können.

Wiebke Stelling präsentiert in ihrem Artikel ein spezielles Tool, die Netzwerkkarte, und zeigt, wie diese eingesetzt werden kann, um beispielsweise in der Leitungssupervision einer pädagogischen Organisation konstruktive Entwicklungen anzuregen (Kapitel 16). Netzwerke sind komplexe Beziehungsgefüge, die Personen einbeziehen und mit anderen Akteur·innen verknüpfen. Damit sind sie besondere soziale Systeme, die hinsichtlich ihrer Grenzen tendenziell undifferenziert sind und immer wieder erweitert werden können. Solche Konstellationen mithilfe von Visualisierungen zu betrachten ist nicht nur erkenntnisreich, sondern regt, wie die Autorin zeigt, das Sprechen über Praxis- bzw. Organisationsveränderung konstruktiv an.

Till Jansen lädt in seinem Beitrag (Kapitel 17) mit der Frage ein: »Einfach mal ›drüber reden‹?« Der Autor beschreibt Grenzen der Supervision in der Polizei und ihre Besonderheit als Organisation, die für die Durchsetzung rechtlicher Ordnung verantwortlich ist. Die Dinge sind hier entweder »richtig« oder »falsch« – so zumindest das bestimmende Narrativ in diesem Kontext. Organisationssoziologisch betrachtet Jansen die Supervision in der Polizei als etwas, was noch sehr untypisch ist. Vielleicht kann sich das in Zukunft ändern. Denn die Herausforderungen, auch mit psychosozialen Aspekten, sind in diesem Arbeitsfeld bekanntlich besonders hoch.

Der abschließende Teil V bringt Systemische Supervisor·innen und ihre Selbstreflexion zur Sprache:

Barbara Bräutigam wählt für ihren Text drei Episoden im Rahmen von Teamsupervision aus (Kapitel 18). Dabei geht es ihr jedoch nicht um Erfolgsgeschichten, sondern im Gegenteil: Sie veranschaulicht geradezu vorbildhaft und bewundernswert, wie in der Supervision mit Misserfolgserleben umgegangen werden kann, wie diese vielleicht unangenehme Thematik sinnvoll bearbeitet und verarbeitet werden könnte – bestenfalls mit wichtigen Erkenntnissen und Lernerfahrungen. Die Autorin benennt beispielsweise zu starkes Involviertsein bzw. eine nicht ausreichend realisierte neutrale Haltung als Aspekt des Scheiterns. Sie lädt Supervisor·innen dazu ein, sich offen, kritisch und gleichzeitig wohlwollend mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Valérie Bubendorff hat für ihren Beitrag langjährig praktizierende Supervisor·innen interviewt, zu zentralen Stationen ihrer persönlichen beruflichen Geschichte und damit verbundenen einschneidenden Erfahrungen sowie entwickelten Haltungen befragt (Kapitel 19). Herausgekommen ist eine sehr kurzweilige Präsentation der zentralen Haltungen Systemischer Supervisor·innen, erzählt anhand von gesättigten Erfahrungen. Dabei scheint die Faszination der Supervision auf. Es wird deutlich, warum es so spannend, befriedigend und für beide an der Supervision beteiligten Seiten gewinnbringend ist, Supervision zu praktizieren.

Teil I:

Systemtheoretische Perspektive

1 (Lehr-)Supervision der Gesellschaft

Heiko Kleve

1.1 Ausgangspunkte

Supervision ist eine professionelle Praxis zur Reflexion, oder um es bereits systemtheoretisch zu formulieren, zur Beobachtung des Beobachtens, mithin zur Beobachtung zweiter Ordnung (ausführlich und paradigmatisch dazu: Kersting 2002). Supervision soll professionelles Handeln dabei unterstützen, die Berufsausübung methodisch gekonnt und ethisch reflektiert zu realisieren.

Entstanden ist das Unterstützungsformat der Supervision mit dem Anbruch der modernen Gesellschaft, also zum Ende des 19. Jahrhunderts (ausführlich in Möller 2015 und knapp in Möller 2021; siehe auch Giesecke u. Rappe-Giesecke 1997; Kaldenkerken 2014). Als ein Ausgangspunkt supervisorischer Arbeit gelten beispielsweise die Begleitungen der »friendly visitors«, ehrenamtlicher Familienhelfer·innen in den USA, die durch Expert·innen bei ihrer sozialen Hilfstätigkeit fachlich unterstützt wurden. Eine der Pionierinnen der Sozialarbeit, Mary Ellen Richmond (1861–1928), kann als eine der Organisator·innen dieser professionellen Reflexionspraxis gelten. Damals ging es vor allem darum, den jeweils konkreten Hilfefall angemessen einzuschätzen, in dem etwa das Verhältnis von individuellen und sozialen Bedingungen der Hilfsbedürftigkeit bewertet und Möglichkeiten der Unterstützung abgeschätzt wurden. Bis heute hat die Supervision eine beachtliche Entwicklung genommen, die in ihren Facetten und Ausprägungen kaum noch angemessen zu überblicken ist (gründlich dazu nochmals: Möller 2015). Daher soll dieser Siegeszug der Supervision hier lediglich benannt und hinsichtlich seines Kontextes betrachtet werden.

Supervision ist in der Regel die prozessorientierte Beratung von professionellen Fachkräften, die mit der Bearbeitung von komplexen Problemen befasst sind, von deren ganzheitlichen Geschehen und seinen Dynamiken sie sich als Personen nicht distanzieren können. Solche Fachkräfte sind etwa Therapeut·innen, Sozialarbeiter·innen, Ärzt·innen, Lehrer·innen, aber auch Führungskräfte in unterschiedlichsten Organisationen.

Gerade wenn es darum geht, mit Menschen zu arbeiten, wenn also die biopsychosozialen Bedingungen des Lebens für den Arbeitskontext relevant sind, können sich die »Problembearbeiter·innen« nicht aus dem relevanten Geschehen heraushalten. Vielmehr werden die jeweiligen Persönlichkeiten mit all ihren Verhaltensweisen und Handlungen sowie den damit einhergehenden psychischen und emotionalen Prozessen zu einem relevanten Kontext des Geschehens und beeinflussen dieses maßgeblich mit. Eine Person, die mit komplexen biopsychosozialen Dynamiken zu tun hat, etwa mit der Gestaltung von sozialen Beziehungen zwischen Menschen, verbindet sich mit diesen mindestens in zweierlei Weise:

Erstens

wird sie durch ihren Kontakt, durch ihre Beziehungsaufnahme mit den Protagonist·innen der jeweiligen Kontexte Einfluss auf diese nehmen.

Und

zweitens

ist die Art und Weise, wie Professionelle das beschreiben, erklären und bewerten sowie in die Kommunikation einbringen, was sie im Kontakt mit den jeweils Beteiligten und ihren Kontexten erfahren und erleben, ein weiterer Veränderungsfaktor des komplexen Geschehens.

Enttäuschend mag jedoch sein, dass diese Beeinflussung und Veränderung, die von den Professionellen in biopsychosozialen Konstellationen ausgeht, hinsichtlich ihrer Effekte nur äußerst begrenzt geplant und gesteuert werden kann. Dies zu sehen, anzuerkennen und befriedigende Umgangsweisen damit zu finden ist ein Ziel supervisorischer Begleitung.

Da bei der Verbindung der Beteiligten komplexer Dynamiken zahlreiche äußerst relevante Prozesse zunächst unbeobachtet ablaufen, erst im Nachhinein bewertet, beschrieben und erklärt werden können sowie möglicherweise verändert werden sollten, ist Supervision als eine Praxis dieser nachgängigen Beobachtung das Mittel der Wahl für diese Art der professionellen Selbstreflexion. In der Supervision können die in der Praxis unreflektiert ablaufenden Interaktionsdynamiken sowie die darauf bezogenen Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen in die Beobachtung geholt werden, um sie gegebenenfalls in neuer Weise zu verstehen und zukünftiges Handeln, mithin angemessene Interventionen, zu überlegen.

Die skizzierte Form der sozialen Verschränkung der Beteiligten und deren Auswirkungen auf biopsychosoziale Faktoren spiegelt sich in der Supervision, sie gilt freilich für diese Praxis genauso. Denn das In-Beziehung-Treten mit den relevanten Akteur·innen, etwa innerhalb von Einzel-, Gruppen- oder Teamsupervisionen, ist das notwendige Medium, um supervisorische Wirkungen zu erzielen. Daher ist die Lehrsupervision das obligatorische Setting, um Anfänger·innen supervisorischer Praxis dabei zu unterstützen, ihr anspruchsvolles Geschäft der Beratung professioneller Fachkräfte in theoretisch reflektierter, methodisch passender und ethisch angemessener Weise auszuüben.

Die Intention der folgenden Ausführungen dieses Beitrags ist es, die systemtheoretischen Grundlagen einer solchen systemischen Supervision pointiert zu präsentieren. Dies geschieht so, dass zunächst der gesellschaftliche Rahmen supervisorischer Praxis skizziert wird, bevor grundsätzliche interventions- und beobachtungstheoretische Ausführungen die Supervision als systemisches Geschehen innerhalb des sozialen Systems der Gesellschaft veranschaulichen.

1.2 Gesellschaftlicher Rahmen

1.2.1 Interaktion, Organisation, Gesellschaft

Supervision wird in der Gesellschaft geleistet, und zwar als eine soziale Praxis. Im Sinne der soziologischen Systemtheorie ist mit dem Attribut »sozial« in Abgrenzung zu »biologisch« und »psychisch« die Sphäre der Kommunikation gemeint (grundsätzlich dazu: Luhmann 1984), also der Raum, der entsteht, wenn sich mindestens zwei Personen aufeinander beziehen, sich wechselseitig beobachten. Die sich dabei realisierende Interaktion (Kieserling 1999) führt zu dem, was mit der pragmatischen Kommunikationstheorie als Unmöglichkeit der Nicht-Kommunikation bezeichnet wird, dass mithin im Kontext mehrerer sinnlich aufeinander ausgerichteter Personen nicht nicht kommuniziert werden kann (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969).

Neben dieser Interaktion von anwesenden bzw. akustisch und/oder visuell füreinander erreichbarer Personen vollzieht sich Kommunikation vor allem in Organisationen, etwa in Unternehmen, Behörden, Schulen oder Universitäten (einführend dazu: Kühl 2020). Auch in Organisationen finden Interaktionen statt. Aber die organisationale Kommunikation ist stark auf Schriftlichkeit, heute in Form der modernen Massenspeicherung von Daten, angewiesen und macht sich damit sowohl unabhängig von konkreten Personen als auch von dauerhaften Interaktionen. Personen sind funktional austauschbar, als Rollenträger inkludiert. Zudem werden Informationen, etwa zu Entscheidungen, schriftlich kommuniziert. Damit können in Organisationen Interaktionen auf ein Mindestmaß reduziert werden. Der Gesamtzusammenhang aller Kommunikationen, die sich als Interaktionen und Organisationen ausbilden, wird als Gesellschaft bezeichnet (grundsätzlich dazu: Luhmann 1997). Alles Gesellschaftliche ist damit sozial, also kommunikativ. Die Umwelt des Gesellschaftssystems sind die psychischen und biologischen Systeme, also die Menschen. Damit werden Menschen nicht als unwichtig bewertet, im Gegenteil: Ohne Umwelt kann kein System entstehen – und umgekehrt. Aber Menschen und soziale Systeme bleiben füreinander getrennte, eigenständige Systeme, die sich gegenseitig zu Operationen anregen, jedoch nicht determinieren, nicht direkt zielgerichtet beeinflussen können. Diese sehr strikte Trennung biologischer, psychischer und sozialer Systeme, die wir uns noch genauer unter dem Blickwinkel der Möglichkeiten und Grenzen von Interventionen anschauen, bilden den Rahmen für ein konsequentes systemisches Konzept von Supervision (paradigmatisch dazu nochmals: Kersting 2002).

1.2.2 VUKA-Konzept

Die skizzierte kommunikationstheoretische Präzisierung des Gesellschaftskonzepts ist der Kontext für das Verständnis unserer heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit, die insbesondere von der weltweit vernetzten und beschleunigten Kommunikation durch Computersysteme gekennzeichnet ist. So ist der Computer in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen, insbesondere durch mobile Endgeräte, zu dem neuen zentralen Kommunikationsmedium geworden, das die klassischen Kommunikationskanäle der mündlichen Sprache, der Schrift und des Buchdrucks neu formatiert, mithin rahmend umfasst. Damit ist, in Weiterentwicklung der Modernen, eine neue, eine nächste gesellschaftliche Qualität entstanden (Baecker 2007; Baecker 2018).

Wenn wir die Beschleunigung und weltweite Vernetzung der elektronischen Kommunikation als ein Wesensmerkmal der aktuellen Gesellschaft betrachten, kommen wir schnell auf das inzwischen sehr bekannte Akronym VUKA (umfangreich dazu: Gehlert 2020, S. 47 ff.), mit dem einige Besonderheiten unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit passend beschrieben und erklärt werden können, die für die supervisorische Praxis relevant sind:

Mit

V

wird die

Volatilität

, also die Flüchtigkeit kommunikativer Ereignisse, in den Blick gebracht. Da unsere technischen Kommunikationsmittel viele Daten gleichzeitig verarbeiten sowie senden und empfangen können, sind wir mit einer enorm hohen Frequenz von Ereignissen konfrontiert, mit neuen Informationen, die permanent unsere Aufmerksamkeit erregen können, um Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln zu erzeugen.

Mit

U

ist die

Unsicherheit

gemeint, die die Stabilität unserer Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen jederzeit infrage stellen bzw. ändern kann, ganz nach den jeweils verfügbaren Informationen. Aufgrund der enorm hohen Geschwindigkeit der Informationsübertragung und der Kapazitäten der daran beteiligten Systeme erleben wir das, was die Gesellschaft schon immer ausgezeichnet hat, aber selten so massiv in unser Bewusstsein drang, viel unmittelbarer: die globale Vernetzung unterschiedlichster Ereignisse und ihre nicht vorhersagbaren Wechselwirkungen.

K

steht für

Komplexität

und bezeichnet die gegenseitige Abhängigkeit von Ereignissen, mithin von Variablen, die die biopsychosozialen Phänomene in ihrer Stabilität und Dynamik prägen sowie hinsichtlich ihrer internen Entwicklungsprozesse weitgehend als intransparent erscheinen lassen. Denn den außenstehenden Beobachter·innen ist es nicht möglich, alle entsprechenden Variablen zu erfassen und in ihren Bezogenheiten sowie in ihren Effekten zu bestimmen. Komplexität überfordert jede Beobachtung, die daher lediglich reduzierte Komplexität erfassen kann.

Das

A

steht schließlich für

Ambiguität

, also für die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen, etwa hinsichtlich Entscheidungsprozessen, sodass wir anfangen, zwischen den Entscheidungsseiten ambivalent hin- und herzupendeln. Wenn wir permanent viele Informationen zur Verfügung haben, die wir für Entscheidungsprozesse nutzen können, die uns diesbezüglich unterstützen, aber zugleich auch verwirren und unsere Unentschiedenheit vergrößern, obwohl wir entscheiden müssen, können wir die sich damit einstellende Erfahrung Ambiguität nennen.

Das Interessante ist nun, dass Supervision bereits seit ihrer Entstehung als professionelle Unterstützungspraxis VUKA-Situationen kennt. Denn die Professionen, innerhalb derer Supervision seit Ende des 19., spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts genutzt wird, eben biopsychosoziale Dienstleistungen, haben mit Systemen zu tun, die hinsichtlich ihrer äußeren Beobachtung und Beeinflussung grundsätzlich mit Unsicherheit einhergehen.

1.3 Intervention in biopsychosoziale Systeme

1.3.1 Nichttriviale Systeme

Interventionen in biopsychosoziale Systeme konfrontieren uns mit grundsätzlicher Unsicherheit. Diese Unsicherheit folgt daraus, dass wir solche Systeme nach Heinz von Foerster (z. B. von Foerster 1988) als nichttrivial bewerten können. Im Gegensatz zu trivialen Systemen, die zielgerichtet steuerbar sind, entziehen nichttriviale Systeme sich einer solchen Möglichkeit der deterministischen Beeinflussung. Während triviale Systeme, wie etwa mechanische Maschinen oder auf physikalischen Naturgesetzen fußende Prinzipien, als transparent gelten, wir also ihre internen Abläufe einsehen können, die sich zudem in immer wiederkehrender Weise vollziehen, sind nichttriviale Systeme hinsichtlich ihrer internen Strukturen weitgehend intransparent. Wir können also nicht oder nur äußerst begrenzt beobachten, welche inneren Vollzüge sich in diesen Systemen realisieren. Zugleich können sich die systeminternen Abläufe mit der Zeit entwickeln. Das heißt, solche Systeme sind lernfähig und modifizieren – je nach Notwendigkeit – ihre inneren Dynamiken.

Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen trivialen und nichttrivialen Systemen machen sich besonders dort bemerkbar, wo es um das Erreichen von Sollzuständen geht. Triviale Systeme sind durch bestimmte Inputs so lenkbar, dass vorherbestimmte Outputs erreicht werden können. Wenn wir aber eine solche Steuerung von nichttrivialen Systemen versuchen, dann wird unser Input vom System in eigenständiger und nicht von außen einsehbarer Weise intern verarbeitet. Und diese interne Verarbeitung regt das System zu Outputs an, die mehr mit dem System selbst als mit dem gesetzten Input zu tun haben. Mit der Systemtheorie wird diese Eigenschaft von nichttrivialen Systemen, etwa von Organismen, Psychen und Sozialsystemen, Strukturdeterminismus – oder noch pointierter: Autopoiesis – genannt (Maturana u. Varela 1987; Luhmann 1984). Autopoietische Systeme sind zwar in eine sie ermöglichenden Umwelt eingebettet – wie sie diese Umwelt verarbeiten, wie sie auf bestimmte Veränderungen reagieren und ihre Grenzen gegenüber der Umwelt erhalten, wird jedoch von ihnen selbst, von ihren eigenen Strukturen ermöglichtet und gestaltet.

Beliebig ist das Verhalten autopoietischer Systeme dennoch nicht. Im permanenten Selbst- und Fremdkontakt entstehen sich wiederholende Muster, Ordnungen und Pfade, die als »fest« erscheinen können und dennoch veränderbar sind. Auch Redundanzen von Systemverhalten, sich wiederholende Muster in Systemen können als Komplexitätsreduktionen bewertet werden. Innerhalb der Supervision kann versucht werden, die Supervisand·innen dabei zu unterstützen, einerseits die besondere Unsicherheit von nichttrivialen Systemen hinsichtlich ihrer Reaktionsweisen zu achten und anzuerkennen und andererseits offen zu sein für die wiederkehrenden Muster, die es zu stützen und zu stärken gilt, wenn diese als förderlich bewertet werden, und sie zu stören, zur Veränderung anzuregen, wenn sie als leidvoll oder hinderlich bei der Lösungskreation bewertet werden. Dabei können sich diese Muster zum einen auf die relevanten Phänomene beziehen, die die Supervisand·innen in der Supervision besprechen und zum anderen auf die Beobachtungen der Supervisand·innen, die möglicherweise modifiziert werden sollten, damit sich in der professionellen Arbeit ebenfalls etwas in konstruktiver Weise verändern kann.

1.3.2 Biologische, psychische und soziale Systeme

Biologische, psychische und soziale Systeme können als nichttriviale Systeme bewertet werden. Diese Systeme sind voneinander zugleich unabhängig und abhängig: Ihre Unabhängigkeit zeigt sich in operationaler Weise, ihre Abhängigkeit in struktureller Weise. Hinsichtlich der Operationen agieren biologische Prozesse im Medium des Lebens, psychische Systeme in Form von Gedanken und soziale Systeme mit Kommunikationen – diesbezüglich sind die Systeme getrennt. Verbunden und aufeinander bezogen sind sie, weil sie sich jeweils voraussetzen. So sind psychische Denkprozesse abhängig von den biologischen Hirnprozessen, und Kommunikationen setzen denkende Individuen voraus. Auch die körperliche Biologie ist eingebettet in psychosoziale Strukturen, die sie als Milieu voraussetzt.

Besonders wichtig ist in dieser biopsychosozialen Konstellation, dass sich die operationalen Vollzüge der jeweiligen Systeme, also des Körpers, der Psyche und des Sozialen, jeweils zu Eigenaktivitäten anregen, sich aber nicht wechselseitig determinieren, nicht direkt kausal aufeinander einwirken können. Dies bedeutet, dass Gedanken nicht eindeutig in Kommunikationen übertragen werden können – und umgekehrt. So gilt für die sozialen Kontexte, die Thema der Supervision sind, sowie für den Prozess der Supervision selbst:

Etwas verbal oder nonverbal zu kommunizieren heißt noch nicht, dass es von den jeweils anderen gehört wird.

Wird es gehört, dann geht damit noch nicht einher, dass es auch so verstanden wird, wie es gemeint war.

Wird es verstanden, dann bedeutet das nicht automatisch, dass es akzeptiert wird.

Sollte es akzeptiert werden, dann ist damit noch nicht bestimmt, welches Handeln daraus hervorgeht.

Geschieht ein bestimmtes Handeln, dann ist noch offen, wie andere darauf reagieren.

Kommunikationen und Denkprozesse sind zwar eng miteinander verkoppelt, aber zwischen Mitteilen, Hören, Verstehen, Akzeptieren und Handeln zeigen sich Grenzen, die jeweils zu überbrücken sind. Bei diesen Überbrückungen vollziehen sich Übersetzungsdifferenzen, schleichen sich Unterschiede ein, sodass Informationen niemals direkt übermittelt oder gar in technischer Weise eindeutig versendet werden können. Im Gegenteil, Informationen werden jedes Mal in neuer Weise konstruiert, immer wieder in jeweils eigenständiger Form hergestellt. So vollzieht sich Kommunikation in der Supervision genauso wie in den Kontexten, die der Fokus der Supervision sind: jeweils sowohl in »kognitiver Autonomie« der beteiligten Akteur·innen als auch in aufeinander ausgerichteter »sozialer Orientierung« (Schmidt 1994).

Die biopsychosoziale Einbettung der menschlichen Existenz kann als ein äußerst komplexes Geschehen interpretiert werden, in dem sich nichts von selbst versteht, nichts niemals gänzlich sicher ist – außer die grundsätzliche Unsicherheit. Eine Aufgabe der Supervision ist es, diese Situation so zu thematisieren, dass sie aushaltbar wird, und zwar ohne dass die jeweiligen Akteur·innen verzweifeln. Gerade die Akzeptanz dieser Situation bei gleichzeitigen Versuchen, sich in engagierter Weise unterstützend zu verhalten, kennzeichnet eine systemtheoretisch aufgeklärte systemische Supervision, die ihre Dienste statt mit tragischer Miene mit ironischer Gelassenheit anbietet (zum Unterschied zwischen dem tragischen und dem ironischen Beobachten: Rorty 1989).

1.4 Supervision als Beobachtung des Beobachtens

1.4.1 Beobachten als Unterscheiden und Bezeichnen

Aus einer erkenntnistheoretischen Perspektive können wir Supervision als Beobachtung zweiter Ordnung verstehen, als Beobachten des Beobachtens (Kersting 2002). Beobachten ist zunächst eine grundsätzliche Operation im Kontext von psychischen und sozialen Systemen (Luhmann 1990; Simon 1993; Simon 2015; Kleve 2010). Das heißt, dass sowohl Gedanken als auch Kommunikationen als Vollzug des Beobachtens verstanden werden können. Dieser Beobachtungsvollzug geht mit Unterscheidungen und Bezeichnungen einher. Wenn etwas beobachtet wird, muss zuvor gedanklich oder kommunikativ – in einem ersten Schritt – etwas von etwas anderem unterschieden werden, was – im zweiten Schritt – in einer bestimmten Weise bezeichnet wird.

Bezogen auf die Supervision bedeutet das: Bereits die Auswahl eines zu betrachtenden Themas, also der inhaltliche Fokus, der von den Supervisand·innen während der Supervision gesetzt wird, muss als bezeichnende Unterscheidung betrachtet werden. Im weiteren Verlauf des Supervisionsprozesses geht es dann darum, immer wieder erneut zu reflektieren, ob die Unterscheidungen und Bezeichnungen die passenden sind oder ob nicht andere Unterscheidungen und Bezeichnungen geeigneter wären, um eine relevante Frage zu beantworten oder eine verhärtete Problematik zu lösen.

Was Supervision als reflektierte Beobachtungspraxis ausmacht, ist demnach die Umsetzung der Fähigkeit, die Kontingenz und Relativität des Beobachtens sowohl sichtbar als auch für die Supervisand·innen in nützlicher Weise erfahrbar und akzeptierbar zu machen. Beobachtungen, mithin Unterscheidungen und Bezeichnungen, geschehen ihrerseits innerhalb von Komplexität, also innerhalb von Kontexten, die jeweils durch eine unendliche Vielzahl (re)kombinierbarer Variablen gekennzeichnet sind. Daher ist jede gewählte und möglicherweise verhärtete Kombination aus Unterscheidungen und Bezeichnungen kontingent, also auch anders möglich und abhängig von denen, die sie gerade realisieren, also relativ. Wenn die Supervision ein Ergebnis bei den Supervisand·innen zu erzielen hat, dann dies: zu erkennen, dass durch das Setzen anderer Unterscheidungen und differenter Bezeichnungen anders, neu, bestenfalls brauchbarer als bisher beobachtet werden kann.

1.4.2 Beschreiben, Erklären, Bewerten

Mit Fritz B. Simon (z. B. Simon 2015) können wir das sich als Unterscheiden und Bezeichnen vollziehende Beobachten differenzieren, und zwar als Beschreiben, Erklären und Bewerten. Alle unsere verbalen Kommunikationen lassen sich in dieser dreifachen Weise analysieren und in der Supervision befragen bzw. hinsichtlich ihrer entsprechenden Kontingenz und Relativität reflektieren.

Mit

Beschreiben

ist das Was der verbalen Kommunikation gemeint, also die Themen sowie die Worte und Begriffe, mit denen diese Themen veranschaulicht werden.

Was ist aktuell im Fokus der Kommunikation? Worum geht es?

Diesbezüglich steht das im Mittelpunkt, was wir sinnlich, also vor allem visuell und auditorisch, vielleicht auch haptisch erfassen können, was sich unseren Sinnen unmittelbar erschließt bzw. was von den Supervisand·innen in dieser Weise erfahren wird. Wenn wir auch hier Kontingenz und Relativität konstatieren, dann kann in der Supervision gefragt werden, was durch das realisierte Beschreiben nicht beschrieben wird, obwohl es möglicherweise als relevant bewertet und damit ebenfalls beschrieben werden könnte oder sollte.

Erklären

fokussiert das Warum, das mit der verbalen Kommunikation vermittelt wird:

Welche Kausalitäten werden benannt? Welche Ursache-Wirkungs-Beziehungen werden getätigt?

Im Gegensatz zu den Phänomenen des Beschreibens, die sich sinnlich vermitteln, angeschaut, gehört oder ertastet werden können, sind Kausalbeziehungen intransparent. Sie sind reine Konstruktionen unseres Denkens oder Kommunizierens. Welche Ursachen und Wirkungen Akteur·innen unterscheiden und in Zusammenhänge bringen, sagt mehr über sie selbst, über ihre Arten ihres Beobachtens aus als die so erklärten Phänomene. Daher ist auch hier die supervisorische Intervention, auf die Kontingenz und Relativität des Erklärens hinzuweisen und für alternative, möglicherweise passendere Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu sensibilisieren. Passung als Referenzpunkt bezieht sich auf den Erfolg des Handelns:

Welche Erklärungen erhöhen den Handlungserfolg, der erzielt werden soll, bzw. ermöglichen Flexibilität im komplexen Geschehen des Praxisalltags?

Schließlich geht es um das

Bewerten

, also um das Wie:

Wie wird in der Kommunikation das, worüber gesprochen wird, charakterisiert? Welche Attribute werden Phänomenen oder Personen zugeschrieben?

Das Bewerten ist eine Grundoperation des Sprechens, die sich bereits dann zeigt, wenn wir etwas Bestimmtes erwähnen und damit als wichtig auswählen und indirekt alles andere – als unwichtig – unerwähnt lassen. Besonders deutlich werden Bewertungen dann, wenn sie mit der Zuschreibung von Eigenschaften einhergehen. In der Supervision können die Supervisand·innen dafür sensibilisiert werden, dass auch diese Zuschreibungen kontingent und relativ sind, dass mithin andere Attribute möglich sind, die vielleicht als hilfreicher, unterstützender oder problemlösender erscheinen. Das Einblenden der Bewertungsalternativität ist der erste Schritt, um passendere Bewertungsprozesse anzuregen.

1.5 Resümee

Dass die Supervision eine gesellschaftliche Praxis ist, die über das Beobachten des Beobachtens ihre ganz spezifische Wirksamkeit entfaltet, indem sie eingefahrene Sichtweisen der Möglichkeit des Andersseins (Watzlawick 1977) aussetzt, ist eine ihre besonderen Stärken. Nicht zuletzt deshalb haben Supervisor·innen in unserer VUKA-Gesellschaft eine so bedeutsame Position eingenommen. Überall dort, wo komplexe Problemlagen die Professionellen herausfordern, kann Supervision die relevanten Akteur·innen als Einzelpersonen, in Gruppen oder innerhalb von Teams und Organisationen so unterstützen, dass diese sich zunächst mit ihren komplexen Phänomenen arrangieren, um sodann nach brauchbaren Beobachtungsweisen sowie hilfreichen Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen zu suchen, die die alltägliche Praxis besser als bisher handhabbar macht. Das Ergebnis ist bestenfalls ein Zuwachs an Gelassenheit im Umgang mit Komplexität, die alle anspruchsvollen Arbeitsfelder in unserer heutigen Gesellschaft kennzeichnet.

Teil II:

Systemische (Lehr-)Supervision in der Weiterbildung

2 Vom Sprechen und Hören, vom Lehren und Lernen – Berliner Aspekte, Akzente und Begriffe

Peter Ebel

»Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.«

Ludwig Wittgenstein1

Gerahmt von einem Zitat von Ludwig Wittgenstein (1889–1951) wird dieser Beitrag eingeleitet, und vierzehn offene Frage lancieren den narrativen Verlauf: hier gedacht als Textarchitektur und analog zu öffnenden Dialogen im Format systemische Supervision als Lehr-Lern-Verfahren. Skizziert werden Aspekte des Denkens und Wirkens Wittgensteins; eine Türgriffmetapher bietet das Öffnen von weiteren Denkräumen an. Ergänzend zum Hinweis auf den US-amerikanischen Ursprung von Supervision, den Heiko Kleve in Abschnitt 1.1 bereits angeboten hat, werden ein historischer Vorläufer sowie eine weitere Quelle für die Entwicklung der Methode und ihre Anfänge gewürdigt.

Supervision wird als genuin sozialpädagogisch benannt, allgemein und aus systemischer Perspektive definiert. Die Begriffe Methode, Verfahren und Techniken werden in Anlehnung an Geißler und Hege (1995) unterschieden: Supervision wird als Methode, das systemische Modell als Verfahren und offene Fragen werden als Techniken »be-griffen«. Der soziale Konstruktionismus mit seiner Bezugnahme auf die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins wird betont, wobei dem Hören eine besondere Bedeutung gegeben wird. Einzelne Entwicklungslinien der Weiterbildung Supervision in der Bundesrepublik Deutschland und biografische Akzente des Autors als Supervisor werden aufgezeigt. Aus meiner Perspektive als Lehrender Supervisor der Systemischen Gesellschaft (SG) skizziere ich ein Modell von Supervision in der Weiterbildung und abschließend Aspekte der Supervisionsforschung.

2.1 Was analysierte Wittgenstein? – Begriffe der Sprache – Einheiten des Denkens

Ludwig Wittgenstein widmete sich der Analyse der Sprache und gilt als einflussreicher Denker des 20. Jahrhunderts. Sein Denken bietet eine von vielfältigen Bezugsquellen für das systemische Paradigma heterogener Denkansätze aus verschiedenen Theorietraditionen (Systemische Gesellschaft 2020). Der Gebrauch der Sprache bestimmt deren Bedeutung.

»569. Die Sprache ist ein Instrument. Ihre Begriffe sind Instrumente« (Wittgenstein 2020, S. 244).

Und Einheiten des Denkens. In welcher Kultur und Subkultur, zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen beteiligen sich Menschen an welchen Diskursen?

»570. Begriffe leiten uns zu Untersuchungen. Sind der Ausdruck unseres Interesses und lenken unser Interesse« (Wittgenstein 2020, S. 244).

Der Begriff »Sprachspiele« könnte vermutlich als populärer Begriff seiner Werke angesehen werden.

»Wittgensteins Bemerkungen zielen vor allem darauf, das Interesse der Philosophen von Wörtern und Sätzen abzulenken und auf jene Situationen zu richten, in denen wir sie verwenden – auf den Kontext, aus dem sie ihren Sinn beziehen: ›Komme ich nicht immer mehr und mehr dahin zu sagen, dass die Logik sich am Schluss nicht beschreiben lasse? Du musst die Praxis der Sprache ansehen, dann siehst du sie‹« (Monk 1992, S. 611 f.).

2.2 Welche Haltungen waren für Wittgensteins Denken bedeutend? Wittgenstein – Design und Metapher

»Wittgenstein wird gewöhnlich als Philosoph wahrgenommen und diskutiert; seine ästhetischen und künstlerischen Haltungen werden dagegen seltener untersucht, obwohl sie nicht weniger bedeutend für sein Denken waren als der Einfluss mancher Werke der Philosophie« (Drehmel u. Jaspers, S. 40).

In seiner Wittgenstein-Biografie beschreibt Ray Monk (1992) Ludwig als (Anti-)Philosoph und als Mensch permanenter Selbstprüfung.

»In Wittgenstein dem Ingenieur und Wittgenstein dem Architekten berühren sich die Punkte einer reduktionistischen Abstraktion und einer haptischen, sinnlichen Lebenswelt« (ebd. S. 11).

Ludwig Wittgenstein studierte ab 1906 zunächst Aeronautik an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin (seit 1946 Technische Universität Berlin), er interessierte sich später für Mathematik und ihre philosophischen Grundlagen, studierte und lehrte Philosophie in Cambridge, lebte und wirkte an unterschiedlichen Orten, unter anderem in einer Hütte an einem Fjord in Norwegen, er arbeitete als Klostergärtner und Dorfschullehrer.

»Von 1926–1928 entwarf er – gemeinsam mit Paul Engelmann – das Wiener Haus seiner Schwester Margarethe. Bis zum letzten Detail der Wandheizungen, Möbel, Tür- und Fenstergriffe folgte dieses Haus den Idealen Wittgensteins, als eine Demonstration, die den Horizont funktionaler Nützlichkeit ebenso respektierte wie überschritt« (ebd., S. 40).

Der von Wittgenstein aus einer Rundstange erschaffene Türdrücker (Türgriff) wurde von Designern offenbar technisch überarbeitet, vielfach variiert, und industriell gefertigte Modelle werden heute auf diversen Webseiten2 gezeigt.

Der »Türgriff« wird den Leser·innen hier als Wortbild, als Metapher und mögliche, haptisch-sinnliche Imagination für das gedankliche »Öffnen vielstimmiger Blickwinkel«, angeboten. Möge das Sprachbild unterschiedliche Perspektiven und Perspektivenwechsel »be-greifen« lassen.

2.3 Welcher ergebnisoffene Forschungsprozess könnte als Vorläufer der Methode Supervision »be-griffen« werden?

Die Antwort: der »sokratische Dialog« (Belardi 1994): ein ständiges Fragen und Prüfen, ausgehend von der Annahme, dass jeder Mensch zur Einsicht fähig und dies allen Menschen lehrbar ist. Selbsterkenntnis – der sokratische Dialog! Als ein Verfahren des philosophischen Dialogs zwecks Erkenntnisgewinn in einem ergebnisoffenen Forschungsprozess, eingeführt von Sokrates, Gründervater der westlichen Philosophie, gelebt von 470–399 v. Chr. in Athen. Ein Hinterfragender aller Athener Lebensbereiche, der Gesellschaft, in der er lebte, fragte und getötet wurde: mittels Schierlingsbecher!

Die sokratische Methode, ein interrogativer (lat. interrogare für »fragen«) Diskurs mittels des Erörterns von Problemstellungen und Lösungsmöglichkeiten. Interrogativsätze sind syntaktisch geregelte Einheiten, die das Stellen von Fragen intendieren. Der Sprechakt des Fragens kann mit dem Anheben der Intonation markiert werden. Überliefert wurde Sokrates’ Denken und Leben unter anderem von seinem Schüler Plato (Jaspers 2004). Die Bedeutung des sokratischen Prinzips im Kontext von Supervision skizziert Lippenmeier (1992), und das könnte als historische Quelle für systemische Supervision reflektiert werden.3

2.4 Welche Forschung ergänzt die Geschichte der Methode Supervision?

Auf den US-amerikanischen Ursprung von Supervision hat Heiko Kleve in Abschnitt 1.1 bereits hingewiesen. Mögliche Quellen aus dem Viktorianischen Zeitalter in Großbritannien benennt C. Wolfgang Müller (1928–2021): In Whitechappel gründeten Samuel Augustus Barnett und seine Frau Henrietta 1882 »Toynbee Hall«, eine universitäre Außenstelle in einem Slum in London. Barnett hatte Geschichte, Recht und Religion studiert, war Gemeindepfarrer – und Müller (1994, S. 44) verweist auf …

»(…) Samuel, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, jeden akademischen Bewohner von Toynbee Hall einmal wöchentlich zu einem halbstündigen Gespräch in sein Arbeitszimmer zu bitten, um mit ihm soziale und sozialpädagogische Fragen zu besprechen und ihn zu beraten. Diese Vieraugen-Gespräche sind wohl auch das Vorbild für jenen Prozess geworden, der später in der angelsächsischen Fachliteratur Praxisberatung (supervision) genannt werden wird.«