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Trennung – ein Tabu in christlichen Kreisen? Daniel Schneider hat Menschen besucht, die offen über ihre Scheidung reden. Er möchte verstehen, warum Beziehungen scheitern und wie Menschen mit diesem Lebensbruch umgehen. Die Gespräche haben es in sich, sind schonungslos und inspirierend, bieten Ihnen wertvolle Erkenntnisse und manchmal bleiben Fragen offen. Eins gilt jedoch immer: Gerade in gescheiterten Beziehungen wird die Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar! Ein wichtiges Buch, nicht nur für Betroffene, sondern für alle, denen eine gute Ehe eine Herzensangelegenheit ist.
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Seitenzahl: 177
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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7372-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5758-2 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:CPI books GmbH, Leck
© der deutschen Ausgabe 2017
SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-verlag.de · E-Mail: [email protected]
Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: Lightstock.com
Autorenfoto: Lea Barnowsky
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Für Sonja und Ulrich Schneider, meine Eltern,die mir sehr liebevoll und bemerkenswert vor Augen führen,was es heißt, Tränen und Triumphe zu teilen.
Über den Autor
Tabu Tren|nung – Wie man weiterlebt
Wo beginnt Scheidung? Bei der Liebe!
Manu – Alles eine Frage des Timings?
Der Ruf zum Abenteuer – Ein Zufall?
Rita und Björn – Einmal Scheidung und zurück
Die Begegnung mit dem Mentor – absichtslose Beratung?
Reiner Knieling – Voller Vertrauen gescheitert
Ein Leben zwischen Anspruch und Zuspruch
Sabine Maier – Eine Ehe oder der Versuch, verheiratet zu sein?
Gesellschaftliche Entwicklungen – Was ist richtig und was ist falsch?
Mickey Wiese – Es sind die Kleinigkeiten, die eine Ehe zermürben
Die Rückkehr mit dem Elixier – Unvollkommen und doch geliebt
Anmerkungen
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DANIEL SCHNEIDER, Jahrgang 1979, ist Journalist und Theologe. Er ist als Fernseh- und Radioautor, Sprecher und Moderator tätig - u.-a. beim WDR (Planet Wissen, Kirche in 1LIVE) und bei BibelTV (Bücherzeit). Er ist Autor mehrerer Bücher. Mit seiner Frau Eva-Lisa hat er zwei Töchter und einen Sohn. Sie wohnen in Löhne, Westfalen. Weitere Informationen auf seiner Website: www.danielschneider.org
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Liebe ist die stärkste Macht der Welt und doch ist sie die demütigste, die man sich vorstellen kann.
Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich selbst zu verletzen.Mahatma Gandhi
Ich habe lange überlegt, ob es eine gute Idee ist, mit so einem Kraftausdruck in ein Buch zu starten. Ein gewisser Teil meines Unterbewusstseins hat versucht, es mir auszureden. »So verscherzt du es dir sofort mit den werten Lesern«, tönte es in mir. »Fang lieber mit ›Mist!‹ oder ›So ein Ärger aber auch‹ oder ›Das ist ja schlimm‹ an.« Doch als ich diese fast verzweifelten Bemühungen in mir selbst als letzte Versuche entlarvte, ein Buch über Trennungen mit verbalen Abstrichen zu beginnen, musste ich fast lächeln.
Das Fazit meiner Überlegungen: Es ist keine gute Idee, mit so einem Kraftausdruck in ein Buch zu starten, aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit, als so in dieses Buch zu starten. Ich setze noch zwei zusätzliche Ausrufezeichen hinter mein erstes Wort.
Dieses Buch handelt von dem, was uns Menschen den Schlaf raubt, obwohl es uns in Sicherheit wiegen sollte. Hier geht es um etwas, was unfassbare Verletzungen auslöst, obwohl es eigentlich als Lebenselixier und Balsam für Herz und Seele gedacht ist.
Und gleichzeitig dreht sich dieses Buch um etwas Alltägliches, was ständig und immer wieder bei uns und in unserem Umfeld passiert. Etwas, das zum Leben gehört. Ungefragt und ohne Einladung ist es schon immer dagewesen.
Es geht um Beziehungen, die scheitern, um Ehen, die zerbrechen. Es ist ein Buch über Scheidungen und Trennungen. Ich schreibe es, weil ich an das Lebenskonzept von Liebesbeziehungen, Ehen und Partnerschaften, die auf Lebenszeit angelegt sind, glaube. Und das tun viele andere Menschen auch. Nicht umsonst steigt die Anzahl der Hochzeiten wieder an. Viele Menschen binden sich bewusst aneinander, ohne dass sie der erschreckende Blick in die Scheidungsstatistiken davon abhält:
Und trotzdem kommt es zu Trennungen. Im Jahr 2015 wurden in Deutschland rund 163335 Ehen geschieden, das waren 1,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Nach den derzeitigen Scheidungsverhältnissen werden etwa 35 Prozent aller in einem Jahr geschlossenen Ehen im Laufe der kommenden 25 Jahre geschieden.1
Die durchschnittliche Dauer der im Jahr 2015 geschiedenen Ehen betrug knapp 15 Jahre. Ist das ein guter Wert? Statistisch gesehen?
Warum werden so viele Ehen geschieden?
Aus tausend verschiedenen Gründen. Ich möchte mir nicht anmaßen, über die einzelnen Gründe zu urteilen.
Sehr, sehr wenige Menschen starten in eine auf Dauer angelegte Beziehung, um irgendwann mal einen seelischen Scherbenhaufen zusammenzukehren. Es geht darum, mit dem anderen alt zu werden. Immer noch. Und heutzutage erst recht.
Aber eine Beziehung, die schiefläuft, in der der eine, die andere oder beide Seiten Schmerzen davontragen und sich selbst verlieren, ist doch genauso unnütz.
Es ist kompliziert. Ich komme zu dem Entschluss, dass ich das erst mal sehr tragisch finde. Weil uns zerbrochene Beziehungen nicht guttun. Aber noch viel tragischer als die Beziehungskrisen an sich finde ich die Tatsache, dass wir, und damit meine ich vor allem die sprichwörtlichen »christlichen Kreise«, Probleme in Beziehungen und Ehekrisen immer noch als Tabuthema behandeln.
Das macht mich wütend. Denn ein so existenzielles Gut wie die Liebesbeziehung nur von der einen Medaillenseite zu behandeln, sprich die Ehe und die funktionierende Beziehung als Nonplusultra zu glorifizieren und den Menschen, deren Beziehungsflagge aus welchen Gründen auch immer auf Halbmast hängt, das Gefühl zu geben, im gesellschaftlichen Niemandsland zu dümpeln, sorgt erst recht dafür, dass Beziehungen vor die Wand fahren.
Deshalb setze ich bewusst auf schonungslose Ehrlichkeit und auf die Kraft von wahren Geschichten. Verschiedene Männer und Frauen erzählen Ihnen ihre Geschichte. Subjektiv. Offen. Von den Dingen, die am meisten wehtun. Sie erzählen von ihrer Krise.
Als Paare und als Einzelpersonen. Denn alle Menschen, die eine Beziehung führen, geführt haben, kämpfen, resignieren oder streiten, sind Einzelstücke. Individuelle Persönlichkeiten, die mit Träumen und auf Wolke sieben in die Ehe oder Beziehung gestartet sind. Um sich wahrhaftig mit dem (scheinbaren) Ende von Beziehungen auseinanderzusetzen und Antworten auf die Fragen nach dem »Warum?«, dem »Wie?« und dem »Und jetzt?« zu suchen, ist das Gespräch mit verschiedenen Menschen wichtig. Nur so wird dieses Thema für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich.
Getreu dem Motto »Willst du alle ansprechen, sprichst du niemanden an« nehme ich damit gerne in Kauf, dass dieses Buch unvollkommen und unvollständig bleibt. Es wird Fragen offenlassen und kann an manchen Stellen sehr unbequem und unbefriedigend daherkommen.
Aber weil es keine aussagekräftigen Statistiken über gebrochene Herzen, verletzte Seelen oder zersplittertes Porzellan gibt, kein Bundesamt der Welt emotionale Erhebungen durchführt, die anbahnende (Ehe-)Krisen beleuchten und der eine Trennungs- oder Scheidungsgrund nicht existiert, bin ich überzeugt: Durch persönliche Erfahrungsberichte werde ich diesem Thema viel besser gerecht als durch jede andere Herangehensweise.
Meine Gesprächspartner sind alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen in ihre Ehekrisen gelangt, geschlittert oder gerast und mit völlig verschiedenen Erlebnissen und Ergebnissen wieder aufgetaucht.
Aber eines haben alle Menschen, die in diesem Buch vorkommen, gemeinsam: Sie sind mit ihrer Krisensituation nicht leichtfertig umgegangen und haben den Mut bewiesen, ehrlich und selbstkritisch darüber zu berichten.
Und deshalb lesen Sie von …
… Manu, der ganz genau weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in der Beziehung nicht mehr geliebt wird. Und wie man die Liebe an sich wiederentdeckt.
… Rita und Björn, die über ihr Scheidungsjahr reden. Und über ein legendäres Kaffeetrinken im Rahmen des Scheidungstermins beim Gericht.
… Reiner, der über zwei gescheiterte Ehen berichtet und sich die Frage stellt, ob Ehen nicht nur von Gott gesegnet starten, sondern ob Beziehungen auch gesegnet sterben können.
… Silke, die als Therapeutin anderen Paaren Tipps in Sachen Beziehung gibt und selbst mit gescheiterten Ehen klarkommen muss.
… Mickey, der als Theologe und Therapeut für Beziehungen anderer Menschen kämpft und selbst schon einen Beziehungskampf verloren hat.
Sie werden meine Fragen beantworten. Sie werden sich selbst als Personen mit hineingeben und keine Theorien zitieren. Und sie sind wahre Fachleute, weil sie hautnah erfahren haben, was eine Scheidung bedeutet. Sie wecken Hoffnung, einfach indem sie berichten. Ungeschminkt und lebensnah.
Ich gehe davon aus, dass Gott der Schöpfer unserer Welt und damit auch von uns Menschen ist. Und damit ist Gott für mich auch der Erfinder von Beziehungen. Ein Blick in entwicklungsreiche Jahrmillionen von Mensch und Materie zeigt mir, dass über vieles vortrefflich diskutiert werden kann, aber nicht darüber, dass die allermeisten Lebewesen auf Gemeinschaft/Beziehung angelegt sind.
Geborgenheit, Liebe, Kreativitätsförderung oder einfach ein gutes Gefühl sind nur die Spitze des Eisbergs, warum Beziehungen uns guttun. Im Kern und in der kleinsten Zelle ist die intimste Form davon die Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich lieben und sich bewusst für eine Beziehung aus Liebe entscheiden. Eine Beziehung, die auf Verbindlichkeit aufgebaut ist, damit sie zur vollen Entfaltung kommt.
Die Realität zeigt jedoch, dass die Kraft dieser Liebe scheinbar nicht ausreicht, selbst wenn eine Ehe bewusst unter Gottes Segen gestellt wird.
Ich frage in diesem Buch:
• Ist etwas schiefgelaufen mit der Beziehungsidee Gottes?
• Hat er unser Scheitern einkalkuliert und die einzige wahre Liebe, mit der man alt wird, sowieso nie im Blick gehabt?
• Wie gehen wir Menschen mit dem Thema »Scheidung« am gesündesten um?
• Und: Gibt es nach dem Verliebt – Verlobt – Verheiratet – Geschieden doch noch ein »Wiedergefunden«?
Mit einer Beziehungskrise muss nicht alles vorbei sein. Das Prinzip der Vergebung, der zweiten Chance und zurückkehrenden Liebe ist eine Realität, aber sie funktioniert bei Weitem nicht immer.
Das ist weder die Einladung zum »Egotrip« noch eine Aufforderung, die Scheuklappen anzulegen und »das eigene Ding« durchzuziehen. Es dient einzig der Sensibilisierung für Ihren Beziehungsausgangspunkt. Und das sind Sie. Beziehungen sind eine sehr persönliche Angelegenheit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die intensivste Beziehung führen Sie mit sich selbst. Das liegt in der Natur der Sache. Sie verbringen ziemlich viel Zeit mit sich und das bietet eine große Angriffsfläche für selbstwertschätzende oder selbstverletzende Maßnahmen.
Nur wenn Sie sich selbst annehmen, im besten Fall sogar mögen (keine Sorge, die wenigsten Menschen stehen in der Gefahr, vor Selbstliebe nur so zu strotzen), sind Sie in einer gesunden Position, auch andere so anzunehmen, wie sie sind und sie zu lieben.
Deshalb geht es in diesem Buch auch um Sie selbst und damit um all die Menschen, die Ihnen etwas bedeuten, und um den, der Sie erschaffen hat und Sie sehr liebt: Gott selbst.
Und für die Selbstbetrachtung werden Sie immer mal wieder mit dem »Prinzip der Heldenreise« konfrontiert. Diese Anleitung, zum Beispiel für Fernseh- und Kinodrehbuchautoren gedacht, lässt sich prima auf das eigene Leben übertragen und hält außerdem die eine oder andere Überraschung parat.
Denn das ist das deutlichste Merkmal einer Heldenreise: Sie ist unberechenbar. Genau wie dieses Buch.
Es müssen noch viel mehr Beziehungsgeschichten erzählt werden. Es müssen noch mehr Fragen zu dem Thema gestellt werden, denn Antworten, die nicht tragen, gibt es genug. Nur wenn wir ehrlich miteinander umgehen, uns stehen lassen, nicht mit dem Finger aufeinander zeigen, uns in unserem Scheitern nicht verurteilen, sondern konstruktiv kommunizieren, kommen wir in ein wertschätzenderes, gemeinsames Leben.
Deshalb lade ich Sie jetzt ein, auf Ihre persönliche Heldenreise zu gehen. Sie lernen verschiedene Heldinnen und Helden, Mentorinnen und Mentoren, Gefahren und Schätze kennen. Mittendrin werden Sie wahrscheinlich einiges bestätigen, anderes hoffentlich kritisch hinterfragen, inspiriert werden und auch das eine oder andere Mal
Schei | ße!!! denken oder laut sagen.
Und genau dann hat sich dieses Buch gelohnt.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Nun bin ich also »in Sachen Scheidung« unterwegs – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ich sitze im Zug auf dem Weg zu einem Trennungsgespräch der anderen Art. Ich bin weder beteiligt noch habe ich irgendwelche Absichten, diese Beziehung wieder flottzumachen. Denn das wäre vergebliche Liebesmüh. Es wäre zu spät. Den groben Ausgang der Geschichte kenne ich auch schon, zumindest das Endergebnis. Die Beziehung ist gescheitert. Ich bin auf der Spur von Scheidungen. Ich frage, höre zu, protokolliere und mache mir meine eigenen Gedanken.
Meine Gedanken sind im Übrigen auch schon gut unterwegs. Auf Achterbahnfahrt. Seit Wochen. Seitdem ich mich mit dem Thema auseinandersetze. Journalistisch. Auf der einen Seite. Persönlich. Auf der anderen Seite. Denn die Menschen, mit denen ich mich für dieses Buch unterhalte, die die Inhalte liefern, einfach indem sie ihre Geschichte erzählen, öffnen für mich ihre persönlichen Herzenstüren und lassen mich hineinschauen. Sie kontrollieren zwar, wie weit sie die Tür aufmachen und wie lange sie für mich und damit auch für sie, werte Leser, offen bleibt.
Bei manchen Themen werde ich wahrscheinlich nur wenige Augenblicke lang durch einen winzigen Spalt einen Blick erhaschen, und in anderen Situationen wird die Tür sperrangelweit offen stehen bleiben. Und das ist völlig okay. Ich möchte, dass sie die Kontrolle über ihr Herz behalten. Ich möchte sie ihnen nicht aus der Hand reißen, nur um noch besser sezieren zu können, wie und warum eine Trennung zustande gekommen ist. Es geht mir nicht um eine allgemeine theoretische Wahrheit, sondern um die Empfindungen und Erinnerungen der/des Einzelnen.
Wenn man ein Buch über Trennungen schreibt, fängt man ja nicht bei den Trennungsgeschichten an. Zumindest nicht in der Vorbereitung. Ja, wo fängt man eigentlich an?
Ich entscheide: Bei der Liebe!
Denn ich habe keine Lust, grundsätzlich befangen und problemorientiert in die Gespräche zu starten. Deshalb begebe ich mich an den Anfang einer Beziehung. Nur für mich. Ohne weitere Gesprächspartner. Ich kenne die Liebe aus eigener Erfahrung. Ich bin verheiratet. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich meine Frau das erste Mal sah. Und ich kenne die veränderten Liebesphasen, die eine gemeinsame Beziehung so mit sich bringt, denn unser Leben verändert sich ständig. Allein schon durch die Entwicklungsphasen unserer Kinder.
Ich möchte in diesem Fall aber nicht meine persönlichen Liebeserfahrungen zu sehr in den Vordergrund stellen, sondern den kleinsten gemeinsamen Nenner eines jeden Paares etwas näher erforschen.
In meinen Recherchen erstehe ich antiquarisch deshalb das Buch Wie die Liebe anfängt – Die ersten drei Minuten von Prof. Dr. Michael Lukas Moeller. Es sieht sehr gelesen aus. Ein paar Knicke in den Seiten. Kein Wunder, denn der verstorbene Psychoanalytiker ist eine Koryphäe und gilt als »Der Papst der Paare«.
Und schon mit drei Sätzen des Klappentextes befeuert Moeller meine gedankliche Achterbahnfahrt.
»In Sekunden unbewusster Kommunikation geschieht, was das Bewusstsein manchmal erst viel später erfasst: die Liebe auf den ersten Blick. Das allein ist schon Wunder genug. Denn wenn es zwischen zwei Menschen funkt, haben sich zwei Lebensgeschichten mit allen Grundeinstellungen und geheimen Empfindungen blitzartig für einen möglichen gemeinsamen Weg abgestimmt und völlig neu kombiniert.«2
Klar wusste ich schon, dass die eigene Geschichte in einer Beziehung auf eine andere Geschichte trifft, daraus eine neue Story entsteht und so etwas für ganz schön viel Wirbel sorgen kann. Aber das so komprimiert und auf den Punkt gebracht zu lesen, beeindruckt mich erneut, und die Worte fliegen wie Sterne durch meinen Kopf, drehen Loopings und setzen sich dann fest:
Sekunden
Zwei Menschen
Unbewusste Kommunikation
Liebe
Wunder
»Unbewusstes erkennt Unbewusstes irrtumslos.« heißt es in der Psychoanalyse. Soll heißen: Bereits im ersten Augenblick haben meine Frau und ich bereits abgescannt, was vermeintlich im Verborgenen liegt.
Auch wenn das natürlich nicht bedeutet, dass ich innerhalb der ersten Minuten im Schnelldurchlauf abchecken konnte, ob und wie viel Prozent »Überlebenschance« eine Beziehung mit meiner Frau hat.
Und doch: Diese These, holzschnittartig übertragen, lässt mich annehmen, dass ich neben den auffallend schönen Augen meiner Frau durch mein Unterbewusstsein erkannte, welche Wesensmerkmale mich wenig später in ihren Bann ziehen würden. Genauso wurde mir unterschwellig klar, welche Eigenschaften mich ein gutes Jahrzehnt später in unserer Küche die Augen verdrehen lassen. Steile These, ihr lieben Psychoanalytiker.
Aber trotzdem als Inspirationsmoment für den Hinterkopf abgespeichert.
Genauso wie ein weiteres Zitat von Moeller:
»Es gibt im Grunde keine wirklich zerbrochenen Ehen, die einstige Verliebtheit ist der Garant, es gibt nur nicht gelungene.«3
Klingt ein wenig blumig, ja fast beschönigend, aber trotzdem: Es beruhigt mich.
Vor allem, weil ich kurz vorher in Vorbereitung auf das nun folgende Gespräch in einer der schönsten Studentenstädte Deutschlands eine Nachricht gelesen habe, die mich im November 2014 erreicht hat und seitdem immer und immer wieder beschäftigt. Sie stammt von Manu und mit dem bin ich jetzt zum Gespräch verabredet.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Liebe Freunde,es ist leider an der Zeit, euch wissen zu lassen, dass meine Frau mich verlassen wird, weil sie mich nicht mehr liebt …
So beginnt die Mail von Manu, der mir jetzt, einige Jahre nachdem er die schweren Zeilen verschickt hat, sehr entspannt und ausgeglichen entgegenkommt. Der Hochsommer ist noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt und so suchen wir uns ein schattiges Plätzchen in einer schönen Lokalität mitten in der Stadt. Es ist Mittag, das Thermometer nähert sich zielsicher der 30-Grad-Marke und das Stadtleben kommt nur sehr gemächlich in die Gänge. Uns ist es recht. Wir setzen uns draußen an einen der vielen freien Tische und bestellen erst mal eine Runde Rhabarberschorle.
Manu ist 39 Jahre alt und arbeitet als freiberuflicher Musiker und Grafikdesigner. Wir kennen uns schon lange und ich schätze ihn sehr. Wir sehen uns allerdings sehr selten und deshalb weiß ich bisher tatsächlich nicht mehr über seine Trennung als das, was in der Mail steht. Rein objektiv und für den Zweck des Buches gedacht, ist das bestimmt nicht verkehrt, aber in freundschaftlicher Hinsicht habe ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen.
Ich gebe zu: Ich war mir damals unsicher, ob ich eine Antwort auf seine Mail verfassen sollte. Ich dachte: »Bestimmt ist er genervt und bei so einem großen Freundeskreis bekommt er bestimmt unfassbar viele Antworten.« Das bestätigt mir Manu auch im Laufe des Gesprächs, aber trotzdem denke ich jetzt im Nachhinein, dass eine aufmunternde Nachricht, und wenn es nur aus einem »Ich denke an dich!« bestanden hätte, doch angebracht gewesen wäre.
»Mir ist eben übrigens eingefallen, dass meine Exfrau und ich heute unseren neunten Hochzeitstag gefeiert hätten«, sagt Manu und wir müssen beide schmunzeln. »Und?«, frage ich nach. »Denkst du gerne an eure Hochzeit zurück?« Seine Exfrau befindet sich mit ihrer gemeinsamen Tochter gerade im Urlaub.
Manu nickt. »Unsere Hochzeit war wunderschön, genauso wie es auch in unserer Ehe wunderschöne Momente gab. Aber eben auch unschöne Zeiten.«
Ich habe mich schon lange gefragt, in welcher Gefühlslage er diese Mail an seine vielen Freunde geschrieben hat. Und wie er die Wochen vorher überstanden hat. Denn schon knapp drei Monate vorher, an einem Septemberabend, hatte seine Frau ihm eröffnet, dass sie sich von ihm trennen wird. Die Entscheidung stand für sie zu dem Zeitpunkt, als sie es Manu eröffnete, bombenfest.
»In dem Moment war ich fassungslos«, erinnert sich Manu. »Ich bin zusammengebrochen und konnte nur noch weinen. Einerseits kam es völlig überraschend. Ich hätte niemals damit gerechnet. Andererseits habe ich natürlich gewusst, dass es in unserer Ehe nicht gut läuft. Auch darüber haben wir im Vorfeld schon oft gesprochen, wir haben auch einige Male die Eheberatung in Anspruch genommen. Mir war also definitiv bewusst, dass unsere Beziehung nicht gut lief. Was mich so aus der Fassung gebracht hat, war das Timing dieser Nachricht. Denn ich wollte gerade noch mal so richtig Gas geben in der Beziehung. Dinge ändern, mich mehr investieren. Für die Familie und für die Beziehung.«
Vorausgegangen war ein gemeinsamer Sommerurlaub, den die beiden mit ganz unterschiedlichen Erwartungen verlebten. Ohne einander davon zu erzählen. Manus Frau war mit ihrer gemeinsamen Tochter schon vorgefahren, da Manu noch eine Tour zu spielen hatte. Auf dieser Tour, in der Manu viel Zeit zum Nachdenken hatte, kam ihm ganz neu und wie eine Erleuchtung die Wichtigkeit und Relevanz seiner Beziehung und seiner Familie in den Sinn. Es durchflutete ihn wie ein warmes Gefühl und er nahm sich fest vor: Ich muss meine Prioritäten neu sortieren, den Fokus mehr auf die Familie legen. Nach dem Urlaub lege ich damit los!
Und seine damalige Frau hatte sich auch eine Beziehungsdeadline gesetzt. Die lag allerdings und schicksalshafterweise knapp davor. Denn hinterher stellte sich heraus, dass eben der gemeinsame Urlaub für sie die letzte Chance war, und somit haben sich die beiden knapp verpasst.
»Da habe ich erst gedacht: Was für ein perfides Timing«, sagt Manu. Und ich nicke zustimmend. Zwei Tage nach dem Urlaub, Manus Frau hatte noch einmal ein Beratungsgespräch geführt, zu dem ihr Manu auch geraten hatte, gipfelte es in dem eben schon erwähnten Schicksalsgespräch.
Manu war sich der Ursachen durchaus bewusst, die diesem Gespräch und der darin verkündeten Entscheidung seiner Frau den Weg ebneten. »Nach und nach gingen mir diese Schlüsse auf«, erinnert er sich. Es folgen einige Punkte, die aus Manus Erinnerung heraus dafür verantwortlich sind, dass das Interesse aneinander verloren ging und die Beziehung in eine Krise schlitterte. Drei davon sind für die Öffentlichkeit bestimmt. Andere erwähne ich bewusst nicht, weil sie zu privat sind.
»Ich habe so eine Art Rechtfertigungsgen. Das ist meine Art, Entschuldigung zu sagen, aber das kommt nie besonders gut, gerade wenn es um Konflikte geht, die gerade heiß ausdiskutiert werden. Das hat meine Exfrau immer sehr mitgenommen und sie konnte damit nicht gut umgehen, was ich sehr gut verstehen kann.«
Oder: