Tag der Rache - Michelle Raven - E-Book

Tag der Rache E-Book

Michelle Raven

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Beschreibung

Nach der Flucht der gefangenen Wandler aus seinem Labor sinnt der Geschäftsmann Lee auf Rache. Die Gelegenheit bietet sich ihm, als er die Flüchtigen in einer Auswilderungsstation in Namibia aufspürt. Vor anderthalb Jahren hatte der Wandler Harken die Station verlassen, um die Leiterin Mia zu schützen. Nun ist die Löwenwandlerin dennoch ins Blickfeld seines Feindes geraten. Harken bleibt keine Wahl, als zurückzukehren und die Frau zu retten, die er liebt ...

Achtung, neue Ausgabe der beliebten Ghostwalker-Serie!

Die Ghostwalker-Reihe:
1. Die Spur der Katze
2. Pfad der Träume
3. Auf lautlosen Schwingen
4. Fluch der Wahrheit
5. Ruf der Erinnerung
6. Tag der Rache

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Das Buch

Nach der Flucht der gefangenen Wandler aus seinem Labor sinnt der Geschäftsmann Lee auf Rache. Die Gelegenheit bietet sich ihm, als er die Flüchtigen in einer Auswilderungsstation in Namibia aufspürt. Vor anderthalb Jahren hatte der Wandler Harken die Station verlassen, um die Leiterin Mia zu schützen. Nun ist die Löwenwandlerin dennoch ins Blickfeld seines Feindes geraten. Harken bleibt keine Wahl, als zurückzukehren und die Frau zu retten, die er liebt …

Die Autorin

Schon als Kind war Michelle Raven ein Bücherwurm, deshalb schien der Beruf als Bibliotheksleiterin genau das Richtige für sie zu sein. Als sie alle Bücher gelesen hatte, begann sie, selbst für Nachschub zu sorgen. Und wurde zu einer der erfolgreichsten deutschen Autorinnen im Bereich Romantic Fantasy und Romantic Thrill. Bislang hat sie 42 Romane veröffentlicht, von denen einer auf der SPIEGEL-Bestsellerliste landete. 2008 erhielt sie die DeLiA für den besten deutschsprachigen Liebesroman. Wenn sie nicht vor dem Laptop sitzt, erkundet sie gern den Westen der USA und holt sich dort Inspiration für ihre Romane.

Weitere Informationen

https://www.michelleraven.de

Michelle Raven

Ghostwalker

Tag der Rache

 

Roman

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne Zustimmung der Autorin kopiert, nachgedruckt oder anderweitig verwendet werden.

Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Begebenheiten und Ereignisse werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, realen Handlungen und Schauplätzen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2020 Michaela Rabe

Originalausgabe Copyright ©2012 EGMONT Verlagsgesellschaften mbH

Covergestaltung: Wolkenart – Marie-Katharina Wölk, https://www.wolkenart.com

Bildmaterial: ©Shutterstock.com

Textredaktion der Originalausgabe: Katharina Kramp

ISBN 9783754678572

Michelle Raven c/o autorenglück.de Franz-Mehring-Str. 15 01237 Dresden

Email: [email protected]

Weitere Informationen: https://www.michelleraven.de

Stand: August 2022

Inhaltsverzeichnis

1

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4

5

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Epilog

Liebe Leser …

Band 1 der Ghostwalker verpasst?

Die Romane von Michelle Raven

1

Namibia

Ein leises Rascheln riss ihn aus dem Schlaf. Leon hob den Kopf und sah sich aufmerksam um. Es dauerte einen Moment bis er sich daran erinnerte, dass er etliche Kilometer von seinem angestammten Gebiet entfernt war. Sein Blick glitt über die von der Abendsonne rötlich gefärbte Landschaft. Zufrieden ließ er den Kopf auf seine Pfoten sinken und genoss den Anblick der sich im Wind biegenden Gräser unter dem in allen Rottönen leuchtenden Himmel. Er liebte seine Heimat und konnte sich nicht vorstellen, Namibia jemals zu verlassen. Auch wenn das versteckte Leben eines Wandlers nicht einfach war, besonders mit seinen speziellen Fähigkeiten, ließ er sich seine Freude an der Natur nicht nehmen.

Er hatte das Gefühl, dass seine Gaben ihn dazu verpflichteten, sie für andere Wandler einzusetzen und zu versuchen, die verschiedenen Wandlergruppen und –arten zu vereinen. Meistens übernahm er diese selbstgewählte Aufgabe gern, doch ab und zu brauchte er eine Auszeit. Er liebte es, dann tun zu können, wozu er Lust hatte. Zumindest offiziell, denn auch diese Zeit nutzte er stets, um Kontakt zu anderen Wandlergruppen aufzunehmen. Meist beobachtete er sie erst einige Tage, bevor er entschied, wie sie darauf reagieren würden, ihn zu sehen. Für die meisten Wandler war er nur ein Mythos, niemand der wirklich existierte. Entsprechend ungläubig bis feindselig fielen die Reaktionen aus, wenn er sich zu erkennen gab.

Leon drehte sich auf den Rücken und ließ den warmen Wind über seinen Bauch streichen. Eigentlich war er mit seinem Leben zufrieden, doch in letzter Zeit fühlte er sich zunehmend einsam. Alle anderen in seiner Gruppe waren reine Löwenwandler – auch seine Eltern – und das machte ihn zu einem Außenseiter. Wer wollte schon gerne mit jemandem zusammen sein, der sich jederzeit in Luft auflösen konnte? Und der so oft unterwegs war, dass er manchmal wochenlang nicht zu seiner Gruppe zurückkehrte. Also hielt er sich meist von den anderen fern und versuchte, seinen Platz im Leben zu finden. Ob er wirklich nur ein Zufallsprodukt war, eine Abnormität? Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Bisher hatte er jedenfalls noch niemanden gefunden, der so war wie er. Auch das war ein Grund, immer neue Wandlergruppen aufzuspüren: zu erfahren, ob es noch andere wie ihn gab.

Als wäre es nicht schon schwierig genug, in der heutigen Zeit ein normaler Wandler zu sein. Immer öfter kamen Touristen, Geologen auf der Suche nach Rohstoffvorkommen oder Landentwickler in abgelegene Gebiete und bedrohten das geheime Leben seiner Art. Mehr als einmal hatte es schon Zusammenstöße gegeben, die in seltenen Fällen auch tödlich endeten – meist für die Wandler, weil sie davor zurückschreckten, Menschen zu töten. Schließlich war zumindest ein Teil von ihnen auch Mensch.

Mit einem tiefen Seufzer drehte sich Leon auf den Bauch und erhob sich. Er schüttelte den Sand aus seiner Mähne und gähnte herzhaft. Auch wenn er nie vergaß, dass er auch ein Mensch war, fühlte er sich in Löwenform freier und zufriedener. Die Probleme schienen dann weiter entfernt. Das war zwar nur eine Illusion, aber er war nicht bereit, seine Auszeit durch die Realität stören zu lassen.

Wieder raschelte es in den Gräsern und Leon hob witternd die Nase. Doch es war keine Antilope oder ein anderes Beutetier, sondern ein Mensch. Stocksteif blieb er stehen, während sein Instinkt ihn zu Flucht oder Angriff drängte. Vielleicht war es einer von diesen Naturfilmern, die ständig irgendwo auftauchten, um Wildtiere auf Film oder Foto zu bannen. Meist spielten die Wandler dann einfach mit, bis sie wieder verschwanden. Doch diesmal hatte Leon keine Lust. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben, war das zu viel verlangt? Während er direkt dorthin blickte, wo er den Mann witterte, stieß er ein lautes Brüllen aus, das jeden vernünftigen Menschen in die Flucht schlagen sollte.

»Worauf wartet ihr noch? Los, bevor er abhaut!«

Leon erstarrte, als er die Stimme irgendwo hinter sich hörte. Anscheinend hatten sich mehrere Menschen unbemerkt an ihn herangeschlichen. Die Überraschung kostete ihn wertvolle Sekunden, bevor er sich herumwarf und losrannte. Er wollte es nicht auf eine Konfrontation ankommen lassen, wenn er nicht wusste, wie viele Gegner es waren und was sie überhaupt von ihm wollten. Es hatte sich jedenfalls nicht so angehört, als handelte es sich um harmlose Touristen, die sich mit einem Foto zufrieden geben würden.

Wenn er es schaffte, zwischen den Büschen in einiger Entfernung zu verschwinden, konnte er sich verwandeln und ihnen damit entgehen. Sein Atem klang laut in seinen Ohren, als er tief geduckt durch das hohe Gras lief. Sein Herz hämmerte im Takt seiner Schritte, Adrenalin breitete sich in seinem Körper aus. Wäre er in seinem Gebiet gewesen, hätte er Dutzende verschiedene Wege gekannt, um ungesehen zu verschwinden. Doch hier war er zum ersten Mal, sodass er sich nur auf seinen Instinkt verlassen konnte.

Um sich herum hörte er die lauten Stimmen seiner Verfolger.

»Fangt ihn, schnell!«

»Da hinten ist er!«

»Haltet ihn auf!«

Ein Mann stellte sich ihm in den Weg, die Augen weit aufgerissen, seine Angst deutlich zu riechen. Mit einem wütenden Knurren wich Leon im letzten Moment aus. Dadurch verlor er für einen Augenblick sein Gleichgewicht, bevor er sich wieder fing und Tempo aufnahm. Gerade als er dachte, er hätte seine Verfolger abgehängt, traf ihn etwas an der Seite und seine Muskeln reagierten plötzlich nicht mehr. Seine Schritte wurden langsamer, schwankender, bis er schließlich umfiel. Der Sand war noch warm von der Sonne, als seine Wange darauf landete. Vergebens versuchte Leon, sich wieder aufzurichten oder sich wenigstens zu verwandeln, doch dazu fehlte ihm die Kraft. So konnte er nur hilflos zusehen, wie sich ein Mann über ihn beugte und zufrieden lächelte.

»Gut gemacht, Leute. Bringt ihn zum Wagen, bevor die Betäubung nachlässt.«

Ein tiefes Grollen stieg in Leons Kehle auf, doch es drang nie an die Oberfläche. Obwohl er dagegen ankämpfte, fielen seine Augen zu. Ein letztes Mal begehrte sein Geist auf, dann versank er in der Dunkelheit.

Die Schmerzen brachten ihn schlagartig wieder zu Bewusstsein. Mühsam schlug Leon die Augen auf und sah sich um. Zuerst verstand er nicht, was er sah, bis er realisierte, dass er kopfüber an einem Gestell hing, das von vier Männern getragen wurde. Seine Beine waren in Höhe der Pfoten mit rauen Seilen an langen Holzstangen befestigt, sein Rücken kam immer wieder mit Dornen und Steinen in Berührung, der Schwanz schleifte auf dem Boden. Das erklärte zumindest die Schmerzen. Seine Pfoten waren bereits taub, weil die Blutzirkulation durch die engen Schnüre und sein Eigengewicht abgeschnitten war. Selbst wenn ihn jemand in diesem Moment losgeschnitten hätte, wäre er vermutlich nicht in der Lage gewesen wegzulaufen. In seine Wut mischte sich Furcht.

Was wollten diese Menschen von ihm? Waren es Jäger, die sich damit brüsten wollten, einen Löwen gefangen zu haben? Würden sie ihn in einem Gebiet aussetzen, in dem es keine Deckung gab und wo sie ihn ohne Probleme abschießen konnten, wie er es von einigen Jägern gehört hatte? Ein tiefes Grollen drang aus seiner Kehle. Einer der Träger blickte sich zu ihm um und riss die Augen auf, als er sah, dass Leon wach war.

»Achtung!« Er sprach Oshivambo, die Sprache der Ovambo, einer einheimischen Bevölkerungsgruppe im Norden Namibias.

Die Männer hielten an und einer stieß einen lauten Pfiff aus. Schnell versammelte sich eine Gruppe Menschen um ihn, einige von ihnen Weiße, und Leon bemühte sich, seine Unruhe nicht zu zeigen. Stattdessen öffnete er sein Maul und ließ sie seine Reißzähne sehen. In jeder anderen Situation hätte er es lustig gefunden, wie schnell die Männer vor ihm zurückwichen. Befriedigt stieß er ein weiteres Grollen aus.

Ein älterer Mann in einem völlig deplatziert wirkenden Anzug trat dicht an ihn heran. Im Gegensatz zu den anderen schien er keine Angst vor seinem Gefangenen zu haben. Im Gegenteil, er lächelte ihn zufrieden an.

»Sehr gut, du bist wach, ich hatte schon befürchtet, die Betäubung wäre zu stark gewesen.«

Verwundert starrte Leon ihn an. Warum redete der Kerl mit ihm, als könnte er ihn verstehen? Er war ein Löwe! Kein Mensch wusste, dass er ein Wandler war, und selbst wenn, wie sollten sie ihn von einem normalen Löwen unterscheiden können? Leon bemühte sich, dem Mann keinerlei Reaktion auf seine Worte zu zeigen.

Der lachte nur. »Ich sehe schon, es wird ein wenig dauern, dich dazu zu bringen, mir das zu geben, was ich will. Aber es wird mir gelingen, das ist sicher. Es wäre einfacher für dich, wenn du mitspielst.« Er gab den Trägern ein Zeichen, weiterzugehen, bevor er sich noch einmal an Leon wandte. »Du hast noch ein wenig Zeit, bis wir am Zielort sind. Überleg es dir.«

Er konnte sich nicht erklären, was der Mann von ihm wollte. Oder woher er überhaupt wissen konnte, dass er kein normaler Löwe war. Seit Tagen hatte er sich in keiner Stadt mehr aufgehalten. Sein Atem stockte, als ihm die Familie einfiel, der er morgens begegnet war. Das kleine Mädchen war von einem Baum gefallen und hatte eine stark blutende Wunde am Bein davon getragen. Er hatte sie dort weinend gefunden und sich ihr langsam in Löwenform genähert. Anstatt sich vor ihm zu fürchten, hatte sie ihn nur mit großen Augen angesehen, während er über die Wunde leckte, um den Selbstheilungsprozess zu beschleunigen. Dann war er von den Eltern des Mädchens entdeckt worden und sie hatten ihn verjagt.

Vermutlich hatten diejenigen, die ihn gefangen genommen hatten, die Familie getroffen und von seinem seltsamen Verhalten gehört. Es war gefährlich, sich mit Menschen einzulassen, doch wie hätte er zusehen können, wie das Kind litt, wenn er in der Lage war, die Schmerzen zu lindern? Die Wunde war einige Stunden später sicher verheilt gewesen.

Aber letztlich spielte es keine Rolle. Wichtig war nur, dass er diesem Fremden möglichst schnell wieder entkam. Nur wie? Vor den Augen der Männer wollte er sich nicht verwandeln, auch wenn ihm das kurzfristig helfen würde. Er konnte nicht zulassen, dass die Menschen Zeugen seiner Fähigkeiten wurden, das würde nur zu noch ernsteren Problemen führen. Auch wenn er am liebsten sofort geflohen wäre, musste er damit warten, bis er unbeobachtet war. Sonst würde er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie und alle anderen Wandler in Gefahr bringen. Das konnte er nicht riskieren, auch wenn es ihn noch so sehr nach Freiheit verlangte. Leon biss die Zähne zusammen, als sich die Träger wieder in Bewegung setzten und sich die Seile mit jedem Schritt tiefer in seine Haut gruben. Beinahe wünschte er sich, immer noch bewusstlos zu sein.

Leon verlor jedes Zeitgefühl, während er durch die Dunkelheit getragen wurde. Seine Katzenaugen erlaubten es ihm, alles genau zu sehen, doch seine Träger stolperten immer wieder und ließen ihn einmal sogar fallen. Von dem Sturz und der Anspannung tat ihm jeder Muskel im Körper weh. Nach scheinbar unendlich langer Zeit – es konnten Minuten oder Stunden gewesen sein – stoppten sie schließlich und setzten ihn auf dem Boden ab. Diesmal etwas sanfter, aber einen rauen Laut konnte er dennoch nicht verhindern.

»Schlagt das Lager auf, wir werden hier übernachten!« Die befehlsgewohnte Stimme des Anführers hallte durch die nächtliche Landschaft.

Leon beobachtete wie ehemals weiße, jetzt mit rotem Sand bedeckte Schuhe näher kamen. Der Mann hockte sich neben ihn und begutachtete seine Verletzungen. »Nehmt ihn von dem Gestell ab. Ich will nicht, dass er irreparabel beschädigt wird – zumindest noch nicht.«

Wie nett. Aber Leon beschwerte sich nicht, denn mehr als alles andere wollte er endlich wieder seine Beine bewegen können. So rührte er sich nicht, als einer der Ovambo die Seile löste und das Blut wieder in seine Pfoten gelangte. Sein Atem stockte, als ein scharfes Stechen und Prickeln einsetzte.

»Leider ist das nötig, weil ich weiß, dass du die erstbeste Gelegenheit zur Flucht nutzen würdest.« Er wandte sich zu dem Ovambo um. »Fessel alle vier Beine zusammen, aber ohne den Blutfluss abzuschneiden. Keine Betäubung. Es reicht, wenn er nicht laufen kann.«

Leon unterdrückte einen Schmerzensschrei, als seine Beine vor dem Körper zusammengebunden wurden. Auf der Seite liegend hatte er so keine Möglichkeit, aufzustehen. Vor allem fehlte ihm nach der Betäubung und der Tortur des langen Weges noch die Kraft, etwas gegen seinen Peiniger zu unternehmen. Schwer atmend sah er zu, wie der Anführer den Männern Befehle erteilte und sich dann am Lagerfeuer niederließ, während Zelte aufgebaut und Essen gekocht wurde. Leon kannte sich damit nicht aus, aber eine solche Expedition musste viel Geld kosten, zumal in dieser Gegend die Jagd auf Wildtiere verboten war und der Auftraggeber sich gleichzeitig auch das Schweigen der Männer erkaufen musste. Anscheinend hatte sein Gegner also viel Geld. Aber das erklärte noch nicht, wie er ihn hatte finden können und woher er wusste, dass er ihn verstehen konnte. Oder hatte er bereits andere Wandler eingefangen und dazu gebracht, sich zu verwandeln? Sein Magen zog sich zusammen als er darüber nachdachte, was das für seine Spezies bedeuten würde.

Der Geruch des Essens stieg in seine Nase und ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. Er hatte seit dem Morgen nichts gegessen und das rächte sich jetzt. Aber er hatte ja nicht ahnen können, dass er seinen Abend in Gefangenschaft verbringen würde. Seine Hoffnung, dass er in einem unbeobachteten Moment entkommen konnte, verflog. Ständig saß einer der Männer bei ihm und ließ ihn nicht aus den Augen. Bei dem ersten machte er sich einen Spaß daraus, ihm Angst einzujagen, aber selbst dazu hatte er irgendwann keine Lust mehr. Auch wenn seine Pfoten jetzt wieder durchblutet waren, wusste er, dass es ihm schwer fallen würde zu laufen. Durch die unnatürliche Haltung waren seine Muskeln steif geworden und damit war eine schnelle Flucht ausgeschlossen.

Doch würde seine Kraft ausreichen, um seine Gabe zu nutzen und sich lange genug unsichtbar zu machen? Es kostete jedes Mal einen immensen Aufwand an Energie, seine Moleküle auseinander zu sprengen und später wieder zusammenzusetzen. Also musste er seine Kraft sparen, bis sich eine Möglichkeit zur Flucht ergab. Leon legte den Kopf zurück ins Gras und schloss die Augen bis auf einen schmalen Spalt, durch den er die Menschen beobachten konnte.

Nach dem Essen gönnte sich der Anführer noch eine stinkende Zigarre, bevor er aufstand und sich vor Leon aufbaute. Seine Lakaien schickte er weg, sie waren allein. »So, dann wollen wir mal sehen, ob wir den Richtigen erwischt haben. Meine Kontakte sagen mir, dass du derjenige bist, den sie den Heilsbringer nennen, stimmt das?«

Leon rührte sich nicht, obwohl sein Herz schneller pochte. ›Heilsbringer‹ war er von den Einwohnern einer kleinen Siedlung genannt worden, nachdem er vor einigen Monaten deren Schamanen geholfen hatte, der sich bei einer Zeremonie in der Steppe schwer verbrannt hatte. Vielleicht hätte Leon das nicht tun sollen, aber der Mann wäre ohne Behandlung sicher gestorben. Deshalb hatte Leon sich ihm vorsichtig in Löwenform genähert und über die Brandwunden geleckt, um die Selbstheilungsprozesse zu beschleunigen. Er war einige Tage bei dem fiebernden Mann geblieben und erst gegangen, nachdem er sicher war, dass er durchkommen würde.

Der Schamane, der trotz seines Zustands die Behandlung mitbekommen hatte, bestand später darauf, dass Leon ein Heilsbringer war und göttliche Kräfte haben musste. Wahrscheinlich glaubte er an die alten Legenden, die von Tiermenschen mit heilenden Fähigkeiten berichteten. Hatte der Schamane diesem Verbrecher womöglich davon erzählt und der hatte seine Schlüsse daraus gezogen? Denn so, wie er mit Leon sprach, schien sein Entführer zumindest zu ahnen, dass er weit mehr war als ein normaler Löwe.

Durch die Augenschlitze sah er, wie der Mann sich bückte und einen langen Stock aufhob. Seine Muskeln zogen sich in Erwartung dessen, was jetzt kommen würde, zusammen. Beinahe spielerisch stupste ihm der Anführer in die Seite.

»Sicher, dass du nicht mit mir reden willst? Es wäre für dich bedeutend angenehmer, glaub mir.«

Wieder reagierte Leon nicht auf die Worte seines Gegners und erntete dafür einen Schlag auf die Rippen. Sein Kopf ruckte hoch und er stieß ein warnendes Brüllen aus.

Der Mensch zeigte sich davon unbeeindruckt. »Du kannst mir glauben, dass ich die Sache lieber auf zivilisierte Weise regeln möchte. Aber ich werde alles tun, was nötig ist, um mein Ziel zu erreichen.« Etwas wie Verzweiflung blitzte für einen Sekundenbruchteil in seinem Gesicht auf, machte aber sofort wieder der überheblichen Miene Platz. »Es ist zu wichtig.«

Was auch immer der Kerl erreichen wollte, Leon hatte nicht vor, dabei mitzuspielen. Erst recht nicht, wenn er dafür seiner Freiheit beraubt wurde. Einige der Ovambos blickten aus einiger Entfernung unbehaglich zu ihnen hinüber. Sie waren zu weit weg, um zu hören, was der Verbrecher sagte und hatten anscheinend nicht vor, helfend einzugreifen. Vermutlich hielten sie ihn für verrückt, mit einem Tier zu reden.

Der Weiße krempelte sich die Ärmel hoch. Sein Blick löste sich dabei keine Sekunde von Leons. »Letzte Gelegenheit. Ich bekomme sowieso, was ich will, aber es muss nicht wehtun.« Als er sich nicht rührte, seufzte der Mann tief auf. Er winkte einen seiner weißen Kumpane herbei. »Leg einen Eisenstock zwischen die Kohlen.« Mit einem Grinsen entfernte sich der Mann wieder.

Leon versuchte gegen die Trockenheit in seinem Mund anzuschlucken. Es hörte sich nicht so an, als würde der Mensch in absehbarer Zeit von ihm ablassen. Aber bei so vielen Zeugen konnte er sich nicht verwandeln und verschwinden, deshalb musste er wohl oder übel ertragen, was ihm angetan wurde, ohne etwas dagegen ausrichten zu können.

Sein Gegner stieß ihm den Stock in den Bauch. Leon krümmte sich zusammen, doch der Schmerz ließ nur langsam nach. Hechelnd presste er seine Wange in den Sand und bemühte sich, wieder Luft zu bekommen. Seine Beine zuckten hilflos in dem Versuch, den Fesseln zu entkommen.

»Also noch mal von vorne: Ich möchte wissen, ob du derjenige bist, den sie den Heilsbringer nennen. Du brauchst dich nur zu verwandeln und mir zu antworten und schon höre ich auf. Wenn du dich gut benimmst, lasse ich dich sogar wieder frei, wenn die Sache erledigt ist.«

Ja, sicher. Leon konnte gerade noch ein Schnauben unterdrücken, das ihn verraten hätte. Stattdessen schloss er die Augen und ignorierte seinen Peiniger. Allerdings gelang ihm das nicht lange, denn nach einigen weiteren Schlägen auf seine Beine und Pfoten kam der Lakai mit einem an der Spitze glühenden Metallstab zurück. Nachdem er dicke Handschuhe übergezogen hatte, stellte der Anführer sich mit der Stange vor ihn, die glühende Spitze gefährlich nah an Leons Fell. Instinktiv versuchte er, sich rückwärts zu bewegen, aber es gelang ihm nicht. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, während sein Blick auf dem Stab lag. Automatisch zog er die Beine an, um seine empfindlichsten Stellen zu schützen.

Der Mensch lachte über seine Bemühungen. »Es ist völlig zwecklos, ich bekomme sowieso, was ich will. Aber wir können uns die wirklich schmerzhaften Gebiete auch noch ein wenig aufsparen.« Die Hand mit dem Stock senkte sich.

Ein Schauder lief durch Leons Körper, er presste die Zähne so fest zusammen, dass sie knirschten. Das heiße Eisen glitt über seine Seite und der Schmerz wurde unerträglich. Leon stieß ein Brüllen aus, das Wut und Schmerz in sich vereinte. Erschreckt wichen die Ovambos noch weiter zurück, doch das nahm Leon nur durch einen Schleier wahr. Der Geruch von verbrannten Haaren und Fleisch lag in der Luft. Nur langsam wurde er sich bewusst, dass sein Gegner den Stock angehoben hatte, und auf etwas zu warten schien.

Mühsam hob Leon seinen Kopf und grollte den Mann warnend an. Unwillkürlich trat der einen Schritt zurück, bevor er sich wieder fing. Wut ersetzte den Ekel, der noch kurz davor deutlich zu sehen gewesen war. Noch einmal senkte er die Spitze des Stocks und diesmal hörte er nicht auf, bis Leon halb bewusstlos vor Schmerzen am Boden lag. Seine Seite brannte wie Feuer, doch er brachte nicht einmal die Kraft auf, den Schaden zu begutachten. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, gleichmäßig zu atmen und den Kampf gegen die Bewusstlosigkeit zu gewinnen. Er wollte diesem Sadisten nicht die Genugtuung geben, ihn besiegt zu haben. Vor allem aber durfte er die Kontrolle über seine Gestalt nicht aufgeben.

Einer der weißen Kumpane trat neben den Anführer und spuckte verächtlich in Leons Richtung. »Warum knallen wir ihn nicht einfach ab?«

Der ältere Mann drehte sich zu ihm um und versetzte ihm ohne Vorwarnung einen Fausthieb gegen das Kinn. »Ich entscheide, was mit ihm geschieht, schließlich zahle ich diese ganze Expedition. Wenn ich mitbekomme, dass du auch nur einen Finger gegen den Löwen hebst, wirst du es bereuen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Ohne ein Wort zu verlieren, drehte sich der Verlierer um und verschwand aus Leons Blickfeld.

»Du da.« Der Anführer winkte einen der Ovambo heran. »Gib dem Löwen Wasser und Futter. Aber nicht zu viel, ich möchte nicht, dass er auf dumme Ideen kommt.« Mit einem Nicken nahm dieser den Befehl zur Kenntnis. Der Verbrecher drehte sich um und nahm anscheinend erst jetzt den Menschenauflauf hinter sich wahr. »Okay, die Show ist vorbei, alle zurück an eure Plätze!«

Während sich alle im Lager verstreuten, beugte sich sein Peiniger zu Leon hinunter. »Überleg dir gut, ob du nicht doch lieber mit mir zusammenarbeiten willst. Ich habe nicht viel Zeit und bin bereit, so weit zu gehen, wie es sein muss, um das zu bekommen, was ich benötige.«

Leon hätte gerne gewusst, was genau das war, aber er würde sich sicher nicht verwandeln, um diese Frage zu stellen. Daher schloss er einfach nur die Augen und hoffte, dass der Verbrecher das als seine Antwort nahm. Anscheinend funktionierte es, denn als er das nächste Mal seine Lider hob, war der Mensch verschwunden. Dafür stand der Ovambo mit einer Schale Wasser in den Händen vor ihm. Seinem unsicheren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er zu befürchten, dass Leon sich auf ihn stürzen würde, wenn er ihm zu nahe kam. Doch dazu war er im Moment einfach zu schwach, und außerdem hätte er sich nie schnell genug befreien können, ohne die anderen auf sich aufmerksam zu machen.

Daher blieb er still liegen und verfolgte nur mit den Augen, wie der Mann sich schließlich traute, die Schüssel in der Nähe seines Kopfes abzusetzen. Den Blick weiterhin auf Leon gerichtet, zog er sich wieder zurück. Mühsam rutschte Leon ein Stück vor und hob den Kopf. Als seine Zunge das erste Mal in das Wasser tauchte, stöhnte er genüsslich auf. Er war fast verdurstet! Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, sank er matt zurück. Wenn es schon so viel Kraft kostete, einfach nur zu trinken, wie sollte er dann fliehen können? Er würde sich irgendwo verstecken müssen, bis die Wunden verheilt waren.

Seine Muskeln zuckten und der Schmerz an seiner Seite erinnerte ihn wieder daran, dass er nun gezeichnet war und es für mögliche Verfolger noch leichter sein würde, ihn zu erkennen. Ein dumpfes Grollen stieg in seiner Kehle auf. Welches Recht hatten diese Kerle, Tiere einfach einzufangen und zu quälen?

Nach seiner Sprechweise zu urteilen, kam der Anführer nicht aus dieser Gegend, vielleicht sogar nicht einmal aus Afrika. Er tauchte hier auf, wedelte mit seinem Geld und glaubte, dass er alles bekommen würde, was er wollte. Doch so leicht würde er es ihm nicht machen.

Der Ovambo kehrte mit einigen Brocken Fleisch zurück, die er Leon von weitem zuwarf, als er seinen mörderischen Blick sah. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, verschlang Leon die wenigen Bissen.

»Es tut mir leid.«

Die Worte waren beinahe ein Flüstern, aber für Leon gut zu verstehen. Er hob den Kopf und sah den Ovambo genauer an. Er roch nach Angst, doch sein Gesichtsausdruck zeugte von Stärke. Leon neigte leicht den Kopf, bevor er ihn wieder in den Sand sinken ließ und die Augen schloss.

Die nächsten Stunden döste er, während er mit einem Ohr auf die Bewegungen im Lager lauschte. Endlich war alles ruhig, die meisten Menschen waren in ihre Zelte gekrochen und schliefen. Ein paar bewachten das Lager und einer hatte den undankbaren Dienst, auf Leon aufzupassen. Schon nach wenigen Minuten fielen dem Mann die Augen zu. Jetzt! Ohne einen Laut von sich zu geben, begann Leon die Verwandlung. Durch seine Schwäche dauerte es länger als gewöhnlich, aber schließlich bestand er nur noch aus Molekülen. So konnte niemand seinen Pfotenabdrücken folgen.

Langsam bewegte er sich vorwärts und schwebte durch das Lager in die Wildnis hinaus. Erst als er in ein felsiges Gebiet kam, wo er sicher war, dass niemand seine Spuren verfolgen konnte, verwandelte er sich wieder in einen Löwen.

Die Verwandlung dauerte lange und schließlich blieb er schwer atmend auf den Felsen liegen. Er brauchte dringend Nahrung, aber in diesem Zustand würde er nicht jagen können. Also wartete er nur solange, bis er wieder ein wenig Kraft gesammelt hatte und stemmte sich dann hoch. Ein reißender Schmerz fuhr durch seine Seite, aber er ignorierte ihn. Mit unsicheren Schritten lief er los, mehr als einmal gaben seine Beine nach und er hatte Mühe einen Sturz zu verhindern. Nach einigen hundert Metern schaffte er es, einen Trott zu finden, der ihn wesentlich schneller vorwärts brachte, als er sich in unsichtbarem Zustand bewegen konnte.

Leon wusste nicht, wie weit er gelaufen war, als seine Muskeln versagten und er ohne Vorwarnung zusammensackte. Er blinzelte in den Himmel und bemerkte, dass er die ganze Nacht durchgelaufen war. Inzwischen brach der Tag an und ohne einen schattigen Platz und Wasser hatte er in der Hitze keine Überlebenschance. Doch so sehr er es auch versuchte, er schaffte es nicht, wieder auf die Beine zu kommen. Sollte er tatsächlich hier, ohne seine Familie sterben? Es machte ihn traurig, jetzt schon gehen zu müssen und seine Aufgabe nicht erledigt zu haben, aber immerhin war es ihm gelungen, diesem elenden Mistkerl zu entkommen, der ihn offensichtlich für seine Zwecke nutzen wollte. Er überlegte kurz, ob er sich in seine Menschenform verwandeln sollte, aber damit wäre er noch weniger gegen die afrikanische Sonne geschützt.

Kurz bevor sich seine Augen zum letzten Mal schlossen, glaubte er, den Ovambo, der ihm das Essen gebracht hatte, zu sehen. Doch das musste eine Täuschung sein. Niemand konnte ihm gefolgt sein. Der Schlaf überkam ihn und alles um ihn herum versank in der Bedeutungslosigkeit.

2

Mia Leore hob ihren langen Zopf an, um ihrem Nacken etwas Kühlung zu verschaffen, während sie sich in der kargen Landschaft umsah. Was tat sie eigentlich hier? Vor einigen Stunden hatte sie die Nachricht bekommen, dass sich in dieser Gegend ein schwer verletzter Löwe befand, also hatte sie sofort alles stehen und liegen gelassen, um auf abenteuerlichen Sandpisten durch die Gegend zu schaukeln und sich dann zu Fuß auf das letzte Stück der Reise zu begeben. Dabei wusste sie nicht einmal, ob der Hinweis überhaupt der Wahrheit entsprach. Oder ob der Löwe nicht bereits tot war. Ihr Herz zog sich zusammen. Nein, nur das nicht.

Obwohl sie nun schon seit etlichen Jahren die Auswilderungsstation Shapes of Life leitete, hatte sie sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass nicht jedes Tier überlebte, das sie pflegte. Aber vermutlich war das gut, denn sonst hätte sie ihre Arbeit nicht mit so viel Herzblut verrichten können. Mit neuer Energie machte sie sich wieder auf den Weg. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Selbst wenn sie den Löwen nicht fand, musste sie sich beeilen, um noch im Hellen wieder zum Auto zurückzukommen. Vor den wilden Tieren hatte sie keine Angst, aber davor, mit dem Auto im Dunkeln in einer Sandwehe steckenzubleiben.

Gerade als sie die Suche aufgeben wollte, sah sie in der Ferne Vögel kreisen. Oh, verdammt! Wie es aussah, war sie zu spät gekommen, egal, ob das, was die Geier sich gerade als Buffet sicherten, der Löwe war oder ein anderes Tier. Deutlich schneller als zuvor ging sie auf die Stelle zu. Der Geruch nach Blut und verbrannten Haaren stieg in ihre Nase. Bald erkannte sie helles Fell, das in eine zerzauste dunklere Mähne überging. Ihr Mund wurde schlagartig trocken, ihre Schritte stockten. Es war tatsächlich ein Löwe und so wie es aussah ein kräftiges, erwachsenes Exemplar.

Was konnte ihm passiert sein? Vielleicht ein Kampf mit einem Rivalen um ein Rudel, den er verloren hatte.

Die Geier protestierten lautstark, als sie auf deren ausersehenes Abendessen zuging. Mia ließ sich davon nicht beeindrucken, denn sie wusste, dass die Aasfresser nichts angreifen würden, das nicht im Sterben lag oder bereits verendet war. Sie stieß einen Schrei aus, machte weit ausholende Bewegungen mit den Armen und die Geier flogen laut schimpfend davon. Allerdings nicht weit, sie ließen sich auf den Ästen eines abgestorbenen Baumes ganz in der Nähe nieder, um weiter ein Auge auf ihrer Beute zu haben. Das war Mia recht, denn auch wenn es ihr wehtun würde, musste sie der Natur ihren Lauf lassen. Wenn sie mit der Untersuchung des Löwen fertig war, würde sie zum Auto zurückgehen und den Geiern das Feld überlassen.

Langsam kniete sie sich neben dem Löwen in den Sand und setzte ihren Rucksack ab. Ihr Magen revoltierte, als sie die schweren Verletzungen sah, die seine Seite überzogen. Auch wenn sie es nicht wollte, beugte sie sich vor, um sie genauer untersuchen zu können. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Das sah nicht nach Revierkämpfen aus, sondern eher wie Verbrennungen. Das Fell und auch die Haut darunter waren großflächig angesengt. Wie konnte das geschehen sein? Sie hatte nichts von einem Feuer in der Nähe gehört. Vor allem schienen die Brandwunden nur auf diesen einen Bereich des Körpers begrenzt zu sein, zumindest soweit sie das sehen konnte.

Vorsichtig strich sie mit ihren Fingern über das unberührte hellere Fell des Bauches. Es war warm und weich. Etwas zuckte unter ihrer Hand und sie zog sie hastig weg. Ihr Kopf ruckte hoch und sie starrte in das jetzt offene Auge des Löwen. Oh Gott, er lebte noch! Warum hatte sie das nicht gleich überprüft?

»Alles in Ordnung, ich helfe dir.« Automatisch redete sie mit ihm, um ihn zu beruhigen. Zwar hatte sie keine Angst, dass er sie in seinem geschwächten Zustand angreifen könnte, doch sie wollte nicht, dass er sich bei einem Fluchtversuch verletzte. Er versuchte, den Kopf zu heben, doch sie drückte ihn sanft zurück. »Bleib ruhig liegen.«

Aus ihrem Rucksack holte sie eine Wasserflasche und drehte den Verschluss ab. Da sie keine Schüssel hatte, aus der der Löwe trinken konnte, musste es so gehen. Sie hielt die Flasche an sein Maul und ließ das Wasser vorsichtig hineinlaufen. Mit der anderen Hand hielt sie seinen Kopf ein wenig hoch, damit nichts daneben floss. Sein Auge war weiterhin auf sie gerichtet und sie glaubte, etwas wie Dankbarkeit darin zu entdecken. Als die Flasche leer war, holte sie die energiereiche Paste heraus, die sie ihren Patienten verabreichte, um sie rasch wieder auf die Beine zu bekommen. Mit einem Spatel holte sie die Paste aus dem Behälter und steckte sie dem Löwen ins Maul. Er riss das Auge auf und versuchte, den Spatel auszuspucken, doch sie hielt ihn fest.

»Nicht. Ich weiß, dass es nicht gut schmeckt, aber es hilft dir, zu Kräften zu kommen.« Vorsichtig zog sie den Spatel heraus und hielt dem Löwen das Maul zu.

Sein Auge verengte sich, aber er versuchte nicht, sie zu beißen. Sehr ungewöhnlich.

Und dann roch sie das, was ihr schon viel früher hätte auffallen müssen. »Oh mein Gott, du bist ein Wandler!«

Seine Antwort bestand darin, mit einer heftigen Bewegung ihre Hände abzuschütteln und seinen Kopf zu heben, bis sein Gesicht dicht an ihrem war. Wie erstarrt kauerte sie vor ihm, unfähig, sich in Sicherheit zu bringen. Sein Maul öffnete sich, als er ihren Geruch prüfte. Ein dumpfes Grollen stieg aus seiner Kehle, das ein Vibrieren in ihr auslöste. Sie hielt den Atem an, während sie seine Musterung bewegungslos über sich ergehen ließ. Schließlich schien er sich davon überzeugt zu haben, dass sie keine Gefahr für ihn darstellte, und ließ den Kopf zurücksinken. Er hatte seine letzte Kraft aufgebraucht.

Mia nutzte die Gelegenheit und schob ihm noch einen Spatel voll Paste ins Maul. Die Gedanken wirbelten wild in ihrem Kopf umher. Wie kam ein Wandler in diese einsame Gegend und woher hatte er die schlimmen Verletzungen? Vor allem aber: wie sollte sie ihn zur Auswilderungsstation bringen, wenn sie weder das Auto hierher bringen konnte, noch den Löwen zum Wagen transportieren? Das war egal, zuerst musste sie es schaffen, ihn zu stabilisieren. Noch immer wirkte er mehr als schwach, auch wenn er wieder versuchte, die übelschmeckende Paste auszuspucken.

Sanft umfasste sie erneut sein Maul und blickte ihm tief in die Augen. »Da ich dich hier nicht auf den Schultern heraustragen kann, musst du kräftiger werden, damit du selbst laufen kannst. Etwas anderes habe ich nicht dabei.« Sie zog den Spatel heraus und gab ihm noch etwas Wasser zu trinken.

Schwer atmend ließ er sich in den Sand zurücksinken und beobachtete sie abwartend. Im Moment schien er darauf zu vertrauen, dass sie ihn irgendwie wieder auf die Beine brachte. Mit einer Bewegung lockerte sie ihre verkrampften Schultern. Ein Blick in den Himmel zeigte ihr, dass sie auf keinen Fall im Hellen zu ihrem Wagen zurückkehren würde. Vermutlich würde sie sogar die Nacht hier verbringen müssen, denn sie wollte ihren Patienten auf keinen Fall alleine lassen. In diesem Zustand würde er sich nicht gegen andere Raubtiere wehren können, wenn sie entschieden, dass er ein guter Abendsnack wäre. Doch darüber würde sie erst später nachdenken. Zuerst musste sie sich um seine Verletzungen kümmern.

Aus ihrem Rucksack nahm sie einen Tiegel und öffnete ihn. Ernst sah sie ihn an. »Das wird jetzt wehtun, aber ich verspreche dir, dass es dir danach wesentlich besser gehen wird. Du musst nur den ersten Schmerz überstehen.« Sie legte ihre Hand an seinen Hals. »Versuch, dich nicht zu bewegen und beiß mich nicht, okay?«

Nach kurzem Zögern nickte der Wandler ihr zu. Um allzu große Bewegungen zu verhindern, legte Mia sich halb über die Vorderbeine des Löwen. Damit war ihr Nacken in Reichweite seiner Zähne, aber sie vertraute ihm, sich zurückzuhalten, solange sie ihn behandelte. Mit den Fingern holte sie die Salbe aus dem Tiegel und strich sie vorsichtig über die Brandwunden. Bei der ersten Berührung zuckte der Löwe scharf zusammen, doch danach bewegte er sich nicht mehr. Besorgt drehte sie sich zu ihm um, doch er war nicht etwa bewusstlos, wie sie vermutet hatte, sondern presste seine Kiefer so stark zusammen, dass sie fast befürchtete, er könnte dabei einige Zähne verlieren. In seinen Augen war deutlich der Schmerz zu erkennen.

»Entschuldige. Ich werde so schnell machen wie möglich.« Konzentriert verteilte sie die Salbe über den schlimmsten Wunden. Ein Zittern lief durch seinen Körper und seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Mia grub die Zähne in ihre Unterlippe und beendete die Behandlung wenige Minuten später. Ein erleichtertes Aufatmen entfuhr ihr, als sie sich schließlich auf ihre Hacken zurücksetzte. »Geschafft. Es wird jetzt noch einige Zeit prickeln, aber das Schlimmste ist überstanden.«

Wahrscheinlich sollte sie es nicht tun, aber Mia konnte sich nicht zurückhalten, noch einmal über die dichte Mähne zu streichen. Ein tiefes Rumpeln erschreckte sie, bis sie erkannte, dass der Löwe schnurrte. Lächelnd beugte sie sich vor und begann ihn zu kraulen. Sie hatte noch keine Katze erlebt, die das nicht mochte, egal ob Tier oder Wandler. Und wenn ihn das ein wenig von seinen Schmerzen ablenkte, umso besser. So streichelte sie ihn, bis sich sein Auge schloss und er einschlief. Nur widerwillig löste sie sich von ihm und stand auf. Ausgiebig streckte sie ihre verkrampften Muskeln und blickte zum Himmel.

Inzwischen war es völlig dunkel geworden, nur der Mond spendete ein wenig Licht, das sie nutzte, um noch etwas zu trinken und sich dann für die Nacht zurechtzumachen. Kurze Zeit später legte sie sich dicht neben den Löwen, damit sie es nicht verpasste, wenn er aufwachte oder Schmerzen hatte. Mit einem zufriedenen Seufzer schloss sie die Augen.

Leons Geruchssinn erwachte zuerst, dicht gefolgt von seinem Tastsinn. Beides sagte ihm, dass er nicht alleine war. Mühsam öffnete er ein Auge und blickte auf das, was sich an ihn schmiegte. Das helle Fell der Löwin leuchtete in der Morgensonne auf und Leon musste den Drang bekämpfen, seine Hände hindurch gleiten zu lassen. Er betrachtete seine Pfote und seufzte innerlich. Vorsichtig schob er seinen Kopf vor und vergrub seine Nase im Nackenfell der Löwin.

Zuerst hatte er es für einen Traum gehalten, dass eine Frau mitten in der Wüste aufgetaucht war und sich um ihn gekümmert hatte. Noch dazu eine Löwenwandlerin. Doch sie war wirklich hier und lag neben ihm, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sie musste sich nachts ausgezogen und verwandelt haben, als er schon schlief, jedenfalls hatte er nichts davon mitbekommen.

Bemüht sie nicht zu wecken, setzte er sich auf und betrachtete die Wunden an seiner Seite. Sie waren noch zu sehen, taten aber kaum noch weh. Was immer auch in der Salbe war, es wirkte erstaunlich gut. Und auch die eklig schmeckende Paste schien geholfen zu haben, er fühlte sich wesentlich besser. Leon rückte ein Stück von der Löwin ab und verwandelte sich. In Menschengestalt begutachtete er noch einmal seine Verletzungen und richtete sich schließlich vollständig auf. Für einen Moment schwankte er, bis er sich wieder daran gewöhnt hatte, auf zwei Beinen das Gleichgewicht zu halten. Er war zu lange nicht mehr Mensch gewesen.

Ungläubig blickte er auf die ihn umgebende karge Landschaft. Wie war er hierher gekommen? Er wusste noch, dass er nur einen Gedanken gehabt hatte: vor den Menschen zu fliehen, und das war ihm offensichtlich gelungen. Trotzdem sollte er sich hier nicht zu lange aufhalten. Wenn sie die Gegend nach ihm absuchten, würden sie sicher auch irgendwann hierher kommen. Und hatte er nicht den Ovambo gesehen, der ihm das Essen gebracht hatte, bevor er das Bewusstsein verlor? Es könnte auch eine Sinnestäuschung gewesen sein.

Sein Blick fiel auf die Löwin. Sie war auch in Gefahr, wenn die Menschen hierher kamen. Der Anführer wirkte nicht so, als würde es für ihn einen Unterschied machen, ob er einen Mann oder eine Frau einfing und quälte. Obwohl er anscheinend ein besonderes Interesse an dem sogenannten Heilsbringer hatte. Wie war es ihm gelungen, Leon aufzuspüren? Er musste die ganze Gegend nach ihm abgesucht haben. Vermutlich hatte Leon sich zu sicher gefühlt und war dadurch zu sorglos gewesen, doch das würde er ab sofort ändern. Vor allem musste er auch seine Eltern warnen, dass Verbrecher auf der Suche nach ihm waren.

Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren, doch es war nur die Löwenwandlerin, die ihn verschlafen anblinzelte. Als sie ihn in Menschenform sah, weiteten sich ihre Augen und sie ließ ihren Blick langsam an ihm hinunter und wieder hinauf wandern. Leon hatte normalerweise kein Problem mit seiner Nacktheit, doch jetzt hatte er Mühe, die Reaktion seines Körpers zu unterdrücken. Bevor er weiter darüber nachgrübeln konnte, setzte sich die Löwin auf und verwandelte sich. Es war wie ein Schock für ihn, sie in Menschenform zu sehen. Gestern Abend war er durch seine Schmerzen zu sehr abgelenkt gewesen, um darauf zu achten. Doch jetzt konnte er erkennen, dass sie nicht nur in Löwenform wunderschön war. Ihre langen honigblonden Haare verdeckten ihre Brüste, aber es waren ihre großen hellbraunen Augen und das leichte Lächeln, das ihre sinnlichen Lippen umspielte, die ihn fesselten.

»Wie geht es dir?« Ihre warme Stimme wand sich um ihn.

Leon räusperte sich, bevor er sprechen konnte. »Dank dir deutlich besser als gestern Abend. Wie heißt du?«

»Mia.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Und es war mir ein Vergnügen.« Sie wurde ernst, als ihr Blick zu seiner Seite wanderte.

»Woher hast du die Verletzungen?«

Leon spürte die Wut wieder in sich aufsteigen. »Eine Jagdgesellschaft. Allerdings glaube ich, dass sie es auf Wandler abgesehen hatten.« Genau genommen auf einen bestimmten: ihn.

Etwas blitzte in ihren Augen auf. »Wie kann man einem anderen Lebewesen so etwas antun?« Sie deutete auf seine Wunden. »Warum können uns nicht einfach alle in Ruhe lassen?«

Auf diese Fragen hatte er keine Antworten. Mit den Händen fuhr er durch seine Haare, die ihm wild zerzaust ins Gesicht hingen. »Ich weiß nur, dass wir hier weg müssen, bevor sie uns finden.«

Besorgt sah sie ihn an. »Kannst du schon laufen? Es ist ein ganzes Stück bis zu meinem Wagen.«

Auch wenn er sich noch etwas schwach fühlte, gab es keine andere Alternative, deshalb nickte er. »Vielleicht kannst du mich irgendwo ein Stück weiter absetzen, damit ich einen größeren Vorsprung vor den Menschen habe.«

Mia stützte die Hände in die Taille, ihre Augen blitzten ihn wütend an. »Du kommst mit zur Auswilderungsstation, die ich leite, du bist noch lange nicht gesund! Erst wenn ich dich ein wenig aufgepäppelt habe, lasse ich dich gehen.«

Leon musste über ihre Vehemenz lächeln. »Schon überredet.«

Für einen langen Moment sah sie ihn einfach nur an, dann schüttelte sie den Kopf. »Männer.« Sie strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Wie heißt du überhaupt?«

»Leon.«

»Passt.« Rasch hob sie ihre Kleidung auf und schlüpfte hinein. Nachdem sie ihren Rucksack aufgesetzt hatte, nickte sie ihm zu. »Okay, es kann losgehen.«

Mit einiger Mühe verwandelte Leon sich wieder in einen Löwen. Offensichtlich war er tatsächlich noch nicht wieder fit genug, um nach Hause zu laufen. Es war sicherer, erst einmal mit Mia zur Auswilderungsstation zu fahren. Vielleicht war es auch gar nicht schlecht, nicht sofort zu seiner Gruppe zurückzukehren. Er wollte sie auf keinen Fall in Gefahr bringen und durch sein angesenktes Fell war er zu leicht zu erkennen. Sein Blick streifte über Mias schlanken Körper, der jetzt von der Kleidung verdeckt wurde. Wenn er merken sollte, dass er sie mit seiner Anwesenheit in Gefahr brachte, würde er gehen und sich irgendwo verkriechen, wo ihn niemand finden konnte. Ihr Duft nach Honig und Wildkräutern stieg in seine Nase und er fragte sich, ob ihre Haut genauso schmecken würde.

Leon schüttelte den Kopf und konzentrierte sich darauf, eine Pfote vor die andere zu setzen, bis sie beim Wagen angekommen waren. Erschöpfter als er es sich eingestehen mochte, ließ er sich auf der gepolsterten Rückbank des Jeeps nieder. Sowie sein Kopf das Polster berührte, schlief er ein.

3

Es schien kaum Zeit vergangen zu sein, als Leon eine Berührung an seiner Mähne spürte. Mias Geruch umgab ihn und er begann zu schnurren, während er instinktiv näher an die Hand heranrückte, die ihn kraulte. Ein leises Lachen ließ ihn die Augen aufreißen.

Die Löwenwandlerin hatte die hintere Autotür geöffnet und beugte sich nun über ihn. »Willst du hier draußen bleiben oder kommst du mit rein?«

Was für eine Frage. Als würde er freiwillig in einem engen, in der Sonne aufgeheizten Wagen bleiben wollen. Anstelle einer Antwort erhob er sich schwerfällig und drückte mit seinem Kopf gegen ihre Schulter. Bereitwillig trat Mia zurück und machte den Weg frei. Zu schade, es hatte sich gut angefühlt, sich an ihr zu reiben. Die Schmerzen in seiner Seite hatten durch die schaukelnde Fahrt über die mit Rillen übersäten Sandpisten wieder zugenommen, deshalb war er froh, als Mia ihn zu einem Gebäude führte, das ein wenig abseits von den anderen stand.

An der Tür drehte sie sich zu ihm um. »Normalerweise bringe ich meine Neuankömmlinge in dem Haus dort drüben in großen Käfigen unter, doch bei dir mache ich eine Ausnahme. Es wäre nicht gut, wenn dich jemand sieht. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass du nicht so gern eingesperrt bist.«

Leon fuhr als Dank mit seiner Zunge über ihre Hand und stöhnte innerlich auf. Es wäre besser gewesen, wenn er ihren Geschmack nie kennengelernt hätte. Mit großen Augen sah sie ihn an, dann drehte sie sich abrupt um und öffnete die Tür. Neugierig folgte Leon ihr ins Haus und sah sich um. Holz dominierte die Einrichtung, es roch nach Mia und Natur.

»Leg dich schon mal auf das Sofa, ich sehe mir gleich deine Wunden an.« Sie hob die Hand, als er ihrem Befehl folge leisten wollte. »In Menschenform. Ich will keine Tierhaare auf dem Stoff haben.«

Leon gab ein Knurren von sich, das sie wieder zum Lachen brachte. Irgendwie mochte er den Klang, warm und weich. Vor dem Sofa verwandelte er sich und ließ sich auf die Kissen fallen. Inzwischen war seine Kraft restlos erschöpft, sogar das Atmen fiel ihm schwer. Er war schon fast bereit, freiwillig nach ihrer üblen Paste zu fragen, um wieder neue Kraft zu bekommen, als sie einen Teller und Gläser auf dem Couchtisch abstellte und sich neben ihn auf das Sofa setzte. Sie hielt ihm ein Stück Apfel vor den Mund.

»Hier. Ich mache gleich etwas Richtiges zu essen, ich dachte nur, dass du vielleicht gerne einen kleinen Snack hättest, bevor ich mich um deine Wunden kümmere.«

Wortlos öffnete er den Mund und schloss seine Lippen um die Frucht. Er riss seine Augen auf, als seine Zunge ihren Finger berührte. Mia wirkte, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte, und blieb wie erstarrt über ihn gebeugt sitzen. Sein Löwe stieß ein zufriedenes Schnurren aus, als Leon den Geschmack ihrer Haut noch einmal in sich aufnahm. Tatsächlich, Honig, Wildkräuter und Sonne. Seine Zunge wand sich um ihren Finger und er sah, wie sich Mias Gesichtszüge änderten, katzenartiger wurden. Ihre äußeren Augenwinkel bogen sich nach oben, ihre Pupillen wurden schmaler. Bevor er jedoch mehr machen konnte, entzog sie ihm ihren Finger und stand rasch auf.

»Ich hole lieber die Salbe für deine Wunden. Iss.« In ihrer Stimme war mehr als nur ein wenig Löwe zu hören.

Er sah ihr nach, bis sie das Zimmer verlassen hatte, bevor er sich langsam aufsetzte. Kopfschüttelnd kaute er die Apfelspalte und nahm sich eine neue. Nachdem er in der Wüste beinahe verdurstet war, schmeckte das süße Fruchtfleisch himmlisch. In der Küche hörte er Mia hantieren und nutzte die Gelegenheit, sich in dem Raum umzusehen. Er war groß und luftig, die Möbel eine Mischung aus hellen Stoffen und dunklem Holz. Es gab genug Platz, dass sich ein Wandler nicht eingesperrt fühlte, doch es wirkte trotzdem gemütlich. Wie gelang es Mia, hier unentdeckt wie ein Mensch zu leben?

Vorsichtig stand er auf und wartete, bis sich der Schwindel gelegt hatte, bevor er zum Kamin ging, auf dessen Sims einige Fotos standen. Eines war von Mia vor einem Gebäude der Auswilderungsstation, die Lippen zu einem breiten Lächeln verzogen. Einige weitere zeigten Tiere, die in der Wildnis freigelassen wurden. Auf einem weiteren Foto hatte Mia ihren Arm um eine ältere Frau gelegt, die trotz ihres Lächelns irgendwie traurig wirkte. Ihre Mutter? Zufrieden registrierte Leon, dass sich nirgends eine Aufnahme von einem Mann befand. Warum das so war, konnte er nicht sagen, denn eigentlich wusste er, dass er diesen Ort der Ruhe bald wieder verlassen musste. Doch irgendetwas an Mia zog ihn unwiderstehlich an, selbst in seinem derzeitigen Zustand.

»Was machst du da? Du solltest etwas essen und dich ausruhen, nicht hier herumlaufen!«

»Ich war neugierig.« Er schwankte ein wenig und hielt sich so unauffällig wie möglich am Kaminsims fest.

Mia blickte von ihm zu den Fotos und schüttelte genervt den Kopf. »Ich weiß schon, warum ich meine Patienten immer in den anderen Häusern unterbringe.« Rasch kam sie auf ihn zu und schlang ihren Arm um seine Taille. »Wenn du hinfällst, lasse ich dich zur Strafe einfach dort liegen.«

Leon lächelte innerlich und genoss die Wärme von Mias Körper, der sich an seinem rieb, während sie ihn zum Sofa geleitete. Vorsichtig ließ sie ihn auf die Polster sinken, bevor sie zurücktrat und ihn mit gerunzelter Stirn betrachtete.

»Danke.«

Das brachte ihm wieder einen scharfen Blick ein. »Wofür?«

»Dafür, dass du mich da draußen gerettet und mit in dein Heim genommen hast. Ohne dich wäre ich jetzt wahrscheinlich tot.«

Sie neigte den Kopf. »Gern geschehen. Und wenn du schnell wieder auf den Beinen sein willst, hörst du besser auf mich. Die Paste ist ein schneller Energieschub, aber sie ist kein Essensersatz. Du musst deine Stärke erst langsam wieder aufbauen. Und es hilft sicher nicht, wenn du dich ständig verwandelst oder sinnlos herumläufst.«

»Ja, Ma’am.« So sehr er sich auch bemühte, er konnte ein Lächeln nicht verhindern.

Mit einem Seufzer wandte sie sich ab. »Übrigens musst du dich nicht bei mir bedanken. Wenn ich keinen Tipp bekommen hätte, wo du zu finden bist, wäre ich nie in die Nähe gekommen.«

Abrupt setzte Leon sich auf. »Jemand hat dir gesagt, wo ich bin? Wer? War es ein Mensch? Ist er hier?«

Von seiner Vehemenz überrascht, starrte sie ihn einen Moment lang nur an. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Ein Mann hat mich angerufen. Er sagte, dass ein Löwe verletzt ist und Hilfe braucht.«

»Sonst hat er nichts gesagt? Hatte er einen seltsamen Akzent?«

»Nein, das war alles.« Mia fasste ihre Haare mit einer Hand im Nacken zusammen. »Es war kein Ausländer, falls du das meinst. Aber es könnte ein Ovambo gewesen sein.«

Leon schloss die Augen und atmete tief durch. Anscheinend hatte er sich doch nicht eingebildet, den Ovambo dort in der Wüste gesehen zu haben. Doch warum hatte er Mia angerufen, anstatt seinen Auftraggeber zu informieren? Oder war das nur ein Trick gewesen, um ihn in Sicherheit zu wiegen, bevor sie erneut zuschlugen? Ohne darüber nachzudenken stand er auf und ging zur Tür. Bevor er dort ankam, stellte sich Mia ihm in den Weg.

»Wo willst du hin?«

Für einen Augenblick tauchte er in ihre goldbraunen Augen, bevor er die Verzauberung abschüttelte. Auf keinen Fall wollte er sie in Gefahr bringen. »Ich muss los.«

»Warum? Du weißt selbst, dass du nicht kräftig genug dafür bist. Willst du unbedingt sterben?« Ihre sonst so sanfte Stimme klang hart.

»Nein, aber noch weniger will ich, dass dir etwas geschieht. Es kann sein, dass die Männer, die mir das angetan haben, immer noch hinter mir her sind. Wenn sie wissen, dass du mich hier pflegst …« Er brauchte nicht weitersprechen, er sah an Mias Gesichtsausdruck, dass sie ihn verstanden hatte.

»Wie kommst du darauf, dass sie wissen, wo du bist?«

Leon blickte an ihr vorbei zum Fenster. »Der Anführer war weiß, aber er hatte einige Ovambos dabei. Einen davon habe ich in der Wüste gesehen, nur dachte ich zu der Zeit, es wäre eine Täuschung gewesen.«

Mia biss auf ihre Unterlippe, während sie darüber nachdachte. »Ich hatte nicht den Eindruck, als hätte der Anrufer etwas Böses im Sinn. Natürlich kann ich mich auch täuschen. Aber wenn er dir so nahe war, wäre es dann nicht einfacher gewesen, dich zu dem Anführer zurückzubringen oder dich gleich dort zu töten?«

»Das weiß ich nicht, aber ich bin nicht bereit, das Risiko einzugehen und deine Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Wenn du mir etwas zu essen und zu trinken gibst, bin ich gleich weg.« Als sie sich nicht rührte, ging er um sie herum und öffnete die Tür. Zur Not würde er auch ohne Nahrung von hier verschwinden. Ein letztes Mal drehte er sich um und sog ihr Bild in sich auf. »Danke für alles. Ich wünschte …« Er presste seine Lippen zusammen und trat nach draußen.

Die Hitze traf ihn wie ein Schlag und er schwankte erneut. Mit dem letzten Rest Kraft, den er in seinem Körper hatte, verwandelte er sich und trottete los. Bereits nach wenigen Schritten baute sich Mia vor ihm auf. Leon versuchte, um sie herum zu gehen, doch sie hielt ihn mit einer Hand in seiner Mähne auf.

»Oh nein, das wirst du nicht tun. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, dich aus der Wüste zu holen, damit du dich jetzt umbringst. In diesem Zustand wirst du nicht überleben, wenn du jetzt gehst.«

Leon wusste, dass sie Recht hatte, aber durfte er ihr Leben und auch das ihrer Mitarbeiter und der Tiere gefährden, die derzeit hier waren? Er trat einen Schritt vor und knurrte warnend. Offensichtlich unbeeindruckt festigte Mia ihren Griff in seiner Mähne und beugte sich über ihn.

»Ich werde dich nicht gehen lassen. Du kannst natürlich versuchen, an mir vorbei zu kommen, aber ich glaube nicht, dass dir das in deinem Zustand gelingen wird.« Ihre Reißzähne blitzten auf und er konnte deutlich in ihren Augen erkennen, wie dicht die Löwin unter der Oberfläche war.

Wenn die Situation nicht so ernst wäre, hätte er sich nur zu gern auf eine kleine Rangelei mit Mia eingelassen. Ihre Sorge um einen Wandler, den sie nicht einmal kannte, war beeindruckend. Wenn sie bereit war, sich in Gefahr zu bringen, um einem Fremden zu helfen, was würde sie tun, wenn es um jemanden ging, den sie liebte?

»Wenn du kein Aufsehen erregen willst, solltest du schnell wieder ins Haus gehen, meine Mitarbeiter haben sicher das Auto gehört und werden gleich hier auftauchen um zu erfahren, ob ich den verletzten Löwen gefunden habe.«

Leon blickte sich um und tatsächlich konnte er in einiger Entfernung Schritte hören. Rasch schüttelte er Mias Hand ab und rannte los. Er tauchte gerade in den Hauseingang, als ein Mann um die Ecke kam. Da sein Blick auf Mia lag, hatte er ihn vermutlich nicht gesehen. Ohne Vorwarnung rutschte Leon auf dem Parkett aus und landete auf seiner verletzten Seite. Mit Mühe unterdrückte er einen Schmerzenslaut und wollte weiterkriechen, falls Mia den Mann mit ins Haus brachte, doch seine Kraft war verbraucht. Ohne Vorwarnung schlossen sich seine Augen und er verlor das Bewusstsein.

Ungeduldig wartete Mia, bis der Tierpfleger Hari auf dem Plattenweg verschwunden war, der zu den anderen Gebäuden führte, bevor sie zu ihrer Hütte lief. Sie konnte nur hoffen, dass Leon nicht so unvernünftig gewesen war, durch die Hintertür zu verschwinden. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als sie sich vorstellte, wie er versuchte, in seinem Zustand alleine in der Wildnis zu überleben. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, er war sehr schwer verletzt worden und würde einige Zeit benötigen, um sich wieder vollständig zu erholen. Sie hatte es schon oft erlebt, dass ihre Patienten möglichst sofort wieder in die Freiheit wollten, und sie konnte das auch sehr gut verstehen, aber sie konnte es nicht zulassen, wenn die Gefahr bestand, dass das Tier sterben würde.

Bei einem Wandler erwartete sie mehr Einsicht, besonders wenn die Möglichkeit bestand, dass Menschen ihn entdeckten und er dadurch zur Gefahr für alle anderen Wandler wurde. Irgendwie würde sie das Leon begreiflich machen, und wenn sie ihn doch noch in einen Käfig sperren musste. Eigentlich hatte sie gedacht, bei ihm darauf verzichten zu können, aber …

Sie betrat das Haus und sah sich in dem leeren Raum um. Es dauerte einen Moment, bis sie den Löwen auf dem Boden liegen sah. Für einen Augenblick dachte sie, dass er tot war, und ihr Herz blieb stehen. Dann setzte es wieder ein und sie hockte sich rasch neben ihn. Vorsichtig strich sie über seinen Brustkorb und atmete erleichtert auf, als sie seinen kräftigen Herzschlag spürte. Da er auf seiner verletzten Seite lag, musste er einfach umgekippt sein. Hätte er wirklich die Station verlassen, würde er jetzt irgendwo alleine und hilflos in der Wüste liegen. Der Gedanke machte sie wütend.

Was sollte sie mit ihm machen? Er konnte nicht mitten in ihrem Wohnzimmer liegen bleiben. Und so wie er lag, konnte sie nicht einmal seine Wunden behandeln. Die Lippen zusammengepresst stand sie auf und holte die Paste aus dem Kühlschrank. Wer nicht hören wollte, musste fühlen. Sie schob Leon den Spatel in den Mund und rüttelte an seiner Schulter.

»Wach auf!«

Es dauerte nicht lange, bis er die Augen aufschlug und sie verwirrt anblickte. Dann schnitt er eine Grimasse und spuckte den Spatel aus. Ein Grollen klang aus seiner Kehle, das sie überhaupt nicht beeindruckte. Nur der Schmerz in seinen Augen hielt sie davon ab, ihm noch mehr Paste einzuflößen. »Du hast zwei Möglichkeiten: entweder du stehst jetzt sofort auf und folgst mir oder ich gebe dir so lange die Aufbaunahrung, bis du kräftig genug dafür bist.«

Ein Zittern lief durch Leons Körper, aber er schaffte es mit ihrer Hilfe, wieder auf die Pfoten zu kommen. Erschöpft lehnte er sich gegen sie und sie schaffte es nicht mehr, ihm böse zu sein.

Sie schlang ihre Arme um ihn und rieb ihren Kopf an seinem. »Okay, nur noch ein paar Meter, dann hast du es geschafft und kannst dich ausruhen.« Als sie seinen Blick zur Tür sah, schüttelte sie den Kopf. »Oh nein, du wirst nicht gehen, das kann ich dir versprechen. Und wenn ich dich betäuben muss, damit du deinem Körper die Ruhe gibst, die er benötigt.« Seine Augen weiteten sich, aber er versuchte nicht, ihrem Griff zu entkommen. »Gute Entscheidung.« Sie richtete sich auf und ging auf ihr Schlafzimmer zu. »Komm mit.«

Mit einem Stöhnen, das ihr ins Herz schnitt, humpelte Leon hinter ihr her. Im Schlafzimmer angekommen, drehte sie sich zu ihm um. Er schwankte auf seinen Pfoten und sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. »Es gilt das Gleiche wie im Wohnzimmer – keine Haare auf den Polstern, von daher verwandele dich, bevor du dich ins Bett legst.«

Offenkundig irritiert sah er sich im Raum um, bevor er sich verwandelte und auf dem Boden hocken blieb. »Wir sind in deinem Schlafzimmer.«

»Gut erkannt.« Sie bemühte sich, ihre Unsicherheit zu überspielen. »Hast du damit ein Problem?«

Seine Augen blieben ernst. »Ich möchte nicht in dein Rückzugsgebiet eindringen.«

»Das tust du nicht, wenn ich dich hierher einlade. Und es ist die einzige Möglichkeit, weil ich nur dieses eine Bett habe und im Wohnzimmer die Gefahr besteht, dass dich einer meiner Mitarbeiter sieht. Also leg dich aufs Bett und ich versorge deine Wunden, bevor ich das Essen vorbereite.«

»Aber …«

Sie hielt eine Hand in die Höhe um seinen Protest zu stoppen. »Leon, je weniger zu dich sträubst, desto schneller bist du wieder gesund und kannst weiterziehen.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, legte er sich auf das Bett und schloss die Augen. Auch wenn sie es nicht wollte, wanderte Mias Blick automatisch über seinen Körper. Er war schlank, aber sie konnte auch die Muskeln unter seiner gebräunten Haut sehen. Es juckte in ihren Fingern, ihn zu berühren, zu erfahren, ob sich seine Haut so weich anfühlte, wie sie aussah. Seine schmale Hüfte ging in muskulöse Oberschenkel über. Als sie ein leises Grollen hörte, ruckte ihr Blick hoch. Leons Augen waren geöffnet und hatten sich von einem rauchigen Grau in ein warmes Goldbraun verwandelt.

Hitze stieg in ihre Wangen, während sie rasch die Bettdecke bis zu seiner Hüfte hochzog. Schließlich brauchte sie nicht alles von ihm zu sehen, wenn die Wunden sich über seinen Rippen befanden. »Bleib ruhig liegen, ich komme gleich wieder.« Wenig später kam sie mit einer Wasserschüssel und einem Waschlappen wieder und reinigte die Verletzungen gründlich, bevor sie noch einmal vorsichtig die Salbe einmassierte. Zufrieden, dass die verbrannte Haut rosa schimmerte, richtete sie sich auf. »Das sollte für’s Erste genügen. Es werden Narben bleiben, aber die Muskeln und Nerven sind nicht dauerhaft beschädigt.«

»Danke.« Seine Stimme klang rau, seine Augen waren halb geschlossen.

Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie unangenehm die Salbe prickelte, während die Verletzungen heilten. Um ihn abzulenken, nahm sie seine Hand. »Ruh dich aus, während ich etwas zu essen mache. Möchtest du etwas lesen oder so?«

Seine Mundwinkel hoben sich. »Ich glaube nicht, dass ich die Augen offen halten kann.«

»Dann schlaf ein wenig.« Ohne darüber nachzudenken beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Stirn.

Sowie sie seine Haut unter ihren Lippen fühlte, erstarrte sie. Was machte sie da? Leon war ein Patient, ein Fremder, der bald wieder nach Hause zurückkehren würde. Finger strichen durch ihre Haare und sie hob langsam den Kopf. Leons Blick bohrte sich in ihren und sie konnte eine Wärme darin erkennen, die sie nicht erwartet hatte.

Sein Griff in ihren Haaren wurde fester, als sie sich von ihm wegbewegen wollte. »Das hat gut getan, danke.« Seine Finger lösten sich und sein Arm fiel auf die Matratze zurück.

Mia lächelte ihn erleichtert an. »Gern geschehen. Ich weiß, wie es ist, wenn man als Katzenwandler zu lange allein war.« Wie von selbst glitt ihre Hand über seine und drückte sie sanft.

Seine Augen schlossen sich langsam. Mia wartete, bis er eingeschlafen war, bevor sie widerwillig aufstand und sich in die Küche begab.

Als Leon die Augen wieder aufschlug, war es dunkel im Zimmer. Anscheinend war er müder gewesen, als er geglaubt hatte, denn er hatte sogar das Essen verschlafen. Wie auf Befehl knurrte sein Magen. Er schlug die Decke zurück und atmete tief ein, als er Mias Duft wahrnahm, der von der Bettwäsche ausging. Seine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln, als sich sein Schaft regte. Offenbar war nicht alles an seinem Körper geschwächt. Mit Mühe drängte er die Erregung zurück. Er wollte nicht, dass seine Retterin seinen Zustand mitbekam, falls er ihr in der Küche begegnete. Seine Seite zog sich schmerzhaft zusammen, als er aufstand. Nach ein paar vorsichtigen Bewegungen stellte er fest, dass sich die Wunden schon viel besser anfühlten als vorher. Die Salbe schien wirklich erstaunlich schnell zu wirken.

So leise wie möglich tappte er in die Küche und ging zum Kühlschrank. Darin befand sich glücklicherweise das Essen, das Mia für ihn vorbereitet hatte. Es tat ihm leid, dass er nicht früher aufgewacht war, nachdem sie sich solche Mühe gemacht hatte. Aber so hungrig wie er war, hätte er es auch roh gegessen, was zum Glück nicht nötig war. Gesättigt stellte er seinen Teller anschließend in die Spüle und schlich zurück zum Schlafzimmer.

»Hast du das Essen gefunden?« Mias verschlafene Stimme ließ ihn innehalten.

Langsam drehte er sich zum Sofa um, wo sie in eine Decke gewickelt lag. »Ja, es war sehr lecker, danke.«

Sie richtete sich auf, und als die Decke herunterrutschte, sah er, dass sie nur ein Top trug, das ihre Brüste umschmeichelte. »Wie geht es dir?«

»Gut.«

»Lass mich die Wunden sehen.«

Leon zögerte. Wenn er sich vor das Sofa stellte, wäre sein Schaft direkt auf Höhe ihres Gesichts. Das wollte er wenn möglich vermeiden. Mias Geduld schien am Ende, denn sie schwang die Beine auf den Boden und winkte ihn heran. Auch wenn er sich bemühte, nicht auf ihre langen, schlanken Beine in den kurzen Shorts zu starren, gelang es ihm nicht ganz. Wie zu erwarten regte sich sein Schaft, und er wusste, dass das Mia trotz der Dunkelheit nicht verborgen bleiben würde. »Ich gehe lieber wieder ins Bett.« Rasch wandte er sich um, doch bevor er mehr als zwei Schritte gehen konnte, war sie schon bei ihm.

Ihre Hand schlang sich um sein Handgelenk. »Leon.«

Die Art, wie sie seinen Namen sagte, jagte einen Schauer durch seinen Körper. Er blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um. Verzweifelt versuchte er, seine Erregung zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Zu lange hatte er keine Geliebte mehr gehabt und Mia löste etwas in ihm aus, das er nicht kontrollieren konnte. »Es geht mir gut, die Wunden heilen.«

»Trotzdem …«

Er unterbrach sie. »Es reicht, wenn du morgen danach siehst, ich will dich nicht vom Schlafen abhalten.« Sanft löste er sich aus ihrem Griff und flüchtete ins Schlafzimmer. Der Löwe in ihm war enttäuscht darüber, nicht mehr ihre warmen Finger auf sich zu spüren, aber der Mensch war erleichtert, einer potentiell peinlichen Situation entgangen zu sein. Vorsichtig legte er sich auf das Bett und zog die Decke über seine Hüfte. Die Berührung des weichen Stoffs steigerte seine Erregung allerdings noch, sodass es lange dauerte, bis er wieder einschlief.

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Zwei Wochen später