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Tagebuch eines Besiegten: 23 Gedichte
Der sechste Gedichtband von Cy Landie – düstere Lyrik aus dem Untergrund; ein raues und ungeschliffenes Zeugnis für eigenartige Seelenzustände, die keine Sieger zulassen.
Inhalt
1. Begrüßung des Publikums
2. Nur eine Fliege war Zeuge
3. Ein Tag wie jeder andere
4. Ein Besuch im Theater
5. Der Schreibtischmensch
6. Harmonie
7. E-Mails
8. Der Brief
9. Wenn das Telefon klingelt
10. Der Fleck
11. Die Stille
12. Mord
13. Eine gute Zeit
14. Einkaufszettel
15. Abenteuer im Supermarkt
16. Vor dem Schaufenster
17. Damals
18. Mein Nachbar
19. Happy Hour
20. Luxus
21. Der Ballon
22. Peg Entwistle
23. Am Ende lacht immer der Dichter
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Tagebuch eines Besiegten
23 Gedichte
von Cy Landie
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Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Handlungen und Personen im Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Herzlich willkommen
in meiner Welt.
Wenn du diesen Satz liest,
spreche ich direkt zu dir.
Lies ihn wieder und wieder.
Du kannst mich nicht sehen,
aber glaube mir, hier ist es,
wo ich wirklich bin.
Scheiß auf den Rest.
In einer Welt
voller Darsteller
wollte ich nie wer sein
und nie etwas darstellen.
Ich wollte nie ein falsches
Leben im echten, sondern eins,
das in der Künstlichkeit
fortbesteht.
Darin bestand für mich
der einzige Sinn.
Und so umrande ich
jeden einzelnen
Buchstaben und
bewege mich zwischen
den Zeilen hindurch,
immer weiter hinab,
Satz für Satz,
Seite für Seite.
Es interessiert nicht, was
fernab dieser Welt geschieht.
Genau diese Zeile ist wichtig,
genau in diesem Moment,
egal, ob ich lebe
oder längst tot bin.
Schau, ich werde niemals aufhören,
zu dir zu reden, solange du
es zulässt und die Wiederholungen
erträgst,
die ewigen Wiederholungen,
Satz für Satz,
Seite für Seite.
Und so lade ich dich ein,
es dir auf dem
Sofa gemütlich zu machen
und dich unter eine warme
Decke zu kuscheln.
Das, was ich schreibe,
soll eine Reise für
dich sein. Ich nehme
dich an die Hand und
gehe gemeinsam mit dir,
Satz für Satz,
Seite für Seite.
Viel Vergnügen.
5.30 Uhr.
Das erste Mal wach.
Froh, dass es erst 5.30 Uhr
ist.
Die Gedanken beginnen
damit, sich zu regen,
das Herz beginnt damit,
gegen die Brust zu schlagen
wie ein Hammer.
Anhaltende Turbulenzen.
Ein Gewitter zieht auf.
Versuche, das Schlechte
nicht an mich
heranzulassen. Nicht um
5.30 Uhr morgens.
Also wälze ich mich
auf die andere Seite
und versuche, ganz
ruhig zu atmen und
mir einen Sinn
vorzustellen, selbst
wenn es verdammt
schwer fällt.
6.30 Uhr.
Das zweite Mal wach.
Ich bleibe wach.
Scheiße.
Decken werden zur
Seite geschlagen.
Menschen stehen auf.
Die ersten Bewegungen.
Die ersten Seufzer.
Eine Fliege summt durchs
Zimmer. Ich lausche dem
Geräusch der Fliege, wie
sie sich im Vorhang verfängt
und gegen die Fensterscheibe
knallt, wieder und wieder
und wieder.
Mit tränenden Augen
sehe ich auf die
verschwommenen
Ziffern der grellen Digitaluhr.
Noch eine halbe Stunde
habe ich Ruhe vor der Welt.
Ab jetzt ist jede Minute
kostbar.
Geräusche schallen durch
die Wohnung.
Die Toilettenspülung.
Der Wasserhahn.
Der Wasserkocher.
Kleidung, die angezogen wird.
Das Scheppern von Tellern und
Tassen. Ein zur Fröhlichkeit
verdammter Radiomoderator,
der keine Ahnung von
guter Musik hat.
Mein Blick auf die Uhr wird
regelmäßiger.
Noch 20 Minuten.
Noch 10 Minuten.
Noch 5.
Noch einmal genieße ich
die Wärme der Decke,
die meinen Körper umhüllt
wie ein Kokon, wie das
letzte Paradies für die
Menschheit.
Dann schlägt die Kirchenglocke
mitten durch das Fensterglas,
tief hinein in meine Ohren.
Es ist 7.00 Uhr.
Schon wieder.
Seit 33 Jahren.
Langsam erhebe ich mich
vom Bett. Sofort kriecht
die Kälte des Raumes in
meine Knochen. Ich schiebe die
Vorhänge zur Seite und
schrecke damit die Fliege auf,
die an der oberen Fensterecke
verrückt spielt.
Ich müsste nur das
Fenster öffnen, um die
Fliege in die Freiheit
zu entlassen.
Doch ich entscheide mich
dafür, den Gedanken noch
für eine Weile ruhen zu
lassen.
Stattdessen lasse ich meinen
Blick aus dem Fenster nach
draußen in den Garten
schweifen, blicke über
die Bäume und Häuser
mit den dampfenden
Schornsteinen hinweg.
Nur um dann festzustellen,
dass immer wieder die gleiche
Frage in meinen Schädel schießt:
Kann diese gottverdammte
Welt nicht einfach mal
explodieren?