Tagebuch eines Vampirs - Schwarze Mitternacht - Lisa J. Smith - E-Book

Tagebuch eines Vampirs - Schwarze Mitternacht E-Book

Lisa J. Smith

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Beschreibung

Die Spiegel Besteller-Romanvorlage zur beliebten TV-Serie "The Vampire Diaries".

Über 600 Jahre ist es her, dass die Brüder Stefano und Damon zu erbitterten Feinden wurden – und zu Vampiren. Der Kampf der Rivalen ist noch immer nicht entschieden. Denn das Grauen hat viele Gesichter ...
Endlich sind Stefano und Elena wieder in Fell’s Church vereint – da schlägt die Welle des Unheils erneut über ihnen zusammen: Durch einen mysteriösen Zauber verwandelt sich ausgerechnet Damon in einen Menschen – und kehrt in wilder Verzweiflung in die Dunkle Dimension zurück, um wieder zum Vampir zu werden. Als mit ihm auch Bonnie spurlos verschwindet, bleibt Elena und Stefano keine andere Wahl: Um Bonnie zu retten, müssen sie den beiden ins Höllenreich der Nacht folgen ...

Leidenschaftlich und blutdürstig, die Tagebücher eines Vampirs sind ein fesselnder Pageturner mit Suchtgefahr!

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Seitenzahl: 660

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DIE AUTORIN

Lisa J. Smith hat schon früh mit dem Schreiben begonnen. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie noch während ihres Studiums. Sie lebt mit einem Hund, einer Katze und ungefähr 10 000 Büchern im Norden Kaliforniens.

Weitere lieferbare Titel von Lisa J. Smith bei cbt:

Die Tagebuch eines Vampirs-Serie

Im Zwielicht (Band 1) Bei Dämmerung (Band 2) In der Dunkelheit (Band 3) In der Schattenwelt (Band 4) Rückkehr bei Nacht (Band 5) Seelen der Finsternis (Band 6)

Die Night World-Reihe

Engel der VerdammnisPrinz des SchattenreichsJägerin der DunkelheitRetter der NachtGefährten des ZwielichtsTöchter der Finsternis

Der Magische Zirkel

Die Ankunft (Band 1) Der Verrat (Band 2) Die Erlösung (Band 3)

Visionen der Nacht

Die dunkle Gabe (Band 1) Der geheime Bund (Band 2) Der tödliche Bann (Band 3)

Inhaltsverzeichnis

DIE AUTORINWeitere lieferbare Titel von Lisa J. Smith bei cbt:WidmungKAPITEL EINSKAPITEL ZWEIKAPITEL DREICopyright

Für Anne, die Tierflüsterin

Mit Dank an die echte Prinzessin Jessalyn und an Louise Beaudry für ihre Hilfe bei den französischen Übersetzungen

KAPITEL EINS

Liebes Tagebuch,

ich habe solche Angst, dass ich kaum den Stift halten kann. Ich schreibe in Druckschrift statt in Schreibschrift, um überhaupt etwas Leserliches zu Papier zu bringen.

Wovor ich mich fürchte, fragst du? Und wenn ich dir sage: »Vor Damon«, glaubst du mir die Antwort nicht, nicht wenn du uns beide noch vor einigen Tagen gesehen hast. Aber um das zu verstehen, musst du wohl einiges wissen.

Hast du jemals von dem Sprichwort gehört: »Alle Wetten sind gestrichen?«

Es bedeutet, dass alles, wirklich alles möglich ist. Sodass selbst jemand, der für gewöhnlich jede Wette eingeht und die Chancen einschätzen kann, seinen Wettpartnern ihr Geld zurückgibt. Weil ein Joker ins Spiel gekommen ist. Und der macht es schlicht unmöglich, die Chancen so weit zu überschlagen, dass man eine Wette eingehen könnte.

In diesem Zustand befinde ich mich jetzt. Das ist der Grund, warum mir das Herz bis zum Hals schlägt und die Angst mir im Kopf, in den Ohren und in den Fingerspitzen pulsiert.

Alle Wetten sind gestrichen. Alles ist jetzt möglich.

Du kannst sehen, wie zittrig selbst meine Druckbuchstaben sind. Angenommen, meine Hände zittern so wie jetzt, wenn ich zu ihm gehe? Ich könnte das Tablett fallen lassen. Ich könnte Damon verärgern. Und dann wäre alles möglich.

Aber ich merke schon, meine Erklärung taugt nicht viel. Was ich sagen wollte, ist, dass wir wieder da sind: Damon und Meredith und Bonnie und ich. Wir waren in der Dunklen Dimension, und jetzt sind wir wieder zu Hause, mit einer Sternenkugel – und Stefano.

Stefano, der nur durch eine gemeine List an diesen schrecklichen Ort gekommen war. Durch das Versprechen von Shinichi und Misao – , dem Kitsune-Geschwisterpaar, den bösen Fuchsgeistern – die ihm gesagt hatten, in der Dunklen Dimension könne er den Fluch, ein Vampir zu sein, ablegen und wieder ein Mensch werden.

Sie haben gelogen.

In Wirklichkeit haben sie ihn in einem stinkenden Gefängnis sich selbst überlassen, ohne Nahrung, ohne Licht, ohne Wärme … bis er an der Schwelle des Todes stand.

Aber Damon – der damals so anders war – erklärte sich bereit, uns bei der Suche nach Stefano anzuführen. Ach, die Dunkle Dimension kann ich nicht einmal ansatzweise beschreiben. Aber es kommt ja vor allem darauf an: Wir fanden Stefano! Und zuvor hatten wir bereits die doppelten Fuchsschlüssel gefunden und in unseren Besitz gebracht, jene Schlüssel, die wir brauchten, um ihn freizulassen. Aber – er war nur noch ein Skelett, der arme Kerl. Wir haben ihn auf seiner Pritsche – die Matt später verbrannt hat, weil sie vor Ungeziefer nur so wimmelte – aus dem Gefängnis getragen. Und als wir endlich wieder bei Mrs Flowers zu Hause waren, habe ich ihn gebadet und zu Bett gebracht … und dann haben wir ihm zu trinken gegeben. Ja, von unserem Blut. Alle Menschen aus unserer kleinen Schar haben es getan, bis auf Mrs Flowers, die damit beschäftigt war, ihm Breiumschläge für die Stellen zu machen, an denen ihm beinahe die armen Knochen aus der Haut stachen.

Sie haben ihn so verhungern lassen! Ich könnte sie eigenhändig umbringen – oder mit meinen Flügeln der Macht, wenn ich sie nur richtig benutzen könnte. Aber ich kann es nicht. Ich weiß, es gibt eine Beschwörungsformel für die Flügel der Zerstörung, aber ich habe keine Ahnung, wie sie lautet.

Aber wenigstens durfte ich erleben, wie Stefano aufblühte, als er mit menschlichem Blut genährt wurde. (Ich gebe zu, dass ich ihm einige Extraportionen gegeben habe, die nicht auf seiner Speisekarte standen. Aber ich müsste eine komplette Vollidiotin sein, um nicht genau zu wissen, wie sich mein Blut von dem der anderen unterscheidet – es ist viel gehaltvoller, und es hat Stefano unendlich gutgetan.)

Und so hat Stefano sich hinreichend erholt, dass er am nächsten Tag allein nach unten gehen konnte, um Mrs Flowers für ihre Medizin zu danken!

Doch wir Übrigen – das heißt, alle Menschen – waren vollkommen erschöpft. Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken daran, was wohl aus dem Blumenstrauß geworden war, denn wir wussten nicht, dass es etwas Besonderes damit auf sich hatte. Wir hatten ihn kurz vor unserem Verlassen der Dunklen Dimension von einem freundlichen weißen Kitsune bekommen, der in der Zelle gegenüber von Stefano eingekerkert gewesen war, bis wir den Gefängnisausbruch arrangierten. Er war so schön! Ich hätte nie gedacht, dass ein Kitsune so freundlich sein könnte. Aber er hat Stefano diese Blumen gegeben.

Wie dem auch sei, an diesem Morgen war Damon vor uns allen auf den Beinen gewesen. Natürlich hatte er Stefano nichts von seinem eigenen Blut geben können, aber ich denke wirklich, dass er es getan hätte, wenn es möglich gewesen wäre. So war er nämlich drauf, noch vor ein paar Tagen.

Und deshalb verstehe ich nicht, warum ich jetzt solche Angst habe. Wie kann ich mich vor jemandem fürchten, der mich geküsst und geküsst hat … und der mich seinen Liebling und seinen Schatz und seine Prinzessin genannt hat? Und der mit mir gelacht hat, während seine Augen schelmisch tanzten? Und der mich gehalten hat, als ich Angst hatte, und der mir sagte, es gebe keinen Grund, mich zu fürchten, nicht solange er da sei? Jemand, den ich nur anzusehen brauchte, um zu wissen, was er dachte? Jemand, der mich beschützt hat, was immer es ihn auch kostete, und das viele Tage lang? Ich kenne Damon. Ich kenne seine Fehler, aber ich weiß auch, wie es tief in seinem Innern aussieht. Er ist nicht das, was er vorgibt zu sein. Er ist weder kalt noch arrogant noch grausam. Das sind Masken, die er aufsetzt.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob er weiß, dass er nichts von alldem ist. Und im Augenblick ist er vollkommen durcheinander. Er könnte sich verändern und all diese Eigenschaften tatsächlich annehmen – weil er so verwirrt ist.

Was ich zu sagen versuche, ist dies: An jenem Morgen war nur Damon wirklich wach. Er war der Einzige, der den Blumenstrauß bemerkte. Und eine Eigenschaft, die man ihm wirklich nicht absprechen kann, ist Neugier.

Also löste er all die magischen Schutzzauber, die den Strauß umgaben, und fand in dessen Mitte eine einzige pechschwarze Rose. Damon war seit Jahren auf der Suche nach einer schwarzen Rose gewesen, einfach nur, um sie zu bewundern, denke ich. Und als er nun endlich eine gefunden hatte, roch er daran … und Peng! Die Rose war verschwunden!

Und ihm wurde plötzlich schlecht und schwindlig und er konnte überhaupt nichts mehr riechen und auch all seine anderen Sinne waren betäubt. Das war der Punkt, an dem Sage – oh, Sage habe ich noch gar nicht erwähnt, aber er ist ein großer bronzefarbener, hinreißend attraktiver Schrank von einem Vampir, der uns allen ein wirklich guter Freund war – ihm erklärte, er solle Luft einsaugen und in seine Lungen pressen.

Menschen müssen nämlich auf diese Weise atmen.

Ich weiß nicht, wie lange Damon gebraucht hat, um zu begreifen, dass er wirklich ein Mensch war, ohne Witz, und dass es nichts gab, was er dagegen tun konnte. Die schwarze Rose war für Stefano bestimmt gewesen und hätte ihm seinen Traum verwirklicht, wieder ein Mensch zu werden. Aber als Damon begriff, dass die Rose ihre Magie bei ihm gewirkt hatte …

In diesem Augenblick sah ich, wie er mich anstarrte und mich mit dem Rest meiner Spezies in einen Topf warf – einer Spezies, die er zu hassen und zu verachten gelernt hatte.

Seither habe ich es nicht wieder gewagt, ihm in die Augen zu sehen. Ich weiß, dass er mich noch vor wenigen Tagen geliebt hat. Ich wusste nicht, dass sich Liebe in – nun – in all die Dinge, die er jetzt in Bezug auf sich selbst empfindet, verwandeln kann.

Man sollte denken, es sei für Damon ein Leichtes, wieder ein Vampir zu werden. Aber er will ein so mächtiger Vampir werden, wie er es war – und es gibt hier niemanden, der diese Macht besitzt und der sein Blut mit ihm tauschen könnte. Selbst Sage war verschwunden, bevor Damon ihn fragen konnte. Also bleibt Damon nichts anderes übrig, als auf irgendeinen starken, mächtigen und angesehenen Vampir zu hoffen, der die ganze Prozedur seiner Verwandlung vollziehen könnte.

Und jedes Mal, wenn ich Stefano in die Augen sehe – in diese juwelgrünen Augen, die von Vertrauen und Dankbarkeit warm leuchten –, verspüre ich ebenfalls Angst. Angst davor, dass er mir irgendwie wieder entrissen wird – direkt aus meinen Armen. Und … Angst, dass er herausfinden wird, wie sich meine Gefühle für Damon entwickelt haben. Ich hatte nicht einmal selbst begriffen, wie viel Damon mir inzwischen bedeutete. Und ich kann meine Gefühle … für ihn … nicht auslöschen, selbst wenn er mich jetzt hasst.

Und ja, verdammt, ich weine! In einer Minute muss ich gehen und ihm sein Abendessen bringen. Er muss halb verhungert sein, aber als Matt vorhin versuchte, ihm etwas zu geben, hat Damon das ganze Tablett nach ihm geworfen.

Oh, bitte, Gott, bitte, mach, dass er mich nicht hasst!

Ich weiß, dass es egoistisch ist, nur von Damon und mir zu sprechen. Ich meine, in Fell’s Church stehen die Dinge schlimmer denn je. Mit jedem Tag wächst die Zahl der Kinder, die besessen sind und ihre Eltern in Angst und Schrecken versetzen. Mit jedem Tag wächst der Zorn der Eltern auf ihre besessenen Kinder. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was da vorgeht. Wenn sich nicht etwas ändert, wird ganz Fell’s Church vernichtet werden, genau wie die letzte Stadt, die Shinichi und Misao besucht haben.

Shinichi … er hat eine Menge Vorhersagen über uns, die Clique, gemacht, über Dinge, die wir voreinander geheim gehalten haben. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich die Auflösung auch nur eines seiner Rätsel hören will.

In dieser Lage gibt es für uns aber wenigstens eine glückliche Fügung. Familie Saitou steht auf unserer Seite und hilft uns. Du erinnerst dich an Isobel Saitou, die sich, als sie besessen war, so schrecklich gepierct hatte? Seit sie sich erholt hat, ist sie uns eine gute Freundin geworden, und ihre Mutter, Mrs Saitou, und ihre Großmutter, Obaasan, ebenfalls. Sie versorgen uns mit Amuletten – Zaubern, um das Böse fernzuhalten, geschrieben auf Klebezetteln oder kleinen Karten. Wir sind sehr dankbar für diese Art Hilfe. Vielleicht können wir ihnen etwas davon eines Tages zurückgeben.

Elena Gilbert legte widerstrebend den Stift beiseite. Sobald sie ihr Tagebuch schloss, würde sie sich den Dingen stellen müssen, von denen sie gerade noch geschrieben hatte. Doch irgendwie gelang es ihr, sich dazu zu zwingen, nach unten in die Küche zu gehen und sich von Mrs Flowers, die sie ermutigend anlächelte, das Essenstablett geben zu lassen.

Während sie sich auf den Weg zum sogenannten Bunker, dem Lagerraum der Pension, machte, bemerkte sie, wie ihre Hände so sehr zitterten, dass alles auf dem Tablett klirrte. Der Lagerraum war ein Anbau beim Küchengarten und nur von außen zugänglich und jetzt nannten sie alle ihn nur noch »Damons Bunker«.

Im Garten warf Elena einen Seitenblick auf das Loch in der Mitte des Angelikabeets; dort befand sich die jetzt deaktivierte Pforte, durch die sie aus der Dunklen Dimension zurückgekehrt waren.

An der Tür zum Lagerraum zögerte sie. Sie zitterte noch immer, und sie wusste, dass sie Damon nicht so gegenübertreten sollte.

Entspann dich einfach, sagte sie sich. Denk an Stefano.

Für Stefano war es ein schwerer Schlag gewesen zu erfahren, dass von der Rose nichts übrig geblieben war. Aber nach einem ersten Wutausbruch hatte er bald zu seiner gewohnten Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit zurückgefunden, Elena über die Wange gestrichen und gesagt, er sei dankbar, einfach nur mit ihr zusammen sein zu können. Diese Nähe sei alles, was er vom Leben verlange. Saubere Kleider, anständiges Essen – Freiheit –, all diese Dinge seien es wert, darum zu kämpfen. Aber Elena war ihm das Wichtigste. Und Elena hatte geweint.

Auf der anderen Seite … Sie wusste, dass Damon nicht die Absicht hatte, so zu bleiben, wie er jetzt war. Er würde alles tun, alles riskieren … um sich zurückzuverwandeln.

Tatsächlich war es Matt gewesen, der die Idee geäußert hatte, dass die Sternenkugel eine Lösung für Damons Zustand sein könne. Matt hatte weder verstanden, was es mit der Rose noch mit der Sternenkugel auf sich hatte. Bis Elena ihm erklärt hatte, dass diese Sternenkugel, die wahrscheinlich Misao gehörte, in ihrem Innern fast deren gesamte Macht enthielt, und dass diese Kugel umso mehr leuchtete, je mehr Menschenleben sie in sich aufnahm. Die schwarze Rose war wahrscheinlich mit der Flüssigkeit aus einer ähnlichen Sternenkugel erschaffen worden – konnte aber auch noch andere, unbekannte Elemente enthalten. Und da hatte Matt stirnrunzelnd gefragt, ob die Sternenkugel, wenn die Rose schon einen Vampir in einen Menschen verwandeln konnte, vielleicht auch einen Menschen in einen Vampir verwandeln könne?

Damon hatte langsam den Kopf gehoben, und sie hatte den Schimmer in seinen Augen gesehen, als er seinen Blick auf die mit Macht gefüllte Sternenkugel am anderen Ende des Raums richtete. Elena hatte ihm praktisch ansehen können, was in seinem Kopf vorging. Matt mochte total danebenliegen … aber einen Ort gab es, von dem man gewiss sagen konnte, dass dort mächtige Vampire waren. Die Dunkle Dimension – zu der es im Garten der Pension eine Pforte gab. Jene Pforte, die im Augenblick geschlossen war … wegen Mangels an Macht.

Im Gegensatz zu Stefano würde Damon keinen Gedanken daran verschwenden, dass es Misaos Tod bedeutete, wenn er die gesamte Flüssigkeit der Sternenkugel für die Öffnung der Pforte benutzen würde. Schließlich war sie einer der beiden Füchse, die Stefano in der Dunklen Dimension seinem sicheren und qualvollen Ende überlassen hatten.

Deshalb war jetzt alles möglich.

Okay, du hast Angst; jetzt stell dich deiner Angst, sagte Elena sich grimmig. Damon ist jetzt seit fast fünfzig Stunden in diesem Bunker – und niemand weiß, welche Pläne er geschmiedet hat, um an die Sternenkugel zu kommen. Trotzdem muss ihn irgendjemand dazu bringen, etwas zu essen – und wenn du »irgendjemand« sagst, dann bist du selbst gemeint.

Elena hatte so lange an der Tür gestanden, dass ihre Knie steif wurden. Sie holte tief Luft und klopfte an.

Es kam keine Antwort und es ging auch kein Licht im Raum an. Damon war ein Mensch. Und hier draußen war es jetzt schon ziemlich dunkel.

»Damon?« Es sollte ein Ruf sein. Es war ein Flüstern.

Keine Antwort. Kein Licht.

Elena schluckte. Er musste dort drin sein.

Elena klopfte lauter. Nichts. Schließlich versuchte sie es mit dem Türknauf. Zu ihrem plötzlichen Entsetzen war die Tür unverschlossen und schwang auf. Der Raum dahinter war so dunkel wie die Nacht um Elena herum, wie die Öffnung einer Grube.

Die feinen Härchen in Elenas Nacken stellten sich auf.

»Damon, ich komme jetzt rein«, gelang es ihr zu flüstern, als wolle sie sich mit ihrer leisen Stimme davon überzeugen, dass niemand da war. »Im Schein des Verandalichts wirst du meinen Schatten erkennen können. Ich kann nichts sehen, also liegen alle Vorteile bei dir. Ich trage ein Tablett mit sehr heißem Kaffee, Keksen und rohem Hackfeisch ohne Gewürze. Du müsstest den Kaffee riechen können.«

Es war seltsam. Denn gleichzeitig sagten Elenas Sinne ihr, dass niemand direkt vor ihr stand, um darauf zu warten, dass sie buchstäblich in ihn hineinlief. In Ordnung, dachte sie. Fang mit Babyschritten an. Schritt eins. Schritt zwei. Schritt drei – ich muss jetzt schon ziemlich weit im Raum stehen, aber es ist immer noch zu dunkel, um etwas zu sehen. Schritt vier …

Ein starker Arm schoss aus der Dunkelheit und schlang sich in einem eisernen Griff um ihre Taille, dann drückte sich ein Messer an ihre Kehle.

Elena sah eine Schwärze, die plötzlich von einem grauen Netz durchschossen wurde, bevor sie die Dunkelheit umfing und überwältigte.

KAPITEL ZWEI

Elena konnte nicht länger als einige Sekunden ohnmächtig gewesen sein. Als sie wieder zu sich kam, war alles unverändert – obwohl sie sich fragte, wie sie es geschafft hatte, sich an dem Messer nicht die Kehle durchzuschneiden.

Sie wusste, dass das Tablett mit den Tellern und der Tasse in die Dunkelheit geflogen war, als sie unwillkürlich die Arme hochgerissen hatte. Aber jetzt erkannte sie den Griff, erkannte den Geruch, und sie verstand den Grund für das Messer. Und für diese Erkenntnis war sie dankbar, denn sie war einfach nicht der Typ, der in Ohnmacht fiel!

Jetzt zwang sie sich, in Damons Armen zu erschlaffen, wobei sie die Stelle mied, an die er das Messer hielt. Um ihm zu zeigen, dass sie keine Bedrohung darstellte.

»Hallo, Prinzessin«, erklang eine Stimme wie schwarzer Samt an ihrem Ohr. Elena verspürte ein inneres Schaudern – aber es war kein Schaudern der Furcht. Nein, es war eher so, als schmelze sie dahin. Aber er hielt sie weiter fest.

»Damon …«, sagte sie heiser. »Ich bin hier, um dir zu helfen. Bitte, lass dir helfen. Um deinetwillen.«

Ebenso plötzlich wie er sie gepackt hatte, lockerte er jetzt den eisernen Griff um ihre Taille. Das Messer drückte sich ihr nicht länger in die Haut. Doch das scharfe, brennende Gefühl an ihrer Kehle genügte, um sie auch weiterhin daran zu erinnern, dass Damon es bereithalten würde. Als eine Art Ersatzreißzähne.

Sie hörte ein Klicken und mit einem Schlag war es viel zu hell im Raum.

Langsam drehte Elena sich zu Damon um. Und selbst jetzt, selbst da er bleich und zerknittert und ausgezehrt vor ihr stand, war er so atemberaubend, dass ihr Herz in eine schier endlose Dunkelheit fortgerissen wurde. Das schwarze Haar, das ihm wirr in die Stirn fiel; die perfekten, wie gemeißelten Züge; der arrogante, sinnliche Mund – im Augenblick zu einer nachdenklichen Linie zusammengepresst …

»Wo ist sie, Elena?«, fragte er knapp. Sie. Nicht: die Sternenkugel . Er wusste, dass sie nicht dumm war, und natürlich wusste er, dass alle in der Pension die Sternenkugel bewusst vor ihm versteckten.

»Ist das alles, was du von mir wissen willst?«, flüsterte Elena.

Sie sah, wie ein Ausdruck der Hilflosigkeit in seine Augen trat, und er machte einen Schritt auf sie zu, als könne er sich nicht bezähmen. Aber schon im nächsten Moment erbitterte sich sein Gesicht wieder. »Sag es mir, dann sehen wir weiter.«

»Ich … verstehe. Nun, wir haben ein System beschlossen, vor zwei Tagen«, antwortete Elena leise. »Jeder zieht ein Los. Wer das Los mit dem X darauf zieht, nimmt die Kugel vom Küchentisch und alle anderen gehen dann in ihre Zimmer und bleiben dort, bis er die Sternenkugel versteckt hat. Ich habe heute nicht das Los gezogen, also weiß ich nicht, wo sie ist. Aber du kannst mich auf die Probe stellen – prüfe mich.« Elena spürte, wie sie sich innerlich wand, als sie die letzten Worte sagte. Sie fühlte sich weich und hilflos und verletzlich.

Damon beugte sich vor und schob langsam eine Hand in ihr Haar. Er konnte ihren Kopf gegen eine Wand schmettern oder sie quer durch den Raum schleudern. Er konnte ihr einfach mit dem Messer die Kehle durchschneiden. Elena wusste, dass er in der Stimmung war, seine Gefühle an einem Menschen auszulassen. Aber sie tat nichts. Sagte nichts. Stand nur da und sah ihm in die Augen.

Langsam beugte Damon sich noch weiter zu ihr vor und strich mit seinen Lippen – ganz sachte – über ihre. Elena fielen die Augen zu. Aber im nächsten Moment zuckte Damon zusammen und zog die Hand aus ihrem Haar.

Das war der Augenblick, in dem Elena noch einmal darüber nachdachte, was aus dem Essen geworden sein musste, das sie mitgebracht hatte. Brühheißer Kaffee schien ihr über Hand und Arm gespritzt zu sein und ihr die Jeans an einem Oberschenkel durchweicht zu haben. Tasse und Unterteller lagen in Scherben auf dem Boden. Das Tablett und die Kekse waren hinter einen Stuhl geflogen. Der Teller mit dem rohen Hackfleisch war jedoch seltsamerweise richtig herum auf dem Sofa gelandet. Das Besteck lag in alle Richtungen verstreut.

Elena ließ vor Angst und Schmerz Kopf und Schultern hängen. Dies war im Augenblick ihre Welt – Angst und Schmerz. Die sie überwältigten. Sie war normalerweise keine Heulsuse, aber sie konnte die Tränen nicht aufhalten, die ihre Augen füllten.

Verdammt!, dachte Damon.

Es war ie. Elena. Er war hundertprozentig sicher gewesen, dass ein Gegner ihn ausspionierte, dass einer seiner vielen Feinde ihn aufgespürt hatte und ihm eine Falle stellte … jemand, der entdeckt hatte, dass er jetzt so schwach war wie ein Kind.

Ihm war nicht einmal der Gedanke gekommen, dass sie es sein könnte, bis er mit einem Arm ihren weichen Körper umfangen hatte und den Duft ihres Haares roch, während er ihr mit der anderen Hand eine Klinge, so glatt wie Eis, an die Kehle presste.

Und dann hatte er das Licht angeknipst und gesehen, was er bereits erraten hatte. Unglaublich! Er hatte sie nicht erkannt. Er war draußen im Garten gewesen, als er gesehen hatte, dass die Tür zum Lagerraum offen stand, und er hatte sofort gewusst, dass dort ein Eindringling war. Aber so geschwächt, wie seine Sinne waren, hatte er ihn nicht erkennen können.

Es gab keine Rechtfertigung für diese Tatsachen: Er hatte Elena wehgetan und ihr Angst gemacht. Er hatte ihr wehgetan. Und statt sich zu entschuldigen, hatte er versucht, für seine eigenen selbstsüchtigen Zwecke die Wahrheit mit Gewalt aus ihr herauszuholen.

Und jetzt, ihre Kehle …

Sein Blick wanderte zu der dünnen Linie roter Tröpfchen an Elenas Hals, wo das Messer ihre Haut aufgeritzt hatte, als sie aufgrund des Gefühls der Klinge auf ihrer Haut zusammengezuckt war. War sie ohnmächtig geworden? Sie hätte in diesem Moment sterben können, in seinen Armen, wenn er nicht schnell genug gewesen wäre, das Messer wegzureißen.

Er sagte sich immer wieder, dass er keine Angst vor ihr hatte. Dass er das Messer lediglich geistesabwesend weiter in der Hand behielt. Aber er konnte sich selbst nicht davon überzeugen.

»Ich war draußen. Weißt du, dass wir Menschen nicht sehen können?«, fragte er, wohl wissend, dass er gleichgültig klang, als bereue er nichts. »Es ist, als sei man die ganze Zeit in Baumwolle eingewickelt, Elena: Wir können nicht sehen, wir können nicht riechen, können nicht hören. Meine Reflexe sind wie die einer Schildkröte und ich bin halb verhungert. «

»Warum probierst du dann nicht mein Blut?«, fragte Elena und klang dabei unerwartet ruhig.

»Ich kann nicht«, antwortete Damon und versuchte, nicht die zierliche rubinrote Halskette anzustarren, aus der einzelne Rinnsale von Blut Elenas schlanke weiße Kehle hinabflossen.

»Ich habe mich bereits geschnitten«, sagte Elena, und Damon dachte: Du hast dich geschnitten? Bei allen Göttern, das Mädchen ist unbezahlbar. Als hätte es einen kleinen Küchenunfall gehabt.

»Also können wir jetzt ganz einfach feststellen, ob dir menschliches Blut noch schmeckt«, fuhr Elena fort.

»Nein.«

»Du weißt, dass du es probieren wirst. Ich weiß, dass du es weißt. Aber wir haben nicht viel Zeit. Mein Blut wird nicht ewig fließen. Oh, Damon – nach allem … erst letzte Woche …«

Er sah zu lange hin, das wusste er. Aber er sah nicht nur das Blut. Er betrachtete ihre herrliche goldene Schönheit, als sei das Kind eines Sonnenstrahls und eines Mondstrahls in seinen Raum getreten und bade ihn in seinem unschuldigen Licht.

Mit einem Zischen kniff Damon die Augen zusammen und packte Elena an den Armen. Er erwartete, dass sie automatisch zurückzuckte, wie vorhin, als er sie von hinten gepackt hatte. Aber sie bewegte sich keinen Schritt rückwärts. Stattdessen loderte so etwas wie eine eifrige Flamme in diesen großen lapislazulifarbenen Augen auf. Elena öffnete unwillkürlich die Lippen.

Er wusste, dass sie es unwillkürlich tat. Er hatte viele Jahre Zeit gehabt, um die Reaktionen junger Frauen zu studieren. Er wusste, was es bedeutete, als ihr Blick zuerst auf seine Lippen fiel, bevor sie ihn zu seinen Augen hob.

Ich darf sie nicht noch einmal küssen. Ich darf nicht. Es ist eine menschliche Schwäche, ihre Wirkung auf mich. Sie begreift nicht, was es heißt, so jung und so verboten schön zu sein. Sie wird es eines Tages noch lernen … Tatsächlich könnte sie es aber auch jetzt lernen, von mir …

Als könne sie ihn hören, schloss Elena die Augen. Sie ließ den Kopf in den Nacken fallen, und plötzlich stellte Damon fest, dass er die Hälfte ihres Gewichts stützte. Sie gab jeden Gedanken an sich selbst auf und zeigte ihm, dass sie ihm trotz allem immer noch vertraute, ihn immer noch …

… immer noch liebte. Damon wusste selbst nicht, was er tun würde, als er sich zu ihr vorbeugte. Er hatte wirklich Hunger. Der Hunger zerriss ihn wie die Klauen eines Wolfs. Er machte ihn benommen, schwindelig, unbeherrscht. Über ein halbes Jahrtausend hatte ihn zu dem Glauben geführt, dass nur eins diesen Hunger linderte: die dunkelrote Fontäne einer aufgerissenen Arterie. Eine dunkle Stimme, die vom Hof der Hölle selbst hätte kommen können, flüsterte ihm zu, dass er tun könne, was Vampire taten, dass er eine Kehle aufreißen könne wie ein Werwolf. Warmes Fleisch würde den Hunger eines Menschen vielleicht lindern. Was würde er tun, so nah an Elenas Lippen, so nah ihrer blutenden Kehle?

Zwei Tränen glitten unter ihren dunklen Wimpern hervor und rollten ein kleines Stück über ihr Gesicht, bevor sie in goldenes Haar fielen. Noch bevor er darüber nachdenken konnte, kostete Damon eine.

Immer noch Jungfrau. Nun, das war zu erwarten; Stefano war immer noch ziemlich schwach. Aber ein Bild überlagerte den zynischen Gedanken, zusammen mit einigen wenigen Worten: ein Geist, so rein wie verwehter Schnee.

Plötzlich erkannte er einen anderen Hunger, einen anderen Durst. Die einzige Quelle, um dieses Verlangen zu stillen, war ganz in der Nähe. Verzweifelt und drängend suchte und fand er Elenas Lippen. Und dann verlor er jede Kontrolle. Was er am dringendsten brauchte, war hier. Und Elena mochte zittern, aber sie stieß ihn nicht weg.

Er tauchte ein in eine Aura, die so golden war wie das Haar, dessen Spitzen er sachte berührte. Es bereitete ihm Freude, dass sie vor Wonne schauderte, und er begriff, dass er ihre Gedanken spüren konnte. Seine telepathischen Fähigkeiten waren die einzige Macht, die ihm geblieben war. Er hatte keine Ahnung, warum er sie noch besaß, aber er besaß sie. Und im Moment wollte er sich ganz auf Elena einstellen.

Aber … Dieses verfixte Mädchen! Sie dachte im Augenblick überhaupt nichts! Elena hatte ihm die Kehle dargeboten, sich vollkommen ausgeliefert und jeden Gedanken fortgeschoben außer dem, dass sie ihm helfen wollte, dass seine Wünsche ihre Wünsche waren. Und jetzt war sie zu tief in den Kuss versunken, um auch nur ansatzweise Pläne zu schmieden – was für sie etwas Außergewöhnliches war.

Sie liebt dich, sagte der winzige Teil von ihm, der noch denken konnte.

Sie hat es nie gesagt! Sie liebt Stefano!, antwortete irgendein Instinkt in ihm.

Sie braucht es nicht zu sagen. Sie zeigt es. Tu nicht so, als hättest du es nicht schon früher bemerkt!

Aber Stefano …!

Denkt sie jetzt auch nur im Geringsten an Stefano? Sie hat den Wolfshunger in dir willkommen geheißen. Das ist keine schnelle Nummer, kein kleiner Imbiss, und auch nicht das Angebot einer regelmäßigen Versorgung. Das ist Elena selbst.

Dann habe ich sie ausgenutzt. Wenn sie verliebt ist, kann sie sich nicht beschützen. Sie ist noch ein Kind. Ich muss etwas tun.

Die Küsse hatten jetzt einen Punkt erreicht, an dem selbst die winzige Stimme verebbte. Elena konnte nicht länger stehen. Er würde sie entweder irgendwo hinlegen müssen oder ihr eine Chance geben, sich zurückzuziehen.

Elena! Elena! Verdammt, ich weiß, du kannst mich hören. Antworte!

Damon?, kam es schwach zurück. Oh, Damon, jetzt verstehst du …?

Nur allzu gut, meine Prinzessin. Ich habe dich manipuliert, also muss ich es verstehen.

Du … hast? Nein, du lügst!

Warum sollte ich lügen? Aus irgendeinem Grund ist meine Telepathie so stark wie eh und je. Ich will immer noch, was ich will. Aber du willst vielleicht eine Minute nachdenken, Jungfer. Ich brauche dein Blut nicht zu trinken. Ich bin ein Mensch und im Augenblick bin ich vollkommen ausgehungert. Aber nicht nach diesem ekligen blutigen Hamburger, den du mir gebracht hast.

Elena löste sich von ihm. Damon ließ sie los.

»Ich glaube, du lügst«, sagte sie und sah ihm direkt in die Augen. Ihr Mund war vom Kuss geschwollen.

Damon verschloss ihren Anblick in dem Felsbrocken voller Geheimnisse, den er mit sich herumschleppte. Er bedachte sie mit seinem besten undurchdringlichen Blick aus ebenholzschwarzen Augen. »Warum sollte ich lügen?«, wiederholte er. »Ich dachte nur, du verdienst eine Chance, deine eigene Entscheidung zu treffen. Oder hast du bereits beschlossen, den kleinen Bruder fallen zu lassen, solange er nicht dienstfähig ist?«

Elena riss die Hand hoch, ließ sie dann aber wieder fallen. »Du hast mich manipuliert«, sagte sie voller Bitterkeit. »Ich bin nicht ich selbst. Ich würde Stefano niemals im Stich lassen – erst recht nicht, wenn er mich braucht.«

Da war es, das reine Feuer im Kern ihres Wesens und die feurige goldene Wahrheit. Jetzt konnte er sich hinsetzen und von Bitterkeit verzehren lassen, während dieser reine Geist seinem Gewissen folgte.

Noch während er diesem Gedanken nachhing und bereits den Verlust ihres blendenden Lichtes spürte, stellte er fest, dass er das Messer nicht länger in der Hand hielt. Einen Augenblick später – sein Schrecken konnte mit seiner Reaktion nicht ganz Schritt halten – riss er es von ihrer Kehle weg. Sein telepathischer Ausbruch war ein reiner Reflex:

Was zur Hölle tust du da? Willst du dich umbringen wegen der Dinge, die ich gesagt habe? Diese Klinge ist wie ein Rasiermesser!

Elena stockte. »Ich wollte nur einen winzigen Schnitt machen …«

»Du hast beinahe einen Schnitt gemacht, aus dem das Blut zwei Meter hoch gesprudelt wäre!« Zumindest war er wieder in der Lage zu sprechen, obwohl seine Kehle wie zugeschnürt war.

Auch Elena hatte wieder sicheren Boden unter den Füßen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich Bescheid weiß. Dir ist doch wohl selbst klar, dass du Blut kosten musst, bevor du versuchst zu essen. Es fühlt sich an, als würde es mir am Hals hinunterfließen. Lass es uns nicht wieder verschwenden. «

Sie sagte nur die Wahrheit. Zumindest hatte sie sich nicht ernsthaft verletzt. Er konnte sehen, dass frisches Blut aus dem neuen Schnitt quoll, den sie sich so verwegen zugefügt hatte. Es zu verschwenden, wäre idiotisch gewesen.

Damon fasste sie abermals an den Schultern, jetzt jedoch vollkommen leidenschaftslos. Er drückte ihr Kinn hoch, um ihre weiche, gerundete Kehle zu betrachten. Aus mehreren neuen rubinroten Schnitten strömte das Blut.

Die Instinkte eines halben Jahrtausends sagten Damon, dass dort Nektar und Ambrosia warteten. Dort warteten Nahrung und Ruhe und Euphorie. Hier, wo seine Lippen waren, als er sich ein zweites Mal über sie beugte … und er brauchte es nur zu kosten – zu trinken …

Damon prallte zurück und versuchte, sich zum Schlucken zu zwingen, entschlossen, das Blut nicht auszuspucken. Es war nicht … es war nicht vollkommen abstoßend. Er konnte verstehen, wieso Menschen mit ihren minderwertigen Sinnen die tierischen Varianten des Bluts nutzten. Aber dieses gerinnende, nach Mineralien schmeckende Zeug war kein Blut … es hatte nichts von dem duftenden Bouquet, der berauschenden, reichen Fülle, der süßen, samtenen, provozierenden, lebenspendenden, unbeschreiblichen Eigenschaften von Blut.

Es musste eine Art schlechter Scherz sein. Er war versucht, Elena zu beißen, nur um einen Eckzahn über die Halsschlagader zu ziehen, einen winzigen Kratzer zu machen, damit er die kleine Fontäne kosten konnte, die auf seinem Gaumen explodieren würde – um zu vergleichen, um sich davon zu überzeugen, dass nicht irgendwo dort drin das richtige Blut war. Er fühlte sich nicht nur versucht; er tat es. Aber es kam kein Blut.

Er hielt inne. Da – er hatte tatsächlich einen Kratzer gemacht. Aber auch nicht mehr. Er hatte nicht einmal die äußere Schicht von Elenas Haut durchdrungen.

Stumpfe Zähne.

Unwillkürlich presste Damon die Zunge auf einen Eckzahn, wollte ihn zwingen, sich auszufahren, wollte ihn mit seiner ganzen beengten, frustrierten Seele zwingen, sich zu schärfen.

Und … nichts. Nichts. Aber im Grunde hatte er schon den ganzen Tag damit verbracht, genau das zu tun. Damon fühlte sich elend. Er erlaubte Elena, den Kopf wieder zu drehen.

»Das war es?«, fragte sie zittrig. Sie bemühte sich so sehr, ihm gegenüber tapfer zu sein! Die arme, dem Untergang geweihte weiße Seele mit ihrem dämonischen Geliebten. »Damon, du kannst es noch einmal versuchen«, sagte sie. »Du kannst fester zubeißen.«

»Es hat keinen Sinn«, blaffte er. »Du bist nutzlos …«

Elena glitt beinahe zu Boden. Er hielt sie aufrecht, während er ihr ins Ohr knurrte: »Du weißt, was ich damit gemeint habe. Oder möchtest du lieber mein Abendessen sein als meine Prinzessin?«

Elena schüttelte nur stumm den Kopf. Sie ruhte in seinen Armen, den Kopf an seine Schulter gebettet. Kein Wunder, dass sie nach allem, was sie seinetwegen durchgemacht hatte, Ruhe brauchte. Aber was die Frage betraf, wie sie an seiner Schulter Trost finden konnte … nun, das überstieg seinen Verstand.

Sage! Damon sandte den zornigen Gedanken auf allen Frequenzen aus, zu denen er Zugang fand, wie er es schon den ganzen Tag über getan hatte. Wenn er nur Sage finden konnte, würden all seine Probleme gelöst sein. Sage, fragte er scharf, wo bist du?

Keine Antwort. Nach allem, was Damon wusste, war es Sage gelungen, durch die Pforte zur Dunklen Dimension in Mrs Flowers’ Garten zu entkommen, die für ihn jetzt ebenso macht- wie nutzlos war. Er hatte Damon hier einfach zurückgelassen, ausgesetzt. Sage war immer so irrsinnig schnell, wenn er sich davonmachte.

Aber warum hatte er sich davongemacht?

Eine Vorladung bei Hof? Manchmal bekam Sage eine solche Vorladung. Von dem Gefallenen, der am Hof der Hölle residierte, in der tiefsten der Dunklen Dimensionen. Und wenn Sage tatsächlich eine solche Vorladung bekam, erwartete man von ihm, dass er sich auf der Stelle in dieser Dimension einfand, mitten im Wort, dass er gerade sprechen mochte, mitten in einer Zärtlichkeit, die er gerade austauschte, mitten in – was auch immer. Bisher war Sage das immer gelungen, das wusste Damon. Er wusste es, weil Sage noch lebte.

An jenem Nachmittag, nachdem Damon katastrophalerweise den Strauß untersucht hatte, hatte Sage auf dem Kaminsims einen höflichen Brief hinterlassen, in dem er sich bei Mrs Flowers für ihre Gastfreundschaft bedankte, und er hatte sogar seinen riesigen Hund, Saber, und seinen Falken, Talon, zum Schutz des Haushalts zurückgelassen – den Brief hatte er zweifellos schon vorbereitet gehabt. Er war gegangen, wie er immer ging, so unberechenbar wie der Wind und ohne Auf Wiedersehen zu sagen. Gewiss hatte er gedacht, dass Damon mühelos einen Ausweg finden würde. Es gab schließlich eine ganze Reihe von Vampiren in Fell’s Church. Die hatte es hier schon immer gegeben. Die Linien purer Macht zogen sie selbst in normalen Zeiten hierher.

Das Problem war, dass gerade im Augenblick all diese Vampire von Malach verseucht waren – Parasiten, die von den bösen Fuchsgeistern kontrolliert wurden. Tiefer konnte man in der Hierarchie der Vampire wahrlich nicht sinken.

Und natürlich war Stefano vollkommen nutzlos. Selbst wenn er nicht so schwach gewesen wäre, dass ihn der Versuch, Damon in einen Vampir zurückzuverwandeln, getötet hätte; und selbst wenn er seine Wut hätte überwinden können, dass Damon ihm »seine Menschlichkeit gestohlen« hatte, wäre er niemals dazu bereit gewesen. Denn er war der Meinung, dass Vampirismus ein Fluch sei.

Die Menschen wussten nichts über die Hierarchie der Vampire, weil es sie nicht betraf – bis es sie plötzlich dann doch betraf, meist, weil sie selbst zum Vampir geworden waren … Die Hierarchie der Vampire war streng und reichte von den Nutzlosen und Unwürdigen ganz unten hinauf zur reißzahnbewährten Aristokratie. Die Alten gehörten in diese höchste Kategorie, aber auch andere, die besonders glorreich oder mächtig waren.

Und genau so einen Vampir der höchsten Kategorie brauchte Damon. Und er wollte von einer derjenigen Frauen, die Sage kannte, zum Vampir gemacht werden. Er war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass Sage ihm eine qualifizierte Vampirdame suchte, eine, die seiner wirklich würdig war.

Noch andere Dinge quälten Damon, der zwei volle schlaflose Nächte nachgegrübelt hatte. Konnte der weiße Kitsune, der Stefano den Strauß gegeben hatte, tatsächlich eine Rose geschaffen haben, die die erstbeste Person, die an ihr roch, auf Dauer zu einem Menschen machte? Das wäre Stefanos größter Traum gewesen.

Der Fuchs hatte Stefanos Geschwafel Tag um Tag anhören müssen, nicht wahr? Er hatte Elena über Stefano weinen sehen. Er hatte die beiden Turteltauben zusammen beobachtet, während Elena dem sterbenden Stefano gleichsam mit der Hand durch Stacheldraht hindurch schwarzmagischen Wein eingeflößt hatte. Wer wusste schon, welche Ideen dieser Fuchs in seinem pelzigen weißen Kopf hatte, als er die Rose vorbereitete, die Damon von seinem »Fluch« »geheilt« hatte. Wenn es sich als eine unumkehrbare »Heilung« entpuppte …

Wenn sich herausstellte, dass Sage unerreichbar war …

Plötzlich drang der Umstand, dass Elena fror, in Damons Bewusstsein. Es war seltsam, da die Nacht warm war, aber sie schauderte heftig. Sie brauchte seine Jacke, oder …

Sie friert nicht, sagte die winzige Stimme irgendwo tief in seinem Innern. Und sie schaudert nicht. Sie zittert wegen all der Dinge, die du ihr zugemutet hast.

Elena?

Du hast mich völlig vergessen. Du hast mich im Arm gehalten, aber meine Existenz hast du vollkommen vergessen …

Schön wär’s, dachte er verbittert. Du bist in meine Seele eingebrannt.

Mit einem Mal war Damon wütend, aber es war ein anderes Gefühl als sein Zorn auf die Kitsune und Sage und die Welt. Es war die Art von Zorn, die ihm Brust und Kehle zuschnürte.

Es war ein Zorn, der ihn dazu trieb, nach Elenas verbrühter Hand zu greifen, die sich an manchen Stellen schon scharlachrot färbte, und sie zu untersuchen. Er wusste, was er als Vampir getan hätte: Er hätte mit seiner seidigen kühlen Zunge über die Brandwunden gestrichen und chemische Stoffe produziert, um die Heilung zu beschleunigen. Und jetzt … es gab nichts, was er für sie tun konnte.

»Es tut nicht weh«, sagte Elena. Sie konnte jetzt wieder alleine stehen.

»Das stimmt nicht, Prinzessin«, erwiderte er. »Du ziehst die Augenbrauen etwas herunter, die Augen liegen tiefer in ihren Höhlen. Das ist Schmerz. Und dein Puls rast …«

»Das kannst du spüren, ohne mich zu berühren?«

»Ich kann es sehen, an deinen Schläfen. Vampiren«, erklärte er mit bitterer Betonung auf dem, was er immer noch war, im Kern seines Wesens, »fallen solche Dinge auf. Ich habe dich dazu gebracht, dir selbst wehzutun. Und ich kann nichts ausrichten, um dir zu helfen. Außerdem« – er zuckte die Achseln – »bist du eine schöne Lügnerin. Ich meine, was die Sternenkugel betrifft.«

»Du kannst es immerspüren, wenn ich lüge?«

»Engel«, sagte er erschöpft, »es ist ganz einfach. Du bist heute entweder die glückliche Wächterin der Sternenkugel … oder du weißt, wer es ist.«

Elena ließ bestürzt den Kopf hängen.

»Oder aber«, fuhr Damon leichthin fort, »die ganze Geschichte mit den Losen war eine Lüge.«

»Glaub, was du willst«, sagte Elena und dabei flammte zumindest ein klein wenig von ihrem gewohnten Feuer auf. »Und die ganze Schweinerei hier kannst du selber wieder aufräumen.«

Gerade als sie sich zum Gehen wandte, hatte Damon eine Erleuchtung. »Mrs Flowers!«, rief er.

»Falsch«, blaffte Elena.

Elena, ich habe nicht von der Sternenkugel gesprochen. Ich gebe dir mein Wort. Du weißt, wie schwer es ist, telepathisch zu lügen …

Ja, und ich weiß daher, wenn es eine Sache auf der Welt gäbe, die du … üben … würdest …

Sie konnte den Satz nicht beenden. Sie konnte nicht weitersprechen. Elena wusste, wie viel Damons Wort bedeutete. Und dass er es niemals brach.

Ich werde dir niemals verraten, wo sie ist,sandte sie Damon telepathisch. Und ich schwöre dir, dass Mrs Flowers es ebenfalls nicht tun wird.

»Ich glaube dir, aber wir werden trotzdem zu ihr gehen.«

Er hob Elena mühelos hoch und stieg über das zerbrochene Geschirr hinweg. Elena hielt sich automatisch mit beiden Händen an seinem Hals fest, um das Gleichgewicht zu wahren.

»Liebling, was tust du …?«, rief Elena, dann brach sie mit weit aufgerissenen Augen ab und schlug sich die Hand vor die Lippen. In der Tür stand, keine zwei Meter von ihnen entfernt, die zierliche Bonnie McCullough, eine Flasche schwarzmagischen Weins – nicht alkoholisch, aber auf mystische Weise berauschend – in den Händen. Elena sah, wie Bonnies Miene sich binnen eines Augenblicks vollkommen veränderte. Ihre Züge waren voller triumphierenden Glücks gewesen. Aber jetzt trat an dessen Stelle Schock. Und eine fassungslose Ungläubigkeit. Elena wusste genau, was ihre Freundin dachte: Während alle im Haus es sich zum Ziel gesetzt hatten, es Damon so schön wie möglich zu machen, stahl dieser, was rechtmäßig Stefano gehörte: Elena. Außerdem hatte er gelogen, als er behauptete, kein Vampir mehr zu sein. Und Elena wehrte sich nicht mal gegen ihn. Sie nannte ihn »Liebling«!

Bonnie ließ die Flasche fallen, drehte sich um und rannte davon.

KAPITEL DREI

Damon machte einen Satz. Mitten im Sprung spürte Elena, wie sie wieder der Laune der Schwerkraft preisgegeben wurde. Sie versuchte, sich zu einem Ball zusammenzurollen, um den Sturz auf einer Pobacke abzufedern.

Was geschah, war seltsam – beinahe wunderbar. Sie landete in aufrechter Position auf der Hälfte des Sofas, auf der nicht der Teller mit Hackfleisch stand. Der Teller wurde von ihrer Landung zwar kurz in die Höhe katapultiert, acht oder zehn Zentimeter vielleicht, plumpste dann aber wieder dorthin, wo er vorher gestanden hatte.

Elena hatte außerdem das Glück, das Ende der Rettungsaktion genau beobachten zu können – Damon machte einen Hechtsprung und angelte sich die Flasche mit dem kostbaren schwarzmagischen Wein aus der Luft. Er mochte zwar nicht mehr die Art blitzschneller Reflexe haben, die er als Vampir besessen hatte, aber er war immer noch viel, viel schneller als ein gewöhnlicher Mensch. Spring mit dem Mädchen los, wirf das Mädchen auf etwas Weiches, geh in einen Hechtsprung über und schnapp dir im letzten Moment die Flasche, bevor sie auf dem Boden zerschellt. Erstaunlich.

Aber Damon war noch in einer anderen Hinsicht kein Vampir mehr – er war nicht gefeit davor, auf harte Oberflächen zu knallen. Dies wurde Elena erst klar, als sie ihn aufkeuchen hörte; er versuchte zu atmen und konnte es nicht.

Sie dachte krampfhaft nach, ob sie etwas Ähnliches bei einem Sportunfall je erlebt hatte, und – ja, da war etwas: Matt hatte einmal keine Luft mehr bekommen. Der Trainer hatte ihn am Kragen gepackt und ihm auf den Rücken geschlagen.

Elena lief zu Damon, packte ihn unter den Armen und rollte ihn auf den Rücken. Mit aller Kraft zerrte sie ihn in eine sitzende Position hoch. Dann formte sie mit den Händen eine Keule. Sie tat so, als sei sie Meredith, die an der Robert-Lee-High in der Baseball-Mannschaft gewesen war, und schlug Damon so fest sie konnte auf den Rücken.

Und es funktionierte!

Damon japste und dann atmete er wieder. Als geborene Krawattenglattstreicherin kniete Elena sich hin und versuchte, seine Kleider zu ordnen. Doch sobald er wieder richtig Luft bekam, waren seine Glieder nicht länger fügsam unter ihren Fingern. Er drückte sanft ihre Hände aufeinander. Elena fragte sich, ob sie sich möglicherweise so weit über Worte hinaus entwickelt hatten, dass sie nie wieder welche finden würden.

Wie war das alles passiert? Damon hatte sie hochgehoben – vielleicht, weil ihr Bein verbrannt war, oder vielleicht, weil er zu dem Schluss gekommen war, dass Mrs Flowers die Sternenkugel haben müsse. Sie selbst hatte gesagt: »Was tust du da?« Vollkommen unmissverständlich. Und mitten im Satz hatte sie sich selbst »Liebling« sagen hören, und das – aber wer würde ihr das jemals glauben? – hatte keine Verbindung zu irgendetwas gehabt, das sie zuvor getan hatten. Es war ein Versehen gewesen, ein Versprecher.

Aber sie hatte es vor Bonnie gesagt, der Person, die es am ehesten ernst und persönlich nehmen würde. Und dann war Bonnie verschwunden, bevor sie es ihr auch nur erklären konnte.

Liebling! Gerade als sie wieder angefangen hatten zu streiten.

Es war wirklich ein Witz. Denn er würde sich die Sternenkugel einfach holen. Das wusste sie.

Damon allen Ernstes »Liebling« zu nennen … um das zu tun, musste man – musste man … hoffnungslos … hilflos … verzweifelt verlie…

Oh Gott …

Tränen begannen Elena über die Wangen zu laufen. Aber es waren Tränen der Erkenntnis. Elena wusste, dass sie heute nicht gerade in Bestform war. Drei Tage, ohne richtig geschlafen zu haben – zu viele widersprüchliche Gefühle – zu viel des Schreckens allein in den letzten Minuten.

Trotzdem war sie entsetzt festzustellen, dass sich in ihr etwas Grundlegendes verändert hatte.

Es war nichts, worum sie gebeten hätte. Sie hatte schließlich nur darum gebeten, dass die beiden Brüder ihre Fehde beilegten. Sie war dazu geboren, Stefano zu lieben; sie wusste es! Früher einmal war er bereit gewesen, sie zu heiraten. Nun, in der Zwischenzeit war sie von einem Vampir zu einem Geist und zu einer neuen Inkarnation geworden, die vom Himmel gefallen war, und sie konnte nur hoffen, dass er eines Tages bereit sein würde, auch die neue Elena zu heiraten.

Aber die neue Elena war verwirrt, mit ihrem seltsamen, neuen Blut, das auf Vampire wie Raketentreibstoff wirkte im Vergleich zu dem Benzin, das in den Adern der meisten Mädchen zirkulierte; mit ihren Flügeln der Macht, beispielsweise den Flügeln der Erlösung, die sie größtenteilsnicht verstand und die sie ausnahmslos nicht kontrollieren konnte. Obwohl sie sich letztens an den Anfang einer Beschwörung erinnerte und wusste, dass sie den Flügeln der Zerstörung galt. Das, dachte sie erbittert, könnte sich eines Tages als ziemlich nützlich erweisen.

Ihre Flügel der Macht waren für Damon bereits hilfreich gewesen. Damon, der nicht länger einfach ein Verbündeter war, sondern wieder ein Feind-Verbündeter. Der etwas stehlen wollte, das ihre ganze Stadt brauchte.

Elena hatte nicht darum gebeten, sich in Damon zu verlieben – aber, oh Gott, was, wenn sie es bereits getan hatte? Was, wenn sie nichts gegen ihre Gefühle ausrichten konnte? Was konnte sie denn tun?

Sie saß stumm weinend da und wusste, dass sie nichts von alldem jemals Damon erzählen konnte. Er hatte im Allgemeinen, auch wenn Gefühle im Spiel waren, die Gabe der Weitsicht und bewahrte einen klaren Kopf – aber, wie sie nur allzu gut wusste, nicht bei diesem speziellen Thema. Wenn sie ihm sagte, was sie fühlte, bevor sie es selbst recht wusste, würde er sie entführen. Er würde glauben, dass sie Stefano endgültig vergessen hatte, so wie sie ihn heute Abend bereits kurz vergessen hatte.

»Stefano«, wisperte sie. »Es tut mir leid …«

Sie durfte auch Stefano niemals davon erzählen – denn Stefano war ihr Herz.

»Wir müssen Shinichi und Misao schnell loswerden«, sagte Matt mürrisch. »Ich meine, ich muss wirklich bald wieder zu meiner alten Kondition zurückfinden oder die Kent State wird mich mit dem Stempel ›abgelehnt‹ zurückschicken. « Er und Meredith saßen in Mrs Flowers’ warmer Küche, knabberten Ingwerkekse und schauten zu, wie die alte Dame sorgfältig Rindfleisch-Carpaccio zubereitete – das zweite der beiden Rezepte für rohes Rindfleisch in dem antiken Kochbuch, das sie ihr Eigen nannte. »Stefano erholt sich so gut, dass wir in ein paar Tagen sogar ein wenig mit dem Football trainieren könnten.« Und mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme fügte er hinzu: »Wenn nicht die ganze Stadt verrückt und besessen wäre. Ach ja, und wenn die Cops ihre Suche nach mir wegen Carolines Vergewaltigung einstellen würden.«

Bei der Erwähnung von Stefanos Namen spähte Mrs Flowers in einen Kessel, der schon lange auf dem Herd geblubbert hatte und jetzt einen solch Übelkeit erregenden Geruch verströmte, dass Matt nicht wusste, mit wem er größeres Mitleid haben sollte: Mit dem Jungen, der einen riesigen Haufen rohen Fleisches bekommen würde, oder mit dem, der in Kürze versuchen müsste herunterzuwürgen, was immer sich in diesem Kopftopf befand.

»Also – angenommen, du erlebst es noch –, wirst du sehr froh sein, Fell’s Church endlich hinter dir zu lassen?«, fragte Meredith ihn leise.

Matt hatte das Gefühl, als habe sie ihm gerade eine Ohrfeige gegeben. »Machst du Witze?«, erwiderte er und tätschelte Saber mit einem seiner gebräunten nackten Füße. Das gewaltige Tier gab ein Geräusch von sich, das eine Mischung aus Knurren und Schnurren war. »Bevor es so weit ist, wäre es wirklich großartig, mit Stefano ein paar Pässe zu werfen – er ist der beste Tight End, den ich je gesehen habe.«

»Und den du jemals sehen wirst«, rief Meredith ihm ins Gedächtnis. »Ich glaube nicht, dass viele Vampire auf Football stehen, Matt, also denk nicht einmal daran, ihm vorzuschlagen, dass er und Elena mit dir an die Kent State gehen. Denn ich werde dir Konkurrenz machen und versuchen, sie dazu zu bewegen, mit mir nach Harvard zu kommen. Und schlimmer noch – am Ende werden wir beide von Bonnie ausgestochen, weil dieses Junior-College – wie auch immer es heißt – viel näher bei Fell’s Church und all den Dingen hier liegt, die sie lieben.«

»All den Dingen hier, die Elena liebt«, konnte Matt sich nicht verkneifen, sie zu korrigieren. »Alles, was Stefano will, ist, mit Elena zusammen zu sein.«

»Nun, nun«, sagte Mrs Flowers. »Lasst uns die Dinge einfach nehmen, wie sie kommen, ja, meine Lieben? Mama sagt, wir müssen bei Kräften bleiben. Sie klingt in meinen Ohren besorgt – ihr wisst schon, sie kann nicht alles voraussehen, was geschieht.«

Matt nickte, aber er musste hörbar schlucken, bevor er an

cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage Erstmals als cbt Taschenbuch Mai 2011 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2011 by L. J. Smith

Published by Arrangement with ALLOY ENTERTAINMENT LLC, New York, NY, USA. Die amerikanische Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »The Vampire Diaries: The Return: Midnight« bei HarperCollins Publishers, New York. © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe bei cbt Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen. Übersetzung: Michaela Link Lektorat: Kerstin Weber Umschlaggestaltung © HildenDesign, München, www.hildendesign.de, unter Verwendung eines Motivs von fmbackx / Istockphoto he · Herstellung: AnG Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-641-06080-0

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