Tagebücher 1931 bis 1949 - Klaus Mann - E-Book

Tagebücher 1931 bis 1949 E-Book

Klaus Mann

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der älteste Sohn Thomas Manns hinterließ ein ungeschminktes Protokoll seines außergewöhnlichen Lebens. Die Tagebücher spiegeln seine ruhelose Existenz - als weltläufiger Literat und engagierter Antifaschist, aber auch als Zeitgenosse, den Drogensucht und offen bekannte Homosexualität zum Außenseiter stempelten. Diese Ausgabe enthält einen grundlegend überarbeiteten und erweiterten Anmerkungsteil.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1909

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Mann

Tagebücher 1931 bis 1949

Herausgegeben von Joachim Heimannsberg, Peter Laemmle und Wilfried F. Schoeller

Über dieses Buch

Der älteste Sohn Thomas Manns hinterließ ein ungeschminktes Protokoll seines außergewöhnlichen Lebens. Die Tagebücher spiegeln seine ruhelose Existenz – als weltläufiger Literat und engagierter Antifaschist, aber auch als Zeitgenosse, den Drogensucht und offen bekannte Homosexualität zum Außenseiter stempelten. Diese Ausgabe enthält einen grundlegend überarbeiteten und erweiterten Anmerkungsteil.

Vita

Klaus Mann, geboren 1906 in München als ältester Sohn von Katia und Thomas Mann, begann seine literarische Laufbahn als Enfant terrible in den Jahren der Weimarer Republik. Nach 1933 wurde er ein wichtiger Repräsentant der von den Nazis ins Exil getriebenen deutschen Literatur. Seine bedeutendsten Romane schrieb er in der Emigration: «Symphonie Pathétique» (1935), «Mephisto» (1936) und «Der Vulkan» (1939). Im Mai 1949 starb Klaus Mann in Cannes an den Folgen einer Überdosis Schlaftabletten.

Hinweis des Verlags

Aus technischen Gründen ist die Darstellung der Anmerkungen beeinträchtigt.

Band 1 Tagebücher 1931–1933

1931

9.X. _____ München. Durch die (übrigens sehr amüsante und aufschlussreiche) Lektüre der alten Tagebücher (1919–20) für Kindheitsbuch auf den Einfall gekommen, wieder Tagebuchartiges aufzuschreiben. Will mich aber an Sachlichstes halten. □

 

10.X. _____ Arbeit am Kindheitsbuch. Lesen in alten Sachen. – Vormittags einen Moment Ricki (aus Utting). Nach Tisch: »Michael Kohlhaas.« Zum Tee bei Süskind in seinem neuen Zimmer (von Ricki eingerichtet). Nehmen Mimikbuch und alte Briefe mit.

Abends Uraufführung: Richard Billinger »Rauhnacht« in den Kammerspielen. Hysterisches Bauernstück mit Lustmord – schwer erträglich. □

 

12.X. _____ Gearbeitet. Mittags Süskind. Nach Tisch: ihm, E und der Giehse aus dem Buch (»2 grosse Abenteuer«) vorgelesen. – Anprobe bei Dvorak; Besprechung bei Anwalt Heins in der Phaidon-Transmare-Sache, die sehr dumm zu stehen scheint. Mit Moni zurück.

Briefe von Willi und Brian – ich soll nach Toulon kommen.

Schreibe jetzt beiden.

Sehr beunruhigende Versammlung der »nationalen Opposition« in Bad Harzburg.

Fleischers Strawinsky-Buch, Kästners »Fabian« bekommen.

Abends Reisiger und ein Literat, P. Steiner, aus Zürich. Gockele in der Bodega getroffen. Mit ihr in einem idiotischen Film »Der Herr Verteidiger hat das Wort.« – Mit Giehse, Babs, E in der »Gaststätte Wilhelm Tell.« Armer Babs beim Rundfunk rausgeflogen.

Sehr neblig.

 

16.X. Hof, Hôtel Strauss. _____ Mit E im Ford unterwegs. Erst schönster Herbsttag, immer noch golden. Seit Beginn der Dunkelheit reichlich kalt. Mittagessen in Regensburg. Einmal Reifenwechsel. Himbeergeist getrunken. – In München noch Post, Briefe von Gert aus Juan-les-Pins, seit ziemlich langer Zeit wieder.

Im Hôtel gegessen. Stadt abends recht trübsinnig. Im Kino »Geheimdienst« mit Fritsch und Brigitte Helm – könnte schlechter sein.

 

17.X. Hof (morgens). _____ Sehr lebhaft von René Crevel geträumt, an den ich doch nicht mehr sehr viel zu denken glaube – und, merkwürdigerweise, im Traum gleich gedacht, ich müsse das hier aufschreiben. – Auch sonst komische Träume, von einer Pension voller Wahnsinniger.

Berlin, Rankestrasse 14 (abends). _____ Im Ford weiter. Bis Leipzig wunderhübsch; dann ödes Mittagessen in Bitterfeld. Ab Treuenbriezen einen Burschen mitgenommen. Gegen 4 in Berlin. Wiedersehen mit Willi. Finden unser Bild auf der Titelseite der »Funkstunde«. Verschiedenes telephoniert. Zuhause abendgegessen. Mit Doris und Annemarie (E und Willi) in der »Katakombe«. Kannte das Programm schon, langweilte mich trotzdem nicht.

 

18.X. _____ Morgens mit E Rundfunkvortrag durchgesprochen. Etwas am Kindheitsbuch gemacht, da ich ein höchst komisch-schönes Drama »Bayerns Revolution« (von 1918) gefunden. Telephonat; recht erschreckender Anruf von Ripper, der plötzlich hier ist, »um sich Geld zu verschaffen« – während Mops mit Nervenzusammenbruch in Paris. – Mittags bei Fischer, mit Landshoffs nach Tisch Bermann (Tutti Mädchen gekriegt.) Zu Hause: »Fabian« (eine halbe Stunde.) Einen Moment Edith gesehen, die E besucht. Noch gearbeitet. 8 bis 9.30 mit E im Rundfunkhaus gelesen, was ich noch nie getan hatte; war etwas aufgeregt; ging aber ganz anständig; (»Afrikanische Erlebnisse«.) – Nachher Willi, Annemarie, Wolfgang, Eva Herrmann in der Taverne getroffen. Dort gegessen. Dann mit E, Willi, Annemarie in den »Jockey.« Dort Bekannte (Hans Bender, Ripper, Heinrich Mendelssohn u.s.w.). Dann noch mit Annemarie in »Ariane«, neuem Damenlokal, wo Annemarie lesbische Komplikationen hat.

 

19.X. _____ Überfüllter Berliner Tag.

Morgens Ärger mit der Telephonreehnung, von der Feist seinen Teil nicht bezahlt. Mit E bei Oesterheld-Sahnert. Nur kurz gearbeitet. Manicüren lassen. Zum Essen bei Tante Kätchen, in ihrer neuen Wohnung, nebst Ilschen, im Westend. Dann zur Tobis, mit der Prack im Kaiserhof (»Kaspar Hauser.«) Zum Tee: Annemarie und Ripper (armer Ripper, arme Mops, wie helfen?) Zum Essen mit Heinrich Mendelssohn bei Pelzer (recht komisch, nicht uninteressant.) Zu Fuss von den Linden bis zur Gedächtniskirche. Schlüter im Romanischen getroffen. Mit Eva H. und Willi in »Berlin Alexanderplatz.« (Schade um den grossen Stoff.) Dann noch E., Annemarie, Edith bei Mampe. – »Nichts zu tun« im 8-Uhr-Abendblatt. – Sehr schön mit Willi.

 

22.X. _____ □ 2 Briefe geschrieben, etwas gearbeitet. Mit Eva Herrmann Café Wien gegessen. (Russlandreise besprochen.) Ein Manuskript bei S. Fischer zum Abschreiben abgegeben. Bei der netten Tobis-Prack, »Kaspar Hauser« abgegeben, andere Möglichkeiten beraten. (»Raub der Sabinerinnen« u.s.w.) Nach Hause. Arthur Schnitzler gestorben. Gearbeitet. Abends Wolfgang bei mir. (Morphium + Jean Cocteau + Klatsch gesprochen.) Später noch in die »Lunte«. Klapper (?) und Photographen Ehrenfels getroffen.

 

28.X. _____ Durch Telephon geweckt (Ripper); Edda, aus Paris zurück, ruft an. (Etwas dummes Gespräch über eine Widmung von mir an Barbusse.) Verschiedenes telephoniert.

Korrigiert. Eine Karte von Zauberer, ein dickes Buch über jüdische Kultur bekommen. Willi zu Transmare geschickt. Manuskript abgeben, etwas Geld abholen. Mit Ricki, Ripper und Willi bei Schlichter gegessen. Kleine Schulden bezahlt. Gearbeitet (»Landerziehungsheim«.) □

 

30.X. Anrufe (Mohrenwitz, Edda Edzards Freundin Billy.) Rührender Brief von Pastor Fiedler aus Altenburg. Korrigiert und gearbeitet. Edda im Café Wien getroffen (mit Werckmeister dabei). Mit ihr gegessen. Anlässlich meiner Barbusse-Widmung und der Angriffe der Linkszeitungen gegen unseren Funkvortrag langes Gespräch über Politik; nützt zu nichts. Zu lange bei Tisch gesessen. Um ½5 h zu Hause. Gearbeitet. Mit Willi gedalbert. – In der Plantage rasch Würstchen gegessen. Mit Ebermayer in die Komödie, Molnars »Jemand«; dürftiges Stück; Bassermann, Wohlbrück u.s.w. In die »Parisienne.« Kleinen Matrosen mit hübschem Hinterkopf an den Tisch geholt, der furchtbar log. Im Jockey noch eine Suppe gegessen, mit Freddy geschmust. ¾2 h zu Hause.

 

1.XI. _____ Willi mit Halsweh im Bett. – Vormittags Ripper da, mich noch einmal zeichnen. Vorher und nachher etwas gearbeitet. Mittags grosses Literatur-Lunch bei Fischers (Wassermanns, Otto Flake, Manfred Hausmann, Heiner Schnitzler, Reisiger u.s.w.) Tutti wieder auf. Hunde und Kinder, gut zu essen, ganz nett. □ Bei Onkel Peter; Kätchen, Ilschen, Klump, Frau Stein. Ganz gemütlich, etwas zu lange Konversation über Pelzmäntel. Lese den Menschen aus der »Kindheit« vor. (»2 grosse Abenteuer« und Teil von »Triumph der Bosheit.«) Mit armem Chauffeur nach Hause, der immerzu »Scheisse, Scheisse« schimpft. ½12 h. Noch mit Willi.

 

2.XI. _____ Sehr pleite, etwas übelgelaunt. Nicht viel gearbeitet, telephoniert. Beschliesse doch jetzt wieder nach München zu fahren, den Willi nach Utting zu nehmen. Spreche mit München – E. – Hole mittags Kuchen, Zigaretten, Würstchen aus der Lunte. Mit Willi geschwätzt (zum Beispiel über die Auflagen von Büchern und über Erziehungsheime.) – Etwas in der »Geschichte der Juden« gelesen. Mit Dresden – Helga, wegen Willis Tournée telephoniert. Besser gearbeitet. (»Inflations«-Kapitel angefangen.) Dazwischen telephoniert. Zum Abendessen Eva Brann, dann Kurt Bauchwitz. Gutes und breites Gespräch über Hegel, Voltaire, den Tod Mozarts, Ricki, Armin Kesser, den Kommunismus. ½12 h. Noch lesen.

 

5.XI. München. _____ Ricki und Babs an der Bahn; ich nach Hause im Horch; von den anderen am Luitpold verabschiedet. Ricki und Willi heute nach Utting. – Mielein, very sweet, in der Poschinger spazierend getroffen. Zauberer nicht zum Besten; politisch verstimmt. E. Auspacken. □ Gearbeitet. (Alte Gedichte gelesen.) Nach dem Abendessen mit E über eine asiatische Reise. Schöner Brief von Cocteau an den Zauberer. – Sollte noch Babs und Chap treffen. Zu müde.

 

6.XI. _____ Ricki ruft aus Utting an, daß Willi krank ist. – Einige müssige Post. – Gearbeitet. Nach Tisch mit Mielein und E. kurz in jugendlicher Zeitschrift »Vorstoss« gelesen. Telephoniert. Gearbeitet. Mit etwas melancholischem Süskind im Nebel zu Fuß in die Arcisstrasse gegangen. Tee bei Offi-Ofei, mit E. Im Ford zurück. Die Allee zu Fuss. (Alten Mann unanständig erschreckt.) Noch gearbeitet.

Zum Abendessen Magnus. Sehr gelacht, als wir dem Portier des Schauspielhauses auftragen, Giehse solle Schnaps mitbringen. – Später Chap. Wein, schlechter Zwetschg. Grammophon gespielt (»Salomé«), Filme, Theater u.s.w. Liesl Frank ruft aus Berlin an und berichtet über den Massary-Erfolg. (»Massy-Mutti  … «) – Magnus muss mein Bett machen.

 

11.XI. _____ Rilke-Gedichte gelesen. Schönes Motto für »Kindliche Landschaft« gefunden. Gearbeitet. Zum Essen Willi, das erste Mal in der Poschingerstrasse. Ging nett. Neuen Werfel-Roman geschickt bekommen. □ Mit W in »M«-Film. Lorre sehr eindrucksvoll. Dann E, Giehse, Babs, Ricki in Ruttmanns Weinstuben getroffen. Am Nebentisch grauslige Nazis. □

 

16.XI. München. _____ Schön-kalte Fahrt mit dem Opel. In München Post: Gide-Essayband, Oratorium von Benn mit Widmung, Briefe von Gert aus Frankfurt u.s.w. □ Nach Tisch Vorwort des Benn gelesen; im Gide-Essaybuch einiges sehr Schöne. Darüber Notizen gemacht. Über Giono, »Ernte« geschrieben. (Halb-freundlich.) Vor und nach dem Tee korrigiert. Sendung für die »Literatur« fertig gemacht. □

 

18.XI. _____ Mein 25. Geburtstag.

Brief von Goldstein, Telegramm vom mysteriösen Bubi. Very sweet: Handkoffer und Lavendelsack von Mielein, von Babs Pralinés. – Gearbeitet. (»Kindliche Landschaft.«) – Kaffeeplausch, über Transvestiten. – Lektüre von »Gustav Adolfs Page« (sehr zauberhaft), wegen W. Filmexposé. Noch mal gearbeitet. Zum Tee Offi, die eine Krawatte mitbringt, netten Onkel Kläuschen-Brief aus Tokio vorliest. Kommt hier herauf, meine Möbel anschauen. – Nach dem Abendessen (Ananas) noch zu Bert; Giehse dazu. »Inflations«-Kapitel vorgelesen. Cognac und Wein. 12.15 h. Noch im »Gustav Adolf« lesen.

 

19.XI. _____ □ Gearbeitet. Keyserlings »Spektrum Europas« bekommen. Zum Essen Bruno Walter. (Gespräch über Nazis, Regierungsmöglichkeiten, Auswanderung, den Fall Preetorius-Tietjen u.s.w.) »Gustav Adolf« zu Ende gelesen; rührend schön. □ Abends mit W. und R. im »Urfaust«, Kammerspiele. (Horwitz einige sehr eindrucksvolle Momente als Mephisto.) Danach E und Babs bei Benz getroffen; Zauberer Ingo; Stimmungskanonen. – Willi schläft bei Babs; R. hier. Noch was gegessen. (Deutscher Kaviar.) – 1.15 h. Geburtstagstelegramm von Bermanns.

 

20XI. _____ □ Arbeiten; arbeiten arbeiten. – Etwas im Herzogpark spazieren. Allein mit Zauberer gegessen. (Mielein + E in der Shaw-Première.) Über Nationalsozialismus, Goethe und mein Kindheitsbuch gesprochen. – Im Apothekerschränkchen nach etwas Opi-haftem gekramt (erfolglos). Doch zu viel Lust auf das Zeug. Nicht unmöglich, dass ich eines Tages – – □ 19 Uhr. Nach dem Lesen noch 2 Geschäftsbriefchen geschrieben. Möchte noch etwas in Cocteaus »Opium« blättern.

 

21.XI. _____ »Kindliche Landschaft« zu Ende, das Buch nun eigentlich fertig, bis auf Vorwort und Überarbeiten. – Drei Fischer-Neuerscheinungen (Strachey, Sforza, Schnitzler) geschickt bekommen. – Zauberer mittags arg grämlich, wegen allgemeiner Lage und ev. Wegziehen-Müssens. □

 

22.XI. _____ Gerne etwas in Werfel Gedichten gelesen. – »Kindliche Landschaft« durchkorrigiert und ergänzt. Noch etwas Briefschreiben (an Brian Howard.) Mittags Reisiger. Gespräch über Friedrich d.Gr. – Voltaire (a propos Strachey.) Schliesslich über die obligate Politik. (Scheussliche Vorfälle in Rosenheim.) □ Im »Tagebuch«; Strachey »Voltaire und Friedrich«, höchst gut. □ Benns sehr schönes Oratorium vom »Unaufhörlichen« gelesen. – Abends bei Bruno Frank; sehr lieb. Die Krankheit und »Vor dem Leben« vorgelesen. Er ein wenig aus einer Anthologie von Friedrich-Briefen. Zuviel getrunken. Herzliche Gespräche. – 1 Uhr.

 

23.XI. _____ Einige Post, darunter ein sehr unheimlich schöner Brief des Onkel Heinrich. Versucht, das Vorwort zu schreiben, noch nicht ganz mit Glück; sehr schwierig. Auf E's und Franks Rat noch etwas »Vor dem Leben« überarbeiten. □

 

25.XI. _____ Etwas zu warm geschlafen. Absage vom Berliner Rundfunk. Dumpfer Kopf. Zur Erfrischung Grenadier-Platte aus Parade d'amour gespielt. – Mit Utting telephoniert. – Etwas in den Duineser Elegien gelesen. Besprechung über Gide-Essayband geschrieben. Mittags Post von Benn und Bermann. (Roman kommt nicht in die Rundschau.) □

 

27.XI. _____ Brief an Stock, wegen französischem »Alexander.« »Kindliche Landschaft« durchkorrigiert, Sendung für Transmare fertiggemacht. Törichter Brief von Bermann. – Babs heute nachmittag Weihnachtsmärchen-Premiere; lasse ihm Sekt schicken. – Gefühl des »Nicht-wissen-was-kommt« wieder bedrückend stark; auch durch Bermanns Hinweis. Abscheuliches Nazi-Programm, im Fall ihrer Diktatur-Ergreifung gefunden worden. – Willi immerzu auf der Bahn  … In Zeitschriften gelesen (Querschnitt, L.W., Rundschau.) Interessanter Aufsatz von Benn über Medizin und Irrationalismus. Briefe geschrieben (an Bermann, die Königswald, Ellendt, Kremer-Rundfunk u.s.w.) Kurzer, dunkler und nasser Spaziergang. Vorzüglicher Aufsatz von E.R. Curtius über »Nationalismus und Kultur« gelesen; ihm und Rudolf Kayser geschrieben. Stefan Zweig zum 50. telegraphiert. – Allein zu Abend gegessen (mit Radio-Musik.) Per Horch ins Kino gefahren, Charells »Der Kongress tanzt«: sehr verwerflich und arg. □

 

29.XI. _____ Mit Therese in der Schauspielhaus-Matiné Kreutzberg – Georgi. Sehr froh, dagewesen zu sein, einige stärkste Eindrücke (Königstanz u.s.w.) – Reisiger und Rezitator Bernstein (der Goethe-Matiné im Residenztheater hatte) zu Tisch. Gespräch über Goethe, Karl Kraus, Wüllner u.s.w. Anruf bei Bermann-Berlin, wegen Frau Fischers Befinden. Die »Zerbrochenen Spiegel« wieder vorgeholt, die ich Kreutzberg ze igen möchte. – Durch etwas, was Bernstein sagte, angeregt im »Untertan« gelesen. – Nach dem Tee mit Mielein Radio-gebastelt. □

 

3.XII. _____ □ Ricki mit Hündchen ab (meine Uhr zerschlagen habend.) – An der »Dauerkrise« gearbeitet. Mit Transmare, Berlin telephoniert, wegen Geld u.s.w. Unsicher, ob ich nach Berlin fahren soll. Hinhaltender Brief von der Rundschau. □ »Zwölftausend« im Residenztheater; nicht üble Aufführung des etwas klapprigen Werkchens. (Franks, Papa, Hoerschelmann, Gerda Falckenberg u.s.w.) Hier mit den Eltern gegessen, während E mit dem Theaterkritiker. – Noch lesen (Penzoldt »Chatterton«)

 

4.XII. _____ □ Erst bei Honsell (Manicüre u.s.w.); dann bei Wessely. Avec un jeune paysan assez gentil (et avec des choses fort grosses, dans un endroit près de la Kaufingerstrasse.) Zu Fuss nach Hause, durch den Englischen Garten. Warm, nass und windig. □

 

7.XII. Berlin, »Fasaneneck«. _____ Grosses Zimmer auf den Kurfürstendamm. Wiedersehen mit Willi-Kind. Telephoniert u.s.w. Beim Friseur (Haarschneiden + Waschen.) Bei Bermann (erst mit der Norden); dann bei Transmare (Königswald + Jacobsen.) Überall, ausser den Geschäften, Politik. Hitlers amerikanisches Interview u.s.w. – Mit Doris bei Medwjed gegessen. Weisser Hund ihres Freundes. Ziemlich ausführlich. Ein Stück mit ihr gegangen; beim Buchhändler, Reisebureau. Jetzt »Kindheit«-Exemplar nachkorrigieren. Telephonieren. (Bermanns zum Tee absagen.) Rohrpostbriefe an Amendt und Ludwig Berger. Tee bei alter Frau von Schönthan mit Doris, André Völkersam, Elsa Wagner. Hier Willi getroffen. Mit ihm ins Künstlertheater, die Massary als »Nina« in nicht sehr guter Form, III. Akt verlacht. Dann im Jockey; Denby dazu, Freddy, Mahrenholz mit einem Transvestiten, Gustaf + Charly u.s.w. Annemarie (die zu spät kam) uns nach Hause gefahren. □ III. Reich allgemeines Gesprächsthema. Von vielen für übermorgen erwartet.

 

8.XII. _____ □ Immer Politik ausser den Geschäften – alles in Erwartung des III. Reiches, äusserst nervenzerstörender Zustand. Zum Essen bei Ludwig Berger, eigentlich wegen »Kaspar Hauser«, für den er sich nicht interessiert. Ganz interessante, etwas wirre Konversation über Bert Brecht, Bacon, Shakespeare, Filme u.s.w. □

 

12.XII. [München]. _____ Ricki noch hier. Morgenunterhaltung mit E-Mielein-R über Penzoldts Stück (das am abfälligsten Mielein beurteilt.) An Ebermayer geschrieben. Langes Telephongespräch mit Mimi, über die politische Lage und Heinrich. Schreibe etwas über die »Weltgeschichte in Bildern« (bei Transmare.) Absagender langer Brief von Kayser. An Willi zu seiner Première telegraphiert. – »Paris über mir« von Mendelssohn fängt nicht schlecht an. □ Mit Mielein im Vortrag von Professor Zimmer über Buddhismus, im Künstlerhaus. □ Der Vortrag, schön formuliert und suggestiv gesprochen, eröffnet die sehr merkwürdigen und verlockenden Aspekte der Nirwana-Sehnsucht, der Maja-Wirklichkeit u.s.w.; viele blendende Einzelheiten und Zitate. □

 

13.XII. _____ Ricki. Etwas Zeit vertrödelt. Der »Wahrheit« in Prag auch die »Dauerkrise« geschickt. Wien geantwortet, an Willi geschrieben. Dann an den Rolf Italiaander, Erich Reiss-Verlag, Wiener Rundfunk. Zum Mittagessen Reisiger, Professor Zimmer und die Christiane. Reisi verschnupft, Zimmer sehr anregend und beredt, laut lachend. (Gespräch über indische Dinge, den Hofmannsthal, den Raimund, Gottfried Benn, Nidden u.s.w.) Vor und nach dem Tee »Paris über mir«, das mich ziemlich fesselt. Dazwischen kurz im Dunkel spazieren. E, die bei einem Tee von Preetorius war, kommt wieder; R mit Kopfschmerzen. Über Kinderbücher. – Grosser Abend bei Christa, mit kaltem Buffet, Wein und zuviel Cognac. Ricki, Bert, Babs, Therese, Schorschl Weltz, erst Süskind, ein reizvolles Hamburger Mädchen Inge, mit dem E flirtet. Alles schwer besoffen. Kommode zertrümmert. Ricki ivre mort; ich fast.

 

14.XII. _____ □ Alfred Neumanns zum Abendessen. Sie etwas kränklich. Gespräch über Geld- und Verlagssachen, dann über Politik. Muss man fort von Deutschland? Hitlers Chancen als Reichspräsident. (Zauberer, gelegentlich: »Merkwürdig, einige Liebesscenen bei uns sind doch sehr hübsch. Obwohl ich doch ein trockener, kalter Mensch bin.«) □

 

16.XII. _____ Morgens bei Wessely, im Operationssaal. Sehr unangenehmer Schnitt am Augenlid, mit allen Vorbereitungen. Jetzt eingebundenes Auge und etwas Schmerzen. Bei Schorschl Weltz vorgefahren, mir Eukodal-Tabletten verschreiben lassen; gerade fünf Stück genommen. – Weihnachtspaket an Willi fort. □ Etwas lesen, sehr behindert durch Einäugigkeit. Noch einmal in der Augenklinik. Brief von Feist, den ich aber nicht beantworten will. Schreibe an Cocteau. Muss Babs (den ich wo Schwuhles treffen wollte) absagen. – Bruno Frank zum Abendessen, allerlei Politik und Literatur. (War Schiller homosexuell?) □

 

18.XII. _____ Ein Buch von René über surrealistischen Maler »Dali – l'Anti-Obscurantisme«: das erste Lebenszeichen seit 1½ Jahren. Widmung: »Bonjour Klaus – wie get's? Dein Freund René.« Freue mich doch. □ E aus Utting zurück; gleich Giehse hier. Schreibe über den Mendelssohn. Ricki bleibt, bleibt zum Essen. E liest Rundfunk-Sylvester-Stück vor, das mir sehr gelungen scheint, hübsche Verse. – Nach dem Abendessen. Lese in Hollaenders »Lebendigem Theater«; erinnere mich doch an die meisten der Kritiken aus dem 8-Uhr-Abendblatt. Wohl ziemlich früh schlafen. Noch mit E und Giehse über Weihnachtsgeschenke. »Das Ende des General Gordon.«

 

19.XII. _____ Weihnachkarte von Tonio aus New York (Park Avenue.) Zauberer verliest komisch netten Brief von jüngerem Chinesen. – Im »Stern des Bundes« und Gottfried-Benn-Gedichte gelesen. (»Leben ist Brückenschlagen – über Ströme, die vergehn.«) □ Moni aus Frankfurt zurück, im roten Blüschen. Erzählt von Gert u.s.w. – Denke an Willi. – Auch viel, und böse, an Gustaf und seinen Charly gedacht, die eben draussen bei Ricki sind.

 

20.XII _____ □ Im Jahre 1931 habe ich geschrieben:

»Treffpunkt im Unendlichen« (550 Seiten)

»Kind dieser Zeit« (400 Seiten)

Mit E »Riviera, was nicht im Baedeker steht« (davon Vorwort und italienischen Anhang allein.)

»Plagiat.« (3 Akte.)

Mit Ebermayer »Kaspar Hauser« Filmexposé

Ausserdem:

»Grüsse an das 1200. Hotelzimmer.«

»Menschenstimme« (Kurzgeschichte.)

»Rache der Kreatur« (Kurzgeschichte.)

Der sechzigjährige Heinrich Mann (2 mal)

»Du Geist der heiligen Jugend«

»Ortega, Aufstand der Massen.«

»Nidden«

»Nichts zu tun«

»Harald Kreutzberg«

»Neger und wir«

»Wissen und Verändern« von Döblin

»Glückliche Menschen« von Kesten

»Freunde um Bernhard« von A.S.

»Mister Gilhooley« O'Flaherty

»Verdammtes Gold« O'Flaherty

»Ernte« von Giono

»Europäische Betrachtungen« von Gide

»Paris über mir« von Mendelssohn

»Weltgeschichte in Bildern«

»Das Unaufhörliche« von Benn.

»Los vom Materialismus« von Coudenhove

»Die Dauerkrise.«

»Gegenüber von China« als Sendespiel bearbeitet

Für den Rundfunk: Mit E: »Afrikanische Reise.« allein: »Meine Heimat.«

»Kleitos«-Gedicht (unfertig)

»Remarque-Film-Bilderbuch«

»Thomas Mann in Genf.«

»Flucht vor dem Alter« von Fehse.

»Ansichtskarte aus Toulon.«

»Das widerspenstige Fleisch« von Schlichter.

□ Golo aus Heidelberg; ist er doch Personenzug gefahren.

Nach dem Abendessen Geschwisterbeisammensein; dazwischen auch Medi-Bibi, die im Schülerkonzert gespielt hatten,so dass alle 6 im Zimmer. Kaffee und Schnaps. □

 

21.XII. _____ □ Zauberer krank. – Innerlich böse auf Babs, der nicht bei mir anruft, solang Gustaf hier ist. – In den Fehse-Novellen gelesen. – Rotlicht-Bestrahlung in der Augenklinik. – Regina-Friseur (schrecklicher Quatschkopf.) Mielein bei Offi abgeholt; zehn Minuten mit den Alten geschwätzt. E mit Gustaf – Utting telephoniert. Annemarie zum Abendessen da. (Medi in süsser Schwärmerei für sie mitgegessen.) Nachher mit A. und E bei Bert. E den Horch ohne Wasser gefahren. Den Pasternek im Regina getroffen. Mit ihm A. an die Bahn gebracht. Den Babs im Wartesaal getroffen. Mit ihm im »Tusculum« (übler Nepp); über seine Beziehung zu mir und zu Gustaf gesprochen. War ich zu streng? Man kann es nicht sein. Er, ziemlich hilflos und lieb. □

 

22.XII □ Nach dem Abendessen am Krankenbett Zauberers (der ziemlich matt scheint) »2 grosse Abenteuer« vorgelesen. Interessantes Gespräch mit Golo erst über politische, dann über erotische Dinge. □

 

24.XII. _____ Brief von Stock; kleines Honorar von B.T. Kleiner blonder Geigenknabe sitzt unten, isst Marmeladebrot und spielt vor. – Weihnachtskarten an Wolfgang, Hansjörg, Bubi, Willi geschrieben. In der Stadt; roten Wachs-Sebastian für Süskind gekauft. Beim Friseur (Haarwaschen) u.s.w. □ Mielein kurze Zeit beim Herrichten der Schüsseln für die Mädchen zugesehen (nach altem Brauch.) – Weihnachtsfeier, mit allem Zeremoniell (Singen im Dunklen u.s.w.) Schreibmaschine, Teppich fürs Zimmer, Hemden u.s.w. bekommen. Neues Radio-Grammophon. Zum grossen Abendessen: Offi-Ofei, Peter-Emmecke (eben genesen), Reisiger, Ricki. Zauberer erst etwas matt, dann frischer. Später noch Giehse. Zuerst gegessen, geraucht und getrunken. Medi mit neuem Grammophon. Mielein sehr süss. Willis Mappe  … E und Ricki mit Gustaf – Utting telephoniert. Ich nicht an den Apparat gegangen. Warum denke ich soviel und mit so bewegter Antipathie an ihn? Er ist nicht mein »Gegenspieler«, wenn ich es klarer sehe. Durch Gregor Gregori sollte ich ihn abgetan haben. Warum drängt er sich wieder in unsere Nähe? Warum gibt Ricki so mit ihm an? Er ist doch durchschaut.

 

25.XII Angefangen, mich auf der Maschine zu üben (etwas über schwuhle Verwandte getippt.) Zu sechst »Komponisten-Quartett« auf der Treppe gespielt –seit 12 Jahren nicht mehr. – Erich Ebermayer hier (auf der Durchreise nach der Elmau.) Ganz bunte Gespräche über das Unrat-Stück, Kaspar Hauser, Fehse, Bubi Kop. u.s.w. – Essen bei Offis (Peter-Emmecke u.s.w.) – Will jetzt versuchen, auf der Maschine an Willi zu schreiben. Es unter Mühen vollbracht. – Etwas verspätet zum Tee bei Frank; ihre grosse Bescherung. Falckenbergs, Hoerschelmann, Schnun-Strich, Süskind, ein Zwerg aus Bern. Schönes Buch von chinesischen Miniaturen. Gespräch mit Hoerschel-Süskind über Huxley. Den Schlichter fast zu Ende. Nach dem Abendessen (Gänseleber-Pastete) Gespräch mit Golo über den Besitz von Büchern. Radio gespielt (von überall her.) Noch einen Brief an Gert (einen irren) auf der Maschine geschustert. – Noch bisschen lesen. (»Fall Wagner« und »Ecce Homo.«)

 

30.XII. _____ □ Im Dampfbad (Vollbad) u. Massage; mag Atmosphäre ganz gerne, aber nichts los, nur Dickstes; auch der Masseur traut sich nicht. Zu Fuss heim. Tee mit E; (Komik der Sprechchöre bei ihrem Sylvesterstück.) – Negeraufsatz zu Ende. – Angefangen »Die Geschwister von Neapel« (Werfel) zu lesen. – Nicht aus nach dem Abendessen. Etwas Radio. Anruf von Ricki. Nachmittags noch ein paar Minuten in alten Briefen von René gelesen. – – – – Ziemlich lang im Werfel gelesen.

 

31.XII. _____ Karte von Goldstein + Bubi. – Mielein im Bett (Grippeinfektiönchen huscht durchs Haus.) – Ich: Kamillenumschläge. – Mit Bayerischem Rundfunk (wegen morgigen Vortrages) telephoniert. – Jetzt angefangen, Neger-Artikel abzutippen. – Wieder langes Telegramm von grossmannssüchtigem Wiener Rundfunk; gleich beantwortet; weitergetippt. Nachtischkaffee an Mieleins Bett. Mit Bert und Süskind telephoniert. E den ganzen Tag auf den Proben. – Kurzer, etwas bitterer Brief von Schlüter. Höchst schöne und fesselnde Werfel-Lektüre. (Die Ballnacht, der Ascher-Mittwoch.) – Zigaretten-Holen; Haarschneiden. – Tee bei Mielein. Tippen. Jetzt wieder Werfel. – E's Sylvesterstück im Radio, so dass wir alle auf der Diele lauschten. Wirkte prächtigst. (Horwitz glänzender Sprecher, die Treff nicht ganz so; E als Wechseljahr im Schlitten.) – Unterm brennenden Christbaum (une famille allemande) Quartett gespielt; Hindenburgs schauerliche Radio-Rede (Erinnerungen eines alten Soldaten, aggressiv und sentimental); Bert Goethe, Hölderlin u.s.w. rezitierend. – Jetzt Smoking anziehen. – Bert und Giehse hier; erst unten auf der Diele, etwas eintönige Theatergespräche; dann oben. Und ein neues Jahr – – Um 1 h zu einer Gesellschaft bei Falckenbergs. Nicht sehr besonders; zu viel kleines Theater, zu wenig Alkohol. Sonst: Fritz + Walter Strich, Schauspieler Hasse, Liebeneiner, Schultze-Westrum u.s.w. Keine grosse Stimmung. – – –

Voriges Sylvester in Paris mit MacCown und Schön-René (que j'ai tant aimé.)

1932

1.I. _____ Telegramm an Willi durchgegeben. (»Das soll ein feines Jahr für alle Zwerge sein wünscht zärtlich K.«) – E »Meine Heimat« zur Probe vorgelesen. – Mit E spazieren; schöner Frost. Mit Christa telephoniert. Zu Tisch: Reisiger und Schnun-Strich. Um 3.20 h im Rundfunkhaus für Köln »Meine Heimat« gelesen, ohne viel Versprechen; hat 5 Minuten zu lang gedauert; von Herrn von Dahlbrück bedient. – »Krankheit«-Kapitel aus dem Kindheitsbuch für die Grüne Post fertig gemacht. Brief von Bermann (der Roman ist im Druck.) Werfel-Lektüre. Tee bei Mielein. Am Neger-Aufsatz, dann Brief an Wille getippt (über 2 Stunden.) – »Tasso« im Rundfunk, E als Sanvitale; Liebeneiner recht ungenügend als Tasso, alte Ferson als Prinzessin. Mit Babs und Mielein zugehört. Dann mit Babs oben. Trautes Geplauder über seine Angelegenheiten (Theater, Schneiderrechnung u.s.w.) – Mit Ricki telephoniert, der sehr leidend und sonderbar schien.

 

2.I. _____ □ Mit Babs im Residenztheater: »Caramba«, Operette ohne Musik, stinklangweilig, mit Wernicke u.s.w. Bert als maître de plaisir. Nach dem 2. Akt gegangen. Bert in der Bodega getroffen. Etwas dort geblieben, dann zu ihm (Bert); pornographische Zeichnungen und Photomontagen jungen portugiesischen Zeichners angeschaut; einiges sehr aufregend. – Mit Babs Lenbachplatz. On trouve un garçon qui s'appelle Narcissus. Avec lui chez B. Tous les trois. Assez drôle et vulgaire, mais excitant. (Ricki, der vor Glatteis nicht rausfahren konnte, par hazard vorm Regina getroffen.) ¾3 h.

 

3.I. □ Bert den ganzen Nachmittag da; Zeit vergeht. (Dazwischen mit Golo Gespräch über den Standort des Geistigen in der Politik.) – Buschi – Bert die Allee hinunter begleitet, dann mit R. – E kurz spazieren (wie in alter Zeit … ) Golos gescheites und wohlgeschriebenes Hegel-Essay gelesen. Mit ihm darüber gesprochen. □

 

4.I. _____ □ Süskind zum Essen da; (bei Tisch Gespräch u.a. über seinen Tagebuch-Aufsatz.) Liest uns nach Tisch aus einem neuen kleinen Roman vor; feinstes Niveau. Hanns Schulze gestorben – sehr sehr wehmütiger Weise. Peter-Emmecke zum Abendessen; Gespräch über allerlei. Vor und nach Tisch einen kleinen Nekrolog für den Hanns Sch. geschrieben. Anschliessend an eine Stelle über den Tod grosse philosophische Debatte mit Golo über das Ich, die Individuation, die Unsterblichkeit, den Idealismus, die katholische Kirche, die Sünde, Schopenhauer, Hegel, Augustin. – Spät geworden. – Allein getan.

 

5.I. _____ □ Beim Frühstück Gespräch über Arbeitslosenproblem, Notwendigkeit internationaler Planwirtschaft, hoffnungsloser Stand der Dinge. □ Beim Abendessen Zauberer sehr herabgestimmt und grämlich; anschliessend daran Gespräch mit Golo über ihn, über das Zuhaus-Leben und die Belastungen. □

 

6.I. _____ □ In meinen Proust-Notizen gelesen (ob daraus nicht doch mal ein feiner Aufsatz wird?) – Notizen zur Sanary-Novelle. – Reisiger zu Tisch. Nach Tisch grosse Diskussion E – Golo – ich, über Bibis Verzogenwerden und sein Benehmen, die in Streit ausartet. »Geschwister von Neapel« zu Ende gelesen. Mit E am Frankfurter Vortrag (»Begegnungen in 4 Erdteilen«) gearbeitet, recht öde, weil schon zu oft Gesagtes (über Jannings im »Rundherum« und so.) – Unten Bibis fête; Brillenjunge verirrt sich in unser, dann sogar in Zauberers Zimmer. □

 

8.I. _____ Golo abgereist (nach so viel Gesprächen.) □ Notizen zu »Schmerz eines Sommers« (Sanary-Novelle). –

Etwas in »Feldwege nach Chicago« von Hauser gelesen, aber mit Widerstand, obwohl er begabt ist; (geht mir übrigens bei fast allen Reiseberichten so, die mich bestenfalls neidisch machen, dass ich nicht dort bin – wenn sie mich nicht langweilen.) – Mahlers »Kindertotenlieder« auf dem Grammophon. – Fange Dacqués »Natur und Seele« an (magische Weltsicht gegen mechanisiert-intellektuelle; Frommheit in der Naturbetrachtung.) Bei Knocke. Post, Friseur; bei Severing-Ackermann, wegen der Vorträge, allerlei besprochen, auch südamerikanische Möglichkeiten. – »Ansichtskarte« im 8-Uhr; (mit paar dummen kleinen Strichen leider.) »Wochenschau« schreibt mir, dass Sonja-Idyll zu anstössig für die Leute im Wupper-Tal. – Inge Westendarp (blondes Mädchenstück von Christa) bei E; Ski-Konversation. – Mit E, R. und Babs im »Weissen Rausch« (Phöbus); verblüffend schlechter und eintöniger Schnee- und Skifilm mit der unverträglich miesen Leni Riefenstahl. Dann noch Ebermayer, Chap und eine sehr grässliche Dame in der Regina-Bar getroffen.

 

9.I. _____ Ebermayer zum Essen; langes Geplauder nach Tisch, erst beim Kaffee (Literatur, Leute – Carossa, Rosenkranz, Lernet-Holenia u.s.w.) Zum Tee erst bei Onkel Vicko und Nelly im kleinen Heim (mit E), Familienklatsch + Neuerscheinungen + Filme, Radio u.s.w. Dann hier klein Hoerschelmann und seine Kuriositäten (Wedekind-, George-Erinnerungen u.s.w, Elf Scharfrichter. Rudolf-Borchardt-Broschüre, Karnevals-Pamphlete.) –

Bild von mir in mitteldeutscher Rundfunkzeitung. - Ziemlich müde; zu viel Menschen-Sehen erzeugt Vergiftungserscheinungen, wie zu wenig Schlaf. – Mich abends noch mit Ebermayer getroffen; »Schwarzfischer«, literarische Gespräche zwischen tanzenden Transvestiten. Kurz Alfons gesprochen. – Auf dem Odeonsplatz zufällig Babs getroffen, zu dritt etwas herumgestricht (grosser Betrieb); von E E verabschiedet. With a quite ugly und poor fellow – friend of »Narciss« – in Babs room; terrible and exciting. – Dann noch mit Babs geschwatzt. – Riegel an der Haustür zu: Mädchen wecken müssen. 3 Uhr. – Langer Tag gewesen.

 

10.I. _____ I □ Zur Probe 10 Seiten Kindernovelle laut gelesen. – Hofmannsthal-Gedicht gelesen: mit wie viel Freude. – Kurz spazieren (leichter Frost und Sonne). Reisi zum Essen. Nach Tisch, anlässlich des neuen Wyneken-Falls, Gespräch über pädagogischen Eros und Homosexualität – hübsch sowohl, als unergiebig. Halbe Stunde geschlafen. »Œdipe« von Gide gelesen, teils parodistisch, teils pathetisch, sehr reizvoll-klug, hintergründig, dabei von einer pikant geheimnisschwangeren Trockenheit. □ Ins Rundfunkhaus. Für Wien erstes Kapitel der »Kindernovelle« gelesen, nur 20 Minuten Zeit gehabt – zwischenfallslos. Konnte Wiener Einführungsrede nicht hören, Christa telephoniert, sie sei ehrenvoll und drollig gewesen. – Nach dem Abendessen: Radiogebastel. Eingabe Apfels an Hindenburg wegen des skandalösen Ossietzky-Urteils gelesen, grausig symptomatischer Fall. – Ziemlich früh ins Bett. Noch in der »Chinesischen Mauer« (Kafka) gelesen. E – Chap noch einen Moment in meinem Zimmer.

 

11.I. _____ □ Marcuse erzählte E gestern, dass die Vossische seine Filmkritiken ohne Unterschrift bringt, weil möglichst wenig jüdische Namen bei Ullstein erwünscht sind; so weit wären wir.

□ Im Kafka gelesen, einige ungeheuere Dinge (z.B. »Der Kübelreiter.«) – Mit E etwas spaziert. – Kafka: »Es ist nicht notwendig, dass du aus dem Haus gehst. Bleibe bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlastung, sie kann nicht anders. verzückt wird sie sich vor dir winden.« – (»nicht weniger tief mit der Menschheit verbunden, als mit uns selbst.«)

Nach Tisch Doris und Ricki hier; mit ihnen in die Stadt gefahren. Bei Friseur Murr (»Regeneration«, Manicüren, Höhensonne u.s.w.) Von da hintereinander: Reisebureau, Wessely, Knocke; etwas im Luitpold gegessen (B.T. gelesen); E, Giehse, Babs im Volkstheater getroffen. Rühmann in einem Schwank (»Mustergatte«) – von diskreter, eigenwilliger Komik; (schauerlich Hasse und Brüggemann.) □

 

13.I. _____ □ E im Bett; Fieber; Chap bei ihr; dann Dr. Pirrard. Scheint unmöglich, dass sie nach Frankfurt fährt. Ich rufe dort an; werden wahrscheinlich morgen von hier aus sprechen. (Telephoniere noch mit Rundfunkhaus-Arco.) – Wieder mehrere Verehrerbriefe aus Wien, die ich beantworte – sind das Leute. – Zauberer vom Zahnarzt verdorben; meine Augen sehr schlimm. Von GOTT geschlagene Familie. – Nach Tisch: Doktor Heins bei E; Gespräch über Ricki, Vermögensverwaltung, von wegen Persien. Im Kafka gelesen (»Der Bau«); das Bedroht-Sein als ein Hauptthema seines Werkes. – Anfechtung, nie Erlösung; Mauern bauen. □

Abends mit kranker E in den Unionssaal, zur pazifistischen Frauenversammlung. Viel zu früh hingekommen, in Anbetracht von E's Krankheit. Aber sehr gute, scharfe, mutige und routinierte französische Rednerin, die freilich so schandbar übersetzt wurde. Auch Hündchen sehr zum Abgewöhnen. – Ein aufregender Störungsversuch von Nazi-Buben, die eindringen wollten; kurze Panik. E's Schlussrede – ihr weisses Gesicht – sehr rührend-eindrucksvoll, wird stark applaudiert. Offi nach Hause gebracht. Auch die Kurz Maria sehr begeistert. □

 

14.I. _____ □ Kafka. (»Bau«) – »und werfe mich mit Absicht in ein Dornengebüsch, um mich zu strafen, zu strafen für eine Schuld, die ich nicht kenne.« (»Jäger Gracchus.«). »Der Gedanke, mir helfen zu wollen, ist eine Krankheit und muss im Bett geheilt werden.«

Tee mit Mielein. Grammophonplatten für Ricki gekommen, der heut Geburtstag hat. Packen. Ricki – Doris kommen. Mit E ins Rundfunkhaus. »Begegnungen« für Frankfurt gelesen, ging gut, aber anstrengend für arme E. Wissen auch nicht, ob man dort hören konnte. – Ricki – Doris im Jahreszeitenkeller getroffen. (Von E verabschiedet.) Gegessen. Zur Bahn. Mit Doris allein im Abteil »Liegewagen«. Gesoffen, Schlafmittel.

 

16.I. [Berlin, Fasaneneck]. _____ □ (Die K[okain]-Wirkung nicht prinzipiell verschieden von der M[orphium]-Wirkung. Beide das Leichter-und-rühriger-Werden. M-Wirkung stärker physisch – auch viel prompter einsetzend –; K-Wirkung mehr hirnlich, physisch nicht so euphorisch. Ein intensiver Schwebezustand beim Einsetzen. – Auch die leichte Magenübelkeit, Zigarette, die gut schmeckt, wie verzaubert.)

□ E – München telephoniert, die noch lange nicht gesund und vom »Völkischen Beobachter« wegen der pazifistischen Versammlung als »blasierter Lebejüngling« beschimpft wurde. – Leipziger Vortrag durchgesehen. Mit Hanserik telephoniert. – Ins Rundfunkhaus fahren. Mir den »Völkischen Beobachter« mit phantastischen Pöbelein gekauft. Will versuchen, hier eine Entgegnung und Richtigstellung zu lancieren. □ Ich mit Wissings, in ihre Wohnung (zu Tante Cohn) – wo ich eine Dosis Schwesterchen Eu. im Herrenzimmer erhalte. Jetzt allein hier. Wirkung. (11 Uhr). – Etwas im »Schloss« von Kafka gelesen, das grossartig anfängt. Muss den Kopf aber immer wieder legen, wegen der leichten euphorischen Übelkeit. – Mich noch einmal ins abscheuliche Romanische geschleppt, um Willi zu treffen, der nicht mehr da – oder glatt nicht gekommen war.

 

17.I. _____ □ Erwiderung auf den Völkischen Beobachter geschrieben; bin gespannt, ob es hier jemand bringt. □ Zum Tee: Schlüter und hübscher Lyriker Meister, der mir recht gefällt. »Fach«-Gespräch. Doris abgeholt, die heute schon nach Dessau flog: mit ihr in der Volksbühne »Grossherzogin von Gerolstein«, mit sehr süsser Dorsch (Hubsi, Valentin nett, Turnertanz mit Willi.) – Nach der Vorstellung: oben in Demby-Garderobe Kaffee getrunken; Demby, die Eckstein, Tänzer Orsulin. – Doris, die müde, abgesetzt. Mit W und Orsulin aus. Erst »Groschentheater«, Trude Hesterberg, Lotte Lenya, zu viel literarisches Pack; dann »Cercle Privé«, trauliche – schwuhle – talmi-mondäne Transvestiten-Atmosphäre. – Willi übernachtet hier. L'amour.

 

21.I. Köln (Wartesaal). _____ Die Nacht grössten Teils liegen können, wohl auch geschlafen. Trotzdem nun recht zerschlagenes Gefühl, aber nicht unangenehm. Viel an E gedacht (ob die Nazis uns in München die Fensterscheiben einschmeissen?) – Widerlich, der Rechtsrutsch Ullsteins. – Jetzt Frühstück (½7 h.) – (Im Pariser Zug.) Etwas in Köln spazierengegangen. Noch dunkel, und scharfe Kälte. Leute, die zur Arbeit gehen, wie Schatten. Die fürchterliche Silhouette des Doms.

Jeumont (4 Uhr). _____ Mein Gegenüber, ein sehr artiger und hübscher junger Mann, halb Franzose, halb Deutscher. Verkauft Maschinenteile. Plaudert übersichtlich politisch. – Lese Weltbühne und Tage-Buch. Georg Kaisers »Es ist genug«, gläsern, absurd, spannend, sehr merkwürdig.

Paris, Hôtel le Royal. _____ Ankunft, ziemlich zerschlagen. Freudige Erregung + Kopfschmerzen. Entscheide mich gleich fürs Royal (25fr für nettes, etwas zu kleines Zimmer im 6. Stock.) Bad  … Euka-Tabletten. Telegramm an E und an Willi. – Im Select (Montparnasse) etwas gegessen. Montparnasse abgebummelt. Für alles viel zu früh. Zu den Champs Elysées gefahren, um ins Kino zu gehen (»La Liberté est à nous«). Aber zu kaputt, um das Vorprogramm zu überstehen. Im anderen Select Brief an W. angefangen. Die Boussanouse getroffen, die mich auf beide Backen küsst. 12 Stunden geschlafen. Aber jetzt  … Draussen sehr kalt. Mein kleines Zimmer auch ziemlich kalt. Schöner Blick. (Auf der Place de la Concorde sind jetzt nachts Brunnen und Obelisk scharf weiss angeleuchtet; etwas amerikanisch, aber macht grossen Effekt.) – Die weichen Hörnchen; Lucky-Strike-Zigaretten. □

 

24.I. _____ Gide gegen 11 Uhr besucht und bis gegen 6 Uhr mit ihm zusammen geblieben. Erst in seiner Wohnung, Marc Allégret gesehen. Gespräch über Filme, Bücher, Politik, Leute. Von einem Flieger und Dichter, seiner amerikanischen Frau, seiner aristokratischen Cousine abgeholt. Im Wagen; in der Vorstadt ausgezeichnet Mittag gegessen (geladen von le père Gide.) Hübscher Ausflug im Wagen: zu dem Ort, dessen Namen ich nicht aufgefasst habe und wo Rousseau gestorben ist. Intime und zärtliche Landschaft. Gide sehr angeregt und nett, gelehrt, verschmitzt, neugierig und hintergründig. □ Gide sagte: »Ich hätte eine grosse Kraft etwas zu wollen, aber gar keine, etwas abzulehnen. _____ Das sind zwei ganz verschiedene Arten des Wollens  … « (Bei Gelegenheit der Drogen.) – – Sein sehr intensives, äusserst aufmerksames und beunruhigtes Verhältnis zum Schicksalskomplex »Russland.« »Ich kann kaum arbeiten, so sehr beschäftigt mich die Frage, wieweit mein Individualismus mit diesem Kollektivismus zu vereinen ist.« (Keine Spur der Ablehnung, im Gegensatz etwa zu Curtius.)

 

27.I. _____ □ Von 9 bis ½2 Uhr bei Cocteau. Desbordes, noch ein jeune homme und der kleine Gelbe. Opium – geraucht; die Wirkung der des Morphiums sehr ähnlich, nur leichter, weniger medizinisch. Schreckliche Erzählungen über René, der scheussliche Dinge zu tun scheint. Gelächter über Feist. Geschichten über Gide und Morand u.s.w. Sehr hübscher Abend. Der junge Mann fährt mich heim.

 

30.I. _____ Morgenbesuch von Jean Perin, der sehr lieb, unverändert, und, ich finde, immer noch schön. Alte Erinnerungen und auch l'amour memoriam. – Briefe von Titus und von Transmare. – Korrekturen-Lesen. Zu Tisch bei der Riess, Hôtel Osborne, rue de Rivoli. Recht unterhaltsam, flott, versiert und schmeichlerisch. Literarische Konversation (Benn, Paul Valéry, Heinrich Mann u.s.w.) Später alter Botschafter Margerie dazu; altfranzösische Type, kultiviertest. – Meine Schlichter-Besprechung im 8-Uhr-Abendblatt (das ich täglich kaufe.) Wieder Roman-Korrekturen. □ Wundere mich, dass Keyserling Italien eine »heutige historische Vorzugsstellung« zubilligt. Andererseits: »So hat sich kein europäisches Volk den Ideen der Reformation – u.s.w. – entziehen können. Gleiches wird mehr und mehr vom Sozialismus und Bolschewismus gelten.« Für die deutsche Demokratie. Hier, zum Beispiel, gegen den Fascismus. »Kein wesentlich vornehmes Volk hätte je daran gedacht, den Egoismus als ein Heiliges zu proklamieren.« Aber ein Zu-ernst-Nehmen Mussolinis. – – In den Gedichten gelesen, die der Ernst Meister mir mitgab. Trotz »expressionistischer« Unarten viel Schönes, ursprünglich Dichterisches. Hölderlin-Trakl-Einfluss; höchste Schule. – Im »Spektrum Europa«: Deutschland. Immer glänzende Stellen. Mag seinen Stil nicht sehr.

 

31.I. _____ □ Keyserling: die Gefahr Deutschlands – eine Karikatur Amerikas zu werden. »Es bedarf grundsätzlich geringer Fähigkeiten, um Erfolg im Sinn der Tüchtigkeit zu haben.« » – der dauernde deutsche Schrei nach Gemeinschaft –ein Schrei, den keiner ausstösst, dem Gemeinschaft natürlich ist.« Deutschlands Neigung zum sinnlosen (und sogar sinnwidrigen) Heldentum (siehe Nationalsozialismus.) Das Unheimliche am deutschen Volk (Primat des »Sachlichen« u.s.w.) »Es fehlt jeder Sinn für den Wert der Freude an sich … «

Mops, Jack, Demeter, die mich mit dem Auto abholen. Hinausfahrt nach Louvecienne. Demeters hübsches Häuschen. Ursula (Simon); vierzehnjährige Annette. Demeters Plastiken (Maillol-Schüler). Essen. Ein Russe – Sascha. Gespräche, Gespräche. (Literatur; Filme; was tun wenn Krieg kommt; Kollektivismus – Weltanschauliches, was eher verwirrt.) Dazwischen Tee, Abendessen; Schreibspiele. Bis gegen 12 Uhr nachts bei den guten Leuten. Mit Sascha und Ripper im Zug zurück; (singende Spanier.) Dann Metro; dann Taxi-Chauffeur, der mich auffordert mitzufahren, kein Pourtoi nimmt. Ist der Mensch gut? – Sehr müde. Zu viel geschwatzt.

 

1.II. Morgens um 7 Uhr Willi, der die scheussliche III. Klasse-Reise hinter sich hat. Zu mir ins Bett. Begrüssungs-Treiben. Versuche weiterzuschlafen: qualvoller Husten. Dann doch noch etwas am Bett-Fussende geschlafen. – Karte vom Fischer-Verlag; larmoyanter, übrigens nicht unschön abgefasster Brief von Feist. – Kleinen Brief an E gemacht. – Eine kleine Sache »Junge Leute, nah von Paris auf dem Lande« skizziert (über den gestrigen Tag.) □ Opéra, Madeleine, Concorde. Bei Bernard (Nähe Madeleine) mittel gegessen. Cocteau besuchen wollen, der nicht da war. Im Olympia: »La Chienne«, schauspielerisch erstklassiger Film von Renoir. Dann »Mon Jardin«, Avenue Victor Hugo. Feinstes Tantenlokal, kesse Väter. (Mahrenhof plaudert heran.) – Zu viel Geld ausgegeben. Langer Tag. Sehr hübsch, W. alles zu zeigen. □

 

2.II. _____ □ Briefchen von Bertaux, man gratuliert mir zu einer »Alexander«-Kritik von Jaloux, die ich nicht kenne. Axel Munthe »Buch von San Michele« angefangen, dann, die »Junge Leute … « abzuschreiben. Telegramm von Fischer, dass sie Waschzettel für Roman eilig brauchen. Gleich einen gedichtet – komische Beschäftigung, höchste Töne über mich selbst. – Mops hier; mit ihr Briefe für den Aragon-Aufruf geschrieben, (Remarque, Toller, Zauberer, Einstein u.s.w.) Mops zum Essen, im Hôtel. Mit W noch einmal in den Cocteau-Film. Colombier. Fast stärkeren Eindruck, als beim ersten Mal. – In der neuen Dôme-Bar; Alexandras. Jean getroffen und mit-eingeladen.

 

4.II. _____ □ Am »Junge Leute «-Aufsatz gearbeitet. Mit Julien Green telephöniert, mich für Donnerstag mit ihm verabredet. – Im Hôtel gegessen (vorher etwas spazieren.) Nach Tisch, im Dôme, den Ernst Sander getroffen. Mit ihm und W zur Nôtre Dame gegangen. Erst im Inneren (immer wieder: die Fenster) dann auf den Turm geklettert: Blick. In den »Deux Magots« (Boul. St. Germain) Tee getrunken. Schalom Asch kommt vorbei, Joseph Roth mit Max Ernst; dummer Weise mit Ernst gesprochen, den ich kaum kenne, und ihm über das Gespräch mit Gide (in der Aragon-Sache) erzählt. Ärgere mich, mich in die ganze Angelegenheit gemischt zu haben, auch Cocteaus wegen. Telephoniere in diesem Sinne mit Mops. – 8-Uhr-Blatt studiert (Krieg in Shanghai u.s.w.) Im Axel-Munthe-Buch gelesen, das oft ein wenig sentimental – Maler Crownberg, der uns hier abholt. Mit ihm – der nett ist – im »O.K.« gegessen. Dann in sein Atelier, Zeichnungen anschauen und Liqueur trinken. Dann in die Rue Montaigne, Balle Musette. Er tut reichlich krummnäsiges kleines Geschöpf auf. Willi seinerseits ist von alledem degoutiert. Ich ärgere mich darüber, und über seinen oft bestürzenden Mangel an Aufnahmefähigkeit. (Die erste Balle Musette seines Lebens.) Wir gehen früh, fahren stumm nach Hause. Auch hier noch kein Wort. – Dann doch noch gesprochen, aber sinnlos.

 

6.II. _____ □ Zum Louvre gegangen. Wiedersehen mit alten Lieben (die frühen Italiener, Dürer mit der Distel, der Avignon-Meister u.s.w.) Schönster Nachmittag. Licht von Paris (rue de Rivoli, Concorde.) Tee bei Rumpelmayer (beste Kuchen der Welt.) Tasse zerbrochen. Noch spazieren (Madeleine.) – Meine »Beobachter«-Polemik gross im 8-Uhr: »K.M. verteidigt seine Schwester.« – Mops bei mir, in etwas betrüblichem Zustand: Geld pumpen. Im Hôtel gegessen. Ernst Sander'sche getroffen. Kaffee im Select. Nach Montmartre, in den Cirque Medrano. Glanznummer: die Rivels, die der Mühe wert. Anderes Nettes. Hübscher Montmartre-Zauber; (gespenstische Kunstreiterin, eingefroren.) □

 

8.II. _____ □ Geldsituation, die anfängt peinigend zu werden (Hôtel will Zigaretten u.s.w. gleich bezahlt haben, Gefahrzone.) – Brief von Breitbach (Schmeichelworte über »Alexander«). Einladung von Jaloux u.s.w. Um 12 Uhr: Dobò, der »Treffpunkt«-Korrekturen hat und gekränkt über einige Züge des Sylvester Marschalk ist. Verspreche ihm, nach langer Unterredung, wenigstens das Jüdische auszumerzen. – Mit Bermann – Berlin telephoniert, der sehr ablehnend, aus aus aus. Essen + Kaffee in der Gefahrzone. An Titus und Sami geschrieben (GELD.) – Zu Mops gemetrot, mir 50fr zurückgeben lassen; (sie wollen nach Spanien.) □

 

9.II. □ Zum Tee bei Julien Green, der sehr freundlich und gut aussehend (bis auf sehr traurige Augen nicht bedeutend.) Übrigens im Umzug begriffen. Gespräch über Bücher, Bilder, Boys und schwuhle Lokale. – Fühlte mich sauschlecht. Gelegen. Mit Willi geredet, dazwischen gelesen. Peter Eysoldt kommt her. Wir, auf den Betten bleibend, beschliessen da zu essen. Kampf mit dem Hôtel, das störrisch und schikanös. Da Peter hinuntergeht, klappt es schliesslich. Wird ganz gemütliche Mahlzeit. Peter geht gegen 10 Uhr. Schwatzen und lesen, Adalin nehmen. – Sander gelesen. Es doch noch getan, ich kranke Person.

 

10. II. _____ □ Im Casino de Paris, Promenoire: Mistinguette-Revue. Einiges banal Hübsches, viel Komisches, einiges Traurige (warum tanzt die Alte?) Chez Graffe Sander und Albert H. Rausch getroffen. Mit ihnen nach Montparnasse gefahren (Rausch: hinkend.) Bis gegen 4 h morgens im Select gesessen. Endlose Gespräche. Rausch, in seiner Art eindrucksvoll; übrigens in seiner dogmatischen Art oft an Sternheim erinnernd. Merkwürdig halb-bedeutend; fast grosse Andeutungen – dann: nicht genügende Persönlichkeit. Feuriges Bekenntnis zur Homosexualität. Düstere Andeutungen über die Affäre Walser-Cocteau. Bei Gelegenheit: C's etwas primitive Anschauungen über die pädagogischen Verpflichtungen des Genies. Erfreulich konsequenter Individualismus. Politisch sehr unterrichtet. □

 

14.II. Lenzerheide-See, Chalet Canols. _____ Im Zug sehr rührende Episode mit einer alten französischen Bauernfrau, die ihren Mann verlor, im Zug zurückblieb, weinte. Dann allein im Coupé. Geschlafen, die ganze Zeit. Im Autobus, Chur – Lenzerheide. Sonne und Schnee. Hier: E, Ricki, Hanna Kiel. Im Gasthaus gegessen, erst auf der Terrasse. Dann in dies hübsche Haus. – Suche nach Titel für E's Kinderbuch. – Wolfram-Hündchen. – Tee getrunken. Mit R und Doris. Etwas Korrespondenz. Nach dem Abendessen: die Bernoulli und die Landshoff, eine doofer als die andere. R. bisschen besoffen. – Draussen Landschaft. – Noch im Universitäts-Aufsatz von Curtius gelesen.

 

18.II. _____ □ Gegen 12 h weg, mit Skiern. Etwas langer, mühseliger Aufstieg (ohne Felle, mit Rucksack.) Schöner Lunch in der Sonne, vor der Hütte. Abfahrt. Noch ein paar Minuten beim Ski-Springen zugeschaut. Heimfahrt. – Beim Tee Gespräch über Lektüre als Kind.

Nebenan bei Frau Tarpapan, ein so abscheulich hässlicher und böser Bub. Als Hanna einmal dort telephonierte, ging er nicht aus dem Zimmer, sondern blieb sitzen, im Nachthemd, und sah tückisch zu ihr hin. Plötzlich zog er sich das Hemd über den Kopf und sass nackt da.

Bei der Heimfahrt Gespräch darüber, dass das Opiat (Mohn-Präparat) an sich nichts »Unnatürliches« ist. □

 

24.II. _____ □ [München]. _____ Sehr gescheiten Curtius-Aufsatz »Humanismus als Initiative« gelesen. »Dieser Morphologie zufolge wäre das freie enthusiastische Bekenntnis zum Humanismus heute eine wichtigste Forderung der Zeit, weil sie die unpopulärste wäre.« »Der neue Humanismus wird nicht nur eine Geistigkeit, sondern auch eine Sinnlichkeit bedeuten müssen. Kunst und Dichtung, Spiel und Schau, geliebte Schönheit, nicht gelehrte Gründlichkeit werden ihn tragen müssen.« Iwanow: »Die Erinnerung ist ein dynamisches Prinzip.« Hofmannsthal: »Jede Idee entbindet sich aus dem Kontrarium  … jetzt Geistesgewalt durch das Überwuchern der militärischen, technischen, ökonomischen Materie  … « »Bewahrte Erinnerung, die zugleich neuen Anfang aus sich entlässt.« □

 

26.II. _____ O Eulenruf, o dunkles Herz der Nacht,

Nachtfalter die im dichten Oleander,

Wir glühn verbrennend, Brüder, ineinander,

Sind selige Opfer, Göttern dargebracht.

(Hesse.)

Gearbeitet. _____ (Novelle.) Mit der Mittagspost: Brief von Transmare (Frankfurter Zeitung will Auskunft über Verlagsautoren); »Goethe und Tolstoi« in meiner Ausgabe, Rundschau mit grosser Anzeige von »Treffpunkt«, nach meinem Waschzettel. □ Im »Goethe + Tol.« geblättert, interessante Neuwendung des protestantisch-katholischen Problems, Verschiebung zu Gunsten des Katholizismus, der heute allein die Mittelmeer-Tradition wahrt, während der Protestantismus völkisch verroht. – In der Rundschau wieder sehr geschickten Essay von Stefan Zweig über Marie Antoinette und ihren Liebhaber teilweise – im Tage-Buch sehr interessanten Artikel über Katzenellenbogen ganz gelesen. Noch etwas im »Schloss«, das mir aber, bei all seiner Grossartigkeit, Widerstände bereitet, ja, mich gelegentlich enerviert, langweilt und abstösst (Kafka mir in seinen kleinen Sachen viel näher.) □

 

6.III. _____ □ Süskind zum Essen. Nach dem Kaffee ihm die Novelle vorgelesen, gegen die er einzuwenden findet, dass der Erzählende unmännlich sei; so führe ein Mann kein Tagebuch. Ziemlich ausführliches und gutes Gespräch. Ihn die Allee hinuntergebracht. Beim Tee mit M. sehr rührendes Gespräch über das Problem der Treue, der Ehe überhaupt. □

 

7.III. Mit schauerlicher Lebhaftigkeit geträumt, der Zauberer wäre von Nazis – die ihn wegen eines Artikels über die Butterfrage verhaften wollten – zum Selbstmord gezwungen worden; und zwar, sich zu erschiessen und, mit Wunde im Herzen, aus dem 5. Stock zu springen (vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, bei denen Hitler endgültig durchkommt.) Mit starken Angstgefühlen aufgewacht. □

 

8.III. _____ Beim 1. Frühstück: Zauberer nebenan M. Weimarer Vortrag diktierend (gestern und vorgestern auch schon); interessant zu hören, wie stockend die Sätze sich bilden. □ Fritz Löhr im Schauspielhaus getroffen, mit ihm »Kopf in der Schlinge« gesehen, leidlich gemachtes Detektivstück, das in sich nicht stimmt. Babs holt uns ab. Zu dritt zu Benz. (Fritz mir wieder recht lieb.) – Tiefer Schnee draussen. Noch zu Babs, ohne Fritz, Kaffee-trinken. In der »Neuen Revue« degoutant widerlicher Artikel von André Germain »K.M. der Narziss des Sumpfes«, übelste Tantenbosheit. Grosse Lust die Spinne zu prügeln.

 

11.III. _____ □ Mieleins Besorgnis wegen 2. Goethe-Vortrag (zu wenig »festlich«.) Ausgegangen. (Ausführlich Friseur, Papier besorgt.) Sonne auf Schnee. Doch noch kleine Antwort für Germain (»A propos Berliner Radikalismus«) geschrieben, die ich zunächst der Neuen Revue schicke, recht saftig. Zauberer, der sich bei Tisch über Kurz-Marie ärgert. Babs-Telephonat. Etwas Edschmid gelesen. Kleine Sache »In der Fremde« (eigentlich über den Selden Rodman) skizziert. □ Süskind und Reisi zum Abendessen. S. erst bei mir oben. Brünings Rundfunkrede als Tischmusik. Etwas später (gegen 10 h) Zauberer, der Weimarer Goethe-Rede (»G. als Schriftsteller«) vorliest. Voll von interessantesten Dingen; Beziehungen zum Problem-Komplex »Künstler«, Tonio Kröger, Tod in Venedig u.s.w. – Längere Gespräche danach. 2 Uhr. Noch etwas Nietzsche gelesen (Götzen-Dämmerung, Antichrist.)

 

12.III. _____ Einladung von der Preussischen Akademie zur Goethe-Feier. An E. telegraphiert, wegen der Prager Reise; gleich darauf Telegramm von ihr, dass sie heut abend per Zug kommt. An Heilborn geschrieben (wegen des Germain-Pamphletes,) an Transmare (Adressenliste u.s.w.) Gearbeitet (»In der Fremde« getippt.) Dazwischen mit dem Modell, Selden, telephoniert. Nach Tisch mit Mielein beraten, was geschehen könnte, wenn morgen Hitler mit Majorität durchkommt. Wird man weg müssen? – – Zu Ende getippt. Etwas »Meister« gelesen, aber lächerlich geil gewesen (sicher nicht durch die Lektüre.) – Noch an Rychner geschrieben. – Zigaretten, Friseur. Die Wahlplakate. (Hat man Lust zu Hindenburg, wenn die Münchner Neuesten ihn empfehlen?) Noch etwas »Meister«. E zurück. Auf der Diele gesessen, geredet (Berlin.) – Nach dem Abendessen: an Gustaf, der Mielein noch 500 M schuldig ist, mit plötzlichem Entschluss deswegen geschrieben – übrigens mit vollem Bewusstsein, dadurch die Achtung einer nicht unbedeutenden Person einzubüssen. Giehse noch hier (über Wunderdoktoren.) – Kurz »Meister«.

 

13.III. _____ □ Eltern gen Prag abgereist. – Giehse erscheint. Zur Gebele-Volksschule, der Wahlpflicht genügen (Hindenburg, wohl oder übel.) Schönes Wetter. – Giehse und Selden Rodman zum Essen. Nach Tisch oben Kaffee. Erst bei E (über englische Kinderbücher u.s.w.); dann zu mir, Selden sehr lieb. Lese Cocteau-Vorwort mit ihm, Vorwort u.s.w. Werde aber dann deutlicher. Er ablehnend, aber auf hübsche Art (irgendeine Ähnlichkeit mit Schön-René.) Nach dem Tee erste, zufällige Wahlresultate, die nicht ungünstig scheinen. Auf der Diele mit Giehse Gespräch, was zu geschehen hätte, wenn Hitler durchkommt. (Wenn Eltern im Ausland bleiben, keinen Sinn, dass wir hier sind.) Kurz gelesen. Von 7.15 h bis nachts 2 fast ständig am Radio, später Babs und Chap dazu. Spannende Teilergebnisse von überallher. (Dazwischen immer Musik und Spätnachrichten.) Schliesslich die fast absolute Mehrheit für den Alten (49,6 Pr). Aufregend wie beim Rennen. – Babs noch bei mir.

 

14.III. _____ □ Weiss nicht, was ich arbeiten soll, merkwürdiger und etwas dummer Zustand. Bisschen rumgelesen (Süskind über Gide im Tage-Buch u.s.w.) Einbandentwurf von Weiss für den Roman kommt (2 Orchideen); schreibe Fischer meine Bedenken. Freilich verzögert sich dadurch ärgerlich Erscheinungstermin. – Notizen zu einer Skizze »Kinder im Hôtel« (für Wochenschau) gemacht. Lektüre der Sokrates-Notizen wieder aufgenommen; altes Plänchen lockt wieder. Nachtisch-Kaffee mit E. In Papieren (Kritiken u.s.w.) geräumt. Tage-Buch gelesen (interessanter Aufsatz von Marcuse über die Nietzscheaner; der Prinzhorn jetzt also auch hitlerisch.) Beim Tee Lektüre der M.N.N. über die Wahlen. Noch Sokrates-Lektüre und Notizen. □

 

15.III. _____ □ Sokrates-Alkibiades-Lektüre (Thukydides »Peloponnesischer Krieg«.) Schwierigkeit, Sizilianische Expedition und den Prozess des S. in eine Handlung zu bringen. Germain-Pamphlet von Heilborn zurück. □ Zu Tisch kleine Freundin von Medi (Vegetarierin.) – – Im Goethe-Heft der N.R.F. geblättert (Gides Aufsatz.) Etwas im »Meister.« – Mit E Briefe an den Legationssekretär des A.A. (wegen Südamerika), nebst Liste der Vortragsthemen. Auch über Balkanreise gesprochen. Friseur (mit Umweg; sehr schönes Wetter.) □ Hier noch langer Disput mit E über den Kommunismus. Sind die jungen Russen glücklich? (E's Glaubenslosigkeit.) – Im Bett noch Zeitung.

 

16.III. _____ □ Brief von der »Neuen Revue« dass sie die Germain-Entgegnung publizieren wollen. Brief an sie getippt. – Seyfried zum Essen, der nach dem Kaffee grossen, sehr gescheiten Aufsatz über die Zeitprobleme (Krise des Individualismus, Russland, der neue Stil, fruchtbarer Anarchismus u.s.w.) vorliest. Danach Gespräche zu dritt: W.E.S. bis Jahn-Trinkhalle begleitet; Vorfrühling. □ »Meister«-Lektüre (dazwischen telephoniert.) Dann Gedichte, »Römische Elegien«, deren grosse Wirkung auf Gide ich höchstens teilweise verstehe. □

 

19.III. _____ »Die grosse Hebammenkunst«, Sokrates-Komödie von Robert Walter gelesen, deren Existenz mir gar nicht so angenehm war. Teilweise geschickt, aber doch platter und naiver, als ich es vorhabe; ausserdem ohne Alkibiades. □ Benn-Aufsatz zu Ende gelesen, am Schluss wieder höchst grossartige Steigerung. (Angestrichen: »Man suche ja nicht hinter den Phänomenen, sie sind selber die Lehre.« Newton – Darwin – Einstein. » – – hinaus in eine Identität, die sich bewegte, eine Realität, die dialektisch wurde.« »Sondern ums Umbilden, ganz ins Unendliche geht dies Geschäft der Natur.«) – Ricki und Bert zum Abendessen, Giehse nachher. – Noch in »Stresemanns Vermächtnis« geblättert. (Am stärksten wirken Tagebuch-Notizen.)

 

20.III. _____ □ »Um einen Goethe von innen bittend« von Ortega gelesen; merkwürdig Goethe-feindlich, und mir gerade dadurch interessant. Merkwürdige Kälte des Tons; Zweifel an der Echtheit von Goethes Sein. (Angestrichen: »Die Seele bleibt also genauso ausserhalb des Ich, das Sie sind, wie die Welt um Ihren Körper her.« »Aber das Leben ist nichts weniger als ein subjektiver Vorgang. Es ist die objektivste aller Realitäten. Leben heisst ausser sich sein – sich verwirklichen.« »Dass das Leben – ausschliesslich aus seinem eigenen Problem besteht.« »Dass das Leben in einem radikaleren Sinn des Wortes an sich ethisch ist.« »Alle geistigen und Willensphänomene sind zweiter Ordnung, sind bereits Antworten, die von unserem Vorwesen hervorgerufen werden.« Goethe – »ein ständiger Deserteur seines Schicksals.« »Weimar vielleicht das grösste Missverständnis in der deutschen Literaturgeschichte.« Die »versteinernde Wirkung«, die Weimar übte.) □

 

22.III. _____ □ An Gustaf telegraphiert, weil er nicht antwortet. – Mit Liesl Frank gephont. Am Radio etwas der Übertragung aus Weimar (Kranzniederlegung in der Fürstengruft) gelauscht; ziemlich widerwärtig und sinnlos. »Kinder im Hôtel« zu Ende gemacht. – Nach Tisch: etwas im Gundolf »Cäsar und das 19. Jahrhundert.« E zurück. Erzählt. Gustafs Platte aus »Liselotte.« □

 

23.III. _____ □ »Protagoras«-Lektüre (schön.) Karte von Peter Eysoldt; Brief von Transmare, als Beilage tolle Kleinigkeit aus dem »Angriff«: »Klaus in beginnender Umnachtung.« □ Komische Unterhaltung beim Abendessen mit Bibi, der so verschwenderisch ist, zur Moni sagte, ich wäre es auch; worauf Moni: ich wäre dafür begabt. Und er: so besonders begabt sei ich auch gar nicht. Ich hätte doch keine Erfolge wie Herr Papale oder Bruno Frank, meint er – was unleugbar ist. Gespräch amüsiert mich. Wie weit habe ich es schliesslich in den Augen von Kindern oder ganz Ungebildeten schon gebracht? Nicht sehr weit, scheint es. In Neubeuern soll man abfällig von mir sprechen, während Ebermayer verehrt wird. Verspreche Bibi, ihm zu seinem 16. Geburtstag meine »gesammelten Werke« zu schenken. □

 

24.III. _____ Viel geträumt (Verfolgung durch Polizei in einem Badeort; wegen Euka, schwuhl u.s.w. Hofften aber, durch meine schwuhlen Beziehungen, nur etwas über Stellung der österreichischen Armee herauszubekommen.)

□ Mittags: Klaus Mehnert »Jugend in Sowjetrussland«; Lothar Helbing (Runde-Verlag) »Der Dritte Humanismus.« Interessant, als Gegensätze, die beiden Titel. (Unvereinbar?) – Friseur u.s.w. – Nach Tisch wieder Euka genommen, schlecht gespritzt – schadhafte Nadel? – viel daneben gegangen; nicht sehr tolle Wirkung, aber doch etwas. Gelesen: »Jugend in Sowjetrussland«; höchst interessant. Enthusiasmus der Arbeit, der Materialismus löst Kräfte aus, die entschieden übermaterialistisch-religiös sind. Das Paradox: Martyrium – für ein rein materielles Ziel. – Möchte es besprechen; an Sinsheimer deshalb geschrieben. □

 

27.III. _____ Brief von Gustaf an Mielein (»Ich bitte sehr herzlich Klaus nicht mehr in diese Sache zu mengen.«) – Mit Mielein Ostereier im Salon versteckt. Mit den Kindern (+ Alex) gesucht. – Notizen aus und zu »Sowjetrussland.« – Zu Tisch ganze Familie per Horch zur Arcisstr. Österliches Gewaltessen; die Alten sehr üsis. Palestrina-Platte beim Kaffee. Mit Golo zu Fuss durch den Englischen Garten zurück. (Osterspaziergangswetter.) Gespräche hier mit ihm weiter; hier auf dem Balkon über Zukunft, Intellektueller im Kollektiv u.s.w. »Ball auf Schloss Kobolnow« angefangen (von Rausch-Benrath); bei viel Eitelkeit recht unterhaltsam und instruktiv. – Beim Tee mit Golo nicht aufhören können zu lachen, von irgendetwas ganz Blödsinnigem ausgehend (Hebbel sei als Bettler durch die Lande gezogen.) Immer noch erschüttert. Brahms-Platte, zum Ernst-werden. – Kurz dem Rolf Hecher geantwortet. – Sekt zum Abendessen (Golos Geburtstag); Bibis Wolfgang da. – Radio gehört, sehr familiär. – Gespräch mit G., Nietzsche, ich für, Golo gegen.

 

28.III. _____ □ In diesem Vierteljahr geschrieben:

Mit E: »Begegnungen in 5 Erdteilen« (Rundfunk)

»Schmerz eines Sommers« (Novelle)

»Münchner Friedensversammlung«

»Zwei Filme«

»Wozu noch Bildung?«

»Junge Leute, nah von Paris  … «

»In der Fremde«

»Kinder im Hôtel«

Lyrik-Anthologie-Vorwort

A propos Berliner Radikalismus

»Jugend in Sowjetrussland«

Sokrates-Notizen

(In memoriam Hanns Schulze.) □

 

31.III. _____ Geträumt, dass Ruth Landshoff feierlich hingerichtet würde – oder wegen unheilbarer Krankheit den Giftbecher trinken musste –, während ihr Grab daneben hergerichtet wurde. Ich stand ihr bei und sollte dann Sohni trösten. □

 

4.IV. [Berlin, Hohenzollernhaus]. _____ Geträumt, dass auf einer Versammlung für die Präsidentschaftswahl Mops und Ripper getroffen, die mich grässlich schnitten, obwohl ich Mops an den Schultern schüttelte; und, auf einer breiten Freitreppe, den Claus Sternheim, mit dem ich mich prügelte, aber ganz freundschaftlich. □ Zum Kaffee zu Dreesen, enges Atelier (Asta-Nielsen-Photo): Tilenius, Krause, ein Neger, die beiden Nutten u.s.w. Von dort zu Gert, Grunewald. Dort auch Egon + Walter F. Von dort zu Bermann, Abendessen. Dort: Chapiros, Fülop-Millers, George Grosz avec sa femme; Musikerehepaar. Zu Tisch neben der Grosz. Nachher grosse hochinteressante Diskussion mit Grosz (den ich noch gar nicht identifiziert hatte) über Nationalsozialismus – Kommunismus. G.'s diabolische Sympathie mit den Nazis, verbissene Objektivität, die irre geht. Hier wirklich Falsches, aber Wichtiges über Moskau. Hier symptomatisch Problematik des Künstlers im Kollektivismus. Viel gewaltsame Härte, Verzerrung. (Der Reiche muss sich wohl fühlen; Sekt trinken, einen Tritt für den Arbeitslosen – so gehört sich's – –) Kommunismus duldet die Kunst nicht. Glänzend gesprochen. □

 

13.IV. _____ □ Ins Deutsche Theater »Vor Sonnenuntergang.« Peinliches Altersstück, durch sehr gute naturalistische Aufführung (Krauss) stellenweise von einer fatalen Lebendigkeit. – Stadtbahn. In die Plantage, mit F.L. Dort Wolfgang, Willi, noch einer. Über den Cocteau-Film, der nachmittags vorgeführt worden war. Am Schluss Feist, der mich nach Hause fährt. Erst 1 Uhr. – Die S.A. aufgelöst. Sieht ja fast nach Republik aus. – – Noch kurz Dos Passos.

 

15.IV. _____ Bis ½1 h geschlafen (kaum dagewesen.) Telephoniert wie eine Irre (Benn, Suhrkamp, Annemarie, Gert, Nebel u.s.w.) Willi bei mir. An alle Adressen ist »Kind der Zeit« schon gekommen (Benn sprach mit feierlich gedämpfter Rührung davon): ich sah es indessen noch nicht. □ Exemplar kommt; sehr anständig ausgestattet, hinten scheint mir, eine Seite zu wenig. – Die Zeitungen. Der Fall Kreuger in seiner pointierten Symbolik (der letzte kapitalistische Gentleman, ein Betrüger.) – Nebel holt mich ab. Ins Lessingtheater, »Maria Stuart«, mit der Straub und der Durieux. Schlechte Aufführung, auch Tilla enttäuschend, einige gute Stellen der reizlosen Straub. Nach dem 4. Akt fort. Bei Mierecke was gegessen. Nachtapotheke (Freudenhäuser vom Dienst,) Cognac geholt. Rankestrasse, »gesündigt.« Nebel recht üsis, viel über heiraten gesummt. – 3 Uhr. Die euphorische Übelkeit.

 

20.IV. _____ Anruf von Mia, die Roman-Korrekturen gelesen hat; sagt, sie wäre über Frau Grete gar nicht beleidigt, fände aber das Buch gar nicht gut – was auf dasselbe hinausläuft. □ Schlüter bei mir (Wolfgang über ihn: von Susi Vitriol zur Gräfin Taft, eine Proust'sche Karriere.) □ Nebel und Willi. – In die Städtische Oper mit ihnen, »Bürgschaft« von Weill-Neher. Teilweise eindrucksvoll; Stilmischungen: grosses klassisches Oratorium + Dreigroschenoper. Text oft unmöglich. Vulgär-Marx in Verschen. Viele Bekannte (Hanserik gleich hinter uns); in der Pause zu Landshoffs. – Nachher bei Mierecke was gegessen. Willi ab. In die Rankestrasse, sündigen (3½ Ampullen.) Sehr starker Effekt. Recht befreundet mit N.; Herzlichkeit trotz Monotonie der Gespräche. – ¾5 h. Und nun ist es Tag.

 

21.IV. _____ Bis ¾12 h geschlafen. Anruf von Doris, von K.O. – Im »Tempo« von vorgestern gelesen (ist das alles noch wahr? Selbstmord einer jungen Filmschauspielerin wegen verfehlten Villenkaufes.) □ Apotheke, Friseur, Blumen für Tilly und Doris. Essen bei Tilly und Kadidja, kleine Engländerin dabei. Sehr üsis alles. Über Pamela, Sternheim, Heinrich M.u.s.w. – Mit Kadidja noch auf der Strasse. Hier: Wolfgang. Nehmen. (2 Ampullen.) Mit Wolfgang gelegen. K.O. dazu; kurz Nebel. Grosse Debatte K.O. – Wolfgang über politisch-ökonomisch-philosophischen Fragenkomplex. Ich dazwischen bei Doris (über R.) – Willi kommt, K.O. geht. Teetrinken, Packen. Wieder Nebel. Zur Bahn. Abendessen mit N. im Excelsior (Wolfgang und Willi im Bräu nebenan.) Am Zug alle drei. Mit Aminoff im Abteil (II. ohne Schlafwagen, aber allein.) Erst geredet (Pariser Leute u.s.w.) Dann Licht aus, das schöne Unvermeidliche. – Gut geschlafen.

 

24.IV. [München]. _____ 8-Uhr-Abendblatt durchgelesen; Witz über mich drin (»Kleiner Mann – was nun?«) – Etwas gearbeitet (»Die Töne«) – Zum Wählen mit E (gewohntes Sonntagsvergnügen.) (–Sozialdemokratisch.) – Sonntagsgans. Giehse zum schwarzen Kaffee. Gespräch über Hôtelpreise. □ Mit Franks in der Osteria Italiana abendgegessen. Am Schluss dieser kleine Doktor dazu. Etwas bedrückt, wegen der Wahlergebnisse, die vernichtend scheinen. (Was für ein Volk!) □

 

25.IV. _____ Etwas Post. – Recht ernsthaft über die Notwendigkeit des Emigrierens. Erschreckender Sieg der Narretei. _____ Böse Lage. – Trotzdem zum Persischen Generalkonsulat, Königinstrasse. Beflissener kleiner Mann; Schwierigkeiten mit Autos. – Friseur (Honsell); zu Fuss heim. – Völkischen Beobachter mitgenommen, zum Kotzen glatt; (etwa Schilderung von Hitlers Flugzeug-Ankunft.) □ Ricki hier, auch zum Abendessen. Nach Tisch auf der Diele Hofmannsthals »Weissen Fächer« am Radio gehört. E als Epilog und Prolog. Katastrophale Besselt. – Dann kleine fête bei Bert: E, R, Giehse, Jorge, Aminoff. Ich noch mit Jorge und A. geblieben, nachdem die anderen weg. Getanzt u.s.w. Aminoffs tiefe nette Stimme. ½4 Uhr.

 

26.IV. _____ Wieder langes Mielein-Gespräch über Wegziehen. Wird's nötig sein? □ Nach Tisch: mit R. in die Stadt; viele Besorgungen; Hemden, Overall anmessen u.s.w. »Station Rudolstadt« mit dem Titel »Angst  … « im 8-Uhr-Blatt. □

 

28.IV. _____ □ Mielein Gregori-Kapitel gelesen habend, meint, dass ich Gustaf doch gerade jetzt wegen Geld nicht hätte schreiben sollen. Sicher Fehler von mir gewesen. □ Vor Tisch kurz spazieren (Mai-Wärme.) Nach Tisch: Euka genommen (hatte noch zwei Ampullen.) Gelesen: In der Rundschau, 3 kleine Schnitzler-Novellen; (dazwischen Hofmannsthal.) F.F. Unruh: »Nationalistische Jugend.« (Die Vernunft als »Hure der Aufklärung,« »ein so widerspruchsvolles und vielfach auch seichtes Wollen.« »Ein Optimismus, der fatal an den von 1914 gemahnt.« »Das Primat des Irrationalen bleibt unbestritten.« Fichte: »In der Sphäre eines solchen Gewissens hört der Gegensatz zwischen Irrationalem und Ratio auf.«) □

 

29.IV.