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Letztes Asternrot verglimmt, der Winter zieht ein, Kerzenlichter künden von der Adventszeit. Die Weihnachtsvorbereitungen laufen auf Hochtouren, immer näher rückt der Tag der Bescherung. Mitunter bleiben die Schneemänner aus, und die Schneeglöckchen blühen weit vor Ihrer Zeit. Einen Weihnachtsbaum verschlägt es an Deck eines Hochseeschiffes. Eisiger Nordwind wütet in der Tundra, Reste eines Eisenbahndamms tauchen auf. Die Naturlandschaft an einem steilen Berghang begegnet uns. Von einer verschwundenen Winterliebe berichtet eine Erzählung. Schwedischer Julkuchen kommt auf den Kaffeetisch. Jemand ist mit dem Rollator unterwegs, ein vorgegebener Kirchgang bietet Gelegenheit zu ausführlichem Plausch. Von einer Engelausstellung berichtet eine Ansprache. Die Sehnsucht nach Farben und Licht bevor der Frühling anbricht wird angedeutet.
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Seitenzahl: 156
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Esther Wäcken
Weihnachten mit Kindheitsträumen
„Schreibt einen Aufsatz zum Thema „Weihnachten“!
Weihnachtszauber
Tiefseeweihnachten
Ute Bünk
Neunte Weihnachten
Sigrid Liebenspacher-Helm
Kleiner Engel
Johannes Simmet
Winterliebe
Gerhard J.S. Bunk
Winter 2025 – Urlaub im Dünen-Palast
Katja Baumgärtner
Die stille Nacht
Ralf Seeck
Es war wie früher
Sebastian Bluth
Dem Nahen so fern, dem Fernen so nah
Marko Ferst
Weihnachtszeit in Köpenick (1986)
Tagesanbruch im Januar
Abenddämmerung am Seddinsee
Winternacht
Morgengrauen in Hessenwinkel
Am steilen Berghang
Im Schlaubetal
Marita Wilma Lasch
Rund um Frau Zeit
Meine Ansprache im Taufgottesdienst in St. Nikolaus in Groß-Schwülper am 9. November 2008
Gabriele Guratzsch
Gleicher Klang und doch anders – mit Spannung durch´s Jahr
Margaretha Freiin von Ketteler
Frostige Symphonie
Weihnachtschaos
Aline Fries
Weihnachtsliebe
Schneewelt
Angela Hilde Timm
Advent
Buntes Treiben weit und breit
Überraschung vor Aldi
Es sind nicht die Geschenke
Walnüsse knacken
Alles muss nun warten
Lieber guter Vater
Zur ersten Weihnacht
Weihnachtliches Fazit
Der Schornsteinfeger
Neujahrsgruß
Die Fremde lächelt
Januarnacht die
Ade Weihnachtsbaum
Zarter lila Blütenschimmer
Februartraum
Februar-Botschaft
Vorboten
Totes Eichenlaub
Sehnsucht
In dunklen Zweigen
Veronique Fehse
Winterzeit
Marko Ferst
Vom Herbst zum Winter
Winterlos
Blick auf den Seddinsee
Kurze Frostperiode
Schneepfade
Weißbärtiger
Tauwetter
Eiswelten
Kirschen
Spitzbergen
In der Tundra
Väterchen Frost
Simone Seebeck
Weihnachtszeit
Wenn es Weihnacht ist
Der Winter
Weihnachtszeit
Schöne Weihnachtszeit
Januarnacht
Winternacht
Weihnachtsabend
Wunder an Weihnachten
Adventszeit in der Stadt
Josef Helmreich
Adventerleben
Adventsbilder
Alexander Lohner
Das Jesuskind im Mariens Schoß und in der Krippe liegend
Josef Wehinger
Advent
Weihnacht
Friede sei mit dir!
Gabriele Guratzsch
Advent
Im Rausch der Zeit
Sofia Hillebrenner
Winterzauber
Rote Kerzen
Robert Goepel
Hei, hei, hei, so eine Schneeballschlacht
Jürgen Haberzett
Der Kater
Stefanie Haertel
Es ist kalt geworden zwischen uns
Fakten oder Gedanken?
Tom Stephan
Weihnachtschaos
Felix Fersch
18 Zeilen zur Schneezeit
Langer Winter
Wenn sie nur nicht wegflögen
Autorinnen und Autoren stellen vor
Esther Wäcken
(Weihnachtsgeschichte 2018)
Heiligabend! Ich befand mich auf dem Heimweg von der Mittagsschicht, obwohl ich heute eigentlich frei gehabt hätte. Aber wie das Leben so spielt. Viele Kollegen waren erkrankt und wer ließ sich netterweise breitschlagen einzuspringen? Ich!
Aber jetzt hatte ich es geschafft und freute mich auf mein vom Ofen wohlgeheiztes Wohnzimmer, mein Sofa, leckeres Festessen, Bescherung. Na, eben alles, was dazugehört. Und doch kam ich nicht allzu schnell vorwärts, denn zu meinem Leidwesen hatte es angefangen zu schneien. Ja, ich weiß, für viele Leute gehört Schnee zu Weihnachten dazu. Aber wenn ich mit dem Auto unterwegs sein muss, kann ich gern drauf verzichten. Langsam tastete ich mich also durch die hereinbrechende Dunkelheit und die wirbelnden Schneeflocken vorwärts.
Ein Anhalter! Normal nehme ich die ja nicht mit, aber dieser junge Mann in verschlissenen Jeans und Parka, die Kapuze über dem Kopf, der da den Daumen raushielt, der hatte etwas an sich, das mir Vertrauen einflößte. Und überhaupt, ist Weihnachten nicht das Fest der Liebe?
Also brachte ich mein Auto mit einem vorsichten Bremsmanöver zum Stehen, ließ das Beifahrerfenster runter und rief zu dem Fremden hinaus, wohin er denn wolle. Dieser hatte schon die Tür geöffnet und sagte: „In die Richtung, wohin Sie fahren, einfach noch ein Stück weiter. Ich sage Ihnen, wo Sie mich absetzen können.“ Mit einem Danke!, hatte er auch schon auf dem Beifahrersitz Platz genommen, setzte seine Kapuze ab.
Verstohlen musterte ich meinen neuen Mitfahrer. So um die 30 mochte er sein. Schulterlanges, blondes Haar, Vollbart und die blauesten Augen, die ich je gesehen hatte. Höflich war er auch, denn er stellte sich vor: „Ich bin übrigens Chris T. Kind. Ich bin dein inneres Kind, das all deine Träume kennt. Was es sich wünscht, was es auch denkt, das wird dir heute geschenkt.“ Bei diesen Worten legte er seine Hand auf meinen Unterarm und eine wohlige Wärme, eine tiefe, innere Zufriedenheit schien sich von seiner Hand aus in meinem ganzen Körper auszubreiten. Und der intensive Blick seiner blauen Augen…
Was? Hatte er das gerade wirklich so gesagt? Sobald er seine Hand wegnahm, war dieser wundersame Moment vorbei und wir waren einfach nur zwei Menschen in einem Auto auf einer glatten Straße im Schneegestöber. Vorsichtig manövrierte ich mein Auto weiter durch die zunehmend schlechter werdenden Wetter- und Sichtverhältnisse.
War ich in Sekundenschlaf gefallen? Abrupt fuhr ich auf, als plötzlich die Titelmelodie von Knight Rider aus meinem Autoradio erklang. Und nicht nur das! Ich saß ganz eindeutig nicht mehr in meinem Auto, sondern in dem futuristischen Cockpit von K.I.T.T.
Was hatte Chris noch gleich gesagt über das innere Kind und die Wünsche dieses Kindes, die erfüllt werden sollten? Nun, als ich mit der Serie Knight Rider Bekanntschaft machte, war ich zwar kein Kind mehr, aber dieses Auto hatte mich so sehr fasziniert, dass ich mir gewünscht hatte, K.I.T.T würde mir gehören. Und nicht zuletzt hatte ich erst in den letzten Tagen ein Internetportal entdeckt, wo ich mir diese alte Serie nochmals ansehen konnte. Also waren meine Gedanken durchaus um dieses Wunderauto gekreist. Vor allem jetzt, wo mir das Fahren bei diesem Wetter doch ziemlich zusetzte. Als hätte K.I.T.T meine Gedanken erraten, erklang auch schon seine sonore Stimme: „Ich schlage vor, dass ich jetzt das Fahren übernehme und Sie sich entspannt zurücklehnen.“
Nichts lieber als das. Ich ließ das Lenkrad los und mein Wunderauto fand seinen Weg ganz von allein. Doch nach einiger Zeit wurde ich skeptisch. Waren wir nicht, dem Wetter zum Trotz, schon viel zu lange unterwegs. Und der Weg wurde zunehmend steiler. Ja, es schien gar keine Straße mehr zu sein, eher ein kaum noch erkennbarer Querfeldeinweg.
„K.I.T.T., bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, wagte ich zu fragen.
Wieder erklang die melodische Stimme: „Absolut sicher. Wir sind bei Mayenfeld abgebogen und auf dem direkten Weg zur Almhütte.“
Mayenfeld? Almhütte? Klar, ich war in den letzten Wochen auf einem echten Nostalgietrip gewesen, hatte etliche meiner alten Kinder- und Jugendbücher wieder aus dem Regal geklaubt und stundenlang gelesen. Eines dieser Bücher war „Heidi“, deren Leben auf der Alm in den Bergen ich mir so oft auch für mich erträumt hatte. Aber mit dem Auto auf die Alm?
Doch K.I.T.T war schließlich nicht irgendein x-beliebiges Auto. Warum sollte der so einen Fahrt also nicht bewältigen? Das Schneetreiben hatte aufgehört und da sahen wir sie auch schon von weitem. Heidi und ihren Großvater, den Alm-Öhi.
Was für ein Kontrast zwischen altmodischer Gemütlichkeit und Moderne, als K.I.T.T neben dem Schlitten der beiden, die uns begrüßend zuwinkten, bremste. Ich stieg aus, ging auf Heidi und den Öhi zu, begrüßte sie freundlich und dann genoss ich lange Zeit einfach nur dieses herrliche Bergpanorama, die frische, klare Bergluft und vor allem, diese wunderbare Stille! Schließlich begaben wir uns zu viert – Chris war inzwischen ebenfalls ausgestiegen – zu der urigen Almhütte. Dort bullerte der Ofen vor sich hin, mollige Wärme empfing uns. Und ein gedeckter Tisch mit den einfachen Köstlichkeiten aus Heidis Leben. Frische Geißenmilch, frisches Brot und deftiger Bergkäs, welchen der Öhi sodann, wie ich es aus dem Buch kannte, über dem Feuer anbriet. Ein köstliches Mahl!
Nur eine Sache passte nicht so recht ins Bild, denn ein Weihnachtbaum wurde bei Heidi nie erwähnt. Nur die drei großen, alten Tannen hinter der Hütte. Hier aber stand ein Baum, der mir auch vertraut vorkam, aus einem anderen Buch. Geschmückt mit den prächtigsten Dingen aus Silber und Gold, mit Kugeln, Ketten, Sternen, mit Äpfeln und Nüssen. Auch Kerzen waren aufgesteckt und Kringel aus Schokolade hingen an den Zweigen. Und ein entzückendes kleines Flugzeug, ganz aus Silber! Die Kerzen brannten und ich schaute ganz genau hin, denn wenn ich mich nicht täuschte, dann müsste sich hinter einer der Kerzen Pünkelchen versteckt haben. Und richtig, da war es, genau wie aus dem gleichnamigen Buch.
Ich hütete mich, etwa erkennen zu lassen, dass ich Pünkelchen längst entdeckt hatte. Denn wenn alles so passieren würde wie im Buch, dann…
Und es passierte. Pünkelchen hatte sich aus Angst, entdeckt zu werden, hinter besagter Kerze versteckt. Dann jedoch war heißes Wachs herunter getropft, Pünkelchen hatte vor Schreck losgelassen, war auf das silberne Flugzeug unter ihm geplumpst. Dieses hatte sich losgerissen und einen unbemerkten Gleitflug durchs Zimmer gemacht. Unbemerkt blieb dieser Flug diesmal allerdings nicht. Vor allem, weil das kleine Flugzeug mit seinem noch kleineren Passagier mitten auf dem Tisch in der Hütte landete, um welchen wir noch immer zum Essen saßen.
Pünkelchen erschrak nicht schlecht, plötzlich vier Augenpaare von vier riesengroßen Menschen auf sich gerichtet zu sehen. Und es kostete einiges an Überzeugungskraft, ihm klar zu machen, dass niemand ihm etwas antun wollte. Stattdessen durfte der kleine Wicht an unserer Mahlzeit teilnehmen. Mit mikroskopisch kleinen Portionen, die er mitten auf dem Tisch sitzend genüsslich verzehrte.
Was war das jetzt wieder? Vor der Hütte erklang Hufgetrappel und Wiehern. Wir alle, außer Pünkelchen, welches, klein wie es war, so schnell nicht vom Tisch herunter kam, sprangen auf und liefen hinaus. Ich staunte nicht schlecht, denn da draußen vor der Hütte, das waren Winnetou und Old Shatterhand auf ihren prächtigen Rappen Iltschi und Hatatitla. Richtig, Karl May hatte ich in diesen Tagen auch wieder gelesen, mir dabei wir üblich vorgestellt, ich würde mit meinen Helden über die Prärie reiten. So hatten also der stolze Häuptling der Apatschen und sein Blutsbruder auch den Weg auf Heidis Alm gefunden.
Ehrlich, vor lauter Aufregung, zwei weiteren Helden meiner Jugend leibhaftig gegenüber zu stehen, wurde ich ganz zappelig. Geradezu würdevoll saßen die beiden ab, begrüßten uns formvollendet und kümmerten sich sodann, wie jeder gute Westmann es zu tun pflegt, zunächst um das Wohl ihrer Pferde. Diese wurden kurzerhand im Geißenstall bei Schwänli und Bärli untergebracht, bekamen reichlich gutes, duftendes Bergwiesenheu vorgesetzt und die dazugehörigen Reiter begaben sich mit uns zurück in die Hütte. Und ganz wie in den Büchern hatten sie den typischen Wildwestproviant dabei. Gebratene Büffellende und tatsächlich gebratene Bärentatzen. Nun bin ich ja ganz bestimmt kein überzeugter Fleischesser, betrachte solche „Genüsse“ mit einer gewissen Skepsis, war jedoch neugierig genug, davon zu probieren. Hm, gar nicht mal so schlecht und so ging dieses ungewöhnliche Festmahl mit zwei weiteren, ungewöhnlichen Festgästen weiter.
Wir saßen zusammen bis in die Nacht, bis die Kerzen am Baum heruntergebrannt waren, dem Heidi vor Müdigkeit die Augen zufielen und die Sterne in herrlicher Klarheit am samtschwarzen Himmel standen. Und bis K.I.T.T draußen vor der Hütte hupte, deutlich hörbar rief, es wäre an der Zeit aufzubrechen.
Herzlich nahm ich Abschied vom Heidi, vom Alm-Öhi, von Pünkelchen, Winnetou und Old Shatterhand. Ließ es mir nicht nehmen, zum Abschied ebenfalls noch mal in den Stall zu gehen, um Iltschi, Hatatila, Schwänli und Bärli zu kraulen. Dann stiegen Chris und ich ein und mit Autopilot ging es den Berg hinunter.
„Danke, Sie können mich hier aussteigen lassen“, riss mich Chris Stimme aus meinen Gedanken. Was? Wo? Verwundert schaute ich mich um. Ich saß ganz eindeutig in meinem eigenen Auto, hielt vor meiner eigenen Haustür. Chris war bereits ausgestiegen, rief zum Abschied: „Tschüss und danke, nochmal. Und frohe Weihnachten!“
„Warte!“, rief ich ihm, hastig ebenfalls aussteigend, hinterher. „Willst du nicht noch mit reinkommen?“
„Nein, ich muss jetzt weiter. Hab noch viel zu tun.“
Fast hatte ihn schon die Dunkelheit verschluckt, da fiel mir noch etwas ein.
„Chris!“, rief ich erneut, „Wofür steht das T. in deinem Namen?“
„Traumwahrmacher!“, klang es aus der Dunkelheit zurück und weg war er.
Endlich machte ich mich auf den Weg zu meiner Haustür, um in ein Weihnachtsfest ohne Wunschtraumbesucher aus meinen Büchern und Serien zu starten. Und doch fragte ich mich, innerlich grinsend, was wohl passiert wäre, hätte ich in den letzten Tagen statt Jugendliteratur intensiv „Shades of Grey“ gelesen.
Esther Wäcken
(Meine Weihnachtsgeschichte 2019)
Mara sitzt an ihrem Schreibtisch und brütet über ihren Hausaufgaben. Für Deutsch lautet die Aufgabe: „Schreibt einen Aufsatz zum Thema „Weihnachten“! Grundsätzlich schreibt Mara gern Aufsätze. Seitenlang. Denn ihre Phantasie kennt keine Grenzen. Nur leider ist ihre Phantasie so eigenwillig, dass sie selten beim Thema bleibt, stattdessen wie ein ungezügeltes Pferd in jede beliebige Richtung davongaloppiert. So steht oftmals der Kommentar unter ihren Aufsätzen: „Gut geschrieben, aber Thema verfehlt.“
Weihnachten? Was soll sie darüber nur schreiben? Maras Blick schweift aus dem Fenster, hinüber zum Nachbarhaus. Denn die Nachbarn lassen ihr ab Ende November gar keine Chance, sich dem Thema „Weihnachten“ zu entziehen mit ihrem alle Jahre wiederkehrenden Beleuchtungsund Dekowahn, der in Maras Zimmer blinkt. Aber, schön sieht es ja aus. Die geben sich echt Mühe.
Soll sie darüber schreiben? Wieviel Mühe sich manche Leute mit ihrer Weihnachtsdekoration machen? So recht will ihr dazu jedoch nichts einfallen. Um sich in die richtige Stimmung zu bringen, klickt sie ihre Weihnachtsplaylist auf ihrem Smartphone an. Zuallererst ertönt ihr absoluter Lieblingssong, „Willkommen in der Weihnachtszeit“ von Saltatio Mortis. Mara singt mit, der Text spricht ihr aus der Seele, vor allem diese Textpassage: „Hohoho, ihr lieben Kinder, hohoho, es ist so weit. Draußen sind noch dreißig Grad, doch im Supermarkt ist Weihnachtszeit.“
Wäre das ein passendes Thema für ihren Aufsatz? Dass Weihnachten immer mehr zum reinen Kommerz verkommt? Wie absurd es ist, schon ab September überall Weihnachtsgebäck und Süßigkeiten kaufen zu können? Ihr zweiter Favorit auf ihrer Playlist, „Merry Christmas allerseits“ von Udo Jürgens, drückt ja auch nichts anderes aus:
„Every Parkhaus is besetzt weil die people fahren jetzt all to Kaufhaus Mediamarkt kriegen nearly Herzinfarkt Shopping hirnverbrannte things and the christmas Glocke rings
Andererseits, wurde dieses Thema nicht schon oft und immer wieder bis zum Erbrechen breitgetreten? Ohne dass sich was änderte? Alle mokieren sich darüber, nur um dann selbst die Supermärkte zu überfüllen und haufenweise Geld für „hirnverbrannte things“ auszugeben und vor den Feiertagen Lebensmittel einzukaufen, als gäbe es kein Morgen.
Mara geht nur ungern vor Weihnachten einkaufen. Nicht nur, weil dann alles so überfüllt ist, man von den Menschenmassen schier totgetreten wird. Vor allem an den Kühltruhen ekelt es sie beim Anblick der dicht an dicht liegenden, folienverschweißten Gänsekadavern.
Überhaupt, warum gilt bei so vielen Leuten der Braten, egal von welchem Tier, noch immer als ganz besonderes Festessen? Als ob die Menschen es nicht längst besser wüssten! Eigentlich! Aber wenn es darum geht, das eigene Essverhalten wirklich zu ändern…
Leicht war es auch für Mara nicht, ihre Eltern so nach und nach behutsam davon zu überzeugen, wie unsinnig die häufig aufgestellte These ist, dass der Mensch Fleisch zur gesunden Ernährung braucht, weil ihm sonst dies und das und jenes fehlt und er unweigerlich krank und mangelernährt ist. Alles längst wiederlegt und doch noch nicht in den Köpfen angekommen! Ihre Mutter hat sie mit gemeinsamem Ausprobieren leckerer, vegetarischer Rezepte inzwischen überzeugt. Und ihr Vater, der muss halt essen, was auf den Tisch kommt. Dass er sich allerdings trotzdem noch zwischendurch unterwegs in aller Heimlichkeit sein Schnitzel reinzieht, ist nicht auszuschließen.
Weihnachten, das Fest der Liebe und für ungezählte Tiere, die als Weihnachtsbraten herhalten müssen, das Fest des Todes. Wie war das noch gleich, mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“? Da heißt es nicht: „Du sollst keine Menschen töten“, oder: „Du sollst nur unter diesen und jenen Umständen nicht töten, wenn du es irgendwie vermeiden kannst“, sondern schlicht und einfach: „Du sollst nicht töten“. Was doch eigentlich die Tiere mit einschließt, oder etwa nicht? Überhaupt, das mit dem „Macht euch die Erde untertan“, das hat ja prima geklappt, so wie die Menschheit die Erde und all ihre schwächeren Geschöpfe ausbeutet.
Aber, wenn Mara darüber ihren Aufsatz schreibt, dann ist ihr ein „Thema verfehlt“ jedenfalls sicher.
Noch immer ist sie kein Stück weitergekommen, wovon ihr Aufsatz handeln soll. Weihnachten, die Zeit, wo ungezählte, mehr oder weniger kitschige, rührselige Filme im Fernsehen laufen. Hat man alles schon gesehen, in all den Jahren davor. Auch hier gibt es wohl kaum was Neues, was so noch nie dagewesen ist, worüber sie schreiben könnte. Die eigentliche Weihnachtsgeschichte, mit der ja alles überhaupt erst angefangen hat, eingeschlossen.
Mara denkt so für sich, dass diese Sache mit dem Erlöser der Menschheit schon ganz schön großes Kino war. Und Jesus, der hat sich so richtig reingekniet, um dieser großen Aufgabe, die sein Vater ihm da gestellt hat, gerecht zu werden. Der hat die Menschen wirklich geliebt und vorbehaltlos jedem geholfen. So, wie es sein sollte. So, wie es jeder machen sollte. Aber leider, auch daran hat sich nie etwas geändert, wer einfach zu gut ist, wird dafür nicht nur geliebt und bewundert, er zieht auch die Neider und Hasser an. Was letztlich zu seinem grausamen, sinnlosen Tod führte. Und seitdem wartet die Christenheit auf die Rückkehr ihres Erlösers. Was doch irgendwie unsinnig ist. Denn wer sagt, dass dieser nicht längst zurückgekehrt ist? Oder nie wirklich weg war? Oft malt Mara sich aus, dass Jesus sein Wirken auf unserer Welt einfach inkognito fortgesetzt hat. Er könnte der Rettungssanitäter sein, oder der Feuerwehrmann, der Menschenleben rettet. Oder in einer Hilfsorganisation aktiv ist.
Und nicht zuletzt trägt jeder Mensch dieses Licht, diese Liebe in sich selbst und kann genauso helfen, heilen, trösten, wenn er dazu bereit ist.
Was würde Jesus wohl dazu sagen, dass gewisser Maßen ihm zu Ehren besagte Gänse und andere Tiere massenhaft als Festtagsbraten abgeschlachtet werden? In diesem Moment macht es „klick“ in Maras Kopf. Was, wenn Jesus nicht der Erlöser der Menschen wäre, sondern der Erlöser der ausgebeuteten, geknechteten Erde, der Natur, der Tiere? DAS IST ES! Darüber wird sie schreiben und das zu erwartende: „Gut geschrieben, aber Thema verfehlt“, ist ihr in diesem Moment völlig egal. Wie von selbst fügen sich die Gedanken aneinander, der Stift fliegt nur so übers Papier. Und da sie einmal so im Thema ist, denkt sie sich, dass man die zehn Gebote langsam auch mal überholen und den aktuellen Gegebenheiten anpassen könnte. Dann könnte es etwa heißen:
Ich bin die Erde, euer aller Mutter. Ihr habt keine Erde außer mir, die ihr bewohnen könnt.
Du sollst die Natur und alle ihre Geschöpfe ehren.
Du sollst keines deiner Mitgeschöpfe töten, weder Mensch noch Tier.
Du sollst nicht ausbeuten der Erde Bodenschätze.
Zufrieden lächelnd steckt Mara ihr Heft mit dem fertigen Aufsatz in ihre Schultasche und freut sich bereits auf hitzige Diskussionen mit ihrem Deutschlehrer, der zugleich auch ihr Religionslehrer ist. So, wie sie sich darauf freut, mit ihrer Mutter gleich ein köstliches, vegetarisches Weihnachtsmenü zu planen.
Esther Wäcken
Meine Weihnachtsgeschichte 2022