Täglich grüßt das Schuldgefühl - Katharina Spangler - E-Book

Täglich grüßt das Schuldgefühl E-Book

Katharina Spangler

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  • Herausgeber: Humboldt
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Habe ich mein Kind zu kurz gestillt? Schimpfe ich zu viel? Darf ich krank sein? Bin ich zu früh wieder arbeiten gegangen? Lasse ich mein Kind zu viel vor dem Bildschirm sitzen? Bin ich als Partnerin noch attraktiv? Mütter tun meist alles für ihre Familie – und haben dennoch ein schlechtes Gewissen. Dieser Ratgeber räumt mit den belastenden Denkmustern auf und liefert praktisch und alltagsnahe Unterstützung, damit Mütter ihre Schuldgefühle loswerden können: Sich selbst, ihrem Kind, ihrem Partner, aber auch der Gesellschaft gegenüber. Die Autorinnen bringen alle typischen Situationen auf den Punkt, in denen Mütter häufig ein schlechtes Gewissen entwickeln – und bieten einen Ausweg, der sich auch mit dem Familienalltag vereinbaren lässt.

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Seitenzahl: 326

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INHALT

Gebrauchsanleitung für dieses Buch

Das schlechte Gewissen

Schuldgefühle und schlechtes Gewissen

So entsteht dein schlechtes Gewissen

Die Quellen deiner Schuldgefühle

Deine Glaubenssätze

Die Erwartungen an dich

Deine Risikofaktoren

Kriegsschauplatz Krabbelgruppe

Die Folgen deines schlechten Gewissens

InKrit und VERA

InKrit – deine innere Kritikerin

VERA – deine innere Freundin

Eure Gesundheit

Hilfe, die Geburt lief nicht wie geplant!

Keine Geburt ist wie die andere

Versöhne dich mit der Geburt

Sei nachsichtig mit dir im Wochenbett

InKrit und VERA

Hilfe, mein Körper verändert sich!

Veränderung gehört dazu

So sorgst du für deinen Körper

PMS – Der Endgegner in Sachen Körpergefühl

InKrit und VERA

Hilfe, ich ernähre mein Kind falsch!

Ob Brust oder Flasche: Wichtig ist Milch

Beikost: Essen darf Spaß machen

Es gibt keine „schlechten” Esser*innen

InKrit und VERA

Hilfe, mein Kind hat sich verletzt!

Kinder erkunden die Welt

Was wirklich zählt: Vorbeugung und Vorbereitung

Kinder sind oft krank

InKrit und VERA

Hilfe, ich bin krank!

Wenn Mamas krank sind

Chronisch kranke oder behinderte Mama

Mit deinem Kind über Krankheit sprechen

Kindliche Widerstandskraft

InKrit und VERA

Mutterschaft

Hilfe, mir fehlt der Mutterinstinkt!

Das Bauchgefühl hat nicht immer recht

Übe dich in Geduld

InKrit und VERA

Hilfe, bin ich jetzt nur noch Mutter?!

Das Märchen von der „guten Mutter”

Du bist mehr als Mutter

Niemand braucht Supermütter

Sei die Mutter, die du sein willst

Jammern ist erlaubt

InKrit und VERA

Hilfe, ich will (nicht) wieder arbeiten!

Arbeit – mehr als Broterwerb

So kann Vereinbarkeit gelingen!

InKrit und VERA

Hilfe, ich will me-time ohne Reue!

Darum brauchst du me-time

Argumente für deine me-time

Gestalte deine me-time

InKrit und VERA

Hilfe, ich will nicht immerzu basteln!

Eine gute Mutter …

… ist eine authentische Mutter

InKrit und VERA

Erziehung

Hilfe, ich verwöhne mein Kind!

Löse dich von veralteten Annahmen

InKrit und VERA

Hilfe, ich schimpfe zu viel!

Vision: gewaltfreie Erziehung

Schritte zum friedvollen Miteinander

Verantwortung übernehmen

Schützende Gewalt

InKrit und VERA

Hilfe, mein Kind entwickelt sich nicht „normal”!

Einflussfaktoren der Entwicklung

Schule & Co

InKrit und VERA

Leben mit Kind

Hilfe, mein Kind sieht zu viel fern!

Die berüchtigte „30-Minuten-Regel”

Qualität statt Quantität

Ein gutes Gewissen beim Umgang mit Medien

Dein eigener Medienkonsum

InKrit und VERA

Hilfe, meine Kinder streiten sich!

Deine Familie wächst

Gleich behandeln ist nicht immer gerecht

Streit begegnen

InKrit und VERA

Hilfe, mein Kind wird fremdbetreut!

Die Außer-Haus-Betreuung als Bereicherung

Trennungsschmerz trifft euch beide

Die richtige Entscheidung treffen

InKrit und VERA

Hilfe, hier schaut’s aus …!

Unordnung ist kein Verbrechen

Von Putzteufeln und Dreckspatzen

InKrit und VERA

Deine Partnerschaft

Hilfe, wir streiten uns dauernd!

Die Krux mit dem Mental Load

Wenn es (trotzdem) kracht

InKrit und VERA

Hilfe, wir haben keine Zeit füreinander!

Paarzeit „freischaufeln”

We-time zu Hause

Gemeinsam ausgehen

InKrit und VERA

Hilfe, es herrscht Flaute im Bett!

Elternsex ist anders, nicht schlechter

Zurück zu mehr Lust

InKrit und VERA

Selbstmitgefühl als Schlüssel

Das mitfühlende Selbstgespräch

Danksagung

Weiterführende Literatur

Gebrauchsanleitung für dieses Buch

Dieses Buch wird dir dabei helfen, mit dem täglichen Strudel aus Schuldgefühlen, den das Mama-Sein auslöst, besser klarzukommen. Dafürist es wichtig, dass du zuerst das Kapitel „Das schlechte Gewissen” liest. Es wird dir dabei helfen, zu verstehen, wie Schuldgefühle entstehen und wie du sie einordnen kannst.

Dort lernst du zwei Figuren kennen, die dich durch das ganze Buch begleiten:

• Deine innere Kritikerin „InKrit”

• Deine innere Freundin „VERA”

Wir verweisen immer wieder auf die beiden und am Ende jedes Kapitels diskutieren sie miteinander. Das erkennst du an den Sprechblasen, die diese inneren Gespräche kennzeichnen. VERA liefert dir in diesen Dialogen wertvolle Argumente und Formulierungshilfen, mit denen du deiner inneren Kritikerin und auch der Kritik von außen souverän begegnen kannst.

Danach kannst du dieses Buch kapitelweise und in beliebiger Reihenfolge lesen, je nachdem, welche Schuldgefühle bei dir gerade drücken. Die Themenauswahl, die wir getroffen haben, deckt wahrscheinlich nicht alle Bereiche ab, die bei dir ein schlechtes Gewissen auslösen – aber die gängigsten. VERA und das Abschlusskapitel „Selbstmitgefühl als Schlüssel” helfen dir aber bei allen Schuldgefühlen.

In jedem Kapitel findest du Übungen und Tipps (mit entsprechenden Icons gekennzeichnet), in manchen auch einen Gastbeitrag von Expert*innen.

Du brauchst Stift und Papier.Übungen und praktische Tipps

Ergänzendes Download-Material findest du über die QR-Codes im Text, die dich zu unserer Website https://www.mamafuersorge.com führen. Am Ende des Buches haben wir weiterführende Literatur und die Studien aufgeführt, auf die wir uns im Buch beziehen.

HINWEIS

Die klassische Kleinfamilie ist das vorherrschende Familienmodell im deutschsprachigen Raum – andere Modelle nehmen immer mehr zu. Wenn wir im Folgenden von deinem Partner sprechen, dann ist also nicht nur die typische Frau-Mann-Kind-Beziehung gemeint, sondern alle denkbaren Konstellationen: gleichgeschlechtliche Partnerschaften, polyamore Beziehungen, Co-Parenting, Patchwork-Familien, usw. Auch als Alleinerziehende kannst du das Buch prima nutzen.

DAS SCHLECHTE GEWISSEN

Jede von uns kennt sie: Schuldgefühle und Gewissensbisse. Aber wie entstehen sie eigentlich? Zum Einstieg erklären wir dir, was Schuldgefühle ausmacht, woher sie kommen und vor allem, warum sie uns Mütter so hartnäckig verfolgen. Diese Hintergründe sind sehr hilfreich, wenn wir dann im Rest des Buches mit dir zusammen daran arbeiten, die Schuldgefühle aufzulösen oder zu nutzen. Wir präsentieren dir also: dein schlechtes Gewissen!

Eltern haben im Durchschnitt 23-mal pro Woche ein schlechtes Gewissen. Also mindestens dreimal täglich! Wie ist es bei dir? Hast du schon mal mitgezählt? Vermutlich nicht. Man gewöhnt sich nämlich ziemlich schnell daran und lebt irgendwie damit. Da du aber zu diesem Buch gegriffen hast, nervt es dich vermutlich genauso sehr wie uns.

Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm hat in Studien herausgefunden, dass 70 % aller Frauen verunsichert sind und ein schlechtes Gewissen haben. Schuldgefühle gehören also zum Alltag der meisten Mütter. Wir haben ständig ein schlechtes Gewissen, obwohl wir keines haben müssten. Das ist bei dir sicher nicht anders. Diese ungerechtfertigten Schuldgefühle führen dann zu noch mehr Druck und Stress und schaden deinem Selbstwertgefühl. Gute Gründe, sich einmal genauer damit zu beschäftigen.

Schuldgefühle und schlechtes Gewissen

Schuldgefühle und schlechtes Gewissen – ein und derselbe unangenehme Zustand. Aber wie genau lässt er sich beschreiben? Er quält dich immer dann, wenn du glaubst, dass du fremden oder eigenen Erwartungen nicht entsprichst. Oder wenn du meinst, jemandem Schaden zugefügt und Schuld auf dich geladen zu haben. Kurz: Wenn du das Gefühl hast, nicht das getan oder gelassen zu haben, was angebracht gewesen wäre, was du hättest tun sollen. Und da liegt schon der Hase im Pfeffer: Was „sollen” wir denn tun? Was ist „angebracht” oder „erwartbar”, was ist „richtig” und was „falsch”? Und ist es nicht sogar gut, dass du dich für dein Verhalten verantwortlich fühlst?

Um das „schlechte Gewissen” besser zu verstehen, fangen wir am besten von vorne an. Denn es gibt zwei ganz unterschiedliche Arten von Schuldgefühlen:

Angebrachte Schuldgefühle

Angebrachte Schuldgefühle treten auf, wenn du wirklich Schuld auf dich geladen hast. Im elterlichen Kontext könnte das zum Beispiel der Fall sein, wenn du deinem Kind absichtlich wehgetan hast. Das können wir auch nicht schönreden, das ist schlicht und ergreifend nicht okay. Ein echtes schlechtes Gewissen tritt also auf, wenn du bewusst etwas getan (oder unterlassen) hast, was einem anderen Menschen Schaden zufügt. Wenn du eine Wahl hattest. Die dann entstehenden Schuldgefühle sind wichtig für das Überleben und Zusammenleben aller Menschen. Nur so können wir in Gemeinschaften existieren: weil wir Rücksicht aufeinander nehmen und uns in der Regel nicht schaden wollen.

Das schlechte Gewissen ist also eine Art Polizei. Du möchtest vermeiden, dass es dich bestraft (durch negative Gefühle) und hältst dich im Miteinander an bestimmte Regeln. Nicht immer geht es dabei um schwerwiegende Vergehen. Gerade aus kleinen Fehlern lernst du viel für dein zukünftiges Verhalten. Du reflektierst dich und dein Verhalten, versuchst, dich in andere einzufühlen und wirst motiviert, etwas zu verändern.

Das schlechte Gewissen, das dich täglich begleitet und wie ein Tinnitus permanent an deinen Nerven sägt, ist ein anderes. Es ist komplexer und besteht aus gelernten Schuldgefühlen. Um diese Art von Schuldgefühlen geht es in diesem Buch.

Trügerische Schuldgefühle

Gelernte, trügerische Schuldgefühle entstehen dann, wenn du nicht wirklich Schuld an etwas hast, es sich aber so anfühlt. Dahinter stecken verinnerlichte Glaubenssätze, viele davon schon aus deiner Kindheit, gegen die du ohne ein Bewusstsein dafür nur schwer ankommst. Oder gesellschaftliche Erwartungen, die gerade auf uns Mütter von allen Seiten einprasseln. Sie sind trügerisch!

Ein Beispiel aus deinem Mama-Alltag: Du hast ein schlechtes Gewissen, weil du mit deinem Kind heute nicht auf dem Spielplatz warst, sondern stattdessen eine Freundin besucht hast. Eigentlich hattest du einen tollen Nachmittag, aber du fühlst dich dennoch schlecht, weil du der Meinung bist, die Bedürfnisse deines Kindes (nach Bewegung und Spaß) seien wichtiger als deine (nach sozialem Austausch und Entspannung). Aber: Die Bedürfnisse aller Familienmitglieder sind immer gleich wichtig, nur manchmal unterschiedlich dringend. Natürlich ist es völlig okay und sogar besonders wichtig, dass auch deine Bedürfnisse gehört und erfüllt werden – und nicht immer nur die deines Kindes. Du kannst es nur (noch) nicht fühlen.

Diese trügerischen Schuldgefühle schwingen dein ganzes Leben lang mit und machen sich oft in solch banalen Situationen bemerkbar.

Das Fatale an ihnen: Sie machen dich traurig, kratzen an deinem Selbstwert und sind verdammt ungesund. Sie drehen ihre Grübelkreise in deinem Kopf und halten dich sogar vom Schlafen ab. Und im Gegensatz zu den angebrachten Schuldgefühlen haben sie keinerlei nützliche Funktionen. Sie helfen dir nicht, dich zu verändern, sondern bremsen dich aus und lassen dich erstarren. Warum? Weil du durch dieses schlechte Gewissen nicht nur dein Verhalten verurteilst, sondern dein Wesen, das, was dich als Mensch ausmacht. Selbstkritik ist nicht verkehrt, sich selbst abzuwerten aber schon. Leichter gesagt als getan. Wir werden im Verlauf dieses Buches mit dir üben, wie du gegen die trügerischen Gefühle ankommst.

So entsteht dein schlechtes Gewissen

Es ist hoffentlich klar geworden, dass niemand von uns mit diesem großen Rucksack aus schlechtem Gewissen auf die Welt kommt, auch du nicht. Es bildet sich im Laufe deines Lebens und ist abhängig von

• deiner Kindheit,

• deinem Umfeld,

• deinem Wertesystem,

• der Kultur, in die du hineinwächst,

• deinen Bezugspersonen und auch

• deinen Persönlichkeitsmerkmalen.

Deine Schuldgefühle entstehen immer nach dem gleichen Muster:

1. Du willst etwas tun oder lassen (meist aufgrund eines Bedürfnisses): „Ich will (nicht)…”

2. Diesem Wunsch entgegen steht ein bestimmtes Ge- oder Verbot: „Ich soll (nicht) … / Ich darf (nicht) … / Man tut (nicht) …”

3. Du hast Angst, gegen dieses Ge- oder Verbot zu verstoßen, weil du unangenehme Folgen befürchtest. Hauptsächlich ist es die Angst, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden.

Dein Wunsch, etwas zu tun, steht also im Konflikt mit deiner Angst vor negativen Auswirkungen dieser Handlung. Du lässt es deshalb entweder bleiben oder tust es trotzdem – aber mit einem schlechten Gewissen.

Ein konkretes Beispiel:

1. Du möchtest dich gerne am Nachmittag mit deiner Freundin treffen, weil du dich nach Austausch und erwachsener Gesellschaft sehnst. (Wunsch/Bedürfnis/Handlungsabsicht)

2. Dieser Absicht steht aber dein inneres Gebot im Weg: „Die Bedürfnisse anderer, im speziellen meines Kindes, sind immer wichtiger als meine eigenen.” (Ge-/Verbot)

3. Du hast Angst, dass du deinem Kind nicht gerecht wirst, eine schlechte Mutter bist und das eurer Beziehung oder seiner Entwicklung schadet. Und dass du deshalb von anderen schräg angeschaut wirst. (Angst vor unangenehmen Folgen)

Entweder gehst du also doch auf den Spielplatz – oder du triffst deine Freundin, aber mit schlechtem Gewissen.

Du merkst schon, wie irrational dieses Schuldgefühl ist. Aber es ist da. Und zwar unterbewusst. Das liegt daran, dass du oft keinen Zugang zu den Quellen deiner Schuldgefühle hast und diese manchmal nicht einmal als Schuldgefühle erkennst. Denn sie sind fest in dir verankert und in einer Ecke deines Gehirns versteckt, auf die du kaum gedanklichen Zugriff hast.

Die Quellen deiner Schuldgefühle

Die Ursachen für trügerische Schuldgefühle sind vielfältig, sie speisen sich aber vorwiegend aus drei Quellen.

Deine Glaubenssätze

In deiner Kindheit hast du eine Menge verschiedener Annahmen über dich selbst verinnerlicht. Du hast von deinen Eltern gelernt, dass bestimmtes Verhalten unerwünscht ist, und deshalb versucht, es zu unterlassen. Weil du die Beziehung zu deinen Eltern nicht aufs Spiel setzen wolltest. Hat das nicht geklappt, hast du Schuldgefühle entwickelt.

Sind immer wieder Bemerkungen gefallen, die dir das Gefühl gaben, dein Handeln sei falsch, schlecht, nervig und nicht erwünscht? Dann hast du das wahrscheinlich irgendwann auf dich selbst übertragen. Du hast dich als Person „falsch” und im schlechtesten Falle für deine bloße Existenz schuldig gefühlt. Gleichzeitig versuchst du vermutlich weiterhin, es allen recht zu machen. Dieses Basisschuldgefühl, wie es der Psychoanalytiker Matthias Hirsch nennt, begleitet viele Menschen von Kindheit an ein ganzes Leben: das Gefühl, im Weg zu sein, nicht gewollt, eine Last und so weiter.

Aber auch wenn du nicht gleich dein ganzes Selbst infrage stellst, hast du Glaubenssätze aus deiner Kindheit mitgenommen: „Ich bin nie gut genug”, „Meine Bedürfnisse sind nicht wichtig” und „Ich bin verantwortlich, dass es den Menschen um mich herum gut geht” sind Beispiele dafür. Wenn deine Mutter immer wieder zu dir gesagt hat: „Wenn du dies und das tust, werde ich traurig”, dann verinnerlichst du diesen Zusammenhang.

WARUM TUN WIR DAS?

Natürlich wussten im Grunde auch deine Eltern, dass das Unsinn ist. Du warst und bist nicht für die Gefühle deines erwachsenen Umfelds zuständig – wir alle sind selbst für unsere Gefühle verantwortlich. Eltern machen das in den allerwenigsten Fällen mit Absicht! Sie – und auch wir – erzeugen diese Schuldgefühle und Glaubenssätze in Kindern aus Ängstlichkeit und Überforderung. Weil es einfacher ist, als dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen und Bedürfnisse auszuhandeln. Oder, weil wir nicht gelernt haben, wie eine gelingende Eltern-Kind-Kommunikation aussehen kann.

Du sollst dir auf keinen Fall ein noch größeres schlechtes Gewissen machen, wenn du solche oder ähnliche Sätze schon mal zu deinem Kind gesagt hast. Denn: Niemand ist perfekt und gelegentliche Ausrutscher werden dein Kind nicht für immer „verderben”.

Die Erwartungen an dich

Genauso wie deine kindlichen Prägungen wirken auch gesellschaftliche Erwartungen auf dich ein und erzeugen unzählige Schuldgefühle. In den letzten Jahrzehnten sogar noch einmal deutlich mehr, weil Leistung und Pflicht immer wichtiger werden. In unserer Gesellschaft gibt es immer etwas zu tun, zu beachten, zu verbessern, zu erreichen – sodass wir nur selten das Gefühl bekommen, irgendwem zu genügen.

Im Laufe deines Lebens begegnet dir diese Maxime, immer besser sein zu müssen, immer mehr leisten zu wollen, so oft, dass du sie in deine Glaubenssätze aufnimmst und genau das von dir selbst erwartest. Und zwar für alle deine Rollen: Du willst deinen Eltern das perfekte Kind sein, im Job glänzen, deinen Partner glücklich machen, eine gute Freundin sein und irgendwann eben auch die perfekte, immer geduldige und verfügbare Mutter, die stets etwas mehr gibt als ihr Bestes ( „Hilfe, bin ich jetzt nur noch Mutter?!”).

An dieser Stelle wird es für uns Mütter dreifach kritisch. Dieser Leistungsgedanke an sich ist schon ungesund, das Streben nach einem Ideal, das niemand erreichen kann, ebenfalls. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Wir bekommen so viele Ratschläge, Informationen und Hinweise, wie man eine richtig gute Mutter ist, dass wir uns gar nicht mehr zurechtfinden. Denn neben der bloßen Menge, die man gar nicht verarbeiten kann, widersprechen sich viele davon auch noch: Stillen ist gut für sechs Monate oder zwei Jahre oder gar noch länger. Das Familienbett ist gefährlich – oder aber DIE Lösung. Außer-Haus-Betreuung unter drei Jahren schadet dem Kind – oder sie fördert es ungemein. Wieder arbeiten zu gehen ist erwünscht – aber gleichzeitig sollst du auch maximal für dein Kind da sein, …

Viele dieser Ansichten prasseln ungefragt auf dich ein. Gleichzeitig versuchst du, dich in diesem Dschungel an Informationen zurechtzufinden und kommst vom Hundertsten ins Tausendste. Wir kennen eine Menge Mütter, die Stunden ihres Lebens damit zugebracht haben, herauszufinden, welches die beste Sonnencreme für ihr Baby ist, die beste Flaschennahrung oder das ökologisch unbedenklichste Spielzeug. Der reinste Recherche-Irrsinn! Information ist gut, ÜberInformation ist eine böse Falle für alle Mütter.

DIE ROLLE DER MEDIEN

Eine wichtige Rolle spielen dabei leider die Medien: Jeden Tag sehen wir Bilder perfekt eingerichteter und aufgeräumter Wohnungen, dreistöckiger Geburtstagstorten und Kinder im Partnerlook – mit Klamotten ohne jeden Makel. Von Müttern, die drei Tage nach der Geburt lächelnd in ihrer perfekt geputzten Küche stehen, den Hintern in der Vor-Schwangerschaftsjeans, und mit dem Baby auf dem Arm den Besuch erwarten. Du weißt, dass das nicht die Realität ist. Aber durch die Flut dieser gestellten und oft bearbeiteten Bilder setzt sich dieser Gedanke in deinem Kopf fest, dass es so auch sein könnte, vielleicht sogar sollte. So fühlst du dich unzulänglich und einsam in deinem alltäglichen Chaos.

Deine Risikofaktoren

Als wären Erwartungen und Glaubenssätze nicht genug, gibt es einige Eigenschaften, die dich besonders empfänglich machen für Schuldgefühle. Ein Teil davon ist sicher genetisch geprägt, viele Wesenszüge, die wir jetzt nennen, haben sich aber, genauso wie deine Glaubenssätze, im Laufe deines Lebens herausgebildet. Und genauso wie an deinen negativen Glaubenssätzen kannst du auch an ihnen arbeiten.

Folgende Menschen neigen stärker zu Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen als andere:

• Perfektionist*innen,

• Menschen mit einem geringen Selbstwert,

• besonders sensible oder empathische Menschen,

• alle mit einem hohen Verantwortungsgefühl,

• Menschen, die sich vielem verpflichtet fühlen und schlecht Nein sagen können,

• all diejenigen, die keinen besonders guten Umgang mit Stress gelernt haben und

• Frauen.

Kriegsschauplatz Krabbelgruppe

Obendrauf macht dir der „Krieg” unter Müttern das Leben schwerer, als es eh schon ist. Er hat viele Namen (Mom Bashing, Mom Shaming, Mom Wars) und ist eine der größten Quellen für Schuldgefühle.

Unter Mom Bashing versteht man das unsolidarische Verhalten unter Müttern: Wir greifen gegenseitig unseren Erziehungsstil an, indirekt oder direkt. Hinter interessierten Fragen versteckt sich Kritik, die einen nagenden Zweifel in dir auslöst. „Dein Kind bleibt also Einzelkind?” „Ein ganz schöner Wonneproppen. Du stillst nicht?”

So ganz ist vermutlich keine von uns davor gefeit, den Weg einer anderen zu hinterfragen oder den eigenen damit zu vergleichen. Und ein überraschtes „Ach wirklich, so machst du das?” ist uns wahrscheinlich auch allen schon rausgerutscht. Was das Bashing so verführerisch macht, ist Folgendes: Man wertet sich selbst auf, indem man andere abwertet. So einfach.

Nein. So einfach ist es natürlich nicht. Denn das Ganze hat System. Ein System, in dem deine Sorgearbeit nicht wertgeschätzt wird. Ein System, das auch dich glauben lässt, du allein seist verantwortlich für die Entwicklung deines Kindes. Das erschafft eine heikle Verknüpfung: Deine Tätigkeit als Mutter ist nichts wert, wie sich dein Kind entwickelt hingegen schon. Das wiederum heißt, du kannst dir über die Entwicklung deines Kindes Anerkennung verschaffen.

Brich das Tabu

Die Suche nach Anerkennung treibt uns in diesen Krieg, in dem es keine Gewinnerinnen geben kann. Weil es kein Richtig und Falsch gibt, wenn es um Mutterschaft und Erziehung geht. Viele von uns sprechen trotzdem nur über das, was ihnen gelingt, und blenden die negativen Seiten der Mutterschaft aus. Statt uns zu unterstützen, machen wir uns gegenseitig fertig. Deshalb unsere Bitte: Brich mit uns das Tabu, sprich über deine Sorgen, Ängste und Unsicherheiten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch andere Mütter sich dann öffnen und sehr dankbar sind. Den aktuellen Ansprüchen an eine Mama wird eh keine gerecht – das haben wir gemeinsam. Das macht das ewige Vergleichen unter Müttern überflüssig. Schenke anderen Müttern und dir selbst Mitgefühl und Unterstützung, um dem Krieg unter Müttern ein Ende zu bereiten.

Die Folgen deines schlechten Gewissens

Das schlechte Gewissen nervt furchtbar, so viel ist klar. Es ist aber auch noch aus anderen Gründen ziemlich schlecht.

• Es macht dich unzufrieden, unglücklich und im schlimmsten Fall krank! Die quälenden Gedanken, immer alles falsch zu machen und nicht zu genügen, führen in erster Linie zu einem schlechten Grundgefühl. Du bist traurig oder wütend, fühlst dich einsam und unverstanden und stellst – und das ist so fatal – dich und deinen Wert infrage. Du verlierst dadurch dein Selbstbewusstsein und den Glauben in deine Fähigkeiten, deine Kompetenz und an deine guten Eigenschaften.

• Außerdem raubt dir ein anhaltendes schlechtes Gewissen viel Energie. Ständiges Grübeln und Im-Kreis-Denken ist anstrengend und zieht Ressourcen ab, die du für die Bewältigung des Familienalltags dringend brauchst. Bei einigen Menschen machen sich Schuldgefühle sogar in körperlichen Symptomen bemerkbar.

• Gleichzeitig führen die Schuldgefühle dazu, dass du besonders anfällig für Kritik wirst und diese persönlicher nimmst und für wichtiger erachtest, als sie ist. Du wirst zur Zielscheibe und halst dir noch mehr auf als sowieso schon.

• Das führt oft dazu, dass du ungute Mechanismen entwickelst, um mit Schuldgefühlen umzugehen: Du suchst beispielsweise die Schuld dann bei anderen und gibst, aufgrund deiner Belastung, genau die Gefühle weiter, die dir so zu schaffen machen. Das bringt kurzfristig Entlastung, aber die nächsten Schuldgefühle stehen bereits Schlange.

Du siehst also, das schlechte Gewissen nervt nicht nur, es tut dir wirklich nicht gut! Als Mutter bist du besonders davon betroffen. Zum einen, weil die Erwartungen an Mütter einfach unerreichbar sind, zum anderen aber auch, weil Schuldgefühle intensiver werden, je enger eine Beziehung ist. Wie die zwischen dir und deinem Kind. Es liegt dir so am Herzen, dass jede gefühlte Schuld doppelt wiegt.

Schuldgefühle gehören dazu

Es ist gar nicht nötig oder wünschenswert, dass Schuldgefühle komplett verschwinden. Sie haben ihre Berechtigung, wenn sie uns auf wirkliche Fehler hinweisen. Nur den trügerischen Schuldgefühlen wollen wir gemeinsam an den Kragen. Damit sie dich nicht mehr ständig begleiten und du dich selbst wieder mehr schätzen lernst. Dabei ist es wichtig, die Schuldgefühle erst einmal zu erkennen. Mit einem gestärkten Selbstwert und einer gesunden Eigenverantwortung wirst du dir mehr zutrauen und kleine Fehler leichter verzeihen. Im Verlauf des Buches werden wir die verschiedenen Bereiche deines Lebens als Mama bearbeiten, in denen es immer wieder und vermehrt zu Schuldgefühlen kommt, und du wirst viele Tipps an die Hand bekommen, um besser damit umzugehen. Bevor es aber ans Eingemachte geht, lernst du jetzt InKrit und VERA kennen, die dich durch dieses Buch begleiten.

InKrit und VERA

InKrit und VERA sind zwei Figuren, die für Anteile deiner Persönlichkeit stehen. Für den Teil in dir, der dich permanent kritisiert und kein gutes Haar an dir lässt, und für den, der nachsichtiger mit dir ist und dich gern hat. Sie begegnen dir innerhalb der einzelnen Kapitel und liefern sich jeweils am Ende einen Schlagabtausch, aus dem du dir hilfreiche Argumente und Formulierungen von VERA mitnehmen kannst. Nicht nur, wenn du selbst mit InKrit diskutierst, sondern auch für alle Kritiker*innen, die um dich herum sind und dir mit ungebetenen Ratschlägen auf die Nerven gehen oder dich offen tadeln.

InKrit – deine innere Kritikerin

Da ist zum einen InKrit, deine innere Kritikerin. Sie stichelt und piesackt und gibt dir immer wieder das Gefühl, nicht gut genug zu sein oder dich nicht ausreichend zu bemühen. Gefüttert wird sie von den hochgezogenen Augenbrauen anderer Mütter im Babymassagekurs, vom Augenrollen deiner (Schwieger-)Mutter, von Instagram-Profilen, von persönlichen, partnerschaftlichen oder gesellschaftlichen Erwartungen. Kurz, von den „Quellen deiner Schuldgefühle”.

Was sie hauptsächlich tut, ist, dich davon abzuhalten, deinen Weg als Mama zu finden. Den Weg, auf dem zählt, was du willst und kannst, nicht was andere von dir erwarten. Eigentlich will sie dich nur vor Fehlern schützen, aber dabei übertreibt sie oft maßlos. Weil sie sich viel zu sehr von außen beeinflussen lässt und sich keine Mühe gibt, dich wirklich zu verstehen.

VERA – deine innere Freundin

Zum anderen hast du VERA, deine innere Freundin. Sie ist dir gegenüber wertschätzend, gnädig und fühlt mit dir mit. Sie kennt dich und deine Wünsche und Bedürfnisse sehr gut und beschützt dich vor deiner inneren Kritikerin – wenn du sie lässt. In diesem Buch wirst du ihr näherkommen und nach und nach lernen, wie sie zu denken. Du wirst dir im Zusammenhang mit deinen Schuldgefühlen Fragen stellen, die VERA gut beantworten kann.

Jeder Buchstabe von VERAs Name repräsentiert eine dieser Fragen, eine Kategorie, anhand derer du abwägen kannst, ob das schlechte Gewissen, welches dich gerade umtreibt, angebracht ist und näherer Betrachtung bedarf, oder ob du es getrost beiseiteschieben darfst. Unterschiedliche Situationen benötigen unterschiedliche Betrachtungen, du musst daher nicht für jedes Schuldgefühl alle Fragen durchgehen. (Der Buchstabe, dessen Frage gerade im Vordergrund steht, ist im Text gefettet.)

V Trägst oder trugst du die (alleinige) VERANTWORTUNG?

E Hast oder hattest du überhaupt EINFLUSS auf das Geschehen?

R Sind dramatische RESULTATE eingetreten oder zu erwarten?

A Misst du dein Handeln an falschen ANSPRÜCHEN (anderer)?

Unter https://mamafuersorge.com/download findest du das VERA-Lesezeichen zum Ausdrucken, das dich durchs Buch begleiten kann.

V wie Verantwortung. Es ist unbestritten, dass du für dein Kind verantwortlich bist. Doch die alleinige Verantwortung trägst du so gut wie nie. Es gibt meist mindestens einen weiteren Menschen, der ebenfalls verantwortlich ist: den Vater. Darüber hinaus weitere Personen, die Verantwortung übernehmen: Großeltern, Betreuungspersonal, Lehrer*innen und so weiter. Wenn du nicht allein verantwortlich bist, dann kannst du auch nicht allein Schuld an etwas sein.

E wie Einfluss, denn wir Mütter machen uns gerne auch mal Vorwürfe für Dinge, die wir gar nicht beeinflussen konnten, die wir nicht unter unserer Kontrolle hatten. Dein Kind wurde in der Kita mit Windpocken angesteckt und leidet tagelang unter dem Juckreiz? Mist. Aber ein schlechtes Gewissen haben, weil du das Kind in die Betreuung gegeben und somit dieser Krankheit „ausgesetzt” hast? Nein, das geht zu weit. Ohne Kristallkugel, die dir einen Blick in die Zukunft ermöglicht, kannst du das nicht ahnen. Ebenfalls unkontrollierbar sind globale Ereignisse (Kriege, Fluchtbewegungen, Pandemien), die meisten politischen Entscheidungen, Naturkatastrophen, massive Umweltverschmutzung durch Großkonzerne, eine Vielzahl an Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen, Unfälle und Zufälle.

R wie Resultate. Die Frage dahinter ist meist leicht zu beantworten und kann dir deshalb auch schnell Erleichterung bringen. Wurde jemand verletzt oder in Gefahr gebracht, gab es dramatische Folgen, weil du etwas getan oder unterlassen hast? Dein Kind hat mehr Süßes gegessen als geplant? Zu viel ferngesehen? Du hast eine Pause gemacht. Kein Drama! Nichts passiert. Wenn das Resultat von etwas, was du getan oder gelassen hast, niemandem schadet, kannst du erstmal durchschnaufen.

A wie „Ansprüche”. Hier wird’s tricky. Du selbst stellst Ansprüche an dich, aber auch dein Umfeld. Direkt und indirekt. Und es ist meist nicht so genau festzulegen, ob du gegen etwas verstoßen hast, was dir wirklich wichtig ist, oder nur gegen Erwartungen, hinter denen du gar nicht stehst. Du hast ja keinen Katalog, der deine Werte exakt auflistet. Trotzdem möchten wir dich dazu einladen, dich beim Reflektieren deines schlechten Gewissens immer wieder zu fragen: Ist dir das überhaupt wichtig oder ist das der Anspruch, den andere an dich haben? Oder steckt ein falscher Glaubenssatz dahinter, der durch solche Ansprüche in dir gewachsen ist?

Immer, wenn du Schuldgefühle hast, kontaktiere deine innere Freundin VERA. Ganz häufig wird dir danach schon leichter ums Herz sein. Weil du jetzt greifbare Maßstäbe hast, die du heranziehen kannst, um dein Handeln zu beurteilen. Weil sie dir die Fragen stellt, die trügerische Schuldgefühle entlarven. Vielleicht sogar schon bevor sie richtig Fuß fassen können.

In den folgenden Kapiteln schauen wir uns jetzt einzelne Bereiche genauer an, die Müttern immer wieder ein schlechtes Gewissen machen. Täglich grüßt das Schuldgefühl – und InKrit! Ab jetzt grüßt du zurück, Hand in Hand mit VERA. Wir liefern dir dafür noch viele stichhaltige Fakten, die dich beruhigen werden, und vor allem viele kleine Übungen und Tipps, die du im konkreten Fall anwenden kannst. Auf geht’s!

EURE GESUNDHEIT

Es ist eine deiner größten Sorgen: Deine Familie soll gesund bleiben. Dafür tust du alles, was in deiner Macht steht. Trotzdem plagen dich oft Schuldgefühle. Dein Kind ist krank, es will nicht essen, es fällt auch mal vom Stuhl und leckt am Fußabstreifer. Das alles ist nicht deine Schuld! Genauso wenig, dass sich dein Körper verändert hat. Wenn du dieses Kapitel gelesen hast, wirst du wissen, dass es Dinge gibt, die du nicht beeinflussen kannst, und dass viele der Gesundheitsthemen heißer gekocht als gegessen werden.

Sobald du schwanger bist, verbringst du wahrscheinlich mehr Zeit in Arztpraxen als vorher. Wenn das Kind erst da ist, geht das weiter so. Das ist eine gute Sache: Unser Vorsorgesystem für Kinder, auch für ungeborene, ist top und viele Menschen achten mit dir gemeinsam darauf, dass ihr nichts überseht. Trotzdem kann es auch verunsichern, wenn der Fokus so oft auf den körperlichen Dingen liegt, die NICHT funktionieren. Du fühlst sowieso schon eine so große Verantwortung dafür, dass dein Kind gesund aufwachsen kann. Wenn du dann auch noch immer wieder daran erinnert wirst, was du alles falsch machen kannst, wird deine innere Kritikerin InKrit begeistert auf den Zug aufspringen. Wir wollen dir dabei helfen, etwas gelassener an das Thema Gesundheit heranzugehen – der deines Kindes, aber auch deiner eigenen.

Hilfe, die Geburt lief nicht wie geplant!

An irgendeinem Punkt entgleiste dein Geburtsplan und nichts lief mehr, wie du es erwartet hattest? Die Schmerzen waren schlimmer als gedacht, obwohl du dich doch für eine PDA entschieden hast? Es kam zu einem Notkaiserschnitt und du hast die ersten Momente mit deinem Kind verpasst? Ganz egal, wie die Geburt verlief, viele Mütter plagt in der Rückschau ein schlechtes Gewissen, denn sogar bei der Geburt konnte InKrit nicht ihren Mund halten.

Geburtsvorbereitung hin oder her, auf das, was während der Geburt passiert, kannst du dich nicht vollends vorbereiten. Lass dich von VERA trösten, denn eine Geburt ist kein durch und durch kontrollierbares Ereignis. Es ist nur eingeschränkt möglich, den Verlauf zu beeinflussen. Jede Gebärende ist individuell, jedes Baby einzigartig, jede Konstellation einmalig. Hinzu kommt, dass die meisten Vorbereitungskurse wie auch die Erzählungen der Freundinnen und Bekannten da aufhören, wo es unbequem wird. Niemand möchte Schwangeren Angst machen. Weicht dann die Realität von den schönen Geburtsberichten ab, ist das Futter für InKrit. Dann hast du im Nachhinein ein schlechtes Gewissen, weil du Schmerzmittel wolltest, den Partner oder die Geburtshelfer*innen angeschrien hast, weil ein Kaiserschnitt notwendig oder geplant wurde oder weil der Stillanfang nicht reibungslos klappen wollte. Ganz schön viel, nicht? Lass uns das gemeinsam auflösen.

Keine Geburt ist wie die andere

Sogar bei der vermeintlich (!) natürlichsten Sache der Welt – der Geburt eines Kindes – zeigt sich unsere Leistungsgesellschaft, unser eigenes Leistungsstreben. Du hast vermutlich einen Vorbereitungskurs besucht, gelernt „richtig” zu atmen und deinen Körper mit Übungen, Nadeln und Hypnosetechniken darauf vorbereitet, sein Bestes zu geben. Die Entwicklung deines Kindes und die Veränderungen deines Körpers wurden genau beobachtet und über die Gewichts- und Größenkurven hast du Buch geführt. All das angetrieben von der Hoffnung, wenn du alles nur perfekt vorbereitest, dann muss die Geburt doch wie geplant klappen. Dieser Wunsch ist mehr als verständlich. Denn eine gute Vorbereitung gibt dir das Gefühl von Sicherheit.

Gleichzeitig erleben Frauen allzu oft einen „das hätte ich gern früher gewusst”-Moment, wenn sie im Kreißsaal die Kontrolle über ihren Körper verlieren, sich der Darm entleert oder sie zu keifenden Furien werden. Wenn es zum Kaiserschnitt kommt und die Arme fixiert werden. Denn eine Geburt ist nicht komplett planbar. Du hast nicht alles unter Kontrolle, das haben andere, die sich mit dir die Verantwortung teilen. „Das medizinische Personal zum Beispiel”, wirft VERA ein. Was also tun? Noch mehr vorbereiten, noch mehr Informationen sammeln? Jein.

Es wäre zum Beispiel wichtig, dass in Vorbereitungskursen, bei Hebammen- und Anmeldegesprächen in der Klinik mehr über den Kaiserschnitt gesprochen wird. Was dabei passiert, sollte wirklich für keine Frau vollkommen überraschend kommen. Aber noch mehr Leistungsanforderungen können nicht die Lösung sein. Im Gegenteil. Ein wichtiger Schritt wäre, dass wir alle von der Vorstellung einer perfekten Geburt wegkommen. Nur 6 % der Geburten in Deutschland laufen komplett ohne medizinische Intervention ab, nur 6 %! Jedes dritte Kind kommt per Kaiserschnitt zur Welt und 25 bis 30 % der Geburten werden eingeleitet. Du siehst also: Ein Eingreifen in den Geburtsprozess ist die Regel, nicht die Ausnahme. Das gehört zu dieser „natürlichsten Sache der Welt” dazu!

Baby-Bonding

Ein nagendes schlechtes Gewissen plagt Mütter, die die ersten magischen Momente mit ihrem Kind verpasst haben, weil sie zum Beispiel noch in Narkose lagen, oder weil sie nach der Geburt zu erschöpft und kraftlos waren. Gehörst du auch zu den Mamas, die sich einer großen Chance beraubt fühlen oder sich Vorwürfe machen, weil sie selbst dem Kind diesen Kontakt „verwehrt” haben? Das liegt vor allem daran, dass so viel über die Bedeutung des ersten Hautkontakts und Stillversuchs nach der Geburt gesprochen wird. Es ist aber nicht so dramatisch, wie es sich vielleicht anfühlt, beruhigt dich VERA.

Denn dieses Bonding kann nachgeholt werden:

• durch intensiven Hautkontakt (z. B. durch ein hebammenbegleitetes Bonding-Bad),

• viele Berührungen und (Schmetterlings-)Massagen,

• kuscheln und tragen sowie

• viel Liebe und Feinfühligkeit.

Versöhne dich mit der Geburt

Du kannst nicht an die Geburt denken oder von ihr erzählen, ohne dass dich ein schlechtes Gewissen überkommt oder dich Vorwürfe quälen? Du lädst dir selbst die ganze Verantwortung für den Geburtsprozess auf, weil es dir schwerfällt, alle Puzzleteile zusammenzusetzen? Oder nachzuvollziehen, warum wann was mit dir gemacht wurde? In der Hektik konntest du vielleicht nicht allen Erklärungen des medizinischen Teams folgen – oder es gab gar keine. Dann kannst du innerhalb von 10 Jahren nach der Geburt deinen Geburtsbericht anfordern. Möglicherweise kann es dir helfen, Verantwortung im Nachhinein abzugeben, wenn du besser verstehen kannst, warum die beteiligten Menschen so gehandelt haben. Sie haben sich in diesem Moment ebenso für euer Wohlergehen verantwortlich gefühlt, wie du dich jetzt. Du kannst den Bericht lesen, du kannst Personen, die dabei waren, um Besprechung bitten oder du kannst ihn dir von deiner Nachsorge-Hebamme erklären lassen.

Schreibe einen Brief

Zusätzlich oder als Alternative kannst du einen Brief schreiben. An dein vergangenes Ich, dass du ihm verzeihst, weil du weißt, dass es sein Bestes gegeben hat. An dein zukünftiges Ich, um es um Nachsicht zu bitten, weil du dein Bestes gegeben hast. An dein Kind, darüber, dass es dir leidtut, wie alles gelaufen ist, du gleichzeitig dein Bestes gegeben hast und immer geben wirst. Alle Gefühle dürfen in diesen Brief. Schreib sie auf,

• ohne abzusetzen,

• ohne einzugreifen,

• ohne zu korrigieren.

Lass es einfach fließen. Es kann sehr wohltuend sein, wenn deine Gefühle alle einen Raum bekommen, in dem sie sein dürfen und akzeptiert werden. Im Anschluss darfst du den Brief auch gern zerreißen, ganz wie es sich für dich richtig anfühlt.

TRAUMATISCHE GEBURT

Massive Schuldgefühle können auch eine Traumafolge sein. Eine Geburt kann ein sehr stressreiches Ereignis sein, welches mit großer Angst, Gefühlen der Hilflosigkeit und der Ohnmacht einhergeht. Sind in diesem Moment, in dem die Gefühle über uns hereinbrechen, die in uns verankerten Reaktionsmöglichkeiten (Kampf oder Flucht) blockiert, kann dieses Erleben als traumatisch empfunden werden. Neben den drei Hauptsymptomen der Traumareaktion

• Wiedererleben,

• Vermeidung und

• Übererregung

sind auch Schuldgefühle eine häufige Reaktion.

Diese Schuldgefühle sind oft ein Versuch, dem Gefühl des Ausgeliefertseins eine Selbstverantwortung und Selbstwirksamkeit entgegenzustellen. „Ich hätte doch …” oder „wäre ich doch …” begleitet die Gedanken an das Erlebte.

Spürst du in dir quälende Schuldgefühle dieser Art, einen großen Leidensdruck und weitere Trauma-charakteristische Symptome (Flashbacks, Erinnerungslücken, Vermeidungsverhalten, unverhältnismäßige Erregung in Auslösesituationen), dann such dir bitte unbedingt professionelle Hilfe. Anlaufstellen findest du auf unserer Website https://www.mamafuersorge.com/hilfe.

Wenn dich rund um deinen Körper größere Schuldgefühle plagen, lies auch nochmal ausführlicher in unserem entsprechenden Kapitel nach (➞ „Hilfe, mein Körper verändert sich!”). Dort findest du auch eine Dankbarkeitsübung für deinen Körper.

Sei nachsichtig mit dir im Wochenbett

Geschafft. Wieder daheim, jetzt mit einem Familienmitglied mehr. Und InKrit in Höchstform auf deiner Schulter: „Das mit dem Stillen, das funktioniert aber nicht so gut, deine Freundin hatte damit nicht solche Schwierigkeiten!” oder „Na, wie sieht es denn hier aus? So kann das nicht bleiben, wenn jetzt gleich der Baby-Besuch kommt!” Sie krittelt an dir herum und löst so Schuld- und Schamgefühle am laufenden Band aus. Und was noch schlimmer ist: Sie löst Stress aus. Den könnt ihr als Familie gerade wirklich nicht brauchen.

Schau auf dich, schau auf euch. Wichtig ist, was euch jetzt guttut. Sei nachsichtig mit dir und deinem Körper. Ein Kind zu bekommen, ist ein kritisches Lebensereignis. Du musst dich an deine neue Situation erst anpassen, du hast aber auch die Chance, daran zu wachsen. Dein Körper heilt und bildet sich zurück – und das tut er in seinem ganz eigenen Tempo und nicht im Schnelldurchlauf, wie es uns Promis und Hochglanzmagazine vorgaukeln.

Auch die märchenhafte, allumfassende Mutterliebe stellt sich nicht immer direkt ein, nicht einmal dann, wenn alles nach Plan verlief und auf eine selbstbestimmte Geburt ein wunderschönes Baby-Bonding folgte. Das kann bitter sein, war es doch die Vorfreude auf diesen Liebesrausch, der dir Kraft gegeben hat.

Wenn die Liebe auf sich warten lässt

Die Gründe dafür, dass sich die Liebe nicht immer direkt einstellt, sind vielfältig und können bis in deine Kindheit, ja sogar bis zur eigenen Geburt zurückreichen. Kommst du psychisch an deine Grenzen, schaltet dein Körper, insbesondere das Gehirn, in den Überlebensmodus. Das schützt dich vor weiterer Überlastung. Dann kann es sein, dass dein gesamtes System nur etwas Ruhe braucht, bis diese intensiven Gefühle sich Bahn brechen können. Auch die massive Hormonumstellung nach der Geburt kann ursächlich dafür sein, dass du emotional erst mal ins Chaos gestürzt wirst, Stichwort „Baby Blues”. Diesen zeigen immerhin bis zu 80 % der Mütter völlig unabhängig von Geburtsmodus, Geburtsverlauf und Kultur. Also nicht gleich ungeduldig werden und enttäuscht sein. Auch Liebe, die sich erst entwickelt, ist Liebe. Mutterliebe beginnt bei dir, also sei lieb zu dir selbst. Wir vertiefen dieses Thema im Kapitel ? „Mutterschaft”.

InKrit und VERA

Im Folgenden liest du das erste innere Streitgespräch von InKrit und VERA. Nimm dir VERAs Formulierungen mit in den Alltag – für dich selbst, aber auch, um auf Kritik von außen gelassen, aber bestimmt antworten zu können.

InKrit:Das hat sie ja ganz schön vermasselt. Ein Kaiserschnitt!VERA:Lass sie in Frieden! Gar nichts hat sie vermasselt. Ein gesundes Kind hat sie geboren.InKrit:Nicht geboren. Aus sich raus operieren lassen.VERA:Als wenn nur der „richtige” Geburtsmodus eine Frau zur Mutter machen würde! Zählt der Rest denn gar nichts?InKrit:Was denn? Ihr Gejammer in der Schwangerschaft oder das verkrampfte Stillen, welche Glanzleistung meinst du?VERA:Ich meine, dass es eine gewaltige Veränderung ist, ein Kind auszutragen. Und ich meine, dass Stillen überraschenderweise nichts ist, was einfach so funktioniert.InKrit:Das ist aber kein Grund, so verlottert auszusehen, wie sie. Schau sie dir an. Sie muss sich mal wieder ein bisschen zurecht machen, ein paar Leute einladen. Andere wollen das Baby vielleicht auch mal sehen.VERA:Sie brauchen als Familie Zeit, anzukommen und sich kennenzulernen. Das ist okay. Die anderen werden Geduld haben müssen. Das hat jetzt Priorität.InKrit:Das Baby hat Priorität. Sie nicht.VERA:Nein, das ist so nicht richtig und auch nicht gesund. Sie wird gut für sich sorgen und für das Baby. Weil alle wichtig sind.

Hilfe, mein Körper verändert sich!

Im Wochenbett hast du vermutlich auch das erste Mal deinen Körper eingehend betrachtet, nachdem der sich ganz schön verändert hat. Bist du erschrocken, wie viel Bauch noch übrig war, obwohl das Kind draußen war? Hast du bedauernd deine Schwangerschaftsstreifen begutachtet? Hat dich InKrit unter Druck gesetzt? Viele von uns machen sich tatsächlich deutlich mehr Gedanken darum, ob unser Körper den gängigen Schönheitsidealen entspricht, statt darum, ob es ihm gut geht. Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass Diäten wichtiger scheinen als Vorsorgeuntersuchungen und Optik mehr zählt als ein gutes Körpergefühl.