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When leaves are falling, is the best time to fall in love … Cassie hat sich selbst übertroffen: Sie hat einen herrlichen Brautstrauß für ihre Freundin Daya gebunden. Doch dann platzt die Hochzeit am Tag der Trauung – und Cassie ist schuld. Als sie aus dem Festsaal flüchtet und dem Hochzeitsgast Jared in die Arme läuft, nimmt er sie mit nach Willow Falls. Die idyllische Kleinstadt, umgeben von Ahornwäldern, fühlt sich an wie ein sicherer Hafen. Genau wie Jared, der ungeahnte Gefühle in ihr weckt. Und genau wie der Blumenladen, der dringend Hilfe braucht.
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Seitenzahl: 536
Als Ravensburger E-Book erschienen 2024 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg
© 2024 Ravensburger Verlag GmbH Text © 2024 Greta Milán Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München. Covergestaltung: Andrea Janas unter Verwendung von Fotos von Shutterstock (© Kavun Halyna, © dolararts) und Depositphotos (© kjpargeter) Lektorat: Svenja Kopfmann Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-473-51248-5
ravensburger.com
Für meine Familie
Ich hatte keine Lust, auf die Gartenparty von Dayas Eltern zu gehen. Aber wenn die Grahams die Tore zu ihrer imposanten Herrenvilla in Westmont öffneten, gab es im Umkreis von zweihundert Meilen niemanden, der ihre Einladung ignorierte. Die Grahams gehörten zu den reichsten Familien Montreals und dominierten mit ihrer Luxusmarke Canadian Gourmet das Delikatessengeschäft in ganz Kanada. Es wurde praktisch als Privileg angesehen, zu ihrem elitären Kreis zu zählen – wobei besagter Kreis überwiegend aus älteren Geschäftspartnern und Politikern bestand. Niemand in meiner unmittelbaren Umgebung war unter fünfzig Jahre, bis auf die Bediensteten, die beflissen durch die Menge huschten.
Klassische Musik, selbstredend von einem eigens engagierten Quartett dargeboten, klang durch den stilvoll dekorierten Garten und vermischte sich mit dem Geplauder der Gäste. Überall waren kleine Lampen installiert, die alles in sanftes Licht tauchten und das Gebäude in meinem Rücken noch eindrucksvoller erscheinen ließen. Auf dem Rasen und auf der Poolterrasse verteilten sich mit weißen Hussen überzogene Stehtische. Es gab auch diverse Lounges mit dick gepolsterten Sesseln, auf denen Leute in Abendgarderobe saßen.
Als ich daran vorbeischlenderte, fragte ich mich, was Mrs Graham wohl davon halten würde, wenn sie wüsste, dass auf dem Sofa links von mir erst letztes Wochenende zwei Cheerleaderinnen aus der Lincoln High lediglich mit knappen Bikinis bekleidet darauf rumgemacht hatten, während um sie herum eine Wasserschlacht im Pool getobt hatte.
Dayas Partys waren definitiv von anderer Qualität, aber nicht minder beliebt – und auch bei diesen Veranstaltungen wurde meine Teilnahme vorausgesetzt, obwohl ich es im Gegensatz zu meinen restlichen Freunden längst nicht so krachen ließ.
Es war nicht so, dass ich ein Mauerblümchen war, das sich lieber zu Hause mit einem guten Buch versteckte. Im Gegenteil. Ich las eher selten außerhalb der Schule und war auch gern unter Leuten. Aber manchmal war es … Na ja, es war einfach anstrengend.
»Cassandra, Liebes!«
Ich unterdrückte ein Seufzen und zwang meine Mundwinkel in die Höhe, ehe ich mich der vertrauten Stimme zuwandte.
Dayas Mom, Felicia Graham, kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Sie trug ein scharlachrotes Abendkleid, in dem sie ebenso gut auf eine Oscar-Verleihung hätte gehen können. Ihr langes blondes Haar war zu einem eleganten Knoten auf dem Hinterkopf zusammengesteckt, und ihr Make-up saß trotz der späten Stunde tadellos. Dennoch wirkte sie inmitten ihrer hochrangigen Gäste keineswegs deplatziert. »Wie schön, dass du gekommen bist.«
»Ich freu mich auch«, erwiderte ich höflich.
Sie ergriff meine Hand und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Anschließend zog sie sich zurück und musterte mein mitternachtsblaues, schulterfreies Cocktailkleid. Es war vergleichsweise schlicht, aber durch die geschickte Raffung über der Brust ziemlich bequem. Außerdem hatte ich mein langes braunes Haar zu einem hohen Zopf gebunden, der mir bis auf den unteren Rücken fiel, und trug hübsche High Heels mit Riemchen und mörderisch hohen Absätzen.
Felicia nickte wohlwollend. »Du siehst fantastisch aus, Liebes. Ist das Kleid von Ralph Lauren?«
Ich hatte ehrlich keine Ahnung, wie Felicia das immer schaffte. Sie war einfach ein wandelndes Modelexikon. Diesmal war mein Lächeln echt. »Genau.«
Sie zwinkerte mir zu. »Dein Vater hat mir erzählt, dass du die Zusage für die UBC erhalten hast. Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke«, erwiderte ich und spürte, wie mein Lächeln in Wanken geriet, weil sich meine Freude darüber, dass ich in weniger als drei Monaten ein Jurastudium an der University of British Columbia antreten würde, aus diversen Gründen in Grenzen hielt.
Doch Dayas Mutter bemerkte nichts davon. »Jonathan ist ja so stolz, dass du in seine Fußstapfen trittst.«
Tja, nun, es war nicht so, als hätte ich diesbezüglich eine andere Wahl gehabt. Dads Kanzlei gehörte – natürlich – zu den angesehensten in ganz Montreal, und da ich sein einziges Kind war, stand es für ihn außer Frage, dass ich den Laden eines Tages übernehmen würde. Auch Canadian Gourmet zählte zu seinen gut betuchten Klienten.
»Sind deine Eltern heute auch hier?«, fragte Felicia.
Langsam fingen meine Wangen an, zu schmerzen. »Diese Party würden sie sich doch um keinen Preis der Welt entgehen lassen.«
Felicia warf den Kopf in den Nacken und lachte, als hätte ich einen unglaublich guten Witz gerissen. Dabei wussten wir beide, dass dem nicht so war. Wie gesagt, niemand ignorierte eine Einladung der Grahams.
Genau genommen waren meine Eltern sogar so erpicht auf diese Veranstaltung gewesen, dass sie schon ohne mich vorgefahren waren, weil ich noch ein Essay fertig schreiben musste. Zugegeben, ich hatte für den Bruchteil einer Sekunde überlegt, es mir einfach zu Hause mit einer Ladung Popcorn vorm Fernseher gemütlich zu machen. Aber ich wollte niemanden versetzen.
»Dann werde ich sie mal suchen«, sagte Felicia und drückte noch einmal meine Hand. »Hol dir ein Glas Champagner und hab Spaß, Liebes. Daya und die anderen sind übrigens beim Pavillon, falls du sie suchst.«
Bevor ich noch etwas sagen konnte, wandte sie sich bereits den nächsten Gästen zu und schwebte davon.
Obwohl ich gar nicht durstig war, beschloss ich, ihrem Rat zu folgen, und steuerte die Bar an, die ganz am Ende des Pools extra für diesen Anlass aufgebaut worden war. Dahinter jonglierte ein junger Mann gerade mit vier Gläsern und brachte damit zwei ältere Damen zum Lachen.
Schmunzelnd trat ich näher und verfolgte die Show, die diese ansonsten ziemlich gesittete Veranstaltung auf unterhaltsame Weise auflockerte. Ich hoffte nur um seinetwillen, dass die Gläser heil blieben und niemand sonst die Aktion bemerkte. Mr Graham verstand nämlich gar keinen Spaß, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen ablief.
»Denkst du, ihm ist klar, dass er ein ziemliches Problem hat, wenn er eins fallen lässt?«, fragte jemand leise hinter mir.
Überrascht schaute ich über die Schulter. Direkt hinter mir stand ein junger Mann, der höchstens ein oder zwei Jahre älter als ich sein konnte. Obwohl ich mich mit meinen High Heels mindestens zehn Zentimeter größer gemogelt hatte, überragte er mich ein ganzes Stück. Sein braunes Haar war verwuschelt und sein Anzug zerknittert. Gleichzeitig spannte sich der Stoff etwas zu eng um seine breiten Schultern. Definitiv nicht maßgeschneidert.
Er war attraktiv, jedoch weit entfernt von der falschen Perfektion eines dieser Typen in einschlägigen Hochglanzmagazinen. Stattdessen waren seine Züge grob. Als hätte ein Künstler ihn mit harschen, entschlossenen Strichen skizziert. Seine Nase war ein wenig schief, und eine blasse Narbe zog sich über seine volle Unterlippe, die breiter wurde, als er seinen rechten Mundwinkel in die Höhe schraubte. Mit Blick wanderte von seinem Mund zu seinen Augen, und genau in dem Moment trafen sich unsere Blicke.
Kurz geriet ich aus dem Konzept, weil seine Augen das absolut faszinierendste Grün besaßen, das ich je gesehen hatte. Und ich musste es wissen. Immerhin liebte ich Blumen über alles und kannte gewissermaßen jede Facette dieses Farbtons.
»Du bist wohl nicht so der gesprächige Typ, was?«, fragte er und deutete mit einem schiefen Grinsen in Richtung der Gäste am Pool. »Genießt du die Party?«
Mein Mund klappte auf, aber ich war so gefesselt von diesem unglaublichen Grün und seinem Charme, dass ich keinen Ton herausbrachte.
»O Mann!«, murmelte er und verzog das Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. Er schüttelte frustriert den Kopf. »Sorry. Ich bin echt eine Vollkatastrophe im Small Talk.«
Diese Worte schienen direkt aus seinem Herzen zu kommen, und als er sich ratlos umsah, als würde er am liebsten flüchten, konnte ich mir ein mitfühlendes Lächeln einfach nicht verkneifen. »Dein Einstieg war gar nicht so übel.«
Er hielt überrascht inne. »Echt?«
Belustigt nickte ich zu dem Barkeeper, der mittlerweile dazu übergegangen war, die Drinks für seine Zuschauerinnen zu mixen. »Zum Glück ist er rechtzeitig zur Vernunft gekommen.«
»Scheint so.« Mein Gesprächspartner grinste und offenbarte eine Reihe perlweißer Zähne, inklusive einer kleinen Lücke zwischen den vorderen Schneidezähnen. Er streckte mir die Hand entgegen. »Jared Moore.«
Meine Brauen schossen in die Höhe, während ich kurz seine Hand schüttelte. »Moore wie in Moore’s Maples?«
Er blinzelte überrascht. »Du kennst unsere Hausmarke?«
»Ja, sehr gut sogar.« Jedes Produkt, das die Grahams in ihr Sortiment aufnahmen, wurde vorher ausgiebig getestet, und da Dayas Mom Angst um ihre Figur hatte, hatte sie es unserer Clique überlassen, literweite Ahornsirup zu probieren. Dabei hatte sich Moore’s Maples mit Abstand am besten geschlagen, was wohl auch erklärte, warum Jared heute Abend eingeladen war. »Euer Ahornsirup ist der Hammer.«
Jareds Wangen bekamen ein wenig Farbe. »Freut mich, dass er dir schmeckt …?«
»Oh!« Ich lachte. »Cassie.«
»Schön, dich kennenzulernen.« Er lehnte sich ein Stück zu mir herüber, und sein Duft kroch mir in die Nase – angenehm holzig und ein wenig süßlich, wie sein Sirup, aber nicht zu sehr. »Ich will dich nicht erschrecken, aber ich fürchte, wir drücken den Altersdurchschnitt dieser Party um mindestens zehn Jahre.«
»Eher fünfzehn«, korrigierte ich ihn belustigt.
Er seufzte schwer. »Ich hätte noch mal einen Blick in den Economist werfen sollen, bevor ich hergekommen bin.«
Da er ernsthaft besorgt zu sein schien, schüttelte ich schnell den Kopf. »Mach dir keine Sorgen. Die meisten Leute hören sich selbst am liebsten reden. Du musst im Grunde nur lächeln und nicken.«
Er runzelte die Stirn. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich damit jemanden beeindrucke.«
»Willst du das denn?«
»Das sollte ich wohl.« Nachdenklich ließ er den Blick über die Gästeschar schweifen. »Meine Eltern arbeiten seit Jahren daran, in das Sortiment von Canadian Gourmet aufgenommen zu werden. Sie wären heute selbst gekommen, aber bei Mom haben die Wehen eingesetzt.«
»Moment.« Ich riss die Augen auf. »Deine Mom bekommt jetzt gerade ein Baby?«
»Ja.« Er lachte nervös. »Wir waren auch überrascht. Aber ich war wohl die größere Überraschung. Meine Eltern waren noch sehr jung, als sie mich bekommen haben. Sie waren beide im Abschlussjahr an der Highschool.«
Genau wie ich jetzt. Was für eine enorme Herausforderung, schon in so jungen Jahren ein Kind großzuziehen. Allein der Gedanke löste Panik in mir aus. Aber ganz offensichtlich hatten Jareds Eltern ihren Job gut gemacht, denn er schien durch und durch ein netter Kerl zu sein.
Nervös fuhr er sich durch die Haare. »Sie verlassen sich auf mich. Wir sind nur ein kleiner Familienbetrieb. Deshalb hängt für uns viel von dem Deal ab. Ich will das nicht versauen.«
Dass er derart offen über seine Ängste mit mir sprach, obwohl wir uns im Grunde kaum kannten, berührte mich und weckte in mir den Wunsch, ihm zu helfen. Ich neigte mich ein Stück näher an ihn heran. »Nigel Graham ist zwar offiziell der Firmenchef. Aber du brauchst seine Frau auf deiner Seite. Sie ist diejenige, die stets das letzte Wort bei der Produktauswahl hat.«
Er verzog das Gesicht. »Und wie kann ich Mrs Graham von Moore’s Maples überzeugen?«
»Es ist alles eine Frage des Prestiges«, flüsterte ich.
Absolute Verständnislosigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Ein Anblick, den man hier nicht allzu häufig sah, weil die meisten Leute in meinem Bekanntenkreis darauf gedrillt waren, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Mr Murdoch zum Beispiel, der keine zehn Meter von uns entfernt stand, strahlte seine Frau an, obwohl jeder hier wusste, dass sie eine Affäre mit ihrem Personal Trainer hatte.
»Den Grahams ist ihr guter Ruf wichtiger als die Qualität ihrer Marken«, erklärte ich Jared leise. »Es kommt dir vielleicht oberflächlich vor, aber das ist ihr Erfolgsrezept. Sie arbeiten ausschließlich mit Unternehmen zusammen, die eine makellose Reputation haben.«
»Das haben wir«, erwiderte Jared im Brustton der Überzeugung. »Unsere Mitarbeiter sind absolut loyal und arbeiten gern für uns. Wir sind ein zuverlässiger und fairer Vertragspartner. In ganz Willow Falls wirst du niemanden finden, der etwas Schlechtes über Moore’s Maples zu sagen hat.«
Ich zwinkerte ihm zu. »Sag das nicht mir. Mich hast du bereits von eurem Sirup überzeugt.«
Sein Lächeln wurde regelrecht entwaffnend, und wie auf Kommando begann mein Magen zu kribbeln, was mich nun doch ein wenig irritierte. »Ich hab noch nie von Willow Falls gehört. Das ist nicht in der Gegend, oder?«
Belustigt schüttelte er den Kopf. »Willow Falls ist ein kleiner Ort, zwei Stunden nördlich von hier in der Nähe des Mont-Tremblant Nationalparks.«
»Mitten in den Wäldern?«, fragte ich und war sofort fasziniert, weil es in Montreal hauptsächlich Parkanlagen gab. Die waren zwar auch schön, aber sicher nicht zu vergleichen mit den gewaltigen Forsten, für die Kanada berühmt war.
Jared nickte. »Es ist wunderschön dort.«
»Beschreib es mir.«
Begeisterung huschte über sein Gesicht und zeugte davon, wie sehr er seine Heimat liebte. »Nicht weit von der Stadt entfernt gibt es einen Weidenhain, in dem eine Quelle entspringt, daher der Name. Sie führt durch die umliegenden Ahornwälder und versorgt sie mit Wasser, weshalb die Bäume fast das ganze Jahr über in einem satten Grün erstrahlen. Viele Leute kommen dann in die Gegend, um zu campen und Urlaub zu machen. Und im Herbst färben sich die Blätter in allen möglichen Rot- und Goldtönen. Es ist irgendwie magisch.« Jared lachte leise. »Als würde man kopfüber in einen Farbtopf voller Wärme und Behaglichkeit fallen.«
Lieber Himmel! Das klang einfach traumhaft. Gespielt misstrauisch kniff ich die Lider zusammen. »Wo ist der Haken?«
Erneut rollte ein warmes Lachen über seine Lippen. »Da ist kein Haken.«
»Das kann doch gar nicht sein.«
»Na ja, manch einer würde sagen, dass Willow Falls vielleicht ein wenig zu ruhig ist«, räumte Jared nach kurzem Zögern ein. »Es gibt keinen Lärm, keine Hektik, keinen Großstadttrubel.«
Meine Lippen zuckten. »Du schummelst.«
»Gar nicht wahr«, widersprach er und riss pikiert die grünen Augen auf, die mich jetzt natürlich an einen Ahornwald erinnerten. »Es gibt wirklich Leute, die behaupten, Willow Falls wäre langweilig.«
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. »Klingt für mich immer noch nicht nach einem Haken.«
Jared wollte mir antworten, doch plötzlich richtete sich seine Aufmerksamkeit auf jemandem in meinem Rücken.
»Babe!« Zwei kräftige Arme schlangen sich von hinten um meinen Bauch und zogen mich fest an einen vertrauten Körper, während ich zusah, wie Jareds Lächeln in sich zusammenfiel. Sanfte Küsse regneten auf meinen Nacken. »Du siehst toll aus.«
Emmett und ich waren seit zwei Jahren ein Paar, obwohl er – wie ich inzwischen wusste – schon wesentlich länger in mich verliebt gewesen war. Erfreut über sein Kompliment hob ich den Kopf. »Danke. Du siehst auch nicht übel aus.«
Emmett war an sich schon verdammt gut aussehend. Aber im Smoking war er einfach nur umwerfend. Verlangen blitzte in seinen Augen auf, und er senkte die Stimme zu einem Raunen. »Ich kann es nicht erwarten, von hier zu verschwinden.«
Ein heißes Prickeln schoss durch meine Adern. Ich würde nichts lieber tun, als der Party den Rücken zu kehren und allein mit ihm zu sein. Denn viel Zeit blieb uns nicht mehr.
Die UBC befand sich in Vancouver an der Westküste Kanadas, fast dreitausend Meilen entfernt von Montreal, wo Emmett ab Herbst Betriebswirtschaft an der LaSalle studieren würde. Wir hatten einander geschworen, die weite Distanz auszuhalten und uns so oft wie möglich zu besuchen. Trotzdem hatte ich Angst vor der Zukunft, denn ich würde ihn wahnsinnig vermissen.
Der Gedanke killte die Schmetterlinge in meinem Bauch. Aber zum Glück bemerkte Emmett nichts von meinem Stimmungsumschwung. Stattdessen wandte er sich an Jared und stellte sich höflich vor. Die Männer schüttelten sich die Hände, ehe mein Freund seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete. Aufregung glitzerte in seinen blauen Augen. »Daya dreht gerade ein neues Video für ihren Kanal. Wir sollen mitmachen.«
Ich rümpfte die Nase. »Nicht schon wieder.«
Lachend ergriff Emmett meine Hand. »Komm schon, das wird lustig.«
Das bezweifelte ich. Es gab Menschen, die waren für die Kamera geboren. Sie liebten das Rampenlicht und egal, wie peinlich ihre Aktionen waren, sie kamen einfach immer witzig und sympathisch rüber. Daya, Emmett und Mackenzie gehörten zweifellos zu dieser Gruppe. Und dann gab es da noch Coben und mich. Wir konnten diesem Hype, sich selbst im Internet auf alle erdenklichen Weisen zu präsentieren, nicht sonderlich viel abgewinnen. Aber natürlich machten wir trotzdem mit, denn in diesem Punkt ähnelte Daya ihren Eltern ungemein: Es war schwer, ihr etwas abzuschlagen.
Ich seufzte. »Aber nur fünf Minuten.«
»Höchstens zehn«, versprach Emmett unbekümmert.
Mein Blick huschte zu Jared, der uns schweigend beobachtet hatte. Irgendwie missfiel mir der Gedanke, ihn hier einfach so stehen zu lassen. »Willst du mitkommen?«
Emmetts Finger zuckten um meine Hand, doch er nahm meine Einladung nicht zurück.
Lächelnd lehnte Jared ab. »Danke für das Angebot, aber ich muss noch ein paar Leute treffen.«
»Alles klar, Mann.« Schon zog Emmett an meiner Hand. »Bis dann.«
Jared nickte, hielt seinen Blick aber auf mich gerichtet. »Danke, Cassie.«
»Viel Glück«, flüsterte ich. »Wir sehen uns später, ja?«
Er nickte abermals. »Viel Spaß.«
Mein Freund zog mich ungeduldig mit sich, doch all meine Konzentration war auf den Mann hinter mir gerichtet. Ich konnte spüren, dass Jared mir nachschaute. Sein Blick brannte sich förmlich in meinen Nacken.
Hätte ich gewusst, dass er die Party schon kurz darauf verlassen und ich ihn nie wieder sehen würde, hätte ich mich noch einmal umgedreht.
So aber schaute ich nicht zurück.
Cassie
Fünf Jahre später
»O mein Gott, Cassie, ich flipp gleich aus«, jammerte Daya, kaum dass ich im Taxi saß und meine Freundin nach einer zehnstündigen Reise darüber informiert hatte, dass ich wieder in Montreal war.
Meine Augen brannten. Ich hatte versucht, im Flugzeug zu schlafen. Aber wie ich befürchtet hatte, war es mir nicht eine Sekunde lang gelungen, zur Ruhe zu kommen. Was wohl angesichts des Wochenendes, das mir bevorstand, kein Wunder war.
»Jetzt beruhig dich erst mal«, sprach ich besänftigend auf meine aufgebrachte Freundin ein, während ich meine Strickjacke fester um mich zog. Ende September hatte der Herbst bereits Einzug in Kanada gehalten. Die Luft war feucht und kühl, aber immerhin schickte die Nachmittagssonne noch einen Rest Wärme.
Ich hörte, wie Daya am anderen Ende nach Luft schnappte. Ob vor Empörung oder weil sie kurz vor einem Kollaps stand, konnte ich allerdings nicht sagen. »Echt jetzt? Hörst du mir überhaupt zu? Ich werde in weniger als vier Stunden vor dem Traualtar stehen. Ohne verdammten Brautstrauß!«
Erschöpft lehnte ich mich in dem weichen Ledersitz zurück. »Was ist denn passiert?«
»Ich habe dieser super inkompetenten Floristin gesagt, dass ich etwas Extravagantes und Modernes will – und was hat sie heute Morgen angeschleppt? Lilien! Ist das zu fassen? Lilien liegen auf Gräbern, verflucht noch mal!«
Nur mühsam unterdrückte ich ein Lachen. »Na ja, Lilien stehen für Reinheit und Fruchtbarkeit. Insofern war es grundsätzlich keine schlechte Wahl.«
Zumal die herrlichen Blüten in Verbindung mit dem satten Blattgrün sicher unglaublich vor einem weißen Brautkleid aussehen würden.
Aber offensichtlich war Daya anderer Meinung. »Ich setze Trends, Cassie. Ich werde auf gar keinen Fall Totenblumen vor mir hertragen, no way.«
Ich verdrehte die Augen. »Dann lass den Brautstrauß doch einfach weg. Das ist auch ein Statement.«
Daya schrie auf. »Ich kann doch nicht ohne Brautstrauß heiraten. Was sollen denn die Leute denken?«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Na ja, zumindest werden sie nicht denken, dass du kurz vor einem Ohnmachtsanfall stehst. Denn genau das zu verhindern war der ursprüngliche Zweck der gebundenen Kräuter.«
»Das ist nicht witzig, verdammt!« Dayas Stimme wurde so schrill, dass ich den Kopf zurückzog, woraufhin mir der Taxifahrer einen besorgten Blick im Rückspiegel zuwarf.
»Schon gut, tut mir leid«, sagte ich schnell und kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe herum. Ich hätte wissen müssen, dass Daya diesbezüglich keinen Spaß verstand. Immerhin ging es um ihre Hochzeit und nicht nur das: Sie hatte allen Ernstes vor, das Spektakel live zu streamen und ihre Fans direkt an ihrem großen Tag teilhaben zu lassen. Und wir redeten hier nicht von ein paar Hundert Leuten. O nein! In den letzten Jahren war ihre Community auf mehr als dreißig Millionen Follower angewachsen. Daya war praktisch so berühmt wie die Kardashians, wohingegen ich schon nervöse Zuckungen bekam, wenn ich mir diese schwindelerregend hohe Zahl nur vorstellte.
Daya putzte sich geräuschvoll die Nase. »Eine Braut ohne Strauß ist wie eine Prinzessin ohne Krone. Das ist doch mega peinlich.«
»Was hältst du davon, wenn ich dir unterwegs einen neuen Strauß besorge?«, schlug ich vor, während ich eine Wollfussel an meiner Strickjacke mit den Fingerspitzen drehte.
»Ich will keinen blöden Strauß von irgendeiner Fremden, die nicht weiß, wie ich ticke.« Daya schniefte. »So hat doch der ganze Mist angefangen. Ich hätte diese blöde Bitch nie beauftragen dürfen. Sie hat alles ruiniert.«
»Gar nichts ist ruiniert. Du wirst sehen, es wird alles gut. Jetzt atme erst mal tief durch.«
Für einen Moment herrschte Schweigen am Telefon. »Bindest du mir einen Brautstrauß?«
Mein Magen krampfte sich zusammen. Unter anderen Umständen hätte ich das wirklich gern gemacht. Aber es kostete mich schon Überwindung, überhaupt bei dieser Hochzeit zu erscheinen. »O nein! Sorry, aber ich will dich nicht enttäuschen.«
»Das könntest du niemals!« Mit einem Mal klang Daya wieder ganz wie früher. »Du bist eine meiner besten Freundinnen seit der Junior High. Ich weiß, dass du den perfekten Strauß für mich kreieren wirst. Du hast früher schon so tolle Sträuße gebunden.«
Ihr Lob freute mich, denn Daya war ziemlich anspruchsvoll. Trotzdem schüttelte ich den Kopf, obwohl sie mich gar nicht sehen konnte. »Ich hab das schon lange nicht mehr gemacht.«
Es war nicht so, dass ich es nicht gewollt hatte. Aber Blumen waren für mich pure Lebensfreude – und in den letzten Jahren war ich nicht sonderlich euphorisch gewesen, während ich mich durch das Jurastudium gequält hatte.
»So was verlernt man doch nicht. Das ist wie Fahrrad fahren.« Daya kicherte aufgeregt. »Und du könntest damit gutmachen, dass du meinen Junggesellinnenabschied geschwänzt hast.«
Genau genommen hatten wir uns über vier Jahre nicht gesehen.
Seit Emmett und ich uns getrennt hatten …
Mein Magen verkrampfte sich. Mittlerweile bekam ich nur noch Bruchstücke aus dem Leben meiner früheren Freunde mit, wenn sie etwas posteten. Was bei Daya allerdings recht häufig passierte.
»Bitte, Cassie«, riss sie mich in die Gegenwart zurück. »Es würde mir so viel bedeuten, wenn du meinen Brautstrauß bindest.«
Beklommen rieb ich mir über die Stirn. Wieso eigentlich nicht? Heute war ihr großer Tag. Sie sollte alles haben, was sie wollte. Obwohl sie im Grunde bereits alles hatte, was wirklich zählte.
Die Bitterkeit in meinem Herzen ließ mich das Gesicht verziehen. »Na gut. Ich mach’s.«
»Oh, danke, danke, danke! Du bist die Allerbeste!«
Wirklich? Da war ich mir nicht so sicher.
»Wir sehen uns in drei Stunden«, murmelte ich, obwohl ich den Fahrer am liebsten gebeten hätte, umzudrehen.
»Okay, und vergiss nicht: Alle Brautjungfern tragen Pastell«, flötete Daya.
»Was?« Mein Herz begann, zu rasen. »Ich hab gedacht, ich sitze irgendwo im Publikum bei meinen Eltern.«
Daya schnaubte. »Ich hab dich tausend Mal lieber an meiner Seite als Trisha.«
Entsetzt schüttelte ich den Kopf. »Du kannst doch nicht einfach deine Cousine rauskicken.«
»Natürlich kann ich das«, erwiderte Daya und kicherte. »Ich bin schließlich die Braut.«
Ich stöhnte. »Aber Trisha freut sich sicher schon drauf.«
»Sie wird das schon verstehen.« Leichte Ungeduld schwang in Dayas Stimme mit. »Ich erklär ihr einfach, dass du es doch noch geschafft hast und wir auf der Bühne leider keinen Platz für sechs Brautjungfern haben. Wär doch peinlich, wenn eine von euch runterpurzelt. Du stehst dann direkt neben Mackenzie, okay?«
Offengestanden fand ich das ganz und gar nicht okay. Trisha vergötterte Daya und kommentierte jeden ihrer Posts mit Herzchen-Emojis und Komplimenten. Sie wäre sicher unglaublich enttäuscht. Mal ganz abgesehen davon, dass ich auf keinen Fall auf diese Bühne wollte.
Ich öffnete gerade den Mund, um Daya genau das zu sagen, als sie plötzlich so laut aufschrie, dass ich schon wieder zusammenzuckte.
»Ich muss Schluss machen, Cassie. Die Stylistin ist da. Hoffentlich weiß die wenigstens, wie sie ihren Job zu machen hat. Komm nachher direkt in die Präsidentensuite im zwanzigsten Stock, ja? Ich freu mich. Bye.«
Bevor ich noch irgendwas sagen konnte, hatte sie bereits aufgelegt.
Frustriert ließ ich mein Handy sinken und schaute aus dem Fenster. Inzwischen hatten wir die dreißigminütige Fahrt zur Villa meiner Eltern zur Hälfte hinter uns gebracht, und der Verkehr staute sich auf dem Highway in Richtung Westmount.
Obwohl mir die Reise in den Knochen lag, war ich froh über den Aufschub, denn abgesehen von der Hochzeit, zu der ich nicht gehen wollte, stand mir auch noch ein Gespräch mit meinen Eltern bevor, das ich nicht führen wollte.
Sie hatten keinen blassen Schimmer, dass ich zurück in Montreal war. Denn eigentlich sah der Plan vor, dass ich in zwei Wochen ein Praktikum in einer Kanzlei in Richmond begann.
Eine Option, die nun nicht mehr bestand, denn dummerweise setzte besagtes Praktikum voraus, dass ich ein bestandenes Examen vorweisen konnte, was – wie ich seit Kurzem wusste – nicht der Fall war. Ich könnte das Semester wiederholen, um doch noch zur Bar berufen zu werden. Aber ich wollte das einfach nicht mehr. Ich war keine Anwältin und würde auch niemals eine sein. Dieses ganze Paragraphenzeug langweilte mich zu Tode.
Seufzend rieb ich mir über das Gesicht. Dad würde durchdrehen, wenn ich ihm sagte, dass ich mein Jura-Studium geschmissen hatte. Aber daran wollte ich jetzt lieber nicht denken. Stattdessen bat ich den Fahrer, in Westmount einen kleinen Umweg über die Arlington Lane zu machen.
»Es gibt da einen kleinen Blumenladen auf der Höhe des Parks«, erklärte ich. »Könnten Sie dort bitte einen Moment halten?«
»Natürlich«, antwortete der Mann freundlich.
»Großartig, danke.«
Nach zehn weiteren Minuten erreichten wir den Blumenladen, und ich bat den Fahrer, kurz zu warten, bevor ich aus dem Wagen stieg. Sobald ich in das kleine Geschäft trat, umhüllten mich die himmlisch-süßen Düfte von Bettys Sortiment, und zum ersten Mal seit … keine Ahnung, langer Zeit … spürte ich, wie sich ein richtiges Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete.
Betty hatte sich kein bisschen verändert, seit ich zuletzt hier gewesen war. Noch immer kringelten sich schwarze Löckchen auf ihrem Kopf, und eine mit Blumen gemusterte Schürze war um ihren Leib geschlungen, während sie hinter dem schmalen Tresen stand und ein paar Rosenstängel kürzte. Sie war gerade einmal Mitte vierzig, und wir kannten uns nun schon über zehn Jahre.
Ich winkte müde. »Hi, Betty.«
»Cassie!« Sie ließ alles aus ihren Händen fallen, kam um den Tresen herum und zog mich in eine kräftige Umarmung. Sofort war ich eingehüllt in den Duft von Rosen und Jasmin. »Das ist ja ewig her, Süße!«
»Stimmt.« Ich lachte zittrig. »Wie geht’s dir?«
»Sehr gut, und dir?«
»Auch«, wiegelte ich ab, bevor sie mich losließ. »Es tut mir leid, dass ich hier so reinplatze. Aber eine Freundin von mir heiratet, und ich brauche dringend einen Brautstrauß.«
»Oh, wie schön!« Erfreut legte sie sich die Hand aufs Herz. »Ich liebe Hochzeiten.«
Leicht gequält verzog ich das Gesicht, während ich sachte über die Blüten eines perfekt gebundenen Straußes strich, der zusammen mit vielen anderen vor der Theke platziert war. »Ja. Hab ich nicht vergessen.«
Betty musterte mich und runzelte die Stirn. »Du siehst nicht so glücklich aus.«
»Doch, das bin ich.« Wie ich es mir über die Jahre hinweg antrainiert hatte, schraubte ich meine Mundwinkel in die Höhe – zu einem perfekten Lächeln, das ich später dann wieder abschrauben konnte. »Sehr sogar. Ich bin nur ein wenig gestresst. Die Hochzeit ist schon heute Abend.«
»Warum denn abends?«, fragte Betty verdutzt.
»Weil die Sonne um diese Zeit das beste Licht abgibt.«
Dayas Worte, nicht meine.
Die Frau, von der ich alles über das Blumenbinden gelernt hatte, gab sich mit meiner Erklärung zum Glück zufrieden und machte eine ausladende Geste. »Dann leg mal los, Süße. Mal sehen, ob du es noch draufhast.«
Schmunzelnd wandte ich mich von der Theke ab und den Blumenkübeln zu, um die Auswahl zu begutachten. Wie üblich strahlten unzählige Blüten in all ihrer herrlichen Farbenpracht um die Wette.
Ich hätte mir gern mehr Zeit genommen, um auch ganz sicherzugehen, dass ich mich richtig entschied. Aber Betty hatte mir eingetrichtert, auf meine Instinkte zu vertrauen.
Genau das tat ich nun, als ich zwei schneeweiße Dahlien aus dem Kübel zupfte. Daya hatte mir bereits unzählige Fotos von ihrem Kleid, der geplanten Flechtfrisur und ihrem Make-up geschickt. Daher wusste ich, dass sie sich für ein mit Spitze besetztes, halb transparentes Kleid in Meerjungfrauenoptik entschieden hatte. Es war traumhaft schön. Sie würde aussehen wie eine Märchenprinzessin.
Ich konnte mir das Gesicht ihres Bräutigams lebhaft vorstellen.
Hastig griff ich nach ein paar roten Nelken. Ich wählte die schönsten aus und kombinierte das Ganze noch mit gelben Margariten, orangenen Chrysanthemen, Pistaziengrün und Schleierkraut, bis ich den Sonnenuntergang, den Daya sich wünschte, sozusagen in den Händen hielt. Während ich meine Auswahl begutachtete, trat Betty neben mich und nickte zufrieden.
»Romantisch, verspielt und auch ein bisschen frech.« Sie zwinkerte mir zu. »Gefällt mir.«
»Hoffen wir, dass es meiner Freundin auch gefällt«, murmelte ich, während sich ein unruhiges Gefühl in meinem Bauch ausbreitete.
Betty tätschelte ermutigend meine Schulter. »Da bin ich mir sicher.«
Weil sie einfach eine herzensgute Frau war, ließ sie mich nach hinten in ihr Heiligtum – eine kleine Werkstatt, wo ich sämtliches Werkzeug fand, das ich brauchte, um Dayas Strauß zu binden.
Sonnenstrahlen fielen durch die kreisrunden Fenster in der Decke, brachen sich in den vielen bunten Vasen, in denen die unterschiedlichsten Blumen standen, und tauchten den kleinen, vollgestopften Raum in warmes Licht. Ich legte die Blumen, die ich ausgewählt hatte, auf die Werkbank und begann, die überflüssigen Blütenblätter zu entfernen. Nachdem ich die Blumen spiralförmig angeordnet zu einem wunderschönen Strauß zusammengefügt und das Ganze mit großen Holunderblättern umrahmt hatte, fixierte ich die Stängel mit Bast, wickelte ein hübsches Satinband um den Bund und verstaute mein Werk in einer großen Blumenbox.
Dann trat ich wieder vor in den Verkaufsraum, wo Betty gerade eine Kundin verabschiedete. Ich lächelte ihr kurz zu, als sie an mir vorbeiging, und stellte mich dann an die Kasse.
»Wunderschön«, hauchte Betty, nachdem sie einen kurzen Blick in die Box geworfen hatte.
»Danke.« Ich zog mein Portemonnaie aus meiner Handtasche und reichte ihr meine Kreditkarte.
Betty nahm sie entgegen und zwinkerte mir zu. »Du hast nichts verlernt, Cassie.«
Inzwischen war es fast vier Uhr. Wenn ich um sechs im Four Seasons sein wollte, hatte ich also nur noch knapp zwei Stunden Zeit, um nach Hause zu fahren, mich frisch zu machen und mich in ein Kleid zu werfen. Das war zu schaffen.
»Oh.« Stirnrunzelnd beugte Betty sich über das Kartenlesegerät. »Die Zahlung wurde abgelehnt.«
Mir rutschte das Herz in die Hose. »Was?«
»Tut mir leid.« Sie rubbelte die Kreditkarte über ihren Ärmel und versuchte es erneut. Die Falte auf ihrer Stirn vertiefte sich. »Wie es scheint, gibt es ein Problem mit deiner Karte.«
Na, großartig.
Hitze kroch mir in die Wangen, während ich mein Portemonnaie öffnete und hektisch ein paar Scheine abzählte. »Dann zahle ich cash.«
»Ruf am besten gleich bei der Bank an«, riet sie. »Das ist sicher nur ein ärgerlicher Systemfehler.«
Ich wünschte, sie hätte recht. Aber leider war das Dads übliche Strategie, wenn ich mich nicht an seine Regeln hielt. Bisher war das zweimal vorgekommen. Einmal hatte ich mich dazu überreden lassen, an einem Schulstreich teilzunehmen, den Daya live gestreamt hatte, was sich für eine angehende Juristin seiner Meinung nach absolut nicht ziemte. Und das andere Mal hatte ich kurz nach Studienbeginn spontan ein Ticket nach Hause gebucht, um Emmett zu überraschen. Auch derart impulsive Handlungen passten nicht zu einer geschickt agierenden Anwältin. Also hatte er meine Karte erneut sperren lassen, woraufhin ich mich einen Monat lang von Dosenravioli ernähren musste, weil ich mir das Essen in der Mensa nicht mehr hatte leisten können. Insofern war ich mir sehr sicher, dass es sich hierbei nicht um einen dummen Fehler handelte.
Verdammter Mist! Wahrscheinlich hatte der Dekan der UBC meinen Vater bereits informiert, dass ich mein Examen verbockt hatte. Immerhin waren die beiden befreundet.
Zähneknirschend verabschiedete ich mich von Betty und verließ ihren Laden.
Das Taxifahrer las inzwischen eine Zeitung, die er beiseitewarf, sobald ich den großen Karton auf die Rückbank schob und einstieg. Als der Wagen erneut anrollte, stand das Taxometer bereits bei vierzig Dollar.
Eine Viertelstunde später hielten wir vor unserer Einfahrt – und ich war pleite.
Mit meinem riesigen Koffer in der einen und der Blumenbox in der anderen Hand kämpfte ich mich durch den Vorgarten zur Villa meiner Eltern vor. Das sich alle paar Meter Blätter in den unterschiedlichsten Herbstfarben in meinen Rollen verhakten, half nicht unbedingt, und ich war kurz davor, den Koffer einfach mitten auf dem Weg stehen zu lassen. Doch schließlich schaffte ich es schwer atmend bis zur Verandatreppe. Das zweistöckige Gebäude war längst nicht so riesig und imposant wie das der Grahams, aber mit seiner Steinfassade, den weißen Fensterläden und dem anthrazitfarbenen Schindeldach immer noch ziemlich edel.
Ich hievte meinen Koffer die Treppe hoch, zog meinen Haustürschlüssel, den ich vorsorglich in meine hintere Jeanstasche gesteckt hatte, heraus und öffnete die breite Tür.
Im offenen Eingangsbereich befand sich eine antike Kommode, auf die ich den Blumenkarton schob, ehe ich die Treppe hinaufspähte. »Mom? Dad?«
Niemand antwortete.
Vielleicht hätte ich meine Eltern doch anrufen und über meine Ankunft informieren sollen. Andererseits hätte Dad mich dann schon eher angebrüllt, und dafür hatte ich heute absolut keinen Nerv.
Angespannt wuchtete ich meinen Koffer über die Türschwelle.
Wahrscheinlich waren meine Eltern bereits im FourSeason, um den Grahams beizustehen. Immerhin waren sie nicht nur Geschäftspartner, sondern seit Jahren gute Freunde, und dieser Tag war auch für sie etwas Besonderes, da sie Daya hatten aufwachsen sehen.
Ich versuchte, es positiv zu sehen, dass ich auf diese Weise noch einen kleinen Aufschub bekam, bis ich mit meinen Eltern aneinander rasselte, und zerrte den schweren Koffer die Stufen hinauf in mein altes Zimmer.
Mir stockte der Atem, als ich es erreichte. Obwohl ich so lange Zeit keinen Fuß mehr in dieses Haus gesetzt hatte, sah es immer noch so aus, wie ich es zurückgelassen hatte.
Eine Lichterkette mit unzähligen Fotos hing an der Wand über dem französischen Bett, in dem Emmett und ich unsere letzte gemeinsame Nacht verbracht hatten. Mein Bücherregal war voll mit alten Schulbüchern, Zeitschriften, Parfumflakons und Schmuckschatullen, in denen ich meine Schätze aufbewahrte. Auf einem Kleiderständer in der Ecke hingen quietschbunte Tücher und Schals. Kaum zu glauben, dass mir diese schrillen Farben jemals gefallen hatten.
An der Highschool hatte ich wie alle beliebten Kids hippe Miniröcke, bauchfreie Tops und Absatzschuhe, kombiniert mit extravaganten Accessoires, getragen. Doch inzwischen fühlte ich mich in Jeans und Boots deutlich wohler.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, wie es wohl wäre, in meinen bequemen Schuhen bei der Hochzeit aufzutauchen. Aber vermutlich würde ich damit zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen, und das war wirklich das Letzte, was ich wollte.
Ich sprang eilig unter die Dusche, bevor ich meinen Kleiderschrank nach einem pastellfarbenen Outfit durchwühlte. Blasse Töne waren noch nie mein Stil gewesen, weswegen ich nur ein lavendelfarbenes Chiffonkleid fand, das ich vor Jahren zu irgendeinem Schulfest getragen hatte. Es war an der Seite gerafft und floss dann in mehreren Stofflagen bis auf den Boden hinab.
Ich seufzte und schielte zu meiner Jeans und der Strickjacke rüber.
Nope, das kam nicht infrage. Daya würde mich umbringen.
Da meine Zeit langsam knapp wurde, fackelte ich nicht lange und zog das Pastell-Monster an. Mein langes Haar steckte ich zu einem Knoten auf dem Hinterkopf zusammen und legte noch ein wenig Make-up auf, um meine dicken Augenringe zu kaschieren. Danach eilte ich wieder nach unten, schlüpfte in ein paar schwarze High Heels meiner Mom und zog mir auch noch ihren Herbstmantel über. Ich schnappte mir meine Umhängetasche und den Blumenkarton und hetzte nach draußen.
Bis zum Four Seasons, das gleich im Nachbarviertel lag, war es nicht weit. Allerdings hatte ich vergessen, dass ich auf High Heels längst nicht so schnell unterwegs war wie in meinen Boots.
Als ich das luxuriöse Hotel endlich erreichte, war ich völlig außer Atem. Ich hielt direkt auf den Fahrstuhl zu, wo ein junger Concierge einen Blick auf mich warf und eine Braue hochzog.
Schlitternd kam ich vor ihm zum Stehen. »Hi, ich möchte zu Daya Graham in die Präsidentensuite. Sie heiratet heute.«
Er nickte und trat einen Schritt beiseite. »Wir wurden bereits über Ihre Ankunft informiert, Miss.«
»Danke.« Ich trat in die Kabine, woraufhin er eine Karte vor das Lesegerät hielt. Schon schoss der Fahrstuhl rauf in den zwanzigsten Stock.
Unruhig trat ich von einem schmerzenden Fuß auf den anderen. Gott, ich war Absätze einfach nicht mehr gewöhnt. Meine Füße brannten wie die Hölle.
Ich atmete tief durch, um meine angespannten Nerven zu beruhigen. Da bemerkte ich die verspiegelte Wandverkleidung und zuckte bei meinem Anblick prompt zusammen.
Meine Wangen waren gerötet, auf meiner Stirn glänzte Schweiß, und unzählige Strähnen hatten sich aus meinem Haarknoten gelöst. Ironischerweise sah ich aus, als wäre ich nicht gerade erst aus dem Flugzeug, sondern vielmehr aus dem Bett eines äußerst begabten Liebhabers gestiegen.
Dabei war ich eher kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Keine Ahnung, warum mich meine Gefühle plötzlich derart übermannten. Schließlich hatte ich ja gewusst, was heute hier passieren würde. Und doch … tat es weh.
Weil ich nicht damit gerechnet hatte.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem leisen Pling, und der Concierge trat heraus. Er deutete eine Verbeugung an. »Es ist die rechte Tür am Ende des Gangs.«
»Danke«, krächzte ich und huschte mit gesenktem Kopf an ihm vorbei.
Meine Schritte wurden von dem weichen, flauschigen Teppich verschluckt, während ich den Schmerz, der mich gerade überrollte, entschlossen zurückdrängte und meinen Mundwinkeln befahl, so breit wie nur möglich zu lächeln. Vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm werden und …
»Cassie?«
Ich hatte diese Stimme jahrelang nicht gehört, und trotzdem war sie mir so vertraut, als hätten wir erst gestern miteinander gesprochen. Prompt kehrte der Schmerz mit voller Wucht zurück.
Langsam hob ich den Kopf und schaute in Emmetts Augen.
Die Augen, die mich jahrelang voller Liebe und Leidenschaft angesehen hatten.
Die Augen, die mich mit ihrem Funkeln stets zum Lächeln gebracht hatten.
Die Augen, die es geliebt hatten, meinen Körper von Kopf bis Fuß zu betrachten.
Die Augen, die mich noch immer in meinen Träumen verfolgten.
Die Augen des Bräutigams.
Cassie
Emmett hatte schon immer wahnsinnig gut ausgesehen, aber inzwischen war aus dem Jungen, in den ich einst so unsterblich verliebt gewesen war, ein Mann geworden. Seine kindlichen Züge waren verschwunden, und sein maßgeschneiderter Anzug saß perfekt. Nur in seinen blauen Augen lag ein Ausdruck, der mir völlig fremd war, während sein Blick langsam über mich glitt.
Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen und hoffte, dass mein Lächeln einigermaßen unbeschwert war. »Hallo, Emmett.«
Er zuckte zusammen. »Was machst du hier?«
Verwirrt, weil seine Stimme derart vorwurfsvoll klang, runzelte ich die Stirn. »Ihr habt mich eingeladen, und ich wollte den wichtigsten Tag eures Lebens auf keinen Fall verpassen. Immerhin sind wir seit Jahren Freunde.«
Okay, gut. Das war nicht hundertprozentig die Wahrheit, denn tatsächlich war ich nicht sonderlich scharf drauf, zuzusehen, wie die beiden heirateten.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich freute mich für sie. Ehrlich! Sowohl Daya als auch Emmett verdienten alles Glück der Welt. Aber da war dieser winzig kleine Teil in mir, der Emmett einfach nicht loslassen konnte, weil er immer daran geglaubt hatte, dass wir eines Tages doch wieder den Weg zueinander finden würden. Schließlich hatten wir uns getrennt, weil es zu schwer gewesen war, einander permanent zu vermissen, und nicht, weil wir uns nicht mehr liebten.
Emmett fuhr sich durch die Haare und brachte damit seine akkurate Frisur völlig durcheinander. »Sorry, das war blöd.« Seine Mundwinkel zitterten, aber sein Lächeln war ehrlich. »Ich bin froh, dass du da bist. Ich bin bloß überrascht, das ist alles.«
Ich stieß ein nervöses Lachen aus. »Ich auch.«
Plötzlich breitete er die Arme aus, als wollte er mich an sich ziehen. So wie früher. Mein Magen machte einen Satz, aber glücklicherweise versperrte ihm der Blumenkarton den Weg, und so ließ er die Hände unverrichteter Dinge wieder sinken. »Das ist … seltsam, oder?«
»Ein bisschen«, gab ich zu und zuckte mit den Schultern, als würde es mich nicht derart berühren. »Na ja, manchmal laufen die Dinge eben nicht so, wie man es sich wünscht.«
Seine Augen weiteten sich.
»Aber in dem Fall ist das etwas Gutes«, schob ich eilig hinterher. »Du und Daya, ihr seid ein tolles Paar. Ich freu mich wahnsinnig für euch.«
»Danke.« Seine Stimme wurde rau. »Du glaubst nicht, wie viel mir das bedeutet.«
Doch, das tat ich. Denn wäre es umgekehrt, würde ich mich schrecklich fühlen, wenn Emmett mir seinen Segen verwehrte oder mir meine neue Liebe sogar missgönnte. Ich nickte bekräftigend. »Ich wünsche mir nur, dass ihr glücklich seid.«
Seine Miene wurde weich. »Gott, Cassie. Es ist so schön, dich zu sehen. Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch«, erwiderte ich leise, ehe ich ein Lachen ausstieß, das selbst in meinen Ohren einen Tick zu schrill klang. »Aber jetzt bin ich ja wieder hier. Wahrscheinlich sehen wir uns in nächster Zeit sogar öfter.« Ich zwinkerte ihm zu. »Sobald ihr aus den Flitterwochen zurück seid.«
Worüber ich lieber nicht so genau nachdenken wollte.
Emmett runzelte die Stirn. »Du gehst nicht zurück nach Vancouver?«
»Äh, nein.«
»Aber was ist mit deinem Praktikum? Daya hat mir erzählt, du hast einen Platz in dieser begehrten Wirtschaftskanzlei ergattert.«
»Ja, ich … äh … kleine Planänderung.«
Ich sah ihm an, dass er nachhaken wollte, aber im selben Moment ging hinter ihm die Tür auf, und Mackenzie steckte den Kopf heraus. Sie schaute kurz zwischen Emmett und mir hin und her, ehe sie in einem zartrosa Kleid, das mit Perlen und kleinen Strasssteinchen verziert war, in den Gang trat. Es bildete den perfekten Kontrast zu ihrer gebräunten Haut. In ihrem rabenschwarzen Haar steckte eine Rose passend zu ihrem Kleid.
Hektisch winkte sie mich zu sich. »Wo bleibst du denn so lange?«, flüsterte sie. »Daya ist kurz vorm Durchdrehen.«
Emmett blinzelte, woraufhin ich ihm einen beruhigenden Blick zuwarf. »Das sind sicher nur die Nerven.«
»Hoffentlich«, murmelte Mackenzie, während sie näher kam. »Sie treibt mich noch in den Wahnsinn mit ihrem Gezicke.«
Wie üblich nahm Mackenzie kein Blatt vor den Mund. Eine Eigenschaft, die ich früher immer an ihr bewundert hatte. Nur nicht gerade in diesem Moment, denn Emmett war merklich blasser geworden.
»Du weißt, wie impulsiv sie sein kann, wenn sie aufgeregt ist«, flüsterte ich ihm zu. »Das legt sich sicher gleich wieder.«
»Komm schon, Cassie!«, zischte Mackenzie.
Ich lächelte Emmett an. »Wir sehen uns bei der Zeremonie.«
Er nickte geistesabwesend, bevor ich zu meiner Freundin ging.
Mackenzie hauchte mir einen schnellen Begrüßungskuss auf die Wange. »Schickes Kleid! Hattest du das nicht beim Frühlingsball an?«
Meine Schultern versteiften sich, weil sie recht hatte. Genau dieses Kleid hatte ich damals getragen. Und an genau dem Abend hatte Emmett mir bei einem langsamen Tanz zum ersten Mal ins Ohr geflüstert, dass er mich liebte.
Das hatte ich total vergessen.
Shit!
Innerlich verpasste ich mir selbst eine Ohrfeige, bevor ich einen Blick über die Schulter warf. Emmett stand immer noch reglos im Gang und musterte mich. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, nur beten, dass er es vergessen hatte.
»Daya hat sich etwas in Pastelltönen gewünscht«, erklärte ich angespannt, aber Mackenzie war schon wieder voll im Krisenmodus. Sie zog mich hinter sich her in die geräumige Präsidentensuite.
Licht fiel durch die bodentiefen Fenster ins Wohnzimmer, und überall im Raum verteilten sich schicke Designermöbel.
Daya stand vor einem hohen Standspiegel und strich mit den Fingerspitzen andächtig über ihr Kleid. Es war noch viel atemberaubender als auf den Fotos. Die Stylistin hatte ihr blondes Haar zu einer kunstvollen Frisur zusammengesteckt, aus der ein hauchzarter Schleier herausfloss. Ihr Make-up war makellos.
Sie sah aus wie ein Filmstar.
»Wow!«, rief ich.
Sie wirbelte herum, und ihre blauen Augen weiteten sich. »Du bist da.«
Sie klang, als wäre ich ihr Rettungsanker. Dabei schien Mackenzie die Lage ziemlich gut im Griff zu haben. Immerhin sah ich hier eine fertige Braut vor mir, obwohl die Trauung erst in einer halben Stunde begann.
Daya breitete die Arme aus. »Ich würde dich ja umarmen, aber dieses verdammte Kleid wirft schneller Falten als meine Großmutter.«
»Du siehst großartig aus.« Vorsichtig stellte ich den Karton auf einem der zahlreichen Beistelltische ab. »Hier ist dein Brautstrauß. Ich hoffe, er gefällt dir.«
Neugierig hob Mackenzie den Deckel und atmete erleichtert aus, während Daya ein Kieksen ausstieß, das ich als Zustimmung wertete. »Ich wusste, du würdest mich nicht enttäuschen.«
Mackenzie verdrehte die Augen. »Natürlich nicht. Cassie hat dir sogar grünes Licht bei deinem Verlobten gegeben. Sie ist eine Heilige.«
Ich zuckte zusammen, während Daya ein schrilles Kichern ausstieß.
»Stimmt.« Ergriffen legte sie sich die Hand auf die Brust. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass Emmett und ich wirklich heiraten werden.«
Ich auch nicht.
Als Daya mich vor einem Jahr angerufen und gefragt hatte, ob ich ein Problem damit hätte, wenn sie mit Emmett ausging, war mir im ersten Moment das Herz stehen geblieben. Aber ich konnte den beiden ja schlecht verbieten, sich aufeinander einzulassen, wenn sie das wollten. Also hatte ich getan, was ich immer tat: Ich hatte gelächelt und meiner Freundin, die immerhin den Anstand besessen hatte, auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen, viel Spaß mit meinem Ex gewünscht. Daya war immer so flatterhaft gewesen, dass ich überzeugt war, die beiden würden nach ein paar Dates lieber wieder zu ihrer Freundschaft zurückkehren.
Tja, so konnte man sich irren.
Plötzlich trat ein verräterischer Glanz in Dayas Augen, und sie fächelte sich hektisch Luft zu. »Ich bin so … so …«
Sie hielt auf der Suche nach dem richtigen Wort inne.
Trotz meiner Anspannung konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. In all den Jahren war es nicht oft vorgekommen, dass ich meine Freundin derart überwältigt erlebt hatte.
»… glücklich?«, schlug ich vor.
Sie winkte ab. »Das auch.«
»Da gibt es diesen Produzenten aus L. A.«, sagte Mackenzie, während sie drei Champagnerflöten füllte. »Er sucht gerade nach einer weiblichen Hauptbesetzung für eine romantische Komödie mit Ken Morgan und hat versprochen, bei Dayas Lifestream reinzuschauen, um zu sehen, wie sie sich als verliebte Braut macht.«
Klar, warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und den schönsten Tag des Lebens für ein Casting nutzen?
»Emmett weiß nichts davon«, stellte Daya klar und tupfte sich über die geröteten Wangen. »Ich will, dass alles ganz natürlich wirkt.«
So natürlich, wie etwas nur sein konnte, wenn ein paar Millionen Augenpaare auf einen gerichtet waren.
»Hier.« Mackenzie drückte uns beiden je ein Glas Champagner in die Hand. »Das beruhigt die Nerven.«
Bevor eine von uns einen Toast aussprechen konnte, stürzte Daya das Glas bereits herunter. Anschließend musterte sie mich nachdenklich. »Du brauchst Make-up.«
Erschrocken schüttelte ich den Kopf. »Ich hab doch welches drauf.«
»Nicht genug! Die Kameras verschlucken alles«, insistierte Daya. »Du brauchst eindeutig mehr von …« Sie gestikulierte vor meinem Gesicht herum. »… von allem. Hast du überhaupt schon mal was von einem Bronzer gehört?«
Natürlich hatte ich das. Ich benutzte so was nur nie.
Daya stöhnte. »Hilf ihr, Mac.«
Sofort schwebte meine Freundin mit einem Beautycase herbei, drückte mich auf einen Stuhl und fing an, auf meinem Gesicht herumzupinseln, als wäre es eine Leinwand.
Zehn Minuten später war ich fertig und erkannte mich selbst nicht wieder. Ich sah aus wie ein Modepüppchen. Aber wenigstens war Daya jetzt zufrieden.
Sie schnippte mit den Fingern. »Ich muss aufs Klo.«
»Schon wieder?« Mac verzog das Gesicht. »Ich hätte dir Windeln besorgen sollen.«
Ich verbiss mir ein Lachen, während Daya empört nach Luft schnappte. »Und ich hätte dich nicht zu meiner Trauzeugin machen sollen.«
Prompt schossen Mackenzies Brauen in die Höhe. »Vielleicht wartest du mit deinem Gezicke, bis ich dafür gesorgt hab, dass dein Kleid trocken bleibt. Nicht, dass es aus Versehen ins Klo fällt.«
Daya wurde puterrot. »Das würdest du nicht wagen.«
»Selbstverständlich nicht«, mischte ich mich in beschwichtigendem Tonfall ein, weil die beiden sich immer mehr gegenseitig hochschaukelten. Ich stellte mein Glas weg. »Aber ihr solltet euch trotzdem beeilen. Die Trauung beginnt bald.«
Trotzig reckte die Braut das Kinn vor. »Sie werden schon auf mich warten.«
Hinter ihr verdrehte Mackenzie erneut die Augen. Aber diesmal ließ Daya es gut sein, und die beiden verschwanden im Bad.
Ich legte meine Tasche beiseite, zog meinen Mantel aus und hob den Brautstrauß vorsichtig aus dem Karton. Wenigstens hatten die kühlen Temperaturen den Vorteil, dass nicht alles schon verwelkt war. Stattdessen wirkten die Blüten wie frisch gepflückt. Ich zupfte ein paar Blätter zurecht und drehte den Strauß, um den perfekten Winkel zu finden, als meine Freundinnen auch schon zurückkehrten. Lächelnd überreichte ich der Braut die Blumen. »Bereit?«
Sie holte tief Luft. »Es kann losgehen.«
Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür.
»Das ist sicher dein Dad.« Mackenzie ging an uns vorbei, um die Tür für Mr Graham zu öffnen.
Hastig schnappte Daya sich mein Glas und leerte es ebenfalls mit großen Schlucken.
»Mach langsam«, murmelte ich, aber was das betraf, hatte Daya noch nie auf mich gehört, weshalb sie mehr als einmal sturzbetrunken in einer Hecke gelandet war.
Sie drückte mir das Glas in die Hand, bevor sie zu ihrem Vater herumwirbelte. »Daddy!«
Wie üblich war Nigel Graham in einen maßgeschneiderten Anzug gehüllt, und sein silbergraues Haar war perfekt frisiert.
»Prinzessin!«, stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Du bist die beste Delikatesse von allen.«
Dieses Mal konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen, schaffte es aber, es mit einem Räuspern zu kaschieren.
Nigel mochte ein Ass im Gourmet-Geschäft sein, aber was Komplimente betraf, könnte er noch einiges lernen.
Die Braut schien sein seltsamer Vergleich nicht zu stören. Kichernd tätschelte sie seine Schulter. »Ach, Daddy.«
Der König der kanadischen Delikatessen bot seiner Tochter den Arm an. »Wollen wir?«
»Ja«, hauchte sie und schwebte davon.
»Hier.« Mackenzie, die sich ein Grinsen ebenfalls nicht hatte verkneifen können, reichte mir eine violette Clutch von Alexander McQueen, die mit goldenen Applikationen veredelt war. »Die passt besser zu deinem Kleid.«
Obwohl ich jetzt eigentlich keine Nerven dafür hatte, lud ich eilig mein Handy und mein Portemonnaie um. Anschließend schob ich mir die filigrane Goldkette über die Schulter und verließ als Letzte die Suite.
Der Concierge, der mich kurz zuvor raufgebracht hatte, wartete bereits beim Fahrstuhl und hielt die Tür für uns auf.
Daya und ihr Dad verschwanden gerade in der Kabine, als Mackenzie neben mir anfing, hektisch in ihrer eigenen Handtasche zu wühlen. »Das hätte ich fast vergessen.« Sie zog eine kleine Schachtel heraus und reichte sie mir. »Daya wollte, dass du die Eheringe übergibst.«
»Ich?«
Mackenzie nickte. »Coben hatte Angst, sie zu verlieren, während er Emmett seelischen Beistand leistet, und da ich Dayas Brautstrauß halten werde, wenn sie sich die Hände reichen, gebührt dir die Ehre.«
Fantastisch.
Ich bemühte mich, keine Miene zu verziehen, während ich innerlich stöhnend die Schachtel in die winzige Clutch schob. Gemeinsam traten wir in den Fahrstuhl.
Sobald er sich in Richtung Dachgeschoss in Bewegung setzte, krallte Daya sich mit einem Anflug von Panik am Arm ihres Vaters fest.
»Alles wird gut«, beteuerte ich in dem Versuch, sie zu beruhigen.
»Klar.« Daya nickte. »Immer schön lächeln.«
Ich wandte mich der Tür zu, die sich in diesem Moment öffnete.
Vor uns erstreckte sich ein langer Gang, der rechts und links mit opulenten Gestecken aus weißen Rosen, Fresien und Lorbeer geschmückt war. Ganz am Ende mündete er in eine doppelflügelige Tür. Dahinter musste sich der Festsaal befinden, in dem die Trauung stattfand.
Die drei übrigen Brautjungfern erwarteten uns bereits in mintgrünen, himmelblauen und pfirsichfarbenen Kleidern. Keine von ihnen hatte ich je zuvor persönlich getroffen. Aber ich wusste von Daya, dass diese Frauen einflussreiche Influencerinnen waren, mit denen sie sich in den letzten Jahren angefreundet hatte. Unmittelbar neben ihnen stand eine ältere Frau in einem Businesskostüm und redete in ein Headset. Ihrem Verhalten und dem Tablet in ihrer Hand nach zu urteilen, war sie die Hochzeitsplanerin.
Mackenzie stieß mir den Ellenbogen in die Seite und deutete auf einen jungen Mann, den ich erst jetzt bemerkte. Er hielt unmittelbar neben uns ein Smartphone in die Höhe.
Argwöhnisch sah ich in seine Richtung, woraufhin er stirnrunzelnd hinter dem Apparat hervorlugte. »Du bist ja total lost, Honey. Chill mal. Wir sind in einer Minute live.«
Um es mal in seiner Sprache auszudrücken: Oh my fucking god! Wollte der Typ mich etwa verarschen?
»Es kann losgehen, Mick«, rief Daya hinter mir aus der Kabine.
Sofort waren Mackenzie und ich unsichtbar, und er hatte nur noch Augen für Daya. »Du siehst umwerfend aus, Darling. Hot as fuck! Hollywood-Glam ist ein Scheiß gegen dich.«
Das waren ja ganz bezaubernde Komplimente. Ich tauschte einen Blick mit Mackenzie, die ebenso zweifelnd dreinschaute. Aber Daya kicherte, während sich der Influencer wieder auf seine Position begab.
»Here we go, friends!« Er tippte auf sein Smartphone und begann, irgendwas über die heißeste Hochzeit des Jahres zu quasseln. Anschließend präsentierte er sein Outfit, bestehend aus einem schwarzen Glitzermantel im Barockstil, bevor er Dayas Entourage ankündigte.
Die Braut gab mir einen Schubs, und ich stolperte an Mackenzies Seite nach vorn.
»Ignorier ihn einfach«, flüsterte Mackenzie mir zu, während wir den geschmückten Gang entlangliefen. »Sein Job ist die Braut.«
»Dann sorgen wir besser dafür, dass sie nicht lost ist«, erwiderte ich zähneknirschend.
Anstelle einer Antwort kicherte Mackenzie nur.
Wir erreichten die übrigen Brautjungfern. Als sie Mick bemerkten, richteten sie sich gleichzeitig auf und nahmen absurd gestellte Posen ein. Unterdessen wirbelte die Hochzeitsplanerin um Daya und ihren Vater herum und überschüttete sie ebenfalls mit Komplimenten.
Ich verdrehte innerlich die Augen. Was für ein Zirkus.
»Gut, gut«, sagte die Hochzeitsplanerin, als sie endlich fertig war. »Wir sind bereit.«
Sie schob die drei Brautjungfern in eine Reihe, ehe sie mich anwies, hinter die Pfirsichfrau zu treten, und drückte mir ein kleines Blumengebinde in die Hand. Es bestand aus einer weißen Lilie, umgeben von Blattgrün. Offenbar machte es Daya weit weniger aus, wenn ihre Brautjungfern mit Totenblumen in den Festsaal spazierten.
Mir entwich ein leises Schnauben, das jedoch von der schrillen Stimme der Hochzeitsplanerin übertönt wurde. »Und los!«
Wie durch Zauberhand öffneten sich die Türen, und eine Violine setzte ein. Miss Mintgrün lief los, während ich verblüfft in den Festsaal sah. Mir war schon klar gewesen, dass die Hochzeit keine kleine, intime Zeremonie beinhalten würde. Aber in diesem Saal saßen mindestens dreihundert Leute – und sie alle starrten uns an.
Mir brach der Schweiß aus, und nun war ich es, die sich haltsuchend irgendwo – in meinem Fall: die Lilie – festkrallte und gegen den Drang ankämpfte, umzudrehen und abzuhauen.
»Los!«, zischte die Hochzeitsplanerin mir zu.
Keine Ahnung, wie ich es tatsächlich schaffte, loszulaufen. Aber irgendwie setzte ich einen Fuß vor den anderen und betrat mit butterweichen Knien den Saal. Jemand hatte Tausende weiße Rosenblätter auf dem Marmorboden verstreut, die meinen Weg flankierten. Ganz am Ende des Ganges befand sich eine Bühne, hinter der durch die riesige Fensterfront ein atemberaubender Sonnenuntergang zu sehen war. Das Timing hätte wirklich nicht besser sein können.
Mein Blick zuckte in der Menge umher, und ich entdeckte meine Eltern in der dritten Reihe rechts von mir. Meine Mutter saß mit offenem Mund da, wohingegen mein Vater seine Augen zu schmalen Schlitzen verengt hatte.
O ja! Sie wussten definitiv über mein Examens-Debakel Bescheid.
Übelkeit bündelte sich in meinem Magen. Dad würde mich so was von killen, wenn er erfuhr, dass ich nicht nach Vancouver zurückkehren würde.
Weder er noch meine Mom hatten gewollt, dass ich überhaupt zu dieser Hochzeit kam.
Aber hier war ich nun.
Mit rasendem Puls wich ich den bohrenden Blicken meiner Eltern aus, reckte das Kinn vor, um nur ja keine Schwäche zu zeigen, und wandte mich wieder nach vorn.
Drei Stufen führten hinauf zur Bühne, die mit Blumensäulen geschmückt war. Im Zentrum stand ein älterer Mann in einem grauen Anzug, der vermutlich die Trauung vollziehen würde.
Links neben ihm reihten sich sechs Männer auf. Emmetts drei Brüder, Dayas Cousin, Coben, der mich erfreut anlächelte – und natürlich Emmett.
Mein Magen flatterte. Ich wollte ihn so gern ansehen. Aber ich traute meinen Gefühlen nicht. Erst recht, als ich das Stück erkannte, das die Violistin so unfassbar gefühlvoll spielte – I get to love you von Ruelle.
Ich liebte diesen Song und die absolute Hingabe, die er ausdrückte:
Whatever may come, your heart I will choose,
Forever I’m yours, forever I do.
Was für ein wundervolles Versprechen.
Aber es galt nicht mir – und das war okay. Daya und Emmett passten zueinander. Mal ganz davon abgesehen, dass sie rein optisch ein Traumpaar waren, nahmen sie beide das Leben eher locker, waren spontan und aufgeschlossen.
Ich war das komplette Gegenteil. Es war mich schon immer schwergefallen, mich anderen zu öffnen. Das unverbindliche Lächeln, hinter dem man sich wunderbar verstecken konnte, beherrschte ich dafür perfekt.
Ich erreichte die Bühne, nahm die Stufen und stellte mich neben Miss Pfirsich, die schnell noch einmal eine Strähne ihres braunen Haares zurechtstrich.
Am Rande meines Sichtfeldes bemerkte ich, wie Emmett den Kopf in meine Richtung drehte. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, doch ich erwiderte ihn nicht. Als Mackenzie neben mich trat, war ich froh, dass ich hinter ihr in Deckung gehen konnte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Daya, die an der Seite ihres Vaters strahlend schön den Gang entlangschritt. Sie badete in der Bewunderung ihrer Gäste, doch ihre Augen waren allein auf Emmett gerichtet.
Mick lief rückwärts vor ihr her, um sie auch ja gut im Bild zu haben. Dabei war das gar nicht nötig. Es waren ohnehin unzählige Handys auf die Braut gerichtet, und mehrere Kameraleute hatten sich im Saal verteilt, um das Geschehen zusätzlich aus jeder möglichen Perspektive festhalten zu können.
Vor der Bühne angekommen, küsste Nigel seine Tochter auf die Wange, nahm ihre Hand und führte sie zu Emmett, der ihr ein Stück entgegengekommen war, um ihr die Stufen hinaufzuhelfen.
Daya lächelte ihn an. Es war ihr echtes Lächeln, das aus der Tiefe ihres Herzens kam, und für den Moment wirkte es fast so, als hätte sie das ganze Spektakel vollkommen vergessen, während sie in Emmetts Blick versank.
Mackenzie bückte sich, um die Schleppe zu drapieren, ehe sie sich aufrichtete und Daya den Brautstrauß abnahm.
Die Violine verklang, und der Friedensrichter erhob seine Stimme. Er sprach von Liebe, Verantwortung und Aufopferung, erzählte davon, wie sich die beiden kennen- und lieben gelernt hatten. Es war eine schöne Rede. Doch ich hörte nur mit einem halben Ohr zu, weil ich zu sehr darauf konzentriert war, fröhlich dreinzuschauen. Ich war erleichtert, als er nach zwanzig Minuten endlich zum Punkt kam.
»Und so frage ich dich, Daya Eleonore Rachel Graham, willst du den hier anwesenden Emmett Collins zu deinem Mann nehmen? Willst du ihn lieben, ihn ehren und ihm die Treue halten – jetzt und für alle Zeit?«
Ich spähte über Mackenzies Schulter. Da Daya mit dem Rücken zu uns stand, konnte ich ihr Gesicht nicht sehen. Dafür vernahm ich ihre Worte umso deutlicher. »Ja, ich will dich, Emmett.«
Emmett grinste schief – und plötzlich erinnerte er mich so sehr an meinen Emmett, dass mir ein scharfer Stich in die Brust fuhr. Ich keuchte leise.
Sofort zuckte sein Blick zu mir, als hätte er mich gehört.
Ich presste die Lippen fest aufeinander und wollte wieder hinter Mackenzie verschwinden, konnte mich aber vor Schreck keinen Millimeter rühren.
»Und du, Emmett Collins? Willst du die hier anwesende Daya Eleonore Rachel Graham zu deiner Frau nehmen? Willst du sie lieben, sie ehren und ihr die Treue halten – jetzt und für alle Zeit?«
Emmett öffnete den Mund, schaute zu seiner Braut – zu mir – wieder zu Daya. Sein Unterkiefer bewegte sich, doch er brachte keinen Ton hervor.
Stattdessen zuckte sein Blick erneut in meine Richtung.
Sag es!, formte ich mit den Lippen, weil er schon viel zu lange schwieg.
Der Friedenrichter räusperte sich leise.
Benommen schüttelte Emmett den Kopf. Dann wandte er sich wieder an seine Braut. »Ich … ich kann nicht.«
Im ganzen Saal wurde es totenstill.
»Wa…was?«, kiekste Daya.
Vermutlich hoffte sie, sie hätte sich verhört. So wie alle hier.
Mich eingeschlossen.
Denn alles andere wäre eine absolute Katastrophe.
Emmett verzog das Gesicht. »Es tut mir so leid, Daya. Aber ich kann das einfach nicht.«
O mein Gott! Das konnte doch nicht wahr sein.
»Wi…wieso nicht?«, fragte Daya, wobei ihre Stimme mit jedem Wort schriller wurde.
Anstatt einer Antwort sah Emmett mich an.
Shit!
Daya wirbelte herum. Sie brauchte exakt eine Sekunde, um meinen Blick einzufangen. Erst zeichnete sich Verwirrung in ihrem Gesicht ab, dann wurden ihre Züge hart, und blanker Hass glühte in ihren Augen auf. »Du!«, donnerte sie.
Ich zuckte zusammen.