Tancred - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Beschreibung

"Tancrède" ist eine Tragödie in fünf Aufzügen von Voltaire. Das Stück wurde 1760 nach Umarbeitungen fertiggestellt und am 13. September desselben Jahres in Paris uraufgeführt, seine Ausarbeitung begann jedoch schon im Jahre 1759 und soll Voltaire vier Wochen in Anspruch genommen haben. Eine erste private Aufführung erfolgte im Oktober 1759 in Ferney. Das Stück von Voltaire wurde von Goethe übersetzt, überarbeitet und 1802 veröffentlicht. Die Handlung spielt im Jahr 1005 im normannisch regierten Syrakus zur Zeit der Befreiung Siziliens von den Sarazenen. Aménaïde die Tochter des Ritters Argire ist dem intriganten Ritter Orbassan versprochen. Sie liebt aber den auf Veranlassung Orbassans in Acht stehenden Ritter Tancrède, der sich heimlich in der Stadt aufhält. Ein abgefangener Brief Aménaïdes an Tancrède, der fälschlich als an den Feind Solamir gerichtet interpretiert wird, führt zu ihrer Verhaftung wegen Hochverates.

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Tancred

Tancred

Tancred

Johann Wolfgang von Goethe

Prometheus

Dramatisches Fragment

Personen

Arsir , Ältester des Ritterchors von Syrakus

Ritter von Syrakus: OrbassanLoredanRoderich

Tancred , Ritter, aus einer verbannten syrakusanischen Familie, in Byzanz erzogen

Aldamon , Soldat

Amenaide , Tochter Arsirs

Euphanie , ihre Freundin

Mehrere Ritter, als Glieder des hohen Rats Knappen, Soldaten, Volk

Der Schauplatz ist in und bei Syrakus. Die Zeit der Handlung fällt in das Jahr 1005. Die afrikanischen Sarazenen hatten, im neunten Jahrhundert, ganz Sicilien erobert. Da Syrakus ihr Joch abschüttelte, behielten sie Palermo und Girgenti. Die griechischen Kaiser besaßen Messina.

Erster Aufzug

Ratssaal im Palaste der Republik.

Erster Auftritt

Die versammelten Ritter, in einem halben Zirkel sitzend.

Arsir Erlauchte Ritter, deren Mut und Kraft  Des Vaterlands Bedrängnis rächen soll,  Mir, als dem Ältesten, erlaubet ihr  Euch zu versammeln, euren Rat zu hören.  Entschlossen seid ihr, mit gesamter Hand  Der Doppeltyrannei, die sich Siciliens  Bemächtigte, die Brust zu bieten, euch  Und Syrakus die Freiheit zu verschaffen.  Die beiden ungeheuren Mächte, die  Sich in die Welt zu teilen lange kämpfen,  Des Orients Monarchen und der Sarazenen  Verwegne Fürsten, beide machen sich  Die Ehre streitig, uns zu unterjochen.

Dem Kaiser von Byzanz gehorchen schon  Messinens Völker; Solamir, der Maure,  Beherrschet Agrigent und Ennas Flur,  Bis zu des Ätna fruchtbeglücktem Fuß,  Und beide drohten Knechtschaft unsrer Stadt;  Doch aufeinander eifersüchtig beide,  Begierig beide solchen Raub zu haschen,  Bekämpften sich und stritten so für uns.  Sie haben wechselweise sich geschwächt,  Nun öffnet sich ein Weg uns zu erretten;  Der Augenblick ist günstig; nützet ihn!  Der Muselmannen Größe neigt sich schon,  Europa lernet weniger sie fürchten.  Uns lehrt in Frankreich Karl Martell, Pelag  In Spanien, der heil'ge Vater selbst,  Leo der Große, lehrt, mit festem Mut,  Wie dieses kühne Volk zu dämpfen sei.

Auch Syrakus vereinigte sich heut  An seinem Teil zu solchem edlen Zweck.  Uneinigkeit und Ungewißheit soll  Nicht länger eure Heldenschritte lähmen.  Vergessen wir die unglücksvolle Zeit.  Da Bürger gegen Bürger aufgestanden  Und, grausam, diese Stadt die eignen Kinder  Ermordet und vertrieben und sich selbst  Entvölkert. Orbassan, an dich ergeht  Mein erster Aufruf: laß uns nun verbunden  Für Eine Sache stehn! fürs Allgemeine,  So wie fürs Beste jedes Einzelnen!  Ja, laß uns Neid und Eifersucht verbannen,  Ein fremdes Joch, das uns gewaltig droht,  Mit Heldenkraft zerbrechen, oder sterben!

Orbassan Nur allzutraurig war der Zwist, Arsir,  Der unsre beiden mächt'gen Stämme trennte  Und der geteilten Stadt die Kraft entzog.  Nun hoffet Syrakus die Orbassans  Mit deinem Blut, Arsir, vereint zu sehen.  So werden wir uns wechselweise schützen –  Und also reich' ich deiner edlen Tochter,  Ein wohlgesinnter Bürger, meine Hand;  Dem Staate will ich dienen, dir, den Deinen,  Und vom Altar, wo unser Band sich knüpft,  Stürz' ich mich rächend Solamir entgegen.  Doch sind es nicht allein die äußern Feinde,  Der Byzantiner hier, der Maure dort,  Auch selbst in dem Bezirk von Syrakus  Sehnt sich ein Teil betrognes Volkes noch  Dem längst vertriebnen Frankenstamme nach,  Man rühmet seinen Mut und wie er sich,  Freigebig, aller Bürger Herz verbunden.  Wen er beraubt daran denkt keiner mehr;  Nur was er gab verwahrt noch das Gedächtnis.

Mit welchem Recht verbreitete der Franke  Sich über alle Welt und nahm auch hier  In unsern reichen Gegenden Besitz?  Coucy! mit welchem Recht verpflanzt er sich  Vom Seine-Strom zu Arethusens Quelle?  Bescheiden erst und einfach, schien er nur  Sich unserm Dienst zu weihen; doch sein Stolz  Und seine Kühnheit machten ihn zum Herrn.  Sein Stamm, der ungeheure Güter häufte,  Erkaufte sich des Volkes Neigung bald  Und über meinen Stamm erhub er sich;  Doch nun sind sie gestraft, sie sind verbannt,  Auf ewig ihres Bürgerrechts verlustig.

Das ist beschlossen; doch das Schwerste bleibt,  Nun dem Gesetz die volle Kraft zu geben.  Ein Sprosse des gefährlichen Geschlechts,  Tancred, ist übrig, der als Knabe schon  Mit seinen Eltern die Verbannung teilte.  Den Kaisern von Byzanz hat, wie man sagt,  Mit Ehren er gedient, und trägt gewiß,  Von uns gekränkt, den tiefsten Haß im Busen.  Vielleicht erregt er gegen uns die Macht  Der Griechen, die schon in Sicilien,  Durch den Besitz Messinas, eingegriffen,  Und denkt vielleicht, durch seinen Einfluß hier,  Uns innerlich zu untergraben. Doch  Wie ihm auch sei! wir stehen einer Welt  Entgegen, die von allen Seiten her  Nach unsern fruchtbeglückten Feldern dringt,  Und uns des reinen Himmels Frohgenuß  Im schönsten Land der Erde rauben möchte,  Nicht mit Gewalt allein, mit List noch mehr.

Laßt gegen den Verrat uns, ohn' Erbarmen,  Als würd'ge Führer einer Stadt entbrennen.  Gebt den Gesetzen neue Kraft, die jeden  Der Ehre, wie des Lebens, ledig sprechen,  Der mit dem Feinde, mit dem Fremden sich  Zu heimlichen Verbindungen gesellt.  Untreue wird durch Müdigkeit erzeugt.  Kein Alter spreche künftig, kein Geschlecht,  Zur Schonung eines Schuldigen, das Wort.  So tat Venedig, wo mit großem Sinn  Mißtraun und Strenge sichre Losung war.

Loredan Welch eine Schande für die Eingebornen,  Daß sie ein Fremder, sie ein Feind so leicht  Durch irgend einen Schein verblenden kann!  Welch ein Verdruß für uns daß Solamir,  Als Muselmann, in dieser Christeninsel,  Ja selbst in dieser Stadt Verräter soldet,  Uns Friede bietet wenn er Krieg bereitet,  Um uns zu stürzen, uns zu trennen sucht.  Wie Mancher von den Unsern ließ sich nicht  Durch Wissenschaft und Kunst betören, die  Der Araber uns zu entkräften bringt.  Am meisten aber, daß ich nichts verschweige,  Neigt sich der Frauen leicht verführt Geschlecht  Den Lockungen des fremden Glanzes zu.  An Solamir und seinen Edlen schätzt  Ein weiblich Auge, lüstern, manchen Reiz,  Des Morgenlandes auserles'ne Pracht  In Kleid und Schmuck, Gewandtheit der Gestalt,  Der Neigung Feuer und der Werbung Kühnheit;  Indes wir der gerechten Sache nur,  Dem Wohl des Staates, Sinn und Arme widmen,  Und Kunstgewerbe ritterlich verschmähn.  Im Siege mag sich unsre Kunst enthüllen;  Mir trau' ich viel, euch trau' ich alles zu.  Besonders aber laßt, gerecht und streng,  Uns gegen der Verräter Tücke wachen;  Ein Einziger zerstöret, leicht und schnell,  Was viele tausend Redliche gebaut.  Und wenn ein Solcher des Gesetzes nicht  Des Unglücks, das er stiftet, nicht gedenkt;  So laßt, wenn er entdeckt ist, im Gericht,  Uns nicht an Gnade, nicht an Milde denken.  Und Syrakus liegt sicher hinter uns,  Wenn wir uns Solamir entgegen stürzen.  Auf ewig ausgeschlossen sei Tancred,  Und ihm und seinem Stamme jede Hoffnung  Der Rückkehr abzuschneiden, werde nun  Des Ritterrates letzter Schluß vollbracht.  Die Güter, das Vermögen, die der Franken  Vertriebner Stamm in Syrakus verließ,  Sei Orbassan verliehen, der für uns  So viel getan, so viel zu tun sich rüstet;  Solch eines Vorzugs ist der Bräutigam,  Arsirens Tochter solcher Mitgift wert.

Roderich So sei es! Mag Tancred doch in Byzanz  Sich jeder Gunst des Kaiserhofes freuen!  Er fordre nichts in unserm Freibezirk.  Gab er sich einen Herrn, so tat er selbst  Auf unsre heil'gen Rechte hier Verzicht.  Er sei verbannt. Der Sklave der Despoten  Kann in dem freien Kreise nichts besitzen;  Der Staat, den Orbassan bisher beschützt,  War schuldig ehrenvoll ihn zu belohnen.  So denk' ich und ein jeder so mit mir.

Arsir Er ist mein Eidam! Einer Tochter Glück  Und Wohlstand bleibt des Vaters heißer Wunsch;  Doch den Vertrieb'nen, den verwais'ten Mann,  Der, ganz allein noch übrig in der Welt  Von einem hohen Stamme, sich verliert,  Nicht gerne hab' ich, zu der Meinen Vorteil,  Der letzten Hoffnung ihn beraubt gesehn.

Loredan Du tadelst den Senat?

Arsir                                       Die Härte nur.  Doch was die Mehrheit immer ausgesprochen,  Ich ehr' es als ein göttliches Gesetz.

Orbassan Dem Staat gehören diese Güter! Mag  Er sie doch auch besitzen und verwalten.

Arsir Genug hievon! Gefährlich immer ist's  Das schon Entschiedne wieder aufzuregen.  Laß uns vielmehr des schönen Bunds gedenken,  Der unsre Häuser fest vereinen soll;  Laß uns die Feier heute noch vollbringen,  Und Morgen sei der Tag beglückter Schlacht.  Da fühle Solamir daß du mit ihm  Um Eine Braut, um Einen Kranz gerungen!  Entreiß' ihm beide, glücklich hier und dort!  Ja, der verwegne Muselmann verlangte,  Zum Friedenspfande, meiner Tochter Hand.  Durch solch ein Bündnis glaubt' er mich zu ehren.

Auf! meine Freunde! – Wenn das Alter mir  Den Ehrenplatz euch anzuführen raubt,  So ist mein Eidam dieser Stelle wert.  Nicht ferne will ich von dem Kampfe sein;  Mein Herz wird neue Regungen empfinden,  Mein Auge blickt auf eure Tapferkeit  Und sieht den schönsten Sieg eh' es sich schließt.

Loredan Du bist es der uns leitet! Hoffen wir  Daß auch das Glück den edlen Kampf begünstigt.  Wir schwören daß ein ehrenvoller Sieg,  Wo nicht, ein ehrenvoller Tod uns krönen soll.

Zweiter Auftritt

Arsir. Orbassan.

Arsir Kann ich mich endlich deinen Vater nennen?