Tarub - Bagdads berühmte Köchin - Paul Scheerbart - E-Book
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Tarub - Bagdads berühmte Köchin E-Book

Paul Scheerbart

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Beschreibung

Paul Scheerbarts Werk 'Tarub - Bagdads berühmte Köchin' entführt den Leser in die exotische Welt des Orients. Das Buch, das im frühen 20. Jahrhundert veröffentlicht wurde, zeichnet sich durch einen einzigartigen literarischen Stil aus, der eine Mischung aus Fantasie, Abenteuer und kulinarischer Kunst darstellt. Scheerbart nimmt den Leser mit auf eine faszinierende Reise durch die Straßen von Bagdad, wo die Köchin Tarub mit ihren einzigartigen Gerichten die Sinne der Bewohner verzaubert. Das Werk ist nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sondern auch eine Hommage an die Kunst des Genießens und der Gastfreundschaft im Orient. Paul Scheerbart, ein deutscher Schriftsteller und Dichter, wurde bekannt für seine avantgardistischen Werke, die die Grenzen der Fantasie und des Surrealismus erforschten. Seine Faszination für das Exotische und Unkonventionelle spiegelt sich in 'Tarub' wider, wo er mit kreativer Leidenschaft eine Welt voller Magie und kulinarischer Entdeckungen erschafft. Scheerbarts einzigartiger Schreibstil und seine künstlerische Sensibilität machen dieses Werk zu einem unvergesslichen Leseerlebnis für alle, die sich für Literatur jenseits der traditionellen Grenzen interessieren. 'Tarub - Bagdads berühmte Köchin' ist ein Buch, das Leser jeden Alters begeistern wird. Mit seiner fesselnden Handlung, den lebendigen Charakteren und den sinnlichen Beschreibungen von exotischen Speisen ist dieses Werk ein wahrer Genuss für die Sinne. Scheerbarts meisterhafte Erzählung entführt den Leser in eine Welt voller Geheimnisse und Abenteuer, die lange nach der Lektüre in Erinnerung bleibt.

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Paul Scheerbart

Tarub - Bagdads berühmte Köchin

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Inhaltsverzeichnis

Das erste Kapitel.
Das zweite Kapitel.
Das dritte Kapitel.
Das vierte Kapitel.
Das fünfte Kapitel.
Das sechste Kapitel.
Das siebente Kapitel.
Das achte Kapitel.
Das neunte Kapitel.
Das zehnte Kapitel.
Das elfte Kapitel.
Das zwölfte Kapitel.
Das dreizehnte Kapitel.
Das vierzehnte Kapitel.
Das fünfzehnte Kapitel.
Das sechzehnte Kapitel.
Das siebzehnte Kapitel.
Das achtzehnte Kapitel.
Das neunzehnte Kapitel.
Das zwanzigste Kapitel.
Das einundzwanzigste Kapitel.
Das zweiundzwanzigste Kapitel.
Das dreiundzwanzigste Kapitel.
Das vierundzwanzigste Kapitel.

Das erste Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Helles Gelächter scholl durch ganz Bagdad. Der Prinz Ali war aus Ägypten zurückgekehrt. Und er war gekommen hoch zu Roß mit stolzem Gefolge. Doch das Roß, auf dem der Prinz saß, war ein Schimmel gewesen. Und diesen Schimmel hatte der Prinz grün färben lassen. Da mußte natürlich ganz Bagdad hell auflachen. Alis grüner Schimmel war ein Ereignis.

Es hatte sich wieder einmal gezeigt, wie gut es der Prinz verstand, von sich reden zu machen. Kein Mensch wurde klug aus diesem Ali. War er durch sein Selbstbewußtsein wirklich geschmacklos geworden? Oder gab er sich nur so geschmacklos aus Berechnung? Wäre der Schimmel nach alter Sitte mit Henna rot gefärbt gewesen, dann würde Niemand gelacht haben – doch grün? Nein, das ging übern Spaß.

Man konnte sich ja erklären, was sich der Prinz gedacht hatte – er wollte die neue Farbe der Abbassiden zu höheren Ehren bringen. Einst glänzte das Haus Abbas unter der schwarzen Flagge. Diese schwarze Flagge vertauschte man später mit der grünen. Das gefiel nun dem jungen Ali so gut, daß er die neue Farbe seines Hauses überall sehen wollte. Und so mußte denn schließlich auch der Schimmel – grün werden.

Unglaublich!

Unzählige Sterne glänzen aus dem tiefblauen Himmel auf Bagdad hinab; sie spiegeln sich in den lauen Fluten des Tigris, und an den bunten Kacheln der Minaretts, der Palast- und Moscheekuppeln werden auch die Glanzlichter der Sternenwelt glitzernd umhergestrahlt. Die Kalifenburg mit ihren prächtigen Türmen, Kiosken und Galerien hebt sich hoch heraus aus dem Häusergewirr der großen Stadt, aus der ein Nebeldunst – magisch leuchtend – aufsteigt. Und am Tigris entlang leuchten die weißen Mauern der Landhäuser; in deren Gärten schwanken die ruhigen Palmen im Abendwinde...

Aber aus den Straßen und Gassen der herrlichen Stadt schallt helles Gelächter zu den ewigen Sternen empor. Jetzt endlich in der stillen Nacht kann ganz Bagdad lachen nach Herzenslust, denn der Prinz Ali hört das Lachen nicht; der ruht schon wieder in den weiten kühlen Prunkgemächern der Kalifenburg von seinen vielen Reisen aus. Der Kalif Mutadid hat seinen Sohn wohlwollend empfangen, und die Sklaven eilen in den Palästen auf den Zehen umher, um die Ruhe des gefeierten Prinzen nicht zu stören.

Wie Ali am frühen Morgen auf seinem grünen Schimmel durch das große Tor im Westen stolz hineinritt in die festlich geschmückte Stadt, da mußten seine Kammerdiener Goldmünzen unter die Menge streuen. Dadurch entstand ein wüstes Geschrei. Kein Araber war zu stolz. Alle balgten sich um die Goldstücke, sodaß es viele blutige Köpfe gab.

Durch die langen breiten Straßen, die zur Kalifenburg führen, zog der lange Zug des stattlichen Gefolges auf Pferden und Kamelen unter betäubendem Lärm dahin. Das Volk jubelte wie rasend dem freigebigen Prinzen zu. Es wurde beim Herumschwirren der Goldstücke gejohlt und gelacht – als hätte sich der blaue Himmel aufgetan, wie wenn sich die Huris aus dem Paradiese zur Erde niederbeugten.

Jetzt ist es Nacht, und die Araber freuen sich über das blanke Gold. Sie werfen jetzt die Münzen ebenso verschwenderisch wie die Prinzen auf die Straße. Die guten Araber geben das gute Gold den dicken Weinhändlern, guten Freunden und lustig lachenden Mädchen. Dabei fällt ihnen aber der grüne Schimmel öfters wieder ein – und über den freuen sich Alle schließlich noch viel mehr als über das Gold.

Der Prinz Ali ist ein guter Mensch, aber die Bürger Bagdads lachen ihn doch von ganzem Herzen aus. Und wenn er noch viel viel besser wäre, sie würden ihn trotzdem auslachen. In dieser Nacht tragen die reichen Jünglinge Bagdads ihre Säbel an grünen Schärpen, um das Volk an Ali zu erinnern. Das Volk versteht den Scherz und lacht darüber immer wieder von Neuem – immer wieder von Neuem.

Ausgelassene Spottlieder, wüste Zechgesänge, mekkanische und persische Liebesweisen – tolle wilde Jubelstürme brausen und wogen durch die Straßen und Gassen der herrlichen Kalifenstadt. In allen Weinkneipen, in den Buden, in denen getanzt wird, in den Häusern, in denen reizende Sängerinnen mit feiner Kunst zu singen verstehen – überall wird gepraßt und gezecht.

Eine sehr lustige Nacht!

Abseits in einem kleinen Gäßchen steht vor seiner Haustür ein christlicher Weinhändler mit einem alten Parsenpriester im Gespräch. Sie schütteln sich beide Hände zum Abschied. Doch der Wirt redet noch immer, obgleich der Priester Eile zu haben scheint. Der christliche Wirt sagt:

»Bedenkt nur das Eine! 892 Jahre, man schreibe und sage: achthundertundzweiundneunzig Jahre – die sind nun schon vergangen, seit Christus geboren ward, und seine Lehren sind hier noch immer verachtet. Man läßt wohl uns Christen in Ruh, läßt uns auch unsern Glauben – aber das beweist doch nur, daß sich diese Araber garnicht um religiöse Dinge kümmern, ihnen ist die Religion überhaupt ganz gleichgültig – selbst ihre eigene. In Bagdad gibt es gar keine Religion mehr.«

Der Christ schüttelt traurig den Kopf.

Der Parse versetzt aber hastig:

»Verzeiht! Ihr übertreibt! In nächster Woche hol' ich Euch ab. Die Parsen – die sollt Ihr kennen lernen – die haben noch Religion.«

Der Parse entfernt sich schnell, als wenn er wirklich Eile hat.

Währenddem hört man auch hier wieder heisre Zecherstimmen erschallen. Im Keller des Weinhändlers ruft man laut und herrisch nach dem christlichen Wein. Indes – der Wirt zögert noch; auf der andren Seite der Gasse sieht er zwei bekannte Dichter vorüberwandeln, die grüßt er erst noch – recht freundlich. Dann jedoch verschwindet der Christ; er darf seine Gäste nicht warten lassen.

Die beiden arabischen Dichter haben den Gruß des Christen garnicht erwidert. Sie sind mit ihren eigenen Gedanken so sehr beschäftigt, daß sie den allgemeinen Jubel nicht mehr mitempfinden.

Suleiman, der ältere Dichter, träumte so im Gehen, er wäre der Kalif Harun und neben ihm plauderten indische Märchenerzählerinnen von den Tempeln ihrer Götter am fernen Ganges. Der alte Dichter glaubte zu hören, wie neben ihm die nackten Füße der Mädchen sich weich und gelenkig in den feuchten Sand schmiegten und wie unter den gekrallten kleinen Zehen die Steinchen knirschten. Dann dachte der Alte an die schlanken Tänzerinnen, die er gestern Abend unter einem jener rotseidenen Zelte auf dem Karawanenplatze bewundert hatte. Die Tänzerinnen sahen sehr schön und prächtig aus. Er aber – ach! – er hatte sich unter jenem rotseidenen Zelte seines alten geflickten Ehrenkleides geschämt – eine sehr peinliche Erinnerung! Dieses Ehrenkleid war ein Geschenk des Kalifen Motawakkil. Doch der lag längst im Grabe. Suleiman seufzte, nickte mit dem Kopfe so vor sich hin und murmelte was.

Safur, der den Suleiman begleitete, hörte das Murmeln und erriet gleich den Gedankengang des alten Freundes, denn sie gingen an einem seltsamen Hause vorüber. Über dessen Eingangspforte befanden sich kleine Fenster mit eisernen Stäben. Hinter den Stäben saßen Schneider bei hellem Lampenlicht und nähten fleißig. Sie nähten unzählige kostbare Gewänder für die Kalifenburg. Und diese kostbaren Gewänder blieben nicht in der Burg; sie wanderten als Geschenke, als »Ehrenkleider« aus den großen Palästen hinaus in die weite Welt nach allen Himmelsrichtungen bis nach Ägypten und Persien, bis nach Indien und Afrika, ja – bis nach China und Spanien. Der Kalif hatte sehr sehr viel – zu verschenken.

Safur, der jüngere Dichter, wußte das Alles, lächelte und fragte den älteren Dichter listig:

»Nun? Denkst Du an Dein Ehrenkleid?«

Suleiman, unter dessen braunem Gesicht ein gut gepflegter weißer Spitzbart glänzte, blickte traurig auf sein Gewand. Das war einst gute Seide gewesen – ledergelb mit großen lilafarbigen persischen Blumen. Auf dem Rücken des Ehrenkleides sah man noch das große Wappen des Kalifen – schwarze schwungvolle Schriftzüge. Die helleren Farben des Kaftans waren nicht mehr ganz reinlich, an vielen Stellen etwas blank und fettig, und an den Ärmeln und unter den Knien zeigten sich kleine Löcher und große Flicken.

Suleiman gürtete seinen alten lilafarbigen Seidengurt fester um die Lenden und schaute unter seinem nicht sehr reinen weißen Leinenturban dem jungen Safur lange nachdenklich ins Gesicht.

Safur ging in Beduinentracht. Sein langes, hellblau und braun gestreiftes Gewand, das aus dünner Baumwolle bestand, es hing ihm faltig ins Gesicht. Ein alter Lederriemen schnallte das Tuch um Stirn und Hinterkopf zusammen. Die hellblauen und braunen Streifen des feinen Kleides schlotterten lässig mitgezogen in unregelmäßigen Falten um Körper und Beine herum – was sehr reizvoll aussah – was Safur wußte.

Die nächste Gasse ist leider sehr schmutzig, und die Sandalen der Dichter werden naß, ihre braunen Füße desgleichen. Safur flucht, hebt sein Kleid vorsichtig mit den braunen hagren Fingern höher und ärgert sich – über die Pfützen und über manches Andre.

»Jetzt«, ruft er wütend, »macht ein grüner Schimmel ein größeres Aufsehen als die beste Kasside. Gute Verse werden heute schon schlechter bezahlt als rote Pantoffeln, die allerdings in den Pfützen Bagdads sehr wertvoll sind...«

Der gutmütige Suleiman hat seine Not mit dem Ärgerlichen, versteht es aber – zu trösten, sagt so ganz ruhig: »Sieh, Safur! Der Schmutz der Gasse ist noch nicht das Schlimmste auf dieser schlimmen Welt. Was Besondres haben wir ja nicht vor. Unsre Sandalen werden schon wieder trocken werden. Nebenbei – wundern muß ich mich denn doch, daß Du Dich gleichzeitig über den geringen Preis ärgerst, den man heute für gute Verse zu erhalten pflegt. Warum machst Du nicht ein Lobgedicht auf unsern alten Geizhals Said ibn Selm? Der ist doch für Lobgedichte immer zu haben, würde sich über Safurs Verse sehr freuen und sie sehr gut bezahlen.«

»Das Lobgedicht kannst Du machen«, versetzt ingrimmig der jüngere Dichter.

Und Suleiman meint darauf lächelnd: »Oh! Oh! Das will ich mir gesagt sein lassen. Hast Recht! Ein alter Dichter braucht auch viel eher einen reichen Freund als ein junger Mensch, wie Du einer bist.«

Die nächste Gasse ist wieder trockner, und Safur wird wieder freundlich. Er legt seinen rechten Unterarm auf den linken des alten Suleiman und plaudert – von Tarub.

Dem Alten wird ein bißchen neidisch zu Mute, er spricht bitter: »Ja! Wer eine Tarub hat, der kann stolz sein! Der hat's nicht nötig, einen Said ibn Selm zu loben! Aber erzähl' mir nicht mehr von ihr! Erzähl' mir lieber, was Du jetzt als Dichter vorhast!«

Der zart empfindende Safur hört auch gleich von der Tarub auf und teilt seinem alten Freunde – fast zitternd vor Erregung – mit, daß er unter die Beduinen gehen möchte. Er habe kürzlich wieder die Antarsage gelesen und sei ganz toll geworden, schwärme nur noch für die blauäugigen Dschinnen, jene wilden schwarzen Wüstengeister, die auf feurigen Hengsten nachts durch die Wüste jagen, um die Karawanen zu verfolgen. An die Tarub dachte plötzlich der leicht erregbare Dichter ganz und gar nicht mehr; aber vom König Saiduk, jenem Geisterkönig, der nur die Dschinnen – niemals einen Menschen sehen durfte, konnte Safur nicht genug erzählen. »Mir geht es«, fuhr er mit brennenden Augen fort, »fast genau so wie dem König Saiduk. Mir ist immer so, als müßt ich wie Saiduk beim Anblick eines Menschen sterben. Nur die Dschinnen kann ich ohne Furcht sehen. Die Gespenster sind meine Freunde; die erregen mein Blut. Oh, ich liebe die Dschinnen und möchte nur Verse machen, in denen heiß und toll die rasenden Wüstengeister herumsprengen auf ihren feurigen Hengsten. Meine Verse müssen so heftig werden, daß Jeder, der sie hört, zittern soll vor Erregung. Das ganze Gespensterreich der Wüste möcht' ich nach Bagdad bringen, damit Bagdads faule Dickbäuche mal aufgerüttelt werden. Aber wie die Geschichten anfangen und enden sollen, das ist mir leider noch ganz unklar. Das ist häßlich! Das macht mich recht besorgt. Wer weiß, ob ich was fertig bringe! Eigentlich bin ich ja noch niemals zu was gekommen. Jeden Tag will ich was Andres, denn jeden Tag soll und muß ich auch was Andres. Ich hör' jetzt allerdings jeden Abend ein so seltsames Gesumm, als wenn die Dschinnen in der Nähe sind.«

Und er horcht aufmerksam in die Nachtluft hinein, in der Käfer zirpen und Nachtfalter herumflattern. Der alte Suleiman wird ganz still; er fühlt, daß er dem jüngeren Freunde nicht zu folgen vermag. Er lebte zu allen Zeiten in der Märchenwelt, die vor achtzig Jahren unter Haruns Regierung die Dichter beschäftigte. Suleiman liebt das Liebliche; er träumt nicht gern von Gespenstern; Märchenprinzen und lustige Zaubrer sind ihm viel angenehmer. Die Wüstengeister sind dem alten Dichter ganz fremde Wesen, die er nicht leiden kann, da sie ihn erschrecken. Das Jähe, Stürmische, Gespensterhafte ist Nichts für Suleiman; dessen Träume sind still und sanft.

Doch jetzt kommen die Beiden in die breiteren Straßen; da ist es lauter. Man hört überall Singen, Lachen und Lärmen. Lustige Zecher schwanken Arm in Arm wie vom Winde verwehte Papyrusrollen in Zickzacklinien vorüber.

Vor der großen Moschee prügeln sich ein paar betrunkne Kameltreiber – ihre Kamele sehen verwundert zu, alte Frauen schreien, und das Volk, das gemächlich daneben steht, lacht.

Safur und Suleiman biegen rechts ab in einen schmalen Gang, der Erstere voran. Sie gehn hinter einander schweigend einher an einem niedrigen Bretterzaun entlang, über den sie hinüberblicken können. Es liegt ein großer Garten hinter dem Bretterzaun. Neben den mit bunten spiegelglatten Fliesen gepflasterten Fußwegen des Gartens sind über den Erdboden kurz geschorene Rasen gebettet, auf denen einzeln große rote Tulpen blühen. Weiterhin plätschern kleine Springbrunnen in großen Teichen, die vom Sternenlicht durchstrahlt mit ihren kleinen Wellen glitzern und funkeln wie ein Heer arabischer Krieger mit blanken Helmen und blitzenden Damaszenerklingen.

Lorbeeralleen verdunkeln die weiter hinten gelegenen Parkanlagen. Neben den Teichen ragen hohe Palmen in den Sternenhimmel hinauf. Die Dichter gehen noch an Myrtengebüschen vorbei und gelangen dann durch eine offne Tür in den großen Park. Still wandeln sie hier auf den bunten Fliesen der Fußpfade weiter. Safur denkt an seine Wüstengeister, und Suleiman sucht nach einem feinen Ausdruck für tiefe Gartenstille, in den Vers soll sich gleich Erwartungsstimmung mit hineinweben.

In der Mitte des Parks steht ein leicht gebautes Sommerhaus mit weiten indischen Galerien; in deren zierlichen Spitzbögen schaukeln sich Papier-Ampeln, die ganz mit grellbunten Vögeln bemalt sind. Vor der großen Hallenpforte kauern verdrossen ein paar nubische Sklaven mit krausem Wollhaar.

Der alte Suleiman sagt zu einem der jüngeren Nubier: »Geh hinein und sage dem dicken Kodama, er möchte hinauskommen, wir müßten zur Sternwarte, der Mond wär schon aufgegangen, und die Mondfinsternis wär auch bald da. Geh schnell!« Und der Dichter zeigt dem Nubier den Halbmond, der jetzt über die dunklen Lorbeeralleen im Osten in den Garten schaut. Der Sklave rennt eilig von dannen.

Aus den inneren Gemächern des leicht gebauten Sommerhauses dringen jetzt reine volle Saitentöne heraus. Weiche Frauenstimmen schallen hell und wonnig dazwischen. Die Töne schwellen an und säuseln dann wieder, dann hüpfen sie, trällern, locken und girren wie Tauben, klagen auch sehnenvoll wie verlassene Geliebte, murren und necken, reizen und beruhigen...

Es sind die Sängerinnen der alten Dschellabany. Die singen vor den reichen Jünglingen Bagdads und trinken mit ihnen feurigen Wein. Ein wildes indisches Freudenlied jubelt durch die üppigen Säle.

Die Dichter warten draußen.

Plötzlich wird's still.

Und von zwei Fackelträgern grell beleuchtet schreitet eilig eine stattliche schöne Negerin durch die mit herrlich durchbrochenen Zierleisten umrahmte Hallenpforte hindurch. Die schwarze Schöne streckt den beiden Dichtern die vollen schwarzen Arme entgegen. Ihre goldenen Armspangen glühen im grellen Fackelschein. Ein Perlendiadem schmückt ihr schwarzes Haar. Ihre Brust hebt sich in raschen Atemzügen unter schneeweißem Linnenzeug.

Die Schwarze bittet die Dichter sehr erregt mit den Armen herumfuchtelnd, ihr zu folgen; sie meint, Kodama komme ja sofort mit und bis zur Sternwarte sei's doch nicht so weit. Sie deutet dabei auf ihren breiten grünen Lendengurt, der an Alis grünen Schimmel gemahnen soll.

Das Grün des seidenen faltigen Gürtels unter dem weißen lockeren Busentuche hebt sich prächtig von den weiten rotseidenen Beinkleidern ab, die unten am schwarzen Fußknöchel zusammengeschnürt sind, sodaß die rote Seide in bauschigen Falten überhängt und fast die Steinfliesen streift.

Jedoch die Dichter wollen nicht mitkommen. – Safur sagt: »Das kennen wir schon! Wenn wir zu Euch hineingehen, so gehen wir nicht sobald wieder hinaus!«

Die stattliche Negerin nestelt verlegen an ihrer dicken Perlenschnur, die ihren starken Nacken umkränzt – muß dann aber mit ihren Fackelträgern ohne die beiden Dichter – abgehen.

Wieder klingen die Saitentöne und die hellen hallenden Frauenstimmen durch das Sommerhaus der alten Dschellabany, vor deren gastlicher Tür Safur und Suleiman geduldig warten und den Halbmond betrachten.

Und nach einer guten Weile kommt dann der Kodama, Bagdads dickster Gelehrter, auch endlich zum Vorschein. Er ruft ärgerlich: »Na, ein Glas Wein hättet Ihr doch noch trinken können!« Indes die Dichter zeigen lächelnd auf den Halbmond und erklären dem Kodama, daß die Mondfinsternis sehr bald eintreten müsse.

Die Drei begeben sich daher ohne weiteren Verzug zusammen zur Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für die Astronomen mit großen Kosten erbauen ließ.

Das weite Himmelszelt mit seinen Sternen funkelt.

Der Halbmond steht drüben im Osten über den Lorbeeralleen.

Der Garten ist still, nur die Springbrunnen plätschern.

Die roten Tulpen auf den geschorenen Rasen leuchten wie kleine rote Flammen.

Im lauen Nachtwind schaukeln langsam die ruhigen Palmen.

Aus der Ferne ganz leise dringt von den Gartenmauern hernieder der Lärm der großen Stadt.

Die Drei wandeln schweigend zur Sternwarte.

Bagdads Lachen verhallt.

Das zweite Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Hoch oben auf dem Mittelturm der Sternwarte schaut der Sterndeuter Abu Maschar durch ein dreieckiges Blechrohr zum schwarzen Saturn.

In seinem weißen Beduinengewande steht Abu Maschar da oben unter den Sternen wie ein Gespenst. Ein pechschwarzer Vollbart wallt ihm bis auf den ledernen Leibgurt hinab. Zur Rechten und zur Linken des Sterndeuters stehen hohe wunderliche Meßgeräte. Auf dem alten sehr breiten Holzgeländer sind lange Papierstreifen – mit Bleistücken beschwert – ausgebreitet. Und uralte vergilbte Bücherrollen liegen am Boden.

Abu Maschar murmelt was in seinen schwarzen Bart, er murmelt in einer unverständlichen Sprache, die wohl nur die Bürger Alt-Babylons verstanden hätten. Er schreibt dabei Zahlen auf einen der langen Papierstreifen und blickt dann stolz nach allen Seiten umher – in die große funkelnde Sternenwelt. In seinem braunen Antlitz leuchten die großen schwarzen Augen unheimlich auf, sie starren in das tiefe Himmelsblau, als wenn sie Geister sähen... Abu Maschar steht still – gebannt – wie eine Bildsäule.

Die Sternwarte war eigentlich eine Ruine.

Bald nach Mamuns Tode hatten sich Räuber der Sternwarte bemächtigt, da nach Mamuns Tode fast Niemand mehr Geld für die Himmelskunde erübrigen wollte.

Als man nun später dahinterkam, daß sich in den fünf Türmen, auf denen sonst nur gelehrte Männer emsig arbeiteten, Räuber verborgen hielten, ward das prächtige Bauwerk von den Soldaten eines arabischen Hauptmanns gestürmt. Und bei diesem Sturm stürzten zwei Türme um und begruben viele Räuber und Soldaten unter ihren Trümmern. Auf dem Schutt wächst jetzt Gras mit wilden Blumen.

Die Türme hatten einen Halbkreis gebildet und waren durch vier schwere Holzbrücken miteinander verbunden; von diesen überlebten nur zwei den Sturm des Hauptmanns.

Vom Mittelpunkte der durch die fünf Türme gegebenen Kreislinie aus hatte eine mit Backsteinen erbaute feste Treppe fast bis zur Spitze des Mittelturmes geführt. Diese Treppe war bei dem Kampf mit den Räubern auch über den Haufen geworfen worden.

Über den Trümmern der Treppe wächst nun gleichfalls Gras.

Nur das oberste Stück der Treppe hängt noch wie ein Widerhaken oben am Mittelturm, auf dem Abu Maschar wie eine Bildsäule dasteht.

Die beiden andern Türme erreichen nicht dieselbe Höhe wie der, welcher einst der mittlere gewesen; der diesem zunächst gelegene sieht sogar recht niedrig aus – dafür geht er allerdings mehr in die Breite, befindet sich doch in seiner Spitze der große Empfangssaal, in dem die Astronomen einst von Mamun die fürstlichen Geschenke empfingen.

Auf dem großen fünfeckigen Altan, der vor dem Empfangssaal hoch über den Palmen in den Garten hinausragt, spricht der berühmte Astronom Al Battany mit Jakuby, dem großen Weltreisenden, über die Wissenschaft...

Al Battany hat die Sternwarte wieder bewohnbar gemacht. Mit seinen wissenschaftlichen Instrumenten sitzt er oft im dritten der drei noch übrig gebliebenen Türme. Im Empfangssaal pflegt er seine Freunde zu empfangen, die dort gern aus- und eingehen und besonders gern auf dem fünfeckigen Altane weilen, der sich auf der Außenseite des durch die drei Türme beschriebenen Kreisabschnittes befindet.

Der Empfangssaal mit dem Altan wird von den bedeutendsten Männern Bagdads besucht. Die Freunde des reichen Battany, der sich, wenn er allein sein will, in sein nicht weitab am Tigris gelegenes Landhaus begibt, sind zum größten Teil nicht sehr wohlhabend – das aber beeinträchtigt ihre Bedeutung nicht im Geringsten. ...

In der Tiefe des Gartens unterm Altan und zwischen den Trümmern reiten zwei Mongolen mit langen Lanzen auf schäumenden Rossen langsam fast schleichend auf und ab. Die gelben Mongolen mit ihren blanken Helmen wachen in jeder Nacht, aufdaß kein Unberufener feindselig nahe. Die Mongolen stehen im Solde des reichen Al Battany, der auch ein Dutzend schwarzer Sklaven in den unteren Gelassen der Türme verteilte. Hunde sind aber nicht da.

Tiefernst ist das Gespräch zwischen dem großen Astronomen und dem großen Weltreisenden, der Jakuby heißt. Die Beiden ergründen oben auf dem fünfeckigen Altan die Bedeutung der arabischen Literatur.

Der Battany schließt eine längere Auseinandersetzung über Bagdads Gelehrtenwelt mit den folgenden heftigen Worten:

»Überhaupt – was weißt Du von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen? Du pilgerst durch alle Länder und schreibst Dir Alles auf, was Du hörst und was Dir grade zufällig dicht vor die Nase geführt wird. Was verstehst Du von Bagdader Zuständen und Verhältnissen? Garnichts – mehr als Garnichts, denn Du pflegst Alles falsch aufzufassen. Der berühmte Geograph Jakuby denkt natürlich garnicht daran, daß er sich jemals irren könnte – ih, wo wird er denn! Du bist beneidenswert!«

Und bei diesen Worten hob der Astronom bald den rechten bald den linken Arm bald beide Arme zugleich höchst malerisch – wenn auch etwas zu schnell – in die Höhe. Malerisch sah das aus, weil bei dieser Armbewegung eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei prächtige weit aufschweifende Falten warf. Der Astronom verehrte sehr die alten Griechen; er hatte sich ganz abenteuerliche Vorstellungen von dem wissenschaftlichen Geist des Aristoteles gebildet, sodaß er schließlich nicht umhin konnte, eine dunkelblaue Sammettoga mit dicker Goldstickerei zu tragen. Den Aristoteles kannte der Gelehrte natürlich nur vom Hörensagen – er verstand nicht einmal so viel syrisch, um den alten Griechen in syrischen Übersetzungen zu lesen – geschweige denn im Urtext...

Daher durfte man sich auch nicht wundern, daß der berühmteste Astronom Bagdads gleichzeitig eine indische ganz mit Gold überstickte Kappe, die so rund und klein wie ein flacher Suppentopf war, auf dem Kopfe trug.

Battanys Kopf – ja – der hatte so was vom Neger und was vom Inder; sehr fein sah er nicht aus, aber trotzig straff – die Nase dick und klein, die Augen heftig und nicht groß, der Mund voll und die Ohren abstehend... neben der dicken braunen Nase gingen tiefe Falten zu den Backenknochen hinunter, die dunkelbraune Stirn schien sehr hoch, da die indische Kappe fast im Nacken saß.

Viel freundlicher schaute dagegen der Jakuby in die Welt. Dessen Gesicht lächelte unter einem hellila Seidenturban. Spitz ragte die braune Nase unter diesem Turban hervor. Ein kleines graues Spitzbärtchen zierte das Kinn. Der Bart auf der Oberlippe und auf den Backen war sorgfältig abrasiert, sodaß die braune schon vielfaltige Gesichtshaut eigentümlich zur Geltung gelangte.

Jakuby hatte was Eigenes, das durch seinen sauberen schwarzen Seidenkaftan noch erhöht wurde.

Der kleine zierlich gebaute Gelehrte erwiderte nach sehr langer Pause mit feiner heller Stimme in jener überlegenen Art, die in den Moscheen beim gelehrten Gespräch üblich zu sein pflegte:

»Oh mein lieber Freund! Deinem heftigen persönlichen Angriffe will ich aus dem Wege gehen. Doch hör nur dieses: Wir Araber haben nun bald die ganze Welt erobert, erobert mit der scharfen Damaszenerklinge. Jetzt, dünkt mich, ist es an der Zeit, die Welt auch in andrer Weise zu erobern. Nicht dürfen wir mehr mit den Augen des Kriegers, die Alles nur besitzen wollen, die Welt durchstreifen. Wir müssen mit wissensdurstigen Augen durch die Länder wandeln und Alles kennen lernen – Alles, was da kreucht und fleucht. Auch der gelehrte Mann kann erobern – erobern, indem er sein Wissen bereichert. Deshalb habe ich mit meinen schwächlichen Gliedern meine großen Reisen unternommen – einerseits durch Ägypten und Afrika bis nach Spanien, andererseits durch Persien und Indien bis nach China. Und Jedermann weiß, daß mein Buch der Länder, das ich im vorigen Jahre herausgab, wirklich ein Werk wurde, das auch den, der niemals über die Mauern Bagdads hinauskam, mit allen Ländern der Erde bekannt machen muß. Das »Buch der Länder« weist ja noch viele Lücken auf, aber es ist doch in diesem Werke eine unvergleichliche Sammlung von Wissensschätzen angehäuft...«

Nun aber kann sich der heftige Astronom nicht mehr halten, er unterbricht den redseligen Freund mit hocherhobenen Armen: »Sammlung?« schreit er, »hab ich's nicht gleich gesagt, daß Du keine Ahnung von unsren wissenschaftlichen Bestrebungen hast? Ja wohl – sehr richtig! Unsre Zeit leistet was in Sammelwerken. Wir sammeln alle unsre Kenntnisse, als hätten wir nichts Andres zu tun. Und ein einziges Buch soll immer Alles umfassen – natürlich! An Selbstbewußtsein fehlt es unsern gelehrten Sammlern nicht. Wir tun so, als hätten wir garnicht mehr nötig – noch fürderhin zu forschen, zu ergründen oder klarzustellen – ih wo! Jeder Gelehrte glaubt, wir hätten bereits Alles begriffen und vollkommen erklärt – – – und es wäre heute nichts Anderes nötig als Sammeln – Sammeln – Sammeln!«

»Laß nur den Spott!« gibt da Jakuby lächelnd zurück, »hör nur dieses: Sind nicht die Geographen und Astronomen die Hauptgelehrten unsrer Zeit? Die Einen erforschen die Erde, die Andern den Himmel. Ist es nicht so?«

Battany nickt und wird milder.

Jakuby aber fährt jetzt mit stolz erhobener Nase fort: »So, mein Freund! Wer hat nun Recht? Wenn somit die Geographen und Astronomen die ganze Welt kennen lernen wollen – müssen sie da nicht sammeln? Müssen sie nicht? Müssen wir nicht Sammelwerke schreiben? Mein ›Buch der Länder‹ nenne ich mit Stolz ein Buch, das alles Wissenswerte der Erde zusammenfaßt.«

Battany wird unwillig; es kommt ihm so vor, als sei er plötzlich in die Enge getrieben. Er hustet verlegen, stützt sich mit dem rechten Unterarm auf das Geländer des Altans, blickt in den Garten hinunter, in dem die Mongolen langsam herumreiten, hustet wieder, um den Jakuby am Weitersprechen zu hindern, sammelt sich und sagt dann hastig:

»Nein – so ist es nicht. Umgekehrt ist es. Weil die Araber eigentlich überhaupt nur Sammelwerke schreiben, deswegen spielen die Geographen und Astronomen, deren Tätigkeit am meisten zum Sammeln verleitet, eine so große Rolle unter uns. Aber wir haben noch gar kein Recht zum Sammeln. Ans Sammeln darf man erst denken, wenn man eine Unmenge erforscht, entdeckt und begriffen hat. Wir haben aber noch lange nicht so viel wissenschaftlich feststehende Tatsachen erkannt, um die jetzt schon sammeln zu können. Du fragtest mich vorhin nach der Mondfinsternis. Siehst Du sie schon? Sie müßte nach meinen Berechnungen da sein – und sie ist noch nicht da. Ich habe genau gerechnet – und die Mondfinsternis ist doch nicht da. Ich stehe als Astronom immer vor unzähligen Fragen, die ich nicht beantworten kann – und trotzdem soll ich sammeln? Was denn? Etwa meine Fragen?«

Und unter den kräftigen Armbewegungen zitterte der ganze Leib des Astronomen.

Der Halbmond stand unglaublich ruhig da, ohne sich zu verfinstern. Nur der große Al Battany verfinsterte sich.

Jakuby allerdings glich eher in seiner Ruhe dem Halbmonde, wenn auch sein spitzes Gesicht durchaus nichts Mondartiges an sich hatte. Mit dem Gleichmut eines unüberwindlichen Siegers bemerkte er mit seiner hellen Fistelstimme so von oben herab:

»Du magst sagen, was Du willst! Die Geographen und Astronomen sind dennoch die größten Gelehrten, die man sich denken kann. Wir wollen eine ganze Welt kennen lernen, eine ganze Welt wissenschaftlich in uns aufnehmen. Wir stehen vor der größten Aufgabe, die man sich denken kann. Und wir werden diese Aufgabe überwältigen – wir haben sie bereits zum größten Teil überwältigt. Ich erinnere Dich nur an mein Buch der Länder...«

»Hör auf!« schreit Battany dazwischen, »Du bist und bleibst beneidenswert. Aber Du bist auch ein Kind. Du weißt garnicht, was in der Welt vorgeht. Du hast von der Welt keine Ahnung. Du willst eine Welt begreifen? Lächerlich! Albern! Was man nicht Alles wollen kann! Ein Prahlhans bist Du mit Deinem Wollen. Du erinnerst mich an einen Vielfraß, den unser Dichter Safur sehr schöne Verse sprechen ließ. Paß mal auf! Der Vielfraß sagt, als er hungrig zwar doch so prahlerisch wie ein echter arabischer Gelehrter in eine große Gesellschaft kommt, die mit der Mahlzeit beinahe fertig ist, also:

Weiß Allah, wann Ich mich mal verschnauf!Ich aß heut schon hundert Hammel auf,Verdaute sie gleich im DauerlaufUnd löschte den Durst mit dem ganzen Nil;Mir stak mang den Zähnen manch Krokodil;Ihr nennt das doch hoffentlich nicht zu viel –Mehr kann ich trotzdem noch essen.«

Und der Astronom steht breitbeinig da und brummt.

Jakuby macht ein verblüfftes Gesicht und versteht nicht, was Battany sagen will. Der indessen erklärt gleich, indem er fortfährt: »Du mußt eben nicht vergessen, daß unserm Können denn doch so manche Grenzen gezogen sind. Daß wir uns oft verrechnen – das ist noch nicht das Schlimmste. Du willst die ganze Welt kennen lernen. Nun sag' aber mal – ganz leise – unter uns! Ist Dir das auch von unserm Kalifen ausdrücklich erlaubt? Darfst Du das? Wir hier in Bagdad wissen sehr genau, daß der Kalif uns gar nicht erlauben will, der Wissenschaft so obzuliegen, wie wir möchten; denken und schreiben sollen wir eigentlich nicht. Wenn wir aber das nicht mal sollen, sind wir dann noch die ›größten‹ Gelehrten?«

Und nun streiten die Beiden nicht mehr über Sammeln und Forschen – sie flüstern nur noch ganz leise, zischeln sich immer wieder was ins Ohr – was von der Kalifenburg, von der Verfolgung der freien Wissenschaft und ähnlichen halb heiteren halb traurigen Dingen.

Der Schreiber Osman sitzt währenddem im Empfangssaal auf einem großen persischen Teppich mit untergeschlagenen Beinen finster brütend wie ein chinesischer Pagode da. Seine dünnen braunen baumwollenen Beinkleider hängen schlaff um die wulstigen Kniegelenke. Wie eine dicke Tonne steht der breite Fettleib des Schreibers auf dem Teppich. Ein ganz kurzes braunes Jäckchen ohne Ärmel umspannt des Schreibers breite Brust, auf der ein schneeweißes Leinenhemd vorschimmert. Die weiten Ärmel des Hemdes sind auch sehr sauber – der weiße Leinenturban ebenfalls. Das glatte braune Gesicht mit den dicken Pustbacken ist rund und voll. Die kleinen Augen starren auf die roten und blauen Muster des Teppichs, der geheimnisvoll wie ein Sterndeuterbuch aussieht und fast den ganzen Boden bedeckt. Osmans Stirn zeigt dicke Falten.

Der Empfangssaal ist eine offene Halle. Unter den zackig geschwungenen Säulenbogen sieht man den dunkelblauen Himmel mit den Sternen. Durch die offenen Säulenbogen geht es zum fünfeckigen Altan hinaus, auf dem Battany und Jakuby eifrig flüstern. Ein großer Himmelsglobus aus Kupfer thront vorn an der einen Seite des Saales. Hinten in den beiden Ecknischen der mit roten und silbernen Querstreifen bemalten Wände brennt in zwei Kohlenbecken duftiges arabisches Räucherwerk. Die leichten wirbelnden Rauchwolken schweben durch das ganze Gemach in langen bläulichen Fäden dahin. Osman sitzt mitten auf dem Teppich mit der Stirn dem Himmel zu und grübelt...

Neben dem dicken Schreiber Osman rechts auf einem kleinen fünfeckigen Ebenholztische dampft heißer chinesischer Tee in feiner Porzellanschale. Der Schreiber Osman ist kein gewöhnlicher Schreiber, er läßt seine Gehilfen schreiben; er handelt nur mit den Büchern der großen Gelehrten, die ihre Schriften ihm zur Vervielfältigung und Verbreitung übergeben. Der Buchhändler hat schwere geschäftliche Sorgen, er sitzt und rechnet und brütet und nickt dabei zuweilen mit dem dicken Kopf langsam bedächtig wie ein Pagode beim Kalifen von Peking.

Bücherrollen liegen auf dem Teppich kreuz und quer. Dem Globus gegenüber in einer Alabasternische funkelt ein kupfernes Waschbecken – fein getriebene Arbeit; das Gestell besteht aus drei schweren reich verzierten Eisenfüßen, die sich unten auf dem schwarzen Fliesenboden schneckenartig umkrümmen...

Von der zierlichen Decke oben, über die sich geometrische Figuren in blauen und grünen Linien auf goldnem Grunde durcheinander spinnen, hängen an eisernen Ketten bunte maurische Lampen hernieder. Sie beleuchten das braune Fettgesicht des dicken Schreibers und lassen auch eine indische sitzende Götterfigur mitten im Hintergrunde sichtbar werden. Der Götze sitzt aber höher als der Schreiber.......

Im Empfangssaal ist es ganz still. Nur die glühenden Kohlen knistern ein bißchen. Die duftigen blauen Räucherwolken wirbeln zur zierlichen Decke, ziehen in langen Fäden langsam durch die Säulenbogen in die Mondnacht hinaus.

Zu Osman in die Empfangshalle kommen nun mit dem gelehrten Kodama die beiden Dichter Suleiman und Safur. Kodamas wohltönende Stimme wird von Osman schon von fern, als die Drei noch unten auf der Treppe waren, gehört. Kodama ist auch ein Geograph, aber er läßt sich nicht gern so nennen, weil er nicht gern reisen mag... er ist zu dick.