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Ein Thron, der bitter umkämpft wird. Eine Seelenverwandte, die für einen Höllenfürsten den Untergang bedeuten könnte. Und eine Entscheidung, welche die Machtverhältnisse in der Unterwelt bestimmen wird. Dämonenfürst Sergen würde alles tun, um in der Hierarchie aufzusteigen. Doch bevor er seiner Höllenprinzessin den Thron streitig machen kann, begegnet er der jungen Tavith Céline, deren Kräfte gerade erst erwachen und die obendrein seine Seelenverwandte sein soll. Für Sergen ist klar, dass sie früher oder später zu seiner Schwachstelle wird und er etwas dagegen unternehmen muss. Denn so stark auch die Anziehung zwischen ihnen sein mag – ein Happy End wird es für sie beide keinesfalls geben. Schon gar nicht in einem Krieg, der ihre Welten ins Chaos zu stürzen droht.
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Seitenzahl: 712
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Weltkarte
Die Höllenhierarchie
7 Regeln für den Umgang mit Dämonen
Kapitel 1 - Doch kein Mensch
Kapitel 2 - Wo die Sonne nie schien
Kapitel 3 - Nalas’ad ousto Skel’ad
Kapitel 4 - Plan des Schicksals
Kapitel 5 - Keine Rückerstattung
Kapitel 6 - Die Entscheidung
Kapitel 7 - Wir gehören zusammen
Kapitel 8 - Trainingspläne
Kapitel 9 - Beschwörungskreis und Hüttenzauber
Kapitel 10 - Friedensangebot
Kapitel 11 - Geschichtsstunde
Kapitel 12 - Ausflug in die Unterwelt
Kapitel 13 - Oh verzeiht, Eure Eisigkeit
Kapitel 14 - Verstoß gegen den Schwur
Kapitel 15 - Trainingsbeginn
Kapitel 16 - Bescheuerte Hormone
Kapitel 17 - Auf die Probe gestellt
Kapitel 18 - Auch gute Mädchen tun böse Dinge
Kapitel 19 - Planänderung
Kapitel 20 - Was jetzt?
Kapitel 21 - Ja, Mami
Kapitel 22 - Danke auch, Blödmann.
Kapitel 23 - Ich will ihn bei mir haben
Kapitel 24 - Das Mordkomplott
Kapitel 25 - Der erste Sonnenstrahl
Kapitel 26 - Dieser Dämon!
Kapitel 27 - Kein Schwiegersohnmaterial
Kapitel 28 - Verschwinde!
Kapitel 29 - Wie Sonne und Mond
Kapitel 30 - Der Fluch
Kapitel 31 - Planänderung
Kapitel 32 - Zerschellte Träume
Kapitel 33 - Neue Feinde, neue Entscheidungen
Kapitel 34 - Verbrechensschwestern
Kapitel 35 - Licht in finsterer Nacht
Kapitel 36 - Die heißere Neue
Kapitel 37 - Ade, ihr schönen Pläne.
Kapitel 38 - Im Antlitz überwältigender Macht
Kapitel 39 - Ich würde dich immer wählen
Kapitel 40 - Seelenstriptease
Kapitel 41 - Boshafte Schlange
Kapitel 42 - Im Blutregen
Kapitel 43 - Eis und Schatten
Kapitel 44 - Wir kriegen das hin
Kapitel 45 - Eine brillante, verrückte Idee
Kapitel 46 - Für alle Ewigkeit
Verzeichnis
Nachwort
Philina Hain
Tavith
Band 2: Wenn Sonne und Mond sich berühren
Fantasy
Tavith (Band 2): Wenn Sonne und Mond sich berühren
Ein Thron, der bitter umkämpft wird.
Eine Seelenverwandte, die für einen Höllenfürsten den Untergang bedeuten könnte.
Und eine Entscheidung, welche die Machtverhältnisse in der Unterwelt bestimmen wird.
Dämonenfürst Sergen würde alles tun, um in der Hierarchie aufzusteigen. Doch bevor er seiner Höllenprinzessin den Thron streitig machen kann, begegnet er der jungen Tavith Céline, deren Kräfte gerade erst erwachen und die obendrein seine Seelenverwandte sein soll. Für Sergen ist klar, dass sie früher oder später zu seiner Schwachstelle wird und er etwas dagegen unternehmen muss. Denn so stark auch die Anziehung zwischen ihnen sein mag – ein Happy End wird es für sie beide keinesfalls geben. Schon gar nicht in einem Krieg, der ihre Welten ins Chaos zu stürzen droht.
Die Autorin
Philina Hain, geboren im September 1994, wuchs auf der Ostsee-insel Fehmarn auf. Nach dem Abitur zog sie mit ihrem Freund nach Sachsen-Anhalt, wo sie Sozialwissenschaften studiert und Bauchtanz unterrichtet. Da sie schon seit ihrer Kindheit dichtete und Geschichten schrieb, besuchte sie bereits im Alter von elf Jahren ihre ersten Schreibworkshops. Mit der Veröffentlichung ihrer Tavith-Reihe erfüllt sich nun endlich ihr Traum vom Autorensein.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Mai 2021
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig
Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-183-3
ISBN (epub): 978-3-03896-184-0
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Auf diesem Wege möchte ich all den Menschen danken,
die Liebe und Güte in ihren Herzen tragen und damit diese Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen.
Ihr wisst es vielleicht nicht, doch euer Lächeln ist für manche Menschen das Beste,
was ihnen an diesem Tag passieren wird,
und auch wenn ihr euch nie wieder an sie erinnert, werden sie euch nie vergessen.
Céline
Céline starrte auf die Zeilen vor sich, doch konnte die Worte nicht begreifen. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu den Ereignissen der letzten Zeit und ließen sie den Fokus verlieren.
Dann eben nicht, dachte sie zu sich selbst und schlug das Buch in ihren Händen zu.
Sie drehte sich auf dem Sofa, legte den Wälzer auf dem hölzernen Beistelltisch ab und griff nach ihrem Smartphone. Kaum dass sie es entsperrte, wurde das Foto sichtbar, welches sie in der App nicht geschlossen hatte.
Mom. Dad. Sarah.
Von ihrem Handybildschirm lächelten Céline ihre Adoptiveltern und ihre beste Freundin Sarah voller Stolz entgegen. Das Foto war an dem letzten normalen Abend ihres Lebens entstanden, der schon Monate zurücklag.
An dem Tag war Céline für ein Medizinstudium angenommen worden. Sie hatte mit ihren Eltern und ihrer besten Freundin Sarah bei ihrem Lieblingsitaliener ein Selfie geschossen.
Hinter ihrer linken Schulter waren ihre Eltern zu sehen. Beide besaßen dunkelbraunes Haar, ganz anders als Céline mit ihrem goldigen Blondton. Sarah hinter Célines rechter Schulter formte mit ihren Fingern ein Peacezeichen, während ihre dunkelblonden Haare nach vorn über ihre Schultern fielen.
Während Céline das Bild betrachtete, versuchte sie, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Es gelang ihr nicht. Zu viele Gefühle tobten in ihrem Inneren. Zu viel war in letzter Zeit geschehen, zu viel hatte sie gesehen, zu viele Veränderungen erlebt.
Ihre Eltern und sie waren davon ausgegangen, dass Céline die einzig Menschliche im Rudel darstellte. Deswegen hatte sie auch ein normales menschliches Leben geplant. Doch jetzt war sie angeblich ein unsterblicher Dämonenengel, eine von sieben Tavith.
Mit dem Daumen wischte sie über den Bildschirm und starrte auf das Selfie ihrer neuen Mitbewohner, die sich ihr Handy geschnappt hatten. Angeblich bräuchte sie ein Foto von ihnen, um allen zu zeigen, mit was für coolen Leuten sie rumhing. Das waren zumindest die Worte der Tavith Amaleya gewesen, die bald die Frau von Nymphenkönig Jiyan sein würde.
Da Céline mittlerweile aber in einem Schloss auf einer Himmelsinsel wohnte und sich auch nicht sicher war, ob sie jemals nach Hause zurückkehren würde, konnte sie niemandem das Bild zeigen.
Natürlich wäre sie theoretisch in der Lage, es an ihre Eltern oder Sarah zu schicken, doch sie wusste nicht, ob er sie überwachte. Und dieses Handy mitsamt Nummer war neu, damit er keinen Kontakt zu ihr aufnahm. Wäre er in der Lage dazu, würde er Céline augenblicklich erpressen. Er würde schreiben, dass er ihre Eltern oder Sarah foltern oder töten würde, wenn sie nicht zu ihm zurückkäme.
Es war das Beste für alle Beteiligten, dass Céline klammheimlich verschwunden war und all ihre Sachen zurückgelassen hatte. Das Foto von dem Tag, an dem sie ihre Zulassung zum Studium erhalten hatte, stellte das einzige Überbleibsel ihres alten Lebens dar und sie besaß es auch nur dank Majandra, der mächtigsten aller Tavith. Ohne Maja wäre sie inzwischen zwangsverheiratet mit einem Soziopathen, der seinen Vater ermordet hatte, um der nächste Rudelführer des Werwolfclans zu werden, in den sie bereits als Baby aufgenommen worden war. Trotzdem galt sie nicht als vollwertiges Mitglied, da sie nun einmal kein Wolf war und ihre Aufnahme in das Rudel für sie und ihre Eltern kaum etwas am Zusammenleben mit allen geändert hätte.
Sie zuckte zusammen, als ein Buch über ihren Kopf hinwegflog, und drehte sich auf dem cremefarbenen Sofa, um den Verantwortlichen grimmig anzustarren – einen jungen Dämon namens Toroth. Der Kleine reichte ihr bis zur Hüfte und erlernte gerade das für Dämonen typische Teleportieren, wodurch sie damit auch vertraut war.
Wegen ihrer Kenntnis über diese Fähigkeit war sie nicht ausgeflippt, als Majandra eines Tages aus dem Nichts mitten in ihrem Zimmer auftauchte. Oder besser, in dem Zimmer, in dem er, Ras Herryk, der neue Alphawolf, sie eingesperrt hatte.
Sie durfte gar nicht daran zurückdenken.
»Könntest du bitte aufhören, so ein Durcheinander anzurichten?«, fragte sie Toroth, der nun im angrenzenden Zimmer ein Bücherregal umwarf.
Nachdem Majandra auf Céline aufmerksam geworden war und sie überzeugt hatte, hier zu leben, hatte sie Céline ein ganzes Wohnparadies eingerichtet.
Sie besaß nun ein riesiges Badezimmer mit Whirlpool, eine eigene Bücherei mit Hunderten Büchern über Unsterbliche, ein Wohnzimmer, das einem Heimkino glich, und ein Schlafzimmer mit einem gewaltigen Himmelbett. Alles war auf ihren Geschmack abgestimmt – in hellen Farben mit vielen Holzelementen.
Am liebsten würde sie Sarah und ihren Eltern all dies hier zeigen und sie einladen, um ein Gefühl der Vertrautheit in diesen Räumen hervorrufen zu können … Aber es ging einfach nicht. Zu ihrer eigenen Sicherheit.
Céline seufzte und legte ihr Smartphone auf dem Holztisch vor dem Sofa ab, bevor sie sich wieder zu Toroth umdrehte. »Du hast nur dank mir und aus reiner Großzügigkeit eine Aufenthaltsgenehmigung für das Himmelsschloss bekommen.« Ihre Stimme nahm einen drohenden Ton an. »Die gilt nur, solange du dich benimmst.«
Toroth tauchte zwischen den Flügeltüren zum Wohnzimmer auf und blinzelte unschuldig. Falls ein Dämon denn unschuldig gucken konnte. »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Er stapfte auf sie zu und ließ sich neben sie auf das Sofa plumpsen.
Mittlerweile besaß er die Größe eines Kindes, aber er war in dem letzten halben Jahr, das sie zusammen verbracht hatten, schon ein ganzes Stück gewachsen.
Genau in diesem Zeitraum hatte Herryk plötzlich ein Interesse an ihr entwickelt. Und dann, vor vier Wochen, war Majandra auch noch auf sie aufmerksam geworden.
Célines Mitbewohner meinten, dass man bereits erkennen könne, dass sie nicht menschlich sei, und sie deswegen ungewollt mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.
Na super, weil sie ja auch darum gebeten hatte.
»Wir haben gleich eine Besprechung mit den anderen«, erklärte sie Toroth und musterte ihn genauer, während er nachdenklich nickte.
Seit einem halben Jahr folgte ihr der Jungdämon auf Schritt und Tritt und hielt die meisten anderen Dämonen von ihr fern. In letzter Zeit erschien er menschlicher. Er war zwar ein grünlich geschupptes Äffchen mit zu kleinen Flügeln, aber auf eine menschenkindähnliche Art.
Menschenkind. Das Wort hallte durch ihre Gedanken. Sie hatte sich selbst für einen Menschen gehalten, für was auch sonst?
Da ihre Eltern – Adoptiveltern – Werwölfe waren, die wegen eines Fluches keine Kinder bekommen konnten, hatten sie Céline bei sich aufgenommen und sie großgezogen, als wäre sie ihr leibliches Kind und ihr ganzer Stolz.
Es hatte für ihre kleine Familie nie eine Rolle gespielt, was Céline war. Doch jetzt stand ihr Leben kopf. Plötzlich sollte sie eine unsterbliche Besonderheit sein, mal ganz von dem gravierendsten Unterschied abgesehen: Sie würde ewig leben.
Das war ein beängstigender Gedanke!
»Besprechung?« Toroth wandte sich ihr zu und zog die Schuppen an der Stirn zusammen. »Du bist so deprimierend«, grummelte er und seufzte theatralisch, ehe er aufsprang und nach ihrer Hand griff. »Lass uns losgehen. Wir verlaufen uns sowieso wieder auf dem Weg zum Gemeinschaftssaal.«
Sie rollte mit den Augen und ließ sich von ihm durch das Wohnzimmer zerren.
Es war schön, dass sie mit ihren niederschmetternden Gedanken nicht allein war. Außerdem konnte sie Toroth nicht widersprechen. Der Orientierungssinn von ihnen beiden ließ zu wünschen übrig, daher irrten sie immer planlos durch die scheinbar endlosen Gänge des Himmelsschlosses.
Sie blieb an der Zimmertür stehen, öffnete sie, sodass Toroth hindurchgehen konnte, und schloss sie dann wieder hinter sich, um sich mit Toroth an ihrer Seite auf den Weg zu machen.
Es reihte sich ein imposanter Gang an den nächsten. Ranken, Wandteppiche und Gemälde zierten die Wände. Der Boden bestand aus weiß-goldenem Marmor. Stellenweise war dieser aufgebrochen, sodass exotische Blumen hervorsprossen.
Während sie durch die Flure trotteten, schwelgte sie weiter in Erinnerungen an ihr altes Leben, das jetzt ein Ende fand, und dachte an ihr neues Leben, das einen echt miesen Start hinlegte.
Ihre Mitbewohner und Freunde hatten Céline gesagt, dass sie zurückkehren könne, wenn sie ihre Kräfte unter Kontrolle habe, und dann könne sie ›diesem Widerling Herryk‹ – Tainas Worte – ›ordentlich die Fresse polieren‹ – Lorcas’ Worte. Lorcas als Sieger der Unsterblichenwettkämpfe und Taina mit ihren Zukunftsvisionen hatten leicht reden. Die Geschwister besaßen ja auch außergewöhnliche Fähigkeiten.
Bei deren Aussagen fragte Céline sich nur: Was für Kräfte? Es wäre ja schön, wenn sie über welche verfügen würde.
Normalerweise hatte sie sich nicht für den Superhelden-Typ gehalten, aber wer sagte zu irgendwelchen Fähigkeiten, die einem das Leben erleichterten, schon Nein?
Abrupt blieben sie und Toroth stehen und schauten sich unschlüssig an.
Sie runzelte die Stirn. »Ähm, hast du eine Ahnung, wo wir sind?«
Vielleicht hätte sie sich mehr auf den Weg konzentrieren sollen als auf ihre Gedanken.
»Ne, ich bin dir einfach nur gefolgt«, antwortete der Jungdämon mit einem Schulterzucken.
Na prima, sie würden nie wieder den Weg zurückfinden und in irgendeiner Ecke dieses gigantischen Schlosses verhungern. Was sie daran erinnerte … »Sag mal, können Unsterbliche eigentlich verhungern?«
Toroths Schuppen zogen sich an der Stirn zusammen, als er sie nachdenklich in Falten legte. »Kommt auf die Umstände an und von welchem Verhungern wir reden. Wenn wir von durchschnittlichen Unsterblichen und ganz normaler Nahrungsaufnahme sprechen, dann nein, wir verhungern nicht. Aber das Gefühl von dauerhaftem Hunger bleibt dennoch.«
Es musste schön sein, als Unsterblicher geboren und mit dem Wissen über seine Art aufgewachsen zu sein. Oder womöglich hatte Toroth am eigenen Leib herausfinden müssen, dass Unsterbliche nicht den Hungertod starben, während sie sich Sorgen um den nächsten Mathetest und die Bundesjugendspiele gemacht hatte.
»Das ist so praktisch«, murmelte sie und empfand dabei Neid.
Weil ihr einfiel, dass sie bald selbst im ›Team Unsterblich‹ spielen würde, verpuffte ihr Neid wieder.
Als Toroth neben ihr mit den geschuppten Schultern zuckte und ihr Blick aufgrund der Bewegung auf ihn herabfiel, wurde ihr bewusst, dass Toroth zwar jung war, doch viel wusste und sogar akzentfrei ihre Sprache beherrschte.
Sie hatte in einem Buch nachgelesen, dass Dämonisch die meistverbreitete Sprache aller Höllengeschöpfe war. Daher wunderte es sie, dass er außerdem die allgemein bekannte Sprache der Unsterblichen draufhatte. Diese war so weitverbreitet wie Englisch bei den Menschen und für Céline genauso selbstverständlich. Immerhin hatte sie unter Unsterblichen gelebt und Werwölfe sprachen nur selten untereinander Englisch.
»Tja, und wo gehen wir jetzt lang?«, wollte Toroth von ihr wissen.
Er könnte eher einen Stein nach dem Weg fragen.
Sie und Toroth schauten sich mit hochgezogenen Brauen an, zeigten in entgegengesetzte Richtungen und verdrehten die Augen.
»Na schön, Schlauberger.« Sie ließ den Arm wieder sinken. »Wir gehen unterschiedliche Flure entlang bis zur nächsten Abzweigung und folgen dann dem Gang, der vielversprechender aussieht.«
Toroth nickte und so machten sie sich auf den Weg.
Bevor Céline an der nächsten Gabelung ankam, hörte sie allerdings das gruselige Schaben von Stein auf Stein und warf einen Blick über ihre Schulter zurück. Vor Schock riss sie die Augen weit auf.
Das war ja wohl ein Scherz!
Hinter ihr verschoben sich die Wände, sodass sie nur noch Toroths fragenden Blick erkannte, bevor der Gang sich geschlossen und sich stattdessen ein neuer Flur aufgetan hatte.
Es war kein Wunder, dass sie sich ständig verlief! Dieses Schloss spielte seine Spielchen mit ihr.
Darüber würde sie sich mit Maja unterhalten, der das Anwesen gehörte. Célines Mitbewohner hatten ihr bereits erzählt, dass der Palast mit Maja verbunden und irgendwie lebendig war. Bisher hatte sich aber noch nie irgendeine Wand erkennbar verschoben. Warum ausgerechnet jetzt?
»Céline? Soll ich mich zu dir teleportieren?«, rief Toroth von der anderen Seite der Wand, wodurch sie seine Stimme nur gedämpft hörte.
Sie trat an die neu entstandene Mauer heran und legte ihre Handflächen dagegen, doch auch ihr Schieben änderte nichts an der Lage dieser.
»Nein, schon gut«, rief sie gegen den Stein. »Wir suchen einfach auf getrennten Wegen nach dem Gemeinschaftssaal.«
Toroth war noch zu jung, als dass er sich kontrolliert an seine gewünschten Orte teleportieren könnte, da wollte sie lieber kein Risiko eingehen.
»Wenn du den Saal vor mir findest, dann frag die anderen bitte, ob sie mich abholen!«, fügte sie laut hinzu. »Und frag freundlich!«
Sie war sich sicher, dass Toroth als Dämon mit dem Wort ›freundlich‹ nicht viel anzufangen wusste und sie für immer durch das Schloss irren würde.
»Ist gut!«, war jedoch seine Antwort, bevor es auf der anderen Seite still wurde und er sich offenbar auf den Weg gemacht hatte.
Sie ließ die Schultern hängen und blickte an die Decke. »Du willst also, dass ich einen anderen Weg einschlage?«, murmelte sie und vermutete, dass sich das Schloss gerade prächtig über sie amüsierte. »Bitte, dann spielen wir eben nach deinen Regeln. Weil ich ja auch eine andere Wahl habe und nach meiner Meinung gefragt wurde.«
Solange sie nicht plötzlich die Fähigkeit in sich erweckte, sich zu teleportieren, würde sie den Fluren des Schlosses folgen müssen. Dabei stand es sowieso nicht fest, ob sie jemals die Teleportation beherrschen würde. Ihre Mitbewohner Kasimir und Taina waren dazu schließlich auch nicht in der Lage. Obwohl sie Kasimir auch zutrauen würde, dass er die Fähigkeit verheimlichte.
Normalerweise fiel es ihr leicht, andere einzuschätzen, doch bei ihm und Maja war sie sich nicht sicher. Obwohl Kasimir aus einer Laune heraus handelte, schien er dabei auch immer einen Plan zu verfolgen. Er war widersprüchlich und so geheimnisvoll wie Majandra. Die lächelte zwar immer, aber in ihren Augen entdeckte Céline stets Geheimnisse, die nur die Schlossherrin kannte.
Sie folgte den Gängen und Treppen des Schlosses, die sich ständig vor ihr veränderten. Schließlich erreichte sie eine weitere Treppe, die hinabführte. Das Schloss wirkte gruselig still.
Okay, dann würde sie wohl die Treppe nehmen müssen. Schön, dass sie ein Mitspracherecht besaß.
Hätte sie gewusst, dass das Schloss versuchen würde, seine Spielchen mit ihr zu spielen, hätte sie ihr Handy nicht auf dem Sofa liegen lassen. Doch war das nicht typisch? Wenn man das kleine Gerät mal wirklich brauchte, trug man es entweder nicht bei sich, der Akku war leer oder man hatte mysteriöserweise keinen Empfang. Ihre Situation war wie in einem schlechten Horrorfilm.
Sie stieg die breiten Stufen hinab und bemerkte, wie es immer dunkler wurde. Es waren keine Fenster und opulenten Lampen mehr zu sehen. Stattdessen zierte gelegentlich eine Fackel die Wand und sorgte für ein wenig Beleuchtung.
Sie blieb abrupt stehen. Es war dämlich, dass sie hier entlangging, oder nicht? Wenn dies tatsächlich ein Horrorfilm wäre, würde sie gerade nichts ahnend auf den Serienkiller zulaufen.
Das Gefühl der Vorahnung ignorierend, setzte sie sich wieder in Bewegung.
Wenn sie jetzt sterben würde, wären ihre Eltern und Sarah wenigstens für immer in Sicherheit vor Ras Herryk, und das Schloss wäre an allem schuld und nicht Céline selbst. Außerdem war das hier schließlich kein Horrorfilm und sie hatte einen Dolch an ihrem Gürtel befestigt, den Amaleya ihr geschenkt hatte – eine rötliche Klinge, in deren schwarzen Griff Rubine eingelassen worden waren.
Wenn da unten ein Serienkiller auf sie wartete, würde sie ihm zeigen, was es bedeutete, als angeblich schwaches Menschlein in einem Rudel Werwölfe aufzuwachsen und von einem Soziopathen in den Dornröschenturm eingesperrt zu werden. Sie hatte so dermaßen die Schnauze voll von all dem verrückten Kram, der in letzter Zeit passierte, dass sie gewillt war, jeden Horrorfilm-Clown als Punchingball zu benutzen.
Ha, das wäre ja gelacht!
Céline
Am Ende der Treppe angelangt, machte sich eine Gänsehaut auf ihren Armen breit. Sie fröstelte und rieb sich über die Unterarme. Es war ungewöhnlich kalt hier unten. Vermutlich nutzten ihre Mitbewohner den Keller kaum, weil sie alle ihre eigenen riesigen Gemächer besaßen.
Als sie den Gang im Keller entlangging, vorbei an kahlen, kalten Steinwänden und leeren Kellerräumen, hörte sie das leise Klirren von Metallketten und hielt in der Bewegung inne.
Oh nein. Nein! Wie konnte sie so blöd sein? Das hier war kein Keller, es war der Kerker!
Zu ihrer Verteidigung: So sauber und schlicht stellte sie sich keinen Kerker vor, es mangelte ihm an Folterinstrumenten. Doch es musste der Kerker sein und dann wären die Kellerräume zu ihrer Rechten Kerkerzellen und in der Zelle da vorn würde sich angeblich der einzige Gefangene befinden, den die Tavith je festgehalten hatten: der Dämonenfürst Sergen Ashad, der Amaleya in ihrem Leben viel Leid zugefügt hatte und bei dem Célines Mitbewohner immer noch nicht wussten, ob sie ihm trauen und ihn freilassen konnten.
Am liebsten würde sie sich mit der Handfläche gegen die Stirn schlagen. Sie war so sehr mit dem sich verändernden Schloss und dem Serienkiller aus Horrorfilmen beschäftigt gewesen, dass sie tatsächlich fast einem begegnet wäre.
Besser spät als nie, dachte sie, während sie sich ganz leise auf Zehenspitzen umdrehte. Sie würde einfach so tun, als ob sie nie hier gewesen wäre.
»Wer bist du und was willst du?«, verlangte eine unfassbar tiefe, raue Männerstimme zu wissen.
Céline verharrte wie vom Blitz getroffen in der Bewegung. Der gefangene Dämon hatte eine verdammt heiße Rockstar-Stimme, das musste sie ihm lassen.
Halt, nein, so darfst du nicht über einen Dämon denken!
Sie hatte die schlechte Angewohnheit, ohne Vorurteile an andere heranzutreten. Und wohin hatte es sie gebracht? Richtig, in keine gute Lage.
Ihre Mitbewohner hatten versucht, ihr einzubläuen, dass diese Einstellung sie ihr Leben kosten könnte. Wenn sie jemandem begegnete, sollte sie sich vor Augen führen, zu welcher Art derjenige gehörte, und dann ihr Wissen darüber abrufen, damit sie sich angemessen verhielt, sodass sie lebend aus der Situation herauskam. Denn noch war sie sterblich.
Aber hey, der Gefangene war schließlich in Ketten gelegt und sie hatte noch nie einen Dämonenfürsten im echten Leben gesehen, sondern nur in Büchern.
Sollte sie also gehen oder … bleiben?
Wenn sie ging, würde das Schloss sie womöglich noch zwischen irgendwelchen Wänden zerquetschen oder sie in schlimmere Räumlichkeiten manövrieren.
Gut, damit fiel ihre Wahl auf ›bleiben‹.
Sie drehte sich erneut um und schritt in die Richtung von Sergen Ashads Kerkerzelle. Schon als diverse Ketten in Sicht kamen und sie das schwarze, getrocknete Dämonenblut entdeckte, das ab dem Brustkorb über seinen Körper gelaufen sein musste, wurde ihr etwas mulmig.
Seine blasse Haut bescherte ihm das Aussehen eines Eiskönigs, der gerade einem Märchen entsprungen war. Sein weißes, glattes Haar, das ihm in Strähnen in die Stirn fiel, trug zu diesem Bild bei. Mit seiner großen Statur, den breiten Schultern und muskulösen Armen ähnelte sein Körperbau dem des Nymphenkönigs Jiyan oder des tätowierten Tavith Kendric.
Wie er sich wohl bewegen würde, wenn er nicht in Ketten hinge? Die Körpersprache verriet viel über jemanden, und Céline würde wetten, dass er mit gestrafften Schultern herumstolzierte.
Ohnehin wirkte er sehr stolz. Seine roten, für Dämonen typischen Augen schienen sie nicht nur voller Zorn, sondern auch voller Erhabenheit anzufunkeln. Er hielt sich für etwas Besseres.
War er womöglich auch. Er musste über herausragende Fähigkeiten verfügen, wenn ihre Mitbewohner es für nötig hielten, ihn in so viele Ketten zu legen.
Tatsächlich bemerkte sie, wie sich kleine Wölkchen vor seinem Gesicht bildeten, die von seinem kalten Atem stammen mussten. Dann war er also dafür verantwortlich, dass sie sich hier den Arsch abfror.
»Ich habe dir eine Frage gestellt. Antworte«, knurrte er zornig.
Er war also ein Charmeur, na super. Davon hatte sie ja noch nicht genug in ihrem Leben.
Ihr fiel Regel vier im Umgang mit Dämonen ein, die besagte: Lass dir nicht in die Karten schauen.
Céline bemühte sich um eine gleichgültige Miene. »Was ich will? Ich hatte nur Langeweile und dachte mir, ich sage mal Hallo.« Um ihre Aussage zu unterstützen, gähnte sie so realistisch wie möglich.
Der dunkle Fürst ging fast vor Wut an die Decke. An seinem kantigen, glatt rasierten Kiefer zuckten die Muskeln, weil er die Zähne fest aufeinanderbiss. Seine roten, von weißen Wimpern umrahmten Augen schienen vor Rage zu glühen. Sie konnte sogar beobachten, wie sich seine braunen Krallen verlängerten.
Da hielt wohl jemand sehr viel von sich.
»Ich rate dir, mich nicht zu verärgern«, warnte er sie, wobei seine Stimme noch grollender klang als zuvor.
Wahrscheinlich sollte sie eingeschüchtert sein. Stattdessen starrte sie ihn allerdings wie gebannt an.
Sie ballte die Hände zu Fäusten und weigerte sich, auf seine Drohung einzugehen. Als angeblicher Mensch unter Unsterblichen war sie immer diejenige gewesen, auf die herabgesehen worden war. Doch damit würde nun Schluss sein. Endgültig. Sie war es so verdammt leid, dass andere sie nicht ernst nahmen und sie unterschätzten.
Sergens Blick veränderte sich abrupt. Der Zorn und die Verachtung wichen Interesse und er neigte kaum merklich den Kopf zur Seite. »Interessant. Du bist also wie sie. Eine Tavith.«
In diesem Moment wirkte sein Gesicht nicht mehr nur außergewöhnlich, sondern sogar schön.
Wie hatte er erraten können, was sie war?
»Eine Behauptung ohne eine Begründung hat keinen Wahrheitsgehalt«, stellte sie sachlich fest. »Was führt dich also zu dieser Annahme?« Sie hatte ihre Worte mit Bedacht gewählt und sich um einen gleichgültigen Ton und eine desinteressierte Mimik bemüht.
Sergens Lippen verzogen sich zu der Andeutung eines Lächelns. »Falls mich das provozieren soll, um meine Karten auszuspielen, muss ich dir leider sagen, dass dies ein alter und sehr durchschaubarer Trick ist.«
Kluger Dämon.
Sie zuckte mit den Schultern. »Welch ein Pech, dann haben wir wohl nichts mehr zu bereden.«
Sie wandte sich zum Gehen von ihm ab, wie sie es schon von Anfang an hätte tun sollen. Da er hier unten einsam sein musste, erwartete sie, dass er sie bitten würde, hier zu verweilen, doch nichts dergleichen geschah. Bis sie an der Treppe ankam.
Sein tiefes Lachen erklang und jagte ihr abermals eine Gänsehaut ein. »Nun gut, komm zurück und ich antworte dir.«
Erneut blieb sie wie angewurzelt stehen. Er war also doch einsam. Oder vielleicht hatte sie sein Interesse geweckt, da sie nicht so leicht zu durchschauen war.
Entgegen jeder Vernunft ging sie zu ihm zurück und trat an die dicken Metallstäbe heran, die ihn mitsamt den Ketten gefangen hielten. »Also? Meine Zeit ist kostbar, fass dich kurz.«
Ihre Zeit war wirklich kostbar, denn sie sollte jetzt bei einer Versammlung im Gemeinschaftssaal sein und danach wie eine Wahnsinnige trainieren, um ihre Selbstverteidigung zu verbessern und ihre noch nicht vorhandenen Fähigkeiten zu erspähen. Zumindest hatte sie sich das vorgenommen: tief in sich hineinblicken und nach irgendwelchen besonderen Fähigkeiten suchen. Oder so.
Sergen lachte erneut, dieses Mal leise und rau. »Deine Zeit ist kostbar? Deine Zeit hat noch gar nicht begonnen, kleine Tavith.«
Es war befremdlich, ihn so erheitert zu sehen und dabei ein ungewohntes Kribbeln in ihrem Körper zu spüren. Man könnte beinah meinen, sie empfände ihn als … begehrenswert.
Für andere mochte es gewöhnlich sein, jemanden attraktiv zu finden. Für Céline wäre es allerdings das erste Mal. Und dann ausgerechnet bei dem Dämonenfürsten, den ihre Mitbewohner gefangen hielten?
Bestimmt nicht. Eher würde sie eine Handvoll Nägel schlucken.
»Ich weiß zwar nicht, was dich vorhin so erzürnt hat, doch deine Augen haben sich kurzzeitig golden gefärbt«, fuhr Sergen Ashad unbeirrt mit seiner Erläuterung fort. »Wenn du also ebenfalls eine Tavith bist, liegt es nahe, dass du noch sehr jung bist und gerade erst in die Unsterblichkeit hineinwächst. Und wenn dir die Zeit dafür blieb, schließe ich auf ein angenehmes Leben von dir zurück.« Sein selbstgefälliges Lächeln zeigte, wie zufrieden er mit seiner Erklärung war und dass es ihm gleichgültig zu sein schien, ob sie seine Annahme bestätigte, da er sie ohnehin für korrekt hielt.
Dann würde sie ihn wohl belehren müssen. »Es gibt nur einen kleinen Fehler bei deiner Feststellung: Solange die Uhr tickt, läuft auch meine Zeit – egal, ob ich unsterblich bin oder nicht.« Sie verschränkte die Arme und reckte das Kinn, um ihm zu zeigen, dass er nicht der Einzige war, der von seinen Aussagen überzeugt war. »Und ja, mein Leben war angenehm – so angenehm, wie ein Leben als angeblicher Mensch in einem Rudel Werwölfe eben sein kann, bevor …« Sie biss sich auf die Zunge und schwieg.
Es war ihr gleichgültig, ob er Informationen über sie erhielt oder nicht, denn in zwanzig Jahren hatte sie nicht viele Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft schmieden können und wäre somit auch nicht in der Lage, heikle Informationen auszuplaudern.
Doch die Sache mit Herryk ging niemanden etwas an. Wenn Sergen davon erführe, würde er sie für schwach halten. Und was besagte Regel eins im Umgang mit Dämonen? Genau, ›Zeige keine Schwäche‹.
Sergen runzelte die Stirn. »Du bist also bei Tieren aufgewachsen.«
Was war das denn für eine Feststellung?
»Gut, oder?«, konterte sie mit einem Lächeln. »Ich bin der weibliche Mogli der Neuzeit.«
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich.
Ha! Garantiert wusste er nicht, wer Mogli war.
Sergen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Seine Lippen verzogen sich langsam zu einem höhnischen Grinsen. »Du scheinst nicht nur bei ihnen aufgewachsen zu sein, sondern auch mit ihnen gespielt zu haben.«
Schlagartig war das heitere Gefühl verflogen. Ihr stieg Hitze in die Wangen, doch sie wandte den Blick nicht ab.
Mit ihnen gespielt? Allein bei der Erinnerung, dass Herryk sie geküsst hatte und seine Hände über ihren Körper geglitten waren, stieg Übelkeit in ihr auf.
»Woher weißt du davon?« Sogar sie selbst vernahm die Verbitterung in ihrer Stimme.
Oh nein! Er kann es riechen!
Was hatte sie Brauchbares über Dämonen gelesen? Ihre Körper waren äußerst robust, ihre Schuppen ein zusätzlicher Schutzpanzer und sie besaßen einen stark ausgeprägten Hör- und Geruchssinn.
Deshalb gab es also Regel fünf, laut der man ihnen nicht zu nahe kommen sollte – nicht dass sie sich bei Toroth daran gehalten hätte oder es jetzt gerade tat.
Sergen konnte demnach Herryk an ihr riechen.
Angewidert verzog sie den Mund darüber, dass sie seinen Geruch an sich trug, seit er sie geküsst hatte. Nur der Tatsache, dass es sie kaltgelassen hatte, verdankte sie es, dass Herryk sie nicht zu mehr gezwungen hatte.
Sie fühlte sich schon jetzt schmutzig. Erniedrigt. Doch sie würde nie wieder so schwach sein, dass jemand sie dazu erpressen könnte, ihren Körper im Austausch für die Sicherheit ihrer Liebsten anzubieten.
Denk nicht daran!
Das war auch ein Teil ihres alten Lebens, den sie hinter sich gelassen hatte. Und sobald sie die Kraft dazu hätte, würde sie es Herryk heimzahlen. Scheiß auf ›vergeben und vergessen‹. Dafür war sie noch nie der Typ gewesen.
Sergen legte die Stirn in Falten. »Ich weiß davon, da du …«
»Vergiss es, du kannst es riechen, ich weiß«, korrigierte sie sich selbst, bevor Sergen es täte.
Er knurrte. »Unterbrich mich nicht!«
»Sonst was?« Sie zog die Augenbrauen hoch und war offensichtlich lebensmüde, um im Wespennest herumzustochern.
Doch selbst vor Herryk hatte sie keine Angst gehabt. Dass er sie gegen ihren Willen berührt hatte, hatte sie angewidert, ja. Aber nicht geängstigt. In ihren Adern floss ganz offensichtlich das Blut eines Kriegerengels, dem Furcht fremd war.
Sergen blinzelte verwirrt. Damit stand es drei zu eins für sie.
Céline vor, noch ein Tor!
Er verengte die Augen zu Schlitzen. »Sag mal, hast du gar keine Angst vor mir?«
Ihre Haut fühlte sich wie elektrisiert an, als er seinen Blick über ihren Körper wandern ließ. In seinen Augen lag nicht die Gier, welche Herryk ihr entgegengebracht hatte, sondern vielmehr … irgendetwas. Irgendetwas anderes, das sie zwischen Interesse und Begierde einordnen würde. Es loderte ein Inferno in seinen Iriden, doch es brannte unendlich weit von ihr entfernt, als ob er versuchte, es zu verheimlichen, und darum kämpfte, es zu ersticken. Er musterte jeden Millimeter ihres Körpers, obwohl es eigentlich nicht viel zu betrachten gab.
Sie trug eine dunkle, enge Jeans und ein weißes T-Shirt. Ihre Kleidung schmiegte sich an keine Kurven, weil sie kaum welche hatte. Sie war zu klein, zu zierlich. Und mit ihrem schulterlangen goldblonden Haar und den Sommersprossen machte sie das nicht gerade wett.
Das wusste sie. Doch das schienen weder Herryk noch Sergen Ashad mitbekommen zu haben.
Das war aber gar nicht das Schockierende, sondern dass sich Wärme in ihrem Bauch ausbreitete, ihre Oberschenkel kribbelten und sie schwören könnte, ein Funke wäre von Sergen auf sie übergesprungen.
Reiß dich zusammen! Was hatte Sergen noch mal gesagt? Ob sie keine Angst vor ihm habe?
Sie fürchtete sich eher davor, dass ein Blick auf ihn genügte, um ganz andere Empfindungen in ihr heraufzubeschwören, die Céline bisher nicht kannte.
Das irritierte sie.
Sie trat an die Gitterstäbe heran und lehnte sich lässig dagegen. »Angst?« Es war ihr gleichgültig, wie sie aussah. Ihr Selbstbewusstsein verdankte sie ihrem messerscharfen Verstand und ihrer Fähigkeit, sich an jede Situation anzupassen. »Hast du keine Angst, was ich im Gegenzug tun könnte, um mich zu revanchieren? Solltest du planen, mich wegen meiner Respektlosigkeit zu verletzen, solltest du mich anschließend töten, denn sobald ich tatsächlich unsterblich bin, würde ich die Ewigkeit für meine Rache nutzen. Also bleiben dir drei Optionen: Drohe mir nicht. Oder habe die Absicht, mich zu töten. Oder plane ein, zukünftig eine weitere Feindin zu haben.«
Zu ihrer Überraschung prustete Sergen laut los, sodass die Metallkette an seinem Hals klirrte. Es war ein gespenstisches Geräusch im Gegensatz zu seiner tiefen, rauen Stimme, die ihr viel zu sehr gefiel.
Dachte er etwa, dass sie scherzte? Nahm er sie nicht ernst?
»Du weißt wahrlich mit Worten umzugehen, Morgha«, stellte er mit einem breiten Grinsen fest, das seine strahlend weißen Zähne zeigte. »So ein hübsches Mädchen wie du sollte sich einen Beschützer zulegen, damit sie alt genug wird, um mit ihren Worten auch etwas bewirken zu können.«
Gut, das war’s. Das war die letzte dumme Bemerkung, die sie sich von ihm angehört hatte.
Sie wusste nicht, was das dämonische Fremdwort bedeutete, und würde es nachschlagen müssen. Außerdem war ihre Neugier nun gesättigt. Darüber hinaus hatte er gerade angedeutet, dass sie nichts sei ohne einen Mann an ihrer Seite.
Sexistisches Arschloch.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging.
»Warte! Wo willst du hin?!«, brüllte er.
Seinen königlichen Tonfall konnte er sich dahin stecken, wo die Sonne nie schien.
Ihre nächsten Worte strotzten nur so vor Sarkasmus. »Ich gehe los und suche mir einen Beschützer, wie du mir soeben geraten hast. Du bist ja leider zu schwach, um infrage zu kommen, sonst würdest du wohl kaum in Ketten in einem dunklen Kerker verrotten.«
Bei der Erinnerung daran, als Gefangener hier festgehalten zu werden, knurrte er so laut, dass die Ketten erneut vibrierten, und eine unnatürliche Kälte erfüllte den Kerker.
Sie kam nicht drumherum, darüber zu lächeln, und schüttelte den Kopf über sich selbst. Eines Tages würde diese Konversation sie gewiss einholen, doch bis dahin wären hoffentlich Jahrhunderte vergangen, in denen Sergen zu beschäftigt damit wäre, sich zu befreien und seinen Platz in der Hölle zurück zu erkämpfen. Das vermutete sie zumindest.
Himmel, sie musste sich unbedingt über die Höllenhierarchie schlaumachen und ihr Dämonisch auf Vordermann bringen. Gleich nachdem sie ihr Buch über die Geschichte der Nymphen beendet hatte.
Sie erklomm die steinernen Stufen, die vom Kerker emporführten, und dachte an die Ereignisse der letzten Zeit zurück.
In den letzten zwei Wochen hatten die Bestattungen und Trauerzüge im Nymphenreich stattgefunden.
Anfangs hatte keiner Céline mit anpacken lassen wollen, doch sie hielt mehr aus, als die anderen ihr zugetraut hatten, und es war ihr seit jeher ein Bedürfnis gewesen, zu helfen.
Natürlich hatten ihr das Ausmaß der Verwüstung, die Leichenberge und all das Leid der Überlebenden den Atem geraubt und die Sprache verschlagen. Es hatte ihr die Tränen in die Augen getrieben, aber sie hatte an Tainas Seite geholfen, die Namen der Opfer aufzulisten, und war bei den Trauerfeiern gewesen.
Kriege und Schlachten waren grausam und hässlich wie nichts sonst auf dieser Welt. Das wusste sie jetzt aus erster Hand und nicht nur durch die Erzählung eines Lehrbuches. Die Bilder der Zerstörung würden sie für eine Ewigkeit begleiten und trotzdem würde sie immer wieder helfen.
Dadurch war sie den anderen Tavith so viel näher gekommen. Taina hatte die ersten zwei Tage sogar bei Céline übernachtet, weil sich in ihren Zukunftsvisionen schon so viele Schlachten abgespielt hatten, dass sie das Leid manchmal nicht mehr ertrug.
Wenn das mal keine rosigen Aussichten sind.
Um dem Volk Hoffnung zu geben, hatten Nymphenkönig Jiyan und seine Gefährtin Amaleya vor ein paar Tagen ihre Verlobung verkündet und planten, die Hochzeit möglichst bald stattfinden zu lassen. Das hatte in der Tat die Stimmung bei den Nymphen und den Tavith wieder etwas gehoben.
Céline kam jetzt am oberen Treppenabsatz an und horchte, ob sich die Wände erneut bewegten, aber nichts schien sich zu rühren. Dann würde sie wohl einfach geradeaus durch den Gang spazieren und hoffen, dass sich Majandras Schloss für heute genug Scherze erlaubt hatte.
Das rief ihr in Erinnerung, dass sie sich gar nicht bei Maja wegen der sich verschiebenden Wände würde beschweren können, weil die seit Amaleyas Rückkehr verschwunden war. Niemand wusste, wohin oder warum.
Die Kerubim, die obersten Diener der Gottheit, hatten Amaleya aufgetragen, Majandra von der Hölle fernzuhalten, weil sie sonst den Weltuntergang heraufbeschwören könnte.
Maja war allerdings nicht aufzufinden und nun hatte Amaleya ihre Rolle übernommen, sich um alle Tavith zu kümmern und die Gemeinschaft zusammenzuhalten, während sie darauf warteten, dass die mächtigste aller Tavith zurückkehrte.
Amaleya und Jiyan schliefen abwechselnd hier oder bei ihm und er hatte mittlerweile das Teleportieren beherrschen gelernt, weswegen ihre aktuelle Wohnsituation dem Paar keine Schwierigkeiten bereitete. Trotzdem sollte Amaleya sich als angehende Königin nicht auch noch um ihre verrückten Freunde sorgen müssen.
Während Céline durch die Gänge lief, wurde es zunehmend wärmer und ihr immer mehr bewusst, dass sie sich nicht mit Sergen Ashad hätte anlegen sollen. Wenn er wirklich alles und jeden zu Eis erstarren lassen konnte, wie er es in der Schlacht im Nymphenreich getan hatte, dann lagen seine Fähigkeiten jenseits ihrer Vorstellungskraft. Und sie hatte ihn verärgert.
Großartig, mit voranschreitender Unsterblichkeit nahm also ihr gesunder Menschenverstand ab, weil sie nun mal nicht menschlich war.
Ihre Provokationen würde sie garantiert irgendwann bereuen. Irgendwann.
Sergen
Dem lässigen Schritttempo nach zu urteilen, musste es Kasimir sein, der sich dem Kerker näherte.
Sergen wagte es nicht, zu hoffen, dass der Dämonenengel ihn endlich freilassen würde. Hoffnung war unrealistisch und darüber hinaus äußerst unzuverlässig – im Gegensatz zu den eigenen Fähigkeiten.
Die Schritte hallten von der Treppe wider und nach einer gefühlten Ewigkeit kam tatsächlich der Tavith zum Vorschein – unerträglich gut aussehend wie eh und je. Doch bevor Sergen mit niemandem sprechen könnte, würde er lieber … nein, er würde nicht mit Kasimir reden wollen. Wenn nicht gerade Kendric an dessen Seite stand, gab der Tavith nur Schwachsinn von sich. Trotzdem kam der Irre ständig her, vermutlich weil ihm langweilig war.
Kasimir konnte Kendric nicht mehr in die Hölle folgen, aber war in diesem Teil der Welt unterfordert. Es mochte ja sein, dass Lorcas der gewalttätige der sieben Tavith war, doch Kasimir war eine tickende Zeitbombe, wenn er nicht bald eine neue Bestimmung fand, die ihn auslastete.
Langeweile kam bei der Aussicht auf ewiges Leben nur allzu schnell auf und war der Garant für dumme Entscheidungen.
Kasimir blieb nicht wie erwartet vor Sergens Kerkerzelle stehen, sondern öffnete sie. »Ich befreie dich jetzt. Immerhin schulde ich dir noch was.« Der Tavith trat ein.
Auch in dem schummrigen Licht hier unten konnte Sergen so problemlos wie bei Tageslicht alles erkennen. Seine Dämonenaugen waren für die Dunkelheit geschaffen.
Wie so oft war Kasimirs braunes Haar auf eine ansehnliche Art verwuschelt, sein Dreitagebart perfekt gestutzt und sein T-Shirt falsch herum gedreht, sodass das Schildchen vorn zu sehen war.
Wenn der so viel Langeweile hatte, dass er Sergen befreien und einen Konflikt mit den übrigen Tavith herbeiführen würde, sollte er mal lieber damit anfangen, die täglichen Aufgaben wie das Anziehen zu perfektionieren.
Weil Sergen Kasimirs schlechtes Gedächtnis in jedem Fall ausnutzen würde, schwieg er und wartete misstrauisch ab, ob der Tavith ihn tatsächlich befreite.
Würde Kasimir ihm in der Tat einen Gefallen schulden, wüsste er das. Wen man verärgerte oder von wem man eine Gefälligkeit einfordern konnte, tätowierte man sich in Großbuchstaben an die Innenseite der Schädeldecke.
Kasimir kam auf ihn zu und blieb schließlich direkt vor Sergen stehen. Der Tavith wirkte normalerweise so unbekümmert, doch jetzt war die Anspannung in seinem Gesicht und seiner Haltung zu erkennen. »Lorcas, Taina, Amaleya und Jiyan haben beschlossen, dich vorerst zu verlegen, weil sie dir nicht trauen. Und ich weiß nicht, ob ich ihnen von unserer Zusammenarbeit erzählen sollte, da Kendric sich in der Hölle aufhält, falls Leviathan zu einem Vergeltungsschlag ausholen sollte.«
Leviathan, die Kronprinzessin der Hölle, glich einer massigen Seeschlange mit mehreren Armen und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Oberwelt ins Chaos zu stürzen und eine zweite Hölle daraus zu formen. Dadurch würden die Grenzen der Welten verwischt und Leviathans unsichtbare Ketten, die sie auf ewig an die Unterwelt banden, gesprengt werden.
Kasimir neigte den Kopf und schien so ernst, wie Sergen ihn noch nie erlebt hatte. »Mit Majandra könnte ich die anderen vielleicht umstimmen, aber sie ist ja verschwunden. Und ich kann nicht zulassen, dass du noch länger ein Gefangener bist. Wenn du zu lang fort bist, wird Leviathan dich ersetzen wollen.«
Und dann wäre Sergen dem Tod geweiht und für Kendric als Spion nutzlos, was Kasimir als Kendrics Mitstreiter natürlich verhindern wollte.
Sergen bemühte sich obgleich dieser Neuigkeiten um eine ausdruckslose Miene.
Die anderen Tavith und Jiyan wollten ihn also verlegen. Auch wenn der Nymphenkönig und Amaleya mittlerweile besprochen haben mussten, dass Sergen nicht ihr Feind war, änderte es nichts an Jiyans Abscheu gegenüber Dämonen und Amaleyas Feindseligkeit gegenüber Sergen.
Für die Tavith und Jiyan wurde es tatsächlich Zeit, ihn zu verlegen. Schließlich würden sie ständig eine Zielscheibe auf dem Rücken mit sich herumtragen, solange Sergens höllische Gefolgschaft, die drei anderen Dämonenfürsten unter Leviathan und die Höllenprinzessin selbst nach ihm suchten und ihn zurückbringen wollten. Wenn Majandra und Kendric – die beiden mächtigsten Tavith – sich nicht hier aufhielten, war diese Himmelsinsel verwundbar.
Sergen verengte die Augen. »Dann quatsch nicht rum und befrei mich endlich.« Er verschluckte sich fast an dem Wort, aber presste es doch irgendwie hervor: »Bitte.«
Kasimir grinste so zufrieden, als hätte er gerade als Inkubus eine Orgie zelebriert. Das musste für ihn in etwa so befriedigend sein, wie Sergen ein elendes ›Bitte‹ zu entlocken.
So tief war er also schon gesunken. Teufel noch mal, war er erbärmlich.
»Wie süß.« Kasimir zog einen filigranen Schlüssel aus der Tasche seiner zerrissenen Jeans hervor. »Sag das noch mal.«
Für den Dämonenengel war das hier ein Spiel. Für Sergen ging es um sein Leben. Wie immer.
»Bitte«, knurrte er schließlich, als der Tavith keine Anstalten machte, Sergen zu befreien.
Erwartete Kasimir eine Gegenleistung? Das konnte der sich abschminken. Jemanden um etwas zu bitten, stellte bereits Sergens persönlichen Tiefpunkt dieses Jahrtausends dar.
»Du erinnerst dich nicht mehr daran, warum ich dir etwas schulden könnte, oder?« Der Dämonenengel zog die Brauen zusammen, während er Sergens Gesicht musterte und seine Reaktion abwartete.
Sergen wüsste nicht, wann er jemals etwas für Kasimir getan hätte. Mal abgesehen von jemandem, der ihn einkleidete und therapierte, brauchte der Tavith auch keine Hilfe.
»Doch, natürlich«, log Sergen und durchforstete seinen Verstand nach all ihren Begegnungen.
Bevor er zu weit in die Vergangenheit reisen konnte, krachte er jedoch gegen seinen mentalen Damm, hinter dem sich eine Flutwelle an quälenden Erinnerungen verbarg, die nur darauf wartete, ihn unter sich zu begraben.
Oh nein, so weit würde er nicht zurückblicken.
Sergen und Kasimir waren beide besonders, und der Preis für Raritäten war hoch. Das würde Sergen niemals vergessen, aber er würde sich auch nicht daran erinnern.
Ich bin von adligem Blut und werde sie alle überdauern. Ich werde eines Tages zu meiner Familie zurückkehren und sie mit Stolz erfüllen. Unermüdlich erinnerte er sich daran, wer er wirklich war, um nicht daran denken zu müssen, für wen andere ihn gern gehalten hätten.
»Ah! Da ist er wieder!«, rief Kasimir. »Dieser trotzige Ausdruck in deinem Gesicht. Den hattest du auch vor all den Jahrtausenden schon, als wir uns das erste Mal trafen.«
»Ach, ist dem so?« Sergen ballte die Hände zu Fäusten und bemühte sich um Geduld.
Am liebsten würde er Kasimir anbrüllen, doch das wäre kontraproduktiv, denn der hielt schließlich den kleinen Schlüssel zu Sergens Ketten und damit auch zu seiner Freiheit in den Händen.
»Ja, ich erinnere mich nur an weniges davon, das kommt vermutlich von meiner Persönlichkeitsspaltung.« Bei dem Wort ›Persönlichkeitsspaltung‹ tippte Kasimir sich grinsend mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.
Na wunderbar, warum hatte ausgerechnet Kasimir seine schlimmsten Erinnerungen verloren und Sergen nicht?
Der Tavith zuckte nonchalant mit den Schultern. »Ich werde nie den Tag vergessen, an dem wir uns begegnet sind. Du hattest alles, was mir bis dahin unbekannt war – Familie, Wertschätzung, Liebe. Selbst ein Dämon wie du hatte so viel Gutes in seinem Leben und du hast es ständig herausgebrüllt und nie zu kämpfen aufgehört.« Kasimir stand Sergen auf Augenhöhe gegenüber und starrte ihn mit so intensivem Blick an, dass es Sergen all seine Selbstbeherrschung kostete, um nicht wegzuschauen. »Wegen dir hab ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas gefühlt: Irritation. Das war der Funke, den ich gebraucht hatte. Und dafür schulde ich dir etwas.«
Tja, was sagte man dazu? Offensichtlich war Sergens Leid zu Kasimirs Gunsten gewesen. Das erfreute ihn aus dem simplen Grund, dass er nun von dieser Entwicklung profitierte.
»Ich schätze mal … gern geschehen?« Sergen hob fragend die Augenbrauen an.
Sagte man das nicht, wenn man jemandem etwas Gutes getan hatte?
Kasimir fasste sich in einer dramatischen Geste an die Brust. »Da will ich ein Mal einem Arguinen mein Herz ausschütten und der ist so kalt zu mir.«
Arguine und kalt in einem Satz?
»Du bist ja so lustig«, brummte Sergen.
»Ich weiß. Ich bin der Hammer.« Der Tavith seufzte theatralisch. »Ich wünschte, ich würde mal jemandem begegnen, der so lustig, charmant und heiß ist wie ich.«
Der Dämonenengel schloss endlich die Metallfessel an Sergens rechtem Handgelenk auf, doch hielt dann in der Bewegung inne. Er drückte Sergen den Schlüssel in die Hand, ohne die Metallfessel vollständig geöffnet zu haben.
Viel zu laut fragte Kasimir ihn: »Oje, hab ich den gefürchteten Sergen Ashad etwa erzürnt?«
Das war wohl der Wink mit dem Zaunpfahl, dass sie nicht mehr allein waren oder es gleich nicht mehr sein würden.
Sergen ballte beide Hände zu Fäusten, damit es nicht auffiel, dass er in einer Hand den kleinen Schlüssel hielt, und funkelte Kasimir grimmig an. »Verpiss dich einfach.«
Im nächsten Moment nahm er einen leichten Windhauch wahr, bevor Lorcas sich in der Zellentür materialisierte. Er musste sich hierher teleportiert haben, um nach dem Rechten zu sehen.
Der blonde Krieger musterte Kasimir mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Was treibt ihr hier?« Lorcas’ gesamte Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich auf seinen Mitbewohner.
Kasimir zuckte mit den Schultern und ging an Lorcas vorbei aus der Zelle. Mit dem Daumen zeigte er über die Schulter auf Sergen. »Also mit dem treib ich es bestimmt nicht.«
Irgendwann bringe ich ihn noch um.
Lorcas knurrte irritiert. »Niemand geht mir so schnell so hart auf die Nerven wie du.«
Kasimir drehte sich zu Lorcas um, der ihm aus der Zelle folgte. »›Schnell und hart‹ ist ja auch mein Spezialgebiet.« Er wackelte mit den braunen Augenbrauen. »Ich bin immer für einen Quickie zu haben.«
Lorcas verschränkte die Arme vor der Brust. »Vielleicht sollte ich lieber dich hier anketten und Sergen mit nach oben zur Besprechung nehmen.« Leise grummelnd fügte er hinzu: »Der würde auf jeden Fall einen produktiveren Beitrag leisten als du, ist umgänglicher und antwortet eher auf direkte Fragen.«
Bevor Kasimir etwas erwidern konnte, lachte Sergen laut und zog die Aufmerksamkeit der beiden goldäugigen Männer auf sich. »Kein Grund, mir zu schmeicheln, Lorcas. Ich weiß, dass ich eine größere Bereicherung für eure Gemeinschaft wäre als Kasimir.« Er grinste den braunhaarigen Tavith an. »Jeder wäre das.«
Der von Narben gezeichnete Krieger zeigte immerhin die Andeutung eines Lächelns. »Und zack, da mag ich ihn mehr als dich«, meinte er zu seinem Mitbewohner.
Kasimir schnappte voller Empörung nach Luft. »Du liebst mich.«
Der vorlaute Tavith schloss die Zellentür hinter sich, während Lorcas auf sein Gesicht starrte und wohl zu ergründen versuchte, warum Kasimir wirklich hier gewesen war.
»Ich liebe dich so sehr wie die Narben auf meinem Körper«, murrte der blonde Krieger dann. »Ich würde sie, ohne zu zögern, gegen makellose Haut eintauschen, aber werde sie nicht los und habe mich daran gewöhnt, mit ihnen leben zu müssen.«
Die beiden Tavith entfernten sich von der Gefängniszelle.
»Autsch, das war ein Stich in mein nicht vorhandenes Herz.« Kasimir klang gänzlich unbekümmert.
Von einem Augenblick auf den nächsten waren beide Tavith verschwunden. Lorcas musste sie fortteleportiert haben.
Erleichtert atmete Sergen auf, doch fragte sich sofort, ob er die Tür würde öffnen können.
Wie er Kasimir einschätzte, hatte der die Tür nicht richtig verschlossen, wobei ihm Lorcas’ Verwirrung und dessen daraus folgende Unachtsamkeit in die Hände spielten.
Man durfte nicht den Fehler begehen, sich von Kasimirs Schauspiel ablenken zu lassen. Sergen hatte nie jemanden getroffen, der so aufmerksam war und sich zugleich so gleichgültig gegenüber all den Informationen zeigte, die er sammelte.
Bevor Sergen die Tür unter die Lupe nahm, müsste er sich erst mal von den Ketten befreien. Es war so viel Spannung auf der Kette an seinem rechten Arm, dass die Metallfessel nicht gleich aufgesprungen war, als Kasimir sie geöffnet hatte.
Sobald er sie mit ein wenig Rütteln aufbekäme, würde der Druck an der Metallfessel an seinem Hals erheblich zunehmen, denn seine Zehenspitzen berührten kaum den Boden, seine Arme trugen gerade fast sein gesamtes Gewicht.
Das wird unangenehm werden.
Auf diesen Moment vorbereitet, hielt er den Atem an und zerrte an der Metallfessel an seinem Handgelenk. Sie sprang auf und wie erwartet drückte ihm die Metallfessel am Hals die Luft ab.
Mit schnellen, präzisen Bewegungen manövrierte er den Schlüssel in das winzige Schlüsselloch. Kaum war damit die zweite Metallfessel geöffnet, sackte er mit einem Ruck in Richtung Boden. Da sein linker Arm noch gefesselt war, wurde ihm dabei die Schulter ausgekugelt.
Er biss die Zähne zusammen und erinnerte sich an sein Credo: Nalas’ad ousto Skel’ad. Solange man noch lebte, ließen sich jedes Leid und jeder Umstand beheben.
Geschickt löste er auch die Metallfessel an seinem linken Handgelenk und stand im nächsten Augenblick endlich mit beiden Füßen wieder auf dem Boden. Ab da war es ein Kinderspiel, die beiden letzten Ketten an seinen Knöcheln zu lösen, seine Schulter wieder einzurenken und durch die Tür zu spazieren, die dank Kasimir wie erhofft zwar geschlossen, doch nicht abgeschlossen war.
Oh, du süße Freiheit!
Beinahe hätte er vor Zufriedenheit gesummt. Aber was nun?
Es war an der Zeit, zu Leviathan in die Hölle zurückzukehren und die Strafe für sein Versagen in der letzten Schlacht über sich ergehen zu lassen. Anschließend könnte er mit seinem Plan fortfahren, sowohl sie als auch die drei anderen Dämonenfürsten weiter zu schwächen und schließlich zu töten, bis Leviathans Thron ihm allein gehören würde.
Gerade als er ansetzte, sich in die Hölle zu teleportieren, hielt er inne und überlegte.
Wenn er sich nun zurückbegeben würde, konnte er die Hölle nicht so problemlos wieder verlassen. Denn als Dämonenfürst mussten ihn Menschen beschwören, damit er in die obere Welt zurückkehren konnte. Also, hatte er an alles gedacht?
Ohne sein Zutun drifteten seine Gedanken zu der zierlichen Blondine mit den Sommersprossen, die vor ein paar Stunden bei ihm im Kerker gewesen war.
Er war stets davon ausgegangen, dass nur sechs Dämonenengel existierten, doch offenbar gab es nun einen Neuzugang, der seine Neugierde weckte.
War sie ausschließlich bei Werwölfen aufgewachsen, so wie es ihr Geruch verriet? Kannte sie ihre leiblichen Eltern? Wie viel wusste sie über Unsterbliche und ihre gefährliche Welt? Und vor allem, welche Fähigkeiten entwickelten sich nun bei ihr, da sie in die Unsterblichkeit hineinwuchs?
Wenn er an ihre Begegnung dachte, stellten sich ihm jedoch nicht nur Fragen, sondern ihm schossen auch Eindrücke durch den Kopf, die eigentlich irrelevant sein sollten, aber ihn trotzdem beschäftigten.
Im Fackellicht des Kerkers hatten ihre schulterlangen Haare in den schönsten Goldtönen geschimmert und obwohl sie so klein war, besaß sie eine Ausstrahlung, die sie größer erscheinen ließ und dafür sorgte, dass er seinen Blick nicht von ihr hatte abwenden können.
Womöglich fand er sie … begehrenswert.
Das war befremdlich für ihn, denn Frauen und Sex standen so weit unten auf seiner Interessen-Liste, dass er sie streichen könnte. Trotzdem war es ihm auch nicht möglich, zu ignorieren, dass sie ihm durch die Gedanken geisterte.
Damit fasste er den Entschluss, was er mitnehmen würde: jede Menge Schokolade und die kleine Blondine mit den Sommersprossen.
Offensichtlich stand er auf Süßes.
Rasch teleportierte er sich in seine Holzhütte, die er schon seit Jahrhunderten besaß und immer mal bei Gelegenheit etwas renovierte. Sie lag auf seiner eigenen kleinen Insel im Schärenmeer vor der Küste Finnlands. Das kühle Klima hier empfand er als angenehm, die vielen Bäume um seine Hütte herum bargen Schutz vor der rauen Witterung, und das Meer war ideal für eine Abkühlung. Viele Menschen gab es hier nicht und da die Insel nur mit dem Boot oder per Teleportation erreichbar war, störte ihn auch niemand. Es war perfekt.
Er materialisierte sich in der Küche, griff sich einen Leinenbeutel und warf mehrere Tafeln Schokolade, Müsliriegel, eine Packung Kakao und Schokomuffins hinein. In der Hölle ohne diese Leckereien festzusitzen, war die reinste Folter und er hatte immer noch keine Importroute hergestellt. Das musste er unbedingt in Angriff nehmen, während er sich den Thron eines Kronprinzen der Hölle erkämpfte.
Halbwegs zufrieden teleportierte er sich anschließend auf einen Felsvorsprung, der an Majandras Himmelsschloss hervorragte, in dem er bis eben noch gefangen gehalten worden war.
Wie immer beim Teleportieren bewegte er sich entlang einer Energielinie, von denen es unzählbar viele auf der Welt gab. Doch für ihn als Dämon war es nicht ganz so einfach, denn seine Bindung an die Unterwelt war stark und zerrte unentwegt an ihm wie ein dunkler Schatten, der versuchte, ihn in die Tiefe zu ziehen.
Kalter Abendwind schlug ihm jetzt ins Gesicht, während er einen Plan schmiedete.
Er würde sich die kleine Blondine holen und sie mit in die Unterwelt nehmen, auch wenn er noch nicht wusste, was er eigentlich mit ihr vorhatte. Es war viel eher eine instinktive Entscheidung und er war alt genug, um zu wissen, dass er auf seinen Instinkt vertrauen sollte. Er würde sie also vorerst mitnehmen. Wenn er herausgefunden hatte, was sein Instinkt ihm mitteilen wollte, könnte er sie immer noch zurückbringen lassen.
Zum Glück hatte er eine grobe Vorstellung davon, wie das Himmelsschloss unterteilt war, denn er informierte sich gut über jene, mit denen er in Kontakt trat.
Jeder Tavith besaß seinen eigenen Korridor und wenn Sergen sich recht entsann, müsste die Morgha den linken Korridor auf der zweiten Etage erhalten haben, der zuvor noch frei gewesen war. Wenn er sich nun dorthin begab und sich niemand da aufhielt, barg es immerhin den Vorteil, dass er auch mit großer Wahrscheinlichkeit niemandem begegnen würde.
Er teleportierte sich in ihre Räumlichkeiten, binnen eines Atemzugs stand er in einer hellen, gemütlichen Bibliothek. Den Titeln der Werke nach zu urteilen, enthielt der Großteil der Bücher Sachwissen über Unsterbliche, ihre Entstehung, Geschichte, Traditionen und Glaubensrichtungen. Die Tavith wusste also schon über vieles Bescheid, selbst wenn sie nur ein paar der Bücher gelesen hatte.
Er folgte den nahe liegenden Geräuschen durch eine breite Doppeltür in ein ebenfalls gemütliches Schlafgemach. Im Zentrum stand ein schlichtes Himmelbett und auf dem Boden lag ein cremefarbener, plüschiger Teppich, über den er voranschritt, bis er vor einer weiteren Zimmertür zum Halten kam.
Aus dem Inneren des Raums war das Geräusch von jemandem zu hören, der sich die Zähne putzte.
Um auf Nummer sicher zu gehen, dass er sich wirklich der zierlichen Blonden näherte, trat er wieder in die Geisterwelt über, die es ihm auch ermöglichte, sich zu teleportieren. Immateriell, wie er nun war, betrat er den Raum und blieb wie angewurzelt stehen, als er vor sich ihr Spiegelbild erblickte.
Sie besaß wunderschöne bernsteinfarbene Augen, erkannte er nun in dem hellen Licht der Deckenlampe. Ihre Haut strahlte in einem rosigen Ton, und ihre anmutigen Gesichtszüge wirkten durch die goldenen Haarsträhnen, die ihr Gesicht umrahmten, noch vornehmer als zuvor. Ohnehin erschien sie durch ihr kühles Auftreten und ihre Wortgewandtheit majestätisch.
Er runzelte die Stirn.
Heilige Scheiße, hatte er das gerade tatsächlich gedacht? Das war nicht nur ungewöhnlich, sondern eigenartig. Und er war nicht so dumm, Besonderheiten zu ignorieren. Warum zur Hölle verhielt er sich so?
Er musterte sie eingehend, betrachtete ihre erschöpften Bewegungen und ihre zierliche und dennoch weibliche Figur. Es ließ ihn nicht ganz so kalt, wie er es gewohnt war.
Beinahe verspürte er schon den Drang, ihr mit einem Schubs in Richtung Bett zu sagen, dass sie eine ordentliche Portion Schlaf nötig hatte, um nicht mit Augenringen in die Unsterblichkeit hineinzuwachsen.
Beinahe. Aber es wäre absurd, wenn er so etwas wie Fürsorge empfände. Oder?
Oh nein …
Eine Erkenntnis schoss wie ein Blitz durch seinen Verstand und hinterließ einen Pfad des Chaos.
Wenn er sie als etwas Besonderes empfand, dann wäre es möglich, dass sie seine Saj’isa war. Allerdings wäre es für ihn eine Katastrophe, seine Seelenverwandte gefunden zu haben.
Er würde sie töten müssen. Täte er es nicht, könnte sie sich entweder trotz ihrer Verbindung gegen ihn stellen und damit jede Menge Schaden anrichten, was seine Zukunftspläne betraf, oder noch schlimmer: Sie könnte ihn mögen und vermutlich als Einzige dafür sorgen, dass er auch sie mochte, und dann wäre jeder in der Lage, sie als seine Schwachstelle gegen ihn zu verwenden.
Dass sie sich seit dem heutigen Treffen aus dem Weg gingen, war ausgeschlossen. Das Schicksal brachte zwei Seelenverwandte nicht zusammen und ließ sie anschließend wieder getrennte Wege gehen.
Cuesh!, fluchte er auf Dämonisch. Scheiße!
Nach all den Jahrtausenden der harten Arbeit durfte er nicht zulassen, dass sie seine Pläne durchkreuzte. Doch er vermochte es auch nicht, sie ohne schwerwiegende Konsequenzen zu töten, denn das würde ihm einen Konflikt mit den Tavith und vor allem mit Kendric einbrocken.
Er würde also zunächst herausfinden müssen, was genau die Süße für ihn war, und wenn er sich irrte und es sich nicht um seine Saj’isa handelte, würde er sie einfach wieder zurückbringen.
Traf der andere Fall ein, würde er sich etwas überlegen müssen, um sie loszuwerden. Vielleicht einen tödlichen Unfall oder dergleichen.
Um nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, in der seine Abwesenheit im Kerker bemerkt werden könnte, trat er nun hinter der Blonden aus der Geisterwelt hervor, sodass sie ihn im Spiegel sah.
Zu seiner Überraschung schrie sie nicht oder erstarrte oder rannte sogar panisch weg. Sie hatte sich eben noch den Mund abgetupft, ehe sich ihr gesamter Körper in dem Moment anspannte, als er zum Vorschein kam.
Ohne zu zögern, ergriff sie den Dolch an ihrem Gürtel und drehte sich mit einer fließenden Bewegung herum, die Waffe auf ihn gerichtet.
Ein wenig beeindruckt war er schon von den guten Reflexen und ihrer schnellen Auffassungsgabe. Offensichtlich hatte sie es als angeblicher Mensch in dem Werwolfrudel nicht so leicht gehabt, wie er zunächst angenommen hatte.
Er lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. »Bevor ich es schließlich in der Hitze des Gefechts vergesse – wie lautet dein Name?«
Sergen
Er las an ihrem herumhuschenden Blick ab, dass sie verunsichert war.
Natürlich. Wer wäre das in seiner Gegenwart nicht?
Als sie antwortete, klang sie jedoch alles andere als unsicher. »Ich heiße Céline. Und Ihr seid Sergen Ashad, ein Dämonenfürst, der Leviathan dient, einer Kronprinzessin der Hölle.«
Ihre Erwiderung stellte ihn zufrieden, denn bei all den Büchern, die sie womöglich gelesen hatte, sollte sie nicht nur seinen Namen kennen, sondern auch etwas über die Höllenhierarchie wissen.
Céline also. Die Himmlische.
Der Name passte zu ihr, da ihre Ausstrahlung und Haltung ihn an einen Kriegerengel erinnerten.
Dass ihn dieser Umstand als Dämon nicht anwiderte, erstaunte ihn. Dies sprach dann wohl leider für seine Theorie, dass sie seine Saj’isa war.
Nie zuvor hatte er sich Gedanken darüber gemacht, ihr zu begegnen. Warum sollte er auch? Seelenverwandte fanden sich so selten, dass es als ein Märchen abgetan wurde. Dass seine vom Schicksal Auserwählte eine Schwachstelle darstellte, lag auf der Hand. Nur hatte er ihre Existenz nicht für möglich gehalten und daher nicht nach ihr gesucht.
Er war schrecklich naiv gewesen, das musste er einsehen und das ärgerte ihn.
»Nun denn, Céline, du wirst mit mir kommen.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, lachte sie freudlos.
»Ganz bestimmt nicht.« Sie hielt den Dolch noch ein wenig höher, sodass sich dieser auf einer Höhe mit Sergens Herzen befand. »Ich meinte, was ich im Kerker zu Euch sagte. Entweder habt Ihr die Absicht, mich zu töten, oder Ihr plant ein, Euch eine ewige Feindin zu machen, solltet Ihr mir etwas antun und mich anschließend leben lassen.«