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Seit mexikanische Truppen unter dem Kommando des Generals Martin Perfecto de Cos in Texas einmarschiert sind, hat sich die Situation zugespitzt. Als ein Versorgungsschiff am 3. Juni 1835 in den Hafen von Copano einläuft, kapert ein Trupp Texas Rangers unter Führung von Captain Burton das Schiff. In der Nähe von San Antonio de Béxar weiten sich einige Monate später die Konflikte zwischen den Soldaten und den texanischen Siedlern aus. Die Zeichen stehen auf Krieg. Die Kolonie Texas will sich nicht länger von Mexiko bevormunden lassen. Ein Kampf mit der mexikanischen Armee ist unausweichlich.
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Seitenzahl: 236
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In dieser Reihe bisher erschienen
4701 Alfred Wallon Tod am Rio Blanco
4702 Alfred Wallon Canoma muss sterben
4703 Alfred Wallon Die erste Rebellion
4704 Alfred Wallon Kampf ohne Gnade
4705 Alfred Wallon Die Helden von Alamo
4706 Alfred Wallon Vergeltung für Alamo
4707 Alfred Wallon Überfall auf Parkers Fort
4708 Alfred Wallon Gefahr am Little River
4709 Alfred Wallon Rinder für Texas
4710 Alfred Wallon Das Fort am Colorado River
4711 Alfred Wallon Entscheidung am Elm Creek
4712 Alfred Wallon Hinterhalt am Trinity River
4713 Alfred Wallon Der Commanchen-Jäger
4714 Alfred Wallon Der Ritt nach Laredo
4715 Alfred Wallon Blutiger Sommer (Frühjahr’25)
4716 Alfred Wallon Tödlicher Herbst (Frühjahr’25)
TEXAS RANGER
BUCH 3
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Copyright © 2022 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Redaktion: Alfred Wallon
Logo: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
www.Blitz-Verlag.de
ISBN: 978-3-95719-363-6
4703 vom 11.08.2024
Prolog
Eine riskante Aktion
Ausgetrickst
Auf dem Weg nach Gonzales
Der Aufstand
Der Kampf um Goliad
Vorboten der Gewalt
Gnadenlose Gegner
Der Hinterhalt
Pferdediebe
Historische Anmerkungen zum vorliegenden Roman
Über den Autor
Gegenwart
20. September 1835
Mittags gegen 12:00 Uhr
Sam Sheridan blickte aus dem Fenster der Cantina und bemerkte die aufgeregten Rufe der Menschen auf den Straßen. Gleichzeitig hörte er Hufschläge, die von unterhalb der Straße kamen. Der blonde Texas Ranger erkannte einen Reitertrupp. Sheridan zählte zehn Männer, die nach Gonzales kamen und ihre Pferde auf der gegenüberliegenden Straßenseite zügelten.
„Wird da jemand gefeiert?“, fragte Sheridan und drehte sich zu Major William Oldham um, der mit drei anderen Rangern an der Theke stand.
„Keine Ahnung“, antwortete Oldham. „Aber wir sollten uns das mal ansehen. Vielleicht ist ja in der Zwischenzeit etwas geschehen, von dem wir noch nichts wissen. Würde mich aber auch nicht wundern.“
Sheridan seufzte bei diesen Worten. Seit der feigen Ermordung des Caddo-Häuptlings Canoma, dessen Sohn und weiteren Vertrauten waren gut drei Monate vergangen, und dies hatte zu weiteren Konflikten zwischen den texanischen Siedlern und einigen Indianerstämmen geführt. Die Caddo-Indianer hatten blutige Rache für die Ermordung ihres Häuptlings geschworen und sich nun mit den Tonkawa verbündet. Die erste Aktion hatte ihren traurigen Höhepunkt darin gefunden, als ein Trupp -Freiwilliger in eine Falle gelockt worden war. Die Caddo und Tonkawa hatten sie alle getötet, unter ihnen auch einen Mann namens Mitch Delaney, der an der Ermordung Canomas beteiligt gewesen war.
Er folgte Major Oldham und dessen Männern hinaus auf die Straße, wo die Neuankömmlinge mindestens so begeistert in Empfang genommen wurden wie Stephen Austin nach seiner Entlassung aus der mexikanischen Gefangenschaft.
„Das ist ja Captain Burton!“, rief Oldham sichtlich überrascht. „Mit dem hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.“ Während die letzten Worte über seine Lippen kamen, zeichnete sich ein Grinsen auf seinen bärtigen Gesichtszügen ab. Er hob die rechte Hand und winkte zu den Männern hinüber, die bereits abgesessen waren. Einer von ihnen schaute in Oldhams Richtung und schien den Major jetzt erkannt zu haben.
„Wer ist das, Major?“, fragte Sheridan. „Sie kennen ihn gut, oder?“
„Wir sind alte Freunde, auch wenn wir uns schon ein knappes Jahr nicht mehr gesehen haben“, lautete -Oldhams Antwort. „Sagt Ihnen der Name Burton nichts? Haben Sie noch niemals von ihm und seinen Horse -Marines gehört?“
Sheridan grübelte einen kurzen Moment nach. Dann wusste er, worauf Oldham hinauswollte.
„Captain Isaac Watts Burton?“, fragte er noch einmal nach. „Der Mann, der drei mexikanische Schiffe gekapert hat?“
„Genau der“, bestätigte ihm Oldham. „Dass er nach Gonzales gekommen ist, muss etwas zu bedeuten haben. Nun, ich denke, wir werden das gleich erfahren. He, Isaac!“, rief er dem näher kommenden Texas-Ranger-Captain zu. „Was treibt dich denn nach Gonzales? Hier gibt es doch gar keine Schiffe!“
Sheridan wusste, worauf Oldham hinauswollte. Er hatte von dieser tollkühnen Aktion natürlich auch gehört, war aber dem Mann, der diesen riskanten Job damals durchgeführt hatte, noch nie persönlich begegnet. Nun, dazu würde sich bestimmt gleich eine Gelegenheit ergeben. Aber zunächst begrüßten sich Oldham und Burton wirklich wie zwei Freunde, die sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten. Sie umarmten sich gegen-seitig, schlugen sich auf die Schultern und konnten diese Freude kaum verbergen.
„Ist das Bier da drin gut?“, fragte Burton und schaute auch kurz zu Sheridan. „Oder sollten wir lieber Tequila trinken, mein Freund?“
„Am besten probieren wir beides aus“, schlug ihm Oldham schmunzelnd vor. „Einige meiner Leute kennst du ja vielleicht noch. Aber vermutlich diesen Mann hier noch nicht. Isaac, das hier ist Sam -Sheridan. Er ist noch nicht lange in Texas, aber man kann auf ihn zählen.“
„Das klingt gut“, meinte Burton, ging direkt auf -Sheridan zu und streckte die rechte Hand zum Gruß aus. Sheridan ergriff sie und erwiderte den festen Händedruck mit einem freundlichen Lächeln.
„Ich habe von Ihrer Aktion in der Bucht von Copano schon einiges gehört, Captain“, sagte er zu ihm. „Das muss ja wirklich ein Himmelfahrtskommando gewesen sein.“
„Wenn ich ehrlich bin, Mister Sheridan: Ich hatte gar keine Zeit, darüber lang und breit nachzudenken. Meine Männer und ich hatten einen Job zu erledigen, und das haben wir auch gemacht. Ohne Blutvergießen, das war mir besonders wichtig. Wissen Sie was?“, schlug er jetzt vor. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie noch nicht alles wissen. Ich lade Sie und die anderen Männer zu einem Drink ein. Was halten Sie davon?“
„Da sage ich natürlich nicht nein“, antwortete -Sheridan, dem die gewählte Ausdrucksweise Burtons sofort aufgefallen war.
„Und das gilt erst recht für mich und alle anderen“, fügte Oldham hinzu. „Und wie es der Zufall will, spüre ich gerade, dass sich meine Kehle verdammt trocken anfühlt. Das müssen wir dringend ändern.“
„Worauf warten wir dann noch?“, fügte Burton hinzu. „Gehen wir rein und trinken was zusammen. Und hinterher reden wir dann in Ruhe über die neuesten Entwicklungen.“
Oldham runzelte die Stirn, als er das hörte.
„Wenn du das sagst, dann klingt das irgendwie nach Verdruss“, meinte er. „Ist doch so, oder?“
„Lass uns erst mal reingehen und was trinken“, antwortete Burton. „Bei einem Glas Bier oder einem Tequila redet es sich leichter.“
Burton ging voraus, Oldham folgte ihm, und Sheridan schloss sich den beiden mit den anderen Männern an. Auch Burtons Männer betraten jetzt die Cantina und ließen sich an den Tischen nieder.
„Wollen Sie wissen, was in der Bucht von Copano geschehen ist, Mister Sheridan?“, wandte sich Burton an den blonden Mann, der erst seit Kurzem bei den Texas Rangern war. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie neugierig sind.“
„Es wird viel von dieser Aktion erzählt“, meinte Sheridan. „Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
„Aber nein“, sagte Burton und wartete ab, bis man ihm ein Glas Bier gebracht hatte. Er hob es hoch, nahm einen Schluck und schien zufrieden zu sein. So sehr, dass er gleich noch einen weiteren Schluck trank und dann -Sheridan, Oldham und dessen Leute anschaute. Seine eigenen Männer hörten nicht hin, denn sie waren ja selbst mit dabei gewesen.
„Also, das war so ...“, begann Burton schließlich und gab dem Keeper hinter der Theke ein Zeichen, ihm ein zweites Glas zu bringen. „Wir hatten klare Order, das Frachtschiff zu kapern, und zwar so schnell wie möglich. Und wir hatten mehr Glück, als wir jemals vermutet hätten.“ Dann erzählte er Sheridan, Oldham und dessen Leuten, was damals passiert war.
Vergangenheit
2. Juni 1835
In der Nähe der Bucht von Copano
Kurz nach Mitternacht
Ein wissendes Lächeln zeichnete sich in den Gesichtszügen von Captain Isaac Watts Burton ab, während er das Fernrohr absetzte und zu den Lambert-Brüdern schaute.
„Sie hatten recht“, sagte er und reichte das Fernrohr an Nicholas Lambert, den ältesten der beiden Brüder. „Ich denke, wir sollten noch in dieser Nacht handeln, bevor die Ladung des Schiffes gelöscht wird. Wahrscheinlich wird am kommenden Morgen die mexikanische Armee anrücken, um alles in Empfang zu nehmen. Bis dahin müssen wir die Aktion hinter uns gebracht haben.“
„Auf unsere Hilfe können Sie jederzeit zählen, -Captain“, versicherte ihm Walter Lambert, während sein Bruder immer noch das Schiff in der Bucht beobachtete. Es war die WATCHMAN, ein mexikanischer Frachter, der Waffen, Ausrüstungsgegenstände und auch Vorräte für die Soldaten des Generals Martin Perfecto des Cos an Bord hatte.
„Ich denke, den Job erledigen meine Männer und ich schon, Mister Lambert“, antwortete Burton und wies mit dem Daumen hinter sich, wo sich dreißig weitere Texas Ranger in den Hügeln hinter der Bucht postiert hatten und nur noch auf einen geeigneten Zeitpunkt -warteten, um die geplante Aktion durchzuführen. „Ich danke Ihnen und Ihrem Bruder, dass Sie uns rechtzeitig über die Ankunft des Schiffes informiert haben. Ohne Sie beide wären wir vermutlich nicht rechtzeitig vor Ort gewesen. Wir sind seit einer knappen Woche unterwegs mit unserer Truppe“, fuhr Burton fort und strich sich dabei über den grauen Vollbart. „Es war klar, dass wir irgendwann heraus-finden werden, was die Mexikaner planen. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass dieser verfluchte Santa Anna seine Absichten so offen umsetzt. Er hat -Stephen Austin getäuscht und ihm alles Mögliche versprochen. Jetzt zeigt dieser Hundesohn sein wahres Gesicht. Aber wir werden ihm zeigen, dass er mit uns Texanern so etwas nicht machen kann.“
„Es sieht wohl alles nach Krieg aus“, meinte Nicholas Lambert, nachdem er dem Captain dessen Fernrohr wieder zurückgegeben hatte. „Spätestens im nächsten Jahr, oder?“
„Wenn das überhaupt noch so lange dauert“, fügte Burton seufzend hinzu. „Sie haben ja alle mitbekommen, was in der Zwischenzeit geschehen ist. General de Cos und seine Leute führen sich auf, als wären sie die neuen Herren des Landes. Sie gehen offen gegen die Siedler vor und nehmen auch Tote in Kauf. Das ist nicht das, was Santa Anna Stephen Austin versprochen hat, als die ersten Siedler in die neue Kolonie Texas kamen.“
„Aber es war wohl absehbar, dass Santa Anna einen solchen Zustrom, wie er in den letzten Wochen und Monaten stattgefunden hat, nicht dulden wird“, meinte Walter Lambert. „Es war genau die richtige Entscheidung, einen Freiwilligentrupp aufzustellen, und ich bin stolz darauf, dazuzugehören, Sir.“
Die letzten Worte hatte er fast mit feierlicher Stimme gesprochen. Er war stolz darauf, ein Teil der Truppe zu sein, die sich selbst den Namen Texas Ranger gegeben hatte. Eigentlich waren diese Trupps von Freiwilligen aufgestellt worden, um etwas gegen die stetig wachsenden Indianerunruhen zu unternehmen. Aber mittlerweile waren die texanischen Siedler durch den Vormarsch der mexikanischen Truppen zwischen zwei Mühlsteine geraten und mussten gegen zwei Feinde kämpfen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Jedoch hatten sie eins gemeinsam: Sie wollten den Untergang der Kolonie Texas. Die Mexikaner sahen darin eine Bedrohung ihrer politischen Hoheit, und für die Indianerstämme ging es schlichtweg darum, dass man ihnen das Land wegnahm und sie immer weiter zurücktrieb.
„Wie ich gehört habe, bestehen konkrete Pläne, ein Ranger-Bataillon aufzustellen, Mister Lambert“, sagte Burton. „Wahrscheinlich noch in diesem Herbst. Auf diese Weise sind wir noch schlagkräftiger, wenn die Kolonie auch offiziell diese Trupps ausrüstet und bezahlt. Wie eine eigene Armee, nur ohne Uniform.“
„Das wäre sehr vernünftig“, stimmte nun auch -Nicholas Lambert zu. „Mein Bruder und sind auf jeden Fall mit dabei.“
„Das werden andere Leute entscheiden“, meinte -Burton. „Und bis dahin gibt es noch jede Menge zu tun. Stehen die vier Boote bereit, von denen Sie gesprochen haben?“
„Natürlich, Sir“, versicherte ihm Walter Lambert mit einem eifrigen Nicken. „Sie können jederzeit loslegen.“
„Das werden wir auch tun“, fügte Captain Burton mit einem grimmigen Lächeln hinzu. „Dann wollen wir erst einmal unser Bestes tun, um die Besatzung der -WATCHMAN ein wenig zu verunsichern. Sie beide halten sich jetzt im Hintergrund und überlassen alles andere mir und meinen Leuten. Ist das klar?“
Man konnte den beiden Brüdern ansehen, dass sie nicht gerade glücklich darüber waren, die geplante Aktion nur als Zuschauer zu verfolgen. Aber die Rollen waren von Anfang an klar verteilt gewesen: Nicholas und Walter Lambert hatten die Aufgabe gehabt, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, und genau das hatten sie auch getan. Den Rest würden Captain Burton und seine Ranger erledigen.
Es war eine wolkenlose Vollmondnacht. Das silberne Licht des Mondes spiegelte sich auf den Wellen der Bucht von Copano und ließ die in den Hügeln verborgenen Männer alles gut erkennen. Es war ein friedliches, fast schon idyllisches Bild, das sich Burton und seinen Rangern bot.
„Beobachten Sie die Lage weiter!“, befahl Burton den beiden Männern und wandte sich dann rasch ab, um zurück zu seinen Männern zu gehen, die schon ungeduldig darauf warteten, welche Neuigkeiten er ihnen überbrachte.
Nolan Morris war einer der Ersten, die ihre Deckung verließen und auf Captain Burton zukamen. Morris war ein breitschultriger Mann, der bis vor einem Jahr am Colorado River noch eine kleine Farm besessen und bewirtschaftet hatte. Er hatte sich schon öfters mit marodierenden Kriegerbanden verschiedener Stämme herumschlagen müssen, aber er hatte sie letztendlich immer vertreiben können. Gegen die Soldaten des Generals de Cos hatte er jedoch den Kürzeren ziehen müssen. Während seine Farm von den mexikanischen Soldaten in Brand gesteckt worden war, hatte er gerade noch entkommen können. Seit diesem Zeitpunkt verfolgte ihn ein unbändiger Hass auf die Mexikaner, und ihm war fast jedes Mittel recht, um diese längst fällige Rechnung irgendwann begleichen zu können. Heute Nacht war dieser Zeitpunkt gekommen!
„Alles ruhig“, sagte Captain Burton zu ihm. „Sind Sie bereit, Mister Morris?“
„Worauf Sie sich verlassen können, Captain“, sagte Morris. Er präsentierte sich stolz in einer mexikanischen Uniform, die Burton und seine Leute vor einigen Tagen organisiert hatten. Von Weitem, und somit ganz sicher ebenfalls von Bord des Frachters WATCHMAN, würde man ihn ohne Zweifel für einen mexikanischen Soldaten halten. Und genau darauf kam es auch an, wenn Captain Burtons Plan auch funktionieren sollte.
„Gut, dann legen Sie los, Mister Morris“, sagte -Burton zu ihm. „Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es klappt.“
„Das hoffe ich auch“, meinte Morris. „Fisher und Bodeen, ihr kommt mit!“, rief er zwei anderen Rangern zu. „Aber haltet euch etwas im Hintergrund. Man soll euch nur ganz undeutlich sehen.“
Einer der beiden Ranger, es war Jed Bodeen, hatte zwei Flaggen in den Nationalfarben von Mexiko bei sich, die die Männer ebenfalls vorher organisiert hatten. Zu einem guten Plan gehörte auch immer eine gute Logistik. Das war einer von Burtons Grundsätzen, und die bisherige Praxis hatte ihn gelehrt, wie wichtig das war.
Morris trat nun einige Schritte nach vorn. Fisher und Bodeen bleiben bei den Büschen stehen, während Morris beide Arme ausstreckte und dann mit den beiden Flaggen versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Das Licht des Mondes sorgte dafür, dass man ihn vom Schiff eigentlich sehen musste.
Burton wurde ein wenig nervös, als er von seiner Deckung aus sah, wie sehr sich Morris abmühte, aber trotzdem immer noch nichts geschah. Hatten die denn gar keine Posten während der Nacht aufgestellt? Das konnte doch eigentlich gar nicht sein, denn ein Schiff wie die WATCHMAN, das solch eine wichtige Ladung transportierte, durfte man doch nicht unbewacht lassen!
„Es tut sich was, Captain!“, rief Morris auf einmal. „Die Dinge geraten in Bewegung!“
„Machen Sie weiter, Mister Morris“, forderte Burton den Ranger auf.
„Aber sicher doch, Sir“, meinte Morris und fuhr in seinen Bewegungen fort. Nur wenige Minuten später geschah dann das, worauf der Captain und seine Männer gehofft hatten, und Morris war der Erste, der es bemerkte.
„Sie lassen ein Boot zu Wasser, Captain“, berichtete Morris mit unverhohlenem Triumph in der Stimme. „Wahrscheinlich wollen sie herausfinden, was das alles zu bedeuten hat.“
„Gut so“, sagte Burton. „Machen Sie einfach weiter. Wir kümmern uns um die Leute, sobald sie mit dem Boot an Land gekommen sind.“
„Da wäre ich liebend gerne mit dabei, Sir“, sagte -Morris mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme.
„Sie haben hier eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen“, wies ihn Burton nochmals darauf hin. „Wenn das Boot den Strand erreicht hat, kommen Sie nach. Keine Sorge, wir werden Sie brauchen bei dem, was in dieser Nacht noch geschieht.“
„Danke, Sir“, meinte Morris und fuhr mit kreisenden Armbewegungen fort, beide Flaggen zu schwingen. -Morris hatte keinerlei Ahnung von bestimmten Flaggensignalen, aber es hatte zumindest ausgereicht, um die Männer an Bord der WATCHMAN so stark zu verunsichern, dass sie jetzt beschlossen hatten, nach dem Rechten zu sehen. Genau das hatte er sich erhofft, und nun wurde seine Vorfreude noch größer, als er sah, wie eine Gruppe von fünf Männern ins zu Wasser gelassene Boot stieg und dann in Richtung Strand ruderte.
Morris beobachtete, dass einer der Männer keine Anstalten machte, nach den Rudern zu greifen. Stattdessen rief er seinen Männern etwas zu und -gestikulierte dabei wild mit der rechten Hand. Das musste wohl der Kapitän der WATCHMAN sein. Also hatte er sich gleich dazu entschlossen, mit an Land zu kommen, um sich höchstpersönlich davon zu überzeugen, warum der mexikanische Soldat da oben auf dem Hügel auf einmal versucht hatte, mit den Flaggen irgendwelche Signale zu übermitteln.
* * *
Kapitän Jorge Munoz blickte argwöhnisch hinauf zu der Stelle, wo der Soldat stand. Er runzelte die Stirn, weil er nicht genau erkennen konnte, was der Soldat eigentlich signalisieren wollte.
„Ausgerechnet so ein Hohlkopf kann noch nicht einmal richtige Nachrichten übermitteln“, murmelte er vor sich hin. „Dem werde ich ordentlich die Leviten lesen.“ Und zu seinen Ruderern im Boot sagte er deutlich lauter: „Beeilt euch, verdammt noch mal, ihr faulen Hunde!“
Seine Laune war alles andere als gut, weil ihn der Decksmaat zu dieser späten Stunde aus seinem Schlaf gerissen und den Vorfall gemeldet hatte. Zuerst hatte ihn Kapitän Munoz angeschnauzt, was ihm denn überhaupt einfiele, ihn zu dieser unchristlichen Stunde zu wecken. Aber als er dann den Grund erfahren hatte, zog er es vor, sich höchstpersönlich um die Sache zu kümmern und, wenn irgendwie möglich, zu einem schnellen und sicheren Abschluss zu bringen.
Kapitän Munoz war sich seiner Verantwortung durchaus bewusst, denn von dieser Aktion durfte niemand etwas erfahren. Vor allen Dingen nicht die texanischen Siedler, die im Moment jede Menge Ärger mit General de Cos und dessen Soldaten hatten und sich sogar schon einige Kämpfe mit ihnen geliefert hatten.
Wenn die wüssten, dass wir die mexikanischen Truppen mit unserer Ladung unterstützen, dann würden sie uns die Hölle heißmachen, dachte Munoz, während sich das Boot mit seinen Männern langsam dem Strand näherte. Nach wie vor war alles still. Nichts wies darauf hin, dass es irgendwelche Probleme geben würde. Und wenn doch, dann würde ihn der Soldat davon sicher in Kenntnis setzen.
Während er das dachte, schaute er hinauf zu dem Hügel, wo der mexikanische Soldat eben noch gestanden hatte. Aber Munoz konnte ihn jetzt nicht mehr erkennen. Ob das etwas zu bedeuten hatte? Dann redete er sich aber ein, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab, und wartete auf den Moment, in dem das Boot endlich den Strand erreichte.
„Folgt mir!“, rief Munoz seinen Leuten zu. Dann sah er plötzlich zwischen den Büschen den Soldaten in der Uniform. Er winkte Munoz und seinen Leuten ebenfalls nervös zu. Dann machte er wieder kehrt, bevor ihn der Kapitän stoppen konnte.
„Was für ein Narr ist das denn?“, seufzte er und ging nun als Erster los, um den Soldaten noch einzuholen. Seine Männer folgten ihm zu den Büschen, und nur wenige Sekunden später erlebten sie eine unangenehme Überraschung. Denn aus den Büschen traten bewaffnete Männer hervor!
* * *
„Buenas Noches“, sagte Captain Burton mit einem Grinsen, das jedoch seine Augen nicht erreichte. „Nehmen Sie die Hände hoch, aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!“
„Also das ist doch ...“, sagte Munoz, weil er angesichts dieser überraschenden Kehrtwende völlig überfordert war. „Was soll dieser Unsinn?“
„Dieser Unsinn ist eine Vorsichtsmaßnahme“, fiel ihm Burton ins Wort. „Sind Sie der Kapitän dieses Schiffes?“
„Si“, sagte dieser wütend. „Ich bin Kapitän Jorge Munoz. Nehmen Sie sofort die Waffen runter, sonst werde ich diesen Vorfall General de Cos persönlich melden!“
„Das sollen Sie sogar, Kapitän Munoz“, lautete Burtons Antwort. „Aber den Zeitpunkt dafür bestimmen nicht Sie, sondern ich und meine Männer. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?“ Mit seiner Pistole zielte er wie zufällig auf den Bauch des Kapitäns. „Ich möchte noch erwähnen, dass meine Leute den ausdrücklichen Befehl haben, jeden sofort niederzuschießen, der jetzt nicht gehorcht.“
Die Blicke der anderen Texas Ranger verhießen nichts Gutes. Zweifelsohne würden die Männer schießen, aber nicht um jeden Preis. Burton hoffte, dass der Kapitän und seine Männer den Ernst der Lage erkannt hatten, sodass es nicht nötig war, Gewalt anzuwenden. Offensichtlich reichte diese Drohung aus, die Männer so weit einzuschüchtern, dass sie sich widerstandslos gefangen nehmen ließen.
„Sie sind verrückt!“, konnte Kapitän Munoz dennoch seine Wut nicht unterdrücken. „Was glauben Sie, was Ihnen blüht, wenn die Soldaten Sie erwischen? Man wird keine großen Fragen stellen, sondern Sie standrechtlich erschießen, weil ...“
„Schweigen Sie!“, fiel ihm Burton ins Wort. „Wir wissen genau, was wir tun. Vorwärts jetzt!“
Da erkannte der Kapitän der WATCHMAN, dass seine Gegner fest entschlossen waren, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er und seine Leute wurden von den Männern mit vorgehaltenen Waffen weiter hinauf in die Hügel gebracht. Wenige Minuten später gab Burton den Befehl zum Anhalten. Zwischenzeitlich waren noch weitere Männer aus ihrem Versteck gekommen. Burton musste grinsen, während er den erstaunten und zugleich fassungslosen Blick des Kapitäns registrierte, als dieser den Mann in der Soldatenuniform aus den Büschen kommen sah. Er trug zwar eine mexikanische Uniform, aber er war dennoch kein Landsmann von ihm.
„Das ist Nolan Morris“, sagte Burton. „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass seine Flaggensignale sehr zu wünschen übrig lassen. Aber wir haben ja erreicht, was wir wollten, und Sie hierher gelockt.“
„Ich sage es noch einmal“, sagte Munoz mit gepresster Stimme. „Lassen Sie uns frei, und ich verspreche Ihnen, dass ich ein gutes Wort für Sie und Ihre Männer einlegen werde, wenn man Ihnen den Prozess macht.“
Raues Gelächter erklang in der Runde, als die Männer das vernahmen. Auch Burton war amüsiert über den fast schon verzweifelten Versuch des mexikanischen Kapitäns. Deshalb beschloss er, ihn noch weiter zu demütigen, und ergriff wieder das Wort.
„Mein Name ist Isaac Watts Burton“, nannte er nun seinen Namen. „Ich bin Captain einer Einheit von Texas Rangern. Sie wissen, was das bedeutet?“
„Rebellen seid ihr!“, keuchte Munoz. „Nichts als dreckige Rebellen. General de Cos wird euch alle jagen, und dann ...“
Burton trat urplötzlich einen Schritt nach vorn und versetzte dem Mexikaner mit der linken Hand einen Schlag ins Gesicht, der Munoz lauf aufstöhnen ließ.
„Sie haben uns gar nichts zu sagen, Kapitän Munoz!“, wies ihn Burton zurecht. „Wir sind keine Rebellen, sondern Männer, die für die Freiheit von Texas kämpfen. Ich weiß, dass Sie das vermutlich nicht verstehen, aber das spielt auch gar keine Rolle mehr. Wenn ich Sie um Ihren Hut und Mantel bitten darf, Kapitän ...?“
„Hast du nicht verstanden, was unser Captain gerade gesagt hat?“, sagte nun Nolan Morris und trat einen Schritt nach vorn. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer und wirkte jetzt so bedrohlich für Munoz, dass dieser zusammenzuckte und schließlich nickte.
„Ich beuge mich der Gewalt“, murmelte er und blickte dabei eingeschüchtert zu Boden.
„Schön, dass Sie endlich begriffen haben, wer hier das Sagen hat, Kapitän“, erwiderte Burton und nahm Mantel und Hut des Mexikaners entgegen. Dann wandte er sich an die anderen Männer. „Eure Hüte!“, forderte er auch von ihnen. „Los, wirds bald?“
In den Augen des Kapitäns blitzte es zornig auf. Er hatte wohl erkannt, was Burton und seine Leute beabsichtigten. Aber er konnte nicht verhindern, was nun weiter geschah. Stattdessen musste er sich fesseln und knebeln lassen. Genau wie die Männer, die im Boot gesessen hatten.
„Passt gut auf sie auf!“, sagte Burton. „Wir geben euch ein Signal, sobald wir das Schiff in unserer Hand haben. Dann kommt ihr mit dem ehrenwerten Kapitän und seinen Leuten nach.“
„Mit dem größten Vergnügen“, versicherte ihm der hagere Elias Stoneman, der ebenfalls schon seit einigen Monaten in Burtons Truppe Mitglied war und keinen Moment gezögert hatte, als Burton diesen riskanten Auftrag erhalten hatte. „Ehe diese Kerle begriffen haben, wie ihnen geschieht, gehört uns das Schiff.“
Seine Worte fanden Zustimmung unter den anderen Rangern.
„Holen Sie Ihre Pferde“, sagte Burton nun zu den beiden Lambert-Brüdern. „Durchkämmen Sie das Gelände und erstatten Sie sofort Bericht, wenn Sie etwas Auffälliges bemerken. Es könnte sein, dass spätestens am kommenden Tag die Armee hier eintreffen wird, um die Fracht in Empfang zu nehmen. Bis dahin müssen wir weg sein von hier!“
„Geht in Ordnung“, versicherte ihm Walter Lambert. „Komm, Nicholas“, wandte er sich an seinen jüngeren Bruder. „Du hast gehört, was der Captain gesagt hat.“
Nicholas Lambert verlor keine unnötigen Worte, sondern bestätigte das mit einem kurzen Nicken. Die beiden Männer entfernten sich sofort, während Burton bereits die nächsten Anweisungen gab. Dann gingen er und vier weitere Männer wieder hinunter zum Strand, wo sich das Boot befand. Sie schoben es mit vereinten Kräften ins Wasser und stiegen ein.
„An die Ruder!“, sagte Burton zu seinen Männern. „Los, legt euch in die Riemen und gebt euer Bestes!“
* * *
Während der letzten halben Stunde war draußen vom Meer Nebel aufgezogen. Das war ein Glücksfall für Burton und seine Männer, die sich nun dem Schiff näherten. Es verschlechterte die Sicht auf das Boot und die Männer, die darin saßen. Die nächsten Minuten würden von entscheidender Bedeutung sein, denn nun kam es darauf an, nicht nur so schnell wie möglich wieder an Bord zu kommen, sondern auch noch die restliche Besatzung möglichst ohne Blutvergießen zu überrumpeln. Natürlich würden Captain Burton und seine Männer nicht zögern, von ihren Schusswaffen Gebrauch zu machen, aber wenn es eine andere Möglichkeit gab, das Frachtschiff zu kapern, dann war dies die bessere Lösung.
„Da oben an der Reling stehen zwei Männer, Captain“, flüsterte Nolan Morris, der immer noch die mexikanische Uniform trug. „Was sollen wir tun?“
„Gar nichts, Mister Morris“, erwiderte Burton und hielt seinen Kopf gesenkt, sodass man von Bord sein Gesicht nicht erkennen konnte. „Sie sprechen doch Spanisch, also tun Sie ihr Bestes, um die Männer eine kurze Zeit abzulenken.“
„Mit dem größten Vergnügen“, murmelte Morris, der es kaum abwarten konnte, seine Fäuste schwingen zu lassen, falls ihm jemand in die Quere kam.
„Capitán!“, rief einer der Männer oben an der Reling. „Was ist denn passiert? Gibt es Probleme?“
„Natürlich nicht“, entgegnete Nolan Morris geistesgegenwärtig auf Spanisch. „General de Cos hat mich geschickt, um schon mal die Ladung zu überprüfen. Also halte keine langen Reden, sondern lass mich an Bord kommen. Claro?“
Er sprach das mit solch einer Autorität, dass keiner von den beiden Seeleuten an Bord auf den Gedanken gekommen wäre, die Echtheit von Morris’ Aussage jemals anzuzweifeln. Also stellten die Männer keine unnötigen Fragen mehr, sondern halfen den Männern, wieder an Bord zu kommen. Der Nebel war jetzt so dicht geworden, dass das Licht des Mondes deutlich an Intensität abgenommen hatte.
Das Schicksal steht in dieser Nacht auf unserer Seite, dachte Captain Burton, während er zusah, wie die beiden Männer an der Reling dem vermeintlichen mexikanischen Soldaten halfen, an Bord zu kommen. Morris hatte dunkle Haare und trug einen schwarzen Vollbart. Zumindest in dieser Nacht würde er vom Aussehen her als mexikanischer Soldat durchkommen. Nun folgte er selbst. Über die Jakobsleiter stieg er mit gesenktem Kopf rasch nach oben, nahm eine helfende Hand entgegen und stand wenige Sekunden später auf den Decksplanken.
„Moment mal“, sagte einer der beiden Männer, der jetzt auf einmal zögerte. „Das ist doch gar nicht der Capitán ...“
Burton trat einen Schritt vor und versetzte dem mexikanischen Seemann einen plötzlichen Stoß, der ihn nach hinten taumeln ließ. Gleichzeitig zog er seine Pistole aus dem Gürtel und zielte damit auf den völlig erschrockenen Mann, der Hilfe suchend zu seinem Gefährten schaute. Aber den hatte Nolan Morris längst unter Kontrolle und bedrohte ihn ebenfalls mit einer Waffe, während die restlichen Männer, die im Boot gesessen hatten, rasch an Bord kamen.
„Wie viele seid ihr?“, richtete Burton nun das Wort an einen der beiden Männer, der immer noch so geschockt von der plötzlichen Wendung war, dass er gar nicht wusste, was er sagen sollte. Ihm fehlten buchstäblich die Worte. Burton runzelte die Stirn und schaute nun zu Morris. „Der Mann versteht mich offensichtlich nicht, Mister Morris“, wandte er sich an ihn. „Sagen Sie ihm bitte, was wir wollen.“