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THE BLACK COMPANY - DUNKLE ZEICHEN Der dritte Teil der Fantasy-Serie von Bestseller-Autor Glen Cook Sie ist ihre einzige Hoffnung… Die Söldner der Schwarzen Kompanie haben die Seiten gewechselt. Gemeinsam mit den Rebellen der Weißen Rose ziehen sie sich an einen geheimnisvollen Ort zurück, um ihre Kräfte zu sammeln. Mystische Wesen mit magischen Fähigkeiten halten die finstere Lady und Ihre Scharen fern. Doch die Ruhe trügt. Seltsame Nachrichten eines Unbekannten erreichen die Kompanie und verheißen nichts Gutes. Ein unaussprechliches Grauen soll erwacht sein, eine dunkle Macht, die sie alleine nicht besiegen können. Nur eine Allianz mit dem Feind kann sie retten…
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Seitenzahl: 530
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Glen Cook
BLACK COMPANYDIE WEISSE ROSE
Deutsche Erstauflage
Titel der englischen Originalausgabe:THE WHITE ROSE
1. AuflageVeröffentlicht durch denMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKFrankfurt am Main 2017www.mantikore-verlag.de
published in agreement with the author,c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.
Copyright © der deutschsprachigen AusgabeMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKText © Glen Cook 1985
Deutschsprachige Übersetzung: Andrea BlendlLektorat: Nora Marie BorruschSatz & Bildbearbeitung: Karl-Heinz ZapfCover- und Umschlaggestaltung: Kiss László und Matthias Lück
VP: 144-112-01-04-0417
ISBN: 978-3-945493-63-2
Glen Cook
BLACK COMPANYDIE WEISSE ROSE
Roman
KAPITEL EINS DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL ZWEI DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL DREI GESCHICHTE AUS VERGANGENEN ZEITEN
KAPITEL VIER DIE NAHE VERGANGENHEIT: CORBIE
KAPITEL FÜNF DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL SECHS DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL SIEBEN DER ZWEITE BRIEF
KAPITEL ACHT DAS BARROWLAND
KAPITEL NEUN DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL ZEHN BOMANZ‘ GESCHICHTE
KAPITEL ELF DAS BARROWLAND
KAPITEL ZWÖLF DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL DREIZEHN DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL VIERZEHN DIE GESCHICHTE VON BOMANZ
KAPITEL FÜNFZEHN DAS BARROWLAND
KAPITEL SECHZEHN DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL SIEBZEHN RUST
KAPITEL ACHTZEHN BELAGERUNG
KAPITEL NEUNZEHN BOMANZ‘ GESCHICHTE
KAPITEL ZWANZIG DAS BARROWLAND
KAPITEL EINUNDZWANZIG DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL DREIUNDZWANZIG DIE EBENE DER ANGST
KAPITEL VIERUNDZWANZIG DIE WEITE WELT
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG DAS BARROWLAND
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG AUF DER STRASSE
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG OAR
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG ZUM BARROWLAND
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG DAS BARROWLAND, KURZ ZUVOR
KAPITEL DREISSIG EINE NACHT IM BARROWLAND
KAPITEL EINUNDDREISSIG NACHT IM BARROWLAND
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG GEFANGEN IM BARROWLAND
KAPITEL DREIUNDDREISSIG VERMISSTER MANN
KAPITEL VIERUNDDREISSIG BOMANZ‘ GESCHICHTE
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG DAS BARROWLAND, IMMER SCHLIMMER
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG SCHWERE ZEITEN
KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG DER WALD UND DAHINTER
KAPITEL ACHTUNDDREISSIG DIE FESTUNG VON DEAL
KAPITEL NEUNUNDDREISSIG ZU GAST IN CHARM
KAPITEL VIERZIG MEINEN ENTSCHLUSS FASSEN
KAPITEL EINUNDVIERZIG EINE STADT NAMENS HORSE
KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG HEIMKEHR
KAPITEL DREIUNDVIERZIG PICKNICK
KAPITEL VIERUNDVIERZIG DIE BESCHLEUNIGUNG
KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG EIN ABGESCHLOSSENER HANDEL
KAPITEL SECHSUNDVIERZIG SOHN DES BAUMES
KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG SCHATTEN IM SCHATTENLAND
KAPITEL ACHTUNDVIERZIG FLUG NACH WESTEN
KAPITEL NEUNUNDVIERZIG DAS UNSICHTBARE LABYRINTH
KAPITEL FÜNFZIG NAMEN?
KAPITEL EINUNDFÜNFZIG DAS ZEICHEN
KAPITEL ZWEIUNDFÜNFZIG KEINE ÜBERRASCHUNG
KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG DIE RETTUNG
KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG EIN ABEND DAHEIM
KAPITEL FÜNFUNDFÜNFZIG ERÖFFNUNGSRUNDE
KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG ZEIT VERRINNT
KAPITEL SIEBENUNDFÜNFZIG DER LETZTE TAG
KAPITEL ACHTUNDFÜNFZIG ENDE DES SPIELS
KAPITEL NEUNUNDFÜNFZIG LETZTE WAHL
Die unbewegte Wüstenluft wirkte wie eine Linse. Die Reiter schienen in der Zeit stillzustehen und bewegten sich, ohne näher zu kommen. Wir zählten abwechselnd. Ich kam nicht zweimal auf die gleiche Zahl.
Der Hauch einer Brise seufzte zwischen den Korallen hindurch und raschelte am Laub des Alten Vaterbaumes. Die Blätter kitzelten einander zum Lied von Windspielen. Im Norden erhellte das Blitzen von Wetterleuchten den Horizont wie der entfernte Zusammenprall kriegerischer Götter.
Ein Fuß knirschte auf dem Sand. Ich drehte mich um. Silent starrte einen sprechenden Menhir an. Er war in den letzten paar Sekunden erschienen und verblüffte ihn. Hinterhältige Felsen. Spielen gerne Spielchen.
„Da sind Fremde auf der Ebene“, sagte er.
Ich zuckte zusammen. Er kicherte. Menhire haben das bösartigste Lachen auf dieser Seite der Märchenwelt. Brummend duckte ich mich in seinen Schatten. „Schon heiß hier draußen.“ Und: „Das sind One-Eye und Goblin, zurück aus Tanner.“
Er hatte recht und ich lag falsch. Mein Fokus war zu begrenzt. Die Patrouille war einen Monat länger weg gewesen als geplant. Wir waren besorgt. In letzter Zeit waren die Truppen der Lady entlang der Grenzen der Ebene der Angst aktiver geworden.
Noch ein Kichern von dem Felsblock.
Er ragte über mir auf, vier Meter hoch. Ein mittelgroßer. Die über fünf Meter großen bewegen sich selten.
Die Reiter waren näher und doch wirkten sie nicht näher. Ich gebe meinen Nerven die Schuld. Die Zeiten sind schlimm für die Schwarze Kompanie. Wir können uns keine Gefallenen leisten. Jeder verlorene Mann war ein jahrelanger Freund. Ich zählte wieder. Diesmal schien es richtig. Aber da war ein reiterloses Pferd … Ich schauderte trotz der Hitze.
Sie waren auf dem Pfad, der zu einem Bach dreihundert Meter von unserem Beobachtungsposten hinunterführte, verborgen hinter einem großen Felsen. Die wandernden Bäume neben der Furt regten sich, obwohl die Brise abgeflaut war.
Die Reiter drängten ihre Pferde zur Eile. Die Tiere waren erschöpft. Sie waren widerwillig, obwohl sie wussten, dass sie beinahe daheim waren. In den Bach. Wasser spritzte. Ich grinste und klopfte Silent auf den Rücken. Sie waren alle da. Alle Mann und noch ein weiterer.
Silent vergaß seine gewohnte Schroffheit und lächelte zurück. Elmo schlüpfte aus der Wagenburg und marschierte los, um unsere Brüder zu empfangen. Otto, Silent und ich hasteten ihm hinterher.
Hinter uns wurde die Morgensonne zu einer riesigen, sengenden Kugel aus Blut.
Männer glitten grinsend von ihren Pferden. Aber sie sahen schlimm aus. Goblin und One-Eye am schlimmsten von allen. Doch sie waren in ein Territorium zurückgekommen, wo ihre magischen Kräfte nutzlos waren. Denn in Darlings Nähe sind sie nicht besser als der Rest von uns.
Ich warf einen Blick zurück. Darling war zum Eingang des Tunnels gekommen und stand wie ein Phantom in seinem Schatten, ganz in Weiß.
Männer umarmten Männer, dann übernahm der alte Brauch wieder die Macht. Alle taten, als wäre es einfach ein normaler Tag. „Schlimm da draußen?“, fragte ich One-Eye. Ich betrachtete den Mann, der sie begleitete. Er kam mir nicht bekannt vor.
„Ja.“ Der runzlige kleine schwarze Mann war mitgenommener, als ich zuerst gedacht hatte.
„Bist du in Ordnung?“
„Pfeil abgekriegt.“ Er rieb seine Seite. „Fleischwunde.“
Hinter One-Eye quiekte Goblin: „Die haben uns fast erwischt. Haben uns einen Monat lang gejagt. Wir konnten sie nicht abschütteln.“
„Lass uns dich ins Loch hinunterbringen“, sagte ich zu One-Eye.
„Ist nicht entzündet. Ich habe es sauber gemacht.“
„Ich will trotzdem einen Blick darauf werfen.“ Er ist mein Assistent, seit ich mich als Arzt der Kompanie verpflichtet habe. Sein Urteil ist fundiert. Trotzdem unterliegen Gesundheitsfragen letztlich meiner Verantwortlichkeit.
„Sie haben auf uns gewartet, Croaker.“ Darling war vom Tunneleingang verschwunden, zurück in die Eingeweide unserer unterirdischen Festung. Die Sonne blieb im Osten blutig, ein Zeugnis des vergangenen Wetterleuchtens. Etwas Großes trieb vor ihrem Gesicht. Ein Windwal?
„Hinterhalt?“ Ich warf einen Blick zurück zur Patrouille.
„Nicht direkt für uns. Die wollten Ärger. Die waren auf Draht.“ Die Patrouille hatte eine zweifache Mission gehabt: unsere Sympathisanten in Tanner zu kontaktieren, um herauszufinden, ob die Leute der Lady nach einer langen Ruhepause wieder zum Leben erwachten, und die dortige Garnison zu überfallen, um zu beweisen, dass wir einem Reich, das eine halbe Welt umspannte, wehtun konnten.
Als wir am Menhir vorbeigingen, sagte er: „Da sind Fremde auf der Ebene, Croaker.“
Warum passieren diese Dinge immer mir? Die großen Steine sprechen mehr mit mir als mit jedem anderen.
Aller guten Dinge sind zwei? Ich passte auf. Wenn sich ein Menhir wiederholte, bedeutete das, dass er seine Botschaft extrem wichtig fand. „Die Männer, die euch jagen?“, fragte ich One-Eye.
Er zuckte mit den Achseln. „Sie wollten nicht aufgeben.“
„Was geht da draußen vor?“ Statt mich auf der Ebene zu verstecken, hätte ich genauso gut lebendig begraben sein können.
One-Eyes Gesicht blieb ausdruckslos. „Corder wird es erklären.“ „Corder? Ist das der Kerl, den ihr mitgebracht habt?“ Ich kannte den Namen, aber nicht den Mann. Einer unserer besten Informanten.
„Jupp.“
„Keine guten Neuigkeiten, hm?“
„Nein.“
Wir schlüpften in den Tunnel, der in unseren Bau hinunterführt, in unsere stinkende, schimmelnde, feuchte, enge, kleine Kaninchenbau-Festung. Sie ist ekelhaft, aber sie ist Herz und Seele der Rebellion der Neuen Weißen Rose. Der Neuen Hoffnung, wie man unter den unterworfenen Nationen flüstert. Der Lächerlichen Hoffnung für diejenigen von uns, die hier leben. Sie ist so schlimm wie jeglicher rattenbefallene Kerker – obwohl man hier weggehen kann. Wenn einem ein Ausflug in eine Welt, wo sich alle Macht eines Reiches gegen einen wendet, nichts ausmacht.
Corder war unsere Augen und Ohren in Tanner. Er hatte überall Kontakte. Seine Arbeit gegen die Lady reicht schon Jahrzehnte zurück. Er ist einer der wenigen, die in Charm ihrem Zorn entkamen, wo sie die Rebellen der alten Zeiten vernichtete. Zum größten Teil war dafür die Kompanie verantwortlich. In diesen Tagen waren wir ihre starke rechte Hand. Wir lockten ihre Feinde in die Falle.
Eine Viertelmillion Männer starb in Charm. Niemals gab es eine derart gewaltige oder grausame Schlacht oder einen so endgültigen Ausgang. Selbst der blutige Fehlschlag des Dominators im Alten Wald kostete nur halb so viele Leben.
Das Schicksal zwang uns, die Seiten zu wechseln – als erst einmal niemand übrig war, der uns in unserem Kampf beistehen konnte.
One-Eyes Wunde war so sauber, wie er behauptet hatte. Ich entließ ihn und marschierte in mein Quartier. Es hieß, Darling wolle, dass sich die Patrouille ausruhte, ehe sie ihr Bericht erstatten sollte. Ich erschauderte unter einer üblen Vorahnung. Es graute mir davor, ihre Neuigkeiten zu hören.
Ein alter, müder Mann. Genau das bin ich. Was wurde aus dem alten Feuer, der Tatkraft, der Ambition? Das waren Träume von vor langer Zeit, Träume, die jetzt beinahe vergessen waren. An traurigen Tagen entstaube ich sie und liebkose sie nostalgisch, mit einer herablassenden Verwunderung über die Naivität der Jugend, die sie erträumte.
Das Alter befällt mein Quartier. Mein großartiges Projekt. Achtzig Pfund an uralten Dokumenten, von der Generalin Whisper erbeutet, als wir der Lady und Whisper, der Rebellin, dienten. Sie sollen den Schlüssel enthalten, um die Lady und die Entführten zu zerstören. Ich habe sie seit sechs Jahren. Und in diesen sechs Jahren habe ich gar nichts gefunden. So viele Fehlschläge. Deprimierend. Heutzutage blättere ich meistens nur darin herum, dann wende ich mich diesen Annalen zu.
Seit unserer Flucht aus Juniper sind sie zu wenig mehr als einem persönlichen Tagebuch geworden. Die Überreste der Kompanie verursachen wenig Aufregung. Was wir an Nachrichten von außerhalb bekommen, ist so dünn und unzuverlässig, dass ich mir selten die Mühe mache, es aufzuzeichnen. Außerdem scheint die Lady seit ihrem Sieg über ihren Gatten in Juniper sogar noch erstarrter zu sein als wir und funktioniert nur noch mit letzter Kraft.
Der Schein trügt natürlich. Und die Essenz der Lady ist die Illusion.
„Croaker.“
Ich blickte von einer Seite in uraltem TelleKurre auf, die ich schon hunderte Male studiert hatte. Goblin stand in der Tür. Er sah aus wie eine alte Kröte.
„Ja?“
„Droben passiert irgendetwas. Schnapp dir ein Schwert.“
Ich packte meinen Bogen und einen ledernen Brustpanzer. Ich bin zu alt für den Nahkampf. Ich stehe lieber abseits und schieße, wenn ich schon kämpfen muss. Als ich Goblin folgte, betrachtete ich den Bogen. Ich hatte ihn während der Schlacht von Charm von der Lady selbst erhalten. Oh, die Erinnerungen. Mit ihm hatte ich dabei geholfen, Soulcatcher zu töten, die Entführte, die die Kompanie in den Dienst der Lady gestellt hatte. Diese Tage schienen mir jetzt beinahe prähistorisch.
Wir rannten ins Sonnenlicht. Andere kamen mit uns nach draußen und verteilten sich zwischen Kakteen und Felsen. Der Reiter, der den Pfad herunterkam – den einzigen Pfad hierher –, würde uns nicht sehen.
Er ritt allein, auf einem mottenzerfressenen Maultier. Er war nicht bewaffnet. „All das für einen alten Mann auf einem Muli?“, fragte ich. Männer hasteten durch die Felsen und zwischen Kakteen umher und machten einen Höllenlärm. Der alte Kerl musste wissen, dass wir da waren. „Wir sollten besser daran arbeiten, leiser hier heraufzukommen.“
„Jupp.“
Verblüfft wirbelte ich herum. Elmo stand hinter mir und machte mit einer Hand einen Schatten über seinen Augen. Er sah so alt und müde aus, wie ich mich fühlte. Jeden Tag erinnert mich irgendetwas daran, dass keiner von uns mehr jung ist. Verdammt, keiner von uns war jung, als wir über die See der Qualen in den Norden kamen. „Wir brauchen frisches Blut, Elmo.“
Er lächelte spöttisch.
Ja. Wir werden noch viel älter werden, ehe das erledigt ist. Falls wir es überstehen. Denn wir erkaufen uns so nur Zeit. Jahrzehnte hoffentlich.
Der Reiter durchquerte den Bach und hielt an. Er hob seine Hände. Männer erschienen und hielten ihre Waffen locker. Ein alter Mann, allein, im Herzen von Darlings Nullfeld, stellte keine Gefahr dar.
Elmo, Goblin und ich spazierten hinunter. Während wir marschierten, fragte ich Goblin: „One-Eye und du, hattet ihr Spaß, während ihr weg wart?“ Sie bekriegen sich schon seit Ewigkeiten. Aber hier, wo Darlings Anwesenheit es verhindert, können sie sich keine magischen Streiche spielen.
Goblin grinste. Wenn er grinst, erstreckt sich sein Mund von einem Ohr zum anderen. „Ich habe ihn aufgemischt.“
Wir erreichten den Reiter. „Erzähl es mir später.“
Goblin kicherte, ein quiekendes Geräusch wie von Wasser, das in einem Teekocher blubbert. „Ja.“
„Wer bist du?“, fragte Elmo den Mulireiter.
„Tokens.“
Das war kein Name. Es war ein Passwort für einen Kurier aus dem weit entfernten Westen. Wir hatten es seit langer Zeit nicht mehr gehört. Boten aus dem Westen mussten die Ebene durch die Provinzen erreichen, die der Lady am ergebensten waren.
„Ah ja?“, sagte Elmo. „Was sagt man dazu? Willst du absteigen?“
Der alte Mann glitt von seinem Reittier und zeigte seine Schutzbriefe. Elmo fand sie akzeptabel. Dann verkündete der Alte: „Ich habe hier zwanzig Pfund Zeug.“ Er tippte an eine Kiste hinter seinem Sattel. „Jede verdammte Stadt hat noch etwas zu meiner Ladung hinzugefügt.“
„Hast du die ganze Reise selbst gemacht?“, fragte ich.
„Jeden Meter von Oar aus.“
„Oar? Das sind …“
Mehr als tausend Meilen. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass wir dort oben jemanden hatten. Aber es gibt vieles, das ich nicht über die Organisation weiß, die Darling um sich gesammelt hat. Ich verbringe meine Zeit damit, diese verdammten Papiere dazu zu kriegen, mir etwas mitzuteilen, das vielleicht gar nicht darin ist.
Der alte Mann sah mich an, als würde er meine Seele einer Prüfung unterziehen. „Bist du der Arzt? Croaker?“
„Ja. Und?“
„Hab etwas für dich. Persönlich.“ Er öffnete seine Kuriertasche. Für einen Augenblick waren alle alarmiert. Man weiß ja nie. Aber er holte ein Päckchen hervor, das in Ölhaut gewickelt war, um etwas bis ans Ende der Welt zu schützen. „Da droben regnet es die ganze Zeit“, erklärte er. Er übergab mir das Päckchen.
Ich wog es in meiner Hand. Nicht allzu schwer, abgesehen von der Ölhaut. „Von wem ist es?“
Der alte Mann zuckte mit den Achseln.
„Woher hast du es bekommen?“
„Vom Hauptmann meiner Zelle.“
Natürlich. Darling ging behutsam vor, strukturierte ihre Organisation so, dass es für die Lady fast unmöglich ist, mehr als einen kleinen Bruchteil zu vernichten. Das Mädchen ist ein Genie.
Elmo nahm den Rest an sich und befahl Otto: „Bring ihn hinunter und such ihm ein Bett. Ruhe dich etwas aus, alter Mann. Die Weiße Rose wird dich später befragen.“
Es stand wohl ein interessanter Nachmittag bevor, wenn dieser Kerl und Corder beide Bericht erstatten sollten. Ich packte das mysteriöse Päckchen und sagte zu Elmo: „Ich gehe mal einen Blick darauf werfen.“ Wer konnte es geschickt haben? Ich kannte niemanden außerhalb der Ebene. Also … aber die Lady würde keinen Brief in den Untergrund einschleusen. Oder doch?
Ein Nagen von Furcht. Es war eine Weile her, aber sie hatte versprochen, in Kontakt zu bleiben.
Der sprechende Menhir, der uns vor dem Boten gewarnt hatte, blieb wie angewurzelt neben dem Pfad. Als ich an ihm vorbeiging, sagte er: „Da sind Fremde auf der Ebene, Croaker.“
Ich hielt inne. „Was? Noch mehr davon?“
Er blieb seinem Charakter wieder treu und wollte nichts mehr sagen.
Ich werde diese alten Steine niemals verstehen. Verdammt, ich verstehe immer noch nicht, warum sie auf unserer Seite sind. Sie hassen alle Außenstehenden unabhängig voneinander, aber gleich tief. Sie und alle anderen der seltsamen Wesen hier draußen.
Ich betrat mein Quartier, entspannte meinen Bogen und ließ ihn an der irdenen Wand lehnen. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete mein Päckchen.
Ich erkannte die Handschrift nicht. Ich stellte fest, dass es am Ende nicht unterschrieben war. Ich begann zu lesen.
Croaker:
Die Frau machte wieder Zicken. Bomanz massierte seine Schläfen. Das Pochen wurde nicht leichter. Er bedeckte seine Augen. „Saita, sayta, suta“, murmelte er, seine Zischlaute wütend und schlangenartig.
Er biss sich auf die Zunge. Man schickte keinen Fluch über seine Ehefrau. Man ertrug die Konsequenzen jugendlichen Leichtsinns mit bescheidener Würde. Ah, aber welche Versuchung! Welche Provokation!
Genug, Narr! Studiere die verdammte Karte.
Weder Jasmine noch die Kopfschmerzen ließen nach.
„Zur Hölle!“ Er schlug die Gewichte von den Ecken der Karte weg und rollte das dünne Seidentuch um einen schmalen Glasstab. Er steckte den Stab in den Schaft eines gefälschten antiken Speers. Dieser Schaft glänzte vor Abnutzung.
„Besand würde es in einem Augenblick erkennen“, murrte er.
Er biss die Zähne zusammen, als sein Magengeschwür einen stechenden Schmerz durch seine Eingeweide sandte. Umso näher das Ende kam, umso größer war die Gefahr. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er befürchtete, dass er vor der letzten Barriere zusammenbrechen würde, dass ihn seine Feigheit verschlingen würde und er umsonst gelebt hätte.
Siebenunddreißig Jahre waren eine lange Zeit, um sie im Schatten der Henkersaxt zu verleben.
„Jasmine“, murmelte er. „Und eine Sau Schönheit nennen.“ Er schob den Türvorhang weg und rief nach unten: „Was ist jetzt wieder?“
Es war das, was es immer war. Motzen, das nicht mit der Wurzel ihrer Unzufriedenheit zusammenhing. Eine Unterbrechung seiner Studien als Rache, weil sie sich einbildete, er hätte ihr Leben verdorben.
Er hätte in Oar ein bedeutender Mann werden können. Er hätte ihr ein riesiges Haus geben können, vollgestopft mit katzbuckelnden Bediensteten. Er hätte sie in mit Gold verwobene Stoffe kleiden können. Er hätte sie zu jeder Mahlzeit mit fettigem Fleisch füttern können. Stattdessen hatte er das Leben eines Gelehrten gewählt, verbarg seinen Namen und seinen Beruf und zerrte sie auf diese düstere, verfluchte Lichtung im Alten Wald. Er hatte ihr nichts als Elend, eiskalte Winter und Demütigungen durch die Ewige Wache geschenkt.
Bomanz stapfte die schmale, knarzende, tückische Treppe hinunter. Er verfluchte die Frau, spuckte auf den Boden, schob Silber in ihre ausgetrocknete Hand und trieb sie mit dem Versprechen weg, dass das Abendessen ausnahmsweise eine richtige Mahlzeit sein würde. Demütigung?, dachte er. Ich erzähle dir etwas von Demütigung, du alte Krähe. Ich erzähle dir, wie es ist, mit einer ständig Quengelnden zu leben, einer hässlichen alten Schachtel voller leerer jugendlicher Träume …
„Hör auf, Bomanz“, murmelte er. „Sie ist die Mutter deines Sohns. Gib ihr, was ihr zusteht. Sie hat dich nicht betrogen.“ Wenn auch sonst nichts, teilten sie immer noch die Hoffnung, die in der Karte auf der Seide enthalten war. Es war hart für sie, weil sie wartete, ohne von seinen Fortschritten zu erfahren, und nur wusste, dass beinahe vier Jahrzehnte kein greifbares Ergebnis gebracht hatten.
Die Glocke an der Ladentür klingelte. Bomanz setzte seine Ladenbesitzermiene auf. Er stolperte nach vorn, ein fetter, glatzköpfiger kleiner Mann, der seine mit blauen Venen durchzogenen Hände vor seiner Brust verschränkte. „Tokar.“ Er verbeugte sich leicht. „Ich habe dich nicht so bald erwartet.“
Tokar war ein Händler aus Oar, ein Freund von Bomanz’ Sohn Stancil. Er hatte eine plumpe, ehrliche, respektlose Art an sich, bei der sich Bomanz einredete, dass er einen Geist seiner selbst in jüngerem Alter vor sich hatte.
„Hatte nicht geplant, so bald wiederzukommen, Bo. Aber Antiquitäten sind der letzte Schrei. Es übertrifft jede Erwartung.“
„Du willst noch eine Ladung? Jetzt schon? Du kaufst mich leer.“ Unausgesprochen, die stille Beschwerde: Bomanz, das bedeutet Arbeit beim Lagerauffüllen. Zeit, die der Forschung fehlt.
„Die Schreckensherrschaft ist dieses Jahr der Hit. Hör auf, herumzutrödeln, Bo. Mach Kohle, und zwar viel. Nächstes Jahr könnte der Markt so tot sein wie die Entführten.“
„Sie sind nicht … Vielleicht werde ich zu alt, Tokar. Mir macht der Streit mit Besand keinen Spaß mehr. Verdammt. vor zehn Jahren ging ich auf die Suche nach ihm. Eine gute Konfrontation beendete die Langeweile. Das Graben macht mich auch fertig. Ich bin erschöpft. Ich will einfach auf der Veranda sitzen und beobachten, wie das Leben vorbeizieht.“ Während er plapperte, legte Bomanz seine besten antiken Schwerter, Rüstungsteile, Soldatenamulette und einen beinahe perfekt erhaltenen Schild heraus. Eine Kiste voller Pfeilspitzen mit eingravierten Rosen. Ein paar Wurfspeere mit breiten Klingen, uralte Speerspitzen, die auf Schaftrepliken montiert waren.
„Ich kann dir ein paar Männer schicken. Zeig ihnen, wo sie graben sollen. Ich werde dir eine Kommission zahlen. Du müsstest gar nichts tun. Das ist eine verdammt tolle Axt, Bo. TelleKurre? Ich könnte eine Wagenladung an TelleKurre-Waffen verkaufen.“
„Eigentlich UchiTelle.“ Ein Stich von seinem Magengeschwür. „Nein. Keine Helfer.“ Das war genau das, was ihm noch fehlte. Ein Haufen heißblütiger, junger Kerle, die ihm über die Schulter schauten, während er seine Feldberechnungen anstellte.
„War nur ein Vorschlag.“
„Entschuldige. Beachte mich gar nicht. Jasmine hat mich heute Vormittag wieder genervt.“
Leise fragte Tokar: „Hast du irgendetwas mit einer Verbindung zu den Entführten gefunden?“
Mit der Leichtigkeit jahrzehntelanger Übung zuckte Bomanz zurück und spielte den Erschrockenen. „Die Entführten? Bin ich wahnsinnig? Ich würde es nicht anfassen, selbst wenn ich es am Überwacher vorbeibringen könnte.“
Tokar lächelte verschwörerisch. „Klar. Wir wollen die Ewige Wache nicht beleidigen. Trotzdem … Es gibt einen Mann in Oar, der für etwas, das man einem der Entführten zuschreiben könnte, gut zahlen würde. Er würde seine Seele für etwas verkaufen, das der Lady gehörte. Er ist in sie verliebt.“
„Dafür war sie bekannt.“ Bomanz wich dem Starren des jüngeren Mannes aus. Wie viel hatte Stance preisgegeben? War das eine von Besands Spitzelaktionen? Umso älter Bomanz wurde, umso weniger genoss er dieses Spiel. Seine Nerven hielten sein Doppelleben nicht mehr aus. Er war in Versuchung, alles zu gestehen, nur um sich Erleichterung zu verschaffen.
Nein, verdammt! Er hatte zu viel investiert. Siebenunddreißig Jahre. Jede Minute davon graben und kratzen. Schleichen und sich verstellen. Die fürchterlichste Armut. Nein. Er würde nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht, wenn er so nahe dran war.
„Auf meine Weise liebe ich sie auch“, gab er zu. „Aber ich habe nicht jegliche Vernunft vergessen. Ich würde nach Besand schreien, sollte ich irgendetwas finden. So laut, dass du mich in Oar noch hören würdest.“
„Also gut. Was auch immer du sagst.“ Tokar grinste. „Genug auf die Folter gespannt.“ Er zog eine Tasche mit Briefen hervor. „Briefe von Stancil.“
Bomanz nahm die Tasche. „Hab nichts mehr von ihm gehört, seit du das letzte Mal hier warst.“
„Kann ich anfangen aufzuladen, Bo?“
„Sicher. Mach nur.“ Geistesabwesend nahm Bomanz seine aktuelle Inventarliste aus einem Fach. „Markiere alles, was du mitnimmst.“
Tokar lachte gutmütig. „Alles diesmal, Bo. Nenn mir einfach einen Preis.“
„Alles? Die Hälfte davon ist Müll.“
„Ich habe es dir erklärt, die Schreckensherrschaft ist der letzte Schrei.“
„Hast du Stance getroffen? Wie geht es ihm?“ Er war halb durch den ersten Brief. Sein Sohn hatte nichts Bedeutendes zu berichten. Seine Briefe waren voller alltäglicher Belanglosigkeiten. Pflichtschuldige Briefe. Briefe von einem Sohn an seine Eltern, unfähig, die zeitlose Kluft zu überbrücken.
„Übelkeitserregend gesund. Von der Universität gelangweilt. Lies weiter. Es gibt eine Überraschung.“
„Tokar war hier“, sagte Bomanz. Er grinste und hampelte von einem Fuß auf den anderen.
„Dieser Dieb?“ Jasmine starrte ihn finster an. „Hast du daran gedacht, ihn bezahlen zu lassen?“ Ihr fettes, schlaffes Gesicht war zu ständiger Missbilligung verzogen. Generell stand ihr Mund aus dem gleichen Grund offen.
„Er hat Briefe von Stance mitgebracht. Hier.“ Er bot ihr das Päckchen an. Er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. „Stance kommt nach Hause.“
„Nach Hause? Das kann er nicht. Er hat seine Stelle an der Universität.“
„Er nimmt ein Sabbatjahr. Er kommt über den Sommer.“
„Warum?“
„Um uns zu sehen. Um uns im Laden zu helfen. Um wegzukommen, damit er einen Aufsatz fertigstellen kann.“
Jasmine murrte. Sie las die Briefe nicht. Sie hatte ihrem Sohn nicht vergeben, dass er das Interesse seines Vaters an der Schreckensherrschaft teilte. „Was er vorhat, ist, herzukommen, um dir dabei zu helfen, herumzuschnüffeln, wo man nicht herumschnüffeln soll, nicht wahr?“
Bomanz warf schnelle Blicke auf die Ladenfenster. Seine Existenz bestand aus gerechtfertigter Paranoia. „Es ist das Jahr des Kometen. Die Geister der Entführten werden sich erheben, um das Ende der Schreckensherrschaft zu betrauern.“
Dieser Sommer würde die zehnte Wiederkehr des Kometen markieren, der in der Stunde des Falls des Dominators erschienen war. Die Zehn, die Entführt Wurden würden sich stark manifestieren.
Bomanz hatte in dem Sommer, als er in den Alten Wald gekommen war, lange vor Stancils Geburt, einen Vorbeiflug erlebt. Das Barrowland war beeindruckend gewesen, als die Geister wandelten.
Vor Aufregung zog sich sein Magen zusammen. Jasmine würde es nicht zu schätzen wissen, aber dies war der Sommer. Das Ende einer langen Suche. Ihm fehlte nur ein Schlüssel. Den finden und er konnte den Kontakt herstellen, konnte beginnen, herauszuziehen, statt hineinzustecken.
Jasmine lachte höhnisch. „Warum habe ich mich darauf eingelassen? Meine Mutter hat mich gewarnt.“
„Es ist Stancil, von dem wir reden, Frau. Unser einziges Kind.“
„Ah, Bo, nenne mich nicht eine grausame alte Frau. Natürlich werde ich ihn willkommen heißen. Habe ich ihn nicht auch gern?“
„Würde dir nicht wehtun, es zu zeigen.“ Bomanz untersuchte die Überreste seines Inventars. „Nichts übrig bis auf den schlimmsten Müll. Diese alten Knochen schmerzen, wenn ich nur an das Graben denke, das mir bevorsteht.“
Seine Knochen schmerzten, aber sein Geist war begierig. Die Vorräte aufzufüllen, war ein plausibler Grund, um am Rand des Barrowlands herumzuspazieren.
„Keine bessere Zeit als jetzt, um anzufangen.“
„Versuchst du, mich aus dem Haus zu kriegen?“
„Das würde meine Gefühle nicht verletzen.“
Seufzend blickte Bomanz über seinen Laden. Einige wenige Stücke an Ausrüstung, die mit der Zeit verrottet waren, zerbrochene Waffen, ein Schädel, den man nicht zuordnen konnte, weil ihm die dreieckigen eingearbeiteten Charakteristiken von Offizieren aus der Schreckensherrschaft fehlten. Sammler waren nicht an den Knochen von Lakaien oder denen von Gefolgsleuten der Weißen Rose interessiert.
Interessant, dachte er. Warum sind wir vom Bösen so fasziniert? Die Weiße Rose war heroischer als der Dominator oder die Entführten. Sie war von allen bis auf die Männer der Überwachung vergessen worden. Jeder Bauer kann die Hälfte der Entführten aufzählen. Das Barrowland, wo das Böse ruhelos liegt, wird bewacht, und das Grab der Weißen Rose ist vergessen.
„Weder hier noch dort“, brummte Bomanz. „Zeit, ins Feld zu ziehen. Hier. Hier. Spaten. Zauberstab. Taschen … Vielleicht hatte Tokar Recht. Vielleicht sollte ich einen Helfer anstellen. Bürsten. Könnte mir helfen, das Zeug herumzuschleppen. Theodolit. Karten. Darf die nicht vergessen. Was noch? Absperrbänder. Natürlich. Dieser verdammte Men Fu.“
Er stopfte die Dinge in eine Tasche und behängte sich mit Ausrüstung. Er packte Spaten und Rechen und Theodolit. „Jasmine. Jasmine! Öffne die verdammte Tür.“
Sie lugte durch die Gardine, die ihren Wohnbereich verbarg. „Hättest sie zuerst aufmachen sollen, Dummkopf.“ Sie marschierte durch den Laden. „Eines Tages, Bo, wirst du organisiert. Wahrscheinlich am Tag nach meiner Beerdigung.“
Er taumelte murrend auf die Straße hinaus. „Ich werde an dem Tag organisiert, wenn du stirbst. Verdammt, das glaubst du besser. Ich will dich in der Erde haben, ehe du es dir anders überlegst.“
Das Barrowland liegt weit nördlich von Charm, im Alten Wald, der so tief in den Legenden der Weißen Rose verankert ist. Corbie kam im Sommer, nachdem der Dominator daran scheiterte, über Juniper aus seinem Grab zu entkommen, in die Stadt dort. Er fand die Lakaien der Lady in bester Laune vor. Der gewaltige Teufel im Großen Grabhügel musste nicht länger gefürchtet werden. Der Abschaum der Rebellen war in die Flucht geschlagen. Das Reich hatte keine weiteren bedeutenden Feinde mehr. Der Große Komet, Vorbote aller Katastrophen, würde jahrzehntelang nicht wiederkehren.
Ein einzelner Kern des Widerstands verblieb, ein Kind, von dem man behauptete, es sei die Wiedergeburt der Weißen Rose. Aber sie war auf der Flucht, floh mit den Überresten der verräterischen Schwarzen Kompanie. Nichts daran war zu fürchten. Die überwältigenden Ressourcen der Lady würden sie vernichten.
Corbie kam die Straße von Oar heraufgehumpelt, allein, mit einem Rucksack auf dem Rücken, einen Stab fest in der Hand. Er behauptete, er sei ein behinderter Veteran aus dem Feldzug von Limper in Forsberg. Er suchte Arbeit. Es gab reichlich Arbeit für einen Mann, der nicht zu stolz war. Die Ewige Wache wurde gut bezahlt. Viele von ihnen heuerten Arbeitssklaven an, um ihnen ihre Pflichten abzunehmen.
Zu dieser Zeit besetzte ein Regiment das Barrowland. Zahllose Zivilisten umschwärmten seine Festung. Corbie tauchte unter ihnen ab. Als Kompanien und Bataillone abgezogen wurden, war er ein etablierter Teil der Landschaft.
Er spülte Geschirr, striegelte Pferde, mistete Ställe aus, überbrachte Botschaften, schrubbte Böden, schälte Gemüse, übernahm jede Bürde, für die er vielleicht ein paar Kupfermünzen verdienen würde. Er war ein ruhiger, großer, finsterer, grüblerischer Typ, der keine besonderen Freundschaften schloss, sich aber auch keine Feinde machte. Selten war er gesellig.
Nach einigen Monaten bat er um Erlaubnis, die er auch erhielt, ein verfallenes Haus zu beziehen, das lange verlassen gewesen war, weil es einst einem Hexer aus Oar gehört hatte. Wenn Zeit und Ressourcen es gestatteten, renovierte er das Gebäude. Und wie der Hexer vor ihm verfolgte er die Mission, die ihn in den Norden gebracht hatte.
Zehn, zwölf, vierzehn Stunden am Tag arbeitete Corbie in der Stadt, dann ging er heim und arbeitete noch etwas mehr. Die Leute fragten sich, wann er je ruhte.
Wenn es irgendetwas gab, das einem an Corbie auffiel, dann war es, dass er sich weigerte, seine Rolle völlig anzunehmen. Die meisten Botenjungen mussten viele persönliche Beleidigungen ertragen. Corbie akzeptierte das nicht. Machte man ihn zum Opfer, wurden seine Blicke kalt wie Stahl im Winter. Nur ein Mann bedrängte Corbie jemals, nachdem er diesen Blick geerntet hatte. Corbie verprügelte ihn mit grausamer, gnadenloser Kaltblütigkeit.
Niemand hatte ihn im Verdacht, ein Doppelleben zu führen. Außerhalb seines Hauses war er Corbie, der Tagelöhner, sonst nichts. Er lebte diese Rolle mit Herz und Seele. Wenn er daheim war, war er in den helleren Stunden Corbie, der Renovierer, und schuf aus einem alten Heim ein neues. Nur in den späten Stunden, wenn alle außer der nächtlichen Patrouille schliefen, wurde er zu Corbie, dem Mann auf einer Mission.
Corbie der Renovierer fand in einer Wand in der Küche des Hexers einen Schatz. Er nahm ihn mit nach oben, wo Corbie der Getriebene aus den Tiefen hervorkam.
Das Papierstück trug ein Dutzend Worte, die in einer wackligen Handschrift geschrieben waren. Ein Codeschlüssel.
Dieses magere, finstere, seit langem nicht mehr lächelnde Gesicht schüttelte seine Eiseskälte ab. Dunkle Augen funkelten, Finger zündeten eine Lampe an. Corbie setzte sich und starrte eine Stunde lang ins Nichts. Dann ging er immer noch lächelnd nach unten und in die Nacht hinaus. Er hob eine Hand zu einem freundlichen Gruß, wann immer er der nächtlichen Patrouille begegnete.
Er war jetzt bekannt. Niemand bestritt sein Recht, herumzuhumpeln und die Sternenkonstellationen beim Vorbeiziehen zu beobachten.
Er ging nach Hause, als sich seine Nerven beruhigten. Es würde keinen Schlaf für ihn geben. Er legte Papiere aus, begann sie zu studieren, zu entziffern, zu übersetzen, und einen Brief mit einer Geschichte zu schreiben, der sein Ziel noch jahrelang nicht erreichen würde.
One-Eye kam herein, um mir Bescheid zu geben, dass Darling gleich Corder und den Boten befragen wollte. „Sie sieht kränklich aus, Croaker. Hast du sie beobachtet?“
„Ich beobachte. Ich berate. Sie ignoriert mich. Was kann ich noch tun?“
„Wir haben noch über zwanzig Jahre, bis sich der Komet zeigt. Es bringt nichts, wenn sie sich totarbeitet, oder?“
„Sag das ihr. Sie erklärt mir nur, dass diese Sache lange, bevor der Komet wieder vorbeikommt, erledigt sein wird. Dass es ein Wettlauf gegen die Zeit ist.“
Sie glaubt das. Aber der Rest von uns brennt nicht mit ihrem Feuer. Isoliert auf der Ebene der Angst, von der Welt abgeschnitten, stellen wir manchmal fest, dass der Kampf gegen die Lady an Bedeutung verliert. Zu oft beschäftigt uns die Ebene selbst. Ich erwischte mich dabei, wie ich One-Eye abhängte. Dieses vorzeitige Begräbnis war nicht gut für ihn. Ohne seine Gaben wird er körperlich geschwächt. Er beginnt, sein Alter zu zeigen. Ich ließ ihn aufholen.
„Habt ihr euer Abenteuer genossen, Goblin und du?“
Er konnte sich nicht zwischen einem Schmunzeln und einem finsteren Starren entscheiden.
„Hat dich wieder erwischt, hm?“ Ihre Schlacht tobt seit der Dämmerung der Zeit. One-Eye beginnt jedes Scharmützel. Goblin beendet es normalerweise.
Er brummte etwas.
„Was?“
„He!“, brüllte jemand. „Alle nach oben! Alarm! Alarm!“
One-Eye spuckte aus. „Zweimal an einem Tag? Was zur Hölle?“
Ich wusste, was er meinte. Wir hatten in den ganzen zwei Jahren, seit wir hier waren, keine zwanzig Alarme. Jetzt zwei an einem Tag? Unwahrscheinlich.
Ich hastete zurück zu meinem Bogen.
Diesmal stürmten wir mit weniger Lärm hinaus. Elmo hatte sein Missfallen in einigen persönlichen Gesprächen schmerzhaft deutlich gemacht.
Wieder Sonnenlicht. Wie ein Schlag. Der Eingang zum Loch ist nach Westen gerichtet. Die Sonne stach in unsere Augen, als wir hinauskamen.
„Du verdammter Narr!“, brüllte Elmo gerade. „Was zur Hölle tust du da?“ Ein junger Soldat stand im freien Gelände und deutete. Ich folgte ihm mit meinen Blicken.
„Oh, Mist“, flüsterte ich. „Oh, verdammte Scheiße.“
One-Eye sah es auch. „Entführter.“
Der Punkt in der Luft schwebte höher, umkreiste unser Versteck, zog weiter herein. Plötzlich wackelte er.
„Jupp. Entführter. Whisper oder Journey?“
„Schön, alte Freunde zu sehen“, sagte Goblin, als er sich zu uns gesellte.
Wir hatten die Entführten nicht mehr gesehen, seit wir die Ebene erreicht hatten. Davor waren sie uns ständig im Nacken gesessen und hatten uns die gesamten vier Jahre verfolgt, die wir gebraucht hatten, um von Juniper aus hierherzukommen.
Sie sind die Verwalter der Lady, ihre Zweitbesetzungen im Schrecken erregen. Einst waren sie zehn. Zur Zeit der Schreckensherrschaft versklavten die Lady und ihr Gatte die größten ihrer Zeitgenossen und machten sie zu ihren Handlangern: die Zehn, die Entführt Wurden. Die Entführten kamen mit ihren Herren unter die Erde, als die Weiße Rose vor vier Jahrhunderten den Dominator besiegte. Und sie erhoben sich mit der Lady wieder. Seither ist der Komet zweimal wiedergekehrt. Und als sie sich untereinander bekämpften – denn einige blieben dem Dominator treu –, wurden die meisten vernichtet.
Doch die Lady besorgte sich neue Sklaven. Feather. Whisper. Journey. Feather und der letzte der alten, Limper, wurden in Juniper vernichtet, als wir den Versuch des Dominators, selbst wieder aufzuerstehen, vereitelten. Zwei sind übrig. Whisper. Journey.
Der fliegende Teppich wackelte, weil er die Grenze erreicht hatte, wo Darlings Nullfeld stark genug war, um seinen Auftrieb zu stören. Der Entführte drehte ab, lenkte nach außen und kam weit genug, um wieder die Kontrolle zu erlangen. „Schade, dass er nicht geradewegs hergeflogen ist“, sagte ich. „Und wie ein Fels abgestürzt wäre.“
„Sie sind nicht dumm“, sagte Goblin. „Sie spähen uns jetzt nur aus.“ Er schüttelte seinen Kopf und schauderte. Er wusste etwas, das ich nicht wusste. Wahrscheinlich etwas, das er während seiner Mission außerhalb der Ebene erfahren hatte.
„Kommt der Feldzug in Schwung?“, fragte ich.
„Jupp. Was tust du da, Stinker?“, fauchte er One-Eye an. „Pass auf.“
Der kleine schwarze Mann ignorierte den Entführten. Er starrte die wilden, vom Wind geformten Felsblöcke südlich von uns an.
„Unsere Aufgabe ist es, am Leben zu bleiben“, sagte One-Eye so aalglatt, dass man wusste, dass er etwas hatte, um Goblin zu necken. „Das bedeutet, sich nicht von der ersten bunten Aufführung, die man sieht, ablenken zu lassen.“
„Was zur Hölle soll das heißen?“
„Es heißt, während der Rest von euch diesen Hampelmann da oben anstarrt, hat sich ein anderer hinter den Felsblöcken angeschlichen und jemanden abgesetzt.“
Goblin und ich starrten die roten Klippen an. Wir sahen gar nichts.
„Zu spät“, sagte One-Eye. „Er ist weg. Aber ich schätze, jemand sollte hingehen und den Spion aufgabeln.“
Ich glaubte One-Eye. „Elmo! Komm hier rüber.“ Ich erklärte es ihm.
„Sie beginnen, sich zu rühren“, murmelte er. „Gerade als ich hoffte, dass sie uns vergessen hätten.“
„Oh, das haben sie nicht“, sagte Goblin. „Das haben sie ganz sicher nicht.“ Wieder hatte ich das Gefühl, dass er etwas im Sinn hatte.
Elmo überblickte das Gelände zwischen uns und den Felsblöcken. Er kannte es gut. Das tun wir alle. Eines Tages könnte unser Leben davon abhängen, dass wir es besser kennen als jemand, der uns jagt. „Also gut“, sagte er zu sich selbst. „Ich sehe es. Ich nehme vier Männer mit. Nachdem ich mit dem Leutnant gesprochen habe.“
Der Leutnant kommt bei Alarmen nicht heraus. Er und zwei weitere Männer halten die Stellung vor der Tür zu Darlings Quartier. Falls der Feind Darling jemals erreicht, dann nur über ihre Leichen.
Der fliegende Teppich flog nach Westen weg. Ich fragte mich, warum die Kreaturen der Ebene ihn nicht herausgefordert hatten. Ich ging zu dem Menhir, der zuvor mit mir gesprochen hatte. Ich fragte ihn. Statt zu antworten, sagte er: „Es beginnt, Croaker. Merke dir diesen Tag.“
„Ah ja. Klar.“ Und ich nenne diesen Tag den Beginn, obwohl Teile davon Jahre zuvor anfingen. Das war der Tag des ersten Briefs, der Tag des Entführten und der Tag von Tracker und Toadkiller Dog.
Der Menhir hatte eine letzte Anmerkung: „Da sind Fremde auf der Ebene.“ Er wollte die verschiedenen Flugtiere nicht verteidigen, weil sie sich dem Entführten nicht entgegengestellt hatten.
Elmo kam zurück. Ich sagte: „Der Menhir sagt, wir haben vielleicht noch mehr Besucher.“
Elmo hob eine Augenbraue. „Silent und du haben die nächsten beiden Wachen?“
„Jupp.“
„Seid vorsichtig. Goblin. One-Eye. Kommt her.“ Sie steckten ihre Köpfe zusammen. Dann suchte Elmo vier junge Männer aus und ging auf die Jagd.
Ich ging für meine Wache nach oben. Es gab kein Zeichen von Elmo und seinen Männern. Die Sonne stand tief. Der Menhir war verschwunden. Es gab kein Geräusch, nur die Stimme des Winds.
Silent saß im Schatten in einem Riff aus Tausendkorallen, wo Flecken aus Sonnenlicht durch die gewundenen Zweige drangen. Korallen sind eine gute Deckung. Wenige der Bewohner der Ebene wagen sich in ihr Gift. Die Wache ist immer in größerer Gefahr durch einheimische Exoten als durch unsere Feinde.
Ich drehte und duckte mich unter tödlichen Stacheln durch, bis ich zu Silent kam. Er ist ein großer, schlanker, alternder Mann. Seine dunklen Augen schienen sich auf Träume zu konzentrieren, die gestorben waren. Ich legte meine Waffen ab. „Irgendetwas?“
Er schüttelte seinen Kopf, eine einzige winzige Verneinung. Ich legte die Kissen hin, die ich mitgebracht hatte. Die Koralle wand sich um uns, Zweige und Äste kletterten zehn Meter hoch. Wir konnten außer der Furt durch den Bach und einigen toten Menhiren und den wandernden Bäumen am gegenüberliegenden Hang wenig sehen. Ein Baum stand neben dem Bach, Wurzeln im Wasser. Als würde er meine Aufmerksamkeit spüren, begann er einen langsamen Rückzug.
Die sichtbare Ebene ist unfruchtbar. Das übliche Wüstenleben – Flechten und niedrige Büsche, Schlangen und Eidechsen, Skorpione und Spinnen, wilde Hunde und Erdhörnchen – ist vorhanden, aber selten. Man begegnet ihm hauptsächlich, wenn es ungelegen kommt. Was das Leben in der Ebene generell beschreibt. Man begegnet den wirklich seltsamen Dingen nur, wenn es völlig unpassend ist. Der Leutnant behauptet, dass ein Mann, der hier versucht, Selbstmord zu begehen, Jahre damit zubringen kann, ohne sich unwohl zu fühlen.
Die vorherrschenden Farben sind rot und braun, Sandstein in rostfarben, ocker, blut- und weinrot wie die Felsblöcke, mit hier und da einer gelegentlichen Schicht orange. Die Korallen bilden vereinzelte weiße und pinke Riffs. Wahres Pflanzenleben fehlt. Sowohl wandernde Bäume als auch Buschpflanzen haben Blätter in staubigem Graugrün, wo grün hauptsächlich per Definition existiert. Die Menhire, lebendig und tot, haben ein stechendes Graubraun, anders als alle anderen Steine, die in der Ebene heimisch sind.
Ein plumper Schatten trieb über den wilden Schutt, der die Klippen umgab. Er bedeckte viele Morgen und war zu dunkel, um der Schatten einer Wolke zu sein. „Windwal?“
Silent nickte.
Er schwebte zwischen uns und der Sonne in den oberen Luftschichten, aber ich konnte ihn nicht erkennen. Ich hatte seit Jahren keinen mehr gesehen. Letztes Mal hatten Elmo und ich mit Whisper die Ebene überquert, im Auftrag der Lady … So lange her? Die Zeit verfliegt, und man hat wenig Spaß dabei. „Seltsame Gewässer unter der Brücke, mein Freund. Seltsame Gewässer.“
Er nickte, aber er sprach nicht. Er ist Silent.
Er hat in all den Jahren, seit ich ihn kenne, nicht gesprochen. Auch nicht in den Jahren, seit er bei der Kompanie ist. Trotzdem behaupten sowohl One-Eye als auch mein Vorgänger als Chronist, dass er absolut fähig ist, zu sprechen. Aus Andeutungen, die ich über die Jahre gesammelt habe, bin ich der festen Überzeugung, dass er in seiner Jugend, ehe er sich verpflichtete, einen großen Eid schwor, niemals zu sprechen. Weil es das eiserne Gesetz der Kompanie ist, nicht in das Leben eines Mannes zu schnuppern, bevor er sich verpflichtete, konnte ich nichts über die Umstände herausfinden.
Ich habe gesehen, wie er nahe daran war, zu sprechen, wenn er wütend oder amüsiert genug war, aber immer riss er sich im letzten Augenblick zusammen. Für eine lange Zeit machten sich die Männer einen Spaß daraus, ihn zu provozieren, um ihn dazu zu bekommen, seinen Eid zu brechen, doch die meisten gaben die Mühe schnell auf. Silent hatte hunderte kleine Arten, um einen Mann zu entmutigen, wie zum Beispiel sein Bettzeug mit Zecken zu füllen.
Schatten wurden länger. Flecken aus Dunkelheit verbreiteten sich. Schließlich erhob sich Silent, stieg über mich und kehrte ins Loch zurück, ein dunkel gekleideter Schatten, der sich durch die Finsternis bewegte. Ein seltsamer Mann, dieser Silent. Nicht nur spricht er nicht, er tratscht auch nicht. Wie soll man einen Zugang zu einem solchen Kerl bekommen?
Trotzdem ist er einer meiner ältesten und besten Freunde. Das soll mal jemand erklären.
„Also, Croaker.“ Die Stimme war so hohl wie die eines Geists. Ich zuckte zusammen. Bösartiges Gelächter schepperte durch das Korallenriff. Ein Menhir hatte sich an mich angeschlichen. Ich drehte mich langsam um. Er stand genau auf dem Pfad, den Silent genommen hatte, vier Meter hoch und hässlich. Ein Kümmerling seiner Art.
„Hallo, Fels.“
Nachdem er sich auf meine Kosten amüsiert hatte, ignorierte er mich jetzt. Blieb so still wie ein Stein. Haha.
Die Menhire sind auf der Ebene unsere wichtigsten Verbündeten. Sie übersetzen für die anderen fühlenden Wesen. Allerdings lassen sie uns nur wissen, was gerade vorgeht, wenn es ihnen passt.
„Was ist mit Elmo los?“, fragte ich.
Nichts.
Sind sie magisch? Ich schätze nicht. Ansonsten würden sie in dem Nullfeld, das Darling ausstrahlt, nicht überleben. Aber was sind sie? Mysterien. Wie die meisten der bizarren Kreaturen hier draußen.
„Da sind Fremde auf der Ebene.“
„Ich weiß. Ich weiß.“
Kreaturen der Nacht kamen heraus. Punkte aus grünlichem Leuchten flatterten und schwebten weiter oben. Der Windwal, dessen Schatten ich gesehen hatte, kam weit genug nach Osten, um mir seinen glitzernden Unterbauch zu zeigen. Er würde bald herunterschweben und seine Tentakel gleiten lassen, um alles einzufangen, das seinen Weg kreuzte. Eine Brise kam auf.
Ein Salbeiduft kitzelte meine Nase. Die Luft kicherte und flüsterte und murmelte und pfiff in der Koralle. Von weiter weg kam das Klirren des Windspiels am Alten Vaterbaum.
Er ist einzigartig. Der Erste oder Letzte seiner Art, ich weiß es nicht. Dort steht er, zehn Meter hoch und drei Meter breit, brütet neben dem Bach und strahlt etwas Ähnliches wie Furcht aus, während sich seine Wurzeln in den geographischen Mittelpunkt der Ebene graben. Silent, Goblin und One-Eye haben alle versucht, seine Bedeutung zu ergründen. Sie kamen zu keinem Ergebnis. Die verstreuten menschlichen Stämme der Ebene verehren ihn. Sie sagen, er ist seit Anbeginn der Zeit hier. Er verbreitet dieses zeitlose Gefühl.
Der Mond ging auf. Während er starr und rund am Horizont hing, dachte ich, ich sähe etwas vor ihm fliegen. Entführte? Oder eine Kreatur der Ebene?
Ein Aufruhr erklang vom Eingang des Lochs. Ich stöhnte. Das brauchte ich jetzt nicht. Goblin und One-Eye. Für eine halbe Minute wünschte ich mir ungnädig, sie wären nicht zurückgekehrt. „Lasst es sein. Ich will diesen Müll nicht hören.“
Goblin wetzte außerhalb der Koralle her, grinste und forderte mich heraus, etwas zu unternehmen. Er wirkte ausgeruht und erholt. One-Eye fragte: „Fühlst du dich griesgrämig, Croaker?“
„Verdammt richtig. Was macht ihr hier draußen?“
„Brauchten etwas frische Luft.“ Er neigte seinen Kopf und starrte auf die Klippen. Aha. Besorgt um Elmo.
„Er wird schon in Ordnung sein“, sagte ich.
„Ich weiß.“ One-Eye fügte an: „Ich habe gelogen. Darling schickt uns. Sie hat gespürt, dass sich am westlichen Rand des Nullfelds etwas regt.“
„Ah?“
„Ich weiß nicht, was es war, Croaker.“ Plötzlich wirkte er defensiv. Schmerzerfüllt. Er hätte es gewusst, wäre da nicht Darling. Es geht ihm so, wie es mir gehen würde, wenn man mir meine medizinische Ausrüstung abnähme. Keine Chance, das zu tun, was er sein ganzes Leben lang trainiert hat.
„Was willst du jetzt tun?“
„Ein Feuer entzünden.“
„Was?“
Dieses Feuer toste. One-Eye wurde so ehrgeizig, dass er genug Totholz heranzerrte, um eine halbe Legion zu versorgen. Die Flammen drängten die Finsternis zurück, bis ich fünfzig Meter über den Bach sehen konnte. Die letzten wandernden Bäume waren weggegangen. Wahrscheinlich rochen sie, dass One-Eye kam.
Goblin und er schleppten einen umgefallenen Baum von der gewöhnlichen Art heran. Wir lassen die Wandernden allein, außer den völlig tollpatschigen, die über ihre eigenen Wurzeln stolpern. Nicht dass das oft vorkommt. Sie bewegen sich nicht viel.
Sie kabbelten sich darüber, wer sich vor seinem Anteil an Arbeit drückte. Sie ließen den Baum fallen. „Verschwinden“, sagte Goblin und im nächsten Augenblick war da keine Spur mehr von ihnen. Verblüfft starrte ich in die Finsternis. Ich sah nichts, hörte nichts.
Ich stellte fest, dass ich Schwierigkeiten hatte, wach zu bleiben. Ich zerhackte den toten Baum, um eine Beschäftigung zu haben. Dann beschlich mich ein seltsames Gefühl.
Mitten im Schlag hielt ich inne. Seit wann hatten sich die Menhire versammelt? Ich zählte im Lichtschein vierzehn Stück. Sie warfen lange, tiefe Schatten. „Was ist los?“, fragte ich, meine Nerven etwas angespannt.
„Da sind Fremde auf der Ebene.“
Sie spielten ein höllisches Stück. Ich setzte mich mit dem Rücken nahe ans Feuer, warf Holz über meine Schulter und ließ die Flammen tosen. Das Licht breitete sich aus. Ich zählte zehn weitere Menhire. Nach einer Weile sagte ich: „Das sind nicht direkt Neuigkeiten.“
„Einer kommt.“
Das waren Neuigkeiten. Und mit Leidenschaft ausgesprochen, etwas, das ich nie zuvor erlebt hatte. Einmal, zweimal dachte ich, ich könne den Hauch einer Bewegung erkennen, aber ich war mir nicht sicher. Feuerschein ist trügerisch. Ich legte mehr Holz nach.
Sicher Bewegung. Jenseits des Baches. Die Gestalt eines Mannes, die langsam auf mich zukam. Erschöpft. Ich setzte mich mit gespielter Langeweile hin. Er kam näher. Über seiner rechten Schulter trug er einen Sattel und eine Decke, die er mit seiner linken Hand festhielt. In seiner rechten Hand trug er ein längliches hölzernes Kästchen, dessen Politur im Feuerschein glänzte. Es war zwei Meter lang und zehn auf zwanzig Zentimeter breit. Interessant.
Ich bemerkte den Hund, als sie den Bach durchquerten. Ein Mischling, heruntergekommen, mager, hauptsächlich schmutzig weiß, aber mit einem schwarzen Fleck um ein Auge und einigen schwarzen Flecken auf seinen Flanken. Er humpelte und hielt eine Vorderpfote hoch. Das Feuer erleuchtete seine Augen. Sie brannten hellrot.
Der Mann war über einen Meter achtzig groß, vielleicht dreißig Jahre alt. Er bewegte sich selbst in seiner Erschöpfung geschmeidig. Er hatte Muskeln über Muskeln. Sein zerfetztes Hemd zeigte, dass seine Arme und Brust mit Narben übersät waren. Sein Gesicht war bar jeder Emotion. Er erwiderte meinen Blick, als er sich dem Feuer näherte, wobei er weder lächelte noch ein feindliches Ansinnen preisgab.
Ein leichtes Frösteln durchfuhr mich. Er wirkte abgehärtet, aber nicht hart genug, um es allein über die Ebene der Angst zu schaffen.
Meine erste Aufgabe wäre es, ihn aufzuhalten. Otto sollte bald heraufkommen, um mich abzulösen. Das Feuer würde ihn alarmieren. Er würde den Fremden sehen, sich dann wieder nach unten schleichen und im Loch Alarm schlagen.
„Hallo“, sagte ich.
Er hielt inne und tauschte einen Blick mit seinem Köter. Der Hund kam langsam vorwärts, schnüffelte an der Luft und suchte die uns umgebende Nacht ab. Er hielt einige Meter entfernt an, schüttelte sich, als wäre er nass geworden, und legte sich hin.
Der Fremde kam genauso weit nach vorn. „Leg dein Gepäck ab“, lud ich ihn ein. Er schwang seinen Sattel herunter, legte sein Kästchen ab und setzte sich. Er wirkte steif. Er hatte Schwierigkeiten, seine Beine zu überkreuzen.
„Pferd verloren?“
Er nickte. „Hat sich ein Bein gebrochen. Westlich von hier, fünf, sechs Meilen. Ich habe den Pfad verloren.“
Es gibt Pfade durch die Ebene. Einige werden von der Ebene als sicher respektiert. Manchmal. Entsprechend einer Formel, die nur ihren Bewohnern bekannt ist. Nur jemand, der verzweifelt oder dumm ist, wagt sich allerdings allein dorthin. Dieser Kamerad sah nicht wie ein Idiot aus.
Der Hund machte ein wuffendes Geräusch. Der Mann kraulte ihn hinter den Ohren.
„Wo willst du hin?“
„Zu einem Ort namens die Festung.“
Das ist der legendäre Name, der Propaganda-Name für das Loch. Ein kalkuliertes Bisschen Glanz für die Truppen an weit entfernten Orten.
„Name?“
„Tracker. Das ist Toadkiller Dog.“
„Freut mich, dich kennenzulernen, Tracker. Toadkiller.“
Der Hund knurrte. Tracker sagte: „Du musst seinen ganzen Namen benutzen. Toadkiller Dog.“
Ich schaffte es nur, keine Miene zu verziehen, weil er so ein großer, grimmiger, abgehärtet aussehender Mann war. „Was ist diese Festung?“, fragte ich. „Davon habe ich noch nie gehört.“
Er hob seinen harten, dunklen Blick vom Mischling und lächelte. „Ich habe gehört, sie liegt in der Nähe von Tokens.“
Zweimal an einem Tag? War das der Tag von Zwei? Nein. Verdammt unwahrscheinlich. Mir gefiel auch das Aussehen des Mannes nicht. Erinnerte mich zu sehr an unseren einstigen Bruder Raven. Eis und Eisen. Ich setzte mein verblüfftes Gesicht auf. Das ist ein gutes. „Tokens? Das ist mir neu. Muss irgendwo verdammt weit im Osten sein. Was willst du dort überhaupt?“
Er lächelte wieder. Sein Hund öffnete ein Auge und warf mir einen verächtlichen Blick zu. Sie glaubten mir nicht.
„Botschaften überbringen.“
„Ich verstehe.“
„Hauptsächlich ein Paket. Adressiert an jemanden namens Croaker.“
Ich saugte die Spucke zwischen meinen Zähnen ein und überblickte langsam die uns umgebende Finsternis. Der Lichtschein war geschrumpft, aber die Zahl an Menhiren war unvermindert. Ich fragte mich, wo One-Eye und Goblin waren. „Also das ist ein Name, den ich schon gehört habe“, sagte ich. „Eine Art Feldarzt.“ Erneut warf mir der Hund diesen Blick zu. Diesmal, beschloss ich, war er sarkastisch.
One-Eye trat aus der Finsternis hinter Tracker, sein Schwert bereit, um die Drecksarbeit zu erledigen. Verdammt, kam er leise. Hexerei oder nicht. Ich verriet ihn mit einem überraschten Zucken. Tracker und sein Hund sahen nach hinten. Beide waren verblüfft, als sie dort jemanden erblickten. Der Hund stand auf. Seine Lefzen hoben sich. Dann sank er wieder zu Boden, nachdem er sich weit genug gedreht hatte, sodass er uns beide im Blick halten konnte.
Aber dann erschien Goblin, genauso leise. Ich lächelte. Tracker warf einen Seitenblick zu mir. Seine Augen verengten sich. Er wirkte gedankenverloren, wie ein Mann, der entdeckte, dass er in einem Kartenspiel mit schlaueren Schurken zusammen war, als er erwartet hatte. Goblin gluckste: „Er will hinein, Croaker. Ich sage, wir bringen ihn hinunter.“
Trackers Hand zuckte in Richtung des Kästchens, das er mitgebracht hatte. Sein Tier knurrte. Tracker schloss seine Augen. Als sie sich wieder öffneten, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Sein Lächeln kehrte zurück. „Croaker, hm? Dann habe ich die Festung gefunden.“
„Du hast sie gefunden, Freund.“
Langsam, um niemanden zu erschrecken, nahm Tracker ein Päckchen in Ölhaut aus seiner Satteltasche. Es war der Zwilling von dem, das ich nur einen halben Tag zuvor erhalten hatte. Er übergab es mir. Ich steckte es unter mein Hemd. „Wo hast du es her?“
„Oar.“ Er erzählte dieselbe Geschichte wie der andere Bote.
Ich nickte. „Du bist also von so weit gekommen?“
„Ja.“
„Dann sollten wir ihn hineinbringen“, sagte ich zu One-Eye. Er bemerkte, was ich meinte. Wir würden diesen Boten dem anderen gegenüberstellen. Sehen, ob die Funken flogen. One-Eye grinste.
Ich warf einen Blick zu Goblin. Er stimmte zu.
Keiner von uns hatte bei Tracker ein richtig gutes Gefühl. Ich bin mir nicht sicher, warum.
„Lass uns gehen“, sagte ich. Ich hievte mich mit meinem Bogen von der Erde hoch.
Tracker beäugte den Stab. Er hob an, etwas zu sagen, dann schwieg er wieder. Als hätte er ihn erkannt. Ich lächelte, als ich mich abwandte. Vielleicht dachte er, er hätte die Lady betrogen. „Folge mir.“
Das tat er. Und Goblin und One-Eye folgten ihm, wobei ihm keiner mit seinem Gepäck half. Sein Hund humpelte neben ihm, die Nase am Boden. Ehe wir hineingingen, warf ich einen besorgten Blick nach Süden. Wann würde Elmo heimkommen?
Wir steckten Tracker und den Köter in eine bewachte Zelle. Sie protestierten nicht. Ich ging in mein Quartier, nachdem ich Otto geweckt hatte, der schon überfällig war. Ich versuchte zu schlafen, aber dieses verdammte Päckchen lag auf dem Tisch und schrie nach mir.
Ich war nicht sicher, ob ich seinen Inhalt lesen wollte.
Es gewann die Schlacht.
Croaker:
Bomanz lugte durch seinen Theodolit und stellte ihn auf den Vorderteil des Großen Grabhügels ein. Er trat zurück, notierte sich den Winkel und schlug eine seiner kruden Feldkarten auf. Genau hier hatte er die TelleKurre-Axt ausgegraben. „Wünschte, Occules’ Beschreibungen wären nicht so vage. Das muss die Flanke ihrer Formation gewesen sein. Die Achse ihrer Linie sollte parallel zu den anderen gewesen sein, so. Shifter und die Ritter hätten sich hier gesammelt. Ich will verdammt sein.“
Der Boden machte dort einen leichten Hügel. Weniger Grundwasser, das begrabene Artefakte beschädigen konnte. Aber das Unterholz war dicht. Buscheichen. Wilde Rosen. Efeu. Besonders Efeu. Bomanz hasste dieses Unkraut. Er begann sich zu kratzen, als er nur daran dachte.
„Bomanz.“
„Was?“ Er wirbelte herum und hob seine Harke.
„Hui! Bleib locker, Bo.“
„Was stimmt denn mit dir nicht? Sich so anzuschleichen. Ist nicht witzig, Besand. Willst du, dass ich dir dieses idiotische Grinsen aus dem Gesicht harke?“
„Oh! Sind wir heute grantig?“ Besand war ein schlanker alter Mann, ungefähr in Bomanz’ Alter. Seine Schultern hingen und folgten seinem Kopf, der nach vorne baumelte, als würde er an einer Spur schnüffeln. Dicke blaue Venen überzogen seinen Handrücken. Leberflecken übersäten seine Haut.
„Was zur Hölle erwartest du? Kommst hier aus den Büschen und springst einen Mann an.“
„Büsche? Welche Büsche? Macht dir dein Gewissen Sorgen, Bo?“
„Besand, du hast versucht, mir eine Falle zu stellen, seit der Mond jung war. Warum gibst du nicht auf? Erst macht mir Jasmine das Leben schwer, dann kauft mich Tokar leer, sodass ich frische Ware ausgraben muss, und jetzt muss ich mit dir tanzen? Geh weg, ich bin nicht in Stimmung.“
Besand grinste ein breites, schiefes Grinsen, das Stümpfe von verrotteten Zähnen zeigte. „Ich habe dich nicht erwischt, Bo, aber das bedeutet nicht, dass du unschuldig bist. Es bedeutet nur, dass ich dich nie erwischt habe.“
„Wenn ich nicht unschuldig bin, musst du verdammt blöd sein, wenn du mich in vierzig Jahren nie erwischt hast. Verdammt, Mann, warum zur Hölle kannst du uns allen beiden das Leben nicht leichter machen?“
Besand lachte. „Sehr bald jetzt wirst du mich für immer los. Die schicken mich aufs Altenteil.“
Bomanz lehnte sich auf seine Harke und betrachtete den Wächter. Besand verströmte den sauren Gestank von Schmerz. „Wirklich? Tut mir leid.“
„Das wette ich. Mein Ersatz ist vielleicht schlau genug, um dich zu erwischen.“
„Lass es doch ruhen. Du willst wissen, was ich mache? Herauskriegen, wo die TelleKurre-Ritter gefallen sind. Tokar will spektakuläres Zeug. Das ist das Beste, was ich tun kann. Abgesehen davon, dort hinüberzumarschieren und dir einen Grund zu geben, mich aufzuhängen. Gib mir die Wünschelrute.“
Besand übergab ihm den Zauberstab. „Grabräuberei, hm? Hat das Tokar vorgeschlagen?“ Eisige Nadeln gruben sich in Bomanz’ Wirbelsäule. Das war mehr als eine beiläufige Frage.
„Müssen wir das permanent machen? Kennen wir einander nicht lang genug, um ohne das Katz-und-Maus-Spiel auszukommen?“
„Mir macht es Spaß, Bo.“ Besand folgte ihm zu der überwachsenen Erhebung. „Muss das ausholzen. Komme einfach nicht mehr mit. Nicht genug Männer, nicht genug Geld.“
„Könntest du das gleich erledigen? Genau dort will ich graben, glaube ich. Efeu.“
„Oh, pass mit dem giftigen Efeu auf, Bo.“ Besand kicherte. Jeden Sommer fluchte sich Bomanz seinen Weg durch zahlreiche botanische Feinde. „Wegen Tokar …“
„Ich mache keine Geschäfte mit Leuten, die das Gesetz brechen wollen. Das war schon immer meine Regel. Niemand belästigt mich mehr.“
„Unaufrichtig, aber akzeptabel.“
Bomanz’ Wünschelrute zuckte. „Ich will in Schafscheiße getunkt werden. Mittenrein.“
„Sicher?“
„Schau, wie sie zuckt. Müssen sie in einem großen Loch begraben haben.“
„Wegen Tokar …“
„Was ist mit ihm, verdammt? Wenn du ihn hängen willst, dann mach schon. Gib mir nur Zeit, mich mit jemand anderem zu arrangieren, der meine Geschäfte genauso gut führt.“
„Ich will niemanden hängen, Bo. Ich will dich nur warnen. Aus Oar kommt das Gerücht, das besagt, er sei ein Auferstehungsanhänger.“
Bomanz ließ seine Wünschelrute fallen. Er schnappte nach Luft. „Wirklich? Ein Auferstehungsanhänger?“
Der Überwacher beobachtete ihn genau. „Nur ein Gerücht. Ich höre alles Mögliche. Dachte, du willst es wohl wissen. Wir stehen uns so nahe, wie es zwei Männer hier nur können.“
Bomanz nahm den Olivenzweig an. „Jupp. Ganz ehrlich, er hat nie einen Hinweis fallen lassen. Puh! Das ist viel zu verdauen.“ Vieles, was einiges konzentriertes Nachdenken erforderte. „Sag niemandem, was ich gefunden habe. Dieser Dieb Men Fu …“
Besand lachte wieder. Sein Frohsinn hatte einen düsteren Beigeschmack.
„Du magst deine Arbeit, nicht wahr? Ich meine, Leute zu belästigen, die es nicht wagen, sich zu wehren.“
„Vorsichtig, Bo. Ich könnte dich zu einem Verhör zerren lassen.“ Besand wirbelte herum und marschierte fort.
Bomanz zog eine Grimasse hinter seinem Rücken. Natürlich genoss Besand seine Aufgabe. Sie ließ ihn den Diktator spielen. Er konnte jedem alles antun, ohne sich dafür verantworten zu müssen.
Sobald der Dominator und seine Lakaien gefallen und in ihren Grabhügeln begraben waren, hinter Barrieren, die mit der feinsten Magie ihrer Zeit errichtet waren, befahl die Weiße Rose, dass eine Ewige Wache postiert wurde. Eine Wache mit Verpflichtungen an niemanden, mit dem Auftrag, die Auferstehung des untoten Bösen unter den Grabhügeln zu verhindern. Die Weiße Rose verstand die menschliche Natur. Es würde immer diejenigen geben, die einen Profit darin sahen, den Dominator zu benutzen oder ihm zu folgen. Es würde immer die Teufelsbeschwörer geben, die sich wünschten, ihr Vorkämpfer würde befreit.
Die Auferstehungsanhänger erschienen fast noch ehe das Gras auf den Grabhügeln sprießte.
Tokar ein Auferstehungsanhänger?, dachte Bomanz. Habe ich nicht genug Schwierigkeiten? Besand wird jetzt seine Zelte in meiner Tasche aufschlagen.
Bomanz hatte kein Interesse daran, alte Teufel wiederzubeleben. Er wollte nur mit einem davon Kontakt herstellen, um mehrere uralte Mysterien zu erhellen.
Besand war außer Sicht. Er sollte den ganzen Weg bis zu seinem Quartier zurückstapfen. Es wäre genug Zeit für einige verbotene Beobachtungen. Bomanz richtete seinen Theodolit neu aus.
Das Barrowland machte nicht den Anschein großer Teufelei, nur von Vernachlässigung. Vierhundert Jahre an Vegetation und Verwitterung hatten dieses einst wundervolle Werk neu strukturiert. Die Grabhügel und die mystische Landschaft waren unter dem Gebüsch, das sie bedeckte, beinahe verloren. Die Ewige Wache hatte nicht länger die Ressourcen, um sie angemessen instand zu halten. Überwacher Besand kämpfte einen verzweifelten Rückzugskampf gegen die Zeit selbst.
Nichts wuchs im Barrowland gut. Die Vegetation war verwunden und kleinwüchsig. Trotzdem waren oft die Formen der Grabhügel verborgen und die Menhire und Fetische, die die Entführten festhielten.
Bomanz hatte sein Leben darauf verwendet, herauszufinden, welcher Grabhügel welcher war, wer wo lag und wo jeder Menhir und Fetisch stand. Seine Generalkarte, sein seidener Schatz, war beinahe vollständig. Er konnte das Labyrinth fast durchdringen. Er war so nahe daran, dass er versucht war, es zu probieren, ehe er wirklich bereit war. Aber er war kein Narr. Er hatte vor, zu versuchen, der schwärzesten aller Kühe süße Milch abzumelken. Er wagte es nicht, einen Fehler zu machen. Er hatte auf der einen Seite Besand im Nacken, auf der anderen die giftige alte Bösartigkeit.
Aber falls er Erfolg hatte … Ah, falls er Erfolg hatte. Falls er den Kontakt herstellte und die Geheimnisse erlangte … Das Wissen der Menschheit würde dramatisch erweitert. Er würde der mächtigste lebende Magier werden. Sein Ruhm würde auf dem Wind getragen. Jasmine hätte alles, was sie laut ihrer Nörgelei geopfert hatte. Falls er den Kontakt herstellte.
Er würde das, verdammt nochmal! Weder die Furcht noch die Schwäche des Alters würden ihn jetzt aufhalten. Noch ein paar Monate und er hätte den letzten Schlüssel.