The Consultant - Arno Ritter - E-Book

The Consultant E-Book

Arno Ritter

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Beschreibung

Sommer 2015: Lassen Sie uns Rob, den Consultant, auf der Suche nach seinem verschwundenen Patensohn begleiten. Im PSI-Projekt eingeschleust, beginnt die Suche in L.A. Nichts ist so, wie es zunächst scheint. Gut, dass es seine Freunde gibt. Oder etwa doch nicht? Wer sind die Feinde: amerikanische Mobster, die chinesischen Triaden oder die Russen-Maffia? Und was führen Walt und Sandy im Schilde?

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Inhaltsverzeichnis

America

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Singapore

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Germany

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

AMERICA

Kapitel 1

Nun saß ich in der S1 in Richtung Hamburg Airport. Es war keine zwei Tage her, dass Josh mich mitten in der Nacht aus L.A. angerufen hatte. An die Zeitverschiebung schien er mal wieder nicht gedacht zu haben. Da ich einen sehr leichten Schlaf habe, war ich schon beim dritten Klingelton schlaftrunken an das Handy gegangen, was ich seit dem Stromausfall im vergangenen Jahr immer auch als elektronischen Wecker nutze. „Josh, do you know what time is in Germany now?“. Okay, mein Englisch war grammatikalisch nicht ganz korrekt und mein deutscher Akzent nicht zu überhören. Wie immer sprachen wir natürlich Englisch. Josh fiel mir sofort ins Wort, entschuldigte sich ausdrücklich, was bei ihm recht selten ist, und betonte, dass er genau wisse, dass es 2 Uhr 17 sei. Er müsse mich aber jetzt unbedingt sprechen. Erst jetzt fiel mir auf, dass die im Display angezeigte Nummer mir völlig unbekannt war. Bevor ich darüber nachdenken konnte, warum er nicht von seinem Mobiltelefon oder seinem Festnetz- oder Büroanschluss anrief, gab er schon eine Antwort. „Weißt Du, Rob“, – er nennt mich immer Rob, obwohl ich das nicht sonderlich mag, ich heiße nämlich Robert – „Du musst unbedingt mit der nächsten Maschine nach L.A. kommen. Ich brauche dringend jemanden, dem ich vertrauen kann. Max ist verschwunden...“ Ich brachte es nur zu einem „What?“. Josh ließ mir aber keine Zeit zum Nachdenken und explodierte förmlich: „Ich glaube, sie haben ihn entführt und sie überwachen meine gesamten Telefone und Mails. Ruf mich also bitte nicht an oder schicke mir auch keine E-Mails“. Er merkte, dass ich irritiert und obendrein etwas sprachlos war. „Ich erkläre Dir alles, wenn Du bei uns in Amerika bist. Du musst unbedingt die KLM-Maschine von Amsterdam am Samstag buchen. Am Freitag ist schon alles ausgebucht; das habe ich schon gecheckt. Miete Dir einen Wagen und fahre vom LAX zum John Wayne Airport. Ethan wird Dich am Samstag dort bei der Statue treffen.“ Ich kannte den Flughafen und ebenso die Kolossalfigur des bekannten Westernstars. Sogar der gesamte Flughafen wurde nach ihm mittlerweile benannt. Vielleicht benennt man ja irgendwann einen Flughafen nach Bruce Willis. Doch für solche Gedanken, auch nur im Bruchteil von Sekunden, war jetzt absolut kein Platz. Ethan war Joshs älterer Bruder, mit dem er meist auf Kriegsfuß stand, obwohl sie gemeinsam eine IT-Firma recht erfolgreich gegründet und aufgebaut hatten und nun zusammen leiteten. Das Letztere gemeinsam tun zu müssen, war wohl für beide die größte Herausforderung von allem. Wenn Ethan, der sonst sein Lab, seine Server Rooms und sein Büro so gut wie nie verließ, geschweige denn um Josh irgendeinen Gefallen zu tun, sich extra Zeit nehmen würde, auf mich zu warten? Was war da dann wirklich los? Josh fuhr fort: „Er wird auf jeden Fall dort sein. Really. Tue aber so, als ob Du ihn nicht kennst.“ „Ja, aber ...“, versuchte ich einzuwenden. Ich hatte immer noch nicht begriffen, dass mein Patensohn Max entführt sein sollte oder sonst wie verschwunden war. Im Moment konnte ich nur begreifen, dass ich schleunigst nach L.A. sollte. Aber wie soll das auf die Schnelle funktionieren, einen Transatlantikflug inklusive Transferflug von Hamburg zu bekommen? Außerdem, wie konnte Josh annehmen, dass ich mich hier sofort loseisen könnte? Joshs Stimme aber entnahm ich, dass es ihm absolut ernst war und er mir auch keine Wahl lassen würde. „Mach Dir über die Kosten keine Gedanken. Ich zahle Dir den Flug natürlich. Überhaupt, alle Unkosten; wir buchen das als Beratungsprojekt. Sage aber nichts davon bei der Einreise. Ich weiß immer noch nicht, wer sie sind und was sie bereits wissen.“ Josh machte eine kurze Pause. „Du solltest mit dem Einreise-Visum ja kein Problem haben. Dein Esta-Antrag ist doch noch immer gültig.“ Er hatte natürlich recht, denn ich war schon einmal dieses Jahr zum Geburtstag von Max in den Staaten gewesen. „Buche einen Rückflug aber frühestens für in zwei Wochen, mit der Möglichkeit, den Abflug zu verschieben. Du kannst Dir doch hoffentlich ein bis zwei Wochen freinehmen?“ Er war diesmal Gentleman genug zu übergehen, dass er sehr wohl wusste, dass ich momentan eine Flaute durchlebte. Mein letztes Projekt war vor einem Monat „on hold“ gesetzt worden, obwohl es erfolgreich den letzten Meilenstein genommen hatte. Ein neues, anderes Projekt war noch lange nicht in Sicht. Dazu dauert Kaltakquise bei potentiellen Neukunden einfach zu lange und meinen anderen Bestandskunden hatte ich bereits wegen des letzten Projektes Absagen erteilen müssen. Natürlich hatten sie mittlerweile auf meine Wettbewerber zurückgegriffen. War ja nur zu natürlich. Ich hatte dies alles bei unserem letzten Telefonat, als ich Fiona zum Geburtstag gratuliert hatte, erwähnt und wohl auch etwas von den harten Zeiten gejammert. Amerikaner denken in diesem Punkte viel optimistischer und schätzen wehleidiges Unternehmertum nicht. „Hör zu, ruf uns auf keinen Fall an und sende auch keine E-Mails – wie gesagt. Ich rufe Dich gerade von einer Telefonzelle in einer Shopping Mall aus an. Ich treffe hier vielleicht gleich auch jemanden, der uns helfen kann. Ach, sag bei der Einreise einfach, dass Du Dich mit Freunden in Palm Springs treffen wirst. Gib notfalls ein paar fiktive Namen an und nenne irgendein Motel als Adresse. Findest Du alles im Internet. Vertraue aber wirklich niemandem. Sage auch niemand bei Dir zu Hause, warum Du wirklich nach L.A. fliegst. Tust Du das für uns? Fiona ist wirklich am Ende. Ich glaube, Du hast sie noch nie so down gesehen. Ja, am besten kommst Du mit Business-Klamotten. Vielleicht schleusen wir Dich als den Consultant im PSI-Projekt ein. Ja, das sollten wir am besten so machen.“ „PSI?“. Josh sagte nur: „Ist nicht wichtig, aber könnte klappen. Bring einfach Dein Man-in-black-Consulting-Zeug mit, aber ebenso Deine Trecking-Sachen, vielleicht müssen wir auch nach Utah.“ Bevor ich noch eine vernünftige Frage stellen konnte, sagte Josh: „Es tut mir leid, ich muss jetzt auflegen. Ich glaube, sie beobachten mich. Shit! Du kommst doch bitte – auf jeden Fall?“ „Ja, wenn ich den Flug buchen kann.“ „Ich wusste, auf Dich kann man sich verlassen, Rob“. Als Nächstes hörte ich nur den Dauerton der nun unterbrochenen Verbindung.

An dies alles musste ich gerade denken, als die S-Bahn in Wedel losfuhr. Wir passierten Rissen, Sülldorf und Iserbrook, bevor wir im Kopfbahnhof von Blankenese die Fahrtrichtung änderten. Die nächsten fünfundvierzig Minuten bis zum Hamburg-Airport achtete ich nicht wirklich auf die gerade durchquerte Gegend. Ich war zu aufgeregt, denn die letzten zwei Tage waren wirklich etwas hektisch gewesen. Gleich morgens um 09:00 Uhr hatte ich mein Reisebüro angerufen und gebeten, mir den KLM-Flug von Amsterdam zum LAX zu buchen und auch einen Zubringerflug von Hamburg, aber diesmal bitte mit genügend Zeit zum Umsteigen. Die letzten Male auf dem Flug von Amsterdam nach Toulouse hatte ich immer von Terminal C oder D, wo ich verspätet angekommen war, nach Terminal B rennen müssen. Mein letzter Rekord war fünf Minuten. Okay, das Gate war gerade dabei geschlossen zu werden und ich war schon für den Anschlussflug von der Passagierliste gestrichen worden. Das Bodenpersonal war über mein Auftauchen total überrascht und musste mir wieder eine neue Bordkarte ausstellen. Mein Platz am Flur war durch irgendeinen Fensterplatz in der Mitte des Flugzeuges ersetzt worden. Ich hatte es aber immerhin geschafft und zwar als einziger des Zubringerfluges. Ich war vom Rennen völlig schweißgebadet. Die hübsche Niederländerin auf dem Sitzplatz neben mir fand das wohl nicht so toll. Die fünf anderen vom Hamburg-Flug hatten es allerdings nicht mehr geschafft und mussten wohl in Amsterdam übernachten. Ich hasse es wie die Pest, wenn man sich so abhetzen muss oder sonst Gefahr läuft, den letzten Flug des Tages zu verpassen. Für ein Eintages-Meeting, welches um 09:30 Uhr beginnen soll, lohnt es sich dann überhaupt nicht, mit einem Tag Verspätung erst um die Mittagszeit anzukommen oder für nichts und wieder nichts an einem Ort zu übernachten, um dann unverrichteter Dinge wieder heimzufliegen.

Diesmal ging es aber nicht um irgendein Meeting, welches vermutlich genauso gut als Video- oder Webex-Konferenz hätte durchgeführt werden können, sondern es stand viel mehr auf dem Spiel, obwohl ich immer noch nicht wusste, worum es wirklich hierbei ging, wie ich mir wiederholt eingestehen musste. Seit Joshs Anruf hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Mein Reisebüro hatte mir aber diesmal eine gute Verbindung mit vier Stunden Zeit in Amsterdam herausgesucht, so dass diesmal kein Stress angesagt sein sollte. Ich war aber doch viel zu aufgeregt, um das auch so zu sehen und malte mir schon im Geiste aus, wie die Zubringermaschine von Amsterdam heute erheblich verspätet in Hamburg eintreffen würde, auf einer Außenposition parken werden müsste, mit Verspätung dann obendrein noch einen ungünstigen Slot für den Start zugewiesen bekäme, und deshalb fernerhin nicht rechtzeitig in Amsterdam eintreffen würde. Manchmal kann ich sehr destruktiv denken. Der komfortable Zeitpuffer schwand vor meinem geistigen Auge und ich war schon gefühlt einer kleinen Panik nahe und befürchtete, dass ich schlussendlich doch den Flug nach L.A. verpassen würde. Und ich war noch nicht einmal in Altona. Wenn jetzt wieder auch noch ein Polizeieinsatz an der S-Bahn nötig werden würde und die S-Bahn stoppen müsste? Zu dieser frühen Uhrzeit war das natürlich absurd. Ich merkte, dass ich nicht ganz rational dachte. Warum hatte ich überhaupt nicht ein Taxi bestellt? Ich hätte doch Bodo anrufen können.

Seit Altona fuhr die S-Bahn unterirdisch weiter, ohne Störungen und völlig fahrplanmäßig. Die Reeperbahn und die Landungsbrücken hatten wir schon hinter uns gelassen. Die S-Bahn war nun schon richtig voll. Zuhause hatte ich alles geregelt. Meine Cousine Elke würde sich um meine Wohnung und meine Post kümmern. Sie fungierte immer wieder als meine Sekretärin und Steuerberaterin, so dass ich an dieser Front erst einmal sorgenfrei sein konnte. Ich checkte jetzt noch einmal meine Unterlagen, obwohl ich das natürlich schon zuhause mehrfach getan hatte. Alles da: der Reisepass, ohne den es wirklich nicht ging, meinen Führerschein, meine Kreditkarte, ausreichend Bargeld, den Ausdruck meiner Flugdaten, eine Kopie des Esta-Formulars. Ja, mein alter Laptop war ebenfalls dabei. Den neuen hatte ich einer Eingebung folgend dann doch nicht mitgenommen. Ich hatte ferner alle möglichen alten, vertraulichen Daten auf dem Laptop gelöscht. Sogar meinen Fotoapparat hatte ich eingepackt, aber nur für etwa zwei Wochen Wäsche. Ich ging davon aus, dass ich bei Josh wohnen würde. Oder eventuell doch nicht? Auf jeden Fall musste ich mit allem rechnen. Bei Josh könnte ich allerdings waschen lassen oder mich mit allem, was mir fehlen würde, recht einfach eindecken. Außerdem, ich flog ja nicht in die Dritte Welt, sondern nach Amerika. Aber, verdammt noch mal, warum muss dann jemand aus Old Europe kommen? Was war mit der amerikanischen Polizei, mit Joshs anderen Freunden? Und was sollte überhaupt gemacht werden? Ich war doch kein Detektiv. Wir fuhren seit dem Hauptbahnhof wieder oberirdisch. Ich grübelte weiter. Gestern, nachdem alles gepackt und organisiert war, hatte ich begonnen, im Internet nach Anhaltspunkten zu suchen. Aus L.A. gab es nichts wirklich Bedeutendes im Moment zu berichten. Okay, in diesem Sommer gab es wieder eine schon fast rekordverdächtige Hitzeperiode, die zu nicht geringer Wasserknappheit führte. Das war aber leider der Trend der letzten Jahre. Hausbesitzer wurden aufgefordert, ihren Rasen nicht mehr zu sprengen oder den Swimmingpool nicht mehr mit frischem Wasser zu versorgen. Nichts Ungewöhnliches also für einen heißen Juli in Kalifornien. Wald- und Buschbrände suchten die Randgebiete heim, die Rat cities, wie Josh sie nannte, da sie fatalerweise in Canyons der Küstengebirge gebaut waren und von jeher von Rattlesnakes und vermutlich auch Ratten bevölkert waren. Auf jeden Fall wurden sie immer wieder von Buschfeuern heimgesucht. Davon würden wir nicht betroffen sein. Josh wohnte an der Küste in einer der Beach Cities. Die Baustellen auf der Interstate 5 in Richtung San Diego führten zu dem erwarteten Verkehrskollaps und langen Staus. Also, alles in allem, „Business as usual“. Das traf ebenso auf die Wirtschaftsnachrichten zu. Sogar die Lokalnachrichten und der Polizeibericht aus L.A., San Bernadino oder Orange County schienen mir nicht ungewöhnlich, eher langweilig. Aber, was verstand ich schon von Polizeiberichten? In Ohlsdorf wurden die hinteren drei Einheiten der S-Bahn abgekuppelt und fuhren kurze Zeit später nach uns in Richtung Poppenbüttel weiter. Wir wiederum setzten unsere Fahrt zum Airport fort, den wir nun zügig erreichten. Ich schaute auf die Uhr. Wir waren auf die Minute genau am Ziel, also Zeit genug, um nun nach Terminal T1 zu dem KLM/Air-France-Check-In zu gehen.

Wenn man noch fast zwanzig Stunden zu reisen vor sich hat, vergeht die Zeit deutlich langsamer. Im Rückblick ist alles wiederum schnell erzählt: Bordkarte aus dem Automaten gezogen, Gepäck beim Check-In abgegeben, Security Gate, Eintreten in die Airport Plaza, Aufsuchen einer Toilette, weiter zum Gate, Warten, Warten, Boarding, Flug nach Amsterdam, Landung, Taxi, Parken, Aussteigen, weiter zu den internationalen Terminals, Passkontrolle und Security Gates, Toilettenbesuch, Kauf einer Flasche Wasser, Zeit totschlagen, weiter zum Abfluggate, Warten, Warten, langwierige Boarding-Prozedur, endlich glücklich an Bord der Boeing 747, Gepäck verstaut, angegurtet, Warten, Sicherheits-Einweisung, verspäteter Abflug, etwas Lesen, Dösen, Mittagessen, Dösen, Snacks, immer wieder ein paar Becher Wasser im Galley-Bereich trinken, einen Film im Inflight Entertainment System sehen, Dösen usw. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit fast pünktliche Landung in L.A. Da ich weiter hinten saß, war ich einer der letzten Passagiere, der die Maschine verließ. Schnell noch zur Toilette. Bei der Einreisekontrolle stand ich nun ganz hinten in der Schlange der Non residents. Glück gehabt, nach uns zwei weitere Transkontinentalflüge aus China und Japan. Dass hätte gedauert! Passkontrolle mit den obligatorischen Finger-Scans, Fotos und Fragen zur Einreise. Auf Nachfrage nach meinem Reiseziel Palm Springs dabei erwähnt. Dann auf das Gepäck gewartet und zu spät entdeckt, dass mein Koffer nicht auf dem Baggage Claim rotierte, sondern bereits mit ein paar anderen Koffern des KLM-Fluges zur Seite gestellt worden war; das passiert immer wieder mal, wenn die Einreiseprozeduren zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Auf zur Zollkontrolle, die im Flugzeug ausgeteilte, mittlerweile von mir ausgefüllte Karte beim Zollbeamten abgegeben und endlich, endlich im Arrival-Bereich auf amerikanischen Boden. Weiter zum Shuttle der Mietwagenfirma.

Beim Verlassen des Flughafengebäudes wurde mir bewusst, wie müde und erschöpft ich doch war, trotz des Versuches, möglichst während des Fluges Kraft zu sparen und Energie zu tanken. Leider gelang es mir immer noch nicht, im Flugzeug, selbst bei Langstrecken, vernünftig zu schlafen. Außerdem war ich Yankee class, d. h. Economy, geflogen. Fairerweise gesagt, lag das nicht nur daran. Tagsüber kann ich sowieso kein Nickerchen halten. Dennoch hatte ich versucht etwas zu schlafen. Zu viele Fragen geisterten jedoch in meinem Kopfe herum. Aber auch intensives Nachdenken und die Erkenntnis, dass ich bisher nur über den Zweck meiner Reise spekulieren konnte, führten momentan zu nichts. Alles drehte sich bei mir immer wieder im Kreise. Außer dem Anruf von Josh hatte ich ja bisher nichts Neues erfahren und auch das war nicht wirklich greifbar. Worum ging es denn überhaupt? Was war in den letzten zwei Tagen hier vor Ort eigentlich wirklich passiert? Die Zeit war zudem nicht stillgestanden. Wenn Max tatsächlich entführt worden war, was ich mir so zusammenreimte, müssten sich doch die Entführer irgendwann melden. Was würden ihre Forderungen sein? Es war doch „nur“ eine gewöhnliche Entführung eines Unternehmersohnes, bei dem es um Lösegeld ging? An alles andere, wie etwa Sexual-Verbrechen, wollte ich nicht denken; ein leichtes Grauen befiel mich trotz des Versuches, diese Gedanken zu verdrängen. War die Polizei mittlerweile doch eingeschaltet worden? Ich spürte, dass mein Puls raste, wie schon mehrfach in den letzten beiden Tagen. Ich fühlte mich richtig Scheiße.

Jetzt, da ich in die Nachmittagshitze eines besonders heißen kalifornischen Tages aus dem Empfangsgebäude heraustrat, wurde mir wieder bewusst, dass Los Angeles neben Kairo eigentlich eine der größten Oasen-Städte der Welt ist. Ja, das mit dem Halbwüstenklima stimmte, aber die künstliche Bewässerung dieser Megacity hatte ihr übriges getan, uns über die eigentliche geographische Lage hinwegzutäuschen. Natürlich hatte der Los-Angeles-Aquädukt und weitere Vorhaben von William Mulholland dazu geführt, dass es noch reichlich Wasser im Großraum L.A. gab: Palmen, grüne Rasenflächen, Swimmingpools, ja im Orange County neben den namensgebenden Orangen-Plantagen gab es hier obendrein Erdbeerfarmen. Die grandiose, aber mit den natürlichen Ressourcen exzessiv umgehende Wasserversorgung im gesamten Südwesten der USA hatte aber generell auch dazu geführt, dass der Mono Lake und Colorado River heutzutage deutlich weniger Wasser führten als noch vor wenigen Jahrzehnten. In Mexiko kommt, ich hatte es selbst noch nicht persönlich gesehen, wohl nur eine braune, schlammige Brühe im Pazifik an. Den dramatischen Fall des Wasserpegels des Lake-Mead-Stausees hatte ich am Hoover Dam seit 1997 mehrfach selber beobachten können. Ja, damals, als ich mit meiner amerikanischen Gastfamilie mein elftes Schuljahr in Phoenix, Arizona, verbringen durfte, hatten wir recht viel im Südwesten der USA unternommen. Ich war Joshs Eltern sehr dankbar dafür. Ich hatte es mit dieser vermögenden Mittelklassefamilie recht gut getroffen. Wir hatten uns gegenseitig ins Herz geschlossen und seitdem nannten sie mich ihren dritten Sohn.

Ja, immer wieder diese Hitze in L.A. Aber sie ist in dieser vollklimatisierten Stadt mit ihren hunderttausenden Autos, unzähligen Clubs, Fast-Food-Restaurants und Shopping-Malls, zumindest gefühlt, nie so heiß wie die Mojave-Wüste oder die Halbwüsten Arizonas, New Mexicos oder Utahs.

Ich hatte diesmal Glück. Nach fünf Minuten kam der Shuttle-Bus meiner Mietwagenfirma. Ich hatte, wie immer, einen Mietwagen einer größeren Autoverleihfirma im Internet gebucht, da man dann weniger Probleme hat, auch andere Bundesstaaten zu bereisen, oder obendrein leichter Hilfe bei technischen Problemen zu bekommen, die ich glücklicherweise noch nie hatte. Wir fuhren den West Century Boulevard nach Osten und bogen dann in den Aviation Boulevard nach Norden ein. Etwas gereizt musste ich mich noch einmal am Schalter der Mietwagenfirma gedulden, weil irgendwelche Touristen sich von Jim, so hieß der Mann am Schalter, ein Upgrade ihres Mietwagens aufschwatzen ließen. Absoluter Schwachsinn. Auf die Frage, wohin sie denn reisen wollten, hatte ein offensichtlich hessisches Paar stolz von ihrer tollen Tour von Kalifornien zum Grand Canyon erzählen wollen. Um Small Talk ging es Jim natürlich nicht. Sofort schaute er sie sehr ernst an und fragte, ob ihr gebuchtes Fahrzeug, es handelte sich um einen komfortablen Viertürer, mit dem früher bestimmt türkische Großfamilien von Köln bis ins tiefste Ostanatolien glücklich und zufrieden aufgrund der immensen Platzverhältnisse gefahren wären, ob dieser Wagen für „sooo“ eine große Tour nicht viel zu klein sei? Wohlgemerkt, es handelte sich nur um zwei Personen. Jim hatte natürlich gleich die perfekte Lösung zur Hand: einen noch größeren, sehr viel geräumigeren SUV. Der Hessenmann, der leicht mit dem SUV-Modell zu begeistern war, hätte dieses Upgrade aber wohl niemals in Deutschland von seiner Partnerin bewilligt bekommen, schon aufgrund der damit verbundenen deutlich höheren Kosten. Die Hessin, anscheinend zum ersten Mal im Südwesten, bekam jedoch etwas Muffensausen und war deshalb nur allzu gerne bereit, für das große Wagnis ein angemesseneres Auto zu mieten. Als Ingenieur, der ich einmal war, war es mir unverständlich, dass man zwischen Tür und Angel Entscheidungen revidiert; vor allem, wenn man zu Hause Zeit genug hatte, sich in Ruhe zu überlegen, was die Anforderungen an eine Lösung, hier ein simples Auto, waren. Wie gesagt, ich war etwas genervt, alles hätte viel schneller laufen können. Mich ärgerte ferner, dass die linke Schlange, in die ich mich nicht eingereiht hatte, deutlich schneller abgefertigt wurde. Ich hatte sie wegen der vielen Familien mit Kindern, wo ich mit erheblichen Verzögerungen gerechnet hatte, gemieden. Erfahrene Eltern scheinen manchmal doch besser zu wissen, was gut für eine Familie ist und sind wohl etwas effektiver als junge Pärchen. Als ich die vielen Kinder sah, musste ich zwangsläufig an Max denken. Wie es ihm wohl ging? Er musste schreckliche Angst haben. Wurde er misshandelt? Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Endlich war ich an der Reihe. Auch mich fragte Jim, ob ich beabsichtigte, in andere Bundesstaaten zu fahren. Manchmal ärgere ich mich selbst, dass ich spontan viel zu ehrlich bin und diese Frage sogleich bejahte. Als ich den von mir gebuchten, unauffälligen Viertürer weder upgraden wollte, noch eine der vielen unnützen Zusatzversicherungen abschließen wollte, wurde Jim ziemlich kühl. Er biss bei mir auf Granit. Ich bedankte mich trotzdem bei Jim für seine tolle Beratung, ließ mir den Schlüssel geben und erklären, wo mein japanisches Auto stehen würde. Dann verabschiedete ich mich und dachte: „Leck mich, Jim.“

Zugegebenermaßen, ich war gerade dabei, übermüdet, fernerhin unsicher darüber, was jetzt die Zukunft bringen würde, nun noch etwas aggressiver zu werden. Ich riss mich wieder zusammen, sammelte meine Siebensachen ein und begab mich zu dem weißen Wagen, diesmal mit einem Kennzeichen aus Oregon. Irgendwie passte mir das nicht, weil ich instinktiv dachte, mit einem kalifornischen Kennzeichen würde ich hier etwas anonymer sein. Darum ging es doch in diesem mir immer noch unbekannten Spiel? Ich verstaute mein Gepäck, stellte Sitz und Rückspiegel ein und machte mich kurz mit dem Wagen vertraut. Glücklicherweise war ich als Unternehmensberater den Umgang mit diversen Mietwagen zwangsläufig gewöhnt, so dass ich nur noch etwas mit dem mir neuen Navigationssystem zu kämpfen hatte. Eigentlich kannte ich den Weg, aber ich gab trotzdem die Adresse des John Wayne Airports ein. Man weiß in L.A. nie, ob man doch aufgrund von Staus oder Baustellen manchmal spontan großräumig ausweichen muss. Aber es war Samstagnachmittag, die Berufspendler würden heute in deutlich geringerer Zahl unterwegs sein und für die Ausflügler, so hoffte ich, war es noch zu früh, um die Heimreise anzutreten. Ich rechnete mit einer Stunde Fahrtzeit und fuhr endlich los. Auf dem San Diego Freeway 405 in südlicher Richtung eingefädelt, musste ich mich an die im Vergleich zu deutschen Autobahnen schmaleren Fahrbahnen und ihren schlechteren Zustand erst wieder gewöhnen. Das ein oder andere Schlagloch war nicht zu übersehen. Die erlaubten fünfundsechzig Meilen fuhren auch fast alle Verkehrsteilnehmer, so dass es gut voranging. Ich hielt mich meistens auf der zweiten Spur von rechts, um nicht auf einer Abbiegespur zu landen. Anders als in Deutschland darf auch von rechts überholt werden und – müde wie ich war – musste ich jetzt meine letzte Konzentrationskraft aufbringen. Das Radio half mir dabei nicht wirklich weiter. Ich hatte an den Sendern vor dem Losfahren nicht herumgespielt. Mein Vormieter schien Mexikaner gewesen zu sein. Die mexikanische Mariachi-Musik wurde von viel spanischer Werbung unterbrochen. Leider ist mein Spanisch sehr schlecht, aber ich glaube auch nicht, dass die diversen Spots für Autowerkstätten, Restaurants und Potenzmittel mich sonderlich interessiert hätten, wenn ich sie besser verstanden hätte. Der Freeway 405 kreuzte den Highway 105, später den Highway 110. Rechts, also südlich von mir, lag nun Long Beach, wo ich vor Jahren die Queen Mary besichtigt hatte: Long Beach, was eigentlich eine der vielen eigenständigen Städte im Großraum von Los Angeles ist. Ich wurde von einigen aufgemotzten Sportwagen, aber ebenso von einigen Pickups überholt. Mir fiel auf, dass bei weitem nicht mehr so viel deutsche Edelkarossen wie noch vor etlichen Jahren unterwegs waren. War dies die Auswirkung der neuen amerikanischen Handelspolitik oder Anzeichen einer Rezession? Ich sah aber immerhin einige Audis, in denen Amerikaner mexikanischen Ursprungs am Steuer saßen. Ganz das Klischee, dachte ich: sie selbst haben bestimmt ihre ersten Fahrten mit einem VW-Käfer erlebt und selbst ein Upgrade gemacht. Jim würde sich bestimmt darüber freuen. Aber auch die von mir bewunderten uramerikanischen Langhauber-Trucks waren noch unterwegs: Marken wie Mack, Freightliner, Kenworth, Navistar-International oder Peterbilt. Das ist Amerika, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte. Verdammt, beinah wäre mir jetzt doch ein Auge zugefallen. Ich war doch müder, als ich am Steuer sein sollte. Ich brauchte unbedingt Koffein. Auf einen Kaffee hatte ich vor der Fahrt bewusst verzichtet, weil ich nicht mit einer vollen Blase in einem längeren Stau stecken bleiben wollte. Es gab aber keinen Stau, nur recht viel Verkehr. Jetzt bereute ich zudem, dass ich noch nicht einmal Traubenzucker oder auch nur einen einzigen Schluck Wasser an Bord hatte. Ich hatte aus dem oben genannten Grunde fernerhin zuletzt wenig getrunken. Ich roch auch nach dem langen Flug nicht besonders gut, vermutete ich. Anders als sonst hatte ich mich weder im Flugzeug noch nach der Ankunft im Flughafen rasiert. Dafür fehlten mir heute die nötige Gelassenheit und das Gefühl für deren Dringlichkeit. Ethan, dachte ich mir, wird es schon verstehen. Er läuft ja selbst immer mit Dreitagebart in Jeans und T-Shirt herum. Er wird höchstens einen Witz machen, dass ich immer noch in Anzug und Krawatte unterwegs war. Diesmal war ich mir aber nicht so sicher. Wie würde er überhaupt Kontakt zu mir aufnehmen? Josh hatte ja nur gesagt, ich sollte nicht zu erkennen geben, dass ich ihn bereits gut kannte. Eigentlich wusste ich nur, wo wir uns ungefähr treffen sollten. Außerdem, was wäre gewesen, wenn ich den Flug nicht hätte buchen können oder mich verspäten würde? Josh hatte mich doch nur gebeten zu kommen. Er konnte jedoch nicht wissen, dass ich wirklich unterwegs war und den vorgeschlagenen Flug buchen konnte?

Westminster, Fountain Valley, südlich von uns nun Huntington Beach und endlich die Ankündigung des MacArthur Boulevards. Jetzt handelte es sich nur noch um Minuten. Ich verließ den San Diego Freeway, um dann über den MacArthur Boulevard zum John Wayne Airport – der Beschilderung folgend – eines der Parkhäuser anzusteuern. Ein Parkplatz in der Nähe des Treppenhauses war schnell gefunden. Ich stoppte und stellte den Motor ab. Erschöpft wie ich war, wunderte ich mich fast schon, wie ich es bis hier her überhaupt geschafft hatte. Meinen Koffer ließ ich zunächst im Kofferraum; meine Computertasche mit meinen Wertsachen nahm ich aber an mich und steuerte nun das Terminal an. Kaum zu glauben, dass dieser regionale Flughafen in manchen Jahren fast zehn Millionen Fluggäste abfertigt. Ich machte mich erst wieder in einem Rest Room etwas frisch, besah mich etwas im Spiegel, stellte fest, ich könnte schlimmer aussehen und kaufte mir endlich eine Plastikflasche Wasser und eine Coke an irgendeinem Verkaufsstand im Arrival-Bereich. Obwohl ich etwas hungrig war, verzichtete ich zunächst darauf, etwas Essen zu kaufen. Wie viel Uhr war es denn mittlerweile in Deutschland? Ach ja, 16:00 Uhr local time, also 1:00 Uhr Morgen in Deutschland. Kein Wunder, dass ich neben der Spur war. Ich begab mich nun schnurstracks zu der nicht zu übersehenden John-Wayne-Statue. Lässig die rechte Hand am Halfter, alles andere überragend, vor einer riesigen Stars-and-Stripes-Flagge stehend, überwachte der Namensgeber sein Flughafenterminal.

Ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich erwartet hatte, aber ich war überrascht, dass ich nirgendwo Ethan sah. Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich meiner. Mein Handy war schon seit der Landung eingeschaltet. Außer den obligatorischen Nachrichten der Netzbetreiber erhielt ich keine weiteren, wirklich wichtigen Nachrichten; nur ein paar verspätete Textnachrichten, dass sich mein Abfluggate in Amsterdam geändert hatte, was allerdings schon in Amsterdam irrelevant war, da ich dies beim Umsteigen ebenfalls herausgefunden hatte. Von Ethan aber hier keine Spur. Ich musste mir nun doch eine Sitzgelegenheit suchen. Ich suchte, aber die einzige Stelle, von der man John Wayne und sein Umfeld gut überwachen konnte, war schon von einer XXL-Familie in Beschlag genommen. Sie aßen in aller Seelenruhe eine ganze Palette Burger, die ich mittlerweile, mein Hunger war doch größer geworden, ebenfalls gerne vertilgt hätte. Ich war aber nun am verabredeten Treffpunkt und wollte nicht so leicht aufgeben. Ich schaute mich immer wieder verstohlen um. Wurde ich beobachtet? Mir fiel nichts auf. Im Terminal war die gesamte Bandbreite von amerikanischen Reisenden vertreten und, da es Samstag war, fiel eher ich mit meinen Business-Klamotten auf. Endlich wurde die Sitzgelegenheit frei und ich platzierte mich sofort, bevor irgendjemand anders sie mir vor der Nase wegschnappen konnte. Ein junges Pärchen schaute mich fragend an, ob sie sich dazu setzen dürften, was ich bejahte. Manchmal sind die Amerikaner dann doch überkonventionell und kompliziert. Sie sahen mir auch nicht danach aus, dass sie mich observieren und checken sollten. Aber was wusste ich schon? Ethan tauchte immer noch nicht auf. Zugegeben, vielleicht war er selbst kurz etwas essen. Er konnte obendrein nur vermuten, wann ich hier in etwa aufschlagen würde. Das letzte Mal hatte ich flugbedingt zwei Stunden Verspätung und der Straßenverkehr blieb oft nicht kalkulierbar. Hoffentlich unterstellte mir der Optimierungskünstler Ethan heute nicht eine ähnliche Verspätung. Ich war nun schon vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und wollte meinen Rekord aus meiner Bundeswehrzeit, Drei-Tage-Durchschlagübung, während der ich aber immerhin ein paar Stunden schlafen konnte und deutlich jünger war, nicht verbessern. Ich gähnte und, obwohl ich mit aller Kraft dagegen ankämpfte, fielen mir nun doch die Augen zu. Sekundenschlaf. Ich wusste, dass dieser Zustand mindestens dreißig Minuten anhalten würde und dass ich keine Chance hatte, etwas dagegen zu tun. Natürlich würde ich weder Ethan sehen, noch irgendwelche Feinde, die uns beschatten würden oder auflauerten. Es ging einfach nicht mehr anders. Auch die Coke hatte keine Wirkung gezeigt. Ich hatte nun schon neunzig Minuten gewartet und fluchte innerlich, dass sich Ethan immer noch nicht gezeigt hatte. Dafür ging es mir aber mittlerweile nun doch wieder etwas besser. Ich konnte zumindest wieder die Augen offenhalten und begann zu überlegen, was ich als nächstes tun sollte. Josh oder Ethan anzurufen, sollte ich auf Wunsch von Josh auf keinen Fall. Was hatte Josh noch gesagt? PSI-Projekt, Consultant? Ja, vielleicht ist das eine Möglichkeit. Ich könnte zu ihrer Firma fahren, die praktischerweise in der Nähe des Airports lag. East McDurmott. Hierzu müsste man nur zurück zum MacArthur Boulevard, den San Diego Freeway kreuzen, links in die Main Street und auf der linken Seite war dann schon der Bogen, welchen W und E McDurmott bildeten. In einem der vielen Bungalows war der Sitz von Joshs und Ethans Firma, keine fünf Minuten vom Airport entfernt. Es war Joshs Idee, er hatte immer einen Sinn für das Praktische. Freeway und Flughafen, Mietwagenfirmen, Hotels und Restaurants direkt um die Ecke und obendrein nach Laguna Beach, dort wo Josh wohnte, war es für Los Angeleser Verhältnisse nur ein Katzensprung. In diesem Moment wusste ich immer noch nicht genau, ob ich mir wegen des Ausbleibens von Ethan Sorgen machen sollte oder wütend sein dürfte. Hatte ich ihn übersehen? Ach was, außerdem sollte ja auch er mich suchen. Okay, ich stand nicht direkt bei der Statue, aber er kannte mich doch und ich hatte vereinbarungsgemäß einen Anzug an; sonst eigentlich niemand, von Fluglinienmitarbeitern oder anderen Offiziellen mal abgesehen. Es reichte mir nun, ich brauchte etwas zu essen. Ich erhob mich und wollte noch einmal, nur zur Sicherheit, bei der Statue vorbeigehen. Man weiß ja nie.

Wie aus dem Nichts tauchte sie auf. Eine mir völlig fremde, recht attraktive, blonde Frau. Sie unterschied sich von den Wochenendreisenden durch ihr businessmäßiges Aussehen und erst jetzt fiel mir fernerhin ein Schild in ihren Händen auf. „Excuse me, are you Mister Rabe?“ Ich war überrascht, aber bestätigte, dass ich der Gesuchte sei. Sie stellte sich als Sandy Svenson von Joshs Firma vor, nennen wir sie einfach im Folgenden der Vertraulichkeit halber Firma X. Sie bedauerte, dass ich hatte warten müssen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie das selbst nicht wirklich so meinte und dass sie selbst etwas sauer war, weil sie mit ihrem Schild bestimmt auch schon einige Zeit bei der Statue gestanden hatte, ohne dass ich mich zu erkennen gegeben hatte oder sie mich hatte finden können. Jetzt wäre es mir auch lieber gewesen, wenn ich mich doch vorher rasiert hätte und zudem etwas eloquenter wäre. Mein Start bei Sandy schien nicht perfekt zu sein. Sie fragte mich, wann ich und mit welchem Fluge ich gelandet wäre. Erst auf Nachfragen begriff sie, dass ich vom LAX-Airport käme und schon einen Mietwagen hatte, in dem sich ebenso schon mein Gepäck befand. Ich verstand so langsam, dass sie die Marketing- und Kommunikationschefin von X wäre. Sie schien mir von Josh noch nicht ins Vertrauen gezogen worden zu sein oder zumindest schauspielerte sie recht gut. Ich gewann den Eindruck, dass es nicht zu ihren üblichen Pflichten gehörte, am Wochenende den Welcome Service für irgendwelche Consultants zu spielen. Sie schien irgendeine bedeutende Party gerade sausen lassen zu müssen; stattdessen sollte sie mich zu meinem Hotel in Laguna Beach bringen. Nun versuchte ich, Sandy etwas für mich einzunehmen, wobei mir bei dem amerikanischen „You“ in diesem Falle nicht klar war, ob es eher bei ihr ein distanziertes „Sie“ oder persönlicheres „Du“ war: „Sandy, was halten Sie davon, wenn Sie mir Ihre Mobilnummer und die Adresse vom gebuchten Hotel geben? Ich kann doch alleine hinfahren und würde Sie nur in Notfall anrufen, wenn etwas mit der Reservierung nicht funktioniert hat“. Sie hatte natürlich die Reservierung selbst vorgenommen, wie hätte ich das wissen können, deshalb war für Sandy mit Problemen beim Einchecken nicht zu rechnen – ihr Originalton. Und sie schien wohl nie Fehler zu machen, diese Zicke. Ich stellte fest, sie war zwar sehr hübsch, aber eine Zicke. Andererseits schien sie jetzt zu verstehen, dass sie nicht meinen Babysitter spielen müsste und ihr Wochenende sogleich beginnen könnte. Etwas versöhnlicher gab sie mir bereitwillig die Adresse und ihre Telefonnummer und noch ein paar Hinweise zur Anfahrt zum Hotel. Außerdem sollte ich bereits am morgigen Sonntag, um 10:00 Uhr, mich am Firmensitz einfinden. Ob ich den Weg kennen würde und Sonntag okay wäre? Ich ließ mir noch einmal pro Forma die Anfahrt beschreiben und gab nicht zu erkennen, dass die Adresse mir von früher her wohl bekannt wäre. Ich war in der Tat schon öfters bei meinen früheren Besuchen in Laguna Beach und auf dem Firmengelände gewesen. Letzteres aber vor längerer Zeit. Sie schien selbst aber erst seit nicht einmal zwei Jahren bei X beschäftigt zu sein. So, wie sie aussah, wäre sie mir schon damals sofort aufgefallen. X war außerdem erst letztes Jahr stark gewachsen, so dass ich von früher fast alle Mitarbeiter persönlich kennengelernt hatte. Wir verabschiedeten uns und weg war sie. Sandy hatte tatsächlich noch etwas Anderes vor. Ich konnte nicht erkennen, ob wir beobachtet worden waren. Hierzu waren zu viele Personen im Terminal unterwegs. Nun ging auch ich wieder zum Parkhaus, programmierte die Zieladresse des Hotels im Navigationssystem ein und riss mich noch ein allerletztes Mal zusammen. Ich hatte aber gar nicht vor, auf direktem Wege zum Hotel zu fahren. Erstens, ich wollte mich noch etwas mit Essen und ein paar Getränken versorgen. Auf ein Restaurant hatte ich keine große Lust mehr. Ich wollte nur noch zum Hotel, einchecken, duschen, etwas essen und dann schlafen. Zweitens wollte ich den Stopp nutzen, um eventuelle Verfolger zu erkennen oder gegebenenfalls abzuhängen, was vermutlich Quatsch war. Wer auch immer sie waren, wenn sie schon Sandy verfolgt hatten, würden sie bereits mein Hotel kennen. Egal, ich steuerte den erstbesten Supermarkt an, den ich als solchen erkannte. In der Vergangenheit war es mir schon passiert, dass ich Möbel- oder Modeläden mit einem Drugstore verwechselt hatte. Aber da war ein Cosco und ich machte dort meine Besorgungen. Meine Einkäufe wurden an der Kasse von einem dienstbeflissenen Sales Assistant in unendlich viele Tüten versorgt, wobei ich den Eindruck hatte, dass jeder einzelne Gegenstand eine eigene Tüte spendiert bekam. Mir entzog sich der Sinn dieser Aktion, aber wiederum sah man hier einmal den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Dienstleistungswüste Deutschland und dem Service-Paradies Amerika mit all seiner Oberflächlichkeit wie den obligatorischen „My Dear ...“, „Honey ...“, „Great ...“ und anderen Randerscheinungen. Nein, ich hatte keine Kundenkarte und nein, ich kann meine Einkäufe selbst zum Auto bringen.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass mir jemand vom Flughafen gefolgt wäre; den Mann mit der roten Baseball Cap nahm ich allerdings nicht wahr. Endlich, endlich war ich nun im Hotel angekommen und checkte problemlos ein. Sogar den Code für das WLAN erhielt ich ohne Nachfrage sowie einen Brief ausgehändigt – von Josh, wie mir schien. Ich betrat mein Zimmer mit Blick zum Pazifik. Unter den gegebenen Umständen nahm ich die prächtige Aussicht nur bedingt wahr. Auf dem Flatscreen stand ein Welcome-Spruch mit meinem Namen. Das Zimmer war nicht schlecht, der Hotelzimmerpreis dagegen für meine Verhältnisse überteuert. Man ließ sich in Laguna Beach den Meeresblick und die gute Lage sehr gut bezahlen. Aber dies war im Moment egal. Nach einem kurzen Zimmer-Check widmete ich mich wieder dem Brief. Mir schien es allerdings, dass der Brief vorher schon geöffnet worden war. Absolut sicher war ich mir aber dabei nicht. Wie gesagt, ich bin kein Detektiv. Der Brief selbst war eine unverfängliche Geschäftskommunikation, an mich adressiert, mit dem Wunsche eine gute Reise gehabt zu haben, mit der an mich gerichteten Bitte, mich um 10:00 Uhr am Sonntag im Firmensitz einzufinden. Weiter nichts. Von Sandy im Auftrag der Firma unterschrieben. Wahrscheinlich von ihr heute hier abgegeben worden. Ich schaute mir den Brief noch einmal etwas genauer an, ebenso noch einmal in das Kuvert: Nein, wirklich keine weiteren Informationen, kein weiterer Anhaltspunkt. Also, ich musste mich noch einmal bis morgen gedulden.

Ich versorgte noch die gekauften Getränke und Snacks schnell im Kühlschrank, regelte die Aircondition auf ein für mich erträgliches Maß ein – die Temperatur im Zimmer war im Gegensatz zur großen Hitze draußen sibirisch kalt – hängte meine Anzüge auf, nahm eine ausgiebige Dusche, zog einen Trainingsanzug an, aß eine Kleinigkeit, löschte meinen riesen Durst und fiel schließlich ins Bett, nicht ohne vorher meinen Handywecker aktiviert zu haben. Für meine Verhältnisse schlief ich diesmal erstaunlich schnell ein.

Kapitel 2

Es gibt Menschen, die mit Jetlag gut umgehen können. Zu diesen gehöre ich mit Sicherheit nicht. Ich hatte wohl fernerhin in den letzten dreißig Stunden zu wenig getrunken. Durstig, auch noch nicht ganz erholt, wachte ich bereits um 04:00 Uhr Ortszeit auf. Ich erinnerte mich, dass es Frühstück erst um 08:00 Uhr geben würde, deshalb machte ich mir einen Instantkaffee und aß eines der von mir noch am Vortage gekauften Sandwiches und auch einigen Süßkram. Ich sollte endlich wirklich einmal anfangen, gesünder zu essen und etwas mehr Sport machen. Sandy machte das bestimmt, Josh auf jeden Fall. Beim Blick aus dem Fenster merkte man schnell, dass wir uns hier im Vergleich zu Hamburg auf deutlich südlicheren Gefilden befanden. Das Morgengrauen setzte hier aufgrund der südlicheren Breite viel später als in Nordeuropa ein. Trotz oder gerade wegen der Anspannung, in der ich mich zurzeit befand, machte ich um 06:00 Uhr noch einen kurzen Spaziergang zum Strand. Die Lage des Hotels war schon recht klasse. Da lag er vor mir, der Pazifik, der weltgrößte Ozean, der sonst gar nicht so ruhig und still ist, wie sein Name vielleicht suggeriert. Heute aber war der Wellenschlag zwar kraftvoll, aber nicht wirklich wild. Eine leichte Brise wehte, so leicht, dass es mir schwerfiel zu entscheiden, aus welcher Richtung der Wind tatsächlich wehte. Ein paar Hundebesitzer waren ebenfalls schon unterwegs und einige der sportbegeisterten Kalifornier schickten sich an, im Neoprenanzug auf ihrem Brett ins Meer zu gleiten, auf der Suche nach der perfekten Welle, die es heute allen Anschein aber nicht geben würde. Dazu war das Meer hier zurzeit zu ruhig. Andere joggten am Strand entlang. Keiner schien von mir Anteil zu nehmen. Um 08:00 Uhr war ich dann einer der ersten Gäste im Frühstückssaal des Hotels und war angenehm überrascht, dass es doch eine größere Auswahl gab, als man sie z. B. aus Motels oder manch anderem Hotel sonst kennt: Nicht nur ein paar Cerealien, Toast, Bagels oder Muffins. Hier gab es Scrambled Egg, Grillwürstchen, sogar Kornbrot, diverse Schinken und Monterey Jack, den obligatorischen Orange Juice, Joghurt und Pan Cakes, so dass ich ausgiebig frühstücken konnte. Ich war trotz meines ersten Imbisses schon wieder hungrig. Ja, die Zeitumstellung und Aufregung der letzten Tage hinterließen ihre Spuren! Noch vor 09:00 hatte ich fertig gespeist, mich noch einmal frisch gemacht und für meinen Antrittsbesuch bei X angekleidet. Ich entschied mich, heute meinen zweiten Anzug zu tragen. So konnte der andere gelüftet werden. Ich sah damit aus wie zu einem richtigen Vorstellungsgespräch bei einem neuen Kunden. Ich checkte noch einmal mein Mobiltelefon und meine E-Mails. Nichts von Belang. Wie sollte ich mich noch weiter vorbereiten? Ich entschied mich, alles Weitere dem Zufall zu überlassen und von der jeweiligen Situation vor Ort abhängig zu machen.

An diesem Sonntagmorgen fuhr ich fast die gleiche Strecke wie am Vortage, nur diesmal weiter bis zur McDurmott. Den Parkplatz erreichte ich zehn Minuten vor 10:00 Uhr, wartete noch weitere fünf Minuten und stieg dann aus dem Wagen aus. Ich begab mich zum Eingang von X. X liegt in einem Komplex, in dem weitere Unternehmen in Gebäuden ähnlicher Architektur und Bauart untergebracht sind, wahrscheinlich alle mit identischem Grundriss und ähnlicher Raumaufteilung. Trotz der Tatsache, dass heute Sonntag war, schien das Areal nicht völlig ausgestorben zu sein, denn es standen vor etlichen Gebäuden vereinzelt PKWs unterschiedlichen Typs und Preisklasse, z. B. einige 7er-BMWs, Toyotas, ein Lexus, obendrein ein Porsche Cayenne, zwei KIAs, einige Chrysler-Vans, ein Cadillac und ein Ford-Pickup. Ich hatte begonnen, meine Umgebung besser als in der Vergangenheit zu beobachten. Etwas versetzt fiel mir ein weißer, unscheinbarer GMC-Van ohne Fenster auf. Vor X standen vergleichsweise mehr Fahrzeuge als vor anderen Gebäuden, darunter auch Joshs schwarzer SUV. Ich hatte den Eingangsbereich von X noch nicht erreicht, da hörte ich hinter mir ein Auto vorfahren. Ich drehte mich automatisch um und erkannte ein rotes 5er-BMW-Cabrio. Sandy saß am Steuer und parkte auf einer freien Stelle direkt am Eingang. Ich wartete, ließ sie aussteigen und begrüßte sie dann. Sie erkannte mich, erwiderte meinen Gruß geschäftsmäßig und begleitet mich zum Eingang. Die Eingangstür war abgeschlossen, deshalb holte sie eine Chipkarte aus ihrer Handtasche, öffnete damit und ließ mir den Vortritt.

Der Empfangsbereich war verwaist, was für einen Sonntag ja nur zu natürlich war. Mir fiel aber sofort auf, dass sich seit meinem Besuch vor zwei Jahren vieles verändert hatte. Zunächst waren da etliche mir vorher noch nicht aufgefallene Kameras und Bewegungssensoren – ich vermutete, dass es welche waren – neu angebracht worden. Hinter der Sitzecke im Empfangsbereich befand sich eine neue Sicherheitsschleuse mit zusätzlicher Kamera und zusätzlichen Scannern. Spracherkennung? Fingerabdrücke? Ferner waren intern weitere Glasscheiben, etwa Panzerglas, wie ich mich fragte, angebracht. Die Räume waren zwar nicht zu einer Festung ausgebaut, aber Einbrecher oder unbefugte Eindringlinge schienen hier kein leichtes Spiel mehr zu haben. Was hatte sich sonst noch alles verändert? Sandy drückte in einem Touchscreen an der Sicherheitsschleuse irgendwelche Knöpfe, worauf aus dem längeren Flur zuerst Schritte zu vernehmen waren. Dann tauchte im Halbdunkel, denn die Beleuchtung war in allen Räumlichkeiten jetzt nicht komplett an, eine Person schemenhaft auf. Josh kam zügig, aber nicht so forsch wie sonst, auf uns zu. Er wirkte gealtert. Ich hatte trotz meines nicht immer ganz gesunden Lebenswandels eine gewisse jungenhafte Ausstrahlung bewahrt und wurde immer acht Jahre jünger geschätzt, als ich wirklich war; aber Josh war der geborene Athlet, der alle möglichen Sportarten frönte oder zumindest zeitweise mindestens einmal ausprobiert hatte. Er war nicht nur gutaussehend, sondern galt innerhalb der gesamten Familie als Inbegriff der Jugend und des Sportlers. Ich war nun geschockt, versuchte es mir aber nicht anmerken zu lassen. Die ihm angeborene Fröhlichkeit schien Josh ebenfalls komplett verlassen zu haben und auch sein sonst vor Energie strotzendes, dynamisches Auftreten war verschwunden. Josh kam zwar immer noch zielstrebig auf zu uns, aber er war eben nicht mehr der Josh, wie ich ihn kannte. Er schien begreiflicherweise sehr unter der aktuellen, mir noch nicht klaren Lage zu leiden. Josh begrüßte uns, machte sich an der Sicherheitsschleuse zu schaffen und kam erst einmal in den Eingangsbereich. Er ließ sich uns noch einmal durch Sandy vorstellen. Also, wir begannen tatsächlich das Spiel, sich heute neu kennenlernender Personen zu spielen. Josh erklärte Sandy, dass ich ihm von einem gemeinsamen Bekannten als Unternehmensberater wärmstens empfohlen worden war. Sein erfundener Bekannter schien große Stücke auf mich zu halten. Deshalb wäre ich die erste Wahl für das PSI-Projekt und glücklicherweise konnte ich in dieser kritischen Phase kurzfristig einspringen. Er bat Sandy noch, den Konferenzraum vorzubereiten, Kaffee hätte er aber selbst schon gekocht. Er wollte mir erst noch kurz eine Führung durch die Firma geben.

Josh ließ mich und Sandy die Sicherheitsschleuse passieren und nahm mich dann zur Seite in einen völlig leeren Büroraum mit, nachdem Sandy in Richtung Konferenzsaal davongerauscht war. „Rob, danke, dass Du da bist. Ich glaube, hier können wir sprechen. Hier sollten keine Wanzen sein.“ Ich sah ihn fragend an und wollte sofort wissen, wie es ihm, Max und Fiona ginge. Josh erklärte mir, dass Max – gottseidank – anscheinend wohl auf wäre, sofern man das von außen überhaupt wirklich beurteilen konnte. Wo er aber versteckt gehalten würde, das entziehe sich ihrer Kenntnis. Fiona und er selbst seien am Ende ihrer Kräfte. So furchtbar niedergeschlagen waren sie noch nie in ihrem Leben gewesen. Josh fuhr fort: „Wir werden jetzt nicht lange allein sein. Walt Brubacker wird gleich eintreffen. Sandy weiß von nichts, sie ist nicht eingeweiht. Ethan ist nicht hier, wir mussten umdisponieren. Ich hoffe, es hat gestern mit Sandy geklappt?“ „Ja, wer ist eigentlich Sandy?“ „Sie ist unsere neue Marketing- und Kommunikationschefin, super Referenzen. Maria Gonzales hat letztes Jahr überraschend gekündigt. Sie wollte plötzlich heiraten und zurück nach El Paso. Wir hatten Glück, dass Sandy sich zu diesem Zeitpunkt bei uns beworben hat. Sie ist wirklich eine Gute. Sie hat ihr Team im Griff und ist überhaupt ein richtiger Gewinn für die Firma. Für mich ist es immer noch ein Rätsel, dass sie in unserem kleinen Unternehmen angefangen hat. Sie könnte sonst wo Karriere machen. Wahrscheinlich erkannte sie aber das Potential, was wir hier haben. Du siehst ja selbst, dass wir richtig expandieren. Seitdem wir den großen Regierungsauftrag haben und unser neuer Virenscanner und unsere Encryption-Software so ein großer Erfolg ist, geht es rasant bergauf mit uns. Wir konnten zwanzig neue Entwickler alleine im letzten Quartal einstellen. Cyber Security ist das Thema der Zukunft. Dahinten,“ – Josh zeigte zum Fenster hinaus – „dieses Gebäude auf der anderen Straßenseite haben wir erst vor zwei Monaten neu angemietet. Wenn es so weitergeht, wird das auch bald nicht mehr ausreichen.“ „Du meinst, dass Max wegen Eures kommerziellen Erfolges entführt wurde?“, entgegnete ich mit leiser Stimme. „Nein, Rob, Max wurde nicht entführt, um Geld zu erpressen. Das ist nur ein Vorwand“, flüsterte nun Josh. „Es ist viel schlimmer. Es geht um das PSI-Projekt. Wir wissen noch nicht genau wer, aber irgendeine, vermutlich fremde Macht, will mittels Max Zugang zu unserer Verschlüsselungssoftware bekommen. Das war ihre Forderung, sie wollen unseren Code und zwar schon kommende Woche. Walt wird dazu nachher etwas sagen. Er ist von einer Regierungsorganisation, unserem Hauptauftraggeber. Ich musste ihn hinzuziehen; es ging nicht anders. Er selbst kann aber ebenso nur eingeschränkt in Erscheinung treten, deshalb war er nur zu bereit, dass ich einen Mann meines Vertrauens in dieser vertrackten Lage hinzuziehe. Ihm gegenüber ließ sich deshalb nicht ganz verheimlichen, dass wir beide uns schon etwas länger kennen. Er hält Dich für meinen persönlichen Berater, eine Art Mann für besondere Fälle.“ „Josh, wie soll ich mich jetzt verhalten? Was soll ich tun?“, wollte ich sogleich wissen. Ich hatte mir als Berater angewöhnt, nicht sofort meine wichtigsten Fragen zu stellen, sondern erst zuzuhören, meinen Gegenüber zunächst sprechen zu lassen, um dadurch besser die jeweilige Stimmung und Lage zu erkunden. Josh dachte kurz nach: „Ich weiß es noch nicht genau. Hier geht es wirklich nur um unsere Software. Aber sie haben meinen Schwachpunkt, Max, sehr gut erkannt. Ich kann Dir noch nicht viel auf die Schnelle zu unserer neuen Verschlüsselungssoftware sagen. Nur so viel: Wer diesen Code besitzt, hat eine mächtige Waffe in der Hand. Allerdings, ich kann mir nicht erklären, wie jemand außerhalb der Firma davon Wind bekommen konnte. Nur Ethan, Jack Moore, David Alvarez und ich waren an der Entwicklung beteiligt.“ Ich kannte Jack und David von früher. Zwei begnadete Softwareentwickler, die Ethan und Josh noch aus ihrer Zeit am MIT und von Stanford her kannten und dann für ihr Unternehmen gewinnen konnten. Sie hielten Anteile an der Firma, aber lebten vor allem für Softwareengineering auf höchstem Niveau. Keine extravaganten Hobbies, keine früheren Drogengeschichten aus der Studienzeit oder irgendetwas wirklich Auffälliges, soweit ich wusste. Undenkbar, dass sie Josh oder irgendjemand anderem etwas wirklich Böses antun könnten. Ich hatte sie noch als sympathische, auch etwas verspielte Nerds in Erinnerung, die Max selbst wie seine größeren Brüder liebte. Nein, sie konnten unmöglich mit der Entführung von Max etwas zu tun haben. Oder etwa doch? Warum war ich mir da so sicher? „Walt vermutet, dass irgendjemand in seiner Organisation das Leck ist. Deshalb können wir zudem nicht mehr davon ausgehen, dass unsere E-Mails und Telefone nicht überwacht werden. Auch unsere Räume könnten abgehört werden. Wir wissen so zum Beispiel, dass im Konferenzraum Wanzen installiert sind. Walt hat alle anderen Räume ebenfalls überprüft und darauf bestanden, sie nicht zu entfernen. Solange sie nicht wissen, dass wir die Wanzen im Konferenzraum entdeckt haben, können wir das ausnutzen, meint er.“ Instinktiv fragte ich mich, wie das überhaupt trotz der neuen Security-Einrichtungen überhaupt möglich sein konnte. Also, ein Insider? Josh fuhr fort: „Rob, Walt wird gleich hier sein. Wir starten dann mit der Konferenz und führen Dich jetzt als unseren neuen Mann ein. Wahrscheinlich musst Du bald nach Albuquerque. Ich werde Dich der Runde vorstellen, aber rede am besten noch nicht so viel. Walt wird später versuchen, Dich ebenfalls etwas zu briefen.“ Joshs Handy klingelte. Er ging ran. Es war Sandy, die wissen wollte, wo wir denn blieben und uns mitteilte, dass Walt soeben im Konferenzsaal eingetroffen sei. Die Videokonferenz nach Albuquerque würde in zehn Minuten beginnen.

Walt hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Ich war überrascht, keinen grauhaarigen, pockenvernarbten CIA-Veteran zu Gesicht zu bekommen. Walt war tatsächlich das absolute Gegenteil von allem, was ich erwartet hatte. Er war allerdings fast zwei Meter groß, dagegen etwas korpulent, ein gemütlicher, nicht unsympathischer, eher gutmütig wirkender Mitfünfziger. Er begrüßte mich recht freundlich mit festem Händedruck. „You are the guy from Germany?“ Walt Brubacker gab sich als deutschstämmig zu erkennen, gab ein paar Brocken Deutsch zum Besten und ließ sich dafür von mir loben. Er trug, anders als Josh, der in Designerjeans und weißem Hemd erschienen war, zwar ebenfalls keine Krawatte, aber dennoch einen dunklen Anzug und ein weißes, oben offenes Hemd. Er verfolgte Sandy, die den Konferenzsaal wieder betreten hatte, mit sichtlichem Wohlgefallen. Dennoch, ich hatte das Gefühl, dass er mich dabei sehr genau taxierte. Er erzählte mir, dass er für eine mir bis dato unbekannte Regierungsstelle als Software-Projekt-Koordinator arbeitete und dort die Stelle eines höheren Abteilungsleiters bekleidete. Da das PSI-Projekt, wie ich vermutlich schon wissen würde, in einer kritischen Phase wäre, ein Roll-out stehe bald bevor, war es dringlich, sogar an Wochenenden zu arbeiten, wie es z. B. auch heute der Fall wäre. Walt sagte und verriet ebenso durch sein Verhalten mir gegenüber scheinbar nichts, was unsere Feinde nicht bereits wissen konnten. Meine „Tarnung“ wurde dadurch ebenfalls gewahrt, mindestens Sandy gegenüber.

Erstaunlicherweise sah ich aber keine weiteren Mitarbeiter in den Büros und vernahm ferner keine Geräusche, die auf die Anwesenheit von weiteren Personen schließen ließen. Wir hatten mittlerweile vor einem großen Monitor einer Videokonferenzanlage zu viert Platz genommen mit Blick auf den Bildschirm in Richtung der Kamera. Auf dem V-förmigen Tisch stand in der Mitte die Telefonspinne. Wir waren bereits eingewählt, die Verbindung wurde gerade aufgebaut. Die Gegenseite, Albuquerque, wie ich vermutete, war im Begriff, sich ebenfalls einzuwählen. Der Bildschirm teilte sich. Im kleinen Bild konnten wir uns selbst beobachten, im größeren Bildbereich drei Personen, die erst nach Heranzoomen, was Sandy für uns erledigte, als Ethan und zwei mir noch unbekannte Personen zu erkennen waren. Josh begrüßte alle Teilnehmer, bedankte sich, dass sich alle bereitwillig so kurzfristig am Sonntag zusammengefunden hatten und stellte mich kurz vor. „Gentlemen, dies ist Dr. Rob Rabe, unser neuer Berater, der uns ab heute unterstützen wird. Er kennt noch nicht alle Details, aber er hat schon öfters als Recovery Manager schwierige Projekte in der Hightech- und Defence-Industrie gerettet. In Anbetracht unserer schwierigen Situation hatte ich über ein paar persönliche Kontakte nach einem geeigneten Mann gesucht.“ Er erwähnte ein paar Referenzprojekte, lobte mich über den grünen Klee, blieb aber im Wesentlichen an den Fakten meines CVs, die sich bei einer Internetrecherche genauso bestätigen ließen. In den sozialen Netzwerken hatte ich bisher versucht, wenige Spuren zu hinterlassen. So war ich nicht bei Facebook; und auch in Joshs Facebook-Account war, so wie ich ihn kannte, ebenfalls kein Link zu mir zu finden. Obendrein keine verräterischen Fotos von Max und mir. Josh hatte bisher respektiert, dass ich dort nicht „posen“ wollte. Ich glaubte, jetzt war er sogar froh darüber. In XING und LinkedIn waren wir ebenfalls nicht verbunden; blieben nur Telefonanrufe und E-Mails. Josh setzte die gegenseitige Vorstellungsrunde fort; Sandy und Walt kannte ja jeder Anwesende, auch ich, so hielt Josh sich nicht mit ihnen lange auf. Er stellte mir die beiden Unbekannten, einen Asiaten namens Charly Hsu und einen dicken, rothaarigen Bären mit zotteligem Bart namens Norm Czesniak vor. Sie waren Mitarbeiter aus dem Team von Walt und repräsentierten die technischen Experten auf der Kundenseite. Ethan war der technische Projektleiter, der jetzt schon vor Ort letzte Tests und Vorbereitungen durchführte. Er gab durch nichts zu erkennen, dass er mich bereits gut kannte. Er machte einen gehetzten, fernerhin etwas übermüdeten Eindruck, was aber für Außenstehende durchaus mit der heißen Phase des Projektes zusammenhängen musste.

Es folgte eine kurze Festlegung der Agenda und die Vereinbarung, heute maximal eine Stunde zu konferieren. Walt schenkte sich schwarzen Kaffee ein, Sandy hatte bereits eine spacige Tasse mitgebracht und ich musste aufpassen, dass ich nicht zu oft zu ihr hinsah. Aber ich war auch nicht der einzige, der dies tat, denn Charly schien mehr in ihre Richtung als zu mir zu sehen. Ich musste mir eingestehen, dass Sandy sich ihrer Wirkung durchaus bewusst war. Ethan begann mit dem Project Progress Review und gab einen detaillierten Status des PSI-Projektes. Walt stellte immer wieder ein paar fachliche Fragen, ganz wie sie ein technisch versierter Manager sie zu stellen pflegt, ohne den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. Gegen Ende fragte er Norm, wie er die Situation sehe. Norm bestätigte die guten Fortschritte, sah die von Ethan aufgedeckten Issues ähnlich kritisch, hatte aber abweichende Ansichten zu den möglichen Risiken. Soweit ich das mit meinem bisherigen Kenntnisstand beurteilen konnte, hatte alles bisher Hand und Fuß. Jetzt war es Zeit, auch mich einmal zu Wort zu melden. Ich stellte Fragen zur Mitigation-Strategie, wie das Projektteam die Issues lösen wollte und die Risiken zu minimieren gedachte. Jetzt schaltete sich wiederum Charly mit recht kompetenten Vorschlägen ein. Alles in allem, ein konstruktives Meeting mit einem eingespielten Team, das am selben Strang zog, stellte ich fest. Die Beteiligten schienen obendrein recht fair miteinander umzugehen, was in kritischen Projektphasen nicht zwangsläufig der Fall ist, wenn z. B. überall die Nerven blank liegen. Ich fragte mich nur, wozu bei einem so technischen Meeting eine Marketing- und Kommunikationschefin dabei sein musste, obwohl Sandys Anwesenheit nicht wirklich störte. Aber auch dieser Punkt klärte sich schnell auf. Anscheinend sollte, so hörte ich heraus, ein wichtiges Meeting noch kommende Woche in Salt Lake City stattfinden, für welches Sandy die Präsentation vorbereiten und fernerhin das ganze Drumherum organisieren würde.

Das Meeting war schnell vorüber. Ich hatte aber immer noch nicht wirklich verstanden, worum es in PSI im Detail ging. Ich hatte halbwegs verstanden, dass die Software so gut wie fertig entwickelt war, erste Module schon auf Seiten der Behörde installiert und getestet wurden und dass Norm die Key-User-Tests koordinierte. Charly kümmerte sich um alle IT-Security-relevanten Themen. Es schienen mehrere Tausend Server betroffen zu sein. Zukünftig würden einige hundert User die Software benutzen sollen und dies mindestens landesweit und bei einigen weiteren US-Einrichtungen im Ausland.

Die Konferenzverbindung wurde gekappt und Walt holte ein Dokument aus seiner Aktentasche hervor, ein Non-Closure Agreement, das ich jetzt unterschreiben sollte, wie auch ein paar andere Bögen bezüglich Vertraulichkeit und Geheimhaltung des Projektes. Warum aber erst jetzt und nicht schon vor dem Meeting? Später würde ich bestimmt eine Erklärung bekommen.

Kapitel 3

Wir hatten noch kurz vereinbart, nach dem Meeting – es war mittlerweile Mittag und durchaus Zeit für einen kleinen Lunch – noch gemeinsam ein Cajun-Restaurant aufzusuchen. Da jeder von uns Vieren mit einem eigenen PKW unterwegs war, ich den Weg jedoch nicht kannte und sich so die Möglichkeit wohl für ein Vieraugengespräch ergab, bot Walt an, mich in seinem Wagen mitzunehmen. Er besaß einen silbernen Cadillac, ließ mich neben sich einsteigen und fuhr dann zu dem etwa zehn Minuten entfernten Restaurant. Dort würden wir dann Josh und Sandy entweder auf dem Parkplatz oder schon im Restaurant treffen.

Walt hatte mich allen Anschein nach die gesamte Zeit über ziemlich intensiv gemustert. Mein nicht ganz zu verheimlichendes Erstaunen, dass ich erst nachträglich die Vertraulichkeitsbestimmungen unterschreiben sollte, d. h. erst nach dem durchgeführten Meeting – ich bin leider ein schlechter Schauspieler und das trotz langjähriger Tätigkeit als Consultant – erklärte er mir jovial: „Rob, Sie sollten wissen, wir haben Sie schon vor zwei Tagen durchgecheckt, nachdem Josh uns mitgeteilt hat, dass er Sie ins Projekt hinzuziehen werde. Wir wissen, dass Sie schon während Ihrer Forschungszeit am FGAN in Deutschland vom Verfassungsschutz durchgecheckt wurden und damals höchste Sicherheitsstufe hatten.“ Mir wurde etwas mulmig. Wer war er, wenn er davon so genau Bescheid wusste. Was war seine Botschaft an mich? Zugegeben, dass ich nach dem Studium einige Zeit für die FGAN, die sog. Forschungsgemeinschaft Angewandte Naturwissenschaften, gearbeitet hatte, das ließ sich nicht verheimlichen. Aber nur Insidern war klar, dass es sich hierbei um ein Forschungsinstitut im Bereich Wehrtechnik gehandelt hatte. Auch das war zwar eigentlich leicht herauszufinden, wenn man es denn wollte. Dass jeder Mitarbeiter vom Verfassungsschutz damals überprüft wurde, war dort ebenso selbstverständlich. Dass ich aber höchste Sicherheitsstufe besaß, wussten aber wirklich nur Eingeweihte, noch nicht einmal Ethan und Josh.

„Du hast während Deiner Schulzeit ein Jahr im Kreise von Ethans und Joshs Familie verbracht, nicht wahr?“ Walt begann, mich jetzt vereinzelt zu duzen. „Sie kennen Sie also recht gut?“ Ich entschied mich, nicht zu lügen, aber auch nur ein Minimum an zusätzlicher Information Preis zu geben. „Ja, das war eine nette Zeit in Phoenix. Leider hat man aber viel zu selten die Gelegenheit, sich zu sehen.“ „Nun, Sie waren doch schon einmal dieses Jahr in Los Angeles“. Verdammt, er wusste viel zu gut Bescheid. Von welcher Organisation war er? So etwas wie die NSA? Das würde ja durchaus Sinn ergeben, wenn die PSI-Software eine wichtige Verschlüsselungssoftware bzw. vielleicht auch Decodierungssoftware wäre. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und auch Walt machte keine Anstalten, mich über seine tatsächliche Funktion und Organisation aufzuklären. Als ich später die Organisation, für die er gemäß seiner Visitenkarte arbeitete, im Internet suchte, wurde ich zwar fündig, aber sie konnte genauso gut eine Tarnorganisation von wem auch immer sein. Ich startete einen Gegenangriff. „Walt, was sollte ich Ihrer Meinung nach noch über das PSI-Projekt wissen?“ Walt machte eine Pause: „Eine sehr gute Frage. Zunächst, Sie wissen, dass Joshs Sohn Max entführt wurde?“ Ich sagte nichts, aber Walt schien obendrein keine Antwort erwartet zu haben und fuhr fort: „Max wurde aus dem Kindergarten entführt. Eine Person, die sich als Ethan Clark ausgab, holte Max anscheinend zusammen mit einer uns noch unbekannten Frau ab. Im Kindergarten gibt es natürlich eine Regelung, dass nur autorisierte Personen Kinder abholen dürfen. Ethan gehörte zu diesem Kreis, war aber persönlich längere Zeit nicht dagewesen, so fiel niemandem ein Unterschied auf. Fiona Clark hatte ihn nämlich außerdem für diesen Tag als Abholer angekündigt, so schöpfte niemand wirklich Verdacht. In diesem Kindergarten sind sie aber sehr gewissenhaft und hatten sogar Fiona Clark bei der Abholung auf ihrem privaten Handy angerufen und sich die Richtigkeit der Abholung noch einmal bestätigen lassen. Zu dieser Zeit war der echte Ethan Clark allerdings noch unterwegs. Der Zeitpunkt war perfekt abgepasst. Es ging nur um Minuten. Der Entführer muss sogar täuschend echt ausgesehen haben. Sie sehen, die Entführer waren über alles recht gut im Bilde. Ziemlich perfide, nicht wahr? Rob, Sie glauben gar nicht, wie verblüfft die Kindergärtnerinnen gewesen wären, wenn der echte Ethan Clark zwanzig Minuten später wieder ohne Max aufgetaucht wäre und nach Max gefragt hätte. Soweit kam es aber nicht. Seine