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Ihr Herz gehört zwei Männern Norah, Tim und Jakob sind seit ihrer Jugend unzertrennliche Freunde. Als Tim einen großen Plattenvertrag an Land zieht und nach Amerika geht, um seinen Traum zu verfolgen, bekommt das Band, welches das Leben der drei bis dahin miteinander verflochten hat, einen Riss. Nach elf Jahren begegnet Norah, die inzwischen mit Jakob verlobt ist, Tim in New York wieder. Fast vergessene Gefühle flammen auf. Für wen wird Norah sich entscheiden? Die neue Ausgabe von Rockstar High wurde überarbeitet und neu gestaltet.
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Seitenzahl: 204
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Alice Ann Wonder
Copyright © 2020 Alice Ann Wonder
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Sämtliche Personen im vorliegenden Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von Karma3 / Shutterstock
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Über dieses Buch
Ihr Herz gehört zwei Männern
Norah, Tim und Jakob sind seit ihrer Jugend unzertrennliche Freunde. Als Tim einen großen Plattenvertrag an Land zieht und nach Amerika geht, um seinen Traum zu verfolgen, bekommt das Band, welches das Leben der drei bis dahin miteinander verflochten hat, einen Riss. Nach elf Jahren begegnet Norah, die inzwischen mit Jakob verlobt ist, Tim in New York wieder. Fast vergessene Gefühle flammen auf.
Für wen wird Norah sich entscheiden?
Norah
Norah war es von kleinauf gewohnt, allein durchs Leben zu gehen.
Dann traf sie Tim und Jakob und es änderte sich alles. Ein Band legte sich um ihre Körper; ein dickes Stahlseil, so eng, dass es sich unbarmherzig in ihr Fleisch bohrte, wann immer sich einer von ihnen zu weit von den anderen wegbewegte.
Norah ertrug den Schmerz der Reibung, das Scheuern auf blankem Fleisch, denn er erinnerte sie daran, wo sie hingehörte.
Solange, bis einer von ihnen das Seil kappte. Schnell und ohne Vorwarnung.
Noch immer spürte sie die Furche, den Abdruck ihrer Verbindung.
Sie schloss die Augen, die Hand über ihrem Herzen, während ihre Gedanken bei ihnen waren und bei dem, was sie gehabt hatten.
Vielleicht, so die leise Stimme in ihrem Inneren, war ihr Geheimnis in einer anderen Welt, an einem Ort, fernab von diesem, weniger verwerflich.
Es gab Tage, an denen sie sich ihr regloses Herz von damals zurückwünschte.
Eine lebendige Hälfte zu haben ist besser als nichts, versuchte sie sich die meiste Zeit über einzureden.
Aber manchmal, da schmerzte das Wissen um das, was nicht mehr ihr war, tausendfach stärker als das einsame Leben, das sie führte, bevor sie dieses Band um sie geschnürt hatten.
Die Liebe zu Tim und Jakob hatte sie in das stürmischste Meer geworfen – ohne Rettungsleine, ohne die Sicherheit, dass einer von ihnen da sein, sie auffangen und vorm Ertrinken bewahren würde.
Trotzdem bereute sie nichts. Nicht eine Sekunde.
Jakob – 1994, 13 Jahre
Es war eine blöde Idee, sich von ihm überreden zu lassen, mit zur Feier zu gehen. Der Anzug kratzte und er bekam kaum Luft.
“Ihr benehmt euch, haben wir uns verstanden? Kein Gerangel, keine Witze! Diese Gala ist sehr wichtig.”
Tims Mutter sah zu ihnen nach hinten. Ihre dunkelroten Lippen waren gespitzt, während sie ihnen ihren in einen weißen Spitzenhandschuh gehüllten Finger drohend entgegenstreckte.
“Ja, Mrs Solberg”, sagte er leise.
Doch da ihre Ansprache viel mehr ihrem Sohn galt, stimmte sie das noch nicht zufrieden.
“Tim?”
Sie warf ihm einen ernsten Blick zu.
“Nimm gefälligst diese Dinger runter, wenn ich mit dir rede!”
Tim verdrehte die Augen, machte jedoch keine Anstalten, die Kopfhörer seines Walkmans abzusetzen.
“Tim Solberg!”
Jetzt beugte sich seine Mutter so weit nach hinten, dass sie ihn am Hosenbein zu fassen bekam.
“Sag doch auch mal was, Arvid!”
Kirsten Solberg sah ihren Ehemann flehend an.
Tims Vater brummte genervt: „Wer von uns beiden hat den Jungen denn so verhätschelt?!”
Kirsten schluckte und wandte sich wieder ihrem Sohn zu, wissend, dass sie von ihrem Mann keine Unterstützung erwarten konnte; ihr Gesichtsausdruck wirkte verzweifelt.
Tim saß noch immer regungslos auf seinem Platz, den Blick hinaus in die Ferne gerichtet.
Seine Mutter rüttelte ein weiteres Mal an seinem Knie.
Es war ein halbherziger Versuch, doch noch eine Reaktion von ihrem Sohn zu erhalten. Irgendeine.
“Ist ja schon gut, ich hab's verstanden”, knurrte Tim, ohne sie anzusehen.
Jakob atmete erleichtert auf.
Aus irgendeinem Grund war es für ihn stets schwer auszuhalten, wenn Tim sie so auflaufen ließ.
Kurz nachdem sich Kirsten wieder nach vorne gelehnt hatte, fragte Tim: “Können wir am Kaja´s halten? Ich brauche noch ´ne Cola.”
“Aber, Schatz, wir sind doch in zwanzig Minuten da.”
“Ich habe Durst.”
Kirsten sah noch einmal zu ihnen nach hinten, dann zu ihrem Mann.
“Na schön. Arvid?”
“Meinetwegen.”
Tims Vater war noch nie ein Mann vieler Worte gewesen, solange Jakob ihn kannte – und das war seit seinem neunten Lebensjahr.
Ob seine unterkühlte Art tatsächlich Desinteresse an seiner eigenen Familie oder einfach bloß Introvertiertheit, gepaart mit einem besonders ausgeprägten Bedürfnis nach Ruhe, war, konnte er nicht sagen.
Im Gegensatz zu Tim erstickte er jede Auseinandersetzung im Keim, und zwar entweder mit harten Kommentaren, gegen die sich niemand traute, sich zur Wehr zu setzen, oder mit eisigem Schweigen, das ebenfalls von allen Seiten widerstandslos hingenommen und als sein letztes Wort akzeptiert wurde.
Arvid hielt den Mercedes zehn Minuten später vor einem kleinen Supermarkt am Rande der Stadt.
“Beeilt euch”, rief Kirsten Tim und ihm nach, als sie aus dem Auto stiegen.
“Machen wir, Mrs Solberg.”
Jakob lächelte ihr verhalten zu, bevor er sich umdrehte und zusammen mit Tim den Laden betrat.
“Ich hab´ so was von keinen Bock auf die Scheiße!”, blaffte Tim, während er zielstrebig auf die Spirituosenabteilung zusteuerte.
“Was hast du vor?”, fragte Jakob, als er sich eine Dose Jack Daniels aus dem Kühlfach nahm und in den Ärmel seines Jacketts schob.
“Für ein bisschen Spaß sorgen.”
Tim funkelte Jakob mit einem teuflischen Grinsen an.
Obwohl er nur ein Jahr älter als Jakob war, kam es ihm manchmal so vor, als trennten sie mindestens vier.
Tim war schon immer wesentlich reifer als sonst jemand gewesen, den Jakob kannte – vermutlich waren sie deshalb auch so gut befreundet.
Ein Teenager mit dem gewöhnlichen Hirn eines Vierzehnjährigen hätte kein Verständnis dafür, was bei ihm zu Hause abging.
Umgekehrt war es genauso.
So unterschiedlich ihre Familien von ihrer sozialen Herkunft waren – so viele Gemeinsamkeiten hatten sie in der Intensität der Facetten ihrer Abgefucktheit.
Dass Tim immer auf der Suche nach Ärger war, gefiel Jakob nicht besonders. Trotzdem war er sein bester Freund und er wäre ihm niemals in den Rücken gefallen – egal worum es ging.
Jakob ging dicht neben Tim, um ihn vor den Blicken der Kassiererin zu schützen. Dabei hätte sie wahrscheinlich nicht einmal etwas gesagt, selbst wenn sie gewusst hätte, dass Tim im Begriff war, etwas zu klauen.
Sie war nicht viel älter als die beiden Jungen und jeder aus der Gegend kannte und verehrte die Solbergs. Sie waren superreich und bei allen beliebt – Arvid war der Kopf eines Ölimperiums und die Familie von Kirsten besaß halb Norwegen.
Das und die Tatsache, dass Tim vermutlich sehr viel besser als der Durchschnitt aussah, sorgte dafür, dass bei all seinen verbalen, körperlichen und nicht gesellschaftskonformen Entgleisungen regelmäßig ein Auge zugedrückt wurde.
Oder gleich zwei.
Tim – 14 Jahre
Als sie den Laden verließen, fiel sein Blick auf drei Loser von ihrer Schule, die irgendein Mädchen an der Ecke bei den Mülltonnen herumschubsten.
Er sah kurz hin, dann wieder weg.
Seine Mutter war gerade dabei, ihren Lippenstift nachzuziehen, während sein Vater stur geradeaus starrte. Als er Jakob und ihn bemerkte, drückte er auf die Hupe.
Tim ignorierte sein Drängen und ging auf die aufmüpfigen Typen zu. Jakob hatte das Gerangel erst kurz nach ihm erspäht, weil er wie immer bei solchen Diebstahlaktionen hinter ihm aus dem Geschäft ging, um ihn im Ernstfall decken und ihm einen Vorsprung verschaffen zu können.
Obwohl Tim wusste, dass Jakob seinen Hang zur Gefahr noch nie nachvollziehen konnte, willigte er regelmäßig mehr oder weniger stillschweigend ein, sich mit hineinzubegeben.
Tim kannte niemanden sonst, der bereit wäre, sich für ihn die Fresse polieren zu lassen – wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Deshalb – und wegen seines Humors – war Jakob der Einzige, den er in seiner Nähe duldete; der einzige Mensch auf der Welt, den er als Freund betrachtete. Jakob war nicht darauf aus, sich an ihrer Schule mit Tims Namen besser zu stellen oder jedes Wochenende Freikarten für die Northern Huskys abzustauben, wie es die meisten Idioten ständig versuchten.
Einer der Jungs, Finn Moen – ein Waschlappen aus der Klasse über ihnen –, entriss dem Mädchen einen dunkelblauen Walkman, der über und über mit Glitzerstickern beklebt war. Die anderen beiden hielten sie fest.
“Gib ihn zurück, du Lutscher!”
Tim blökte die drei Affen an. Sie hatten nicht mitbekommen, dass er sich ihnen genähert hatte und schauten jetzt ganz schön dämlich aus der Wäsche.
“Was soll die Scheiße?”, rief Jakob hinter ihm.
Ohne ein weiteres Wort oder auch nur den Versuch sich zu wehren, zogen die drei mit gesenktem Kopf Leine. Säßen Tims Eltern nicht wenige Meter von ihm entfernt in ihrem Wagen, wäre jetzt eine ordentliche Abreibung fällig.
“Ja genau, verpisst euch, ihr Feiglinge!”, brüllte er ihnen hinterher.
Das Mädchen bückte sich und hob den heruntergefallenen Walkman auf. Das Kassettenfach war beim Aufprall halb abgesprungen, ein Stück fehlte.
“Patient tot”, stellte Tim fest, als sie mit traurigem Blick aufschaute.
“Danke, dass du … ihr mir geholfen habt.“
Sie sah zwischen Jakob und ihm hin und her, während sie nervös den Walkman wie zum Schutz vor ihren schmalen Körper presste.
“Keine Ursache”, sagte Jakob und reichte ihr die Hand, um sich vorzustellen.
“Jakob.”
Sie presste die Lippen zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Die Haut auf ihrer mit Sommersprossen übersäten Nase kräuselte sich, wobei ihre grauen Augen schüchtern zu Boden sahen.
“Norah.”
Tim zog seinen schwarzen Walkman aus der Tasche und reichte ihn ihr.
“Ich … ich verstehe nicht.”
Sie blickte stirnrunzelnd hoch zu ihm.
“Ist geschenkt. Deiner ist Schrott.”
Tim nahm ihre freie Hand, drehte die Handfläche nach oben und legte seinen Walkman hinein.
Ihrem Zucken nach zu urteilen, erschrak sie diese plötzliche Berührung.
“Das geht doch nicht.”
“Ich hab noch neun andere zu Hause rumliegen. Nimm schon!”, forderte er sie auf und schloss ihre Finger um das Plastikteil, als sie es ihm wiedergeben wollte.
“Hat er wirklich”, bekräftigte Jakob Tims Worte.
“Was hörste‘n so?”, fragte Tim und nahm die Kassette aus ihrem demolierten Apparat.
“Dark Memories Mix”, las er vor. “Klingt ja düster.” Lächelnd gab er ihr die Kassette zurück.
“Wie das Leben”, sagte sie, ohne den kleinsten Hauch eines Lächelns auf ihren rosigen Lippen.
“Bist du neu in Stavanger?”, wollte Jakob wissen und legte den Arm auf Tims Schulter.
Sie holte tief Luft, ehe sie antwortete.
“Ja.”
“Ist ätzend hier – nur dass du das schon mal weißt. Der schöne Schein trügt. Sieh lieber zu, dass du schnell wieder wegkommst.”
Und das war Tims voller Ernst. Er hatte zwar noch nie irgendwo anders gelebt und die Natur in Norwegen war der Hammer, aber in dem Kaff, in dem er wohnte, konnte man nichts unbeobachtet tun, weil jeder über jeden redete. Zum Kotzen.
“Jetzt mach ihr keine Angst.”
Jakob lächelte ihr aufmunternd zu. “Wo genau wohnst du denn?”
Die Hupe des Mercedes ertönte erneut. Dieses Mal länger. Arvid und Kirsten würden ausflippen, wenn sie zu spät kämen, aber das ging ihm ziemlich am Arsch vorbei.
Jakob sah sich um. Tim hingegen rührte sich nicht, sondern schaute stattdessen noch immer zu Norah.
“Na sag! Wir werden dich schon nicht kidnappen oder so. Keine Sorge!”
Tim zog die Dose Jack Daniels aus seinem Ärmel, öffnete sie und nahm einen großen Schluck.
“Haus Sonnenschein", murmelte sie kaum hörbar. Tim lupfte eine Augenbraue.
“Kinderheim?”
Mist. Das kam jetzt falsch rüber. Er hatte sie nicht in Verlegenheit bringen wollen.
Sie nickte.
“Cool, na dann sind wir sicher auf derselben Schule”, rettete Jakob die Situation. So wie immer.
Huuuuuup.
Huuuuuuuuup.
Huuuuuuuuuuuuup.
“Tim Kristian Solberg, wenn ihr jetzt nicht sofort herkommt, lassen wir euch hier stehen!“
Tim machte eine abwinkende Handbewegung in Richtung des Mercedes, während er zähneknirschend und in einem abfälligen Tonfall „Eltern“ sagte.
Er lächelte noch einmal und reichte Jakob die halb volle Dose.
Jakob leerte sie mit einem Zug, bevor er sie in einem Mülleimer, der einige Meter entfernt neben dem Eingang des Supermarkts stand, versenkte.
“Wir müssen!”
Zu Tims großen Bedauern stimmte er seinem Freund zu. Auf eine weitere Standpauke konnte er heute gut und gern verzichten.
„Bis dann, Norah“, sagte er zwinkernd.
Doch statt etwas zu entgegnen, nickte sie nur; in den Händen die beiden Walkmans, das dunkelblonde Haar vom Wind zerzaust.
“Hast du den Augenaufschlag gesehen?”
Jakob stupste Tim mit dem Ellenbogen in die Seite, als sie weit genug von ihr entfernt waren.
“Hab´ ich, bin ja nicht blind”, knurrte er.
Bevor sie einstiegen, drehten sie sich beide nach Norah um. Sie stand noch immer an Ort und Stelle und sah ihnen nach. Dabei wirkte sie wie eine verlassene Königin mit ihrer zarten Erscheinung und dem Rüschenkleid, das ihr bis zu den Knien reichte – schön und stolz, hell leuchtend wie ein Stern – aber allein.
“Kannst du mir mal erklären, was das schon wieder sollte? Kaum reicht man dir den kleinen Finger –“
“Lass stecken”, unterbrach Tim seine Mutter, während er sich anschnallte.
“Sprich gefälligst nicht so mit deiner Mutter!”, mischte sich Arvid ein, was selten genug vorkam.
“Tschuldigung.”
Als sein Vater das Auto wendete, schaute er ein letztes Mal zurück – doch bis auf dichte dunkelgrüne Kiefern am Rande des Parkplatzes war nichts zu sehen. Sie ist weg, dachte er und setzte sich – beinahe ein bisschen widerwillig – seine Kappe auf.
Norah – 2010, 27 Jahre
Norah passierte den Sicherheitscheck. Schon von Weitem sah sie Jakobs Kopf, der alle übrigen mindestens um die Hälfte überragte. Als er sie entdeckte, kam er mit großen, gleichmäßigen Schritten auf sie zu.
Er visierte sie an wie ein Grizzlybär seine Beute – sie hatte keine Chance ihm zu entkommen.
Seine braunen Augen ließen sie nicht mehr los, seit sie Norah ausgemacht hatten. Im Gegensatz zu ihr, schienen ihm alle wild durcheinanderlaufenden Menschen am Flughafen auszuweichen. Norah hingegen stieß natürlich wie immer mit jedem zweiten zusammen.
Noch ehe sie ein Wort sagen konnte, griff er mit einer Hand nach ihrem Koffer und packte mit der anderen ihre Hüfte, um sie an sich zu ziehen. Sein Kuss war so leidenschaftlich, heiß und verlangend, dass ihre Knie ganz weich wurden. Schon immer hatte sie in seiner Nähe mehr denn je das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu geraten, und das allein deshalb, weil er ihr jedes Mal aufs Neue bewusst machte, wie es sich anfühlte gänzlich in ihrer Mitte zu sein.
Die sechs Wochen ohne ihn waren mit einem Mal wie weggeblasen. Es war, als wäre nicht ein Tag vergangen, seitdem sie sich zuletzt gesehen hatten.
“Du hast mir gefehlt.”
Er sah ihr tief in die Augen, als er schließlich von ihr abließ.
“Du mir auch. Und wie!”, antwortete sie und gab ihm einen vorerst letzten Kuss auf den Mund.
“Wie war dein Flug? Hast du es einigermaßen aushalten können?”
Norah ließ sich bereitwillig von ihm in den Arm nehmen, während sie aus der riesigen Eingangshalle schlenderten.
“Sagen wir´s so: Ich bin heilfroh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben!”
Das war die Untertreibung des Jahrhunderts, denn sie litt unter Flugangst. Unter großer Flugangst! Aber sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. Hätte sie nicht diesen alles entscheidenden Auftrag, was ihre Zukunft anging, hätte sie sich nie im Leben in den Flieger gesetzt!
Norah hatte extra zwei Wochen zuvor ein spezielles Training absolviert, das ihr dabei helfen sollte, während des Fluges Ruhe zu bewahren. Leider hatte das nicht einmal in der Theorie funktioniert. Allein die Vorstellung, so weit entfernt von der Erde zu sein, war ausreichend gewesen, um ihr einen Kreislaufkollaps erster Klasse zu bescheren.
Eben war es leider auch nicht viel besser gelaufen. Allerdings waren die Flugbegleiterinnen außergewöhnlich nett gewesen, sodass sie die knapp acht Stunden letztlich doch irgendwie überstanden hatte – mit zweieinhalb ausgedehnten Heulkrämpfen inklusive, verstand sich.
“Nächstes Mal bin ich bei dir.”
Jakob nahm ihre Hand und wirbelte sie einmal um hundertachtzig Grad herum; sie blieb dicht vor ihm stehen und hielt den Atem an, als er ihren Koffer neben seinen schwarzen SUV stellte und sie hochhob. Norah schlang die Arme um seinen Hals und ihre Beine um seine Hüfte – lachend und mit pochendem Herzen, während er sie mit dem Rücken gegen den Wagen drückte und begann, sie abermals zu küssen.
Norahs Hände fuhren durch seine dunklen kurzen Haare, als er sie immer stürmischer gegen die Scheibe des SUVs drängte.
“Nie wieder diese langen Wochen ohne dich”, raunte er in ihr Ohr und leckte danach genüsslich über ihren Hals.
Sie schloss die Augen und gab sich dem angenehmen Kribbeln hin, das durch ihren gesamten Körper fuhr.
“Nie wieder”, flüsterte sie.
Wenn sie diesen Auftrag zur Zufriedenheit ihrer Chefin erledigte, wurde sie befördert. Dann konnte Norah von zu Hause arbeiten und musste nie wieder für sie durchs halbe Land reisen – oder wie ausnahmsweise jetzt: zu einem anderen Kontinent.
“Su wird Tim heute Abend ein Ultimatum stellen”, erklärte Jakob und ließ seine Zunge weiter an ihrem Hals hinabwandern.
Es ist okay, Norah, dachte sie. Ihr seid bloß in derselben Stadt. In einer Millionenstadt – weit genug voneinander entfernt. Es waren nur sieben Tage. Wie schwer konnte es sein, ihm sieben Tage in New York aus dem Weg zu gehen?
“Gut. Ultimatum klingt hervorragend.”
Norah stöhnte leise, als Jakob mit einer Hand unter ihre weiße Bluse fuhr und gleichzeitig ihr Schlüsselbein liebkoste.
“Wieso kommst du nicht mit?”
Seine warmen Finger umfassten ihren Busen.
“Wohin?”
Hinter ihnen ertönte Gelächter. Sie sah über Jakobs Schulter, hin zu einer kleinen Gruppe Chinesen. Auch auf dem VIP-Parkplatz war man nicht immer ungestört.
Jakob zog seine Hand wieder aus ihrer Bluse hervor und gab ihr einen Kuss auf den Mund, ehe er den Wagen mit einem Druck auf den Schlüssel in seiner Hand öffnete.
“Mit zu dem Gespräch. Su, ich …”
Er verstaute ihren Koffer auf der Rückbank und schlug die Tür zu.
“… und Tim”, beendete er seinen Satz und biss ihr sanft auf die Unterlippe, bevor er die Autotür für sie öffnete.
Natürlich würde er das versuchen. Sie hätte es wissen müssen! Halt, nein – genau genommen hatte sie es selbstverständlich geahnt.
Nur hätte sie nicht damit gerechnet, dass er sie direkt am ersten Tag mit diesem Vorschlag überfallen würde.
Jakob setzte sich neben sie und legte eine Hand aufs Lenkrad.
“Es wird Zeit.”
Mit Daumen und Zeigefinger hob er ihr Kinn und strich darüber, bevor er den Motor startete.
Norah wusste, dass er recht hatte. Elf Jahre waren bereits vergangen, seitdem sie Tim das letzte Mal gesehen hatte.
Das sollte ausreichen, um die alten Geschichten endlich ruhen zu lassen und zu vergessen.
Und die Wunden, vor allen Dingen die Wunden.
Norah holte tief Luft, während sie aus dem Fenster das Pulsieren der Stadt beobachtete. Sie war noch nie in einem Land außerhalb Europas gewesen. Allein wegen ihrer Flugangst war das nicht infrage gekommen. Außerdem konnte sie sich kein schöneres Stückchen Erde als Norwegen zum Leben vorstellen. Sie kannte keinen Grund, weshalb sie irgendwo anders wohnen oder hin verreisen wollte, wenn es sich vermeiden ließ. Das behielt sie allerdings meistens für sich, denn sie hatte die Erfahrung gemacht, dass Leute sie seltsam ansahen oder lauthals protestierten, wenn sie ihnen von jenen Gedanken berichtete.
Jakob hielt an einer roten Ampel.
“Was sagst du?”, fragte er und strich ihr eine blonde Haarsträhne hinters Ohr.
Norah sah auf ihrer Seite des SUVs aus dem Fenster. Eine überdimensional große Reklametafel, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite grell leuchtete, fiel ihr ins Auge. Auf ihr zu sehen war ein Gesicht, das sie einst besser kannte als ihr eigenes. Stechend blaue Augen, hellblonde Haare und ein markantes Kinn, das dem eines Wikingers glich.
Unter ihm blinkte eine grün-blaue “It´s never too late”-Aufschrift.
Norahs Mundwinkel zuckte nach oben, als sie die Augen schloss und sich für den Bruchteil einer Sekunde zurück in die Vergangenheit träumte.
“Songs sind so großartig, weil sie das Leben und das, was in dir vorgeht, besser beschreiben, als Worte allein es je könnten”, hörte sie Tim noch einmal sagen. Damals, als sie mit fünfzehn an diesem See waren. Bei dem Gedanken daran wie er ihre Hand ergriffen und sie geküsst hatte, durchfuhr sie ein warmer Schauer.
“Was ist?”, fragte Jakob interessiert.
Norah zeigte auf die Reklametafel, gerade noch rechtzeitig, bevor die Ampel auf Grün sprang und sie weiterfuhren.
“Ein neuer Song von ihm?”
Jakob nickte.
“Heißer Anwärter auf einen nächsten Nummer-Eins-Hit. Ist ziemlich gut”, erklärte er, bevor sie keine zwei Minuten später vor dem Plaza Hotel hielten.
“So wie alles, was er macht”, murmelte sie und ließ sich von dem Hotelpagen aus dem Auto helfen.
Jakob – 28 Jahre
Er grüßte einen der Rezeptionisten, mit dem er sich inzwischen angefreundet hatte. Norah zog er hastig und voller Ungeduld hinter sich her, denn er konnte es nicht erwarten sie endlich zu spüren – und zwar richtig!
“Wow, das ist ja unglaublich hier!”
Norah hielt sich vor Erstaunen die Hände vor den Mund, als sie zusammen in seiner temporären Wohnung im sechzehnten Stock ankamen.
Jakob stelle sich hinter sie vors Panoramafenster, das direkt hinaus auf den Central Park blicken ließ.
“Das wüsstest du, hättest du mich schon eher einmal besucht.”
Er legte seine Hände auf ihre Hüften, küsste ihren Hals und inhalierte ihren blumigen, süßlichen Duft, der ihn ganz verrückt machte.
Norah legte den Kopf zur Seite und genoss seine Liebkosungen.
“Jetzt bin ich ja hier.”
“Nicht meinetwegen”, brummte Jakob, während er ihre butterweiche Haut abwechselnd mit seiner Zunge, dann wieder mit gierigen Bissen liebkoste.
Eigentlich war es ihm egal, dass sie von ihrer Chefin regelrecht gezwungen werden musste, damit sie sich in den Flieger gesetzt hatte und hergekommen war. Er hätte und hatte sie nie deshalb unter Druck gesetzt. Völlig gleich, wie gerne er sie in seiner Nähe hatte, wie sehr er sie an seiner Seite brauchte.
Norah drehte sich um und sah ihm in die Augen.
“Selbstverständlich deinetwegen. Unseretwegen! Keine geteilten Wochenenden mehr, keine spontanen Meetings am anderen Ende des Landes. Wenn ich diesen Auftrag zu ihrer Zufriedenheit erledige, werde ich nur noch zu Hause am Schreibtisch sitzen und jeden Tag wissen, wann ich Feierabend habe, um das Abendessen für meinen wunderbaren, heißen Mann und unsere große Kinderschar zu kochen.”
Sie schenkte ihm ihren schönsten Augenaufschlag, während er mit dem Finger über ihre geschwungenen Lippen strich.
“Wieso nur klingt selbst so etwas Langweiliges aus deinem Mund, als wäre es das Aufregendste der Welt?”
Und warum zum Teufel konnte er den Gedanken nicht abschütteln, dass irgendetwas falsch daran war?
Norah legte die Hände auf seinen Brustkorb.
“Weil du weißt, dass mit mir zusammen nichts jemals langweilig werden wird.”
Feine Lachfältchen legten sich um ihre grauen Augen.
Sie scherzte. Dabei wusste sie gar nicht, wie recht sie mit dieser Aussage hatte.
Jakob zog ihr die Bluse über den Kopf, öffnete mit einem geschickten Griff ihren himmelblauen Spitzen-BH und hob sie hoch. Dann trug er sie zu dem King-Size-Bett, ohne ihren Kuss zu unterbrechen. Sobald er sie auf die aschgrauen Laken gelegt hatte, zog er ihr die Nadelstreifenhose aus und begann, ihren Bauch zu streicheln. Derweil er sich küssend, beißend und leckend weiter nach unten vorarbeitete, vergruben sich ihre Hände in seinen Haaren.
Als seine Lippen an ihrem Spitzenhöschen ankamen, hob sie ihr Becken. Er rollte den dünnen Stoff langsam von ihrer Porzellanhaut, während sie ungeduldig immer weiter an ihn heranrutschte. Oh, süße Norah!
Sie sah aus wie eine Göttin. Die welligen blonden Haare auf dem Kissen ausgebreitet; mit den geschlossenen Augen, die ihre ohnehin schon dichten Wimpern noch voller aussehen ließen. Ihre sinnlichen Lippen umspielte ein Lächeln.
“Jakob”, stöhnte sie ungeduldig, „du weißt wirklich, wie du mich quälen kannst!“
Wie so oft konnte er sich nicht an ihr sattsehen.
"Bereit, wenn du es bist", brummte er und sah in ihre immer dunkler werdenden Augen, bevor er sich von ihr dorthin drücken ließ, wo sie ihn haben wollte.
Ihr Wimmern, als er sie liebkoste, ließ seine Gier nach ihr noch größer werden. Er musste sie haben, sie um sich herum fühlen – jetzt!