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Er kommt aus dem Gefängnis und ist bereit, alles für seine Freiheit zu tun. Sie lebt für ihren Traum und lässt sich von einem Mann nichts gefallen. Doch nur gegenseitiges Vertrauen kann sie beide retten. **Liebe zwischen Gefahr und Sehnsucht** Als die leidenschaftliche Bäckerin Mave erfährt, dass ihr Bruder sein Stipendium verloren hat, fasst sie einen folgenschweren Entschluss: Um das nötige Geld aufzutreiben, schließt sie sich den Hells Raven an, einem berüchtigten Motorradclub. Dort trifft sie auf den gefährlich attraktiven Raven, der ihr unerwartet oft in die Quere kommt. Denn hinter der Maske des taffen Bikers steckt viel mehr, als Mave ahnt … //Dies ist der zweite Band der »Tough Boys«-Dilogie. Alle Bände der prickelnden New Adult Romance bei Impress: -- Love Me Wild (Tough-Boys-Reihe 1) -- Love You Wilder (Tough-Boys-Reihe 2) -- »Love Me Wild« & »Love You Wilder« – Zwei knisternde New Adult Liebesromane im Sammelband// Diese Buchreihe ist abgeschlossen. Jeder Roman der Serie ist in sich abgeschlossen und kann eigenständig gelesen werden.
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Alice Ann Wonder
Love You Wilder (Tough-Boys-Reihe 2)
**Liebe zwischen Gefahr und Sehnsucht**Als die leidenschaftliche Bäckerin Mave erfährt, dass ihr Bruder sein Stipendium verloren hat, fasst sie einen folgenschweren Entschluss: Um das nötige Geld aufzutreiben, schließt sie sich den Hells Raven an, einem berüchtigten Motorradclub. Dort trifft sie auf den gefährlich attraktiven Raven, der ihr unerwartet oft in die Quere kommt. Denn hinter der Maske des taffen Bikers steckt viel mehr, als Mave ahnt …
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Vita
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Alice Ann Wonder, bürgerlich Anika Pätzold, wurde 1990 in Arnstadt geboren. Schon früh konnte sie ihr erstes Lieblingsbuch auswendig aufsagen. Seit 2019 veröffentlicht sie selbst Romane. Sie reist gern quer durch die Welt – am liebsten dorthin, wo es warm ist – hört jeden Tag Hörbuch und liebt es, zu tanzen.
Juli 2016 …
Von dem Moment an, als ich Raven Sinclair das erste Mal sah, wusste ich, dass er Ärger bedeutete.
Seine dunklen Augen blicken so abgeklärt auf die Welt herab, als trügen sie mit ihren gerade einmal zwanzig Jahren bereits den Schmerz eines ganzen Lebens in sich.
Pechschwarze Haare umrahmen ein hartes Gesicht, das niemals lächelt.
Er ist das genaue Gegenteil von meinem blonden, immer zu einem Scherz aufgelegten, großen Bruder Finn. Trotzdem verstehen sie sich blendend. Der eine würde für den anderen durchs Feuer und wieder zurückgehen. Wenn man sie beobachtet, hat man das Gefühl, sie wären schon seit dem Sandkasten befreundet. Dabei kennen sie sich gerade einmal ein halbes Jahr.
Niemand weiß etwas Genaues, aber es heißt, Raven sei bei einer Tante aufgewachsen, die vor einiger Zeit verstorben ist. Das ist der Grund, weshalb er in den Heimatort seiner Eltern zurückgekehrt ist.
Man munkelt, seine Mutter habe nicht gewollt, dass er mit dem Motorradclub seines Vaters in Berührung kommt. Aber wirklich Bescheid weiß niemand, nicht einmal mein Bruder.
***
Finn und Raven kommen gerade in die Küche. Ein Blick auf den blutverschmierten Mann neben meinem Bruder reicht aus, um in mir alle Symptome des schlimmsten Leidens seit Menschengedenken auszulösen: Ich will!
»Hey«, begrüße ich die zwei und kehre schnell den letzten Rest Mehl auf dem Boden zusammen. »Was ist passiert? Du siehst ja schlimm aus.«
Wie meistens antwortet mein Bruder an Ravens Stelle, von dem ich nur einen kühlen Blick ernte.
»Ach, das ist nichts weiter, du solltest mal den anderen sehen.«
Finn geht zum Schrank über der Spüle und holt den Verbandskasten heraus. Im Gegensatz zu Raven hat er nur ein kleines Veilchen unter dem Auge.
»Macht schnell, Dad ist zu Hause«, sage ich, während ich das verschmutzte Mehl in den Mülleimer kippe.
Finn sieht über seine Schulter Richtung Flur. Laute Geräusche aus dem Fernseher dringen zu uns.
»Er hat sich kurz hingelegt«, erkläre ich und kann nicht verhindern, dass meine Augen noch einmal zu Raven huschen. Er steht gegen den Türrahmen gelehnt. Seine Lippe blutet, genau wie die Stelle über seiner Augenbraue. Als ich genauer hinschaue, bemerke ich, dass seine Knöchel auch nicht besser aussehen. Sie sind rot und geschwollen und von seiner rechten Hand ist bereits etwas Blut auf den Laminatboden getropft.
Doch wie immer kommt in Finns Welt zu allererst er selbst. Seelenruhig betupft er mit einem Wattebausch sein linkes Jochbein.
»Hast du genug Desinfektionsmittel?«, frage ich mit hochgezogener Braue und deute mit dem Kopf zu Raven. Finns egoistischer Wesenszug ist mir trotz aller Liebe etwas peinlich. Obwohl er fünf Jahre älter ist als ich, habe ich ihn schon immer in Schutz genommen, habe Dinge für ihn erledigt, wenn er sie nicht selbst tun wollte und ihn angehimmelt – völlig egal, was er gemacht hat. Er ist mein Held und genau wie Raven würde ich, wenn es nötig wäre, jedes Opfer für ihn bringen.
»Kann es für den Kerl jemals genug sein?«
Als ich Ravens dunkle Stimme vernehme, drehe ich mich um. Ein Lächeln liegt mir auf den Lippen, denn es kommt selten genug vor, dass er auf irgendetwas, was ich sage, reagiert.
Unsere Blicke begegnen sich und er lächelt zwar nicht zurück, aber ich bilde mir ein, dass er ein paar Sekunden länger als gewöhnlich verharrt, bevor er sich wieder meinem Bruder zuwendet.
»Ich geh schon mal in dein Zimmer«, meint Raven und als er eine Hand in seine Hosentasche schiebt, bemerkt er die Blutflecke unter sich.
»Ist schon gut, ich mach das weg«, sage ich hastig, reiße zwei Zewablätter von der Rolle und bin in wenigen Schritten bei ihm. »Für deine Augenbraue und die Hand«, erkläre ich und reiche ihm zwei Blätter. Stumm nimmt er das Küchenpapier und nickt. Dann tritt er zurück und ich wende mich mit der verbliebenen Küchenrolle dem Boden zu.
***
Später höre ich die beiden in Finns Zimmer reden. Meins befindet sich direkt daneben und immer, wenn Raven da ist, lasse ich meine Tür einen Spalt breit offen.
Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber das muss ich auch nicht. Allein der Klang von Ravens Stimme reicht aus, damit mich dieses wohlige Gefühl umgibt, das bisher einzig und allein er in mir auslösen konnte.
Dabei kann er mich noch nicht einmal leiden. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben, dass ich für ihn bloß eine Nervensäge bin – die kleine Schwester seines bestens Freundes, die noch dazu in seiner Gegenwart immer ein bisschen zu aufdringlich ist. Ich kann auch nichts dafür, ich will nicht so sein, aber irgendetwas zieht mich jedes Mal wie ein Magnet zu ihm hin. Ich kann dem einfach nicht widerstehen, egal wie sehr ich es versuche.
Zaghaft klopfe ich zweimal an Finns Zimmertür. Bevor er etwas erwidern kann, öffne ich sie und trete ein.
»Schieb ab, Mave«, murrt Finn, sobald er mich bemerkt.
»Ich dachte, ihr wollt vielleicht was trinken.« Ich lächle heiter und halte eine Wasserflasche und zwei Gläser hoch. Du dämliche Kuh! »Ich stell’s auf den Schreibtisch.«
Mein Bruder stöhnt genervt. »Hast du keine Freunde? Schon mal was von Privatsphäre gehört?«
»Bin ja schon weg«, antworte ich kleinlaut und gehe wieder zur Tür. Einmal wage ich es aber trotzdem noch und schaue verstohlen zu Raven, der auf Finns Bett sitzt.
Sein dunkelgraues T-Shirt ist ebenfalls mit Blut beschmiert und am liebsten würde ich ihm anbieten, es für ihn zu waschen. Aber da trifft mich auch schon ein Kissen, das Finn nach mir geworfen hat.
»Abflug!«, bestimmt er. »Sieh zu, dass du Land gewinnst!« Normalerweise ist mein Bruder nicht so fies zu mir, aber wenn Raven an seiner Seite ist, will er sich immer ein bisschen beweisen.
Seufzend ziehe ich die Tür hinter mir ran und gehe wieder in die Küche. Meine Muffins dürften in wenigen Minuten fertig sein. Warme, süße Luft steigt mir in die Nase, als ich die Ofenklappe aufziehe, um mein Werk zu betrachten.
Ich bin stolz, weil ich eine neue Sorte Teig ausprobiert habe, die meine eigene Kreation ist. Für das Topping habe ich mir auch etwas Besonderes überlegt und ich hoffe, dass Mom später Lust hat zu probieren. Leider ist sie die Einzige, die sich ab und an dazu breitschlagen lässt, meine Experimente zu kosten.
Dad und Finn mögen kein Gebäck und aus Angst, die anderen könnten sich über mich lustig machen, nehme ich auch nichts davon mit in die Schule. Welche Fünfzehnjährige verbringt ihre Wochenenden schon lieber damit allein in der Küche zu backen, statt auf Partys zu gehen und sich mit Alkohol abzuschießen? Ich bin ganz eindeutig ein Nerd, nur eben keiner, der besonders gute Noten schreibt, sondern einer, der Backbücher auswendig kann. Wäre Ersteres der Fall, wären Mom und Dad vermutlich sehr viel weniger enttäuscht.
Für sie bin ich einfach nur seltsam und manchmal sagt mir vor allem Dad, dass sie sich Sorgen um mich machen. Ich bräuchte Freunde und andere Hobbys und ich müsste mehr lernen, sagen sie. Sie meinen, mit meinem aktuellen Leistungsstand, werde ich garantiert bei keinem College aufgenommen, und sehr wahrscheinlich haben sie damit recht.
Aber anders als sie finde ich das überhaupt nicht schlimm. Erst einmal haben wir sowieso nicht genügend Geld, um für Finn und mich das Studium zu finanzieren. Sie müssten eine zweite Hypothek auf das Haus aufnehmen – das habe ich gehört, als sie sich einmal darüber unterhalten haben. Und davon abgesehen will ich nicht aufs College.
Mein großer Traum ist es, auf das Culinary Institute of America zu gehen. Dort will ich die beste Konditorin werden, die die Welt jemals gesehen hat.
***
Ich liege quer auf meinem Bett, die Füße kreuzüber an der Wand, als es plötzlich an meiner Tür klopft. Erschrocken reiße ich den Kopf herum.
»Ja?«, frage ich skeptisch.
Es kommt selten genug vor, dass sich jemand in mein Zimmer verirrt. Und weder Mom noch Dad oder Finn klopfen an.
Die Tür geht auf und ich halte die Luft an, weil Raven auf einmal halb in meinem Zimmer steht. Er tritt nicht ganz über die Schwelle, aber er hat seine Hand am Türrahmen. Ruckartig setze ich mich auf. Meine Haare stehen zu Berge und mein Top ist am Bauch hochgerutscht, doch das fällt mir erst Sekunden später auf.
»Was kann ich für dich tun?«
Meine Stimme ist zwei Oktaven zu hoch. Nervös lehne ich mich ein Stück nach hinten und schlage die Beine übereinander. Wie macht man das noch gleich mit dem lässig aussehen?
»Hast du …«, er fährt sich durch die dunklen Haare und schaut zu mir, wobei in seinen Augen der Ausdruck eines Kuschelrockers aus den Neunzigern liegt, der so gar nicht zu ihm passt. Sein Blick macht mich noch ganz verrückt.
»Hab ich was?«, wiederhole ich langsam.
Er schiebt die Hände in die Hosentaschen. Seine Jeans sitzt so gut und bringt seine muskulösen Oberschenkel zur Geltung. Gott, dieser Kerl sollte verboten werden!
»Hast du vielleicht noch einen von diesen …«, er macht eine Pause. Täusche ich mich, oder ist er irgendwie verlegen? Ich ziehe die Brauen hoch, während ich ihn weiter anstarre.
»Hast du noch einen von den Muffins?«
Ich stutze und rechne schon damit, dass das hier ein blöder Scherz ist, den er und Finn ausgeheckt haben, und dass mein Bruder gleich hinter der nächsten Ecke hervorspringt und sich kaputtlacht. Doch das passiert nicht.
»Klar«, sage ich viel zu enthusiastisch und springe vom Bett auf. In diesem Moment klingelt der Timer am Ofen – als hätte der Herr im Himmel meine Gebete endlich erhört!
Er nickt. »Cool.«
Ja, verdammt cool! Ich verkneife mir ein Grinsen, als ich beschwingt an ihm vorbei in die Küche gehe. Der schwache Duft von Zigaretten und Pfefferminzkaugummi steigt mir in die Nase. Um ein Haar hätten wir uns berührt! Nicht anfassen – so lautet die Devise zwischen ihm und mir. Jedenfalls scheint es seine zu sein, denn seit ich ihn kenne, hat er alles daran gesetzt, mich ja nicht zu berühren.
Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken, während ich unsere Küche ansteuere. »Wie viele möchtest du denn? Einen? Zwei? Drei?« Ich klappe den Ofen auf und jetzt kann ich mir ein dämliches Grinsen nicht mehr verkneifen. Gott sei dank sieht er es nicht.
»Einer reicht.«
»Wo ist Finn?«, erkundige ich mich beiläufig.
»Musste noch mal in den Club.«
Ich ziehe das Blech heraus und stelle es neben der Spüle ab. Als Raven über meinen Kopf greift und den Schrank öffnet, zucke ich zusammen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er so dicht hinter mir steht.
»Ich tue dir nichts«, sagt er mit seiner rauen Stimme und ich bilde mir ein, den Anflug eines Lachens darin zu hören.
Teller klappern, als er sie herausholt.
»Hab ich auch nicht gedacht«, antworte ich. Er steht direkt neben mir, die Teller in der Hand und mit diesem undurchsichtigen Ausdruck im Gesicht, den nicht einmal Nostradamus deuten könnte. Unnahbar und kühl, als wäre er kein Mensch, sondern mehr so etwas wie eine Maschine mit einer Verkleidung aus Haut. Wie kann man es nur schaffen, derart reglos dreinzublicken?
Und warum in Herrgottsnamen finde ich das so scharf? Was stimmt nicht mit mir?
Ich schlucke, als ich mich von ihm abwende und einen der Muffins auf den Teller lege.
»Ich hoffe, er schmeckt dir.«
Er nimmt den Teller entgegen, wobei er den Blickkontakt zu mir hält.
»Willst du keinen?«
»Nein, eigentlich nicht«, erwidere ich und spüre mein Herzflimmern bis in die Zehen.
Er antwortet mit einem Nicken, ganz so, wie ich es von ihm gewohnt bin, und als er sich abwendet, gehe ich schon davon aus, dass diese Unterhaltung damit beendet ist.
Enttäuscht, aber auch glücklich, öffne ich den Schrank erneut, um den sauberen Teller hineinzuräumen. Da bleibt Raven auf einmal stehen. Er hat mir noch den Rücken zugewandt, als er leise sagt: »Ich esse nicht gern allein.«
Ich stoße hörbar einen Atemzug aus, ehe ich mit zitternder Hand den Teller wieder aus dem Schrank nehme.
»Einen kann ich ja mitessen«, murmele ich und greife nach einem der verbliebenen elf Muffins auf dem Blech.
***
»Wir sollten lieber in Finns Zimmer gehen«, flüstere ich, als Raven mit seinem Teller doch tatsächlich meins ansteuert!
Dad würde einen Heidenaufstand machen, wenn er ihn dort drin finden würde. Er hat etwas gegen Raven, das macht er bei jeder Gelegenheit deutlich, die sich ihm bietet. Trotzdem lässt er Finn gewähren und hat noch nie Anstalten gemacht, ihm die Freundschaft mit Raven zu verbieten. Aber was mich angeht, wäre er bestimmt weniger gnädig.
Raven Sinclair hat einen verflucht schlechten Ruf in Greenshalm. Das liegt nicht nur an den ganzen Schlägereien, sondern vor allen Dingen auch daran, dass seine Mutter früher anschaffen war. Oder vielleicht tut sie es noch, das weiß keiner so genau, seitdem sie Greenshalm nach dem Tod von Ravens Vater verlassen hat. Mir hat es schon immer unheimlich leid für ihn getan, weil ich mir nicht einmal vorstellen möchte, wie es ist, in seinem Alter ganz allein zu sein und niemanden zu haben, der sich um einen sorgt. Na ja, niemanden bis auf den Club.
Ravens Vater war es, der den Motorradclub Hell’s Ravens damals vor etlichen Jahren gegründet hat. Ich schätze, das ist der einzige Grund, weshalb die meisten Leute lediglich hinter seinem Rücken über ihn reden. Mein Vater hat nach dem Tod von Ravens Vater den Posten des Präsidenten übernommen und regiert seitdem nicht nur die Mitglieder des Clubs, die MCs, sondern die ganze Stadt.
Die Hell’s Ravens sind nämlich Anarchisten, für die keine Gesetze gelten. Zumindest glauben sie das.
Es heißt, mein Vater habe für Ravens Vater einmal eine Kugel abgefangen, weshalb dieser sich vor seinem Tod für meinen Dad als seinen Nachfolger stark gemacht hat. Aber das ist nur ein Gerücht, das nie jemand wirklich bestätigt hat – schon gar nicht Dad.
Was interne Club-Angelegenheiten angeht, ist er ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht einmal Finn, der ebenfalls Mitglied des Clubs ist, weiß alles.
Nachdem ich die Tür hinter uns geschlossen habe, legt sich Raven auf Finns Bett. Er stellt den Teller neben sich auf den Nachttisch und sieht mich an. Schon wieder. Ich glaube so viel Blickkontakt hatten wir während der gesamten letzten sechs Monate nicht.
»Soll ich das für dich waschen?«
Ich deute mit einem Nicken auf sein eingesautes Shirt. Natürlich hat er auch manchmal saubere Kleidung an, was heißt, dass er mit einer Waschmaschine umgehen kann. Aber nicht selten sehen seine Klamotten aus wie jetzt: blutgetränkt.
»Finn hat bestimmt nichts dagegen, wenn du eins von ihm …«
Ich stocke, als Raven sich kurzerhand das T-Shirt über den Kopf zieht und seinen Brustkorb entblößt.
»Hättest du mal was gesagt.« Mit geröteten Wangen senke ich den Blick.
»Dann was?«
»Hätte ich mich umgedreht«, antworte ich leise und sehe langsam wieder auf. Meine Augen verfolgen das leichte Tal, das zwischen seinen Brustmuskeln beginnt und über seine Bauchmuskeln bis hinab zu seinem Nabel geht, von dem aus ein feiner dunkler Pflaum noch tiefer führt.
Raven schiebt eine Hand in seine Hosentasche und fummelt dort mit irgendetwas herum.
»Was tust du da?«, frage ich.
Mir ist schon öfter aufgefallen, dass er das manchmal macht und ich würde gerne wissen, mit was er da immer herumspielt. Vielleicht ein Haustürschlüssel? Oder ein Geldstück?
Als er meinen Augen folgt, zieht er seine Hand rasch wieder hervor und sieht für den Bruchteil einer Sekunde aus, als hätte ich ihn bei irgendetwas Unanständigem ertappt.
»Blöde Angewohnheit«, antwortet er knapp und es wirkt fast, als würde er kurz lächeln.
»Möchtest du einen Film gucken oder so?«
Es sieht mir nicht ähnlich derart forsch zu sein.
Blicke: ja! Zwischendurch mal in Finns Zimmer platzen, wenn Raven da ist: vielleicht. Aber ihm vorzuschlagen, zusammen in dem Zimmer meines Bruders einen Film zu sehen, während Finn nicht da ist? Das geht definitiv eine Nummer zu weit!
Oder?
Er legt den Kopf schief und mustert mich. Wahrscheinlich lacht er mich gleich aus. Doch dann passiert etwas, womit ich im Leben nicht gerechnet hätte.
»Such einen aus«, antwortet er, als wäre nichts dabei, und klopft mit einer Hand neben sich aufs Bett. Meine Kehle wird immer enger, als ich mich ihm nähere. Ich will nach seinem dreckigen T-Shirt auf dem Boden greifen, um es in die Waschmaschine zu bringen und wenigstens ein bisschen Zeit zu gewinnen. Eine Verschnaufpause, in der ich zur Besinnung kommen kann. Was zur Hölle, Mave? Du kannst von Raven träumen so lange du willst, aber das hier geht ja mal so was von nicht klar! Mach dich nicht lächerlich!
Ravens warme Finger legen sich mit leichtem Druck um mein Handgelenk.
»Ich kann das später selber machen, wenn ich darf.«
Er deutet wieder auf die Stelle neben sich im Bett. Tonlos lasse ich das Shirt fallen, setze mich – mit ausreichend Abstand – zu ihm und greife nach der Fernbedienung auf dem Nachtschrank.
»Wirklich keine Wünsche?«, frage ich und bete, dass er das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkt.
»Entscheide du.«
Ich drücke den roten Knopf und zappe wahllos hin und her. Auf einem der Sender läuft Mamma Mia, das Musical. Da halte ich an.
»Das willst du sehen?« Er zieht eine dunkle Braue nach oben.
»Ich liebe Musicals!«, gebe ich ohne darüber nachzudenken zu.
Einige Sekunden taxiert er mich und seine Augen sind so dunkel wie ein Abgrund ohne Boden, dass ich mich für immer darin verlieren könnte.
»Na dann.«
Er nickt und vielleicht ist das da ein Schmunzeln, das sich um seine Lippen herum bildet. Ich bin mir nicht ganz sicher, denn ich versuche angestrengt mich auf den Fernseher zu konzentrieren. Meine Nervosität bringt mich um, die Wärme, die von seinem Körper abstrahlt, bringt mich um. Mein Verlangen bringt mich um.
Wie kann man jemanden nur so sehr wollen? Und warum muss dieser jemand ausgerechnet derjenige sein, mit dem man auch in einer Million Jahre niemals zusammenkommen kann?
Etwa zehn Minuten sitzen wir so da, beziehungsweise ich sitze und er liegt, eine Hand bequem unter den Kopf geschoben. Dann halte ich es nicht mehr aus.
»Finn wird dir sicher fehlen«, sage ich Richtung Fernseher.
»Es ist gut für ihn, dass er studieren geht.«
»Ja, ich weiß. Aber ihr seid beinahe wie …«, ich wage einen Blick über meine Schulter, »Brüder.« Meine Atmung setzt aus, als Ravens Finger sanft über meinen Unterarm streicht.
Von einer Sekunde auf die andere bin ich wie erstarrt.
»Ich glaube, deine Hände müssen verbunden werden«, sage ich heiser mit Blick auf seine geschundenen Knöchel. Das Blut ist bereits getrocknet, aber die Verletzungen sehen trotzdem schlimm und auch schmerzhaft aus.
»Geht schon«, antwortet er und hört nicht auf mich zu streicheln. Dabei sieht er mir in die Augen und mein Herz klopft so laut, dass ich schwören könnte, er kann es hören.
»Was tust du da?«, flüstere ich.
Raven stützt den Oberkörper auf den Ellenbogen ab und legt seine Hand auf meine.
»Das Falsche«, antwortet er mit einer Stimme, so tief und weich, dass sie mir durch und durch geht. Dann zieht er mich an sich, wirbelt uns mit einem Ruck herum und fixiert mich unter seinem Körper.
»Raven«, keuche ich atemlos und kann nicht fassen, dass er gerade auf mir liegt, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.
»Mave.«
Er sagt meinen Namen mit solcher Sanftheit. Eigentlich ist es sogar eher ein Hauch als ein richtiger Ton.
Sein warmer Atem trifft auf meine Haut, als er mit seiner Nasenspitze über meine Wange bis zu meinem Ohr und dann an meinem Hals hinabfährt.
Alle Haare an meinem Körper stellen sich auf. Seine Berührung ist zärtlich, kaum wahrnehmbar und doch so intensiv, dass ich das Gefühl habe, jeden Augenblick zu zerspringen.
»Kannst du mich küssen?«
Er stoppt abrupt, als er meine Frage vernimmt.
Mave, warum willst du immer so viel? Jetzt hast du’s versaut!
Er hebt den Kopf und sieht mir wieder in die Augen.
»Das ist keine gute Idee.«
»Warum liegst du dann auf mir?«
»Weil ich wenigstens einmal wissen musste, wie sich das anfühlt.«
Seine Antwort raubt mir den Atem.
»Was soll das heißen?«, erwidere ich. »Ich meine«, schiebe ich nach, »du beachtest mich nie. Bis eben dachte ich nicht mal, dass du mich magst.«
Ein leises Seufzen kommt über seine Lippen. Sie sind voll und ein wunderbarer rosafarbener Kontrast zu seinen dunklen Bartstoppeln.
»Natürlich mag ich dich.«
Ich stutze. »Wenn das stimmt, hast du eine interessante Art das zu zeigen«, rutscht es mir mit einem sarkastischen Unterton heraus.
Einer seiner Mundwinkel zieht sich hoch – das war es wert, beschließe ich.
»Komm schon, Mave. Du weißt genau, wie ich das meine.«
Ahnungslos und mit schmollend vorgeschobener Unterlippe schüttle ich den Kopf. Ein Teil von mir wartet immer noch darauf, dass Finn aus dem Schrank springt und dann beide gleichzeitig »Verarscht!« brüllen. Und der andere Teil will daran glauben, dass mir tatsächlich so ein Märchen wie in einem gar nicht kitschigen Liebesfilm passiert.
Raven streicht eine Haarsträhne aus meinem Gesicht hinter mein Ohr. Es ist so eine Geste, die überhaupt nicht zu ihm passt. Nicht mal ein bisschen.
»Du kümmerst dich immer um alle, du bist nie beleidigt, selbst wenn dein Bruder sich wie ein Arsch verhält. Du bist witzig, du hast eine Leidenschaft, dein Lächeln ist …«
Bevor er weiterreden kann, drücke ich meine Lippen auf seine. Sie sind so viel weicher, als ich angenommen hatte. Erst erwidert er den Kuss nicht, doch als ich meine Zunge vorsichtig nach vorne schiebe und über seine Oberlippe streichen lasse, küsst er mich plötzlich zurück. Und wie!
Seine Zähne zupfen an meiner Unterlippe, ehe sich seine Zunge an meiner reibt und in meinen Mund drängt.
Seine Hände wandern hinab zu meinen Hüften, suchen eines meiner Handgelenke und drücken es nach oben über meinem Kopf in das weiche Kissen. Noch in dieser Bewegung schiebe ich ihm mein Becken entgegen und spreize meine Beine, damit ich ihn besser spüren kann. Es passiert alles ganz unwillkürlich und ich wusste vorher nicht, dass es mir gefällt, von einem Mann auf diese Weise festgehalten zu werden.
»Sag ein Wort und ich höre auf«, keucht er zwischen zwei Küssen. Ich antworte, indem ich mich ihm weiter entgegendrücke und seinen Mund erneut mit meinen Lippen bedecke. Dieses Gefühl will ich nie wieder missen. Es ist so richtig und noch tausendmal besser, als ich es mir in meinen wildesten Träumen vorgestellt habe!
Ich stöhne leise, als ich durch seine und meine Jeans eine Regung in seinem Schritt bemerke. Nie hätte ich gedacht, dass sich so etwas derart aufregend anfühlen könnte! In dem Augenblick, lässt er auf einmal von mir ab.
»Scheiße, Mave, jetzt reicht’s aber.«
Ich muss plötzlich lachen. »Meinst du das ernst?«
»Das ist das Bett deines Bruders und du bist …«
Mave, einfach nur Mave. Die langweilige Streberbäckerin. Mir vergeht das Lachen, weil er es offenbar wirklich ernst meint. Wäre auch zu schön, wenn mein zweitgrößter Traum – nämlich mit Raven Sinclair mein erstes Mal zu erleben – tatsächlich wahr würde. Es wäre nicht mein Leben, wenn es so wäre, und das ist auch egal, denn das Hier und Jetzt war perfekt.
»Okay«, murmle ich.
Er lässt meinen Arm los und dreht sich zur Seite, sodass ich mich unter ihm hervorschlängeln und aufstehen kann.
»Ich gehe dann mal«, sage ich mit hochrotem Kopf und ohne noch einmal zurückzublicken.
Er versucht nicht, mich davon abzuhalten.
***
Am Wochenende darauf bricht mein großer Bruder verspätet ins College auf und das ist das letzte Mal, dass ich Raven Sinclair in meiner Nähe sehe oder ein Wort mit ihm wechsle. Seit Finn fortgegangen ist, tut er, als wüsste er nicht mehr wer ich bin.
Ich war eine Idiotin, weil ich gehofft hatte, er würde vielleicht trotzdem ein paar Mal im Monat bei uns vorbeischauen und heimlich im Dunkeln an meinem Fenster klopfen oder so einen Käse.
Ich muss unwillkürlich die Augen verdrehen, wenn ich daran denke, wie naiv ich war: Raven der nachts vor einem Fenster steht und wartet, dass ein Mädchen ihm aufmacht … Was für eine schwachsinnige Vorstellung!
Ich kann mir sein Verhalten nur so erklären, dass ihm vielleicht langweilig war und er mal sehen wollte, ob er die kleine Schwester von Finn rumkriegt. Vielleicht eine Art stille Rache, weil Finn weggegangen ist. Oder er hat mir etwas vorgemacht und fand meine Unerfahrenheit derart abstoßend, dass er schnell das Weite gesucht hat. So oder so ist er ein Arschloch, dem ich inzwischen nicht einmal mehr einen flüchtigen Blick wert bin.
Wahrscheinlich ist das auch besser so. Denn seit dem Tag unseres Kusses hat sich einfach alles verändert. Jemanden wie ihn darf ich nicht auf Dauer lieben. Es ist gut, dass er mir das Messer schon so früh ins Herz gerammt hat, weil ich so noch genügend Zeit hatte, es rechtzeitig wieder zu entfernen. So habe ich wenigstens eine Chance auf Heilung. Alles andere hätte mich über kurz oder lang zerstört, das steht außer Frage.
Juli 2021 …
Dicke schwarze Nebelschwaden steigen bis an die weiß gestrichene Decke auf und verpesten mit beißendem Gestank die Luft.
Ich huste und ringe nach Atem, während ich versuche, das Chaos in den Griff zu bekommen.
»Was ist denn hier los?«, höre ich eine vertraute Stimme hinter mir.
»Ich hab alles im Griff! Du kannst wieder gehen.«
Von wegen! Hastig streife ich mir die beiden Handschuhe über, öffne den Ofen und hoffe, dass mir keine Flammen entgegenschlagen.
»Du und deine Experimente«, sagt Arnie und lacht.
»Es kann nicht immer alles auf Anhieb klappen«, verteidige ich meine Unerschrockenheit. »Manchmal muss man auch mal Risiken eingehen.« Ich stelle das qualmende Blech auf der Arbeitsfläche ab.
Die Kekse sind definitiv hinüber. Es sind nur noch wenige braune Stellen zu sehen, der Rest ist völlig verkohlt.
»Pass nur auf, dass du dir nicht mal ordentlich die Finger verbrennst.«
Arnie spricht in einem warmen, väterlichen Ton mit mir, so wie er das immer tut. Aber ich fühle, dass es ihm ernst ist. Dabei hat er dafür nicht mal einen Grund. Das Waghalsigste, das ich seit dem Antritt meiner Stelle bei ihm vollbracht habe, war eine Erdbeer-Sauerkraut-Krokant-Garnierung auf einem Käsekuchen.
»Du kennst mich«, antworte ich, während ich mit dem Handschuh den Rauch vor meinem Gesicht wegwedele und zum Fenster gehe. Es quietscht, als ich es öffne. Die frische Luft ist eine wahre Wohltat. Ich inhaliere sie tief und schaue einige Sekunden auf Greenshalms riesigen See, den ich so liebe. Er ist so etwas wie das Wahrzeichen unserer Stadt und ein richtiger Touristenmagnet. Segler, Familien mit Kindern, die Tretboot fahren wollen, und sogar Surfer kommen an den Wochenenden und in den Ferien her, um die Idylle zu genießen. Ich öffne das Fenster noch ein Stück weiter, bevor ich mich wieder zu Arnie herumdrehe und ihn anlächle.
»Das tue ich«, antwortet er und erwidert mein Lächeln. Sein faltiges Gesicht wirkt dadurch noch runzeliger und das ist einer dieser Momente, in denen ich ihn am liebsten umarmen würde.
Er macht einen Schritt zur Seite und erst jetzt fällt mir die junge Frau auf, die dicht hinter ihm steht und interessiert zu mir in die Küche blickt.
Sie hat lange rote Haare und grüne Katzenaugen. Mit ihren Sommersprossen und der Stupsnase erinnert sie mich ein bisschen an eine etwas abgemagerte Emma Stone.
»Deine neue Kollegin«, stellt Arnie sie vor und klopft ihr aufmunternd auf die Schulter.
Sie kommt rein und sieht dabei nicht gerade so aus, als wolle sie wirklich hier sein.
»Hi«, stellt sie sich vor und reicht mir die Hand. »Valerie.«
»Ich bin Mave, willkommen im Café Swann.«
Etwas nervös zieht sie die schwarzen Ärmel ihres langärmeligen Tops weiter nach unten.
»Kommt ihr dann klar?«, will Arnie wissen. Ich sehe zu Valerie und lächle. »Kommen wir doch, oder nicht?«
Sie antwortet nicht.
»Was ist eigentlich mit dem Rauchmelder? Funktioniert er gar nicht?«, frage ich Arnie. Zweifelnd sehe ich hinauf zur Decke, wo sich die weiße Plastikbox mit dem schwarzen Knopf in der Mitte befindet.
»Ich muss wohl mal die Batterien überprüfen«, grummelt Arnie in sich hinein und wischt die arthritischen Finger an seiner karierten Schürze ab.
In dem Moment ruft jemand aus dem vorderen Bereich des Cafés nach ihm. Ich wende mich wieder Valerie zu, erkläre, dass ich kurz aufräume und ihr dann alles zeige. Sie nickt, wieder ohne Antwort. Das kann ja heiter werden.
»Du trittst in große Fußstapfen«, sage ich. Ihre Vorgängerin Emma hatte erst vor wenigen Tagen gekündigt.
»Soll das eine Drohung sein?«, fragt sie argwöhnisch.
Das Backpapier raschelt, als ich es zusammen mit den versauten Keksen in den Mülleimer drücke.
»Möchtest du, dass es eine ist?«
Ich drehe mich wieder zu ihr und verschränke die Arme vor der Brust. Valerie beäugt mich abschätzend. Mir ist bewusst, dass ich trotz meines Nasenrings und den pinkblonden Haaren aussehe, als könnte ich keiner Fliege etwas zuleide tun.
Finn lässt keine Gelegenheit aus, mich das spüren zu lassen, und auch alle anderen tun, als wäre ich aus Zucker. Ich weiß nicht genau, was es ist, vielleicht die weichen Züge meines Gesichts oder irgendeine mysteriöse, nicht greifbare Püppchenaura, die mich umgibt. Jedenfalls bin ich es gewohnt, nicht ernst genommen zu werden.
»Kommt ganz drauf an«, antwortet Valerie selbstsicher und spielt mit ihrem Zungenpiercing.
»Worauf?«
»Ob der Laden hier Scheiße ist oder nicht.«
Naja, wenigstens ist sie direkt. »Ist er nicht«, versichere ich ihr und dann deute ich zum Waschbecken in der Ecke. »Da kannst du deine Hände waschen und desinfizieren. In dem Regal dort hinten sind Schürzen.«
»Und meine Tasche?«
Ich will ihr gerade antworten, da kommt Arnie zurück in die Küche gestürmt.
Verwundert sehe ich ihn an, denn es kommt relativ selten vor, dass mein vierundachtzigjähriger Chef einen Sprint hinlegt.
»Schaltet mal den Fernseher ein!«, japst er atemlos und zeigt auf den Bildschirm, der über der Spülmaschine in der Ecke hängt.
»Ist was passiert?«, frage ich verunsichert.
In den letzten neun Wochen hat es insgesamt zwei Auseinandersetzungen zwischen den Hell’s Ravens und den Devil’s Tails gegeben. Ein Mann von den Devils wurde abgestochen und liegt seitdem mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Den beim Gegenschlag anvisierten Mickey aus den Reihen der Ravens hat es mit ein paar blauen Flecken, die er sich bei einer Verfolgungsjagd zugezogen hat, weniger schlimm erwischt. Allein deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bevor die Devil’s einen neuen Versuch unternehmen, sich zu rächen.
»Mach schon, Mave!«, drängt Arnie, ohne auf meine Frage einzugehen. »Programm drei.«
Ich greife nach der Fernbedienung an der Wandhalterung.
Eine dunkelblonde Frau steht mit einem Mikrofon in der Hand vor Marlems Gefängnis. Unter ihr wird ein marineblaues Banner eingeblendet, auf dem in weißen Großbuchstaben die brandheißen Neuigkeiten stehen:
»Raven Sinclair, berüchtigtes Mitglied der Hell’s Ravens, wird vorzeitig aus der Haft entlassen.«
Mein Herz zieht sich zusammen.
»Mach mal lauter«, verlangt Arnie, aber ich hatte meinen Finger eh bereits auf dem Knopf.
»Sinclair hatte am 21. Dezember 2016 einen bewaffneten Raubüberfall auf einen Supermarkt begangen und dabei mehrere tausend Dollar erbeutet. Die Besitzerin erlag kurze Zeit später einem Herzinfarkt«
Im Hintergrund wird ein Foto von Raven eingeblendet. Es muss während seiner Haftzeit aufgenommen worden sein, denn er ist nicht wiederzuerkennen. Sein Hals ist mit schwarzen Tattoos übersät, zwischen ihnen kaum mehr ein freies Stückchen Haut. Zwei schwarze Tränen prangen auf seinem Jochbein. Um den Kopf trägt er ein weiß-rotes Bandanatuch, das sein dunkles Haar zurückhält.
»Bleibt abzuwarten, ob Sinclair nun nach drei Jahren Haft doch noch in die Fußstapfen seines Vaters, Gründer des Hell’s Ravens Motorradclubs, treten und seine kriminelle Karriere fortsetzen wird.«
Ein Mann im Anzug wird vom Studio aus zugeschaltet:
»In dem Falle, wäre er schneller wieder in Haft, als er bis drei zählen kann. Oder was meinst du, Molly?«
Die Nachrichtensprecherin nickt zustimmend.
»Ich will nicht voreingenommen sein, Bill, aber diese Motorradclubs sind nicht gerade für ihre Selbstbeherrschung bekannt. Man bedenke nur die letzten Monate. Schrecklich.«
Bill gibt ihr recht.
»Und wie ich hörte, hat Sinclair sehr strenge Auflagen von der Staatsanwaltschaft bekommen.«
»Warten wir also ab, wie er sich bewährt. Wir halten Sie auf dem Laufenden. Das war’s mit der heutigen Morning-Show. Ich freue mich, wenn Sie auch morgen wieder zu Molly & Bill einschalten. Machen Sie’s gut.«
Wie erstarrt stehe ich da, meine Augen hängen am Bildschirm, obwohl da schon längst eine Werbung über Reinigungsmittel läuft.
»Weiß dein Bruder davon?«, fragt Arnie, der jetzt neben mir steht. Mechanisch schüttle ich den Kopf.
»Ich glaube nicht.«
»Hm.«
Dass meine Hände zittern, bemerke ich erst, als ich den Fernseher wieder ausschalte.
»Woher wusstest du davon?«, frage ich Arnie, während ich mir große Mühe gebe, meine Aufregung vor ihm zu verbergen.
»Ein Gast hat es eben erwähnt. Es kam wohl schon gestern in den Nachrichten.«
Ich spüre seinen Blick auf mir, als ich die Fernbedienung wieder in die Halterung schiebe.
»Wenn du nach Hause gehen willst …«, meint er und legt eine Hand auf meine Schulter.
»Mir geht’s gut.«
Arnie seufzt leise. »Na, meinetwegen. Falls du es dir anders überlegst …«
»Valerie und ich schaffen das hier heute schon«, sage ich und werfe meiner neuen Kollegin einen Blick zu. Sie schneidet daraufhin eine Grimasse.