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Hätte es keine Mitsuyo Maedas gegeben, mit der Betonung auf dem Plural Maedas, wäre das Jiu-Jitsu im Lauf des 20. Jahrhunderts vermutlich in Vergessenheit geraten. Das Überleben des wertvollen und einzigartigen Wissens dieser Kampfkunst haben wir zahlreichen Meistern zu verdanken, die in jungen Jahren um die vorletzte Jahrhundertwende ihre Heimat Japan für eine ungewisse Zukunft im Westen verliessen. Sie alle nahmen einen beschwerlichen Weg auf sich, sei es um ein nach der Meiji-Restauration ab 1868 sich rapide veränderndes Japan hinter sich zu lassen und bessere Perspektiven für ihr zukünftiges Leben zu schaffen, oder sei es, weil sie wie Maeda von ihren Lehrmeistern ausdrücklich in die weite Welt hinaus geschickt worden waren um die «sanfte Kunst» zu verbreiten. Das ist meine Geschichte des Jiu-Jitsu das aus Japan, nach Europa und nach Brasilien kam, um sich später in die ganze Welt zu verbreiten. -Franco Vacirca Garcia
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Seitenzahl: 105
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Dieses Buch widme ich meinen Eltern, meiner Mutter Angela Garcia und meinem Vater Vito Vacirca, sowie meiner Schwester Maria Carmen und meinem Bruder Demetrio.
Speziellen Dank geht an meinem langjährigen Freund Marco Cerutti, und meinen Jiu-Jitsu-Lehrmeistern Grossmeister Pedro Hemetério (São Paulo) und Grossmeister Carley Gracie (Rio de Janeiro).
Grosser Dank geht auch an Meister Rickson Gracie von der Jiu-Jitsu Global Federation (JJGF), sowie Meister Carlos Gracie Jr., der International Brazilian Jiu-Jitsu Federation (IBJJF), als auch an Grossmeister Reyson Gracie und Grossmeister Robson Gracie, der Jiu-Jitsu Federation in Rio de Janeiro (JJ.F.RJ.).
Ebenfalls möchte ich mich bei Alfredo Tucci und seinem Team bei BUDO Kampfkunst International, für die grossartige Unterstützung uns als «Vacirca Brothers» in der ganzen Welt bekannt zu machen.
Nicht zuletzt vielen Dank an Dave Gmür, der mir bei der Überarbeitung dieses Buches sehr behilflich war und ohne den es vermutlich nie ganz fertig geworden wäre.
Für Sandra Nagel, denn ohne ihre wertvolle Unterstützung und Mitwirkung hätte ich mit diesem Buch nie begonnen, welches zuletzt ein sehr wichtiges Lebenswerk für mich ist.
Mit der Suche nach dem Leben
lernt man za leben, mit ihm zu
kämpfen, lernt man zu sterben.
Mit einem koffer und einer
Enttäuschung machte ich meine
Rechnung an einem Bahnhof.
Mir den Weg öffnen. ohne die
Sparche zu können, mein Schicksal
hinzunehmen,
in Begleitung der Einsamkeit.
Mit dem Leben kämpfen, gegen den
Wind kämpfen, ohne Geld, ohne
Essen,
alles ist Leiden.
Das Leiden im Leben lehrte mich zu
leben,
wer nicht leidet fühlt das Sterben
nicht.
Ich begegnete menschen, die mir
wirklich halfen.
ich werde nie genügend Münzen haben,
um sie zu bezahlen.
Ich traf auch andere, die mich nicht
verstehen können
und ich fühle Besorgnis, wie diese
Leute sind.
Es ist mir egal. dass diese menschen
meine Poesie nicht lieben, es wäre
schon genug,
wenn sie mich eines Tages verstehen
würden.
Auch wenn ich eine Emigrantin bin.
ich habe immer die Hoffnung.
mit meinen Romanzen zurück zu
kehren, zu meinem Volk, in meine
Heimat.
-Angela garcia Vacirca
Dezember 1993
EINLEITUNG
MEIN WEG ZUM SOHN MAEDAS
1. Kapitel: BEYOND JIU-JITSU
Eine kleine japanische Jiu-Jitsu-Geschichte
Wer war aber Mitsuyo Maeda?
2. Kapitel: JIU-JITSU RE-EVOLUTION
Das Jiu-Jitsu findet den Weg nach Brasilien
Jiu-Jitsu (made) in Switzerland
3. Kapitel: RE-INVENTING JIU-JITSU
Die Wiederentdeckung der Jiu-Jitsu-Prinzipien
Die Verschmelzung der Jiu-Jitsu-Prinzipien
Die Spannung- und Entspannungs-Theorie
Unsere Unterrichts- und Lernmethode
4. Kapitel: JIU-JITSU SYNCRETISM
Die Grundlagen des Gracie Jiu-Jitsu
Der Pfad zum Schwarzgurt
5. Kapitel: GRACIE FUNDAMENTALS
Deine ersten Schritte im Gracie Jiu-Jitsu
Die Erklärung einiger Grundtechniken
6. Kapitel: BEYOND TECHNIQUE
Unsere Jiu-Jitsu-Familie...
Unterwegs mit Grossmeister Carley Gracie...
Einige Trainingshinweise und Tipps
Technikserien
SCHLUSSWORT
Hätte es keine Mitsuyo Maedas gegeben, mit der Betonung auf dem Plural Maedas, wäre das Jiu-Jitsu im Lauf des 20. Jahrhunderts vermutlich in Vergessenheit geraten.
Das Überleben des wertvollen und einzigartigen Wissens dieser Kampfkunst haben wir zahlreichen Meistern zu verdanken, die in jungen Jahren um die vorletzte Jahrhundertwende ihre Heimat Japan für eine ungewisse Zukunft im Westen verliessen. Sie alle nahmen einen beschwerlichen Weg auf sich, sei es um ein nach der Meiji-Restauration ab 1868 sich rapide veränderndes Japan hinter sich zu lassen und bessere Perspektiven für ihr zukünftiges Leben zu schaffen, oder sei es, weil sie wie Maeda von ihren Lehrmeistern ausdrücklich in die weite Welt hinaus geschickt worden waren um die «sanfte Kunst» (Bras. Arte Suave) zu verbreiten.
Die meisten dieser jungen Meister waren vielleicht gerade mal zwanzig Jahre alt und hatten den ersten Japanisch-Chinesischen Krieg 1894/95 als Jugendliche miterlebt, also auch, wie die Kampftechniken, die sie (oft von ihren Vätern) auf den Tatamis erlernten, gleichzeitig draussen auf den Schlachtfeldern eingesetzt wurden. Die Techniken mussten also unbedingt in der harten Realität funktionieren!
Gleichzeitig ermöglichte ihnen das Jiu-Jitsu fast paradoxerweise aus dem rigiden kulturellen System, wie man sich als Japaner ins Leben und die Gesellschaft einzufügen habe, auszubrechen. Indem sie ihr traditionelles Wissen und ihre Kunstfertigkeit im Westen aufblühen liessen, konnten sie neue Wege gehen, ohne das Gefühl haben zu müssen, ihr Land zu verraten, und so auch den Angehörigen oder der Familienehre zu schaden. Auch das war allerdings erst nach der zunehmenden Öffnung des jahrhundertelang völlig abgeschotteten Japans ab 1853 überhaupt erst möglich geworden.
Parallel zu den politischen und kulturellen Veränderungen in Japan entwickelte Jigoro Kano das Jiu-Jitsu weiter, indem er es ab 1882 vereinheitlichte und den nach dem Untergang der Samurai veränderten Begebenheiten und Anforderungen an eine Kampfkunst anpasste.
Er legte damals wichtige Prinzipien für das neue Jiu-Do (später in Judo umbenannt) in der Satzung des Kodokan Instituts fest:
«Durch das Vereinen all der Vorteile, die ich aus verschiedenen Schulen des Jiu-Jitsus entnommen habe und mit dem Hinzufügen eigener Techniken, habe ich ein neues System der Körperertüchtigung, des mentalen Trainings und des Wettkampfs entwickelt. Dieses System nenne ich Kodokan Judo.»
Weit über ein Jahrhundert nach Jigoro Kanos Niederschrift diente mir jetzt ein um ca. 1913 entstandener illustrierter Text, auf den ich einst auf meiner ersten Japanreise gestossen war, als Inspiration zu diesem Buch, das Sie nun in Ihren Händen halten. Jener Text ist aller Wahrscheinlichkeit nach in Südamerika entstanden, zu einem Zeitpunkt als der junge Meister und Autor sich in Kuba oder eventuell in Argentinien aufhielt und seine ersten Versuche startete, dort das aus der Heimat mitgebrachte Jiu-Jitsu zu etablieren. Sein Name war - Mitsuyo Maeda.
Dieses Buch ist insbesondere deswegen interessant, weil Maeda nicht nur einige ausgewählte Jiu-Jitsu-Techniken mit sich und seinem Begleiter fotografisch festhalten liess, sondern weil er ebenfalls schreibt, worauf man als Jiu-Jitsu-Praktizierender zu achten habe und was für ihn von Bedeutung sei.
Gleich als erstes erklärt er, wie wichtig es sei, nicht mit Kraft zu arbeiten und dass der Schwerpunkt auf die «wissenschaftliche Methode» der Verteidigungstechniken gelegt werden soll. Um effiziente und wirkungsvolle Resultate zu erzielen, sei deswegen nicht zuletzt auch wichtig die menschliche Anatomie gründlich zu studieren.
Weiter führt er aus, dass die Anwendung von Druckpunkten gegen vitale Körperstellen (welche er Atemis nennt), wie ein Handkantenschlag oder Fauststoss zwischen Nasenbein und Stirn, ein gezielter Schlag gegen Kehlkopf, Nase, Mund wie auch Solarplexus, Magen und Rippen, ja sogar gegen Regionen der Schulter sehr wirkungsvoll seien. Erläutert wird zudem die Bedeutung und Notwendigkeit von Verdrehungen und Hebeltechniken gegen Handgelenke, Arme und Beine, die alle ebenfalls zum Jiu-Jitsu dazugehören würden. Er weist darauf hin, wie wichtig es sei gesund zu leben und dass man sich dafür an folgendes halten müsse:
achte auf nahrhafte und leichte Kost
gesunde, reine Luft ist wichtig
trinke genügend Wasser
esse nie zu viel
esse wenig Fleisch
trinke wenig oder gar keinen Alkohol
rauche nicht zu viel
praktiziere niemals übermässig viel Sex
Auf einigen Fotos in diesem Buch trägt Maeda sogar den traditionellen Hosenrock (Hakama), den man vielleicht aus dem Aikido oder Kendo kennt. Eines dieser Bilder tauchte 1914 ebenfalls in einem Jiu-Jitsu-Buch des argentinischen Autors Oscar Vila auf, woraus sich schliessen lässt, dass sich Maeda auch in Argentinien aufgehalten haben muss, bevor er sich definitiv in Brasilien niederliess - aber dazu später mehr.
Neben den oben angesprochenen und von Maeda explizit hervorgehobenen Schwerpunkten fällt an diesem Buch vor allem auf, wie später tiefgreifend die brasilianischen Meister des Jiu-Jitsus offensichtlich von Maeda geprägt wurden. Fast alles was auf diesen Bildern zu sehen ist, findet man heute noch in unserem brasilianischen System: Hebeltechniken, Würger, Kontertechniken, Messerabwehr, Fall- und Wurftechniken und vieles mehr.
Es geht mir also nicht darum, Maedas herausragende Stellung in der Geschichte des Jiu-Jitsus in Frage zu stellen.
Wir sollten uns einfach immer vor Augen halten, dass er «nur» einer von vielen japanischen Jiu-Jitsu-Meistern war, die fern der Heimat ihr Wissen weitergaben. Die Gründe und Motivation dazu mögen bei jedem unterschiedlich gewesen sein, doch eines haben sie alle gemeinsam: diese jungen Männer haben uns eine einzigartige und wertvolle Kunst hinterlassen, welche ohne diesen brasilianischen «Umweg» unter Umständen ausgestorben wäre.
Zu den Söhnen Maedas, die in den seither über 120 Jahren studiert, gekämpft und gelehrt haben, gehören wir alle dazu. Wir alle, die wir das brasilianische Jiu-Jitsu mit viel Engagement, Enthusiasmus und Hingabe bis heute und in die Zukunft weitergeben.
Egal aus welcher Linie dieser weitverzweigten Familie wir stammen und der wir unsere Loyalität erweisen - wir alle haben dazu beigetragen, dass dieses grosse Werk und Wissen in all seiner Vielfalt nicht nur erhalten geblieben, sondern im 21. Jahrhundert interessanter, populärer und aufregender ist denn je.
Dieses Buch widme ich auch all diesen «Maedas». Sie haben uns ein Geschenk fürs Leben gemacht.
Zürich, 1. März 2021
Franco Vacirca
Am Anfang war Bruce Lee...
Bereits als kleiner Bub, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, war ich von den asiatischen Kampfkünsten fasziniert und schon früh war für mich völlig klar, wie mein Lebensweg aussehen würde.
Ich verbrachte ein paar Jahre mit Judo bis ich im Frühjahr des Jahres 1981 mit dem Kung-Fu-Stil «Wing-Chun» in Berührung kam. Durch die ersten Bruce Lee-Filme war in den 70er Jahren auch in der Schweiz eine regelrechte Kung-Fu-Welle entstanden, auf der zahlreiche Kampfsportschulen zu reiten und die Gunst der Stunde zu nutzen versuchten. Einige behaupteten sogar, dass man bei ihnen den «echten» Bruce Lee-Kampfstil «Jeet Kune Do» erlernen könne, was jedoch nie der Wahrheit entsprach. Doch damals wusste es kaum jemand besser und so glaubte man jedem, der einen Nunchaku von einer Hellebarde unterscheiden konnte.
Konkret auf das Kung-Fu aufmerksam wurde ich durch meinen Freund Antonio Stella. Wir lebten eigentlich immer im gleichen Quartier in der Flughafenstadt Kloten, hatten uns aber einige Zeit aus den Augen verloren und als ich mit meiner Familie vom Dorf ins hochgelegene Nägelimoos umzog und wir uns da wieder begegneten, nahm er mich eines Tages zum Kung-Fu-Training mit. Mein erster Sifu (Lehrer) war Mischa Geiger und schon bald trainierte ich auch direkt bei seinem Lehrer (Sifu Rolli Krauer), seinerseits ein Schüler von Simon Lau, der seine Schule in London hatte.
Ich war eigentlich nie ein grosser Fan von Katas (festgelegte Übungsformen), da ich das «auswendig lernen» nicht so mochte. Ich verlasse mich gerne auf mein Bauchgefühl, agiere und reagiere lieber aus Instinkt. Meine Lehrer schätzten jedenfalls immer meinen begeisterten Drive und so machte ich schon sehr bald meine ersten zwei Wing Chun-Prüfungen direkt bei Simon Lau, als er uns erstmals in Zürich besuchte. Obwohl ich so hart trainierte, ja teilweise sogar die Formen unter der Dusche wiederholt hatte, litt ich unter grosser Prüfungsangst.
Ich kann mich selbst heute noch sehr gut daran erinnern, dass ich an einer Stelle im «3. Satz» eine Blockade hatte und mich Sifu Lau korrigierte. Da dachte ich nur «so nun hast du einen Fehler gemacht und die Prüfung nicht bestanden»! Aber an diesem Abend hielt ich meine ersten beiden Urkunden in den Händen und ich weiss noch, wie glücklich und grossartig ich mich fühlte.
Finanziell gesehen war das für meine Eltern, die aus einfachen Verhältnissen im Ausland in die Schweiz gekommen waren, eine grosse Leistung. Das Training war damals teuer und oft schickte man seine Kinder lieber ins Fussball- oder Judo-Training, was kaum kostete. Aber meine Eltern unterstützten mich auf dem von mir gewählten Weg nach allen Kräften und ich gab meinerseits stets auch mein bestes. Dafür bin ich sehr dankbar und über die Jahre wurde mir immer wieder bewusst, was meine Eltern mir ermöglich hatten.
Während der Zeit an den Oberstufen, trainierte ich auch bei verschiedenen anderen Lehrern, u.a. auch bei den Ablegern der Meister Austin Goh und Duncan Leung in der Schweiz. Später aber, kam ich zu Sifu Carlos Perez, der damals ebenfalls einer der angesehensten Meisterschüler von Krauer war, der gerade zu diesem Zeitpunkt seine eigene unabhängige Schule in Zürich betrieb. Bei ihm machte ich auch die Ausbildung zum Assistenten, trainierte und unterrichtete (Muay Thai Boxen und Filipino Kali-Eskrima) auch später noch bei ihm, als er sich in der Stadt Solothurn niederliess.
Carlos Perez kam als junger Mann aus Spanien in die Schweiz. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder führte er in den 80er Jahren eine der erfolgreichsten Schulen. Sein Kung-Fu war direkt, denn er liebte es zu kämpfen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie er eines Tages aus einer Trainingsreise in China zurückkehrte und stolz von seiner Wettkampferfahrung erzählte.