Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
»Du gehörst jetzt der Klinge. Du wirst ihr gehören bis zu dem Tag, an dem du stirbst ...« Der Spook, Tom und Alice reisen nach Irland, um vor dem Krieg in der Grafschaft zu fliehen. Dort muss sich Tom mit einer Gruppe von bösartigen Magiern auseinandersetzen, die ihr Land unbedingt von dem Spook und seinem Lehrling befreien und ihre eigenen dunklen Kräfte stärken wollen. Seine gefährliche Mission gegen die Magier führt Tom zur Schicksalsklinge - ein Schwert mit einer dunklen Seite und einem Durst nach Blut ... Wird diese neue Waffe ihm eine Chance im Kampf gegen den Teufel geben? Wenn er überleben will, braucht er Training, und nur eine Person kann ihm dabei helfen - Grimalkin, die Hexenmörderin. Die Dunkelheit gegen die Dunkelheit ... Das Schicksal des Geisterjägers ist der achte Band der Dark Fantasy-Bestsellerreihe in der Tom, Alice und der Spook ihren Kampf gegen die Dunkelheit fortsetzen. In Irland stellen sie sich neuen Feinden und dunkler Magie und decken ebenso dunkle Geheimnisse auf. Können sie das drohende Unheil abwenden und das Böse ein für alle Mal bezwingen? In diesem packenden Buch erwarten dich unvergessliche Charaktere, düstere Geheimnisse und eine Atmosphäre voller Spannung und Schrecken. Das epische Finale dieser unvergleichlichen Reise steht bevor. Bist du bereit, das Schicksal zu enthüllen?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 309
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
foliant Verlag1. Auflage: 2024
Copyright © Joseph Delaney, 2011First published as THE SPOOK’S DESTINY in 2011 by Random House Children’s Publishers UK, a part of the Penguin Random House group of companies.
Die Rechte an der deutschen Übersetzung von Tanja Ohlsen liegen beim foliant Verlag, Hegelstr.12, 74199 Untergruppenbach
Cover illustration © Alessandro ‚Talexi‘ Taini, 2011Innenillustrationen: © Patrick Arrasmith
Übersetzung: Tanja OhlsenSatz: Kreativstudio foliant
ISBN 978-3-910522-28-2E-Book Ausgabe
www.foliantverlag.de
Für Marie
1. Vorsicht Jibber!
2. Überall Blut
3. Der Besucher
4. Der Spiegel
5. Killorglin
6. Ein Folterinstrument
7. Die Belagerung von Ballycarbery
8. Der dünne Shaun
9. Kleine kalte Finger
10. In der Hand des Feindes
11. Die Ziege von Killorglin
12. Pan, der alte Gott
13. Ein Pakt
14. Der Kopf der Hexe
15. Dunkler Engel
16. Der Drachenhort
17. Worte im Spiegel
18. Die Krallen der Morrigan
19. Der Hund von Camlann
20. Niemand hört dich schreien
21. Die Zeit steht still
22. Das Schicksalsschwert
23. Blutbedeckt
24. Armer Tom
25. Dann fallen alle um
Eine sanfte Brise trieb unser kleines Fischerboot langsam gen Westen und ließ es auf flachen Wellen in Richtung Küste schaukeln. Ich betrachtete die fernen grünen Hügel von Irland und versuchte, mir so viele Details wie möglich einzuprägen, bevor die Sonne ganz untergegangen war. In zwanzig Minuten würde es dunkel sein.
Plötzlich erklang ein Dröhnen und Heulen und der Fischer sah entsetzt auf. Wie aus dem Nichts kam starker Wind auf. Aus dem Norden raste eine schwarze Wolke auf uns zu, aus der Blitze ins Meer zuckten, das mit einem Mal brodelte und kochte, sodass das kleine Boot gefährlich hin und her schwankte. Unsere drei Hunde begannen zu jaulen. Die ansonsten furchtlosen Wolfshunde Claw, Blood und Bone mochten Seereisen schon bei schönem Wetter nicht sonderlich.
Auf den Knien hielt ich mich am Bug fest, während mir die Kälte in die Ohren stach und das Meerwasser in meinen Augen brannte.
Der Spook und meine Freundin Alice hockten unter dem Dollbord und versuchten dort so gut wie möglich Schutz zu finden. Die Wellen waren mit einem Mal viel höher geworden – geradezu unnatürlich hoch, wie mir vorkam. Wir drohten zu kentern. Als wir in ein Wellental stürzten, baute sich wie aus dem Nichts eine riesige Welle, eine gigantische Wasserwand, vor uns auf, die drohte, unser zerbrechliches Gefährt zu Kleinholz zu zerschmettern und uns alle ertrinken zu lassen.
Doch irgendwie überlebten wir es und stiegen die Welle bis zu ihrem Kamm empor. Dann prasselte Hagel auf uns ein, Eiskugeln hämmerten auf das Boot und trafen unsere Körper und Hände mit stechendem Schmerz. Wieder zuckte direkt über uns ein Blitz auf. Ich blickte zu der brodelnden schwarzen Wolkenmasse über uns auf und sah plötzlich zwei Lichtpunkte.
Verblüfft starrte ich sie an. Sie waren dicht beieinander und erinnerten mich an Augen. Dann veränderten sie sich plötzlich. Es waren tatsächlich Augen, und zwar sehr außergewöhnliche Augen, die aus der schwarzen Wolke herabsahen. Das linke Auge war grün, das rechte blau und sie blitzten boshaft.
Bildete ich mir das nur ein? Ich rieb mir die Augen, weil ich ihnen nicht traute. Doch nein – sie waren noch da. Gerade wollte ich Alice darauf aufmerksam machen, als sie vor meinen Blicken verblassten und verschwanden.
So plötzlich, wie er gekommen war, legte sich der Sturm und in weniger als einer Minute waren die hohen Wellen verschwunden. Das Meer war allerdings noch unruhiger als vor dem Sturm und der Wind, der immer noch von hinten kam, trieb uns nun viel schneller auf das Land zu.
»In etwa fünf Minuten setze ich euch an Land ab«, rief der Fischer. »Alles hat sein Gutes, sogar ein Sturm.«
Ich musste an die Augen in der Wolke denken. Vielleicht hatte ich sie mir ja tatsächlich nur eingebildet. Ich sollte wohl später mit dem Spook darüber sprechen, aber jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt.
»Dieser Sturm kam aber überraschend schnell auf«, rief ich dem Fischer zu.
Doch der schüttelte den Kopf und widersprach: »Überhaupt nicht. Auf See sieht man merkwürdige Sachen, aber das war nur ein Schauer. Die kommen meistens aus heiterem Himmel. Aber der Seegang war heftig. Fast wie eine Gezeitenwelle. Aber die alte Schüssel ist stabiler als sie aussieht!« Er schien recht zufrieden. »Ich muss vor Sonnenaufgang zurück sein und jetzt haben wir genügend Wind in den Segeln.«
Der Spook hatte ihn großzügig mit fast seinem gesamten verbleibenden Geld entlohnt, doch der Fischer ging ein großes Risiko ein. Acht Stunden zuvor waren wir von der Insel Mona aus losgesegelt, um das westlich liegende Irland zu erreichen. Wir waren Flüchtlinge vor der Invasion unseres Landes und auf dieser Insel hatten der Spook, Alice und ich viele gefährliche Monate verbracht. Jetzt schickten die Bewohner von Mona alle Flüchtlinge, die sie fanden, zurück in ihre Heimat – in die Hände der Besatzer. Da immer intensivere Suchen durchgeführt wurden, war es an der Zeit geworden, zu gehen.
»Ich hoffe, dass wir hier besser aufgenommen werden«, meinte Alice niedergeschlagen.
»Nun, schlimmer als beim letzten Mal kann es kaum werden«, gab der Spook zurück.
Und damit hatte er recht. Auf Mona waren wir fast von Anfang an auf der Flucht gewesen.
»Hier habt ihr wahrscheinlich wenig Probleme«, rief der Fischer über das Heulen des Windes. »Nur wenige eurer Landsleute sind so weit gekommen und es ist eine große Insel. Es wird ihnen wenig ausmachen, ein paar Mäuler mehr zu stopfen. Und es gibt wahrscheinlich sogar Arbeit für einen Spook. Man nennt Irland auch »die Spukinsel« und es gibt da wirklich mehr Geister als anderswo.«
Der Spook beschäftigte sich mit der Finsternis. Es war ein gefährliches Geschäft und ich war in meinem dritten Lehrjahr bei meinem Meister John Gregory, um zu lernen, wie man mit Hexen, Boggarts und allen möglichen übernatürlichen Kreaturen fertig wird. Geister waren üblicherweise keine große Bedrohung und unsere geringste Sorge. Die meisten wussten nicht einmal, dass sie tot waren und konnten mit den richtigen Worten dazu gebracht werden, ins Licht zu gehen.
»Gibt es denn dort keine Spooks?«, fragte ich.
»Spooks sind eine aussterbende Art«, antwortete der Fischer, woraufhin sich unangenehmes Schweigen ausbreitete. »Ich habe gehört, dass in Dublin keiner mehr arbeitet und in solch einer Stadt gibt es mit Sicherheit Jibber.«
»Jibber?«, wunderte ich mich. »Was ist denn ein Jibber?«
Der Fischer lachte. »Du bist der Lehrling eines Spooks und weißt nicht, was ein Jibber ist? Du solltest dich schämen! Und du solltest beim Unterricht besser aufpassen.«
Seine Worte ärgerten mich. Mein Meister hing seinen eigenen Gedanken nach und schien unsere Unterhaltung nicht zu hören. Er hatte nie einen Jibber erwähnt und ich war mir sicher, dass in seinem Bestiarium, das er sicher in seiner Tasche aufbewahrte, nichts dergleichen erwähnt wurde. Er hatte es selbst geschrieben, und es enthielt ein illustriertes Register aller Kreaturen, denen er begegnet war oder von denen er gehört hatte, sowie Anmerkungen dazu, wie man mit ihnen umgeht. In der Abteilung »Geister« gab es jedenfalls keinen Eintrag über Jibber. Ich fragte mich, ob er von ihrer Existenz überhaupt wusste.
»Na, ich würde euren Job jedenfalls nicht wollen«, fuhr der Fischer fort. »Trotz aller Stürme und Launen ist die See weit sicherer als wenn man sich einem Jibber stellen muss. Pass bloß auf mit den Jibbern! Ertrinken ist besser, als wahnsinnig zu werden.«
Damit endete unsere Unterhaltung, denn der Fischer legte an einem kleinen Holzsteg, der an einem steinigen Ufer ins Wasser ragte an. Die drei Hunde nutzten die Gelegenheit, augenblicklich ans Land zu springen, während wir, steif und kalt nach der Reise, etwas länger brauchten, um herauszuklettern.
Gleich darauf legte der Fischer wieder ab und wir gingen vom Pier aus den knirschenden Kiesstrand hinauf. Man würde uns meilenweit hören können, aber in der einbrechenden Dunkelheit konnte man uns wenigstens nicht sehen. Und wenn der Fischer recht hatte, dann drohte uns wenigstens keine Gefahr von wütenden Inselbewohnern.
Über uns hingen dichte Wolken und es war jetzt sehr dunkel, doch vor uns konnten wir die Umrisse einer Behausung ausmachen. Es erwies sich als verfallenes Bootshaus, in dem wir unser Nachtlager aufschlugen.
***
Am Morgen sah die Welt schon freundlicher aus. Der Himmel hatte aufgeklart und der Wind hatte sich gelegt. Es war zwar noch kalt, aber am Morgen lagen bereits die Vorboten des Frühlings in der Februarluft.
Der Fischer hatte Irland eine Spukinsel genannt, aber sie wurde auch »Die grüne Insel« genannt, was hoffentlich besser passte – obwohl unser Land eigentlich genauso grün war. Wir gingen einen Grashang hinunter und unter uns lag die Stadt Dublin zu beiden Seiten eines großen Flusses.
»Was ist ein Jibber?«, fragte ich den Spook. Wie üblich trug ich unsere beiden Taschen und meinen Stab. Er ging mit großen Schritten voraus, sodass Alice und ich ihm kaum zu folgen vermochten.
»Das weiß ich nicht recht, Junge«, antwortete der Spook und sah mich über die Schulter hinweg an. »Wahrscheinlich ist das der einheimische Name für etwas, was wir bereits kennen – das wäre die wahrscheinlichste Erklärung. Was wir zum Beispiel als Boggart bezeichnen, heißt anderswo Bogle oder auch Bogeyman.«
Es gab viele Arten von Boggarts, die von blutrünstigen Reißern bis zu relativ harmlosen Klopfern reichten, die nur lärmten und hämmerten und Leuten Angst einjagten. Es war seltsam, dass die Leute unterschiedliche Namen für sie hatten.
Ich beschloss, meinem Meister davon zu erzählen, was ich am Abend zuvor im Sturm gesehen hatte.
»Der Sturm, der uns überrascht hatte«, begann ich, »in den Wolken über uns habe ich etwas Seltsames gesehen – ein paar Augen, die uns beobachtet haben.«
Der Spook blieb abrupt stehen und betrachtete mich aufmerksam. Die meisten Leute wären ungläubig gewesen oder sie hätten laut herausgelacht. Ich wusste, dass das, was ich sagte, verrückt klang, aber mein Meister nahm mich ernst.
»Bist du sicher, Junge?«, fragte er. »Wir waren in Gefahr. Selbst der Fischer hatte Angst, auch wenn er später versucht hat, das herunterzuspielen. In solchen Situationen kann uns unser Gehirn Streiche spielen. So funktioniert unsere Vorstellungskraft nun mal. Wenn man lange genug die Wolken anstarrt, beginnt man, darin Gesichter zu sehen.«
»Ich bin mir sicher, dass es mehr als nur Einbildung war«, erwiderte ich. »Es waren zwei Augen, ein grünes und ein blaues und sie sahen alles andere als freundlich aus.«
Der Spook nickte. »Wir sollten wachsam sein. Wir befinden uns in einem fremden Land – hier könnten alle möglichen unbekannten Gefahren auf uns lauern.«
Damit ging er weiter. Ich wunderte mich, dass Alice nichts zu unserer Unterhaltung beigetragen hatte. Sie sah besorgt aus.
Eine gute Stunde später konnten wir Fisch riechen und bald gingen wir durch die engen, belebten Straßen der Stadt zum Fluss. Trotz der frühen Stunde herrschte überall geschäftiges Treiben, die Menschen schoben sich durch die Straßen und von jeder Ecke stürmten Straßenhändler auf uns ein. Auch Straßenmusiker sahen wir, ein alter Mann spielte auf einer Fiedel und mehrere Jungen hatten dünne Flöten. Doch auch wenn es chaotisch war, so stellte niemand unser Recht in Frage, uns in der Stadt aufzuhalten. Es war ein weit besserer Start als wir ihn in Mona hatten.
Es gab jede Menge Gasthäuser, doch die meisten hatten ein Schild im Fenster, das besagte, dass sie belegt waren. Als wir endlich eines fanden, das frei war, war uns zuerst der Preis zu hoch. Mein Meister hatte kaum mehr Geld übrig und hoffte, uns für drei oder vier Nächte eine Unterkunft zu besorgen, während wir etwas mehr Geld verdienen konnten. Im zweiten Gasthaus wurden wir ohne weitere Erklärung einfach abgewiesen. Mein Meister diskutierte nicht. Manche Menschen mögen keine Spooks. Sie haben Angst davor, dass wir uns mit der Finsternis beschäftigen und glauben, dass wir immer Böses mit uns bringen.
In einer schmalen Hintergasse ein paar hundert Meter vom Flussufer entfernt fanden wir schließlich ein drittes Gasthaus, das freie Zimmer hatte. Der Spook sah zweifelnd an der Fassade hinauf.
»Kein Wunder, dass sie freie Zimmer haben«, meinte Alice und legte ihr hübsches Gesicht in Falten. »Wer will denn hier schon wohnen?«
Ich nickte zustimmend. Die Fassade konnte einen guten Eimer Farbe vertragen und zwei der Fenster im ersten Stock und eines im Erdgeschoss waren mit Brettern vernagelt. Selbst das Schild war verwittert. Es schien an einem einzigen Nagel zu hängen und jeder Windstoß drohte es in die Gosse zu wehen. Der Name des Gasthauses lautete »Zum toten Fiedler« und auf dem morschen Schild war ein Skelett dargestellt, das Violine spielte.
»Nun, wir brauchen ein Dach über dem Kopf und können es uns nicht leisten, allzu wählerisch zu sein«, bemerkte der Spook. »Dann suchen wir mal den Wirt.«
Drinnen war es so düster, dass es gut hätte Mitternacht sein können. Das lag zum Teil an den verbretterten Fenstern, aber auch am gegenüberliegenden Gebäude, das auf der anderen Seite der engen Straße aufragte. Auf dem Tresen gegenüber der Tür flackerte eine Kerze und daneben stand eine kleine Klingel. Der Spook nahm sie und läutete laut. Zuerst blieb es ganz still, doch dann hörte man Schritte auf der Treppe und der Wirt öffnete eine der beiden Innentüren und betrat den Raum.
Er war ein untersetzter, mürrisch dreinsehender Mann mit fettigem, strähnigem Haar, das ihm über den ausgefransten Kragen hing. Er schien niedergeschlagen, als hätte sich die Welt gegen ihn verschworen, doch als er meinen Meister sah mit seinem Mantel, der Kapuze und dem Stab, änderte sich seine Haltung schlagartig.
»Ein Spook!«, rief er aus und sein Gesicht erhellte sich. »Oh, sind meine Gebete doch endlich erhört worden!«
»Wir wollten eigentlich nach einem Zimmer fragen«, sagte mein Meister. »Aber verstehe ich Sie richtig, dass Sie ein Problem haben, bei dem ich behilflich sein könnte?«
»Sie sind doch ein Spook, oder?« Der Wirt betrachtete ein wenig misstrauisch Alices spitze Schuhe.
Frauen und Mädchen mit spitzen Schuhen werden oft mit Hexen in Verbindung gebracht. Auf Alice traf das mit Sicherheit zu. Sie hatte zwei Jahre bei ihrer Mutter, der Knochenhexe Lizzie, gelernt. Sie war meine engste Freundin und wir hatten zusammen eine Menge durchgemacht. Alices Magie hatte mich mehr als ein Mal gerettet. Doch mein Meister befürchtete immer, dass sie sich eines Tages wieder dem Bösen zuwenden würde. Er sah sie kurz an und runzelte die Stirn, bevor er sich wieder an den Wirt wandte.
»Ja, ich bin ein Spook und das ist mein Lehrling, Tom Ward. Das Mädchen heißt Alice – und sie arbeitet für mich. Sie kopiert Bücher und erledigt andere Aufgaben. Warum sagen Sie mir nicht, wobei Sie meine Hilfe benötigen?«
»Setzt euch doch da drüben hin und bringt die Hunde in den Hof«, schlug der Wirt vor und deutete auf einen Tisch in einer Ecke. »Ich mache euch ein Frühstück und sage euch dann, was gemacht werden muss.«
Kaum hatten wir uns gesetzt, da er eine weitere Kerze holte und mitten auf den Tisch stellte. Dann verschwand er in einem der hinteren Räume und gleich darauf hörten wir das Zischen einer Pfanne und der köstliche Duft von gebratenem Speck wehte durch die Tür herein.
Bald standen große Teller mit Speck, Eiern und Würstchen vor uns. Der Wirt wartete geduldig, bis wir fertig waren, bevor er sich zu uns setzte und seine Geschichte erzählte.
»Ich habe nicht einen einzigen zahlenden Gast hier und so ist es seit fast sechs Monaten der Fall. Sie haben zu viel Angst. Niemand traut sich hierher, seit es gekommen ist – deshalb kann ich euch nicht mit Geld bezahlen. Aber wenn ihr es loswerdet, dann könnt ihr hier eine Woche umsonst wohnen. Wie klingt das?«
»Was loswerden?«, erkundigte sich der Spook.
»Jeder, der ihn trifft, wird innerhalb von Minuten völlig wahnsinnig«, berichtete der Wirt. »Es ist ein Jibber und ein verdammt gemeiner dazu!«
»Was genau ist ein Jibber?«, erkundigte sich mein Meister.
»Das wissen Sie nicht?«, staunte der Wirt und sah wieder zweifelnd drein.
»In dem Land, aus dem ich komme, gibt es so etwas wie Jibber nicht«, erklärte der Spook. »Also lassen sie sich Zeit und erzählen Sie mir alles darüber – dann weiß ich besser, mit was ich es zu tun habe.«
»Ein Jibber taucht häufig innerhalb einer Woche nach dem Selbstmord eines Menschen auf. Und das war hier der Fall«, erzählte der Wirt. »Das Zimmermädchen war zwei Jahre lang in meinem Dienst. Sie war ein gutes Mädchen, das hart gearbeitet hat. Und sie war bildhübsch. Das wurde ihr zum Verhängnis. Sie hat die Aufmerksamkeit von jemandem über ihrem Stand erregt. Ich habe sie gewarnt, aber sie wollte nicht hören.
Langer Rede kurzer Sinn: er hat ihr Versprechungen gemacht, von denen er nicht die Absicht hatte, sie zu halten. Und selbst wenn er gemeint hätte, was er gesagt hat, hätte seine Familie ihrer Verbindung niemals zugestimmt. Er war ein junger Mann, der ein Vermögen erben und einen guten Namen aufrecht erhalten sollte. Ich frage Sie – wie wahrscheinlich ist es, dass so jemand ein armes Dienstmädchen ohne jeden Penny heiratet? Er hat ihr gesagt, dass er sie liebe. Sie hat ihn auf jeden Fall geliebt. Aber wie vorherzusehen war, ging die Sache böse aus. Er heiratete eine Adlige – wie es schien, war diese Heirat schon monatelang geplant gewesen. Er hatte sie die ganze Zeit lang belogen und als das Mädchen es herausfand, brach es ihr das Herz. Das dumme Ding hat sich die Kehle durchgeschnitten. Nicht die leichteste Art, abzutreten. Ich habe sie röcheln und husten gehört und bin nach oben gerannt, um zu sehen, was los ist. Überall war Blut.«
»Das arme Ding«, murmelte Alice schaudernd.
Ich nickte und versuchte, das Bild vom schrecklichen Tod des Zimmermädchens aus dem Kopf zu bekommen. Selbstmord war ein großer Fehler, egal, wie schlimm die Lage zu sein schien. Aber das arme Mädchen war wohl verzweifelt und wusste nicht recht, was es tat.
»Es sind immer noch Flecken auf dem Fußboden«, fuhr der Wirt fort. »Und die gehen nicht weg, egal wie oft man schrubbt. Es dauerte lange, bis sie starb. Ich habe einen Arzt geholt, aber der konnte ihr nicht helfen. Ärzte sind nutzlos, so viel ist sicher. Ich würde keinem von ihnen auch nur die Uhrzeit sagen. Auf jeden Fall hätte sie wohl ein Armengrab bekommen, aber sie war eine gute Arbeiterin, wie ich schon sagte und daher habe ich selbst für ihre Beerdigung bezahlt. Sie war kaum eine Woche tot, als der Jibber auftauchte. Das arme Mädchen war kaum kalt in ihrem Grab und …«
»Was waren die ersten Anzeichen seiner Ankunft?«, erkundigte sich der Spook. »Denken Sie sorgfältig nach. Das ist wichtig.«
»Es gab seltsame Klopfgeräusche in den Dielen. Sie waren rhythmisch – zwei schnelle Klopfer, dann drei langsame, immer und immer wieder. Nach ein paar Tagen konnte man an der Stelle, wo das Mädchen gestorben war, gleich über den Blutspuren, eine eisige Kälte spüren. Am Tag darauf ist einer meiner Gäste verrückt geworden. Er sprang aus dem Fenster und hat sich auf dem Pflaster darunter beide Beine gebrochen. Seine Beine heilen wieder, aber sein Verstand ist hoffnungslos hinüber.«
»Aber Sie haben diesen Raum doch sicher nicht mehr benutzt? Sie haben ihren Gast doch sicher vor dem Klopfen und der Kälte gewarnt?«
»Er war nicht in dem Raum, wo das Mädchen gestorben ist – das war ein Dienstbotenzimmer auf dem Dachboden, ganz oben. Ein Jibber taucht da auf, wo der Selbstmord verübt wurde und ich dachte, dass er auch da bleibt. Aber jetzt sagt man mir, dass er sich im ganzen Haus frei bewegen kann.«
»Warum nennt man das Ding einen Jibber?«, wollte ich wissen.
»Wegen der Geräusche, die es macht, Junge«, erwiderte der Wirt. »Er plappert und brabbelt. Die ganze Zeit murmelt er vor sich hin – die Geräusche machen keinen Sinn, aber sie hören sich schrecklich an.« Er wandte sich wieder an den Spook. »Also, können Sie mir helfen? Die Priester haben nichts vermocht. Dies ist eine Stadt voller Priester, aber die sind nicht besser als die Ärzte.«
Der Spook runzelte die Stirn. »Nun, wie gesagt, ich komme von einem anderen Ort, einem Land jenseits des Meeres im Osten«, erklärte er. »Ich muss zugeben, dass ich von dem, was Sie beschrieben haben, noch nie etwas gehört habe. Man sollte meinen, dass die Kunde von etwas so Seltsamem uns mittlerweile erreicht haben sollte.«
»Nun, sehen Sie«, erwiderte der Wirt, »die Jibber sind auch hier in der Stadt neu. Sie sind erst vor etwa einem Jahr aufgetaucht. Es ist eine regelrechte Plage. Erst sah man sie im Südwesten, dann haben sie sich langsam nach Osten ausgebreitet. Hier in der Stadt gab es die ersten Vorfälle kurz vor Weihnachten. Manche glauben, sie seien das Werk der Ziegenmagier von Kerry, die sich ständig mit dunkler Magie befassen. Aber wer weiß das schon?«
Über die irischen Magier wussten wir nicht viel – nur dass sie in ständigem Streit mit einigen der Landbesitzer lebten. Im Bestiarium des Spooks gab es nur einen kurzen Abschnitt über sie. Angeblich beteten sie den alten Gott Pan an, um Macht zu erhalten. Gerüchten zufolge gab es auch Menschenopfer. Es war eine schlimme Angelegenheit.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass dieser Jibber nur nach Einbruch der Dunkelheit aktiv ist?«, fragte der Spook.
Der Wirt nickte.
»Nun, in dem Fall werden wir uns heute Nacht darum kümmern. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir vor der Arbeit schon Ihre Zimmer belegen? Wir würden gerne etwas Schlaf nachholen, damit wir in der Lage sind, uns Ihrem Jibber zu stellen.«
»Gerne, aber wenn Sie es nicht schaffen, erwarte ich, für jeden Tag, den Sie bleiben, bezahlt zu werden. Ich werde in diesem Haus nach Einbruch der Dunkelheit keine Minute mehr verbringen – ich schlafe bei meinem Bruder. Wenn es also nötig ist, können Sie mich morgen bezahlen.«
»Das klingt fair«, meinte der Spook und schüttelte dem Wirt die Hand, um den Handel zu besiegeln. Die meisten Leute kamen einem Spook lieber nicht zu nahe, doch dieser Mann hatte ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten und war dankbar für die Hilfe meines Meisters.
Wir suchten uns jeder ein Zimmer und verbrachten den Rest des Vormittages und den frühen Nachmittag damit, zu schlafen, nachdem wir verabredet hatten, uns eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit in der Küche zu treffen. Ich schlief unruhig und hatte einen beängstigenden Traum.
***
Ich befand mich in einem Wald. Es schien kein Mond, aber die Bäume leuchteten in einem unnatürlich silbrigen Licht. Ich war allein und unbewaffnet und suchte auf allen Vieren nach etwas, was ich ganz dringend brauchte – meinen Stab. Mir war klar, dass ich ohne ihn nicht überleben würde.
Es war kurz vor Mitternacht und ich wusste, dass etwas hinter mir her war – etwas Schreckliches. Ich war durcheinander und konnte mich nicht daran erinnern, was für eine Kreatur das war, doch ich wusste, dass sie von einer Hexe geschickt worden war. Sie wollte Rache für etwas, was ich ihr angetan hatte.
Aber was war mit mir los? Warum konnte ich mich nicht richtig erinnern? Stand ich bereits unter irgendeinem Zauber? Irgendwo in der Ferne begann unheilvoll eine Kirchenglocke zu schlagen. Starr vor Furcht zählte ich die Glockenschläge.
Beim dritten sprang ich auf und begann panisch zu laufen. Zweige schlugen mir ins Gesicht, ich verfing mich in Brombeergestrüpp, das mir die Beine zerkratzte und rannte verzweifelt durch den Wald auf die unsichtbare Kirche zu. Irgendetwas war hinter mir her, aber es rannte nicht durchs Unterholz, es war nichts, was auf zwei oder vier Beinen lief. Ich hörte das laute Schlagen riesiger Flügel.
Ein Blick über meine Schulter ließ mir das Blut zu Eis gefrieren. Ich wurde von einer ungeheuer großen schwarzen Krähe verfolgt, deren Anblick meine Furcht vervielfachte. Es war die Morrigan, die alte Göttin der keltischen Hexen, die blutrünstige Gottheit, die den Sterbenden die Augen aushackte. Aber ich wusste, dass ich in Sicherheit war, wenn ich nur die Kirche erreichte.
Warum, wusste ich selber nicht – normalerweise waren Kirchen keine Orte, die Schutz vor dem Bösen boten. Spooks und ihre Lehrlinge verließen sich lieber auf ihr Handwerk und ihre gründlichen Kenntnisse der Verteidigungsmaßnahmen, die sie ergreifen konnten. Dennoch wusste ich, dass ich die Kirche erreichen musste, sonst würde ich sterben und meine Seele der Finsternis anheimfallen.
Ich stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin. Als ich wieder auf die Knie kam und zu der schwarzen Krähe sah, hatte diese sich auf einem Zweig niedergelassen, der unter ihrem Gewicht knackte und sich bog. Vor mir schimmerte die Luft und ich blinzelte heftig, um klar sehen zu können. Als mir das endlich gelang, bot sich mir ein grausiger Anblick dar.
Vor mir stand eine hohe Gestalt in einem schwarzen Gewand, das fast bis zum Boden reichte. Es war blutbespritzt. Vom Hals an abwärts hatte sie die Figur einer Frau, aber mit dem großen Kopf einer Krähe mit grausamen Knopfaugen und einem riesigen Schnabel. Doch vor meinen Augen begann sich der Kopf der Krähe zu verändern. Der Schnabel schrumpfte, die Knopfaugen wurden weicher und größer und schließlich war der Kopf rein menschlich. Und plötzlich erkannte ich das Gesicht. Es war das einer Hexe, die jetzt tot war – das der keltischen Hexe, die der Spook Bill Arkwright in unserem Land einmal getötet hatte. Ich hatte bei Arkwright gelernt und gesehen, wie er der Hexe einen Dolch in den Rücken warf. Dann hatte er ihr Herz an seine Hunde verfüttert, um sicher zu gehen, dass sie nicht von den Toten zurückkehren konnte. Bill war mit Hexen sehr radikal umgegangen, viel strenger als mein Meister, John Gregory.
Aber war sie es wirklich? Ich hatte diese Hexe aus nächster Nähe gesehen und war mir sicher, dass ihre beiden Augen dieselbe Farbe hatten. In diesem Moment wurde mir klar, dass nichts davon wirklich war. Ich hatte einen schlechten Traum – und es war einer von der schlimmsten Sorte: ein luzider Albtraum, in dem man gefangen ist und weder entkommen und noch aufwachen kann. Und es war derselbe Albtraum, den ich seit Monaten hatte – und der jedes Mal schlimmer wurde.
Die Hexe kam mit ausgestreckten Händen auf mich zu, bereit, mir mit ihren Krallen das Fleisch von den Knochen zu reißen.
Ich zwang mich, aufzuwachen, doch das war ein harter Kampf. Als ich die Augen aufschlug, merkte ich, wie die Furcht langsam von mir abfiel. Es dauerte lange, bis ich mich beruhigte. Danach war ich hellwach und konnte nicht mehr einschlafen. Dadurch war ich wohl nicht in der besten Verfassung, mich einem Jibber zu stellen – was auch immer das sein mochte.
***
Wir trafen uns in der Küche, doch wir hatten nicht vor, viel zu essen. Da wir uns dem Bösen stellen sollten, bestand der Spook darauf, dass wir fasteten und zur Stärkung nur ein wenig Käse aßen. Mein Meister vermisste seinen Lieblingskäse. Egal, wo wir waren, beschwerte er sich, dass der einheimische Ersatz längst nicht so gut war. Doch dieses eine Mal knabberte er nur still daran herum, bevor er sich mit einer Frage an mich wandte.
»Nun, Junge, was hältst du von all dem?«
Ich sah ihn aufmerksam an. Sein Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt, aber auf seiner Stirn standen tiefe Furchen und seine Augen wirkten müde. Sein Bart war schon grau gewesen, als er vor drei Jahren den Hof meines Vaters besucht hatte, um mit ihm über meine Lehre zu sprechen. Doch damals hatten sich noch andere Farben in die Haare gemischt – hauptsächlich rot, braun und schwarz. Doch jetzt war er vollkommen grau. Er sah älter aus – die Ereignisse der letzten drei Jahre hatten ihren Tribut gefordert.
»Es bereitet mir Sorge«, antwortete ich. »Mit so etwas hatten wir es noch nie zu tun und das ist immer gefährlich.«
»Ja, das ist es, Junge. Es gibt zu viele Unbekannte. Was genau ist ein Jibber und wird er auf Salz und Eisen reagieren?«
»Vielleicht gibt es so etwas wie einen Jibber gar nicht«, meldete sich Alice zu Wort.
»Was soll das heißen, Mädchen?«, wollte mein Meister gereizt wissen. Wahrscheinlich glaubte er, dass Alice ihre Nase in Spook-Angelegenheiten steckte, in Dinge, die sie nichts angingen.
»Was ist, wenn es der Geist der toten Person ist, der irgendwie gefangen ist und das Problem verursacht?«, meinte sie. »Dunkle Magie könnte das bewirken.«
Die Stirn des Spooks glättete sich und er nickte nachdenklich. »Haben die Pendle-Hexen einen Spruch dafür?«, fragte er.
»Knochenhexen haben einen Spruch, mit dem sie einen Geist an sein eigenes Grab binden können.«
»Manche Geister sind sowieso so gebunden, Mädchen. Wir nennen sie die Grab-Trödler.«
»Ja. Aber diese hier trödeln nicht nur an ihrem Grab herum. Sie jagen Menschen Angst ein«, wandte Alice ein. »Der Spruch wird häufig eingesetzt, um Menschen von einem bestimmten Teil des Friedhofs fernzuhalten, damit die Hexen die Gräber in Ruhe ausrauben und ungestört Knochen sammeln können.«
Knochenhexen sammelten Menschenknochen für ihre Art der Magie. Daumenknochen waren besonders wertvoll. Sie kochten sie in einem Topf aus, um ihre magischen Kräfte freizusetzen.
»Wenn wir also einen Schritt weiter gehen, dann sind das gefangene Geister, die irgendwie gezwungen werden, Menschen an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Das macht ja alles Sinn, aber wie und warum breitet es sich aus?«, fragte mein Meister.
»Wenn es ein Zauberspruch ist, dann ist er außer Kontrolle geraten«, überlegte Alice. »Es ist, als hätte er seine eigene Energie entwickelt und seine Bosheit nach Westen hin weiter verbreitet. Knochenlizzie hat einmal einen mächtigen Spruch gewagt, der außer Kontrolle geriet. Es war das erste Mal, dass ich gesehen habe, dass sie Angst hatte.«
Der Spook kratzte seinen Bart, als krabbelte etwas Lebendiges darin herum.
»Nun, das macht Sinn«, stimmte er zu. »Also, ich denke, zuerst sollten wir uns den Ort ansehen an dem sich das arme Mädchen umgebracht hat. Der Junge kommt mit mir und dann bist du zweifellos auch mit dabei, Mädchen.«
Der letzte Satz klang ein wenig sarkastisch. Alice und ich befanden uns in einer schlimmen Lage und er konnte nichts daran ändern. Im vergangenen Jahr hatte ich, um das Leben vieler Menschen zu retten, einschließlich Alices und des Spooks, meine Seele dem Erzfeind verkauft – dem Teufel selbst, dem fleischgewordenen Bösen. Er war von einer Versammlung von Hexen des Pendle-Clans auf die Erde gerufen worden und wurde nun immer stärker: ein neues Zeitalter des Bösen hatte unsere Welt heimgesucht.
Jetzt hinderte nur Alices dunkle Magie den Teufel daran, meine Seele zu holen. Sie hatte drei Tropfen ihres Blutes und drei von meinem in einem Krug vermischt, den man »Blutkrug« nannte. Ich hatte ihn in der Tasche, daher konnte sich der Teufel mir nicht nähern. Aber damit Alice von seinem Schutz profitieren konnte, musste sie in meiner Nähe bleiben.
Es bestand stets die Gefahr, dass ich von dem Krug getrennt wurde und mich außerhalb seiner Schutzzone befand. Und nicht nur das: wenn ich starb – sei es nun in sechs oder sechzig Jahren – würde der Teufel Anspruch auf das erheben, was ihm gehörte und mich einer Ewigkeit an Qualen unterwerfen. Der einzige Ausweg bestand darin, ihn irgendwie vorher zu vernichten oder zu bannen. Die Aussicht auf diese Ausgabe lag wie eine schwere Last auf meinen Schultern.
Grimalkin, die Killerhexe des Malkin-Clans, war eine Feindin des Teufels. Sie glaubte, dass er in einer Grube gebannt werden konnte, wenn er mit versilberten Pfeilen durchbohrt wurde. Alice hatte den Kontakt hergestellt und sie hatte zugestimmt, sich mit uns zu treffen, um es zu versuchen. Aber seitdem waren viele Wochen vergangen, ohne dass wir weitere Nachricht von Grimalkin erhalten hatten. Alice fürchtete, dass ihr, so unbesiegbar sie auch zu sein schien, etwas passiert war. Unser Land war von fremden Truppen besetzt – vielleicht waren sie gegen die Pendle-Hexen vorgegangen, hatten sie getötet oder gefangen genommen. Auf jeden Fall war der Blutkrug so wichtig wie eh und je.
***
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit ging uns der Spook mit einer Kerze in der Hand voraus in die Dachkammer – einen kleinen, engen Raum ganz oben im Gasthaus, wo das arme Dienstmädchen gelebt hatte und wo sie gestorben war.
Dem Bett fehlten Matratze, Laken und Kissen. Am Fenster neben dem Bett sah ich dunkle Blutflecken auf dem Dielenboden. Der Spook stellte die Kerze auf den kleinen Nachttisch, und wir machten es uns so gut wie möglich auf dem Boden vor der geschlossenen Tür bequem. Dann warteten wir. Es war anzunehmen, dass der Jibber, wenn er heute Nacht Opfer suchte, zu uns kommen würde. Schließlich war sonst niemand im Gasthaus.
Ich hatte meine Taschen mit Salz und Eisenspänen gefüllt – Mitteln, die normalerweise gegen Boggarts und in geringerem Maße auch gegen Hexen halfen. Aber wenn Alices Theorie stimmte und wir es mit einem gefangenen, gefährlichen Geist zu tun hatten, dann wären Salz und Eisen nutzlos.
Lange mussten wir nicht auf den Jibber warten. Etwas Unsichtbares begann auf die Dielen zu klopfen. Zwei kurze Klopfer, dann drei langsame. Immer wieder. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Dann flackerte die Kerze und es wurde plötzlich kalt. Im Inneren wurde es mir noch kälter – es war ein Warnsignal, das der siebte Sohn eines siebten Sohnes oftmals bekommt, wenn sich etwas aus der Dunkelheit nähert.
Direkt über den Blutflecken erschien eine purpurne Lichtsäule und das Geräusch, das davon ausging, bestätigte, dass der Jibber seinen Namen zu Recht hatte. Die Stimme war hoch, mädchenhaft und zischend. Sie plapperte Unsinn, der mir in den Ohren schallte, sodass ich mich unwohl fühlte und mir leicht schwindelig wurde. Es war, als wäre die Welt in Schieflage geraten und ich konnte das Gleichgewicht nicht halten.
Ich spürte die Bösartigkeit des Jibbers: Er wollte mich ernsthaft verletzen. Er wollte meinen Tod. Zweifellos konnten der Spook und Alice dieselben verstörenden Geräusche vernehmen, doch als ich nach rechts und links sah, saßen sie beide nur starr da und sahen mit großen Augen wie festgenagelt die Lichtsäule an.
Doch trotz des Schwindelgefühls konnte ich mich bewegen und ich beschloss, zu handeln, bevor das Plappern in meinen Kopf eindrang und mich genau das tun ließ, was er wollte. Ich stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen: Mit der rechten Hand ergriff ich Salz, mit der linken die Eisenspäne. Dann trat ich vor und warf beide Handvoll auf die Lichtsäule.
Die Substanzen trafen genau an ihrem Ziel perfekt aufeinander. Es war ein guter Wurf. Dumm war nur, dass nichts geschah. Die Säule schimmerte weiter und die Salz- und Eisenpartikel fielen harmlos neben dem Bett auf den Boden.
Jetzt begann das Plappern schmerzhaft zu werden. Es war, als würden mir scharfe Nadeln in die Augen gestochen und ein Stahlband würde sich um meine Stirn legen und mir langsam den Schädel zerquetschen. Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Irgendwann würde ich den Schmerz nicht mehr aushalten können. Würde ich dann verrückt werden?, fragte ich mich. Würde es mich in den Selbstmord treiben, damit die Qualen aufhörten?
Dann stellte ich erschrocken noch etwas Anderes fest. Das Plappern war kein bedeutungsloses Gebrabbel. Zuerst hatten mich die Geschwindigkeit und das Zischen in die Irre geführt. Aber es war die Alte Sprache, die ein Wortmuster ergab. Es war ein Zauberspruch!
Plötzlich ging die Kerze aus und wir blieben im Dunkeln – obwohl das purpurne Licht noch sichtbar war. Auf einmal konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich wollte den engen Dachboden verlassen, wo sich das arme Mädchen umgebracht hatte, aber ich konnte es nicht – ich wurde an meinem Platz festgehalten. Mir war auch schwindelig und ich verlor das Gleichgewicht. Ich schwankte und stürzte schwer auf die linke Seite. Gleich darauf spürte ich einen scharfen Schmerz, als wäre ich auf einen Stein gefallen.
Als ich mich bemühte, aufzustehen, hörte ich eine weitere Stimme – eine weibliche Stimme, die ebenfalls in der Alten Sprache sang. Diese zweite Stimme wurde immer lauter, während die erste schnell erstarb und schließlich ganz verstummte. Zu meiner Erleichterung hatte das Plappern aufgehört.
Dann hörte ich plötzlich einen gequälten Schrei und erkannte, dass die zweite Stimme die von Alice war – sie wandte einen ihrer eigenen Sprüche an, um das Plappern zu beenden. Jetzt war der Geist des Mädchens frei, aber sie litt Qualen. Sie wusste, dass sie tot und im Limbo gefangen war.
Dann erklang eine dritte Stimme, tiefer und männlich – eine Stimme, die ich gut kannte. Es war der Spook.
»Hör zu, Mädchen«, sagte er, »du musst nicht hierbleiben …«
In meiner Verwirrung glaubte ich zuerst, dass er mit Alice spräche, doch dann sah ich, dass er mit dem Geist des toten Mädchens redete.
»Geh ins Licht«, befahl er. »Geh jetzt ins Licht.«
Ein gequälter Klagelaut erklang. »Ich kann nicht!«, rief der Geist. »Ich habe mich im Nebel verlaufen! Ich finde den Weg nicht!«
»Der Weg ist vor dir. Sieh genau hin, dann siehst du den Weg ins Licht.«
»Ich habe mein Leben selbst beendet. Das war falsch und jetzt werde ich dafür bestraft.«
Für die, die Selbstmord begangen hatten oder eines plötzlichen, gewaltsamen Todes gestorben waren, war es immer so viel schwerer, den Weg ins Licht zu finden. Manchmal wanderten sie jahrelang in den Nebeln des Limbos umher. Aber es konnte geschehen, dass die den Weg fanden. Und ein Spook konnte ihnen helfen.
»Du bestrafst dich selbst unnötig«, sagte meine Meister zum Geist des Mädchens. »Dazu besteht kein Grund. Du warst unglücklich. Du wusstest nicht, was du tust. Ich möchte, dass du jetzt genau nachdenkst. Hast du eine glückliche Erinnerung aus deinem früheren Leben?«
»Ja, ja. Ich habe viele glückliche Erinnerungen …«
»Dann erzählt mir von dem glücklichsten … was ist deine glücklichste Erinnerung?«, verlangte der Spook.
»