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Norbert Blank und Olaf Obsommer entführen Sie zu 30 faszinierenden Kajakzielen der Welt. Mit ihren packenden Bildern spannen die passionierten Paddler, Profifotografen und -filmer einen Bogen von einfachen Touren über wilde Expeditionen, von Wildwasser bis Seekajak, von Kajak über Canadier bis zu den Ursprüngen des Kajakfahrens bei den Inuit in Grönland, vom Regenwald über Gebirge bis in die Wüsten und ans Meer. Mit diesem Band sind Sie »hautnah« dabei!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 189
Der 44 Meter hohe Dettifoss-Wasserfall auf Island: Wo ist die fahrbare Linie?
VORWORT
AMERKIA
KANADA
Der Mount Everest des Wildwassers
USA
Colorado River – Der Paddlertraum
MEXIKO
Die Farben des Río Agua Azul
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Baby-Kajak-Abenteuer
KOLUMBIEN
Winterflucht ins Warme
ECUADOR
Der tropische Traum
GALAPAGOS
Tierisch unterwegs
CHILE
Sonne, Vulkane, Wasserfälle
EUROPA
GRÖNLAND
Am Geburtsort des Kanusports
ISLAND
Eisiger Tanz mit dem Götterfall
NORWEGEN
Wildwasser am Polarkreis
GROSSBRITANNIEN
Wellenparty auf Walisisch
DEUTSCHLAND
Der bayerische Klassiker
FRANKREICH
Paddeln wie Gott in Frankreich
SCHWEIZ
Nachhaltig paddeln
ÖSTERREICH
Die jungen Wilden in Tirol
ITALIEN
Dolce Vita mit Wermutstropfen
SLOWENIEN
Paddeln mit Freunden
MONTENEGRO
In der tiefsten Schlucht Europas
GRIECHENLAND
Im Land der Götter
MITTELMEER
Unterwegs an endlosen Küsten
AFRIKA
MAROKKO
»Berber-Whisky« und Wasser
GABUN
Dschungel-Abenteuer
SAMBIA
Die reinste Spielwiese
ASIEN
RUSSLAND
Expedition zum Buch der Legenden
TADSCHIKISTAN UND KIRGISISTAN
Drahtseilakt
PAKISTAN
Auf dem Löwenfluss
NEPAL
Namaste Nepal!
TIBET
XXL Wildwasser im Himalaja
INDIEN
Kerala – Zwischen Permits und Monsun
INFOS ZU DEN KAJAKZIELEN
GLOSSAR
DIE AUTOREN
REGISTER
IMPRESSUM/BILDNACHWEIS
Fantastischer Blick auf den Río Agua Azul
Das glasklare Wasser macht Seekajaktouren entlang der Mittelmeerküste zum Traum.
Steilkurve mit Fliehkräften auf dem Río Clara in Chile
Paddeln der besonderen Art: »Sand-Sliden« in den Dünen der marokkanischen Wüste
Wenn zwei Paddel-Profis, der eine Fotograf und Reiseguru, der andere preisgekrönter Filmer und Expeditionsexperte, sich zu einem gemeinsamen Buch zusammentun, kann eigentlich nichts anderes dabei herauskommen als eine Hommage an den schönsten Sport der Welt: das Kajakfahren.
Wir wollen dir mit diesem Buch die Faszination dieser Sportart vermitteln, die so vielfältig ist wie kaum eine andere. Vom Wildwasser-Abenteuer bis zur entspannten Wanderpaddeltour, vom Seekajakerlebnis auf dem Meer bis zum Freestyle-Tanz in den Wellen – das alles ist Paddeln. Ob du Anfänger, Fortgeschrittener oder Profi bist – es gibt für dich auf jeden Fall ein passendes Revier. Und ob du die Flüsse, Seen und Meere mit dem Kajak, dem Kanadier, dem Faltboot, dem Packraft oder dem SUP erkundest – jede Form hat ihren eigenen Reiz. In diesem ultrabreiten Spektrum, das der Paddelsport bietet, ist ganz bestimmt auch für dich etwas dabei. Doch nicht nur die sportliche Herausforderung ist es, die Kajakfahren zu etwas Besonderem macht: Es ist das Erlebnis an sich. Denn Paddler kommen auf ihren Touren hautnah mit dem Land in Berührung: mit der ursprünglichen Kraft des Wassers, mit der Schönheit der Natur und dem Zauber der Kultur. Paddler sehen die Welt aus einer Perspektive, die nur ihnen vorbehalten ist. Sie gelangen an Orte, die niemand sonst erreicht. Sie entdecken Länder und auch die Menschen dort auf unverfälschte Weise.
Dieser Umstand hat uns beiden, die wir seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt unterwegs sind, die großartigsten, spannendsten und schönsten Begegnungen und Abenteuer eingebracht: ob mit Nomaden im kirgisischen Hochland oder mit Guerilleros im südamerikanischen Dschungel, ob mit Hirten im hintersten Marokko oder mit pakistanischen Truckern auf dem Karakorum-Highway. Aber auch mit Bergbauern in Tirol und g’standnen Bayern an der Isar – das Abenteuer Paddeln kann schon vor deiner Haustür beginnen.
An diesen Erlebnissen, an diesem Gefühl von Freiheit und Verbundenheit wollen wir dich in diesem Buch teilhaben lassen. Wir nehmen dich mit zu den 30 schönsten Kajak-Destinationen auf vier verschiedenen Kontinenten. Wir zeigen dir sowohl Touren für Einsteiger als auch Expeditionen auf den härtesten Flüssen der Welt.
Wir entführen dich in tropische Gegenden sowie zu eisbehangenen Wasserfällen. Wir sausen mit dir die Sanddünen der Sahara im Kajak hinunter und wir unternehmen mit dir Kajakreisen der eher ausgefallenen Art: mit Fahrrad und Anhänger.
Zugegeben, unsere Auswahl ist sehr subjektiv und es lässt sich darüber streiten, ob nicht das eine oder andere hier nicht erwähnte Ziel unbedingt dazu gehört. Wären wir auf Vollständigkeit bedacht gewesen, hätten wir mindestens hundert Reviere in das Buch mitaufnehmen müssen. Nicht streiten aber lässt sich darüber, dass alle Destinationen in diesem Buch wunderschön und (mindestens) eine Reise wert sind.
Das ist Luxus pur: Mit dem Segelboot raus aufs Meer und dann einfach lospaddeln.
Eines ist uns noch wichtig zu erwähnen: Dieser Bildband wäre nie entstanden, wenn wir nicht beide über die vielen Jahre hinweg bei unseren Reisen und Expeditionen jede Menge Unterstützung gehabt hätten: durch unsere Familien, durch unsere Sponsoren, von unseren Mitpaddlern, unseren »Fotomodels« und durch die Fotografen, die uns zusätzliches Bildmaterial großzügig zur Verfügung gestellt haben, damit dieses Buch so prächtig werden konnte, wie es geworden ist – euch tausend Dank!
Wir bedanken uns auch bei Claudia Hohdorf vom Bruckmann Verlag, dass sie an unser Konzept geglaubt hat.
Unser ganz besonderer Dank gilt Petra Münzel-Kaiser, die es verstanden hat, unsere wilden Geschichten in lesbare Form zu gießen, ohne dass sich einer von uns dafür verbiegen musste.
Denn wir sind zwei ziemlich verschiedene Typen und das wirst du den Kapiteln auch anmerken. Das ist gut so, denn dadurch kannst du die »World of Kayak« durch zwei ganz persönliche und unterschiedliche Augenpaare betrachten – um dir dann deinen ganz eigenen Eindruck zu verschaffen. Mit diesem Bildband möchten wir dich zum Träumen einladen, zum Ausrüstung-Packen und natürlich zum Selbst-Erleben!
Wir wünschen dir viel Spaß dabei und freuen uns darauf, dich auch mal persönlich zu treffen – auf unseren Live-Vorträgen oder auf einem der unzähligen wunderschönen Gewässer dieser Welt.
Norbert Blank und Olaf Obsommer
Kanada gilt neben Grönland als das Mutterland des Kanusports. Dank der vielen unberührten Seen und Flüsse ist das Land ein Paradies für Paddler, die ursprüngliche Natur und das Gefühl von unendlicher Freiheit suchen. Aber auch Expeditionspaddler sind hier richtig: Der Grand Canyon of the Stikine stellt eine der größten Herausforderungen des Wildwassersports dar.
Kanadas Ureinwohner, die First Nations, nähten die ersten offenen Kanus aus Birkenrinde und nutzten sie als Fortbewegungsmittel in den dicht bewaldeten, unwegsamen Gegenden des Landes. Im deutschen Sprachgebrauch verwenden wir Kanu synonym mit Kanadier, in allen anderen Sprachen heißt es einfach Canoe.
Während den Yukon in Europa jeder kennt, haben die meisten vom Tatshenshini noch nie etwas gehört. Dabei bezeichnen die Kanadier ihn selbst als den »König der Wildflüsse«. Mich fasziniert am Tatshenshini, dass er sich als einziger Fluss aus dem Yukon-Distrikt im Verlauf nach Süden wendet und die gletscherbedeckten Coast Mountains durchbricht. Er mündet dann in den Alsek, der in den Pazifik fließt.
Die Fahrt auf dem Tatshenshini war mein spektakulärstes Erlebnis von kanadischer Wildnis. Wir stiegen in der Nähe von Dalton Post/Kanada ein und paddelten in elf Tagen die über 240 Kilometer bis nach Dry Bay/Alaska. Falls du über eine solche Tour nachdenkst: Nimm dir nicht weniger Zeit dafür, denn es lohnt sich. Tatshenshini und Alsek lassen sich sowohl im Kajak als auch im Kanadier befahren. Allerdings solltest du die wildwassertechnischen Schwierigkeiten gerade zu Beginn nicht unterschätzen: Auf den ersten zwölf Kilometern wartet Wildwasser III auf dich (bei höheren Wasserständen auch IV) – also nichts für Ungeübte. Wer nicht so viel Erfahrung im Boot hat, kann die Tour dennoch mitmachen, da man sich auf dem Begleit-Raft einbuchen kann.
Vom Wetter her gesehen ist dieser Trip nicht gerade ein Mallorca-Ausflug: extrem wechselhaft, oft grau und meist eher Kühlschranktemperaturen. Zeigt sich allerdings die Sonne, ist das Panorama von unberührter Wildnis einfach umwerfend.
Der Tatshenshini gilt als einer der schönsten Flüsse des Planeten.
Ein Muss für jede Stikine-Expedition: Teamfoto vor dem Warnschild am Einstieg.
Ausstieg am Pazifik nach 240 traumhaften Kilometern auf Tatshenshini und Alsek.
Paddeln zwischen Eisbergen am Alsek Lake: Auf respektvollen Abstand achten!
Ich jedenfalls war von dem Erlebnis überwältigt. Wir sahen auf der ganzen Fahrt keinen einzigen anderen Menschen. Dafür schaute ab und zu ein Elch aus dem Wald, Weißkopfseeadler kreisten über uns und auch der ein oder andere Bär ließ sich aus der Ferne erblicken. Angst hatten wir dennoch keine. Die Gefahr, von einem dieser Bären angefallen zu werden, ist statistisch noch kleiner, als irgendwo auf der Welt von einem Hai gebissen zu werden. Dennoch hielten wir uns brav an die Grundregeln, die für Bärengebiete gelten: Alles, was nach Essen riecht, gut verpacken und für die Nacht ein Stück weit weg vom Zelt deponieren. Wir wechselten sogar die Kleidung, die wir tagsüber beim Essen getragen hatten – Bären haben verdammt gute Nasen.
Gegen Ende der Tour wartete noch ein ganz besonderes Highlight auf uns: die Fahrt über den Alsek Lake. Gleich zwei Gletscher schieben sich in diesen See. Immer neue, große Stücke brechen davon ab und treiben dann als Eisberge im Wasser. Diese Kolosse sind von einer unglaublichen Farben- und Formenvielfalt: kurz nach dem Abbrechen noch schroff und unregelmäßig, später glatt und sanft geschwungen, sobald sie auf der Unterseite langsam abtauen und sich mit einem großen Platsch einmal um die eigene Achse drehen. Von Hans Memminger, Wildwasser-Pionier der ersten Stunde und erster Mensch, der die gefürchtete arktische Nordwest-Passage im Kajak durchpaddelt hat, wurde mir geraten, immer genügend Abstand zu Eisbergen zu halten, weil sie sich auch ziemlich unvermittelt drehen können. Aber ich gebe zu: Das haben wir nicht geschafft. Es war einfach zu faszinierend, ganz nah an diese glitzernden Riesen heranzupaddeln, die in allen Blauschattierungen schimmern.
Hoch ragen die Felswände rechts und links neben den Paddlern auf.
Bis zu 300 Meter tief hat der Grand Canyon des Stikine sich eingeschnitten.
Das Wolftrack Camp: legendärer Übernachtungsplatz im Stikine-Canyon.
Ein einmaliges Erlebnis ganz anderer Art ist der Stikine. Der Fluss ist über 500 Kilometer lang. Entlang seines Ober- und Unterlaufs ist er ein typisch kanadischer Wildfluss, großartig geeignet für Kajakwandertouren und doch noch weniger frequentiert als der Tatshenshini. Was diesem Fluss aber den Beinamen »Mount Everest des Wildwassersports« eingebracht hat, sind die 90 Kilometer, auf denen er durch eine tiefe Schlucht fließt: Der Grand Canyon of the Stikine – in der Wildwasser-Szene ein Name wie ein Donnerhall.
Die Befahrung galt lange Jahre als die härteste Wildwasser-Mehrtagestour der Welt. Das liegt daran, dass den Paddler in dieser Schlucht viele riesige Stromschnellen erwarten, ein gutes Dutzend im obersten Schwierigkeitsgrad. Und nur bei einer einzigen ist eine (halsbrecherische) Umtragung möglich, fast alle anderen sind sogenannte Zwangspassagen – du musst sie fahren, um weiter zu kommen. Die körperliche Herausforderung ist deshalb enorm.
Noch härter allerdings ist die mentale Herausforderung: zu wissen, dass es nach dem Passieren der »Entry Falls«, dem mächtigen Wasserfall gleich am Eingang der Schlucht, kein Zurück mehr gibt. Die steil aufragenden Felswände lassen dem Paddler keine Chance, die Tour abzubrechen und herauszuklettern. Unserer Gruppe hat das ganz schön zu schaffen gemacht. Wir waren die ersten Europäer überhaupt, die sich daran gewagt hatten. In der Vor-Internet-Zeit war jede Expedition auf dem Stikine noch dazu eine Fahrt ins Unbekannte: Heute kann man dank dutzender Youtube-Videos bei allen schwierigen Stellen sehen, was einen erwartet und wie sie andere gemeistert haben. Wir mussten uns bei meiner ersten Expedition auf die Beschreibungen derer verlassen, die die Befahrung gewagt hatten – und das waren in den Jahren nach der Erstbefahrung 1985 nicht sehr viele.
V-Drive: eine der Stellen der höchsten Schwierigkeitsstufe auf dem Stikine
Nach dem Passieren der Entry Falls, dem Wasserfall am Schluchteingang, gibt es kein Zurück mehr.
Im Lauf der Zeit bekamen die schwersten Stellen eigene Namen, um die sich bald Legenden rankten. Da ist zum Beispiel die schwerste Stromschnelle in der Schlucht: Site Zed, die als einzige erst 2012 zum ersten Mal gefahren wurde. Oder Wassons Hole, ein Rücklauf, in dem einer der Erstbefahrer fast ertrunken wäre. Oder Tanzilla Slot, wo sich der gesamte Fluss durch einen drei Meter breiten Spalt presst.
Als wir unten ankamen, waren wir alle heil – aber am Ende. Das war das mit Abstand Heftigste, was wir je gefahren waren. Wir waren maximal beeindruckt. Deshalb ist der Stikine auch eines der wenigen Expeditionsziele, das ich mir zweimal vorgenommen habe. Zwölf Jahre nach meiner persönlichen Erstbefahrung war ich noch einmal dort. Ich wollte nämlich unbedingt wissen, ob ich mich beim ersten Mal zu Recht so gefürchtet hatte.
Und auch, wenn der Grand Canyon of the Stikine inzwischen nicht mehr die schwerste Tour ist, die ich je gepaddelt bin: Sie gehört immer noch zu den eindrucksvollsten meiner Expeditionen, weil das Wildwasser dort von absoluter Top-Qualität und die Szenerie in dieser Schlucht so einzigartig ist.
Als Kanuguide lerne ich auf meinen Wildwassertouren viele tolle Menschen und großartige Paddler kennen. Einer davon ist Klaus Riester. Seine Leistung auf dem Colorado beeindruckt mich noch heute: Mit nur einem Bein paddelte er mit uns durch den Grand Canyon – und ließ dabei wirklich gar nichts aus.
Klaus Riester verlor sein linkes Bein in jungen Jahren bei einem Motorradunfall. Was ihn nicht davon abgehalten hat, durch die Welt zu reisen und mit dem Wildwasserpaddeln zu beginnen. Einmal durch den Grand Canyon zu paddeln – das war sein großer Traum.
Der Grand Canyon des Colorado River liest sich in Wikipedia ganz nüchtern so: »Eine 450 Kilometer lange Schlucht im Norden des US-Bundesstaats Arizona, die während Jahrmillionen vom Colorado-River ins Gestein des Colorado-Plateaus gegraben wurde.«
Klaus dagegen betrachtet – wie viele Kanuten aus aller Welt – den Grand Canyon ganz anders. Für ihn ist er die »Mutter aller Canyons«. Und eine Befahrung wäre für ihn die Krönung seiner Wildwasser-Karriere: einmal im Leben von Lees Ferry bis Diamond Creek paddeln, 360 Kilometer grandioses Naturschauspiel, zwölf Tage lang nur Landschaft, Natur und mächtiges Wildwasser, kein Telefon, keine Zivilisation, nur Konzentration auf die wichtigen Dinge im Leben.
Ich kannte Klaus nur vom Hörensagen. Als er bei mir anrief und fragte, ob ich ihn trotz seines Handicaps mitnehmen würde, vertraute ich auf die Empfehlungen seiner Paddelfreunde. Diese waren mit mir schon nach Ecuador gereist und ich schätzte ihre Meinung. Sie berichteten, dass Klaus paddeltechnisch absolut mit ihnen auf Augenhöhe bereits Wildwasser wie die Loisach und die Ötztaler Ache gepaddelt sei. Warum also nicht? Sicher ist meine Verantwortung als Guide nicht unerheblich. Aber gibt es etwas Schöneres, als Menschen die Möglichkeit zu schenken, ihre Träume wahr werden zu lassen?
Objektiv gesehen handelt es sich beim Colorado um relativ ungefährliches Wildwasser: Auf die kurzen, mächtigen Stromschnellen mit ihren brüllenden Wassermassen folgen ruhige Flachwasser-Passagen. Die Stromschnellen, genannt Rapids, sind relativ easy, weil es fast überall einfache Lines gibt – meist ohne anspruchsvolle Richtungswechsel.
Einmal durch den Grand Canyon paddeln – das war der große Traum von Klaus.
Eines der »Mutterschiffe« bei der Grand-Canyon-Tour: Lastesel und Kajakertaxi zugleich
Die Flachwasserpassagen des Colorado geben Zeit, die Landschaft-zu genießen.
Wenn du für deine Tour einen Guide anheuerst, kannst du dir sicher sein, dass er dich sicher durch die (echt großen) Wellen bringt und dir eine klare und gefahrlose Route vorgibt. Sogar ein paar Meter rechts oder links machen im Normalfall keinen Unterschied. Die Linien, die wir fahren, sind breit genug.
Böse Walzen gibt es im Colorado nur wenige. Diese wenigen sind dann aber solche Monster, dass sie nicht nur dich, sondern auch einen Kleinbus verschlucken könnten. Der Vorteil an einer organisierten und geführten Tour ist dann, dass man jederzeit vom Kajak auf eines der beiden motorisierten Begleitrafts umsteigen kann, sollte ein Rapid zu wild erscheinen. Dann genießt man das Spektakel einfach lässig vom sicheren Mutterschiff aus – mit einem gekühlten Dosenbier in der Hand.
In den ersten Tagen stand nur Wildwasser II bis III auf dem Programm – Zeit genug, um sich an das gewaltige Wasservolumen des Colorado zu gewöhnen. Soweit die Theorie. Doch praktisch gerieten bei dieser Tour einige Paddler schon bei der Einfahrt in den ersten großen Rapid in akute Hysterie und Atemnot. Das ist verständlich, denn solche Wassermassen wie am Colorado sind wir in Europa nicht gewohnt. Und so blickte ich gleich am ersten Tag durchaus verzweifelt auf Unmengen von Kenterungen in diesen relativ einfachen Rapids. Oh Gott. Wie sollte das nur weitergehen?
Aber nachdem ich allen ein paar Tipps zur richtigen Technik und Taktik im wuchtigen Wasser in Erinnerung gerufen hatte, legte sich die Aufregung und alle Paddler rauschten nun aufrecht und mit viel Spaß durch den Canyon. Ein Genuss für uns alle.
Klaus versetzte mich mit seinem Durchhaltevermögen immer wieder in Erstaunen.
Er kniff weder vor den großen Stromschnellen noch vor den Wanderungen.
So schokoladenbraun wie am Horn-Creek-Rapid ist das Wasser des Colorado meist.
Und Klaus? Klaus kniff im Grand Canyon selbst vor den großen, schweren Stromschnellen mit klangvollen Namen wie Horn Creek, Hermit Rapid und Crystal nicht. Nur ein einziges Mal während des ganzen Trips musste er nach einer Kenterung aussteigen: in Lava-Fall, dem schwersten Rapid. In den hatten sich eh nur eine gute Handvoll der 28 Teilnehmer unserer Gruppe gewagt. Alle anderen waren auf das Raft umgestiegen.
Nach jedem Paddeltag schlugen wir unser Camp wildromantisch am Flussufer auf. Alle Teilnehmer (im Alter zwischen 14 und 71 Jahren) packten mit an. Klaus machte da keine Ausnahme. Ansonsten genossen wir unser Luxus-Camping, denn die Zubereitung von Frühstück, Lunch und Abendessen übernahmen unsere amerikanischen Raftguides. Unser Millionen-Sterne-Hotelzimmer verfügte sogar über eine eisgekühlte Badewanne: Der Colorado River ist circa 8 Grad Celsius kalt. Bei tagsüber knapp 30 Grad Lufttemperatur macht ihn das auch zum idealen »Cooler« für das Dosenbier.
Die Rahmenbedingungen einer organisierten und geführten Grand-Canyon-Kajaktour sind also durchaus entspannt. Es gibt aber auch einen anstrengenden Teil. Und auch bei dem war Klaus komplett dabei.
Die Wanderungen und Klettereien in den wunderschönen Seitencanyons machen einen großen Teil des Erlebnisses am Grand Canyon aus, besonders für die Nicht-Paddler, die »nur« auf dem Raft mitfahren. Das wollte auch Klaus sich nicht entgehen lassen: Ob es in Hitze und Staub 400 Höhenmeter auf schmalen Pfaden zu bewältigen galt oder wir uns durch tief ausgewaschene Felsspalten zwängen mussten, er zögerte nicht.
Auf die zwei dünnen Metallrohre seiner Krücken gestützt, bewältigte er krasse Steigungen, sprang über Absätze und balancierte an Abgründen entlang. An kniffeligen Kletterstellen und Passagen nahm er eine helfende Hand an. Lächelnd.
Idyllischer geht es kaum: unsere Übernachtungsplätze im Grand Canyon
Geht nicht – gibts nicht! … Rein ins Kajak und los in die Wellen!
Zurück am Fluss schnallte sich Klaus mit einem haltgebenden Gurt wieder im Kajak fest. Die beiden Krücken verschwanden in einer speziellen Halterung im Boot. Spritzdecke zu – und niemand hätte erahnt, dass da jemand nicht in einem ganz normalen Kajak sitzt. Respekt! Eine Grand-Canyon-Kajaktour ist für alle Teilnehmer unvergesslich. Die Tour mit Klaus aber wird ihm und mir als absolutes Highlight in unserem Leben in Erinnerung bleiben.
Dank der Raft-Transportkapazität kann Camp-Life richtig luxuriös sein.
Der Río Agua Azul gehört eindeutig zum Spektakulärsten, was Mexiko an Wildwasser zu bieten hat. Für mich persönlich zählt er zu den bedeutendsten Flussgöttern dieser Welt. Sowohl die Farbe als auch die Form seiner Wasserfälle sind einmalig.
Die Wasserfälle des Río Agua Azul liegen ganz im Süden von Mexiko im Bundesstaat Chiapas inmitten von tropischem Regenwald. In dieser tiefgrünen Umgebung kommen die ungewöhnlich leuchtenden Farben des Wassers besonders gut zur Geltung: Von Azurblau bis hin zu Smaragdgrün sind alle Schattierungen zu sehen – deshalb auch der Name, der übersetzt »blaues Wasser« heißt. Der hohe Mineraliengehalt des Wassers sorgt für diese Pracht. Die Farben sind richtig knallig und sehen schon fast künstlich aus. Und dadurch, dass der Fluss im Gestein auch noch lauter Becken geformt hat, kommt man sich vor wie in einem überdimensionalen Wasserpark.
Außerdem ist es warm. Sehr warm! Selbst wir Paddler trugen dort außer einer Badehose (und natürlich Schwimmweste und Helm) nichts, denn auch das Flusswasser ist warm. »Dress for water, not for air« lautet eigentlich die Grundregel für Wildwasser, denn normalerweise ist das Wasser der Flüsse kalt bis eiskalt. Wer sich da nicht warm genug angezogen hat, nur weil die Lufttemperatur angenehm ist, bekommt schnell ein Problem, falls er umkippt und schwimmen muss. Aber am Río Agua Azul hat das Wasser Badewannentemperatur.
Kein Wunder also, dass die Cascadas de Agua Azul jede Menge Touristen anziehen, die zum Planschen und Chillen hierher kommen. Und so hatten wir als Kajaker ein ungewohnt großes Publikum, als wir mit dem Kajak die über 500 Wasserfälle dort angingen. Handys waren auf uns gerichtet, alte Mexikaner mit Sombrero klopften uns hinterher auf die Schulter, füllige Señoras strahlten uns an und die Kinder waren hellauf begeistert, sich auch mal in unsere Boote setzen zu dürfen.
Das ist das Schöne, wenn du mit dem Kajak in Ländern unterwegs bist, in denen dieser Sport nicht so bekannt ist: Die Einheimischen bringen dir großes Interesse entgegen und du kommst ganz einfach in Kontakt mit den Menschen, gerade in Ländern, in denen die Mentalität so offen und herzlich ist wie in Mexiko.
Wasserfall-Fahren ist wie Salsa-Tanzen: So macht Mexiko Laune.
Bei dem Wasserstand lassen sich viele Stufen des Río Agua Azul direkt erkunden.
Hinab ins Vergnügen am steilsten Paddel-Fluss der Welt: dem Río Santo Domingo.
Wenn die Neugier größer als die Scheu ist: mexikanische Kinder am Río Agua Azul.
Bei der Befahrung der Wasserfälle am Río Agua Azul hatten wir ein ungewohnt großes Publikum.
Das Wunderbare am Agua Azul ist auch, dass wir viele der Wasserfälle in aller Ruhe erkunden konnten, denn es war Trockenzeit und der Wasserstand niedrig. Da das Wasser von Becken zu Becken fällt, konnten wir am hellen Rand des Beckens entlangbalancieren und nach der besten Linie Ausschau halten.
An vielen dieser Wasserfälle, gerade den höheren, ist es extrem wichtig, dieser Linie dann auch zu folgen, um nicht auf die Felsen rechts und links zu treffen.
Freundliche Gelassenheit begegnete uns überall im Land.
Im Rausch der Farben am Río Agua Azul.
Unten konnten wir uns aber erst einmal erholen, denn der Fluss zieht nicht gleich zum nächsten Fall weiter, sondern wir landeten meist in einer ruhigen Gumpe.
Es gibt Wasserfälle in den unterschiedlichsten Höhen: Zwischen fünf und 20 Metern ist alles geboten, wobei ein Wasserfall schöner ist als der andere. Wer sich die höheren (noch) nicht zutraut, kann diese gut umtragen oder umfahren. Man kann sich so langsam an die höheren Fälle herantasten.
Wir hatten bei unserer Expedition das Glück, Rafa Ortiz in unserem Team zu haben. Rafa ist ein mexikanischer Extrempaddler, der sich auch schon den höchsten jemals befahrenen Wasserfall (Pallouse Falls, 57,6 Meter hoch) hinuntergestürzt hat. Er konnte uns vor Ort einige Türen öffnen. So machte der Gouverneur von Chiapas gerade am Agua Azul Urlaub und wir durften seinen Helikopter tagelang nutzen. Dabei sind grandiose Aufnahmen entstanden.