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1. Im Herzschlag die Gier der Epoche: 1989 fiel die Berliner Mauer - Freiräume entstanden, auch für neue Mauern. Geschichtsschreibung erweist sich seitdem erneut als Gespensterkunde. Zwanzig Jahre nach der Wende blickt Theater der Zeit in einer Serie auf Ereignisse, Erfahrungen und Meinungen zwischen damals und heute. Teil 1: Heiner Müller inszeniert im Wendewinter am Deutschen Theater Berlin "Hamlet/Hamletmaschine". Im Spätherbst 1995 sah ich in einem Kreuzberger Kino einen Film über Robert Wilson. Heiner Müller, der zu dem ebenso untypischen wie unverkennbaren Texaner eine sentimentale Beziehung besaß, war auch gekommen. Er setzte sich auf einen Platz direkt vor mir. Ich sah, wie Müller - entkräftet von Krankheit - im Zeitlupentempo in den Sitz hinabsank. Das letzte Stück aber sackte er hinunter. Er fiel förmlich herab. Dies Bild habe ich immer noch vor Augen. Erst die furchtbar langsame Bewegung und dann plötzlich der schnelle Fall. Wenige Wochen später war er tot. 2. Das Lied der unreinen Gattung: Warum das zeitgenössische Musiktheater nur dort überzeugt, wo es die Genrezwänge der Oper hinter sich lässt. Es gibt einen Satz von Wolfgang Rihm, der wenig zuversichtlich stimmt: "Opernaufführungen sind ihre eigenen Begräbnisse", sagte der Karlsruher Komponist einmal und dachte vielleicht im Stillen dabei: Schlimmer kann's kaum noch kommen. Leider falsch. An der Oper Leipzig nämlich konnte von einem Begräbnis, womöglich noch in aller Stille, keine Rede sein. Es war eine verbale Steinigung, die sich hier jüngst abspielte, eine kollektive Ketzerhetze zur Austreibung des Bösen. So zumindest muss es Opernregisseur Michael von zur Mühlen vorgekommen sein.
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