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Dieser Band enthält folgende Romane: (499XE) Henry Rohmer: Alain Boulanger und der Heilige von Paris Pete Hackett: Dann wird Trevellian sterben Pete Hackett: Trevellian stand auf der Abschussliste Pete Hackett: Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko Die 17-jährige Juanita wurde unter falschen Voraussetzungen nach Amerika gelockt. Statt Geld zu verdienen wurde sie süchtig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Als ihr Vater das begreift macht er sich auf, die dafür Verantwortlichen zu suchen. Mädchenhandel ist ein Bundesvergehen, die FBI-Agents Trevellian und Tucker schalten sich ein, aber dann bekommt die Sache einen blutigen Anstrich.
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Seitenzahl: 486
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Thriller Quartett 4059
Copyright
Alain Boulanger und der Heilige von Paris: Frankreich Krimi
Dann wird Trevellian sterben
Trevellian stand auf der Abschussliste
Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko
Dieser Band enthält folgende Romane:
Henry Rohmer: Alain Boulanger und der Heilige von Paris
Pete Hackett: Dann wird Trevellian sterben
Pete Hackett: Trevellian stand auf der Abschussliste
Pete Hackett: Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko
Die 17-jährige Juanita wurde unter falschen Voraussetzungen nach Amerika gelockt. Statt Geld zu verdienen wurde sie süchtig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Als ihr Vater das begreift macht er sich auf, die dafür Verantwortlichen zu suchen. Mädchenhandel ist ein Bundesvergehen, die FBI-Agents Trevellian und Tucker schalten sich ein, aber dann bekommt die Sache einen blutigen Anstrich.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Kriminalroman von Henry Rohmer
Jeannot „Saint-Pierre“ Janvier, der Leiter einer wohltätigen Stiftung, ist als populärer Fernseh-Prediger der Liebling von Millionen. Und doch scheint es jemanden zu geben, der ihn so sehr hasst, dass er ihm die Halsschlagader durchschneidet. Der Mord scheint auf das Konto eines Serienmörders zu gehen. Der Sender beauftragt den Pariser Privatdetektiv Alain Boulanger mit den Ermittlungen, und der muss bald erkennen, dass nicht alle Spuren zu dem sogenannten Prominentenkiller führen. Alain ermittelt schließlich im Dunstkreis von Janviers Stiftung.
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COVER: A.PANADERO
Henry Rohmer ist ein Pseudonym von Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
Paris im Jahr 1995…
„Jesus lebt!“, rief die sonore, angenehm klingende Stimme von Saint-Pierre Janvier durch das Mikrofon, während im Hintergrund der Gospel-Chor summte.
Eigentlich hieß er Jeannot Janvier.
Saint-Pierre (“Petrus”) war nur sein Beiname, weil er die Gemeinde so mitzureißen vermochte.
Aber es gefiel ihm, dass man ihn so nannte.
Und auf Plakaten wurde er auch als Saint-Pierre Janvier angekündigt.
Jeannot „Saint-Pierre“ Janvier wandte sich jetzt ein paar Grad von seinem Publikum ab, das sich zum Teil in einem tranceartigen Zustand der Verzückung zu befinden schien. Zufriedene, entspannte Gesichter, vielfach geschlossene Augen und erhobene Hände. Indessen blickte Janvier direkt in die Kamera. Der hochgewachsene und etwas zum Übergewicht neigende Prediger mit dem angegrauten Bart und der sympathischen Stimme war in diesem Moment in vielen Wohnzimmern und Küchen zu sehen.
Janvier schloss ein paar Sekunden lang die Augen, ehe er wiederholte: „Jesus lebt! Und er ist jetzt mitten unter uns. Er ist mitten unter uns, aber er will nicht, dass wir die Hände einfach nur in den Schoß legen.“ Eine kleine, rhetorische Pause folgte. Ein Muskel zuckte in Janviers Gesicht, und er öffnete wieder die Augen. „Er will, dass wir Barmherzigkeit üben! Jeder einzelne von uns! An jeden von uns geht die Frage: Was kannst du tun, um das Leid deines Nächsten mitzutragen?“ Und dabei war sein rechter Zeigefinger direkt in die Kamera gerichtet. „Was kannst du tun, damit Alten und Kranken geholfen wird?“, fuhr Janvier fort. „Wir brauchen Krankenhäuser und Altenheime, wir brauchen Schulen, an denen unsere Kinder nicht nur den Umgang mit Drogen und Schlagringen lernen, um dann als Analphabeten ins Leben zu gehen – als Menschen, die nicht einmal in der Lage sind, Gottes Wort zu lesen!“ Eine weitere Pause folgte. „Aber das alles kostet Geld, sehr viel Geld. Mehr Geld, als die meisten von euch in ihrem ganzen Leben verdienen werden. Doch wenn jeder von euch, jeder, der in diesem Augenblick am Bildschirm sitzt und mich hier stehen sieht, nur einen Francs spendet, dann kämen schon mehrere Millionen zusammen.“
Auf Millionen Bildschirmen wurde jetzt eine Kontonummer eingeblendet. „Nur einen lumpigen Franc! Überlegen Sie sich, wie oft Sie einen Franc für etwas Sinnloses verschwenden!“
Der Gospel-Chor wurde jetzt lauter, und schließlich setzte das Playback für den Abspann ein.
Saint-Pierre Janvier ging den Flur zu seiner Garderobe entlang. Er fühlte sich müde und war froh, die wöchentliche Sendung hinter sich gebracht zu haben. Irgendjemand klopfte ihm auf die Schulter.
„Du warst großartig, Saint-Pierre!“, rief ihm einer ins Ohr und war dann auch schon wieder weg. Am Zigarrengeruch erkannte Janvier, dass es Jean Revére gewesen sein musste, der Aufnahmeleiter.
Einen Augenblick später stand Janvier dann vor seiner Garderobentür. Er hatte die Klinke schon heruntergedrückt, da packte ihn plötzlich jemand an der Schulter.
„Hey, Saint-Pierre! Einen Moment!“
Janvier drehte sich missmutig zu Simon Equert herum, der einen ganzen Kopf kleiner war als der Prediger. Equert war ein schmächtig wirkender Mann mit ungesunder Gesichtsfarbe. Und Kettenraucher. Auch jetzt steckte wieder so ein Glimmstängel zwischen seinen Fingern. Janvier konnte den Geruch nicht ausstehen. Und im Augenblick wollte er nichts anderes als einfach allein sein. In der Sendung hatte er sich mental völlig verausgabt.
Janvier seufzte genervt: „Was gibt es denn so Wichtiges, Simon?“
„Eine Unterschrift!“
„Hätte das nicht bis morgen Zeit?“
„Nein, Saint-Pierre, das muss heute noch raus!“
Simon Equert hielt dem Prediger einen Kugelschreiber unter die Nase. Janvier knurrte etwas Unverständliches in seinen Vollbart hinein, nahm den Stift und ließ sich die Papiere geben, auf denen seine Unterschrift vonnöten war. Janvier drückte die Dokumente lustlos gegen den breiten Türrahmen und kritzelte nachlässig seinen Namen – oder das, was andere dafür halten sollten.
„War das alles?“
„Ja“, nickte Equert. „Mach‘s gut, Saint-Pierre! Sehen wir uns morgen?“
„Auf jeden Fall! Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen.“
Equert hob die Augenbrauen. „Ach, ja?“
„Nicht jetzt. Morgen, Simon, morgen …“ Er rieb sich die müde wirkenden Augen und wandte sich zur Tür. „Grüß Catherine von mir!“
Equerts Gesicht veränderte sich ein wenig. In seinen blassblauen Augen blitzte es auf einmal. Aber das dauerte nur einen Augenblick lang. Equert grinste schwach und sah, wie Saint-Pierre Janvier in seiner Garderobe verschwand. Sekunden später ließ Janvier sich in seinen Sessel fallen und schloss die Augen. Er versuchte nichts anderes als einfach abzuschalten, aber auch bei geschlossenen Augen sah er die Menschenmenge vor sich, die zu ihm aufblickte und wie hypnotisiert an seinen Lippen hing. Es dauerte immer eine Weile, bis er diese Bilder loswurde und normal denken konnte.
Jeannot „Saint-Pierre“ Janvier hatte keine Ahnung, wie lange er so in seinem Sessel gesessen hatte, als es plötzlich an seiner Garderobentür klopfte. Das ließ ihn aus seiner Versenkung hochschrecken.
„Ja?“
Janvier stand auf und öffnete.
Dann ging es blitzschnell, und ehe Janvier begriffen hatte, was vor sich ging, war er schon so gut wie tot. Ein rasierklingenscharfes Messer hatte ihm im Bruchteil einer Sekunde die Halsschlagader geöffnet. Janviers Gesicht wurde starr, seine Augen traten vor Schrecken unnatürlich weit aus ihren Höhlen heraus. Mit beiden Händen fasste er sich an den Hals, aber das Blut rann ihm in Strömen zwischen den Fingern hindurch. Panik erfasste Janvier. Er wollte schreien, aber es kam nicht ein einziger Laut über seine Lippen. Er wusste, dass es aus war, wenn nicht noch ein Wunder geschah. Er röchelte und blickte dabei seinem Mörder in die Augen, der einige schrecklich lange Sekunden damit verbrachte, seinem Opfer beim Sterben zuzusehen.
Dann wandte sich der Mörder ab, schloss die Tür und machte sich davon.
Ihr Kostüm saß knapp, aber korrekt. Und an ihrer Frisur schien jedes einzelne Haar ihrer brünetten Mähne exakt gestylt worden zu sein. Vermutlich gehörte sie zu denjenigen, die in ihrem Job wie eine gut geölte Uhr funktionierten und die Karriereleiter unaufhaltsam nach oben rutschten. Wenn sie überhaupt einen Fehler hatte, dann vielleicht den, dass sie sehr schnell sprach.
„Wie bitte?“, unterbrach daher der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs sie stirnrunzelnd.
Sie hieß Marie-Laure Challier und war bei einem Kabel-TV-Sender angestellt, der in letzter Zeit durch sprunghaft gestiegene Einschaltquoten innerhalb der Branche von sich reden gemacht hatte.
„Ich bin wegen des Mordes an Jeannot Saint-Pierre Janvier bei Ihnen, Monsieur Boulanger. Ich nehme an, Sie haben davon gehört.“
Alain Boulanger, der bekannte Pariser Privatdetektiv, ließ die Zigarette kurz zwischen seinen Lippen aufglimmen und nickte dann.
„Ich habe flüchtig in der Zeitung davon gelesen. Saint-Pierre Janvier? Das ist doch dieser TV-Prediger oder?“
„Ja. Monsieur Janvier hatte bei uns eine wöchentliche Sendung, die überaus erfolgreich war. Wir bekommen Waschkörbe voller Briefe, in denen die Leute fordern, dass der Schuldige endlich zur Rechenschaft gezogen wird.“
„Und?“, fragte Alain. „Gibt es schon Hinweise?“
„Das ist es ja eben“, meinte Marie-Laure Challier. „Unserem Eindruck nach tritt die Polizei auf der Stelle. Der Mord war am Dreizehnten dieses Monats …“
„Das ist mehr als eine Woche her!“
„Ja, sehr richtig! Und bis jetzt scheint man noch kein Stück weiter zu sein. Die machen zwar immer einen Nebel aus schönen Worten um die Sache, aber es läuft darauf hinaus, dass sie nichts in der Hand haben. Nicht das Geringste!“ Sie zuckte mit den zierlichen Schultern. „Und genau aus diesem Grund sitze ich ja nun auch hier in Ihrem Büro, Monsieur Boulanger! Sie sollen sehr gut in Ihrem Job sein.“
„Danke. Aber meine Dienste kosten auch ‘ne Kleinigkeit.“
„Kein Problem. Ich bin autorisiert, Ihnen einen Vorschuss anzubieten. Ansonsten versichere ich Ihnen, dass unser Unternehmen sich nicht kleinlich zeigen wird.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, das aber kalt und geschäftsmäßig wirkte. Sie öffnete ihre Handtasche und zog einen Scheck hervor, den sie dann vor Boulanger auf den Tisch legte.
„Moment! Ich habe noch nicht gesagt, dass ich den Auftrag an…“ Alain brach abrupt ab, als er die Summe sah, die auf dem Formular eingetragen war. Er sah seiner Auftraggeberin offen ins Gesicht. „Ich brauche ein paar Informationen“, meinte er knapp.
Sie nickte. „Ich habe ein Dossier zusammengestellt, das für Sie sicher hilfreich sein wird.“
Sie legte eine graue Mappe auf den Tisch, die Alain an sich nahm. Der Privatdetektiv blätterte ein wenig darin herum. Unterdessen ging die Tür auf und Jeanette Levoiseur, Boulangers bildhübsche Assistentin, betrat den Raum. Sie brachte Kaffee, und den hatte besonders Alain auch dringend nötig, denn den Großteil der vergangenen Nacht war er mit einer Observation beschäftigt gewesen.
Marie-Laure Challier hob nur kurz die Augenbrauen, als Jeanette ihr einschenkte. Dann blickte sie zu Alain, der gerade an seiner Tasse schlürfte. „Ich hoffe, Sie sind zufrieden.“
Alain nickte beifällig.
„Ich sehe, dass Saint-Pierre Janvier Vorsitzender einer Stiftung ist …“
„War“, verbesserte Madame Challier. „Er war Vorsitzender der Gute-Sache-Stiftung. Und zwar schon seit Jahren.“
„Sein Fernseh-Job war als mehr oder weniger eine Nebentätigkeit?“
„Ja, so kann man es sagen. Aber Janvier hatte außergewöhnliches Talent. Wir hatten vorher schon eine ähnliche Sendung, aber Janvier war besser. Und zwar um Längen!“
„Woran lag das?“, fragte Alain.
„An Janvier. Ganz allein an ihm. Sagen Sie bloß, Sie haben die Sendung nie gesehen, Monsieur Boulanger!“
Alain lächelte dünn.
„Nun, in meinem Job hat man keinen geregelten Feierabend. Wenn andere Leute vor der Glotze sitzen, habe ich oft noch was zu tun.“
„Ich verstehe.“
„Und was war nun so besonders an Janvier? Er ist ja schließlich nicht der einzige Prediger auf dem Schirm.“
„Ja, und außerdem knöpfte er den Leuten noch Geld ab“, nickte Madame Challier. „Aber das nahm einem Mann wie Jeannot Saint-Pierre Janvier niemand übel. Er hatte einfach das gewisse Etwas. Persönlichkeit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sein Tod stürzt unseren Sender natürlich in erhebliche Schwierigkeiten. Aber das ist nicht Ihr Problem, Monsieur Boulanger.“
„Glücklicherweise. Ich frage mich, weshalb ein so beliebter Mann umgebracht wird. Hatte er vielleicht Feinde?“
„Nein. Er wurde von einer breiten Sympathiewelle getragen. Natürlich gibt es da immer die üblichen Rivalitäten.“ Sie machte eine Pause und meinte dann: „Wenn Sie keine Fragen mehr haben …“
Sie erhob sich, und Alain brachte sie noch zur Tür. Als er zurückkam, sah er Jeanette in den Unterlagen blättern, die Madame Challier zurückgelassen hatte.
„Die Halsschlagader aufgeschnitten. Kling ja ziemlich schlimm, Alain! Was hältst du davon?“
Alain Boulanger zuckte die Achseln.
„Ich weiß es noch nicht. Die Sache ist eine Woche her.“
Jeanette strich sich die blonde Mähne zurück. „Zu lang, denkst du?“
„Ich will‘s nicht hoffen!“
Die Gute-Sache-Stiftung hatte ihre Büros in einer piekfeinen Etage in Paris-Mitte. Von Alain Boulangers Residenz in der Rue Saint-Dominique aus war es nicht weit entfernt.
„Was kann ich für Sie tun?“, lächelte ein entzückendes, braunäugiges Wesen Alain an, als er dort auftauchte. Die junge Frau hatte ein fein geschnittenes Gesicht. Ihre Haare waren genau in der richtigen Mischung aus Eleganz und Lässigkeit hochgesteckt.
Alain musterte ganz kurz die geschwungene Linie ihres grazilen Körpers und erwiderte dann ihr Lächeln.
„Mein Name ist Boulanger und ich …“
„Der Privatdetektiv?“
Alain hob die Augenbrauen.
„Na, sollte es wirklich wahr sein, dass ich schon so bekannt bin?“, meinte er ironisch. „Sagen Sie mir, wie ich noch als Detektiv arbeiten soll, wenn mich jeder kennt?“
Sie zwinkerte ihm zu und gab zurück: „Ich hoffe nicht, dass Ihre Eitelkeit allzu großen Schaden nimmt, wenn ich Ihnen verrate, dass ich nur deshalb erraten habe, wer Sie sind, weil es vorher hier die Runde gemacht hat, dass der Sender Sie engagiert hat.“
Alain zuckte die Achseln.
„Ich hoffe, ich werde es überleben.“
„Das hoffe ich allerdings auch.“ Ihr Augenaufschlag war unnachahmlich.
„Eigentlich bin ich hier, weil ich mit Monsieur Equert sprechen möchte“, erklärte Alain. „Er leitet doch jetzt die Stiftung, oder irre ich mich?“
„Nein, Sie irren sich nicht. Er war Saint-Pierre Janviers Stellvertreter und nun … Es war irgendwie logisch, dass er den Posten übernimmt.“
„Tritt er auch im Fernsehen auf?“
„Nein. Dazu hat er kein Talent.“
„Ich verstehe. Wo ist Equerts Büro?“
„Dahinten.“
Boulangers Blick folgte ihrem schlanken Arm. „Danke.“
Alain wollte sich schon in Bewegung setzen, da hielt ihre Stimme ihn zurück.
„Er ist nicht dort“, meinte sie im Brustton vollkommener Überzeugung. Sie begegnete Alains Blick und sah ihm offen in die Augen. „Sie können mir ruhig glauben, Monsieur Boulanger.“
„Sehe ich so aus, als würde ich Ihnen misstrauen, Mademoiselle …“
„Clavoire. Leocardie Clavoire. Und wenn Sie es genau wissen wollen: Sie sehen so aus, als würden Sie mir nicht ein einziges Wort glauben!“
Alain grinste und zuckte die Achseln.
„Berufskrankheit, schätze ich. In meinem Job wird man ziemlich oft belogen, wissen Sie?“
„Sie Ärmster!“
„Wie wär‘s, wenn wir beide uns ein bisschen unterhalten? Schließlich ist Equert ja nicht da.“
„Liebend gerne, Monsieur Boulanger. Aber nicht während der Bürostunden. Ich habe jede Menge Arbeit, die darauf wartet, erledigt zu werden.“
„Was ist das denn für Arbeit?“
„Zum Beispiel überprüfe ich im Augenblick die Spesenabrechnungen unserer Mitarbeiter.“
Alain lächelte charmant.
„Ich glaube, wir sollten uns nach Büroschluss mal treffen. Wenn Sie mehr Zeit haben!“
Sie lachte und zeigte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. „Setzen Sie immer alles so auf eine Karte?“, gab sie den Ball zurück.
„Ab und zu schon“, nickte Alain.
Sie schenkte ihm ein entzückendes Lächeln. „Und warum jetzt?“
„Ich suche einen Mörder.“
„Wissen Sie was? Jetzt glaube ich Ihnen nicht!“
„Die Gedanken sind frei, Mademoiselle Clavoire!“
Ein breitschultriger Mann in mittleren Jahren tauchte jetzt hinter Leocardie auf. Er hatte eine hohe Stirn und einen kräftigen, schwarzen Haarkranz. Eine modische Brille mit rotem Gestell gab seinem Gesicht etwas Markantes. Er nahm Alain zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis, sondern wandte sich an Leocardie.
„Mademoiselle Clavoire, ich muss Sie dringend sprechen, wenn Sie gleich mal in mein Büro kommen könnten.“
„Natürlich.“
„Gehen Sie schon einmal vor, ich komme gleich nach!“ Sie nickte, wechselte einen letzten Blick mit Alain und ging dann. Währenddessen unterzog der Mann Alain einer sekundenschnellen, aber sehr kritischen Musterung.
„Ich habe Sie noch nie hier gesehen“, bekannte er.
„Ich bin Alain Boulanger …“
„Ach so! Ja, der Sender macht eine Menge Wirbel wegen des Mordes an Monsieur Janvier. Aber ich glaube nicht, dass Sie mehr herausbekommen als die Polizei.“ Er zuckte die Achseln. „Ein Verrückter, so meinte der Mann von der Polizei, als er hier war. Ein Psychopath, der es auf Prominente abgesehen hat.“ Plötzlich hielt er Alain die Hand hin. „Entschuldigung, ich bin ziemlich unhöflich, was? Mein Name ist Glacière. Serge Glacière. Ich bin für die Buchhaltung der Stiftung zuständig.“ Er lachte heiser. „Ich könnte es auch anders ausdrücken: Ich bin eine gut bezahlte Sekretärin zum ordentlichen Abheften von Belegen.“
„Das klingt sehr bitter“, stellte Alain fest.
„Na, ich hoffe, dass wenigstens Sie einen interessanten Job haben, Monsieur Boulanger.“
Und damit war er auch schon weg.
Boulanger brauchte nicht lange zu warten, dann schneite Simon Equert doch noch herein, begrüßte Alain mit etwas übertrieben wirkender Freundlichkeit und führte ihn dann in sein Büro. Zwischen den Fingern hatte er dabei eine Zigarette, an der er ziemlich regelmäßig alle zwei bis drei Sekunden zog. Er hatte ein blasses Gesicht, aber in seinen Augen funkelte es jetzt. Er wirkte irgendwie ziemlich aufgekratzt.
„Setzen Sie sich!“, sagte er und bot Alain einen Platz an. Dabei fiel der Blick des Privatdetektivs auf ein Türschild, das man irgendwo abgelegt hatte. „Saint-Pierre Janvier“ stand darauf.
„War dies früher Monsieur Janviers Büro?“
„Ja, aber jetzt habe ich seine Funktionen übernommen. Und auch sein Büro. Obwohl …“
„Obwohl was?“
„Nun, im Grunde habe ich schon lange die Arbeit gemacht, wissen Sie? Saint-Pierre hatte das Charisma. Die Ausstrahlung, die Wirkung auf Menschen. Mit dem, was sich hier unten auf der Erde abspielte, hatte er nicht viel zu tun. Die Kleinigkeiten interessierten ihn nicht. Er schwebte immer ein bisschen über den Wolken, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Ich denke schon.“
„Tja, wir kommen natürlich jetzt in einige Schwierigkeiten.“
„Weil keiner Saint-Pierre Janvier bei seinen Fernsehauftritten ersetzen kann?“
„So ist es. Wir verhandeln mit Maurice Heliére. Vielleicht kennen Sie ihn, er hatte eine religiöse Sendung auf demselben Kanal, bevor es Saint-Pierre Janviers Show gab. Heliéres Sendung wurde dann abgesetzt, weil Saint-Pierre einfach besser war. Jetzt verhandele ich gerade mit Heliére. Aber der ist auch allenfalls eine Übergangslösung …“
Alain lehnte sich zurück und nahm eine von seinen eigenen Zigaretten, um sie sich in den Mund zu stecken und anzuzünden. Dabei fiel sein Blick auf das kleine Kreuz, das Equert als Anstecknadel unübersehbar am Revers seines Jacketts trug. Es war aus Rotgold und wirkte fast wie ein Erkennungszeichen. Hier trug jemand seine Überzeugung sichtbar vor sich her, so dass sie von ja niemandem übersehen werden konnte.
„Janvier wurde in der Garderobe des Studios ermordet, nicht wahr?“
„Ja.“
„Hatte denn da jeder Zutritt?“
„Im Prinzip, nein.“
„Was heißt im Prinzip?“
„Die Garderobe war Saint-Pierres Heiligtum. Da durfte ihn niemand stören. Jeder hat das respektiert.“
„Der Mörder nicht.“
Equert beugte sich etwas vor. Der Zug, den er jetzt von seiner Zigarette nahm, verriet ein wenig Nervosität.
„Hören Sie, Monsieur Boulanger! Jeder konnte in diese Garderobe hinein. Nach so einer Sendung entsteht immer ein großer Tumult. Da laufen Dutzende von Menschen auf den Fluren herum. Der eine will dies, der andere das. Außerdem haben wir immer mit Publikum gedreht. Manche der Leute verlaufen sich einfach und benutzen die falsche Tür, weil sie denken, dass sie zum Ausgang gelangen.“
„Ein Mann, der so in der Öffentlichkeit stand wie Monsieur Janvier … Sorgte der sich nicht um seine Sicherheit?“
Equert zuckte heftig mit den Achseln, und zwar zweimal kurz hintereinander. Es war eine ziemlich übertrieben wirkende Geste.
„Er wollte davon nichts wissen“, meinte der blassgesichtige Mann dann. „Er glaubte an das Gute im Menschen. Und irgendwie muss ich ihm recht geben.“
„Inwiefern?“
„Na, wer bringt schon einen Menschen wie Saint-Pierre Janvier um, der in seinem ganzen Leben nichts anderes getan hat, als Menschen zu helfen? Gehen Sie auf die Straße, fragen Sie die Leute danach, was sie von ihm halten! Ich sage Ihnen, Sie werden große Schwierigkeiten haben, jemanden zu finden, der ihn nicht mochte.“
„Einen gibt es aber!“
„Ein Verrückter! Eine andere Erklärung habe ich dafür nicht. Oder fällt Ihnen was Besseres ein, Monsieur Boulanger?“
„Noch nicht.“
Als Alain wieder hinter dem Steuer seines champagnerfarbenen 500 SL saß, konnte er sich nicht so recht entscheiden, was er von Simon Equert halten sollte. Irgendetwas war merkwürdig an dem Mann. Aber es war nichts Greifbares. Jedenfalls machte er nicht unbedingt den Eindruck, als würde er aus Trauer über den Tod seines Chefs zerfließen. Das Gegenteil schien der Fall zu sein. Aber das war noch kein Verbrechen, nicht einmal für den Vorsitzenden einer frommen, christlichen Stiftung. Equert hatte einen Karrieresprung nach vorne gemacht und freute sich darüber. Dafür, dass er seine Freude darüber so schlecht verbergen konnte, konnte man ihn nicht verurteilen. Schauspielerei war ja schließlich auch nicht Equerts Job. Und dann war da noch Leocardie Clavoire. Ihr hübsches Gesicht ging Alain nicht aus dem Kopf – und das hatte nichts mit dem Mord zu tun, den er aufzuklären hatte. Sie war einfach eine aufregende Frau.
Alain versuchte per Autotelefon seinen Freund Paul Dubois vom Morddezernat Paris-Mitte zu erreichen. Vielleicht hatte Dubois Informationen, die Alain in der Sache weiterbringen konnten. Schließlich fiel der Fall ja in den Zuständigkeitsbereich seiner Abteilung, und auch wenn er nicht selbst daran arbeitete, so doch mit Sicherheit einer seiner Kollegen. Aber Dubois war nicht aufzutreiben.
Stattdessen traf Alain nur Commissaire Brionne an, seines Zeichens Dubois‘ Stellvertreter. Der Detektiv kannte auch Brionne recht gut. Er hatte schon des Öfteren mit ihm zusammen ermittelt, und so war der Commissaire so freundlich, Alain zu verraten, wo sein Vorgesetzter jetzt zu finden war. Brionne nannte eine Adresse.
„Ein Tatort?“, fragte Alain.
„Ja. Und wenn es nicht sehr wichtig ist, was du von ihm willst, dann solltest du dort nicht auftauchen, Alain.“
„Warum nicht?“
„Ich habe das nur so am Rande mitgekriegt, aber es muss ziemlich unappetitlich sein. Also nichts für schwache Nerven!“
„Na, ich werde schon nicht gleich umfallen. Worum geht es denn?“
„Aufgeschnittene Halsschlagader. Also ich bin nicht gerade traurig, dass ich nicht dabei bin.“
Eine Viertelstunde später stand Alain in der Eingangstür zu einer schmucken Wohnung in Marais. Er hatte nur wenige Schwierigkeiten gehabt, an den Polizisten vorbeizukommen, die die Schaulustigen vom Tatort abschirmen sollten. Einige der Leute kannte er nämlich.
Ein Blick auf das Schild an der Klingel hatte Alain verraten, von wem die Wohnung bewohnt wurde. Der Mann hieß Dariusz Korzeniowski – wie immer das auch korrekt auszusprechen war. Schon im Flur sah Alain Blutspuren.
Im großzügig ausgestatteten Wohnzimmer sah Alain dann die berühmten Kreideumrisse. Die Leiche war offenbar schon abgeholt worden. Und wenn man nach den Begleitumständen ging, war das vielleicht auch besser so. Dann fiel Alains Blick auf die massige Gestalt von Commissaire Paul Dubois, dessen Gesicht im Augenblick kaum Farbe hatte.
Nach dem, was er hier vorgefunden haben musste, war das auch nicht weiter verwunderlich.
„Komm ruhig herein!“, meinte Dubois, als er den Privatdetektiv sah. „Die Spurensicherung war schon hier und hat alles aufgenommen.“
„Sieht ja schlimm aus!“
Dubois zuckte die Achseln.
„Ein Psychopath, Alain! Er hat es nur auf Prominente abgesehen. Am liebsten wäre ihm wahrscheinlich der Präsident, aber der wird wohl zu gut bewacht. So musste er sich mit einem Schauspieler begnügen.“
„Dariusz Korzeniowski? Kann ja sein, dass ich in der Branche nicht so auf dem Laufenden bin, aber ich habe noch nichts von ihm gehört.“
„Kein Wunder. Seinen bürgerlichen Namen kann ja auch kein Mensch richtig aussprechen, deshalb nannte er sich beruflich Darry Korz.“
„Den Namen habe ich in riesengroßen Lettern auf Plakaten gesehen!“
Dubois nickte.
„Stimmt. Er war ein Musical-Star, der zu einer Art Senkrechtstart angesetzt hatte. Sein fünftes Opfer. Der Letzte in der Reihe war Saint-Pierre Janvier, der Fernsehprediger …“
„Bist du sicher, Paul?“
Der Commissaire runzelte die Stirn. „Was soll das heißen? Was machst du überhaupt hier?“
„Brionne war so nett, mir zu sagen, wo du bist. Ich arbeite an dem Janvier-Fall!“
Paul Dubois verzog das Gesicht.
„Dann sind wir ja hinter demselben Wahnsinnigen her.“
„Vielleicht“, meinte Alain. „Was habt ihr denn bisher in der Hand?“
Dubois schlug Alain freundschaftlich auf die Schulter.
„Komm!“, meinte er. „Wenn wir uns unterhalten wollen, dann braucht das ja nicht unbedingt an einem solchen Ort zu sein, oder?“
Ein paar Augenblicke später befanden sich die beiden Männer im Freien. Alain zündete sich eine Zigarette an, während er dem Commissaire aufmerksam zuhörte.
„Der Kerl tötet immer auf dieselbe Weise“, sagte Dubois. „Mit einem Rasiermesser oder etwas ähnlich Scharfem. Er ist Rechtshänder und trägt Schuhgröße einundvierzig. Er ist in die Blutlache getreten, als er bei Janvier in der Garderobe war, und hat ein paar Fußabdrücke hinterlassen. Aber ich glaube nicht, dass man damit viel anfangen kann. Wenn er wenigstens orthopädische Spezialschuhe getragen hätte …“
„Er?“, hakte Alain nach.
„Kann auch eine Frau sein. Auf jeden Fall aber mindestens eins-fünfundsiebzig groß. Das meint jedenfalls der Gerichtsmediziner. Bei einem kleinen Täter wäre die Schnittführung anders gewesen.“
Alain seufzte und blies dabei einen Schwall von Rauch hinaus.
„Besser wäre, wenn wir es mit einem Linkshänder mit Riesenfüßen zu tun hätten, was?“
„Auch davon gibt es Millionen, Alain.“
„Keine Fingerabdrücke?“
„Nein.“ Dubois zuckte mit den Schultern. „Ein Irrer, der unbedingt in den Medien erwähnt werden will!“, meinte der Commissaire. „Sinngemäß meint das jedenfalls unser Psychologe. Der Täter sucht sich berühmte Opfer, um selbst berühmt zu werden. Und er benutzt immer dieselbe Methode, damit man weiß, dass er es war. Und wie es scheint, ist seine Rechnung bislang aufgegangen. Die Zeitungen schreiben über ihn, und selbst in den Fernsehnachrichten haben sie etwas über ihn gebracht.“
„Kein Wunder, wenn man Publikumslieblinge wie Saint-Pierre Janvier ermordet!“
„Du sagst es!“
„Janvier war verheiratet, nicht wahr?“
„Ja.“
„Ich nehme an, du hast mit der Witwe gesprochen.“
„Nein, nicht ich. Commissaire Nourreddine war dort. Aber es ist nicht viel dabei herausgekommen. Keine Drohbriefe, keine Feinde, nichts.“ Dubois seufzte und setzte dann noch hinzu: „Solche Fälle mag ich nicht, Alain. Ich bin da ganz ehrlich. Es ist zu viel Öffentlichkeit im Spiel. Jeden Tag ruft ein gutes Dutzend Journalisten in meiner Abteilung an, um nach Ergebnissen zu fragen. Dabei merken diese Leute gar nicht, dass sie dem Killer mit ihrer Berichterstattung genau das geben, was er haben will.“
Boulanger zuckte die Achseln.
„Was sollen sie machen? Nichts berichten? Es ist ihr Job!“
„Apropos Job … Wer hat dich eigentlich engagiert, Alain?“
„Der Sender, bei dem Janvier seine Sendungen hatte.“
Dubois grinste.
„Dann trauen die unserer Arbeit wohl nicht über den Weg.“
„Sagen wir‘s so, Paul: Sie meinen, dass ihr Unterstützung vertragen könntet!“
„Ich will eine andere Band und einen anderen Chor! Und dieses Bühnenbild ist zum Kotzen!“
„Monsieur Heliére …“
„Außerdem sollte man etwas am Konzept der Sendung ändern. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht und auch schon mit dem Regisseur gesprochen, ob sich das machen lässt.“
„Monsieur Heliére, die Sendung ist beliebt, und ich werde nicht zulassen, dass auch nur ein Jota am Konzept geändert wird! Haben Sie kapiert?“
„Jetzt hören Sie mal zu, Monsieur Leglise …“
„Nein, ich will nichts mehr hören! Seien Sie froh, dass Sie überhaupt noch eine Chance bekommen! Ich glaube nicht, dass man Sie noch einmal auf den Schirm gelassen hätte, wenn Saint-Pierre Janvier noch leben würde. Aber leider haben wir im Moment kein anderes Gesicht für die Sendung. Also seien Sie zufrieden, Heliére!“
Die beiden Männer drehten sich fast im selben Moment herum, als sie die Schritte hörten, die in dem leeren Studio widerhallten.
„Was machen Sie hier? Wie kommen sie überhaupt hier herein?“, rief Maurice Heliére ziemlich ungehalten.
Der Mann, der da offenbar den letzten Teil des Gesprächs mitgehört hatte, lächelte. „Mein Name ist Alain Boulanger“, erklärte er. „Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Fall Janvier.“
„Trotzdem, Sie können hier nicht einfach so herumschnüffeln!“, ereiferte sich Heliére, der offenbar einen Teil des Dampfes, der eigentlich noch für Monsieur Leglise bestimmt gewesen war, nun an Boulanger ausließ.
Alain nahm das mit Gelassenheit hin.
„Ich darf“, sagte er. „Ich habe die Erlaubnis, mich überall umzusehen. Fragen Sie nach!“
Heliére machte eine wegwerfende Geste.
„Macht doch alle, was ihr wollt!“, schimpfte er und stampfte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Alain sah ihm einen Moment lang nach und wandte sich dann an Leglise.
„Was ist denn mit dem los?“
„Kleine Meinungsverschiedenheit. Nichts, was Sie interessieren muss, Monsieur Boulanger.“
„Ist das der Nachfolger von Jeannot Saint-Pierre Janvier?“
„Ja. Vorausgesetzt, wir können uns mit der Gute-Sache-Stiftung einigen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Die Stiftung besitzt alle Rechte am Sendekonzept und spricht auch bei der Besetzung mit. Das hat dieser Equert so arrangiert. Ein schlauer Fuchs, bei dem muss man immer zweimal hinsehen, bevor man irgendwo seinen Namen hinsetzt.“
„Ich habe mit Equert gesprochen. Er schien mir nicht so begeistert von Heliére zu sein.“
„Bin ich ebenfalls nicht. Aber mangels Alternative wird er es wohl so lange machen, bis ein besserer auftaucht. Er hatte früher schon einmal eine Sendung …“
„Aber dann kam Janvier!“
Leglise blickte auf und sah Alain direkt in die Augen.
„Sie wissen aber schon ganz gut Bescheid – dafür, dass Sie noch nicht lange an dieser Sache dran sind. Mir war übrigens von Anfang an bekannt, dass Sie derjenige sind, den die da oben engagiert haben.“
„In einem Laden wie diesem kann man wohl nichts geheim halten, was?“
Leglise lachte.
„Nein, das braucht man gar nicht erst zu versuchen. Völlig zwecklos!“
„Ich bin eigentlich nur hier, um mir mal den Tatort anzusehen“, erklärte Boulanger dann. „Vielleicht könnten Sie mir behilflich sein.“
Leglise zuckte die Achseln.
„Warum nicht? Kommen Sie!“
Leglise ging voraus, und Alain folgte ihm. Als sie durch den Flur zur Garderobe gingen, fragte Alain: „Was ist eigentlich Ihr Job?“
„Ich bin der Produzent der Sendung. Man kann auch sagen, Mädchen für alles. Jedenfalls komme ich mir oft so vor. Aber ich bin stolz darauf, die einzige wirkliche Livesendung zu machen, die auf unserem Kanal läuft.“
Dann waren sie am Ziel. Leglise öffnete die Garderobentür und ging voran. „Natürlich ist hier alles umgeräumt. Das Studio wurde zwischenzeitlich für andere Produktionen benutzt.“ Er zuckte die Achseln. „Unser Geschäft ist schnelllebig, Monsieur Boulanger. Wie heißt es doch so schön? The show must go on …“
„Sie arbeiten doch mit Publikum, nicht wahr?“
„Bei Janviers Sendung schon.“
„Wenn die Sendung zu Ende ist, dann könnte jeder aus dem Publikum hierherkommen, ohne dass es besonders auffällt, oder?“
„Wir bemühen uns, dass es nicht passiert, aber bei dem allgemeinen Trubel …“
„Ich verstehe“, nickte Alain.
„Wirklich? Was glauben Sie, was hier dann los ist! In der Halle da draußen sind dann annähernd tausend Menschen.“
„Könnte außer diesen Tausend noch jemand unbefugt hierher gelangt sein?“
„Nein. Also, ich will mich nicht für unsere Pförtner verbürgen, aber normalerweise braucht man eine ID-Karte, die sichtbar am Revers zu tragen ist.“ Er lächelte. „So wie das Ding, das man Ihnen gegeben hat, Monsieur Boulanger.“
„Und die Leute aus dem Publikum? Bekommen die auch solche Karten?“
Leglise schüttelte den Kopf.
„Nein. Aber die haben vorher eine Eintrittskarte erworben.“ Er grinste. „Ab hundert Franc sind Sie dabei. Aber es ist ja für einen guten Zweck.“
„Das heißt, wer immer Janvier umgebracht hat, er gehörte entweder zum Publikum oder hatte hier im Sender an jenem Abend zu tun.“
Monsieur Leglise hob die Augenbrauen. „Sie sind der Detektiv!“
„Ich brauche eine Liste der Leute, die am Dreizehnten hier waren. Publikum, Angestellte. Einfach alle.“
„Wenden Sie sich an Madame Gandon in der siebten Etage. Wenn man Sie wirklich von ganz oben her autorisiert hat, dann wird eine solche Liste keine Schwierigkeiten machen. Aber ich warne Sie: Es werden sehr, sehr viele Namen darauf stehen. Ob Sie damit etwas anfangen können …“
„Irgendwo muss man ja anfangen …“
Hervé Angeres‘ Rechte umschloss den Griff des Rasiermessers, als die Meldung im Radio kam. Darry Korz, der Musical-Star, war in der vergangenen Nacht ermordet worden. Und die Polizei vermutete, dass der sogenannte Prominentenkiller für die Tat verantwortlich war. Angeres verzog das Gesicht, als das Messer seine Haut ritzte. Der weiße Rasierschaum färbte sich an einer Stelle rot. Angeres fluchte und stillte die Blutung.
Als er wenig später mit der Rasur fertig war, klebte er ein Pflaster auf die Wunde und blickte in den Spiegel. Bis in den frühen Nachmittag hatte er geschlafen, aber sein Spiegelbild wirkte trotzdem müde und abgeschlagen. Angeres war gerade fünfzig geworden, aber als er sich selbst so gegenüberstand und in die blassblauen Augen mit den großen Tränensäcken sah, erblickte er einen Mann, der mindestens zehn Jahre älter war.
Er atmete tief durch und verließ dann das Bad. Er wankte dabei, was an dem Bourbon lag, den er auf nüchternen Magen getrunken hatte.
Das Wohnzimmer war ein einziges Chaos. Bierdosen standen überall herum. Es stank nach einem drei Tage alten, halb verzehrten Hot Dog.
Angeres kämmte sich mit der Hand das schüttere Haar aus dem Gesicht.
Sein Blick fiel auf ein Foto, das eine Frau und ein Mädchen zeigte. Es war jedes Mal schmerzhaft für ihn, dieses Bild anzuschauen. Auch jetzt noch, so viele Jahre nach dem Unfall. Unfall!, dachte er bitter und langte nach der Bourbonflasche, um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Unfall mit Fahrerflucht. Und in Hervé Angeres‘ Augen konnte man dazu auch Mord sagen.
Jemand hatte zwei Leben ausgelöscht, und es gab nichts, was sie wieder zurückbringen konnte. Nichts!
Angeres schluckte.
Seit jenem Tag hatte sich alles geändert. Nichts war seit damals mehr so, wie es einmal gewesen war. Zu allem Überfluss war es auch noch der Vorsitzende einer frommen Stiftung gewesen, der dafür verantwortlich war, dass Hervé Angeres seine Familie verloren hatte.
Jeannot ‘Saint-Pierres Janvier …
Ein Mann, der vielen half, der seit einiger Zeit sogar vom Fernsehschirm aus dazu aufforderte, für alle möglichen karitativen Zwecke Geld zu spenden. Ein Heuchler, der nur anderen ein schlechtes Gewissen machte, damals aber nicht einmal zu seiner eigenen Verantwortung hatte stehen können! – So jedenfalls dachte Angeres darüber.
Jetzt war Janvier schon mehr als eine Woche tot. Der fromme Mann hatte bezahlt.
Angeres hatte eigentlich angenommen, dass er sich jetzt besser fühlen würde. Er hatte sich lange Zeit eine Möglichkeit zur Genugtuung gewünscht. Jahrelang hatte der unstillbare Durst nach Rache in ihm genagt und ihn fast zum Wahnsinn getrieben. Aber jetzt, da Saint-Pierre Janvier mit aufgeschlitztem Hals unter der Erde lag, empfand er gar nichts.
Er fühlte sich nur völlig leer.
Nach Büroschluss wartete Alain auf Leocardie Clavoire. Er fing sie ab, als sie gerade den Turm verließ, in dem die Gute-Sache-Stiftung ihre Büros untergebracht hatte.
„Fahren Sie nicht mit dem Wagen?“, fragte Alain, weil sie sich sonst in Richtung Tiefgarage aufgemacht hätte.
„Nein, mit der Metro. Glauben Sie, ich stürze mich freiwillig zweimal täglich in das mörderische Verkehrsgewühl von Paris?“
Alain zuckte die Achseln.
„Eine Fahrt mit der Metro kann auch mörderisch sein.“
„Das ist nicht gefährlicher, als wenn ich meinen Wagen aus der Tiefgarage holen würde, Monsieur Boulanger.“
„Tun Sie mir den Gefallen und nennen Sie mich Alain!“
Sie zuckte mit ihren schmalen Schultern. „Warum eigentlich nicht?“
„Kommen Sie, mein Wagen steht unten in der Garage! Und zusammen mit mir werden Sie sich da ja wohl hin wagen, oder?“
„Und wohin geht es dann?“
„Wie wär‘s mit dem Le Cirque?“
„Dem Restaurant mit der angeblich besten Küche der Welt?“
„Ich habe einen Tisch reserviert.“
„Ich dachte, das geht nur Wochen im Voraus?“
„Der Geschäftsführer war mir noch einen Gefallen schuldig …“
„Na dann.“
„Waren Sie schon mal dort?“
Sie lachte und schüttelte dabei den Kopf.
„Sie scheinen mir ziemlich abenteuerliche Vorstellungen davon zu haben, was eine Stiftung wie die Gute-Sache-Stiftung ihren Mitarbeiten an Gehalt zahlt“, meinte sie dann. Fünf Minuten später saßen sie in Alains champagnerfarbenem Mercedes 500 SL.
„Sind Sie dem Prominentenkiller schon ein bisschen mehr auf den Pelz gerückt, Alain?“
„Woher sind Sie denn so sicher, dass Janvier tatsächlich durch diesen Wahnsinnigen umgekommen ist?“
Sie sah ihn erstaunt an.
„Ich dachte, das wäre schon so gut wie sicher. Es steht ja schon in den Zeitungen …“ Sie verengte ein wenig die Augen. „Glauben Sie etwa nicht daran, Alain?“
Alain zuckte die Achseln.
„Im Moment glaube ich noch gar nichts“, meinte er. „War es wirklich so, dass Janvier von allen gemocht wurde?“
„Was meinen Sie damit, Alain? Millionen waren hingerissen von ihm und …“
„Die Millionen schenke ich Ihnen“, unterbrach Alain. „Die interessieren mich nicht. Mein Augenmerk gilt den zwei oder drei Dutzend Menschen, mit denen Janvier persönlich zu tun hatte.“
Leocardie zuckte mit den Schultern. Dann strich sie sich mit einer nachdenklichen Geste eine Strähne hinters Ohr.
„Die Gute-Sache-Stiftung ist kein Club von lauter Heiligen, das weiß ich auch. Wollen Sie vielleicht darauf hinaus, Alain?“
„Ja, das trifft es ganz gut.“
„Wollen Sie mich aushorchen?“
„Natürlich, Leocardie. Das ist mein Job.“
„Ist das der einzige Grund, aus dem Sie mich ausführen wollen?“
„Nein, der andere Grund sind Ihre schönen braunen Augen.“
„Sie sind ein schlechter Lügner, Alain!“
„Und Sie eine schlechte Gedankenleserin, sonst wüssten Sie, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“
Den Rest des Weges redeten sie nicht mehr viel. Sie bekamen einen guten Platz im Le Cirque.
Nach der Vorspeise taute Leocardie etwas auf. Sie kam wieder auf Jeannot Saint-Pierre Janvier zu sprechen, und das war Alain nur allzu recht. Schließlich wusste der Privatdetektiv so gut wie nichts über den Prediger. Nichts jedenfalls, was über die Dinge hinausging, die man auf dem Fernsehschirm zu sehen bekam oder in zahllosen Klatschgeschichten lesen konnte.
„Monsieur Janvier war etwas Außergewöhnliches“, sagte sie, nachdem Alain ihr eine seiner Zigaretten und Feuer gegeben hatte. „Es gab eigentlich niemanden, der das nicht akzeptiert hätte.“
„Mochten Sie ihn?“
„Ich weiß nicht.“
Alain runzelte die Stirn. „Das müssen Sie mir erklären!“
„Er schwebte immer ein bisschen über den Dingen und wirkte deshalb auf mich eher unnahbar. Vielleicht wollte er das gar nicht, aber so war er nun einmal. Ich hätte mir zum Beispiel nie vorstellen können, einmal mit ihm an einem Tisch wie diesem zu sitzen und mich einfach so mit ihm zu unterhalten – so wie jetzt mit Ihnen, Alain. Und das, obwohl ich Sie erst seit heute Morgen kenne, während ich für die Gute-Sache-Stiftung schon jahrelang arbeitete und Janvier fast jeden Tag gesehen habe.“
„Was ist mit diesem Monsieur Equert? Wie stand der zu Janvier?“
„Die beiden hatten immer ihre Schwierigkeiten miteinander. Equert ist ein brillanter Organisator – aber mit Saint-Pierre Janvier konnte er sich nicht messen. Ein blasser Bürokrat, ohne den der Laden nicht gelaufen wäre, aber keiner, der nur seine Stimme zu erheben braucht, um bei einer Gala die Spenden in Strömen fließen zu lassen.“
„Equert schien nicht gerade traurig über Janviers Tod zu sein“, stellte Alain fest. „Das ist ja auch nicht verwunderlich. Schließlich ist er jetzt die Nummer eins in der Stiftung.“
„Muss er denn deshalb gleich ein Mörder sein?“
„Nein, natürlich nicht.“
Leocardie lächelte. Ihre dunklen Augen hatten etwas Warmes, etwas, das Alain magisch anzog und ihn veranlasste, immer wieder hineinzusehen. Dem Privatdetektiv kam es fast wie eine Art Hypnose vor. Aber in diesem Fall ließ er sich gerne hypnotisieren.
„Zwischen Equert und Janvier herrschte immer so etwas wie …“, Leocardie suchte eine Sekunde lang nach dem passenden Ausdruck. Als sie ihn hatte, blitzte es in ihren Augen. „Wie Rivalität! Ja, genau das ist es. Ich kann mich täuschen, aber möglicherweise kam das nicht nur daher, dass Monsieur Equert die ewige Nummer zwei war, die nicht die geringste Chance hatte, je einem Mann wie Saint-Pierre Janvier auch nur das Wasser reichen zu können.“ Leocardie stockte und Alain horchte auf. Er beugte sich etwas vor.
„Sprechen Sie weiter, Leocardie!“
„Ich weiß nicht, ob es richtig ist, dass ich Ihnen das sage“, meinte sie auf einmal und wandte den Kopf zur Seite. Ihr Blick ging ins Leere.
„Ich suche einen Mörder, Leocardie …“
„Ich weiß!“
„… und alles, was es über das Opfer zu sagen gibt, kann mich unter Umständen zu ihm hinführen.“
Sie atmete tief durch und sah Alain dabei offen an. Einen Augenblick noch, dann schienen ihre Zweifel verflogen. Sie hatte sich entschieden.
„Monsieur Equert hat eine sehr attraktive Frau“, fing sie an. „Sie heißt, glaube ich, Catherine und ist wohl auch bedeutend jünger als ihr Mann. Saint-Pierre Janvier hat zwar in der Öffentlichkeit zu diesen Dingen immer eine sehr konservative Meinung vertreten, aber wenn es um seine eigenen Angelegenheiten ging, nahm er es nicht so genau.“
„Sie meinen, Janvier hatte mit Equerts Frau ein Verhältnis?“
„Ich habe die beiden einmal zufällig gesehen. Vielleicht interpretiere ich da zu viel hinein, aber für mich war das eindeutig.“ Sie lächelte kurz. „Ich hoffe nicht, dass Sie mit der Story zum nächsten Klatschreporter gehen.“
Alain schüttelte energisch den Kopf und erwiderte ihr Lächeln. Dabei hob er sein Glas und sie stießen an.
„Glauben Sie, ich wäre noch im Geschäft, wenn ich nicht diskret sein könnte, Leocardie?“
„Ich weiß nicht …“
„Informantenschutz ist das oberste Gebot!“, meinte Alain und grinste dabei.
Den nächsten Morgen verbrachte Alain Boulanger in den Büros der von Commissaire Dubois geleiteten Mordkommission Paris-Mitte mit einer ziemlich anstrengenden Arbeit, die noch dazu völlig fruchtlos bleiben sollte. Alain hatte die Liste der Leute, die eine Karte für Janviers Show erworben hatten, mitgebracht. Dazu kamen noch die Namen der Angestellten des Senders, die am Dreizehnten zur Mordzeit Dienst gehabt hatten. Mit etwas Glück hatte sich der Mörder vielleicht auf dieser Liste verewigt.
Aber das Glück wollte sich einfach nicht einstellen. Jetzt war es fast Mittag, und sowohl Boulanger als auch Dubois hatten drei Tassen Kaffee getrunken, ohne einen Schritt weiter zu sein. Sie hatten die Namen auf der Liste mit denen im Polizeicomputer gespeicherten abgeglichen, die dem vermuteten Täterprofil entsprachen: Schuhgröße einundvierzig, Rechtshänder, größer als 1,75 und wegen Delikten aufgefallen, die möglicherweise aus Geltungssucht begangen worden waren. Außerdem kamen noch alle Rasiermesser-Mörder in den Pool hinein. Aber es wurde ein Schlag ins Wasser. Keiner von denen, die gepasst hätten, war am Dreizehnten bei Saint-Pierre Janviers Show gewesen, geschweige denn hatte eine Anstellung beim Sender.
Dubois fuhr sich mit der flachen Hand über das inzwischen ziemlich entnervt wirkende Gesicht und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Wir machen irgendeinen Fehler, Alain!“
„Ja, das scheint mir auch so. Was ist zum Beispiel, wenn wir es mit einer ganz anderen Art von Mörder zu tun haben? Und vielleicht sind auch gar nicht alle Opfer vom demselben Täter ermordet worden!“
„Alain, das haben wir doch nun schon hundertmal durchgekaut!“
„Offenbar nicht oft genug, Paul!“
„Ich glaube, es liegt daran, dass deine Liste nicht vollständig ist. Es gibt sicher Mittel und Wege, in den Sender zu kommen und in Saint-Pierre Janviers Garderobe zu gelangen, ohne eine Karte für die Show zu haben.“
„Ich habe mit dem Pförtner gesprochen. Der hält das für unmöglich.“
Dubois hob die Arme zu einer hilflos wirkenden Geste. Er holte tief Luft und blies sich auf wie Ballon, bevor er dann meinte: „Der Mörder könnte sich als Handwerker eingeschmuggelt haben. Wäre nicht das erste Mal!“
„So einfach geht das in dem Laden nicht, Paul!“
„Und wenn sich jemand eine Karte zur Show unter falschem Namen besorgt hat?“
„Das wäre auch nicht so einfach“, erwiderte Alain. „Im Sender hat man mir gesagt, dass die Zuschauer sich in jedem Fall ausweisen müssen.“
Dubois grinste.
„Die haben wohl was gegen Randalierer, die ihnen mitten in der Sendung plötzlich eine eigene Show bieten, was?“
„Genau so ist es“, nickte Alain. „Der hat wohl schon einmal schlechte Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht.“
„Ich glaube auch nicht, dass wir den Killer in unseren Akten finden werden“, meinte Paul.
„So? Und warum nicht?“
„Ich weiß nicht, aber ich stelle ihn mir eher unauffällig vor. Jemand, der einem gutbürgerlichen Job nachgeht, eine graue Maus, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Wie war das bei den vergangenen Morden des Prominentenkillers? Aus euren Ermittlungsakten müsste doch hervorgehen, ob irgendein Name bei mehreren Morden auftaucht – in welchem Zusammenhang auch immer.“
Aber Paul schüttelte den Kopf. „Ist längst gemacht worden. Ohne Ergebnis. Es gibt keinen, der zu zwei oder mehr der Morde vernommen wurde. Der einzige Zusammenhang zwischen allen Fällen ist die Art und Weise der Tötung und die Tatsache, dass die Opfer allesamt im Licht der Öffentlichkeit standen.“
„Aber wir könnten die Liste der vorgenommenen Personen noch einmal durchgehen und mit der Liste derer vergleichen, die am Dreizehnten Zugang zu jenem Studio hatten, in dem Saint-Pierre Janvier seine Spenden-Show abgezogen hat!“
Dubois seufzte. Dann nickte er schließlich.
„Meinetwegen. Vielleicht kommt ja was dabei heraus. Etwas, das den Aufwand rechtfertigt!“
„Na, mit Hilfe der EDV hält sich der Aufwand doch in Grenzen, Paul. Selbst bei einer so langen Liste von Verdächtigen.“
Eine Dreiviertelstunde später waren sie schlauer. Es gab tatsächlich einen Namen, der infrage kam. Michel Martage war sowohl im Publikum der letzten Janvier-Show gewesen, als auch in einem der Mordfälle unter die Lupe genommen worden, die dem Prominentenkiller zugeschrieben wurden.
„Ein Anfang!“, war Pauls Kommentar dazu. „Ich schlage vor, Monsieur Martage einen Besuch abzustatten. Hast du Lust, dabei zu sein?“
„Warum nicht?“
Sie fuhren mit Dubois‘ Dienstwagen.
„In welchem Fall spielte dieser Martage eine Rolle?“, fragte Alain, während er nach seinen Zigaretten griff.
„Bürgermeister Evrard d‘Auste“, antwortete Paul.
„Liegt eine Weile zurück, oder?“
„Zweieinhalb Monate.“
„Und noch immer keine Spur?“
Dubois schüttelte den Kopf.
„Bei der Sache haben wir eine Menge Zeit verloren, weil die Sûreté die Ermittlungen zunächst an sich gezogen hat. Ist ja klar, wenn ein Politiker umgebracht wird, denkt alle Welt immer zuerst an einen politischen Hintergrund.“
„Und welche Rolle spielte dieser Martage dabei?“
„Er war Etagenkellner in dem Hotel, in dem der Bürgermeister gewohnt hat. Commissaire Boldin hatte Martage eine Weile in Verdacht und ihm ziemlich zugesetzt. Schließlich wurde d‘Auste in seiner Suite ermordet und Martage hatte Dienst. Außerdem war er erst wenige Tage vorher angestellt worden.“
„Verstehe!“
„Zusätzlich waren da wohl ein paar ungeklärte Punkte in seiner Vergangenheit. Na, du weißt ja, wie das ist, Alain. Da ist ein Verdacht schnell geboren.“
Von seinem Büro aus hatte der Commissaire kurz bei Martage angerufen, und deshalb wusste er, dass dieser im Moment keinen Dienst hatte, sondern sich zu Hause in seiner Wohnung befand. Martage bevorzugte den Nachtdienst – aus welchen Gründen auch immer.
Jedenfalls war er nicht gerade begeistert, als er Dubois‘ Marke sah. Martage erkannte den korpulenten Commissaire sofort wieder und schien ihn in keiner guten Erinnerung zu haben.
„Was wollen Sie?“, fragte er. „Fängt das ganze Theater vielleicht wieder von vorne an?“
Dubois zuckte die Achseln.
„Das hängt ganz davon ab“, meinte er. „Können wir hereinkommen?“
Martage schüttelte seinen Kopf mit dem angegrauten, leicht gelockten Haar. Alain schätzte ihn auf 1,80 m. Martage trat einen Schritt vor und schloss die Wohnungstür hinter sich.
„Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“
„Ich bekomme einen, wenn ich will“, erwiderte Dubois voller Ungeduld.
„Solange Sie keinen haben, werden wir uns hier draußen auf dem Flur unterhalten müssen, Monsieur Commissaire.“ Der Commissaire bekam bei Martage eine eigenartige, spöttisch gemeinte Betonung.
„Dann haben Sie auch sicher nichts dagegen, wenn das ganze Haus zuhören kann, oder?“, mischte sich jetzt Alain ein. Auf seinen Lippen stand ein dünnes Lächeln.
Martage blickte von einem zum anderen. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern. Der Mann hatte Angst.
„Sie wollen mir nur etwas anhängen, habe ich recht? Aber das wird Ihnen nicht gelingen! Verlassen Sie sich darauf!“
„Nur ein paar Fragen, Martage!“, versuchte Dubois zu beschwichtigen.
„Fragen?“ Martage lachte heiser. „So fangt ihr Bullen doch immer an!“
„Wo waren Sie am Dreizehnten dieses Monats?“, fragte Alain. „So von fünf Uhr nachmittags ab.“
Martage steckte die Hände in die Hosentaschen. „Was weiß ich, wo ich da war!“
Alain verschränkte die Arme. „Soll ich Ihnen auf die Sprünge helfen?“
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können! Ich kann Sie ja doch nicht daran hindern.“ Martage wandte den Blick zur Seite.
„Warum geben Sie es nicht zu?“, fragte Alain. „Sie waren in der Saint-Pierre Janvier-Show unter den Zuschauern. Sie haben eine Karte gekauft und …“
„Ja, ja!“, rief Martage jetzt viel lauter als notwendig. Ein älterer Mann kam den Flur entlang und musterte das seltsame Trio mit einem Kopfschütteln. „Ist das vielleicht ein Verbrechen?“, meinte Martage schließlich, als der Mann hinter seiner Wohnungstür verschwunden war.
„Ihre Schuhgröße?“ Das war Dubois, der inzwischen den obersten Hemdenknopf gelöst hatte. Der Blick des Commissaires glitt dann hinab bis auf den Boden.
„Einundvierzig. Was soll das?“
„Und wo waren Sie gestern Morgen, so zwischen vier und sechs?“
Martage verdrehte die Augen. Seine Nerven schienen bis zum Äußersten gespannt zu sein.
„Ist zu dieser Zeit etwa auch jemand ermordet worden?“
„Sie sagen es!“, gab Dubois zurück.
„Und wer?“
„Darry Korz, der Musical-Star. Also, nun sagen Sie schon, wo Sie zu dieser Zeit waren! Hatten Sie Dienst?“
„Nein“, sagte Martage. „Ich war hier in meiner Wohnung. Meine Schicht fing um sieben Uhr abends an und war um zwei Uhr morgens zu Ende. Danach bin ich in meine Wohnung gegangen.“
„Sie waren allein, nehme ich an.“
„Ja.“
„Das heißt, Sie haben kein Alibi!“, stellte der Commissaire fest.
Martage verzog das Gesicht.
„Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ein Mord geschieht, mit dem man mich in Verbindung zu bringen versucht, dann hätte ich dafür gesorgt, dass ich ein Alibi habe“, maulte er. Nach einer Sekunde Pause und einem tiefen Atemzug setzte er dann etwas ruhiger hinzu: „Ich habe niemanden umgebracht.“
„Ich würde Ihnen ja gerne glauben, Monsieur Martage …“, meinte Dubois.
Martage stemmte jetzt empört die Arme in die Hüften.
„Wer muss denn hier wohl was beweisen? Ich meine Unschuld oder Sie, dass ich jemanden umgebracht habe?“ Jetzt ruderte er mit den Armen und rang nach Luft. „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Nicht einmal falsch geparkt!“
Dubois ließ sich nicht beirren. Er ging die Tatzeiten aller fünf Morde durch, die dem Prominentenkiller zugeschrieben wurden. Für keinen der Morde schien Martage ein Alibi zu haben, und nur der an dem Bürgermeister war während seiner Dienstzeit geschehen – was ihn noch mehr belastete. Aber es gab nichts Handfestes gegen ihn. Und so zogen Boulanger und Dubois schließlich wieder ab. Martage blickte ihnen nach, als sie den Flur entlanggingen. Er schien vor seiner Wohnungstür zu warten, bis er sicher war, dass der ungebetene Besuch wirklich verschwunden war.
„Was denkst du, Alain? Ist das unser Mann?“, fragte Dubois, als sie mit dem Lift hinabfuhren.
Alain zuckte die Achseln.
„Man soll ja niemals nie sagen, aber nur, weil er Schuhgröße einundvierzig hat und uns nicht in seine Wohnung gelassen hat – was ja sein gutes Recht ist –, steht er für mich noch lange nicht als Mörder fest.“
„Und die fehlenden Alibis?“
„Ein nicht gerade kontaktfreudiger Mann mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten – was kannst du da für Alibis erwarten?“
„Ich werde ihn beschatten lassen“, meinte Dubois.
Alain hob die Augenbrauen. Sie waren im Erdgeschoss. Die Lifttür öffnete sich.
„Und was versprichst du dir davon?“
„Der Kerl, den wir suchen, hat seine Opfer vorher genauestens ausgespäht. Er kannte ihre Gewohnheiten bis ins Detail und hat sich stets den günstigsten Moment ausgesucht, um sie zu erledigen.“ Dubois zuckte die Achseln. „Vielleicht erwischen wir ihn dabei, wie er sein nächstes Opfer beobachtet.“
„Wenn er wirklich unser Mann ist, wird er vorsichtig sein und vielleicht erst einmal eine ganze Weile abtauchen.“
Aber da war Dubois anderer Meinung.
„Wenn er tatsächlich der Verrückte ist, den wir suchen, dann wird er das Spiel mit dem Feuer suchen, Alain.“
Sie gingen hinaus und traten wenig später ins Freie. Es hatte leicht zu nieseln angefangen, als sie sich in Paul Dubois‘ Dienstwagen setzten.
„Du meinst, dass er wieder zuschlagen wird, nicht wahr?“, meinte Alain.
Dubois nickte sehr entschieden. „Ja. Und vielleicht können wir den nächsten Mord verhindern!“
Bevor der Commissaire den Wagen startete, fixierte er Alain kurz mit einem nachdenklich wirkenden Blick. „Du glaubst nicht an die Psychopathen-Theorie, oder? Jemand, der aus mangelndem Selbstwertgefühl heraus mordet, weil er es nicht verträgt, andere im Rampenlicht zu sehen, während er selbst nur einer unter Millionen ist.“
Alain lächelte.
„Du irrst dich. Ich kann mir das sehr gut vorstellen.“
„Aber ich sehe dir doch an, dass da noch etwas anderes in deinem Kopf herumspukt, Alain.“
„Ja, ich kann mir nämlich auch etwas anderes vorstellen.“
„Heraus damit!“
„Angenommen, jemand will einen Mann wie Saint-Pierre Janvier umbringen und gleichzeitig treibt ein Killer sein Unwesen, der es auf solche Leute abgesehen hat. Was liegt da näher, als sich einfach anzuhängen? Eine perfektere Tarnung gibt es kaum. Alles ist auf diesen Wahnsinnigen konzentriert, und kein Mensch sucht mehr nach anderen Möglichkeiten!“
Dubois startete und fädelte sich in den Verkehr ein.
„Für deine Theorie spricht etwa genauso viel wie dafür, dass unser Freund Martage alle fünf auf dem Gewissen hat.“
„Es ist nicht mehr als eine Möglichkeit, Paul. Aber eine, die man nicht außer Acht lassen sollte. Wusstest du zum Beispiel, dass Saint-Pierre Janvier ein Verhältnis mit der Frau seines Stellvertreters hatte?“
„Nein! Wer hat dir das denn erzählt?“
„Wer auch immer! Gesetzt den Fall, es stimmt, dann gibt es schon mindestens zwei Menschen, die ein starkes Motiv haben könnten.“
„Dieser Equert und die Witwe? Ach, komm schon, Alain! Das ist mir zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Außerdem war Janvier ein sehr sittenstrenger Mann, der in diesen Dingen ziemlich enge Auffassungen vertrat.“
„Das muss noch lange nicht heißen, dass er sich auch selbst daran gehalten hat, oder?“
„Mag schon sein, aber …“
„Equert stand immer im Schatten von Janvier. Und als ich gestern mit ihm sprach, schien er mir in einer geradezu enthusiastischen Stimmung zu sein. Er hat auch allen Grund dazu, schließlich sitzt er jetzt an dem Schreibtisch, an dem er schon immer sitzen wollte. Und es gibt noch jemanden mit passender Größe und stichhaltigem Motiv.“
Paul hob die Augenbrauen. „So?“
„Maurice Heliére hat auf demselben Kanal früher eine ähnliche Sendung wie Janvier gemacht. Als Janvier auftauchte, war er weg vom Fenster, jetzt bekommt er eine neue Chance.“
Dubois seufzte.
„Auf jeden Fall wird es Zeit, dass endlich ein Täter präsentiert werden kann. Die Presse macht uns die Hölle heiß, Alain! Vom Staatsanwalt gar nicht zu reden!“
Am frühen Nachmittag machte sich Alain in Richtung Süden auf. Saint-Pierre Janvier hatte ein Haus in Montrouge, und Alain fand es an der Zeit, seiner Witwe Aimée einen Besuch abzustatten. Alain brauchte etwas mehr als eine Stunde, bis er schließlich am Ziel war. Unterwegs aß er ein Sandwich, das er sich unterwegs an einer Ecke gekauft hatte. Das Knurren in seiner Magengegend musste irgendwie zum Schweigen gebracht werden.
Als er bei Janviers Haus vorfuhr, seinen Wagen abstellte und ausstieg, sah er ein schmuckes, aber äußerlich schlichtes Anwesen vor sich. Zu viel Protz wäre für einen Mann wie Saint-Pierre Janvier auch nur eine unnötige Angriffsfläche gewesen. Aber als armer Mann war er sicher nicht gestorben, das sagte einem schon ein flüchtiger Blick zur Seite, wo ein schwarzer Jaguar vor einer Garage stand.
Das Hausmädchen, das Boulanger die Tür öffnete, hatte das Gesicht voller Sommersprossen. Alain zeigte seine Lizenz, von der die junge Frau stark beeindruckt zu sein schien.
„Ich ermittle im Mordfall Janvier“, sagte er dazu, „und ich hätte gerne kurz mit Madame Janvier gesprochen.“
Das Mädchen nickte und murmelte: „Einen Moment bitte …“
Sie verschwand und kehrte wenige Augenblicke später zurück. Sie hob das Kinn und blickte Alain mit einem sehr entschlossen wirkenden Gesichtsausdruck an, als sie erklärte: „Madame Janvier möchte Sie nicht sprechen!“
„Hören Sie, mein Name ist Boulanger und ich …“
„Wie auch immer, Monsieur Boulanger. Madame Janvier möchte Sie nicht empfangen, und ich muss Sie bitten, das zu akzeptieren!“
„Sagen Sie ihr, dass mich der Sender beauftragt hat!“
„Monsieur Boulanger …“
„Sagen sie ihr das, vielleicht ändert das ihre Meinung.“
Die Sommersprossige seufzte. Eine Sekunde lang hing alles in der Schwebe, aber dann drehte sie doch ab, während ein knappes „Warten Sie!“ zwischen ihren Lippen hindurchgepresst wurde. Und es dauerte nicht einmal eine Minute, dann führte das Hausmädchen Alain in ein schlichtes, aber geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer. Das Kreuz an der Wand war wohl obligatorisch. Jedenfalls war es groß genug, um in keinem Fall übersehen zu werden.
Aimée Janvier hatte eine Frisur, die ihre strengen Gesichtszüge noch unterstrich. Sie unterzog Alain einer kühlen Musterung und meinte dann: „Sie sind vom Sender, sagen Sie?“
„Ja.“
„Haben die kein Vertrauen in die Arbeit der Polizei?“
„Nun, ich glaube, man will, dass die Polizei etwas Unterstützung bekommt.“
Ihr Gesicht blieb völlig regungslos. Es war ihr beim besten Willen nicht anzusehen, was jetzt in ihrem Kopf vor sich ging. Jedenfalls bot sie Alain schließlich doch noch einen Platz an.
„Was wollen Sie wissen?“, fragte sie. „Das ist doch Ihr Job, nicht wahr? In den Privatangelegenheiten anderer Leute herumzuwühlen!“
„Sie sagen das nicht sehr freundlich.“
„Ich nenne die Dinge gerne beim Namen“, meinte sie knapp.
„Immerhin hätten wir da etwas gemeinsam, Madame Janvier.“
„Ach ja?“
„Wussten Sie, dass Ihr Mann ein Verhältnis hatte?“
Sie blickte auf, aber in ihrem Gesicht gab es nicht das geringste Anzeichen für so etwas wie Überraschung. Sie wusste Bescheid, das war Alain schon klar, bevor sie den Mund öffnete.
„Ja“, sagte sie.
„Und wussten Sie auch, wer die Frau war?“
Sie zuckte die Achseln.
„Ich weiß nicht, wer es zuletzt gewesen ist, wenn es das ist, was Sie meinen, Monsieur Boulanger. Er hatte dauernd irgendjemanden. Vorzugsweise Frauen, die fast seine Töchter hätten sein können.“
„War das kein gefundenes Fressen für die Presse?“
Sie machte eine wegwerfende Geste.
„Was glauben Sie, wie viel wir insgesamt dafür gezahlt haben, dass nichts an die Öffentlichkeit ging? Jetzt kann ich es ja sagen, schließlich ist Saint-Pierre tot. Die Sache kann ihm nicht mehr schaden. Einmal, da haben wir es nicht geschafft, die Sache mit Geld aus der Welt zu räumen.“
Alain hob die Augenbrauen. „Erzählen Sie!“
„Das war keine Frauengeschichte, sondern ein Verkehrsunfall. Es gab ziemlich viel Wirbel um die Sache, aber das hat sich schnell wieder gelegt.“
„Ihre Ehe entsprach nicht gerade den Idealvorstellungen, wie Ihr Mann sie propagierte, oder?“
„Wundert Sie das so sehr?“
„Kennen Sie Catherine Equert?“
„Ich habe sie bei irgendeiner Gelegenheit mal kurz getroffen. Ist sie diejenige, die Sie gemeint haben?“ Die Ahnung eines Lächelns ging über ihr Gesicht. „Schlank, zierlich, klein – sie entspricht seinem Standardtyp.“ In ihrer Stimme klang jetzt eine gehörige Portion Bitterkeit mit. Sie hob die Schultern ein wenig an und rieb die Hände aneinander. „Sie werden sich fragen, weshalb ich mich nicht habe scheiden lassen. Aber dann hätte ich meinen Mann ruiniert. Ein geschiedener Moralapostel, das ist fast so schlimm, als wenn er Drogen genommen hätte.“
„Sie haben nicht schlecht gelebt von den guten Werken Ihres Mannes, nicht wahr?“
„So ist es. Und ich hätte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, das aufzugeben. Saint-Pierre bekam traumhafte Gagen für seine Auftritte – ob nun im Fernsehen oder auf Wohltätigkeitsgalas.“ Sie blickte Alain direkt in die Augen. „Muss ein Mann, der für Arme und Kranke sammelt, selbst arm sein?“
„Ich denke nicht.“
„Sehen Sie!“
Alain erhob sich. „Ich glaube, das wär‘s!“, meinte er.
„Einen Moment noch!“ Sie erhob sich jetzt ebenfalls und trat auf Boulanger zu. „Für mich war‘s das noch nicht. Was wissen Sie bis jetzt schon?“
„Dass der Mörder Schuhgröße einundvierzig hat und mindestens eins-fünfundsiebzig ist.“
„Dann werden Sie mich von Ihrer Liste streichen müssen. Ich habe Schuhgröße achtunddreißig.“
Alain lächelte dünn.
„Wer sagt Ihnen, dass ich Sie überhaupt auf meiner Liste hatte?“
„Wozu sonst die Fragen nach Catherine Equert und den anderen flüchtigen Bekanntschaften meines Mannes? Wäre doch klassisch! Die betrogene Ehefrau ermordet ihren Mann aus Eifersucht.“
„Und nicht die Geliebte?“
„Wenn Sie so denken, warum nehmen Sie dann nicht Simon Equert genauer unter die Lupe? Ich weiß nicht, welche Schuhgröße er hat, aber ganz sicher ist er größer als eins-fünfundsiebzig.“
„Alles zu seiner Zeit“, meinte Alain.
„Equert wirkt vielleicht etwas blass, aber unter der kühlen Fassade brodelt es ganz schön. Und wenn er wusste, dass seine Frau etwas mit Saint-Pierre hatte – ich glaube, dann wäre er zu allem fähig gewesen.“
„Was Sie nicht sagen.“
„Wenn ich jetzt so darüber nachdenke … Ich habe die Equerts ja nicht oft zusammen gesehen, aber beim letzten Mal hatte Catherine ein blaues Auge, das nur notdürftig mit Schminke zu übertünchen war.“ Sie zuckte die Achseln. „Sie meinte, sie wäre gefallen, aber so fällt doch kein Mensch – meinen Sie nicht auch, Monsieur Boulanger?“
Eigentlich wäre Catherine Equert jetzt die Nächste auf Boulangers Liste gewesen, aber um diese Zeit war vermutlich ihr Mann schon zu Hause. Alain hielt es aber für vielversprechender, am nächsten Morgen allein mit ihr zu sprechen.
Auf dem Weg zurück nach Paris-Mitte bekam er dann einen Anruf. Es war niemand anderes als seine Assistentin Jeanette, die sich über das Autotelefon meldete.
„Ich war im Pressearchiv und bin da auf etwas gestoßen, Alain.“
„Ich bin gespannt!“
„Saint-Pierre Janvier ist vielleicht nicht der Heilige gewesen, für den ihn viele halten.“
Alain lachte heiser. „Wem sagst du das?“
„Vor ein paar Jahren hat er Schlagzeilen gemacht, weil man ihn mit einem Fall von Fahrerflucht in Verbindung brachte. Zwei Menschen starben dabei, eine Frau und ein Kind.“
„Madame Janvier erwähnte einen Unfall …“
„Man hat Janvier nichts beweisen können, Alain. Aber der Mann, dessen Frau und Tochter bei dem Unfall ums Leben kamen, war überzeugt davon, in Janvier denjenigen gefunden zu haben, der seine Familie auf dem Gewissen hatte.“
„Und du meinst, der Kerl könnte unser Mann sein?“
„Er hat Janvier eine Weile mit Drohungen heimgesucht und sich in etwas hineingesteigert. Fast zwei Jahre hat er in einer psychiatrischen Anstalt verbracht. Seit ein paar Monaten ist er wieder entlassen.“
„Name und Adresse hast du nicht zufällig?“
„Er heißt Hervé Angeres. Als die Sache passierte, gehörte ihm ein Haus oben in Les Amadieres. Wenn er es nicht verkauft hat, wird er dort wohl wieder wohnen.“
„Gute Arbeit, Jeanette!“, meinte Alain, nachdem ihm seine Assistentin die genaue Adresse durchgegeben hatte.
„Das Beste kommt noch!“
„Ich bin ganz Ohr!“
„Angeres war am Dreizehnten im Publikum der Janvier-Show! Ich habe seinen Namen in unserer Liste gefunden.“
Alain pfiff durch die Zähne. Das sah ganz nach einer vielversprechenden Spur aus.
In der einsetzenden Rushhour nach Les Amadieres zu fahren, war alles andere als ein Vergnügen. Jedenfalls begann es bereits dunkel zu werden, als Alain schließlich in Les Amadieres anlangte.
Nach ein paar Schwierigkeiten hatte Alain schließlich das Haus gefunden, das Jeanette gemeint hatte. Das Schild an der Tür verriet ihm, dass Hervé Angeres noch immer hier wohnte.
Alain betätigte die Klingel, aber es machte niemand auf. Er versuchte es noch zweimal und wartete einige Minuten, aber es rührte sich nichts. Der Privatdetektiv warf dann einen Blick durch eines der Fenster. Drinnen herrschte ein beträchtliches Chaos. Das Haus schien ziemlich vernachlässigt worden zu sein, aber es war unzweifelhaft bewohnt.
Als Alain das Haus umrundete, sah er in einem Raum Licht brennen. Der Blick durchs Fenster machte jedoch klar, dass niemand dort war. Es war das Schlafzimmer, und Alain schätzte, dass Angeres einfach vergessen hatte, das Licht auszumachen. Auf der Rückseite des Hauses war eine Terrasse. Eine abgeklappte Hebetür bedeutete eine günstige Gelegenheit, hineinzugelangen.
Mit ein paar Handgriffen hatte Alain die Tür geöffnet und trat in ein völlig chaotisches Wohnzimmer.
Hier wohnte jemand, dem alles gleichgültig geworden zu sein schien. An einer der Wände war Schimmel. Auch das schien den Besitzer nicht zu stören.
Auf dem Tisch lag – neben Nahrungsresten und leeren Bierflaschen – auch eine Zeitung vom vergangenen Tag. Der Bericht über den Mord an Darry Korz war aufgeschlagen. In rot unterstrichenen Lettern stand da die Zeile NOCH IMMER KEINE SPUR!