Thrones and Curses - Zur Königin erwählt - Laura Sebastian - E-Book

Thrones and Curses - Zur Königin erwählt E-Book

Laura Sebastian

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Beschreibung

Für die Krone geboren, zum Sterben bestimmt

Seit Sophronias Ermordung haben die Prinzessinnen Daphne und Beatriz die Wahrheit herausgefunden: Sie sind nichts weiter als zwei Bauernopfer im Spiel ihrer Mutter, die über den gesamten Kontinent Vesteria herrschen will. Beatriz und Daphne sind noch immer durch ganze Länder getrennt und ihre Feinde lauern überall, aber jetzt haben sie Verbündete in Gebieten, die weit über die Grenzen von Vesteria hinausgehen. Doch Gerüchte über eine alte Prophezeiung verfolgen Daphne und Beatriz auf Schritt und Tritt, immer mehr Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit kommen ans Licht und bei jedem Zug, den sie machen, scheint die Kaiserin ihnen einen Schritt voraus zu sein. Wenn es noch Hoffnung für die Prinzessinnen geben soll, müssen die beiden alles einsetzen, was ihre Mutter ihnen beigebracht hat, auf die Magie in ihren Adern vertrauen und dem Schicksal selbst trotzen. Denn wenn sie das nicht können, ist das Volk von Vesteria dem Untergang geweiht …

Das packende Finale der großen Fantasy-Trilogie von New-York-Times-Bestsellerautorin Laura Sebastian!

Die Thrones-and-Curses-Reihe:
Thrones and Curses – Von den Sternen berührt (Band 1)
Thrones and Curses – Für die Krone geboren (Band 2)
Thrones and Curses – Zur Königin erwählt (Band 3)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 706

Veröffentlichungsjahr: 2025

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LAURA SEBASTIAN

ZUR KÖNIGIN ERWÄHLT

Aus dem Englischen von Julia Schwenk

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2025 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected](Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Text copyright © 2024 by Laura Sebastian

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Poison in their Hearts« bei Delacorte Press, an imprint of Random House Children’s Books, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Übersetzung: Julia Schwenk

Lektorat: Debora Exner

Umschlaggestaltung und Illustration: Isabelle Hirtz, Hamburg

Karte: © 2023 by Virginia Allyn

sh · Herstellung: AnG

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN 978-3-641-28320-9V002

www.cbj-verlag.de

Für Krista Marino,die mir geholfen hat, eine Idee zu einer Geschichte zu spinnen

Daphne

Von ihrem Platz in dem selten genutzten Salon im Nordflügel von Schloss Eldevale hat Daphne einen perfekten Blick auf das Haupttor. Den ganzen Morgen über herrscht ein stetes Kommen und Gehen, während sie ihren Tee trinkt. Eine Postkutsche, ein Gemüsehändler, mehrere Dutzend Höflinge zu Pferd, die zum Einkaufen in den Mauerweg oder zur Jagd in den Wäldern aufbrechen. Jedes Mal, wenn jemand auf das Tor zuhält, richtet Daphne sich ein wenig auf, sinkt dann aber auch jedes Mal enttäuscht wieder zurück.

»Irgendetwas stimmt nicht«, sagt sie laut, rührt ihren Tee um und wendet sich gerade lange genug vom Tor ab, um Cliona und Violie einen kurzen Blick zuzuwerfen.

Seit dem Frühstück sitzen sie nun schon zu dritt um den kleinen Tisch, Cliona und Violie unterhalten sich, während Daphne tut, als würde sie zuhören. Wenn sie weniger abgelenkt wäre, würde sie sich womöglich darüber amüsieren, wie schnell sich die beiden angefreundet haben, obwohl sie so unterschiedlich sind – Cliona, die privilegierte frivianische Lady, die im Geheimen für die Rebellion arbeitet, die ihr Vater anführt, und Violie, die Zofe aus dem gemeinen Volk von Bessemia, die im Geheimen als Spionin für Daphnes Mutter tätig war, bis sie die Seiten gewechselt hat. Wenn Daphne weniger abgelenkt wäre, würde sie diese Freundschaft vielleicht sogar beunruhigen. Immerhin hat sie beide Mädchen vor nicht allzu langer Zeit noch als Feindinnen betrachtet.

Jetzt nicht mehr, doch Daphne ist mit Feindschaften weitaus vertrauter als mit Freundschaften, weswegen es eine Weile dauern wird, sich an die neuen Umstände zu gewöhnen.

»Das sage ich schon die ganze Zeit«, antwortet Cliona seufzend. »Aber irgendetwas lässt mich annehmen, dass du nicht König Bartholomews Plan meinst, den Hof einen Monat früher als üblich nach Burg Notch zu verlegen.«

Das lenkt Daphne einen kurzen Moment lang ab, doch dann schüttelt sie den Kopf. »Der Winter war ungewöhnlich warm, soweit ich das mitbekommen habe. Vielleicht möchte er damit das Wetter mehr genießen.«

Sie schaut erneut aus dem Fenster, als zwei gerüstete Wächter durch die Tore reiten. Allein. »Beatriz sollte inzwischen hier sein. Sie hätte schon vor zwei Tagen hier ankommen sollen«, meint Daphne.

Eine Woche ist vergangen, seit Daphne Sternenstaub benutzt hat, um mit ihrer Schwester in Bessemia zu sprechen, und da sagte Beatriz ihr, dass sie sich auf dem Weg nach Friv befindet. Sie hat eine längere Route gewählt als die, auf der Daphne nach Friv gereist ist – das war notwendig, um ihrer Mutter zu entkommen, die sicher nach ihr suchen wird –, doch selbst wenn sie unterwegs aufgehalten wurde, sollte sie mittlerweile in Friv sein.

»Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum sie länger braucht«, sagt Violie und stellt ihre Teetasse ab.

Nein, denkt Daphne. Nicht Violie. Selbst in ihrem eigenen Kopf sollte Daphne den Decknamen verwenden, unter dem sie nun lebt, denn ein Großteil der Menschen in Friv geht davon aus, dass das Mädchen, das ihr gerade gegenübersitzt, nicht Violie ist. Sie ist Sophronia – Daphnes andere Schwester, die von einem Mob in Temarin ermordet wurde.

Daphne muss sich daran gewöhnen, ihren neuen Namen zu benutzen – oder sie wenigstens mit Sternchen anzusprechen, dem Spitznamen aus Violies Kindheit, der keinen Verdacht erregen wird, wenn Daphne sie so nennt –, doch das fällt ihr schwerer, als sie gedacht hätte. Der Gedanke an das doppelte Spiel lässt immer noch Übelkeit in Daphne aufsteigen, weil jemand anderes Sophronias Leben lebt, aber es war die einzige Möglichkeit, Violie vor einer Hinrichtung für den Mordversuch an Königinmutter Eugenia zu bewahren – ein Mord, den schlussendlich Daphne selbst begangen hat.

Daphne schüttelt den Kopf. »Nein, ich … ich spüre es einfach. Etwas stimmt nicht.«

»Überlegst du, noch einmal Sternenstaub zu benutzen, um mit ihr zu reden?«, fragt Cliona stirnrunzelnd. »Ich kann meinen Vater um eine weitere Phiole bitten, aber ich glaube, er wird langsam misstrauisch.«

Das lässt sich Daphne einen Moment lang durch den Kopf gehen. »Nein«, antwortet sie schließlich. »Es wird nur das Gleiche passieren wie in den letzten Tagen und ich bin nicht scharf darauf, die Folgen wieder auszubaden.«

Jedes Mal, wenn Daphne versucht hat, ihre Schwester mittels Sternenstaub zu erreichen, bekam sie nur gähnende Stille zu hören, die ihr Kopfschmerzen verursachte, als hätte sie ein Glas Ale zu viel getrunken.

Obwohl sie sich die Frage nicht stellen will, denkt Daphne doch immer wieder darüber nach, ob das wohl auch passiert, wenn sie versuchen würde, mit Sophronia zu sprechen. Ob Beatriz nun ihrer beider Schwester Gesellschaft leistet. Bei der Vorstellung wird ihr speiübel.

Nein. Beatriz ist nicht tot. Das kann nicht sein. Das wüsste Daphne doch.

Oder nicht?

Daphne verdrängt den Gedanken aus ihrem Kopf. Beatriz konnte schon immer auf sich aufpassen – wo auch immer sie ist, was auch immer sie aufhält, sie kommt zurecht. Tatsächlich empfindet Daphne durchaus Mitleid mit allen, die dumm genug sind, sich ihrer Schwester in den Weg zu stellen.

Sie zwingt sich, den Blick vom Fenster abzuwenden, und richtet ihre Aufmerksamkeit auf Cliona.

»Warum ist es beunruhigend, dass der Hof früher nach Burg Notch umzieht?«, fragt sie und klammert sich dankbar an die Ablenkung, die sich ihr damit bietet.

»Weil«, sagt Cliona und gibt noch einen Löffel Zucker in ihren Tee, »nur Burg Notch in der Geschichte der jahrhundertelangen Clankriege nie eingenommen wurde. Ihre Lage in den Bergen sorgt für eine natürliche Verteidigungsposition und alles an der Burg unterstützt das noch. Wenn Bartholomew einen Angriff erwartet, wäre das der klügste Aufenthaltsort.«

Darüber denkt Daphne einen Moment lang nach. Bartholomew ginge recht in der Annahme eines Angriffs, sei es nun seitens ihrer Mutter oder durch Clionas Vater und seine Rebellen. Daphne vermutet Ersteres, aber sie weiß, dass Cliona sich mehr Sorgen um Letzteres macht. Sie mögen ja Freundinnen sein, aber Cliona erzählt ihr nicht alles, was die Rebellen planen.

In diesem Fall kann Daphne jedoch ihre eigenen Schlüsse ziehen. Durch die Heirat von ihr und Bairre und die große Unterstützung der breiten Öffentlichkeit zu ihren Gunsten haben die Rebellen allen Grund, König Bartholomew seiner Macht zu berauben und den Weg für Daphne und Bairre zu ebnen, die die Monarchie komplett abschaffen sollen, sobald sie selbst auf dem Thron sitzen.

»Wenn meine Mutter merkt, dass ich mich gegen sie gewendet habe«, meint Daphne langsam, »gibt es weitaus schlechtere Aufenthaltsorte als Burg Notch.«

Clionas Kiefermuskeln spannen sich an und Daphne sieht geradezu, wie es in ihrem Kopf arbeitet. »Die Rebellion glaubt, dass Friv von Schlimmerem bedroht wird als von einer machthungrigen Möchtegern-Kaiserin«, sagt sie schließlich.

»Du meinst, dein Vater glaubt das«, erwidert Daphne. Clionas Vater Lord Panlington ist König Bartholomews engster Vertrauter, aber er arbeitet auch seit zwei Jahrzehnten daran, ihn zu entthronen. Als Cliona keinen Einspruch erhebt, schaut Daphne Hilfe suchend zu Violie – immerhin wissen nur wenige Menschen besser darüber Bescheid, wozu die Kaiserin fähig ist, als Violie, die bis vor Kurzem als eine ihrer Spioninnen fungiert hat –, doch Violie ist abgelenkt und schaut stirnrunzelnd aus dem Fenster.

Daphnes Puls schießt in die Höhe und sie folgt ihrem Blick, doch genauso schnell rutscht ihr das Herz dann in die Hose und lässt Beklommenheit zurück.

Ein Reiter bringt sein strahlend weißes Pferd vor dem Tor zum Stehen, doch es ist seine Livree, die Daphne stutzen lässt. Er ist von Kopf bis Fuß in bessemianisches Blau gekleidet.

»Schickt deine Mutter einen Brief?«, will Violie wissen.

»Ein Brief käme mit der Post«, entgegnet Daphne, stellt ihre Teetasse ab und erhebt sich. Nur sehr wenige Dinge würden ihre Mutter dazu veranlassen, ihren persönlichen Boten nach Friv zu schicken, und nichts davon ist positiv.

Daphne und Cliona machen sich auf den Weg zur Eingangshalle – ohne Violie, falls der Bote jemand ist, der Sophronia schon einmal gesehen hat und ihre Täuschung durchschaut. Im Erdgeschoss des Schlosses angekommen, treffen sie auf Bairre, der flankiert von zwei Wachen aus der Eingangshalle kommt. Als ihre Blicke sich treffen, weiß Daphne sofort, dass er keine guten Neuigkeiten hat.

»Meine Mutter hat einen Boten geschickt«, sagt sie, um ihm die Vorrede zu ersparen. »Wir haben ihn das Tor passieren sehen.«

Bairre nickt. »Er sagt, dass er nur mit dir und Sophronia sprechen wird«, erklärt er ihr.

Daphne dreht sich der Magen um und sie wirft den Wachen neben ihm einen kurzen Blick zu. »Ich werde ihn empfangen, aber meine Schwester ist unpässlich. Deswegen möchte ich sie lieber nicht behelligen.«

Bairre nickt und versteht offenbar, was sie impliziert. Auf dem Weg den Korridor entlang zur Eingangshalle schielt sie aus den Augenwinkeln zu ihm rüber.

Die Hochzeit war vor einer Woche, aber sie tut sich immer noch schwer damit, ihn als ihren Ehemann zu betrachten, und genauso schwer, von sich selbst als Ehefrau zu denken. Vielleicht liegt es daran, zumindest zum Teil, dass die Ehe noch nicht vollzogen wurde.

Zu dieser Übereinkunft sind sie in der Hochzeitsnacht gekommen, eine Vorsichtsmaßnahme, um die Ehe im Notfall auflösen zu können, sollte die Kaiserin diese als Waffe gegen sie beide einsetzen.

»Wenn sie erfahren hat, dass Sophronia noch lebt, wird sie einen Beweis dafür haben wollen«, sagt Daphne. »Das haben wir natürlich erwartet, nicht wahr?«

Bairre antwortet mit einem knappen Nicken und keiner von ihnen spricht aus, dass so viel von ihrem Plan von purem Glück abhängt. Und es wird deutlich einfacher, wenn der Bote jemand ist, den Daphne nicht kennt, da er dann wahrscheinlich auch nicht merken wird, dass Violie tatsächlich nicht Sophronia ist.

Doch jede Hoffnung darauf zerschlägt sich in dem Moment, in dem Daphne die Eingangshalle betritt und sich Bertrand gegenübersieht. Einem Mann, der in den Diensten ihrer Mutter steht, so lange Daphne sich zurückerinnert.

»Eure Hoheit«, sagt der Bote und verbeugt sich tief.

»Bertrand«, erwidert Daphne lächelnd und lässt Bairre zurück, um mit ausgestreckten Händen auf den Mann zuzugehen und seine zu ergreifen, als würde sie einen alten Freund begrüßen. »Wie schön, Sie wiederzusehen.«

»Die Freude ist ganz meinerseits, Prinzessin Daphne.« Bertrand drückt ihre Hände, bevor er wieder locker lässt. Er wirft einen Blick über ihre Schulter, runzelt dann jedoch die Stirn, als er nur Bairre, Cliona und die Wachen entdeckt. »Ist Prinzessin Sophronia nicht bei Ihnen?«, erkundigt er sich.

»Königin Sophronia fühlt sich nicht gut«, entgegnet Daphne. »Sie wird sicher furchtbar enttäuscht sein, Sie verpasst zu haben, doch ich fürchte, das … Trauma ihrer Flucht aus Temarin und allem, was seitdem geschehen ist, fordert seinen Tribut von ihr. Daher möchte ich sie nur ungern in ihrer Ruhe stören. Das verstehen Sie doch sicher.«

Daphne untermalt die letzten Worte, indem sie seine Hände erneut drückt, dieses Mal jedoch begleitet von einem Stich in seine Haut mit ihrem Giftring.

»Oh.« Bertrand zuckt zusammen und befreit seine Hände aus ihrem Griff. Sie zieht die Augenbrauen zusammen.

»Geht es Ihnen gut, Bertrand?«, fragt sie und macht dabei besorgt große Augen. »Sie sehen erschöpft aus – kein Wunder, nach der langen Reise, die hinter Ihnen liegt.«

Bertrand schüttelt den Kopf, als hätte er Schwierigkeiten, einen klaren Gedanken zu fassen. Als er Daphne wieder ansieht, sind seine Augen glasig und sein Blick unfokussiert. »Erschöpft«, wiederholt er. »Lange Reise.«

Ätherblattpulver macht das Opfer benommen und beeinflussbar, genau das, was Daphne braucht, damit ihr Plan aufgeht.

»Das dachte ich mir«, sagt sie mit einem mitfühlenden Lächeln. »Warum ruhen Sie sich nicht eine Weile aus? Vielleicht geht es Sophronia nachher gut genug, um sich beim Abendessen zu uns zu gesellen.«

»Abendessen«, echot Bertrand.

»Ja, genau.« Daphne schaut zu Bairre und schenkt ihm ein kleines, triumphierendes Lächeln. »Kommen Sie, ich bringe Sie in eins der Gästezimmer.«

Während Daphne Bertrand durch den Korridor eskortiert, lässt sie sich nicht anmerken, wie stark er sich auf ihren Arm stützt, doch sie behält seine Schritte, seine Atemfrequenz und die Geschwindigkeit seiner Bewegungen genau im Auge. Als sie sich sicher ist, dass das Mittel seine volle Wirkung in ihm entfaltet hat, schaut sie über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Bairre und Cliona die Wachen auf genügend Abstand zu ihnen halten. Zufrieden damit beginnt sie, Bertrand leise und mit ruhiger Stimme ins Ohr zu flüstern.

»Sie haben ein wundervolles Abendessen mit Königin Sophronia und mir verbracht. Fanden Sie nicht auch, dass sie gesund aussah?«

»Sie sah gesund aus«, wiederholt Bertrand mit einem Nicken.

»Sie war hocherfreut, Sie zu sehen, Bertrand. Sie hat sich nach Ihrer Frau und Ihrem Sohn in Bessemia erkundigt und Sie haben ein angenehmes Gespräch über die beiden geführt. Sophronia ist bei diesen Dingen immer so aufmerksam, nicht wahr?«

»Aufmerksam, ja«, sagt er.

»Aber Sie haben beim Abendessen viel zu viel getrunken. Es ist ein bisschen peinlich, wie sehr Sie dem Alkohol zugesprochen haben – wenn Sie morgen früh aufwachen, wollen Sie das Schloss so schnell wie möglich verlassen, um zur Kaiserin zurückzukehren.«

»Zur Kaiserin zurückkehren.«

»Und wenn Sie ihr gegenübertreten, erzählen Sie ihr, dass Sie Sophronia angetroffen haben, wie gesund sie aussah, wie Sie sich mit ihr unterhalten haben und dass sie noch genau so ist, wie Sie sich an sie erinnern. Schaffen Sie das?«

»Schaffe ich.«

»Dann sagen Sie es mir noch einmal«, meint Daphne. »Was werden Sie meiner Mutter erzählen?«

»Ich habe Königin Sophronia angetroffen«, erwidert er und seine Stimme klingt benommen, doch seine Worte sind klar. »Sie sah gesund aus, wir haben uns unterhalten und sie war, wie ich sie in Erinnerung habe.«

»Sehr gut, Bertrand«, sagt Daphne.

Mittlerweile lehnt er sich so schwer auf sie, dass er sie damit beinahe zu Boden reißt.

»Wachen«, sagt Daphne lauter über die Schulter. »Ich befürchte, dass Bertrand auf seiner Reise dem Alkohol ein wenig zu sehr zugesprochen hat. Könnten Sie ihm ins Bett helfen, bevor er sich etwas tut?«

»Natürlich, Prinzessin«, antwortet einer der Wächter und beeilt sich, sie von ihrer Last zu befreien.

Beatriz

Das Erste, was Beatriz wahrnimmt, ist der Duft nach Meer – cellarische Luft, das ist ihr sofort klar. Sie widersteht dem Drang, die Augen zu öffnen und damit alle in ihrer Nähe auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass sie wach ist. Stattdessen macht sie eine Bestandsaufnahme ihres Körpers und ihrer Umgebung.

Verschwommen erinnert sie sich daran, dass sie schon zuvor mehrfach wieder zu Bewusstsein gekommen ist, jedes Mal ein kurzes Aufflackern von Eindrücken – eine schaukelnde Kutsche, Gisellas durchdringender Blick, der Versuch, zu sprechen, es aber nicht zu schaffen, bevor die Dunkelheit sie wieder nach unten gezogen hat.

Jetzt ist alles ruhig. Sie befindet sich nicht mehr in einer Kutsche, sondern in einem Zimmer. Als sie angestrengter lauscht, hört sie Vögel zwitschern, was dafür spricht, dass es Tag ist, und das entfernte Rauschen von Wellen, die ans Ufer branden. Ihr Kopf fühlt sich an, als wäre er mit Watte gefüllt, aber langsam kehren die Ereignisse zurück.

Sie erinnert sich, wie sie im Schlafzimmer ihrer Mutter stand und die Kaiserin ihr sagte, dass Beatriz nach Cellaria reisen würde, um Nicolo zu heiraten. Sie erinnert sich an die Flucht durch einen geheimen Tunnel aus dem bessemianischen Palast zusammen mit Pasquale, Ambrose und mit Gisella im Schlepptau. Sie erinnert sich, dass Daphne Sternenstaub benutzt hat, um mit ihr zu kommunizieren, und dass Beatriz versprochen hat, dass sie sich bald in Friv wiedersehen.

Doch sie ist nicht in Friv – sie ist in Cellaria. Sie wühlt sich weiter durch schwammige Bilder in ihrem Kopf – wie sie in einem Gasthaus übernachtet und sich das Zimmer mit Gisella geteilt hat, dass die Welt um sie herum verschwamm und der gedämpfte Klang von Gisellas Stimme: Ob du mir glaubst oder nicht – es tut mir leid.

Diese Einzelpunkte kann Beatriz zu Konstellationen verbinden: Gisella hat mit der Kaiserin zusammengearbeitet; sie hat Beatriz auf Befehl der Kaiserin betäubt und nach Cellaria zurückgebracht. Wieder einmal hat Gisella Beatriz hintergangen – was auch sonst? Wie dumm von Beatriz, etwas anderes zu erwarten.

Auch ohne die Augen zu öffnen, weiß Beatriz genau, wo sie sich gerade befindet: wieder im cellarischen Palast, genau wie ihre Mutter es ihr vorhergesagt hat, auch wenn ihre Mutter nicht die ganze Wahrheit darüber verraten hat, warum sie Beatriz hier braucht. Das hat jedoch Nigellus getan, der Himmelsdeuter der Kaiserin.

Als er damit begonnen hat, sie den Umgang mit der Magie zu lehren, die sie ebenfalls zur Himmelsdeuterin macht, ist ihm die Wahrheit über den Wunsch rausgerutscht, den ihre Mutter vor der Geburt von Beatriz und ihren Schwestern ausgesprochen hat, und über die Bedingung, die daran geknüpft ist. Wenn die Kaiserin die Kontrolle über ganz Vesteria erlangen will, müssen ihre Töchter auf dem Grund und Boden der Länder sterben, die sie erobern will, durch die Hand einer Person, die dieses Land ihre Heimat nennt.

Sophronia wurde von temarinischer Hand auf temarinischem Boden ermordet.

Daphne muss von frivianischer Hand in Friv getötet werden.

Und Beatriz … Sie muss hier sterben, in Cellaria, durch die Hände einer beliebigen Anzahl von hier lebenden Menschen, die sich ihren Tod wünschen.

Doch ein Puzzlestück des Plans der Kaiserin fehlt noch und als Beatriz aufgeht, worum es sich dabei handelt, sackt ihr der Magen in die Kniekehlen. Pasquale. Pasquale ist bereits Beatriz’ Ehemann, wenn auch nur nominell, und wenn ihre Mutter sie mit Nicolo verheiraten will, muss Pasquale vorher sterben.

Als Beatriz ihn das letzte Mal gesehen hat, sind er und sein Geliebter Ambrose in einen zweiten Raum des Gasthauses verschwunden, aber wenn Gisella sie auf Befehl der Kaiserin betäubt hat, muss sie wohl auch ins Zimmer nebenan gegangen sein und … Bei diesem Gedanken wird Beatriz übel. Nein, das ginge selbst für Gisella zu weit. Pasquale ist ihr Cousin und Beatriz weiß, dass sie ihn liebt, auch wenn sie ihn ebenfalls betrogen hat. Sie hat Pasquale und Beatriz an Pasquales Vater, den verstorbenen König Cesare, verraten, sodass ihr Zwillingsbruder Nicolo an Pasquales Stelle zum Erben erklärt werden konnte. Doch den Thron zu stehlen, ist etwas anderes, als ein Leben zu nehmen, oder? Das ist doch sicher eine Grenze, die nicht einmal Gisella überschreiten würde? Doch schon während sie das denkt, befürchtet Beatriz, dass sie sich irrt und – wieder einmal – Gisella mehr Vertrauen entgegenbringt, als sie verdient hat.

»Ich weiß, dass du wach bist.«

Die Stimme schneidet durch den Nebel in Beatriz’ Verstand und als sie die Augen öffnet, blickt sie auf den weißen Baldachin über ihrem Bett, bevor sie sich im Zimmer umsieht – luxuriös eingerichtet mit kunstvoll geschnitzten, auf Hochglanz polierten Eichenholzmöbeln, in Rot und Gold gehaltenen Brokatstoffen und goldgerahmten Gemälden von cellarischen Küstenlandschaften an den Wänden. Erst nachdem sie das alles betrachtet hat, erlaubt sie sich, Nicolo anzusehen.

Er lümmelt auf einem Sessel neben der Tür, stützt den blonden Schopf auf einen Ellbogen auf und schaut sie aus seinen dunkelbraunen Augen durchdringend an. Er wirkt nüchterner als bei ihrem letzten Gespräch, das ihr in Bessemia ein Wunsch an einen Stern ermöglicht hat, doch abgesehen davon sieht er mehr oder weniger aus wie sonst auch. Immer noch attraktiv, immer noch überheblich, immer noch mit diesem Blick, als wüsste er genau, was sie gerade denkt.

Das tut er natürlich nicht, aber Beatriz weiß, dass es besser ist, ihn in diesem Glauben zu lassen.

»Halbwegs«, erwidert sie, sieht sich noch einmal blinzelnd um und lässt Unsicherheit über ihr Gesicht huschen. »Wo bin ich?«, fragt sie. Die Antwort kennt sie zwar, doch je unfähiger er sie einschätzt, desto einfacher wird ihr die Flucht gelingen. Sie muss Cellaria verlassen, sie muss Pasquale und Ambrose finden – weil die beiden unmöglich tot sein können – und sie muss zu Daphne nach Friv.

»Ach komm, Beatriz«, entgegnet Nicolo mit einem wissenden Lächeln. »Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, wie du deine Umgebung schon analysiert hast, bevor du die Augen geöffnet hast? Du weißt genau, wo du dich befindest.«

Das stimmt. In diesem speziellen Raum war Beatriz zwar noch nicht, aber sie kann sich zusammenreimen, wo er ist und welchem Zweck er dient. Wessen Raum das ist.

»Die Gemächer der Königin im cellarischen Palast«, sagt sie und setzt sich auf. Nun gut, wenn es ihr nichts bringt, die Naive zu spielen, kann sie sich vielleicht aus der Situation bluffen. »Also hast du aufgegeben? Schläft Pasquale gerade nebenan in den Gemächern des Königs, wie es ihm rechtmäßig zusteht?«

Ein kleines, amüsiertes Lächeln umspielt Nicolos Mund. »Unglücklicherweise nicht«, sagt er. »Cellaria ist zu einer … Übereinkunft mit Bessemia gekommen.«

Beatriz zieht die Augenbrauen hoch. »Meine Mutter hat etwas in dieser Richtung angedeutet, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben«, gibt sie zu. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass du dumm genug bist zu glauben, dass ich mich einfach so eintauschen lasse wie eine seltene Münze.«

»Deine Zustimmung spielt dabei keine große Rolle.« Nicolo zuckt mit den Schultern.

Beatriz beißt die Zähne zusammen und mustert ihn, den klugen Jungen, in den sie sich zu verlieben geglaubt hatte und der nun zum skrupellosen König geworden ist, der sie entführt hat und der beabsichtigt, sie gegen ihren Willen zu heiraten. Wenn er ihr Nein jetzt schon nicht akzeptiert, was wird dann passieren, wenn sie ins Ehebett gezwungen wird? Das ist nicht der Nicolo, den sie kennt. Vieles an ihm hat sich als Lüge entpuppt, aber das?

»Und du?« Sie reckt das Kinn nach vorn. »Du hast dein eigenes Wohl aufs Spiel gesetzt, um mich vor den unerwünschten Annäherungsversuchen deines Onkels zu bewahren. Damals habe ich dich für nobel gehalten, aber vielleicht bist du ihm ähnlicher, als mir klar war.«

Das bringt ihr eine Reaktion ein. Nicolo packt die Armlehnen seines Sessels und ein Funkeln tritt in seine Augen. »Du kennst mich besser, Beatriz«, sagt er leise.

»Ach ja?« Sie gibt ein harsches Lachen von sich, macht sich jedoch einen mentalen Vermerk, womit sie Nicolo aus der Reserve locken kann, um es später gegen ihn zu verwenden. »Ich weiß nur, Nicolo, dass du mich entführt hast und mich in eine Ehe zwingst, in die ich nicht einwillige.«

Das Funkeln in seinen Augen blitzt erneut auf, doch als er einen Moment später durchatmet und aufsteht, ist seine kühle Fassade wieder intakt. »Es wäre nicht das erste Mal, dass du jemanden heiratest, weil du es musst«, gibt er zu bedenken. »Diese Ehe wurde nie vollzogen und so wird es auch bei unserer sein, bis du dich anderweitig entscheidest.«

»Oh, wie überaus großmütig von dir«, fährt Beatriz ihn an. »Lass mich dir das mit einem Rat meinerseits vergelten: Meine Mutter ist nicht deine Verbündete. Was auch immer sie für ein Bündnis mit dir eingegangen ist, es wurde bereits gebrochen, bevor sie es vollständig ausgesprochen hat. Und wenn ich nicht in die Sache hineingezogen worden wäre, würde ich mit Freude zusehen, wie sie dich und die Schlange, die du Schwester nennst, zerstört.«

Nicolo lacht nur und verlässt das Schlafzimmer in den Nebenraum, den Beatriz als Salon identifiziert. Sie reckt den Hals, als er die Tür öffnet, die wohl auf den Gang führt, und erhascht einen Blick auf die Wachen, die draußen postiert sind.

»Du unterschätzt mich immer noch, Beatriz«, meint Nicolo. »Das solltest du mittlerweile doch wirklich besser wissen.«

Es ist ja nichts Neues für Beatriz, im cellarischen Schloss unter Hausarrest zu stehen, auch wenn er dieses Mal keinem offiziellen Erlass folgt. Als sie kurz nach Nicolo versucht, den Salon zu verlassen, wird sie darüber informiert, dass der König Anweisung gegeben hat, sie zu ihrer eigenen Sicherheit in ihren Räumlichkeiten zu belassen. Sie weiß nicht recht, ob die Wachen das tatsächlich glauben oder nicht, aber mit roher Gewalt kommt sie unmöglich an ihnen vorbei.

Zum Glück muss sie das auch nicht.

Unruhig schreitet sie ihre Gemächer ab, untersucht das Schlafzimmer, anschließend den Salon, der mit zwei brokatbezogenen Sofas, einem Kamin mit heruntergebranntem Feuer und einem Sekretär ausgestattet ist, und zuletzt das angrenzende private Esszimmer, in dem sich ein kleiner runder Tisch mit zwei Lehnstühlen befindet.

Obwohl die Einrichtung überaus prunkvoll ist, wirkt sie auf Beatriz wie eine nackte Leinwand, da ihr die persönliche Note fehlt. Das ist wohl wenig überraschend, da höchstwahrscheinlich seit dem Tod von Pasquales Mutter vor fast einem Jahrzehnt niemand mehr hier residiert hat, doch nachdem sie ihre Inspektion nach einer knappen halben Stunde beendet, hat sie nichts weiter zu tun. Es gibt keine Bücher zu lesen, keine Briefe zu schreiben – selbst eine Stickarbeit wäre ihr im Moment willkommen, um nicht den Verstand zu verlieren, während sie darauf wartet, dass die Sonne untergeht und die Sterne sich am Himmel zeigen.

Doch nach gefühlt mehreren Lebensaltern sind sie endlich da und Beatriz schaut aus dem Fenster auf Vallon hinunter, auf die tintenschwarze See, die sich jenseits der Stadt ausdehnt, und den sternenübersäten Himmel, der sich über all das spannt.

Während sie die Konstellationen betrachtet, denkt sie an Nigellus, den Himmelsdeuter und Vertrauten ihrer Mutter, der die seltene Gabe besessen hat, Sterne vom Himmel zu holen, um Wünsche zu erfüllen. Eine Gabe, die auch Beatriz ihr Eigen nennt, auch wenn der Unterricht quasi schon vorbei war, bevor er richtig begonnen hatte. Nigellus schärfte ihr ein, dass sie ihre Gabe nur im äußersten Notfall einsetzen soll, um die Sterne zu bewahren, die noch am Himmel stehen – eine endliche Ressource, die bereits in den Jahrtausenden vor ihrer beider Geburt geplündert worden war.

Wenn Nigellus sie jetzt sehen könnte, dass sie bereit ist, ungeachtet der Konsequenzen einen Wunsch an einen weiteren Stern zu entsenden, würde er ihre Entscheidung befürworten? Immerhin agiert Beatriz’ Magie anders als seine, anders als die aller anderen Himmelsdeuter – wenn Beatriz einen Wunsch an einen Stern schickt, taucht dieser innerhalb von einer oder zwei Nächten wieder auf, als wäre nichts geschehen.

Mit ihren Gedanken an Nigellus kehren sofort auch die Erinnerungen an ihre letzte Begegnung zurück. Er klärte sie über seine Vermutung auf, dass jeder Einsatz von Magie sie dem Tod ein Stück näher bringt, und als sie entgegnete, dass ihr das egal ist, dass sie sie trotzdem nutzen wird, um ihre Mutter zu besiegen und ihre Schwester und den Rest von Vesteria vor ihren Machenschaften zu schützen, wurde er wütend. Sie hat noch vor Augen, wie er an seinem Teleskop stand und sich von einem Stern wünschte, ihr die Magie wegzunehmen, weil sie – wie er es ausdrückte – nicht damit betraut werden kann, sie zu wirken. Beatriz versuchte, ihn aufzuhalten, und sie kämpften in seinem Laboratorium, bis sie in ihrer Verzweiflung das Fläschchen des Gifts, das sie eigentlich gegen ihre Mutter einsetzen wollte, an seiner Schläfe zerbrach und ihm das Pulver in die offene Wunde rieb, was ihn auf der Stelle umbrachte.

Sie verdrängt das Bild seines leblosen Gesichts aus ihrem Kopf und sucht unter den Konstellationen, die über den Himmel wandern, nach einer, deren Bedeutung sich für ihre heutigen Absichten eignet.

Da wäre das Herz des Helden, das Mut symbolisiert, doch das fühlt sich nicht passend an. Sich aus dieser Situation wegzuwünschen, ist wohl kaum mutig, aber das ist Beatriz weniger wichtig, als zu Pasquale und Daphne zu gelangen.

Der Schwanz des Tigers steht für Vergeltung und das ist verlockend, insbesondere beim Gedanken an Nicolos selbstgefällige Visage und Gisellas hohle Entschuldigung, doch letztendlich entscheidet sich Beatriz gegen seine Verwendung. Rache kann warten, im Moment braucht sie Sicherheit.

Die findet sie in der Bewölkten Sonne, dem Zeichen für Trost.

Da sie weiß, wie Wünsche ihr in der Vergangenheit zugesetzt haben, stützt sie sich mit beiden Händen auf dem Fensterbrett ab und hält sich daran fest, während sie sich einen Stern am Ende eines sinnbildlichen Sonnenstrahls in der Konstellation aussucht und sich darauf konzentriert.

»Ich wünsche mir, dass ich bei Pasquale bin, wo auch immer er ist«, sagt sie laut und wappnet sich innerlich gegen den Sog der Magie, den sie bei ihrem Wunsch nach Flucht aus der Schwesternschaft verspürt hat.

Er bleibt jedoch aus. Die Worte, die sie ausspricht, sind nur das – Worte.

Übelkeit steigt in ihr auf, doch die hat nichts mit den Nebenwirkungen der Magie zu tun, die ihr inzwischen so vertraut sind. Wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird, bedeutet das, dass Pasquale tot ist? Nein, daran darf sie nicht einmal denken. Vielleicht gibt es eine andere Erklärung, eine Lösung für das Rätsel, die gefunden werden kann, sobald sie Cellaria verlassen hat.

Sie versucht es erneut, dieses Mal mit einem Stern am Rand einer Wolke.

»Ich wünsche mir, dass ich bei Daphne in Friv bin«, sagt sie in der Hoffnung, dass eine genauere Ortsangabe den Sternen hilft, sie zu erhören.

Aber auch das schlägt fehl und Beatriz findet sich an dem unverändert gleichen Ort wieder, immer noch in Cellaria und immer noch gefangen. Ein flaues Gefühl breitet sich in ihrem Bauch aus und mit ihm eine Erkenntnis, der Beatriz sich noch nicht stellen kann.

Verzweifelt sucht sie sich einen weiteren Stern – diesmal aus dem Funkelnden Diamanten.

»Ich wünsche mir, dass mein Kleid blau ist.«

Das ist ein alberner Wunsch, so klein, dass sie das Ergebnis mit Sternenstaub erreichen könnte, doch als Beatriz an sich nach unten blickt, stellt sie fest, dass ihr Kleid immer noch in cellarischem Rot gefärbt ist. Sie weicht mit zitternden Händen vom Fensterbrett zurück und hat keine andere Wahl, als den Tatsachen ins Auge zu sehen.

Ihre Magie ist weg.

Violie

Violie glaubt nicht, dass sie sich je daran gewöhnen wird, wie ein Mitglied der königlichen Familie behandelt zu werden. Selbst in Friv, einem Herrscherhof, der weit weniger Wert auf Etikette legt als jeder andere in Vesteria, verbeugen sich die Leute vor ihr oder machen einen Knicks, wenn sie an ihnen vorbeikommt. Als Kind, das in einem Bordell aufwuchs, und dann später als Kaiserin Margaraux’ Spionin, die als Dienerin verkleidet ein Auge auf Prinzessin Sophronia halten sollte, war sie daran gewöhnt, übersehen und ignoriert zu werden. Diese Unauffälligkeit hat ihr in beiden Rollen Sicherheit verschafft. Doch jetzt schenken die Leute ihr Aufmerksamkeit, wohin sie auch geht, selbst wenn sie vorgeben, es nicht zu tun.

Es ist irgendwie besser und gleichzeitig schlimmer, wenn sie mit Leopold zusammen ist. Bevor er mit fünfzehn König von Temarin wurde, war er der Kronprinz und Aufmerksamkeit sein Geburtsrecht. Jetzt, im Exil weit entfernt von dem Land, das er regieren sollte, zieht er Aufmerksamkeit an wie die Sonne, sobald er einen Raum betritt. Das macht es im Nachhinein noch irrwitziger, wie lange er es tatsächlich geschafft hat, den Mann aus dem gemeinen Volk zu spielen, als er und Violie nach der Belagerung aus Temarin geflohen sind, die Leopolds Ehefrau Sophronia das Leben gekostet hat. Auf Schloss Eldevale ist Leopolds Identität jedoch allen bekannt und wenn Violie an seiner Seite ist, schauen mehr Menschen als je zuvor in ihre Richtung – doch weniger blicken sie direkt an und das ist zumindest ein gewisser Trost.

»Und wenn Bertrand heute Morgen aufwacht, wird er denken, dass er gestern mit Daphne und Sophronia zu Abend gegessen hat – der Sophronia, an die er sich erinnert, nicht … du weißt schon, mit mir«, bringt sie Leopold auf den neuesten Stand ihres Plans, Bertrand mit einem Trick dazu zu bringen, Kaiserin Margaraux zu berichten, dass Sophronia wohlauf und wirklich am Leben ist.

Leopold nickt, doch Violie bemerkt sein Stirnrunzeln. Dieser Tage scheint es gar nicht mehr zu verschwinden und sich noch zu vertiefen, wenn sich das Gespräch um Sophronia oder Violies Übernahme ihrer Identität dreht.

Er hat dem Plan zugestimmt, den Daphne nach Violies Verhaftung wegen versuchten Mordes zusammengebraut hat, hat sogar dabei geholfen, sie während des Prozesses als Sophronia zu identifizieren, aber Violie weiß, dass ihm das Ganze vielleicht sogar noch mehr zusetzt als ihr. Immerhin hat er Sophronia geliebt und beginnt gerade erst, um sie zu trauern. Violie mit ihrem Namen anzusprechen und sich in der Öffentlichkeit so zu verhalten, als wäre sie seine Frau, muss hart für ihn sein.

Ganz abgesehen von der Tatsache, dass das Ziel von Violies Mordversuch seine Mutter Eugenia gewesen ist. Die beiden waren sich in keiner Form zugetan – Eugenia war die treibende Kraft hinter der Belagerung, die für Sophronias Tod verantwortlich war, und die Frau wollte Leopold ebenfalls töten –, doch sie war trotzdem seine Mutter. Er macht Violie keine Vorwürfe – auch Daphne nicht, die vollbracht hat, woran Violie gescheitert ist, und Eugenias Leben beendet hat –, aber Violie ist sich sicher, dass ein Teil von ihm wohl um sie trauert.

Also nein, Violie mit Sophronias Namen anzusprechen und sie in der Öffentlichkeit als seine Ehefrau und Königin zu behandeln im vollen Wissen, wer sie ist und wozu sie fähig ist, kann für Leopold nicht einfach sein.

Selbst in diesem Moment fühlt sich sein Arm steif unter ihren behandschuhten Fingern an, während sie einen Spaziergang durch den schneebedeckten Garten machen – einer der wenigen Orte, an denen sie unter vier Augen miteinander reden und sich sicher sein können, dass potenzielle Lauscher zu weit entfernt sind, um ihre geflüsterten Worte zu verstehen.

»Dann ist der Plan von Erfolg gekrönt«, sagt Leopold. »Möchte er mich ebenfalls sprechen?«

»Darüber hat er nichts gesagt«, erwidert Violie. »Aber er wird innerhalb der nächsten Stunden abreisen und solange du bis dahin auf Abstand bleibst, brauchst du dir keine Sorgen darum machen, die Fassade aufrechtzuerhalten.«

»Ich würde mal behaupten, dass ich inzwischen recht gut im Aufrechterhalten der Fassade bin«, sagt Leopold. »Genug Übung bekomme ich darin jedenfalls.«

Sie kommen an einem anderen Paar auf dem Gartenpfad vorbei, einem Mann mittleren Alters und einer Frau, die Violie als Lord und Lady Kilburrow erkennt. Die beiden verbeugen sich und knicksen und bleiben kurz stehen, um ein paar Höflichkeiten auszutauschen, bevor sie ihren Weg fortsetzen. Als sie außerhalb der Hörweite sind, schaut Violie zu Leopold.

»Du wirst ein besserer Lügner«, gesteht sie ihm zu, ist sich aber nicht sicher, warum ihr das Kompliment so gegen den Strich geht. Es ist die Wahrheit, doch das macht es nur noch schlimmer. Bis vor Kurzem fehlte Leopold selbst die arglistige Ader, um jemandem überzeugend vorzumachen, dass er seine Frisur mag, von der Fähigkeit einmal ganz zu schweigen, den zerbrechlichen Turm aus Lügen aufrechtzuerhalten, der ihrer aller und im speziellen Violies Sicherheit bewahrt. Sie findet es furchtbar, dass sie ihm das angetan hat, dass sie ihn in ein Netz aus Täuschungen gezogen hat, in dem er nie vorgesehen war. Doch bei diesem Gedanken korrigiert sie sich sofort.

Sie hat ihn nicht in diese Sache reingezogen und ihm stattdessen sogar jede Möglichkeit gegeben, sich aus dem Staub zu machen. Die Kaiserin hat alles in Schutt und Asche gelegt, was er bis dato kannte. Sie nahm ihm sein Land, seine Ehefrau und in gewisser Weise sogar seine Mutter. Die Kaiserin ist verantwortlich für die Vernichtung des verwöhnten Königsjungen, der er einst war, und Leopold selbst hat den Mann erschaffen, der an seine Stelle getreten ist.

Es ist keine Tragödie, redet sie sich ein und sieht ihn erneut an. Ein paar verirrte Schneeflocken hängen in seinen bronzefarbenen Haaren und seine erhabenen Gesichtszüge sind kantiger geworden, woran sie sich noch immer nicht ganz gewöhnt hat, was ihm aber gut steht.

Oh, wenn Sophronia dich jetzt sehen könnte, denkt sie, was von einem schmerzhaften Stich der Schuld begleitet wird.

Als eine Dienstbotin Violie später in den Räumen aufsucht, die sie sich mit Leopold teilt, um ihr Bescheid zu geben, dass Bertrand aufgestanden ist, eilt sie zu seinem Zimmer und trifft vor seiner Tür Daphne an. Die schenkt ihr ein angespanntes Lächeln, schaut jedoch rasch zu den Wachen, die sie umgeben.

Diese Farce ist ein heikler Balanceakt – die Wächter müssen Violie als Königin Sophronia in Bertrands Zimmer gehen sehen, damit es ihnen nicht komisch vorkommt, dass sie sich während des Aufenthalts des Mannes nicht mit ihm beschäftigt hat, doch Bertrand darf Violie ausschließlich als Dienerin wahrnehmen.

Daphne und Violie sind im Vorfeld übereingekommen, dass der Schlüssel dazu in der Kleidung liegt. Da Winter herrscht, ist es selbst in den Gängen des frivianischen Schlosses eiskalt. Violie trägt einen kunstvoll bestickten, mit Hermelinpelz verbrämten Samtumhang – Teil der Garderobe, mit der König Bartholomew sie beschenkte, nachdem sie Sophronias Platz eingenommen hat. Doch unter dem aufwendig gearbeiteten Kleidungsstück trägt sie ein einfaches graues Wollkleid, nicht unähnlich denen, die die Dienstbotinnen des Schlosses unter ihren deutlich schmuckloseren Umhängen anhaben.

Daphne betritt den Raum vor ihr und Violie entledigt sich des Umhangs, während sie ihr folgt, um ihn sich anschließend über den Arm zu hängen. Daphne schlüpft ebenfalls aus ihrem Umhang und gibt damit den Blick auf ein violettes Samtkleid frei, dessen Mieder mit silbernen Blumen bestickt und mit Edelsteinen besetzt ist. Der Prunk ihrer Robe unterstreicht, wie schlicht Violies Kleid im Vergleich ist. Den Umhang übergibt sie Violie, sobald die Tür geschlossen ist, was es Violie erlaubt, ihren eigenen unter Daphnes zu verstecken.

Da sie nun allein im Raum mit Bertrand sind, dessen glasige Augen und fahle Haut ihn wirklich aussehen lassen, als hätte er am Abend zuvor ein paar Gläser Ale zu viel genossen, ist es leicht für Violie, in ihrem einfachen Kleid zu Daphnes Schatten zu werden, eine Zofe, die ihre Prinzessin begleitet.

Nicht nur die Kleidung sorgt für die Verwandlung, auch Violies Körperhaltung ändert sich grundlegend, sie gibt den aufrechten, erhabenen Gang auf und lässt die Schultern ein wenig nach vorn sinken. Statt hocherhobenen Hauptes allen in ihrer Umgebung forsch in die Augen zu sehen, hält sie den Blick auf den Boden gerichtet. Ihre Schritte werden zurückhaltend. Selbst ihre Atmung passt sich an. Wieder einmal verschmilzt sie mit dem Hintergrund, fügt sich in eine Rolle, die sie vermisst hat, in der sie nichts weiter tun musste, als keine Aufmerksamkeit zu erregen und alles um sich herum im Auge zu behalten.

Bertrand verbeugt sich, als er Daphne entdeckt, würdigt Violie jedoch nur eines flüchtigen Blicks. Sie achtet sorgsam darauf, ihn nicht anzustarren, schafft es aber, ihn aus den Augenwinkeln zu mustern, und bemerkt daher nicht nur den ungesund grünlichen Schimmer seiner Haut, sondern auch seinen verwirrten Gesichtsausdruck und die Art, wie er die Hände vor dem Körper ringt.

»Ich befürchte, ich habe mich gestern Abend gehen lassen, Eure Hoheit«, sagt er zu Daphne, ohne ihr in die Augen zu sehen.

Daphne lächelt ihn nachsichtig an. »Oh, Sie sind nicht der erste Fremdländer, der dem frivianischen Ale zum Opfer fällt – das ist leider wirklich starker Stoff.« Sie macht eine beifällige Handbewegung. »Königin Sophronia konnte sich mir leider nicht anschließen, um Sie zu verabschieden, da sie und König Leopold einer bereits bestehenden Verpflichtung in der Stadt nachkommen müssen, aber sie entbietet Ihnen ihre Wünsche für eine sichere Heimreise.«

Bertrands Gesicht nimmt einen dunkleren Rotton an. »Es war sehr schön, Ihre Schwester wiederzusehen, Prinzessin – und Sie ebenso, natürlich, doch als in den Nachrichten aus Temarin die Rede davon war, dass sie … Nun, die Sterne haben uns wahrlich ein Wunder beschert, nicht wahr?«

Violie atmet innerlich erleichtert auf, behält jedoch eine neutrale Miene bei.

»Das haben sie in der Tat«, erwidert Daphne, die ebenfalls Erleichterung ausstrahlt. »Sophronia hat außerdem einen Brief vorbereitet mit der Bitte, dass Sie ihn unserer Mutter aushändigen könnten, wenn Sie sie sprechen. Ich hoffe doch, dass wir Ihnen diesen zur sicheren Verwahrung anvertrauen können.«

Daphne zieht einen gerollten Brief aus ihrer Tasche – über dem haben sie und Violie bis zur Perfektion in der Nacht zuvor gebrütet und über die Eigenheiten von Sophronias Handschrift und Wortwahl diskutiert.

Doch Bertrand macht keine Anstalten, ihn entgegenzunehmen, und zieht stattdessen die Augenbrauen zusammen, während er nun doch den Blick vom Boden hebt und Daphne ansieht. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe, Prinzessin«, sagt er langsam und beäugt Daphne mit so viel Misstrauen, dass die Alarmglocken in Violies Kopf losschrillen.

Daphnes Lächeln schwindet jedoch nicht. »Nun, wie Sie gesagt haben, dass meine Schwester lebendig und wohlauf gefunden wurde, ist ein echtes Wunder. Ich weiß, dass die Kaiserin Ihnen vertraut, Bertrand, aber sicherlich möchte sie auch von Sophronia persönlich hören?«

»Nun, natürlich, Prinzessin Daphne.« Bertrand stolpert über seine Worte. »Es ist nur … Würde Prinzessin Sophronia ihrer Mutter die Nachricht nicht lieber von Angesicht zu Angesicht überbringen?«

Eis rinnt Violie das Rückgrat hinunter und Daphnes Schultern wirken auf einmal sehr angespannt.

»Verzeihen Sie mir, aber Ihre Mutter ist nur noch eine Tagesreise entfernt, sie sollte morgen früh hier eintreffen. Steht in diesem Brief etwas, das nicht bis dahin warten kann?«

»Meine Mutter kommt hierher«, wiederholt Daphne langsam. »Nach Friv.«

Daphne kann den schockierten Unterton in ihrer Stimme nicht verbergen, doch das kann Violie ihr nicht übel nehmen. Leopold hat diese Möglichkeit beim Schmieden des Plans angesprochen, doch Daphne war absolut überzeugt – die Kaiserin hat Bessemia noch kein einziges Mal in ihrem Leben verlassen. Selbst außerhalb der Hauptstadt Hapantoile war sie nur selten, da sie der Überzeugung war, dass sie sich sofort im Mittelpunkt eines Putsches befinden würde, sollte sie den Hof für einen beliebigen Zeitraum sich selbst überlassen. Dieser braut sich schließlich zusammen, seit sie vor sechzehn Jahren einen Thron bestieg, auf den sie kein echtes Anrecht hatte. In ein anderes Land zu reisen, erschien daher unwahrscheinlicher, als dass die Sterne sich verdunkeln.

»Ja.« Bertrand zögert. »Sicherlich haben wir darüber doch am vergangenen Abend gesprochen, Eure Hoheit?«

Man muss Daphne zugutehalten, dass sie sich schnell wieder fängt und ihr Lächeln zurückkehrt. »Oh, das haben wir bestimmt, Bertrand. Aber ich bin wohl selbst doch noch nicht so sehr an das frivianische Ale gewöhnt. Es muss mir entfallen sein.«

»Natürlich, Eure Hoheit. Ihre Mutter freut sich darauf, Sie und Ihre Schwester wiederzusehen. Ich wurde vorausgeschickt, um ihre Ankunft anzukündigen und dafür Sorge zu tragen, dass Räumlichkeiten im Schloss für sie vorbereitet werden. Sie sollte morgen hier eintreffen.«

»Morgen.« Das Wort kommt Daphne durch die zusammengebissenen Zähne kaum über die Lippen.

»Ja, Eure Hoheit.«

»Nun, das ist …« Daphne schluckt hinunter, was ihr Violies Vermutung nach an unfeinen Adjektiven auf der Zunge liegt, und zwingt sich zu einer Lüge. »Wundervoll. Ich freue mich darauf, sie hier zu empfangen. Wir freuen uns darauf, sie hier zu empfangen.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, rauscht Daphne aus dem Zimmer und Violie folgt ihr dicht auf den Fersen, angestrengt darum bemüht, nicht einfach loszurennen.

Daphne

Daphne bleibt auf ihrem Weg den Schlosskorridor hinunter nicht stehen, selbst als Violie ihr etwas nachruft.

Morgen wird sie ihre Mutter wiedersehen. Noch vor ein paar Wochen wäre das eine willkommene Aussicht gewesen. Daphne wollte nichts mehr, als sich ihrer Mutter in die Arme zu werfen, so verzweifelt darauf erpicht, die Bedingungen zu erfüllen, die die Kaiserin an ihre Liebe geknüpft hat, verzweifelt in ihrem Versuch, genau der Mensch zu sein, der sie auf Wunsch ihrer Mutter sein soll, in verzweifeltem Sehnen nach der Anerkennung und dem Stolz, die die Kaiserin ihr wie eine Karotte vor der Nase baumeln ließ, stets knapp außerhalb von Daphnes Reichweite.

Jetzt jedoch erfüllt die Vorstellung, Kaiserin Margaraux zu sehen – oder von ihrer Mutter gesehen zu werden –, Daphne mit Angst. Sie weiß, dass die Kaiserin mit nur einem Blick all ihren Verrat und ihr Versagen so spielend leicht durchschaut, als wären sie ihr auf die Haut geschrieben.

Daphne hatte die Aufgabe, Friv in einen Bürgerkrieg zu treiben, der das Land schwächen würde, sodass die Kaiserin es mit Leichtigkeit einnehmen kann. Sie hatte die Aufgabe, Leopold zu töten, sobald sie seinen Verbleib aufgedeckt hatte, und seine jüngeren Brüder Gideon und Reid mit ihm. Sie hatte die Aufgabe, die loyalste Spionin und Saboteurin ihrer Mutter zu sein, ihr dabei zu helfen, den ganzen Kontinent Vesteria einzunehmen und das bessemianische Kaiserreich zu seiner vorherigen Blüte zurückzuführen. Sie hatte die Aufgabe, sich als würdige Erbin selbigen Kaiserreichs zu erweisen.

Stattdessen arbeitet Daphne nun mit frivianischen Rebellen und König Bartholomew zusammen, um Friv zu stärken. Sie hat nicht nur Leopold am Leben gelassen, sondern auch geholfen, seine Brüder in Sicherheit und außer Reichweite ihrer Mutter zu schaffen. Daphne hat sich gegen ihre Mutter gewendet und mit den Leuten verbündet, die ihre Feinde sein sollten, und das würde ihre Mutter ihr nie vergeben. Das wusste Daphne – sie war sich ihrer Handlungen sehr bewusst, kannte den Preis dafür und bereut nichts, aber die Vorstellung, sich wieder in der Gegenwart ihrer Mutter aufzuhalten, schlingt sich wie eine Dornenranke um ihr Herz und zieht sich immer enger zusammen.

Eine Hand landet auf ihrer Schulter und Daphne fährt mit geballten Fäusten herum, bereit zuzuschlagen, doch als sie sich Violies besorgter Miene gegenübersieht, schüttelt sie nur den Kopf und konzentriert sich auf das aktuell dringlichste Problem.

»Du und Leopold, ihr müsst so schnell wir es einrichten können von hier verschwinden.« Sie schüttelt Violies Hand ab und setzt ihren Weg fort, dieses Mal jedoch zielstrebig. Eine Abzweigung nach links bringt sie in den Korridor, der zum Gästeflügel führt, in dem sich Violies und Leopolds Räumlichkeiten befinden.

»Wir sollen weglaufen?«, fragt Violie mit einem harten Lachen und schließt zu ihr auf. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

Daphne beißt die Zähne zusammen. »Was, glaubst du, wird passieren, wenn meine Mutter hier eintrifft und dich vorfindet, wie du dich als Sophronia ausgibst?« Ihre Stimme trieft vor Hohn. Sie ist nicht auf Violie wütend, nicht wirklich, aber Violie gibt das perfekte Ziel für die Panik ab, die in ihr hochkocht, und sie nimmt Daphnes Zorn gelassen hin. »Denkst du etwa, sie wird dich Tochter nennen und bei der Scharade mitspielen, dass du tatsächlich Sophie bist?«

»Ganz ehrlich?«, fragt Violie. »Ja, ich glaube, dass sie genau das tun wird.«

Daphne bleibt wie angewurzelt stehen und wendet sich Violie perplex zu.

»Was wäre denn die Alternative?«, fügt Violie hinzu. »Dass sie dich eine Lügnerin nennt? Dich bezichtigt, eine Frau zu unterstützen, die – in ihrer Version der Ereignisse – für den Putsch verantwortlich war, der die echte Sophie das Leben gekostet hat?«

So laut ausgesprochen erkennt Daphne, dass sie durchaus recht haben könnte.

Violie fährt fort: »Nichts davon kann sie anbringen, ohne dich bloßzustellen, und jetzt gerade braucht sie dich, weil du Friv übernehmen musst.«

Daphne nickt langsam. »Ich habe Bairre endlich geheiratet«, sagt sie, weniger als Erwiderung an Violie, sondern eher, um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. »Sie ist einen Schritt näher an dem, was sie will, aber sie braucht mich immer noch, bis sie Friv einnehmen kann.«

»Ganz genau«, meint Violie. »Und sie kommt nicht hierher, um dich oder uns zu vernichten. Noch nicht. Sie kommt, weil sie weiß, dass sie deine Loyalität verloren hat, ob Sophronia nun tatsächlich noch am Leben ist oder nicht. Sie kommt hierher, um sie zurückzubekommen.«

Das stellt Daphnes Welt auf den Kopf. So lange sie denken kann, hat ihre Mutter immer sämtliche Macht besessen – etwas, das Daphne im Gegensatz zu Beatriz nicht störte. Daphne war immer damit zufrieden, den Anweisungen ihrer Mutter zu folgen und für die Aussicht auf einen Hauch von Anerkennung nach jeder Pfeife zu tanzen, die die Kaiserin spielte – und für die Macht, die dadurch auch auf Daphne überging. Die Vorstellung, dass ihre Mutter hier bei ihr auftaucht, um Daphnes Gunst zurückzugewinnen, ist ebenso lächerlich wie beängstigend.

Es ist eine Sache, sich durch Intrigen und geheime Allianzen gegen die Kaiserin zu stellen, wenn man sich Hunderte von Meilen entfernt befindet. Sich in der Nähe ihrer Mutter aufzuhalten und ihr den Gehorsam zu verweigern, wird etwas ganz anderes sein. Daphne wird schlecht.

Violie sieht ihr das wohl an, denn sie mustert Daphne mit einer Mischung aus Verärgerung und Mitleid – und Daphne weiß nicht, was davon schlimmer ist.

»Dann müssen wir vorsichtig vorgehen.« Daphne strafft die Schultern und richtet den Blick geradeaus. »Und wir können nicht davon ausgehen, dass sie allein kommt – sie wird ihre Spione und Attentäter dabeihaben und wir wissen ja nun alle, dass wir nicht unterschätzen sollten, wozu sie fähig ist.«

»Wir müssen uns mit Lord Panlington treffen«, sagt Violie, als würde sie Daphnes Gedanken lesen. Clionas Vater ist der Anführer der Rebellengruppe in Friv, die daran arbeitet, König Bartholomew zu entthronen und Frivs Monarchie komplett abzuschaffen, um die Regierung des Lands wieder in die Hände der einzelnen Clans zu legen, die vor zwei Jahrzehnten noch darüber geherrscht haben. Bis vor Kurzem hat Daphne die Rebellen noch als Feinde betrachtet, die ihr manchmal nützlich sein können, doch dann hat sie mit Lord Panlington eine Allianz geschlossen, deren Ausmaß Daphne noch immer nicht ganz umreißt.

Doch selbst wenn sie Lord Panlington nicht vertraut, haben sie in der Kaiserin doch eine gemeinsame Feindin.

»Und du«, sagt sie zu Violie, »musst hier weg, zusammen mit Leo.«

Violie schnaubt spöttisch. »Ich habe doch gerade gesagt …«

»Meine Mutter wird unsere List vielleicht nicht vor aller Augen aufdecken, aber sie behauptet immer noch zumindest in der Öffentlichkeit, dass sie Temarin nur so lange regieren wird, bis Leo oder seine Brüder gefunden werden. Sie hat mir schon befohlen, alle drei umzubringen, und nur weil ich versagt habe, gibt sie deswegen nicht einfach auf. Und was dich angeht – ich muss dir wohl nicht erklären, dass meine Mutter schon Feinde aus dem Weg geräumt hat, die ihr weit weniger lästig waren als du.«

»Ich kann mit allem umgehen, was deine Mutter sich für mich ausdenkt«, erwidert Violie unterkühlt.

Daphne schüttelt den Kopf. »Kann Leo das auch?«

Violie schweigt einen Moment lang. »Er übt sich mit Bairre im Schwertkampf und er macht Fortschritte.« Sie klingt, als würde sie sich selbst ebenso davon überzeugen wollen wie Daphne. Sie wissen beide, dass Leopold sein ganzes Leben lang nur mit stumpfen Schwertern gegen Gegner gekämpft hat, die gerne bereit waren, ihn gewinnen zu lassen, und es wird länger als zwei Wochen dauern, seine Fähigkeiten zu verbessern.

Als Daphne nicht antwortet, seufzt Violie. »Na schön, ja, du hast recht«, gibt sie bissig zu.

Daphne nimmt sich einen Moment zum Nachdenken. »Es wäre sehr verdächtig, wenn du jetzt abrupt abreisen würdest, nachdem dir mitgeteilt wurde, dass deine geliebte Mutter auf dem Weg zu der Tochter ist, die sie für tot gehalten hat«, sagt sie. »Meine Mutter liebt dramatische Spektakel. Sie wird auf ein öffentliches Wiedersehen erpicht sein, samt Tränen und Umarmungen.«

Violie schüttelt sich, nickt dann aber. »Das schaffe ich.«

»Wie ich meine Mutter kenne, wird sie dir zweifellos eine Warnung während des Schauspiels zuflüstern.« Daphne hält erneut inne und wirft Violie einen Seitenblick zu. »Sie weiß, dass deine eigene Mutter eine deiner Schwächen ist, also wird sie das sicher gegen dich einsetzen.«

Violie nickt erneut, doch ihre Kiefermuskeln sind angespannt. Daphne weiß, dass Violies Mutter krank ist – so krank, dass die Hoffnung auf Heilung Violie überhaupt erst dazu getrieben hat, Spionin für die Kaiserin zu werden –, doch abgesehen von dieser Information hat Violie noch nie etwas über ihre Mutter erzählt.

»Du und Leo könnt noch einen Tag oder vielleicht zwei bleiben und dann abreisen. Im Verborgenen, um sicherzustellen, dass ihr nicht verfolgt werdet. Ich denke mir etwas aus, womit wir eure Abwesenheit erklären.«

»Und wo willst du uns hinschicken?«, fragt Violie resigniert.

Daphne überlegt. »Bei Beatriz stimmt irgendetwas nicht, das weiß ich«, sagt sie. »Und ich weiß auch, dass unsere Mutter dahintersteckt. Bleib lang genug, um zu sehen, ob sie irgendwas durchblicken lässt und wir einen Hinweis bekommen, wohin Beatriz verschwunden ist. Wenn sie jemand finden kann, dann ganz bestimmt du.«

Violie

Die Kaiserin kommt hierher?«, fragt Leopold gedehnt und schaut mit zusammengezogenen Augenbrauen zwischen Violie und Daphne hin und her.

»Morgen«, bestätigt ihm Daphne. Sie tigert im Salon der Räumlichkeiten auf und ab, die sie nun zusammen mit Bairre bewohnt und zu denen darüber hinaus zwei getrennte Schlaf- und Arbeitszimmer sowie ein Esszimmer gehören. Die Gemächer sind standesgemäß für den neuen Kronprinzen von Friv und seine Prinzessin luxuriös mit schweren, brokatgepolsterten Eichenholzmöbeln eingerichtet, doch in der für Friv typisch nüchternen Ästhetik ist keine Spur von Daphne zu erkennen und Bairre betrachtet die frisch renovierten Räumlichkeiten wahrscheinlich als Geldverschwendung. Er wirkt zumindest, als würde er sich unwohl fühlen, auch wenn er es sich gerade auf der weichen, samtbezogenen Chaiselongue am Kamin bequem gemacht hat und Daphne bei ihrer Wanderung zusieht.

»Und warum verfallen wir dann nicht in Panik?«, will Leopold wissen. Er steht neben dem Feuer, hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt und Violie weiß, dass er gegen die Versuchung ankämpft, nervös von einem Bein aufs andere zu treten.

»Oh, das tun wir«, murmelt Daphne mit einem gepresst klingenden Lachen.

»Aber wir handeln nicht danach«, meint Leopold. »Wir ergreifen nicht die Flucht?«

»Nein, tun wir nicht«, erwidert Violie, bevor sie das Gespräch von vorhin mit Daphne wiedergibt. »Kaiserin Margaraux ist hier eine Fremde und Friv mag keine Fremden. Das können wir gegen sie verwenden«, schließt sie ihren Bericht ab.

»Wir können das gegen sie verwenden«, korrigiert Daphne sie und deutet mit einer Handbewegung auf sich und Bairre. »Ihr«, fährt sie mit einer Geste in Richtung Violie und Leopold fort, »könnt sie aus dem Konzept bringen und macht euch dann auf die Suche nach Beatriz.«

Violie widersteht der Versuchung, die Augen zu verdrehen. Sie weiß, dass Daphne zu Recht darauf pocht, dass sie Friv verlassen. Die Kaiserin mag eine Fremde in der Fremde sein, aber sie hat eine Entourage von Anhängern bei sich – und Violie würde darauf wetten, dass einige von ihnen Attentäter sind. Je länger Violie und Leopold in Friv bleiben, desto größer wird die Gefahr für sie. Aber da sind sie nicht die Einzigen.

»Euch wird sie auch umbringen wollen«, meint sie zu Daphne und Bairre. »Beide.«

»Ich werde mit meiner Mutter schon fertig«, blafft Daphne.

»Ach ja?«, hält Violie dagegen, bereut die Worte jedoch fast, als Daphne zusammenzuckt. Doch sie hat recht – Daphne war ihr bis vor Kurzem treu ergeben und Violie vertraut nicht darauf, dass sich das nicht wieder ändert, wenn die Kaiserin Daphne ein wenig der Anerkennung zukommen lässt, die sie sich immer gewünscht hat. Daphnes Gesichtsausdruck verrät, dass sie sich selbst auch nicht traut.

Bairre durchbricht die Stille mit einem Räuspern. »Ich will nicht so tun, als wüsste ich gut darüber Bescheid, wozu die Kaiserin fähig ist, aber soweit ich das mitbekommen habe, ist sie keine Närrin. Es wäre dumm, einen Angriff auf Friv zu starten, während sie ohne schützende Armee in der Landeshauptstadt weilt.«

»Sind wir denn sicher, dass sie keine Armee bei sich hat?«, fragt Leopold. »Es könnte gut sein, dass ihr eine folgt und im Verborgenen wartet, bis sie das Zeichen gibt.«

»Diese Möglichkeit habe ich mit Cliona besprochen«, sagt Daphne. »Sie bittet gerade ihren Vater, Kundschafter auszusenden, um zu überprüfen, ob meine Mutter und ihre Entourage allein sind.« Sie schaut kurz zu Bairre. »Ich bin davon ausgegangen, dass das besser ist, als deinen Vater über alles ins Bild zu setzen. Er hat bislang kaum Grund dazu, meine Mutter als etwas anderes als das zu betrachten.«

Bairre schüttelt den Kopf. »Mein Vater mag vieles sein, aber er ist nicht ignorant. Und er ist nicht König von Friv geworden, indem er seine Feinde unterschätzt hat.«

»Er ist König von Friv geworden, weil eine mächtige Himmelsdeuterin ihn zur Schachfigur gemacht hat«, entgegnet Daphne. »Und apropos deine Mutter: Hast du mit ihr über diese Entwicklung gesprochen?«

»Meine Mutter ist noch nicht vom Olveen-See zurückgekehrt«, sagt Bairre. »Aber ich füge es der langen Liste von Dingen hinzu, die ich mit ihr besprechen muss.«

Violie kann sich vorstellen, dass ganz oben auf dieser Liste die Tatsache steht, dass Bairres Mutter – die Himmelsdeuterin Aurelia – Leopolds jüngere Brüder entführen lassen wollte. Nachdem Daphne und Leopold sie gerettet hatten, gab sie dann Cliona die Anweisung, sie erneut zu entführen. Zu welchem Zweck scheint niemand zu wissen.

»Was ich damit zu sagen versuche«, meint Daphne seufzend, »ist, dass dein Vater zu übermäßigem Mitgefühl auf Kosten des gesunden Menschenverstands neigt. Und das tue ich als jemand, der genau dieses Mitgefühl inzwischen mehrere Male gegen ihn eingesetzt hat, ebenso wie Eugenia, ganz abgesehen von Clionas Vater, den er als seinen engsten Freund betrachtet, trotz der Tatsache, dass der Mann der Anführer einer Rebellengruppe ist, die ihn stürzen will.«

Bairre öffnet den Mund, um zu protestieren, klappt ihn aber schnell wieder zu, was auch besser so ist. Violie bezweifelt, dass er auch nur ein Argument gegen Daphnes Äußerungen vorbringen kann, was Bairre besser wissen sollte als irgendwer sonst, da er sich ja immerhin selbst der Rebellion gegen seinen Vater angeschlossen hat.

»Na schön«, sagt Bairre. »Wir lassen meinen Vater außen vor. Für den Moment.«

Daphne tigert weiter auf und ab und ihre Schritte werden zunehmend schneller. »Und sobald Violie und Leopold abgereist sind, können sie nach Beatriz suchen.«

»Sind wir uns sicher, dass das klug ist?«, fragt Leopold.

Daphne bleibt abrupt stehen und fährt herum, um ihn anzufunkeln. »Du glaubst, dass Beatriz tot ist?« Auf einmal ist ihre Stimme gefährlich leise.

»Ich habe nicht …«

»Du irrst dich«, fällt Daphne ihm ins Wort. »Ich würde es wissen, wenn sie tot wäre. Ich würde es spüren, genau wie bei Sophie.«

Violie weist sie nicht darauf hin, dass eine magische Verbindung zwischen Daphne und Sophronia bestand, als diese getötet wurde. Es ist eine logische Beobachtung, würde aber zu nichts führen. Und Violie weiß nicht, ob Beatriz tot ist oder sich einfach nur durch ein Unwetter verspätet, doch wenn der Umgang mit der Kaiserin sie etwas gelehrt hat, dann, dass man damit rechnen muss, dass die Kaiserin allen anderen immer einen Schritt voraus ist.

»Ich meinte damit nur, dass wir nicht wissen, wo wir mit der Suche anfangen sollen«, meint Leopold vorsichtig, als würde er mit einem halb verhungerten Wolf sprechen.

»Ich glaube«, geht Violie dazwischen, bevor er noch tiefer ins Fettnäpfchen tritt, »dass deine Mutter nicht nach Friv kommen würde, wenn sie nicht davon ausgehen würde, dass sie Beatriz und damit Cellaria unter Kontrolle hat. Also können wir genauso gut in Cellaria anfangen.«

Daphne sieht ihr einen langen Moment in die Augen und ihre Kiefermuskeln spannen sich an, bevor sie scharf nickt.

»Du solltest Violie und Leopold begleiten«, rät Bairre Daphne, was dieser ein schnaubendes Lachen entlockt. »Ich weiß nicht, was an dem Vorschlag so lustig ist. Deine Mutter will dich tot sehen, das weißt du. Und selbst, wenn sie das hier nicht persönlich schafft, wird der Versuch nicht lange auf sich warten lassen. Ich weiß, dass du Beatriz retten und Sophronia rächen willst, aber vielleicht wäre es das Beste, wenn du …«

»Wenn ich abhaue?«, unterbricht Daphne ihn mit einem abfälligen Laut und fixiert ihn mit finsterem Blick. »Sag doch mal, Bairre, würdest du mit mir fliehen? Immerhin muss meine Mutter dich auch töten, um Friv zu übernehmen.«

Bairre antwortet nicht, sondern wendet nur den Blick ab und schaut ins Kaminfeuer.

»Nein«, fährt Daphne unbeirrt fort. »Du wirst nicht abhauen, weil du kein Feigling bist, und ich bin auch keiner.«

»Ich werde nicht fliehen, weil Friv mein Zuhause ist«, korrigiert er sie.

»Und meins ebenso.« Doch dann schließt Daphne hastig den Mund und sowohl sie als auch Bairre wirken überrascht über diese Äußerung. Sie zögert einen Augenblick lang. »Friv ist jetzt auch mein Zuhause«, wiederholt sie, dieses Mal nachdrücklicher. »Selbst wenn es für meine Schwester keine Hoffnung mehr gibt, selbst wenn ich mich selbst damit in Gefahr bringe, ich werde nicht zulassen, dass meine Mutter auch Friv erobert.«

Bairre schweigt einen Moment lang, stemmt sich dann aber hoch und geht mit zwei großen Schritten zu Daphne hinüber, um sie in die Arme zu nehmen. Daphne vergräbt das Gesicht an seiner Brust, und als Violie sich abwendet, fängt sie Leopolds peinlich berührten Blick auf.

Leopold räuspert sich. »Wir sollten uns etwas Schlaf gönnen – ich bin mir sicher, dass wir ihn brauchen werden, um den morgigen Tag durchzustehen.« Er steht auf.

Violie folgt ihm zur Tür hinaus und schaut noch einmal über die Schulter zu Bairre und Daphne, die sich noch immer in den Armen halten. Bairre streichelt Daphne in sanften Kreisen über den Rücken.

Ihr Anblick schickt einen schmerzhaften Stich durch Violies Brust, den sie nicht recht zuordnen kann. Sie tritt auf den Gang und schließt die Tür hinter sich.

Beatriz

B