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Der Abschluss der Reihe um die heißen Hidalgo-Brüder wird dich zerstören »Mein Herz schlägt schneller, denn es ist schon lange her, dass ich mich durch die Umarmung von jemandem so gefühlt habe. Dieses Mal ist es noch heftiger als an dem Abend, als wir eng umschlungen im Bett lagen, aber es fühlt sich genauso gut und richtig an.« Reich, gutaussehend, selbstbewusst: das ist die Familie Hidalgo. Doch Apollo ist anders als seine älteren Brüder, ein hilfsbereiter junger Mann, der an das Gute glaubt. Ausgerechnet er gerät in einer dunklen Gasse in Schwierigkeiten, und dort lernt er sie kennen: Rain. Die Frau mit dem Regenschirm, die ihn rettet und die er seitdem nicht vergessen kann. Aber da ist auch noch der sympathische Xan, dessen schwierige Situation Apollo mehr mitnimmt, als gut für ihn ist. Denn bald muss er erkennen, dass Rain und Xan etwas vor ihm verbergen ... Eine dramatische und berührende Lovestory von Wattpad-Star Ariana Godoy. Wattpad verbindet eine Gemeinschaft von rund 90 Millionen Leser:innen und Autor:innen durch die Macht der Geschichte und ist damit weltweit die größte Social Reading-Plattform. Bei Wattpad@Piper erscheinen nun die größten Erfolge in überarbeiteter Version als Buch und als E-Book: Stoffe, die bereits hunderttausende von Leser:innen begeistert haben, durch ihren besonderen Stil beeindrucken und sich mit den Themen beschäftigen, die junge Leser:innen wirklich bewegen! »Apollo ist empfindsamer und emotional zugänglicher. Damit habe ich große Erwartungen an seine Geschichte geknüpft. Seine Geschichte zeigt seinen inneren Kampf und seine Verletzlichkeit, er ist ein starker Charakter.« ((Leserstimme von Netgalley))
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Bei »Through the Rain – Ich fühle nur dich« handelt es sich um eine übersetzte Version des erstmals auf Wattpad.com von Ariana_Godoy ab 2018 unter dem Titel »A través de la Lluvia« veröffentlichten Textes.
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Through the Rain – Ich fühle nur dich« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.
Deutsche Erstausgabe
© 2022 by Ariana Godoy. The author is represented by Wattpad WEBTOON Studios.
Titel der Originalausgabe: »A través de la Lluvia« bei Penguin Random House Grupo Editorial, S. A. U., Barcelona, 2022
© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2023
Übersetzung: Alexandra Baisch
Redaktion: Michaela Retetzki
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Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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Cover & Impressum
Triggerwarnung
Widmung
Prolog
TEIL EINS RAIN
1
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TEIL ZWEI XAN
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EPILOG
Content Notes
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
In diesem Buch sind Themen enthalten, die triggernd wirken können. Am Ende des Textes findet sich eine Aufzählung, die jedoch den Verlauf der Geschichte spoilern kann.
Wir wünschen ein bestmögliches Leseerlebnis.
All meinen Leserinnen und Lesern von Wattpad gewidmet;
Dank euch hat sich die Trilogie der Hidalgo-Brüder so weit entwickelt und noch mehr Lesebegeisterte erreicht.
Ich werde euch für immer dafür dankbar sein, dass ihr Ares und Raquel, Claudia und Artemis und jetzt auch Apollo so sehr in eure Herzen geschlossen habt.
Ich liebe euch über alles.
Es regnet.
Innerhalb weniger Sekunden bin ich nass bis auf die Haut. Die Kleidung klebt mir am Körper, doch im Moment ist das noch meine geringste Sorge.
Es tut so weh.
Mein ganzer Körper tut weh, insbesondere mein Gesicht. Es pocht vor Schmerzen, Blut rinnt mir aus der Nase, nach unten zum Mund, vermischt sich dabei mit dem Regen, der mir ins Gesicht prasselt, ehe es mir vom Kinn tropft. Ein Auge ist halb zugeschwollen, und jedes Mal, wenn ich versuche, es zu öffnen, stöhne ich auf.
Ich war noch nie gewalttätig, habe noch nie eine Rauferei angefangen, somit kommt mir die Situation, in der ich gerade bin, absolut ironisch vor. Ich finde mich in einer Gasse wieder, den Rücken an eine Mauer gelehnt, doch ich kann mich kaum aufrecht halten. Die kleinen Platzwunden im Gesicht, die von den brutalen Schlägen herrühren, brennen, wenn der eiskalte Regen darauf trifft, genau wie meine Knöchel, die ich mir in dem Versuch, mich zu verteidigen, aufgeschlagen habe. Schmerzhaft verziehe ich das Gesicht.
Ich war unterwegs, um mich mit dem pulsierenden Nachtleben von Raleigh vertraut zu machen, kaum dass ich an der Uni war. Das hätte nicht schlimmer laufen können. Als ich aus dem Pub kam, wurde ich überfallen und bewusstlos geschlagen. Ich verstand nicht, weshalb ich so angegangen wurde, schließlich habe ich alles, was ich bei mir hatte, aus freien Stücken herausgerückt.
»Komm schon, Apollo, nicht einschlafen«, sage ich zu mir selbst, während ich versuche, wach zu bleiben.
Ich habe mehrere Schläge gegen den Kopf einstecken müssen und weiß, dass mich ein Arzt untersuchen muss, ehe ich einschlafe, so was in der Art hat mir zumindest mein Bruder mal erklärt, der seit ein paar Jahren Medizin studiert. Aber es fällt mir richtig schwer.
Meine Sicht ist getrübt, und ich kann nur schwer schlucken, selbst etwas so Einfaches tut gerade weh. Ich weiß, dass ich aufstehen sollte, aber jedes Mal, wenn ich Anstalten dazu mache, kapituliert mein Körper und ich sinke erneut gegen die Mauer. Um Hilfe rufen ist bei diesem sintflutartigen Regen auch absolut vergeblich, weil der Regen laut auf den Gehsteig und die Müllsäcke um mich herum prasselt. Ich erzittere in der Herbstkälte, meine Gliedmaßen werden langsam taub.
Ich will nur einen klitzekleinen Moment die Augen zumachen, nur ganz kurz, bis es aufhört zu regnen.
Ganz kurz …
Dann fallen mir die Augen zu und mein Kopf kippt zu einer Seite.
Zitronig.
Der Duft eines zitronigen Parfums zieht mir die Nase und lässt mich ein bisschen wacher werden. Mir wird bewusst, dass mir inzwischen kein Regen mehr ins Gesicht fällt. Vorsichtig öffne ich ein Auge und entdecke undeutlich eine Gestalt vor mir, die ihren Regenschirm über uns beide hält.
»Hey, hey«, flüstert mir eine weibliche Stimme zu, während sich die Gestalt über mich beugt. »Kannst du mich hören?«
Ich nicke nur, weil ich keine Kraft habe zu sprechen.
»Ich habe schon einen Krankenwagen gerufen, sie sind in etwa fünf Minuten da, ich soll dich nur wach halten.« Ihre Stimme ist so sanft und beruhigend, dass ich einfach nur noch ein bisschen schlafen will. »Hey!« Sie legt mir die Hand ans Gesicht, und mich durchzuckt umgehend ein Schmerz. »Tut mir leid, aber du darfst nicht einschlafen.«
Mein Atem entweicht meinen zitternden Lippen und ist in der kalten Herbstluft zu sehen.
»K-kalt«, stammele ich zitternd.
»Klar ist dir kalt, Scheiße, Mann.« Ihre Stimme klingt etwas unsicher. »Was soll ich machen …? Halte einfach noch ein bisschen durch, okay?«
Schwach, wie ich bin, strecke ich die Hand nach ihr aus. Ich ergreife den Saum ihres Hemdes und ziehe sie an mich. Sie stößt einen kurzen Schrei aus, als sie mitten auf dem Gehweg auf die Knie kippt, genau zwischen meine ausgestreckten Beine.
So kalt.
Dann hebe ich den anderen Arm, umklammere sie und presse das Gesicht zwischen ihre Brüste.
»Hey, also hör mal!«
»Warm …«, murmele ich. Ich zittere an sie gepresst und mache ihre Klamotten nass.
Sie versucht mich wegzuschieben, dann seufzt sie.
»Okay. Ich lasse das nur zu, weil du ganz schrecklich aussiehst und eiskalt bist«, murmelt sie. Ich genieße einfach nur ihre Wärme, ihren Duft, diese Mischung aus zitronigem Parfum und dem Duft ihrer Haut. »Und ich muss gleich mal klarstellen, dass ich mich nicht gleich beim ersten Date von den Jungs anfassen lasse, du kannst dich also glücklich schätzen.«
Ich weiß nicht, ob sie scherzt, aber ich will einfach nur so sitzen bleiben. Ihr Herz schlägt etwas schneller. Warum? Hat sie Angst?
»Hey, hör mal, nicht einschlafen, okay? Ich kann die Sirene des Krankenwagens schon hören, alles wird gut.«
Auch ich höre sie, und kurz darauf auch viele Schritte. Sie löst sich von mir und räuspert sich. Ich will widersprechen, wieder umfängt mich die Kälte, doch kurz darauf stehen mehrere Leute mit Lampen vor mir, und ab da wird alles sehr verschwommen für mich.
Als ich auf einer Trage liege, strecke ich erneut die Hand nach ihr aus, und sie ergreift meine.
»Alles wird gut«, flüstert sie, drückt dabei meine Hand ganz fest und lässt sie dann los.
Ich sehe nur noch ihre Gestalt, die mit dem Regenschirm dort zurückbleibt, in diesem Gässchen. Sie hat mich gerettet, also bin ich mir ziemlich sicher, dass ich sie nie vergessen werde.
Nie werde ich das Mädchen vergessen, das ich im Regen kennengelernt habe.
APOLLO
Was habe ich das Joggen vermisst.
Es dauerte ganze vier Wochen, ehe ich so weit hergestellt war, dass der Arzt mir erlaubte, wieder Sport zu machen. Wenigstens das Physische ist inzwischen verheilt, das Seelische ist eine andere Sache. Noch immer wache ich von Albträumen geplagt auf, in denen diese Jungs mich angreifen und immer wieder aufs Neue zuschlagen, ganz zu schweigen davon, dass Regen mich inzwischen in eine Scheißlaune versetzt.
Es ist halb sieben Uhr morgens, als ich in die Wohnung zurückkomme und die Tür hinter mir zudrücke. Der Gang vor mir liegt im Halbdunkeln da, denn noch ist es nicht hell. Als ich bei der weitläufigen Küche ankomme, schalte ich das Licht ein. Ein zerzauster Gregory blinzelt mich vom Gang an, der zu den Zimmern führt.
»Was bist du denn schon so früh wach?«
»Ich war laufen.«
»Um …« Er kneift ein Auge leicht zusammen und versucht, die Uhrzeit auf der Mikrowelle abzulesen. »Um sechs Uhr morgens?«
»Um halb sieben.«
»Nicht mal mein Opa ist so früh aufgestanden, um laufen zu gehen.«
»Dein Opa ist überhaupt nicht gelaufen«, erwidere ich und lege die Schlüssel auf der Kücheninsel ab.
»Ganz genau.«
»Und wieso bist du schon wach?«, frage ich und hole mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank.
»Ähm …«
»Hallöchen!«, quietscht ein energiegeladenes braunhaariges Mädchen fröhlich, das ich bereits kenne, und läuft an Gregory vorbei.
Wie sie heißt? Kelly. Das ist die Ich-habe-keinen-blassen-Schimmer-was-sie-Ist von Gregory, die sehr häufig bei uns übernachtet. Manchmal verhalten sie sich wie ein ganz normales Pärchen, dann wieder sehen sie sich nicht einmal an, wenn sie aufeinandertreffen. Ganz ehrlich, ich verstehe das nicht und bin auch nicht so neugierig, als dass ich nachfragen würde. Mir geht es nur darum, mit Gregory klarzukommen, der für mich, obwohl ich ihn durch meinen Bruder Ares kennengelernt habe, zu einem guten Freund geworden ist und mit dem ich jetzt zusammenwohne.
Während der ersten Zeit an der Uni war es für mich eine große Erleichterung, mit ihm zu leben. Dann habe ich mich nicht allzu allein gefühlt, und Gregory hat mir auch nicht viel Zeit gelassen, um Trübsal zu blasen oder mein Zuhause zu vermissen, weil ihm immer etwas einfiel, was wir machen konnten. Ich vermisse Großvater, meinen Bruder Artemis, seine Frau Claudia und auch meine Hunde. Vor allem aber, und das hat mich wirklich überrascht, vermisse ich Hera. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich so nach meiner Nichte sehnen könnte.
»Apollo?« Kelly bleibt vor mir stehen und wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Schläfst du noch?«
»Hallo«, sage ich und lächle sie an.
Gregory gähnt und kommt zu uns in die Küche.
»Okay, wenn wir schon alle wach sind, wie wäre es dann mit Frühstück?«
Ich klatsche ihn ab. Gregory kann ziemlich gut kochen, eine Fähigkeit, die man nicht zu würdigen weiß, bis man allein lebt. Ich stehe damit auf Kriegsfuß, das Einzige, was ich halbwegs hinbekomme, sind Desserts, aber von süßen Stückchen und Kuchen kann man nicht leben.
»Worauf habt ihr heute Lust? Ein kontinentales Frühstück? Ein amerikanisches?«, fragt Gregory, während er sich nach unten beugt und die Pfannen aus der Schublade zieht. Kelly nutzt die Gelegenheit, um sich hinter ihn zu stellen, ihn an den Hüften zu packen und sich ziemlich sexy an seinem Allerwertesten zu reiben.
»Hör auf!«, raunt Gregory ihr zu, dreht sich dann aber zu ihr um, presst sie an die Kochinsel und küsst sie ganz leidenschaftlich.
Ich rolle mit den Augen, weiß nicht so recht wohin mit mir, während ich das interessante Gemälde einer Birne betrachte, das bei uns in der Küche hängt. Eigentlich sollte ich mich schon daran gewöhnt haben.
Nach dem Frühstücken gehe ich duschen und verbringe sehr viel mehr Zeit als notwendig mit geschlossenen Augen unter dem heißen Strahl. Ich stehe mit gesenktem Kopf da, stütze mich mit ausgestreckten Armen an der Wand vor mir ab. Das Wasser rieselt auf mich herunter, als wäre ich gar nicht anwesend. Mein Körper ist da, aber mein Verstand ist losgelöst, und ich erreiche einen Zustand der Leere, in dem ich nichts mehr fühle. Wie ironisch mein Leben gerade ist, schließlich bin ich an die Uni gegangen, um Psychologie zu studieren, und habe gleich in der ersten Woche einen so traumatischen Zwischenfall erlebt, als ich so brutal zusammengeschlagen wurde. Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, ich drehe den Wasserhahn zu und bleibe noch kurz stehen, ehe ich den Kopf schüttle, und das nicht nur, um mir das Wasser aus den Haaren zu schütteln, sondern auch, um meinen Geist wieder im Hier und Jetzt zu verankern.
Ich trockne mich ab und gehe in mein Zimmer. Die Wohnung ist riesig, und jedes Zimmer verfügt über ein eigenes Bad. Dann jedoch fällt mir ein, dass meine Unterwäsche noch im Trockner ist. Mit einem Handtuch um die Hüfte und einem um den Hals gehe ich aus meinem Zimmer. Kelly liegt auf dem Sofa im Wohnzimmer und tippt auf ihrem Handy herum. Als sie mich sieht, nimmt sie das Handy herunter und zieht eine Augenbraue hoch.
»Das alles versteckst du hinter diesem Ich-bin-ein-anständiger-Bubi-Gesicht?«
Bei dem Wort »Bubi« verziehe ich das Gesicht.
»Weshalb denkst du, ich wäre ein anständiger Bubi?«
»Also bitte, das sieht man doch schon von Weitem.« Sie stützt sich auf die Ellenbogen auf, um sich etwas aufzurichten. »Ich würde sogar sagen, dass du noch Jungfrau bist.«
Darüber muss ich lachen, dann drehe ich ihr den Rücken zu, um meine Sachen aus dem Trockner zu holen. Gleichzeitig aber auch, um dieser Unterhaltung ein Ende zu setzen, weil ich nicht weiß, ob ich hier irgendwelche Hirngespinste habe oder ob sie tatsächlich mit mir flirtet. Das liegt vielleicht daran, wie ihre Blicke über meine durchtrainierten Arme und meinen Bauch wandern, doch ich will auf keinen Fall irgendwelche Probleme mit Gregory bekommen. Als ich wieder zu meinem Zimmer zurückgehen will, sitzt sie auf der Armlehne des Sofas und mustert mich belustigt.
»Habe ich dir einen Schreck eingejagt?«
Dabei muss ich Ares’ Worte denken, wenn er sich wieder mal bemüht fühlte, mir zu erläutern, welche Flirttaktiken manche Menschen anwandten: »Diese Flirttaktik nenne ich ›provokant‹, sie konfrontieren dich und stellen dir Fragen, mit denen sie dich dazu bringen wollen, sie vom Gegenteil zu überzeugen, ihnen etwas zu beweisen, doch genau das ist ihr eigentliches Ziel.« Ich kann kaum glauben, dass diese Allgemeinheiten von meinem Trottel von Bruder manchmal tatsächlich einen Sinn ergeben. Doch als ehemaliger Herzensbrecher hat er wohl ausreichend Erfahrung gesammelt. Und eins ist klar, ich kenne keinen, der so viele Herzen gebrochen hat wie mein bescheuerter Bruder. Ich hingegen war noch nie jemand, der irgendwelche Mutmaßungen über andere anstellt, also heißt es auch jetzt im Fall von Kelly: im Zweifel für den Angeklagten, und ich lächle sie einfach nur an.
»Kein bisschen.« Ich zucke mit den Schultern.
Sie lächelt ebenfalls, steht auf und bleibt vor mir stehen. Sie drückt ihre Faust gegen meinen nackten Bauch und wiegt den Kopf hin und her.
»Du musst noch so einiges lernen, anständiger Bubi.«
Da ist er wieder, dieser Ausdruck. Ich presse die Kiefer aufeinander, ergreife ihr Handgelenk und ziehe ihre Hand von meinem Bauch weg.
»Ich bin kein Bubi«, sage ich ganz ruhig. »Aber du darfst das gern denken. Ich habe nicht die Absicht, dich vom Gegenteil zu überzeugen.«
Damit lasse ich ihr Handgelenk los und gehe zurück in mein Zimmer.
Am Vormittag findet die erste Stunde des sogenannten Grundkurses in Psychologie statt, also ist er nicht sonderlich anstrengend, wir bekommen nur Informationen, die uns zu unserem Studienbeginn leiten sollen. Der Saal ist voll mit Studierenden, und die Professorin erklärt gerade etwas zur Cafeteria und den Freistunden zwischen den Unterrichtsstunden. Vor mir liegt ein aufgeschlagenes Heft, und ich fange ganz automatisch und nervös an, etwas mit dem Kuli aufs Papier zu zeichnen. Erst als ich fertig bin, wird mir klar, dass ich gerade Rain geschrieben habe.
So heißt sie.
Rain Adams ist das Mädchen, das mich in jener Regennacht gerettet hat. Nur das weiß ich von ihr: ihren Namen und dass sie an dieser Uni studiert. Das ist alles, was mir die Ärzte gesagt haben, als ich tags darauf aufgewacht war. Was ich so mitbekommen habe, hat sie wohl auch mit der Polizei gesprochen und eine Aussage gemacht. Die Ermittlung läuft noch immer, weil es sich wohl um mehr als einen einfachen Raubüberfall handelt. Laut der Polizei war dieser Überfall viel zu gewalttätig, wenn man bedenkt, dass ich alles, was ich bei mir hatte, freiwillig herausgerückt habe.
Doch Rain habe ich noch immer nicht gesehen. Ich habe nur die Erinnerung an sie in dieser kalten Nacht, an ihre Stimme, ihre Silhouette, dazu dieses zitronige Parfum, mehr nicht. Doch ich muss zugeben, dass ich sie sehr gern treffen und mich bei ihr bedanken würde, dass ich sie kennenlernen und wissen will, wie sie so ist. Ich habe versucht, sie in den sozialen Netzwerken ausfindig zu machen, aber wenn ich dort »Rain« eingebe, bekomme ich nur Bilder von regnerischen Tagen gezeigt. Vielleicht denke ich zu viel an sie, während sie sich gar nicht mehr an mich erinnert.
Ich muss über mich selbst schmunzeln.
Komm schon, Apollo, du hast eben erst mit der Uni angefangen und bist schon total von einem Mädchen besessen.
»Rain?« Eine weibliche Stimme holt mich aus meinen Gedanken, und suchend sehe ich mich nach dieser Stimme um. Erst jetzt nehme ich das Mädchen mit Brille und lockigen Haaren wahr, das neben mir sitzt. Sie ist hübsch, ihre kaffeebraunen Augen funkeln, wenn sie spricht. »Magst du den Regen?«
Ich weiß schon, worauf sie sich bezieht – Rain, Regen eben –, was angesichts der Umstände, unter denen ich Rain kennengelernt habe, ziemlich ironisch ist. Es dauert, ehe ich antworte. Bislang habe ich mich noch mit niemandem im Kurs unterhalten, also überrascht mich das etwas.
»Tatsächlich stehe ich nicht sonderlich auf Regen.«
Sie nickt.
»Ich dachte schon, du würdest mir jetzt eine Ansprache halten, von wegen du magst das Geräusch von Regen, es entspannt dich und ist so sehnsuchtsvoll.« Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, doch sie lacht mich an und streckt mir die Hand hin. »Ich bin Érica und wiederhole den Grundkurs.« Ich ergreife ihre Hand, mache den Mund auf und will mich vorstellen, aber sie fährt fort: »Freut mich, Apollo.«
»Woher weißt du, wie ich heiße?«
Sie zieht eine Augenbraue hoch.
»Hier auf dem Campus wissen alle, wie du heißt, Apollo Hidalgo.«
»Wovon redest du da?«
»Du bist über mehrere Wochen hinweg in den Campus-Nachrichten zu sehen gewesen. Es tut mir sehr leid, was dir passiert ist, geht’s dir wieder gut?« Ihr Mitgefühl ist mir unangenehm.
»Alles bestens«, sage ich und stehe auf. Ich bitte die Professorin um Erlaubnis, auf die Toilette zu gehen, und eile in die Aula. Dort gehe ich zum Schwarzen Brett mit den Neuigkeiten der Uni und entdecke tatsächlich viele Artikel über mich, mit Foto und Namen. Dann war ich wohl wirklich die ganze Zeit in den Campus-Nachrichten. Rain muss mich irgendwo gesehen haben, also weiß sie, wo sie mich finden kann, sie weiß, wie ich heiße, was ich studiere, trotzdem hat sie nicht nach mir gesucht. Missmutig gestehe ich mir ein, dass Rain vermutlich gar nicht die Absicht hat, mich zu treffen. Wieso sollte sie auch? Sie hat mich gerettet, sie ist mir nichts schuldig. Ich fahre mir übers Gesicht und drehe mich um.
Dann vibriert das Handy in meiner Hosentasche, und als ich es herausziehe, entdecke ich Nachrichten von Gregory:
KAKERLAKE: Einweihungsparty!
Wir sehen uns heute Abend, looooser. Speichere mich gefälligst unter einem anderen Namen ab, sonst kriegst du einen Tritt in den Arsch von mir.
Prustend schreibe ich zurück.
ICH: Da steht immer noch Kakerlake. Wen hast du eingeladen?
KAKERLAKE: Ein paar Freunde von der Uni. Ich muss dich in die Gesellschaft einführen, zieh deinen besten Anzug an.
Ich bin gerade erst hier angekommen, Gregory hingegen ist schon seit einem Jahr an der Uni, somit hat er sich bereits mit anderen angefreundet und seinen Freundeskreis erweitert, während ich nur ihn habe. Die ersten vier Wochen Unterricht habe ich verpasst, weil ich mich erholen musste, somit haben die meisten Leute in meinem Studiengang schon ihre Gruppe gefunden, und wieder einmal stehe ich allein da. Ich war noch nie sonderlich gut darin, Freunde zu finden. An der Schule habe ich alle durch meine Brüder kennengelernt. Ihre Freunde wurden letztlich dann auch meine, einfach deshalb, weil ich da war. Ich will mich nicht beschweren, meine besten Freundschaften sind so entstanden, aber noch nie musste ich mich selbst um Freunde bemühen. Jetzt ist wohl der Moment gekommen, in dem sich all das ändert.
ICH: Wie viele Leute hast du eingeladen?
KAKERLAKE: Zahlen sind doch weiter nichts als Zeichen, die sich im Raum abbilden.
Manchmal frage ich mich, was Gregory eigentlich für einen Dachschaden hat. Es ist mir jedenfalls noch nicht gelungen zu verstehen, wie sein Hirn funktioniert.
Ich stoße einen Seufzer aus und rufe ihn an. Im Hintergrund ist so viel Lärm zu hören, dass ich mich frage, ob er wirklich an die Uni gegangen ist oder ob er nicht schon jetzt mit irgendwelchen Freunden abhängt.
»Wie viele Leute?«
»Zwölfeinhalb?« Er lacht, woraufhin ich einfach nur die Augen schließe.
»Einhalb?«
»Eines der Mädchen bringt sein Hündchen mit.«
Das klingt schon vielversprechender, ich mag Hunde.
»Wie heißt denn das Hündchen?«
»Cookie.«
»Okay.«
Er sagt noch etwas und legt dann auf. Mir wird klar, dass er meine Schwäche für Hunde ausgenutzt hat, um mich abzulenken, wahrscheinlich sorgt er dafür, dass die Wohnung nachher knallvoll sein wird. Das ist dann wohl für mich die Gelegenheit, ein paar Leute kennenzulernen.
Auf dem Rückweg in den Saal ist der Gang voller Leute. Ein paar sehen mich neugierig, andere mitleidig an. Die blauen Flecken sind vielleicht verschwunden, aber noch immer sind die Narben an den Stellen zu sehen, wo ich genäht werden musste, links am Kinn und neben dem rechten Ohr. Also sehe ich nach unten und tue so, als wäre ich mit meinem Handy beschäftigt.
Zitronig …
Ich sehe auf, als mir ein Hauch zitroniges Parfum entgegenweht. Unverzüglich fühle ich mich in jene Nacht zurückversetzt, in die Kälte, den Schmerz und zu diesem leisen Flüstern:
Alles wird gut.
Als ich mich umdrehe, sehe ich eine Gruppe Jungs und Mädchen, die gerade an mir vorbeigegangen sind und sich unter die Menge mischen. Ich sehe ihnen nach, bleibe inmitten von allen stehen, doch ich sehe nur, wie sie sich immer weiter entfernen.
Das reicht, Apollo.
Ich gehe weiter, doch meine Gedanken drehen sich noch immer nur um sie.
»Werde ich dich irgendwann wiedersehen, Rain?«
APOLLO
Gregory kann nicht zählen.
Es ist völlig unmöglich, dass das hier zwölf Leute sein sollen. Ich habe über dreißig gezählt, und wenn unsere Wohnung nicht so groß wäre, dann würden tatsächlich auch gar nicht so viele hier reinpassen. Die größte Gruppe ist im Wohnzimmer, wo sie keine Ahnung was spielen, ich habe mich mit Cookie beschäftigt, dem Hündchen, das Tania mitgebracht hat, eine der Freundinnen von Gregory.
»Gregory hat uns schon viel von dir erzählt«, sagt sie, während ich nach unten gebeugt dastehe und Cookie streichle. »Psychologie also, ja?«
»Genau«, sage ich freundlich.
Tania lächelt mich an, ehe sie Cookie hochhebt und sich entfernt.
Mir ist aufgefallen, wie wortkarg ich bin, seit ich an der Uni bin. Vielleicht liegt das daran, dass ich mich erst an die neue Situation gewöhnen muss, oder an der Tatsache, dass ich außer Gregory niemanden hier kenne, vielleicht aber auch an dem, was dieser Überfall mit mir gemacht hat. Sicher ist jedenfalls, dass ich mit niemandem hier rede und auch keinen blassen Schimmer habe, wie das hier läuft, die Leute sind es jedenfalls leid, zu versuchen, eine Unterhaltung mit mir anzuleiern. Das kann ich ihnen nicht verübeln. Kontakte knüpfen ist einfach nicht mein Ding.
»Apollo!« Gregory ruft mich aus dem Wohnzimmer zu sich, und ich seufze genervt. »Komm schon! Los, Apollo!«
Ich ringe mir ein Lächeln ab und gehe zu der Gruppe, die im Wohnzimmer sitzt. Tania hat sich neben einen braunhaarigen Typen gesetzt, der ihr einen Arm umlegt und sie an sich zieht, und ich glaube mich daran zu erinnern, dass sie mir gesagt haben, sie seien ein Paar, als sie sich mir vorgestellt haben. Kelly sitzt bei zwei anderen Mädchen, und dann sind da noch vier Jungs, an deren Namen ich mich nicht erinnere. Aber so was kann schon passieren, wenn man innerhalb von einer halben Stunde über dreißig Leute vorgestellt bekommt.
»Kommt mal alle ins Wohnzimmer!«, ruft Gregory, und ich seufze, als ich mich neben ihn stelle und damit vor all diesen fremden Menschen stehe. Alle sind richtig gut gekleidet, und manche von ihnen sind genauso schräg und durchgeknallt drauf wie mein Mitbewohner.
»Ich habe euch diesen Kerl hier schon vorgestellt.« Gregory legt mir einen Arm um die Schultern. »Kann ich zu hundert Prozent weiterempfehlen.« Dabei zwinkert er den Mädchen zu. »Er ist Single.«
Ich winde mich aus seiner Umarmung und werde rot.
»Hör auf.«
»Was denn? Was glaubst du, warum wir hier heute eine Party schmeißen?«
Mein Blick schweift über die Gruppe und bleibt bei Kelly hängen, die mich ansieht, lächelt und dann dem Mädchen neben sich etwas zuflüstert. Ich lasse meinen Blick weiter schweifen, bis er bei einem sehr hübschen dunklen Augenpaar hängen bleibt, das sich unter der roten Kapuze fast nicht erkennen lässt. Schwarzes Haar spitzt an der Seite der Kapuze hervor, und sie ist das einzige Mädchen, das leger, um nicht zu sagen sportlich gekleidet ist. Die rote Sweatjacke ist mit dem Emblem der Uni versehen und ihr etwas zu groß, denn sie bedeckt die Shorts, die sie darunter trägt, fast vollständig. Ihr Gesichtsausdruck hat etwas Besänftigendes, und sie sieht mir direkt in die Augen. Ich schlucke schwer, denn sie ist einfach wunderschön. Dämlich starre ich sie weiter an, und sie runzelt die Stirn.
»Apollo?« Gregorys Stimme bringt mich schließlich dazu, den Blick von ihr abzuwenden.
»Ja?«
»Ob du noch was sagen willst, damit dich die anderen ein bisschen besser kennenlernen?«
»Ähm …« Alle sehen zu mir, und ich schlucke wieder schwer, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, ich will vor den ganzen Leuten hier nichts Peinliches sagen. Kelly steht auf.
»Apollo studiert Psychologie, er liebt Hunde und bei den blutigen Szenen in Horrorfilmen wendet er immer den Blick ab«, sagt Kelly, und alle lachen. »Na los, die Party geht weiter.«
»Mann! Immer machst du meine Momente kaputt«, sagt mein Mitbewohner.
Gregory zeigt mit dem Daumen nach unten, ehe er auf sie zugeht. Kelly lächelt mich einfach an, und ich will mich bei ihr bedanken, weil sie mir hier aus der Patsche geholfen hat. Sie war wohl die Einzige, die bemerkt hat, wie unwohl ich mich fühlte, als alle mich anstarrten. Außerdem hat sie mich mit ihrer Beobachtungsgabe überrascht, als sie sagte, dass ich bei den blutigen Szenen in Horrorfilmen immer wegsehe; Gregory, sie und ich sehen uns jeden Donnerstag einen Film an, ein Ritual, an dem er eisern festhält. Fast so, als würde sie mich mehr beobachten, als mir aufgefallen ist. Aber warum? Ich sehe zu ihr und Gregory, der ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange drückt, und sie wirft mir rasch einen Blick zu, ehe sie sich wieder auf Gregory konzentriert. Ich schüttle den Kopf, sie will bestimmt einfach nur nett zu mir sein, das ist alles.
Ich brauche frische Luft und gehe auf den Balkon. Die Lichter der Stadt, die wir von unserem siebten Stock aus sehen, erstrahlen in voller Pracht. In der Ferne kann ich den Campus der Uni sehen, mein neues Zuhause, wo ich viele Stunden lernen werde. Doch ich vermisse mein eigentliches Zuhause, und obwohl ich gar nicht so weit davon entfernt bin, kann ich doch nicht jedes Wochenende nach Hause fahren, denn das würde mir das Eingewöhnen hier noch schwieriger machen. Die Menschen in meinem Umfeld haben mich immer schon als jemand Sensiblen erachtet, und ich hatte das Glück, dass mich meine Brüder deswegen nie belächelt haben. Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass ein Mann, der bei einer traurigen Szene in einem Film oder in einer bestimmten Situation weint, durchaus Anlass zu Spott geben könnte. Das liegt an dieser machohaften Überzeugung, dass ein Mann stark sein muss und unsere Maskulinität Schaden nimmt, wenn wir uns zu irgendwelchen Gefühlsäußerungen hinreißen lassen.
Aus diesem und vielen anderen Gründen habe ich beschlossen, Psychologie zu studieren. Der menschliche Verstand ist sehr komplex und immer noch sehr wenig erforscht, und ich will so vielen Menschen helfen, wie ich nur kann. Eigentlich wollte ich Tierarzt werden, aber als ich in einem Tierkrankenhaus hautnah miterlebt habe, wie meine Arbeit sein würde, hat es mir das Herz gebrochen. Ja, es gab viele Tiere, die gerettet wurden und darüber sehr glücklich waren, aber das war nicht bei allen der Fall. An jenem Tag war mir klar geworden, dass ich nicht damit zurechtkommen würde, ich könnte keine Tiere einschläfern, auch wenn das notwendig wäre. Ich könnte mich nicht mit dem Tod des Haustiers eines anderen auseinandersetzen, wenn etwas schiefliefe. Ich kenne mich sehr gut und weiß, dass mich im Lauf der Zeit jeder Tod ein bisschen mehr zerstört hätte. Also bin ich jetzt hier.
»Alles okay?«
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass dieses hübsche Mädchen mit den schwarzen Augen, das ich vorhin so angestarrt habe, auf den Balkon gekommen ist.
»Ja, alles okay.«
»Es macht nicht den Eindruck, als hättest du hier Spaß.« Sie stellt sich neben mich ans Balkongeländer.
»Ich stehe nicht so auf Partys«, gebe ich zu.
Sie lächelt.
»Tja, daran gewöhnst du dich wohl besser, weil Gregory …« Sie reißt die Augen übertrieben auf. »An der Uni nennt man ihn Partymonster.«
»Das überrascht mich kein bisschen.«
Sie streckt mir die Hand hin.
»Ich bin Charlotte, aber meine Freunde nennen mich Char.«
Ich ergreife ihre Hand.
»Freut mich sehr, Char. Ich nehme an, dass du schon weißt, wie ich heiße. Gregory hat meinen Namen alle fünf Sekunden so laut gesagt, dass alle ihn hören mussten.«
Sie lässt meine Hand wieder los.
»Ja, Apollo.«
Mein Blick fällt auf ihre Lippen, als sie meinen Namen sagt, und ich schlucke wieder schwer.
»Okay, Char, und wie bist du zu einer Freundin dieses wandelnden Wahnsinns namens Gregory geworden?«
»Wer ist nicht mit Gregory befreundet?« Sie prustet los. »Er ist nervig, unerträglich, redet wie ein Wasserfall, aber man hat immer eine gute Zeit, wenn man mit ihm zusammen ist, und man lacht sehr viel. Er ist das Herzstück einer jeden Party, ehrlich.«
Ich verstehe genau, was sie meint. Gregory war schon auf der Schule so. Sie sieht wieder zur Stadt, und ich tue es ihr nach, ehe ich weiterspreche.
»Ich bin genau das Gegenteil von Gregory.«
»Und das ist gut so«, sagt sie. »Wären wir alle gleich, dann wäre die Welt ein verdammt langweiliger Ort.«
Ich seufze.
»Ich weiß nicht, manchmal wäre ich schon ganz gern ein bisschen … extrovertierter.«
»Ach nee.« Sie sieht mich wieder an. »Du bist gut so, wie du bist.«
»Du kennst mich nicht.«
»Das stimmt, aber der erste Eindruck, den ich von dir habe, ist gut.«
Ich drehe mich ganz zu ihr um, sie lehnt mit dem Unterarm am Balkongeländer.
»Und was war das für ein erster Eindruck?«
Jetzt dreht auch sie sich um, sodass wir einander gegenüberstehen.
»Du bist ein stiller Mensch mit einem guten Herz, der es nicht mag, im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem bist du so sehr mit Nachdenken beschäftigt, dass du gedanklich ganz woanders bist, deshalb fällt es dir auch nicht leicht, neue Freunde zu finden, nehme ich mal an. Du bist gern mit dir und deinen Gedanken allein.«
»Wow, das ist jetzt aber eine ziemlich tiefgründige Analyse, findest du nicht?«
»Ich bin im dritten Jahr Psychologie. Und wenn ich jetzt keine tiefgründigen Analysen anstelle, dann würde da wohl was ziemlich schieflaufen.«
»Du studierst Psychologie?«
»Wieso so überrascht?«
»Ich dachte, Gregory hätte nur Leute aus seiner Uni für Ingenieurswissenschaften eingeladen.«
»Die Reichweite von Gregorys anstößiger Persönlichkeit respektiert die Grenzen der Universität nicht.«
»Verstehe.«
»Du kannst mich also gern fragen, wenn du was brauchst. Das erste Jahr kann ganz schön nervig sein, aber ich bin für dich da.«
Ich betrachte sie weiterhin, und mir wird bewusst, wie reif sie sich ausdrückt und aussieht.
»Bist du deshalb auf den Balkon rausgekommen?«, frage ich neugierig. »Um mich zu analysieren?«
»Das ist ein Mythos. Auch wenn du Psychologie studierst oder Psychologin bist, so bedeutet das nicht, dass du die anderen ständig analysierst, das heißt nur, dass du ein größeres Verständnis bezüglich des menschlichen Verhaltens und Denkens hast.«
Während ich ihr so zuhöre, starre ich sie wieder völlig bescheuert an. Sie ist hübsch, intelligent und studiert dasselbe wie ich … Wäre das jetzt ein bisschen zu gewagt von mir, wenn ich sie um ein Date bitte? Aber was könnte denn schon passieren? Dass sie Nein sagt? Okay, ich könnte sie vertreiben, und sie scheint heute Abend der einzige Mensch zu sein, mit dem ich mich unterhalten konnte.
Mach nicht alles mit deinem schwanzgesteuerten Denken kaputt, Apollo.
»Was ist?«, fragt sie, als ich nichts sage. »Habe ich was im Gesicht?«
»Du bist sehr hübsch.«
Na klar, Apollo, scheiß drauf, alles kaputtzumachen, was?
»Vielen Dank, Apollo.«
»Gern geschehen«, sage ich rasch.
Schweigen.
Sie macht einen Schritt auf mich zu, dann noch einen, bis fast kein Abstand mehr zwischen uns ist. Sie beugt sich vor und küsst mich auf die Wange.
»Wir sehen uns, Apollo.«
Dann lächelt sie mir ein letztes Mal zu und geht wieder in die Wohnung.
Ich presse die Hand aufs Herz und stelle fest, dass es etwas schneller schlägt. Was glaubt sie denn, was mit meinem Kreislauf passiert, wenn sie so auf mich zukommt? Jetzt klinge ich schon wie Ares, es hat wohl auf mich abgefärbt, dass ich den Sommer mit ihm verbracht habe, während dem er endlos seine Medizinbücher gepaukt hat.
Auch ich gehe wieder in die Wohnung, und wie es aussieht, ist gerade etwas im Gange, was ich nicht so ganz begreife. Alle tanzen und grölen einen Song, den ich gar nicht kenne. Ich bleibe in einer Ecke stehen und beobachte sie, sehe mich suchend nach Char um, aber sie ist wohl nicht mehr da, und dann bleibt mein Blick bei Kelly hängen. Sie tanzt mit ihren Freundinnen, zieht den Saum ihres Kleides sehr sinnlich über die Schenkel nach oben, während sie die Hüften kreisen lässt. Ich presse die Lippen aufeinander und versuche den Blick abzuwenden, aber er wandert immer wieder zu ihr zurück. Sie bewegt sich so selbstsicher und sexy, ich kann einfach nicht wegsehen.
Dann lässt sie das Kleid wieder los, fährt sich durch die Haare, lässt diese langsam und mit jedem Kreisen weiter nach unten fallen. Schließlich dreht sie sich um, unsere Blicke kreuzen sich, ein verschmitztes Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen, und jetzt ist es, als würde sie nur für mich tanzen. Sie fährt mit den Händen an den Hüften nach oben, über ihre Taille und Brüste, und das alles macht sie so sexy, dass ich vorübergehend vergesse, dass auch noch andere da sind.
Sie kommt auf mich zu, und ich schüttle den Kopf, was sie jedoch ignoriert. Zu keinem Zeitpunkt hört sie auf zu tanzen. Sie beißt sich auf die Lippe, dreht sich um, tanzt anzüglich weiter … Sanft streift sie mit dem Po an meiner Hose, und ich presse die Hände zu Fäusten, denn ich genieße das alles viel mehr, als ich dürfte.
Wann habe ich das letzte Mal mit jemandem geschlafen?
Sie presst ihren Hintern an mich, raubt mir damit den Atem. Nicht mehr lange, dann habe ich einen Steifen, so viele Monate bin ich schon inaktiv. Das hier muss aufhören. Ich packe sie an den Hüften und halte sie fest, doch sie lehnt sich nur nach hinten und fährt mir durch die Haare, wobei ich ihr Profil sehen kann.
»Wir tanzen doch nur, Apollo.«
Was für eine Lüge, sie weiß ganz genau, was sie da macht.
Ich presse die Finger in ihre Hüften und raune ihr zu:
»Hör auf, mich so zu provozieren.«
Ich presse meine Erektion gegen sie und höre, wie sie keucht.
»Und wenn nicht, was dann?«, fragt sie neckend. »Bestrafst du mich dann?«
Bei ihren Worten stelle ich sie mir in einer sehr sexy und verführerischen Position vor.
Ich schüttle den Kopf, versuche meine Gedanken aus dem lüsternen Vakuum zu vertreiben, in das sie gefallen sind. Gegen meinen Willen schiebe ich sie sanft von mir weg und gehe. Ich höre, wie sie mir noch etwas nachruft, doch ich gehe einfach heftig atmend zwischen den anderen weiter. In meinem Zimmer angekommen, schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich dagegen. Mit geschlossenen Augen versuche ich, wieder etwas ruhiger zu werden. Noch immer meine ich, ihren an mich gepressten Körper und ihren Po zu spüren. Ich fahre mir übers Gesicht, ehe ich mich aufs Bett werfe. Vielleicht hilft es ja, wenn ich schlafe. Es dauert eine Weile, doch dann schlafe ich innerhalb weniger Minuten ein.
Ein Klopfen an der Tür weckt mich. Ich setze mich auf und schalte die Lampe auf dem Nachttisch ein. Ich höre keine Musik mehr und auch sonst keinen Lärm, die Party ist wohl vorbei. Ich sehe auf dem Handy nach, wie spät es ist: 4:20 Uhr. Ich reibe mir die Augen, gehe zur Tür und gehe davon aus, Gregory dort anzutreffen, aber der steht nicht vor mir.
»Kelly«, sage ich ernst.
Sie lächelt mich an, kommt in mein Zimmer, schließt die Tür hinter sich und schließt ab.
»Was machst du da?« Meine Stimme ist noch ganz rau, weil ich eben erst aufgewacht bin. Auch mit leicht verwischtem Make-up sieht sie immer noch genauso schön aus.
Sie presst die Lippen aufeinander, ehe sie mich verschmitzt anlächelt, und es fühlt sich an, als könnte ich alle Empfindungen, die sie vor ein paar Stunden in mir hervorgerufen hat, wieder spüren.
»Wovor hast du so große Angst, Apollo?« Ihre sanfte, verführerische Stimme hallt im Halbdunkel meines Zimmers wider, während ich in dem vergeblichen Versuch, mich zu beruhigen, bewusst langsam atme. Sie hat mich viel zu sehr erregt, und ich versuche schon viel zu lange, ihr zu widerstehen. Sie streckt die Hände nach meiner Hose aus, doch ich halte ihre Handgelenke fest. Ihr Blick sucht nach meinem, wobei sie den Kopf schelmisch schief legt.
Was mache ich da, verdammt noch mal?
Eines steht jedenfalls fest, Kelly hat sich in eine lüsterne Folter verwandelt, und ich habe keine Ahnung, was ich damit anstellen soll.
APOLLO
Eine unverhohlene Einladung …
Ein wunderschönes Mädchen hat sich in mein Zimmer geschlichen …
Was sie beabsichtigt, ist ihr eindeutig anzusehen …
Und ich bin da und weiß nicht, was ich machen soll.
Wäre sie nicht mit Gregory zusammen, würde mir die Entscheidung sehr leichtfallen. Vielleicht ist das zwischen den beiden nichts Ernstes, aber ich kann mich hier nicht einfach von meinen Trieben leiten lassen und das Risiko in Kauf nehmen, dass es meinem Freund hinterher schlecht geht, oder dass er damit nicht klarkommt. Außerdem hat es bislang jedes Mal, wenn ich mich von meinen Impulsen leiten ließ, ein schlechtes Ende genommen. Einmal hat mir jemand das Herz gebrochen, und das andere Mal wäre darüber fast meine Beziehung zu meinem Bruder Artemis in die Brüche gegangen. Also halte ich Kellys Handgelenk entgegen allem, was ich von der Hüfte abwärts spüre, weiter fest und ziehe sie sanft zur Tür, die ich öffne.
»Du hast zu viel getrunken«, sage ich lächelnd. »Du gehst besser wieder ins Bett.«
Sie löst sich aus meiner Umklammerung und sieht mich überrascht an.
»Echt jetzt?«
Ich nicke, und ihre Augen werden auf einmal ganz rot. O nein, das ist nicht das, was ich beabsichtigt hatte. Sie gibt sich alle Mühe, so zu tun, als wäre weiter nichts dabei.
»Okay, entschuldige, echt. Ich habe da was falsch verstanden.«
»Alles okay.«
Sie presst die Lippen aufeinander, und ich sehe, wie sehr sie sich bemüht, die Tränen zurückzuhalten. Ich wollte sie auf keinen Fall verletzen und weiß nicht, was ich jetzt sagen soll. Sie wendet sich ab und geht den Gang entlang. Frustriert schlage ich gegen den Türrahmen, dann schließe ich die Tür wieder.
Was für eine Nacht.
Ich lege mich wieder hin, doch Kellys Gesicht mit den geröteten Augen lässt mich nicht los. Ich wollte ihr nicht wehtun, ich weiß, dass sie selbst verantwortlich ist für das, was sie tut, aber ich will nicht, dass sie jetzt denkt, sie sei nicht attraktiv oder ich habe sie abblitzen lassen wollen. Sie muss doch wissen, dass ich das wegen Gregory gemacht habe, oder nicht? Ich hoffe, dass sie das, was passiert ist, gut verkraftet. Ach Scheiße, Mann, je länger ich darüber nachdenke, umso schlechter fühle ich mich. Vielleicht übertreibe ich ja gerade auch völlig und Kelly ist gar nicht so fragil, nur ich führe mich hier total arrogant auf, weil ich annehme, ich könnte am Selbstwertgefühl eines Mädchens kratzen, das so selbstsicher auftritt.
Schlaf du lieber mal, Apollo.
Letztlich hilft mir das bisschen Alkohol, das ich heute Abend getrunken habe, dabei, wieder einzuschlafen.
»Und dann habe ich ihm gesagt: ›Genau deshalb wirst du den Grundkurs in Psychologie nicht bestehen, du Trottel.‹ Das weiß ich, weil mir dasselbe passiert ist.«
Érica erzählt mir von einer Unterhaltung mit einem Kommilitonen in einem der Kurse. Wie es scheint, hat es wohl gereicht, dass wir uns einmal unterhalten haben, um jetzt befreundet zu sein. Heute haben wir uns in ein paar Kursen unterhalten, die wir beide belegen, und dann haben wir auch zusammen in der Uni-Cafeteria gegessen.
Im letzten Kurs hat sie mir einen Platz neben sich frei gehalten und mir zugewunken, als ich in den Hörsaal kam, damit ich zu ihr komme. Ich will nicht meckern, Kontakte knüpfen gehört nicht zu meinen Stärken, also bin ich sehr dankbar, dass es so Menschen wie sie gibt. Ich fahre mir übers Gesicht. Sie beobachtet mich, rückt ihre Brille zurecht, als wollte sie mich ganz genau begutachten.
»Da hat wohl jemand eine unruhige Nacht gehabt«, meint sie.