THX 1138 - DAS DROGEN-PARADIES - Ben Bova - E-Book

THX 1138 - DAS DROGEN-PARADIES E-Book

Ben Bova

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Beschreibung

Eine Gesellschaft in einer düsteren Zukunft: Die Menschen leben in einer automatisierten und effizienten, unterirdischen Anlage. Die Namen der Menschen bestehen aus einem dreistelligen Präfix gefolgt von einer Nummer. Durch Zwangsmedikation von Psychopharmaka wird das Verhalten der Menschen reguliert und ihre Leistungsfähigkeit gesteigert. Medikamentenverweigerung und Geschlechtsverkehr, der als verderbliche sexuelle Perversion gesehen wird, sind schwere Verbrechen. Eine vollständige Überwachung stellt sicher, dass dies nicht passiert. Zwei aus der gesichtslosen Masse weigern sich, die vom Staat verordneten Drogen einzunehmen. Aber gibt es ein Entkommen aus dem perfekten Überwachungssystem? THX 1138 – Das Drogen-Paradies von Ben Bova ist die Roman-Adaption des gleichnamigen Science-Fiction-Films aus dem Jahr 1971; Drehbuch und Regie zu diesem Film stammen von George Lucas, der mit American Graffiti (1973) und vor allem mit Krieg der Sterne (1977) zu Weltruhm gelangte.

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BEN BOVA

THX 1138 -

Das Drogen-Paradies

Roman

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 38

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

THX 1138 – DAS DROGEN-PARADIES 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

 

Das Buch

Eine Gesellschaft in einer düsteren Zukunft: Die Menschen leben in einer automatisierten und effizienten, unterirdischen Anlage. Die Namen der Menschen bestehen aus einem dreistelligen Präfix gefolgt von einer Nummer. Durch Zwangsmedikation von Psychopharmaka wird das Verhalten der Menschen reguliert und ihre Leistungsfähigkeit gesteigert. Medikamentenverweigerung und Geschlechtsverkehr, der als verderbliche sexuelle Perversion gesehen wird, sind schwere Verbrechen. Eine vollständige Überwachung stellt sicher, dass dies nicht passiert.

Zwei aus der gesichtslosen Masse weigern sich, die vom Staat verordneten Drogen einzunehmen.

Aber gibt es ein Entkommen aus dem perfekten Überwachungssystem?

THX 1138 – Das Drogen-Paradies von Ben Bova ist die Roman-Adaption des gleichnamigen Science-Fiction-Films aus dem Jahr 1971; Drehbuch und Regie zu diesem Film stammen von George Lucas, der mit American Graffiti (1973) und vor allem mit Krieg der Sterne (1977) zu Weltruhm gelangte.

THX 1138 – DAS DROGEN-PARADIES

Erstes Kapitel

»Ich brauche etwas Stärkeres.«

Der Beobachter am Kontrollschirm kniff die Augen zusammen. Ein schlechtes Bild. Er konnte das Gesicht des Mannes kaum erkennen.

»Fehlt Ihnen was?«

»Nein - eigentlich nichts. Ich fühle mich nur... Ich brauche eben ein stärkeres Mittel.«

Der Beobachter hatte eine Wand mit fünfzig Kontrollschirmen vor sich. Alle redeten sie gleichzeitig auf ihn ein. Er war schon ganz wirr im Kopf. »Wenn Sie sich nicht ganz wohl fühlen, rufen Sie die Nummer 349-853 an. Die kümmern sich dann um Sie!« Und lass mich in Zukunft in Ruhe.

»Jawohl... vielen Dank. Es ist nicht so schlimm. Ich wollte nur wissen, welches Mittel...«

Er stand vor dem Arzneischrank und spürte instinktiv, dass der Beobachter gar nicht mehr zuhörte. Er nahm zwei Pillen aus der Packung, die ihm gerade in die Hände fiel, und ging dann zurück in den Hologramm-Raum. Dort rollte er sich auf dem Polster des Freizeitsessels zusammen. Wie immer trug er einen lose sitzenden weißen Pyjama. Wie bei allen Männern war auch sein Kopf kahlgeschoren. Zusammengerollt wie ein Baby im Mutterleib, die Augen weit aufgerissen, den Daumen im Mund, sah er zu, wie drei Polizisten einen alten Mann zusammenschlugen. Er hörte das leise pfeifende Geräusch der langen Schlagstöcke aus Chrom, das Platzen der Haut, das Bersten der Knochen. Der alte Mann lebte immer noch. Bei jedem Schlag stöhnte er leise.

THX 1138 schaute zu, wie die Polizisten den alten Mann erschlugen, und spürte ein Behagen, das sich wie eine warme Welle in ihm ausbreitete. Die Pillen taten bereits ihre Wirkung. Von irgendwoher redete eine Frauenstimme auf ihn ein: »Wollen Sie schneller ans Ziel kommen, empfehlen wir unseren neuen D-Code auf Ihrer Mercikontrollkarte. Vielen Dank!«

Er nickte, ohne den Blick von den Polizisten abzuwenden. Der Raum war nur matt erleuchtet. Die Wände schimmerten in einem schwachen Rot. Doch das Hologramm war hell und scharf. Die Polizisten, das konnte THX ganz deutlich sehen, waren aus Chrom wie ihre Stäbe. Roboter. Doch der alte Mann war echt. Er stöhnte und blutete.

Die Tür zum Holoraum ging auf. THX achtete nicht darauf. »THX?«

»Nicht jetzt - später...«

»Aber...«

Er rollte sich noch enger zusammen, legte das Kinn auf die Knie.

Sie stand an der Tür und starrte ihn einen fast endlosen, leeren Moment lang an. Bei jedem Schlag der Chromknüppel zuckte sie zusammen. Dann schloss sie langsam wieder die Tür.

Ihr Name - dem Stil der unterirdischen Gesellschaft entsprechend - war LUH 3417. Sie war zwanzig Jahre alt, schlank und sehr hübsch. Nur das kleine rote S, das sie als Brandzeichen auf ihrer linken Wange trug, war ein kleiner Schönheitsfehler. Aber es war kaum noch zu erkennen. Mit dem kahlgeschorenen Kopf sah sie noch ganz kindlich und unschuldig aus.

Sie stand in dem kleinen Korridor vor dem Holoraum unter dem milchigen, indirekten Licht der Deckenverkleidung. Auch sie trug den obligaten weißen Pyjama wie alle anderen Frauen. Die Wohnung war nicht übel, bestand aus drei weißen Zimmern und dem Holoraum. Sie waren hier unten auf der tiefsten Ebene der Stadt, dem warmen Kern der Erde am nächsten, sicher und geschützt.

Wovor geschützt?, fragte sich LUH.

Mit einem verdrossenen Gesicht ging sie die vier Stufen von der Tür des Holoraums hinunter in den Sanitätsraum. Das war eine Nische aus schimmerndem Chrom mit Dusche, Enthaarungsmaske, Abfluss und einem Medizinschrank.

Sie stand jetzt vor diesem Schrank und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah nicht ihr ovales Gesicht und ihre ausdrucksvollen Augen. Sie sah nur das S. Es war ganz winzig und blass. Babygroße. Ob sie mir ein neues Brandzeichen geben, wenn ich einundzwanzig werde?

Sie öffnete den Arzneischrank und zögerte dann.

»Was ist mit Ihnen?«, fragte ein unsichtbarer Beobachter.

Impulsiv streckte sie die Hand nach der Tablettenpackung aus, aus der sich THX vor ein paar Minuten zwei Pillen genommen hatte. »Alles in Ordnung«, sagte sie zu dem Beobachter. »Ich werde... werde sie später wieder ersetzen.« Sie nahm die Packung heraus und warf die Tür des Arzneischrankes zu.

Sie nahm eine Handvoll Pillen und hob sie an den Mund. Einen Moment lang blieb die Hand vor ihren Lippen. Dann senkte sie den Arm und warf mit einer raschen Bewegung die Pillen in die Toilette. Sie kippte die ganze Packung über dem Becken aus und spülte die Pillen hinunter.

Wie wollen sie das kontrollieren?, dachte sie bei sich. Wie wollen sie mir das nachweisen? Die Tabletten wirken bei Natur geborenen sowieso nicht so gut.

Einen Moment lang fühlte sie sich prächtig, fast glücklich. Übermütig mit einem Schuss Nervenkitzel (die Pillen sind doch nur gut für dich, Kind). Dann verließ sie den Sanitätsraum wieder und ging an der Tür des Holozimmers vorbei. Sie hörte immer noch die Schläge der Chromstöcke. Doch das leise Stöhnen und Keuchen stammte nicht von dem alten Mann auf dem Holobild. Sie kannte das Geräusch. Das war THX.

Ihre gute Laune war erloschen. Sie wusste, was er jetzt tat.

Langsam, leise, widerstrebend öffnete LUH die Tür des Holoraums gerade weit genug, um THX beobachten zu können. Er atmete keuchend, und sein Körper bewegte sich krampfhaft, während er das Holobild betrachtete. LUH folgte seinem Blick. Sie schlugen jetzt ein nacktes Mädchen. Lautlos bettelte es um Gnade; aber die Polizisten droschen weiter auf sie ein. Einer zog sie an den Handgelenken hoch auf die Knie, und der andere trat ihr in den Unterleib und in die Rippen. Das alles in Zeitlupe. Bei jedem Schlag hüpften ihre Brüste auf und nieder. Eine Chromfaust traf sie mitten ins Gesicht, dass das Blut spritzte.

THX wälzte sich hin und her. In seinem Gesicht leuchteten hektisch rote Flecken. Seine Erregung erreichte den Höhepunkt.

LUH schloss wieder die Tür. Ihre Hände zitterten. Warum ging ihr das so nah? Ihre Reizempfindungen bei der Betrachtung der Holobilder waren so sehr von seinen verschieden... Warum wollte sie denn...

Sie weinte! Wenn das jemand am Schirm beobachtete! Es kostete sie unglaubliche Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Sie musste sich mit einer Beschäftigung ablenken. Sie ging in die Küche und drückte auf den Menüvorwähler. Holobilder von empfehlenswerten Speisenkombinationen erschienen vor ihren Augen und verschwanden wieder wie Seiten eines Kochbuches, das man rasch durchblättert. Sie drückte auf den Knopf, als die Lieblingsspeise von THX zum zweiten Mal auf dem Schirm auftauchte. Selbstverständlich war das ganze Gericht synthetisch; doch die Proteine vermittelten in Form und Farbe den Eindruck von echtem Rindfleisch. Der Knopf leuchtete jetzt blau auf und bestätigte ihre Wahl.

LUH wartete, bis das vorbereitete Fleisch im Kocher lag. Als die Farbe des Kontrolllichtes wechselte, öffnete sie die Tür des Kochers, um sich zu überzeugen, dass ihre Bestellung auch richtig ausgeführt worden war.

Sie war es nicht. Sie musste zu langsam reagiert haben, oder die Elektronik war mal wieder nicht in Ordnung. Doch das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Sie konnte das Menü nicht mehr zurückschicken. Es musste verzehrt werden.

Sie schloss die Tür des Kochers und drückte den mittleren von drei Knöpfen an der Randleiste. Das Essen würde in fünf Minuten fertig sein.

LUH kehrte zurück in den Holoraum. THX saß aufrecht in seinem Sessel. Ein Nachrichtensprecher hatte jetzt den Platz eingenommen, wo vorhin noch das Mädchen blutete.

»...im unermüdlichen Bestreben, die Leistung im AIA PB 848 zu verbessern, die erst in diesem Jahr fertiggestellt wurde.«

»Fünf Häftlinge haben heute versucht, aus der Besserungsanstalt DD 2 zu entfliehen. Alle fünf wurden dort wegen Verstoßes gegen die Drogenvorschriften behandelt. Zwei Häftlinge sind aus einem Sexualakt hervorgegangen, die übrigen drei...«

»Wie bitte?«, fragte LUH unwillkürlich.

Das Holobild flimmerte einen Moment. Dann wiederholte der Nachrichtensprecher: »Zwei Häftlinge sind aus einem Sexualakt hervorgegangen, die übrigen drei stammen aus der Geburtenklinik 19. Alle fünf flüchteten aus dem Sperrbereich 545 und wurden nach ihrer Ergreifung vernichtet. Wie man uns berichtet...«

Sie legte THX die Hand auf die Schulter. »Ich habe das Essen für dich im Kocher...«

»Ich habe keinen Hunger.«

Die Stimme des Sprechers ging sofort auf unterbewussten Empfang, als die beiden im Zimmer sich laut unterhielten. Er saß jetzt im Zimmer und bewegte nur noch lächelnd die Lippen.

»Es ist aber schon fertig. Also komm jetzt mit und nimm einen Bissen...«

»Ich mag nicht.«

LUH sagte ungeduldig: »Wenn du nicht isst, wird es verderben. Also komm schon...«

Er drehte sich um und blickte sie an. »Was ist nur mit dir los?«

»Musst du denn immer hier in diesem Zimmer sitzen? Kannst du nicht mal mit mir reden?«

»Ich sehe dich doch jeden Tag.«

Sie wollte etwas darauf erwidern, aber sie änderte ihren Entschluss. Sie wandte sich wortlos ab und verließ das Zimmer. THX saß in seinem Sessel, drehte sich halb zur Seite und blickte ihr achselzuckend nach. Dann stand er auf und folgte ihr hinaus in den Korridor. »Was hast du denn?«, fragte er.

»Nichts. Komm, ich hole dir dein Essen aus dem Kocher.«

»Okay. Aber wir nehmen die Platten mit ins Zimmer. Nach den Nachrichten kommt gleich die Revueshow.«

Sie setzten sich in den Ruhesessel und beobachteten die fleischfarbenen Mannequins, die sich nach vorprogrammiertem Gelächter bewegten. Er machte ein ziemlich ängstliches Gesicht, als sie darauf bestand, im gleichen Stuhl mit ihm zu sitzen - so nahe, dass sie sich tatsächlich berührten.

Sie ist schon ein eigenartiges Mädchen, dachte er. Er versuchte, sich auf die Holorevue zu konzentrieren; aber sein Blick wich immer wieder zur Seite. Sie hatte das Gesicht den tanzenden Puppen zugewendet, schlang das Essen in sich hinein und war mit ihren Gedanken offenbar ganz woanders. Aber wo? Woran dachte sie jetzt?

»LUH...«

Sie drehte ihm jetzt das Gesicht zu. »Ja?«

Er bewegte den Kopf hin und her. »Nichts.« Und er konzentrierte sich wieder auf die Holorevue.

Control saß in seinem maßgerechten Schaumsessel, ein dünnes, kaltes Lächeln auf den Lippen.

Die Hinterwand seines geräumigen Büros war ein einziger Holoschirm. Aber in diesem Augenblick schien der Raum gar keine vierte Wand zu besitzen, sondern mit einem Saal zu verschmelzen, in dem ein halbes Dutzend Beobachter hinter hufeisenförmigen Pulten saßen und ihre fünfzig Monitore überwachten.

»Nun?«, fragte Control einen der Beobachter über die Gegensprechanlage, die in seinem Schreibtisch aus synthetischem Holz eingebaut war. »Wie lautet Ihre Analyse?«

»Sie versucht offenbar, ihn zu verführen«, erwiderte der Beobachter.

Das Holobild holte jetzt die Kontrollschirme des Beobachters ganz nahe heran. Alle fünfzig Schirme zeigten das gleiche Bild: THX und LUH zusammen im Ruhesessel. Der Beobachter belauerte die beiden wie eine Gottesanbeterin ihre Beute.

»Ganz offensichtlich«, bestätigte Control. »Aber tut sie das bewusst oder nur instinktiv? Das ist die entscheidende Präge!«

Ohne seinen Blick von den Kontrollschirmen abzuwenden, antwortete der Beobachter: »Puls, motorische Bewegungen, EEG, Körpertemperatur - alles das deutet auf eine gewisse Erregung hin. Doch das spielt sich noch auf einer unterbewussten Ebene ab. Sie weiß wirklich nicht, was sich in diesem Moment in ihren Drüsen tut.«

Control lachte humorlos. »Aber ihr Körper weiß, was er tut. Sehen Sie nur, wie sie sich an ihm reibt. Widerlich!«

»Richtig. Doch es ist kein bewusster Versuch, dieses Verbrechen zu begehen. Sie reagiert nur auf ihre Erbanlagen.«

Control murmelte etwas Unverständliches.

»Er spürt es jetzt auch«, bemerkte der Beobachter. »Seine

Messwerte sind... nun, sie nehmen zu.« Er grinste, da Control sein Gesicht nicht beobachten konnte.

»Das wundert mich nicht.«

»Ich sollte ihn warnen«, sagte der Beobachter.

»Nein!«

»Wenigstens andeuten, dass er jetzt ein Beruhigungsmittel nehmen sollte.«

»Nein!«, erwiderte Control barsch.

»Aber - ich verstehe Sie nicht! Wenn wir sie gewähren lassen, wird er bestimmt das Verbrechen mit ihr begehen.«

»Natürlich.«

»Aber er wäre eigentlich nicht schuld daran«, sagte der Beobachter.

»Nein? Wessen Schuld wäre es denn dann?«

Der Beobachter kannte diesen Ton nur zu gut. Er war die letzte Warnung, ehe Control eine unwiderrufliche Maßnahme ergriff.

Hastig korrigierte er sich. »Ich meine, dass - äh - dass nicht jeder Mann seine Prinzipien einhalten kann, wenn er - äh - einer solchen Behandlung ausgesetzt wird.«

»So?«, erwiderte Control eisig. »Entweder bewahrt er seine Prinzipien, oder er fällt. Wenn er fällt, ist das sein eigener Wille, seine eigene Entscheidung.«

Der Beobachter schüttelte den Kopf.

»Sie übersehen offenbar, dass LUH 3417 ein Atavismus ist, eine gefährliche Anomalie, eine lebendige Bombe mit tickendem Zeitzünder in unserer Gesellschaft. Als natürlich Geborene wird sich früher oder später ihr genetisches Erbe auf jeden Fall durchsetzen. Und dann wird sie einen unbescholtenen Bürger dazu verleiten, das gleiche Verbrechen mit ihr zu begehen, dem sie ihre Existenz zu verdanken hat.«

»Wir könnten sie jetzt festnehmen«, wandte der Beobachter schüchtern ein. »Wegen Missbrauchs von Drogen. Ich habe gesehen, wie sie eine ganze Packung Tabletten in den Abort geschüttet hat.«

»Nein. Ich möchte sie in flagranti beim Sex-Akt erwischen. Unsere Gesellschaft will keine Rache. Sie will sich nur selbst schützen. Verbrecher begehen ihre Verbrechen. Sie können sie nicht daran hindern. Sie können nur das Unvermeidliche hinausschieben. LUH 3417 ist darauf versessen, sich selbst zu zerstören und die Gesellschaft zu schädigen. Nichts, was wir tun, wird sie davon abhalten. Wir müssen nur abwarten, bis sie den letzten entscheidenden Schritt unternimmt, und werden dann die Gesellschaft die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen ergreifen lassen.«

»Aber - der Mann...«

»Wenn er kriminelle Instinkte besitzt, wird er sich ebenfalls vernichten. Es gibt für uns keine Möglichkeit, das zu verhindern. Unsere Gesellschaft wird nur gesünder, stärker, sicherer und ausgeglichener, wenn solche kriminellen Elemente ausgemerzt werden.«

Der Beobachter beschloss jetzt, den Mund zu halten. Control hatte wie immer Recht. Jeder Widerspruch war zwecklos.

Control sah THX und LUH auf den Monitoren noch eine Weile zu, ehe er den Finger zum Schaltregler über seinem Schreibtisch hob. Das Holobild vom Beobachterpult mit seinen fünfzig Schirmen verschwand mit einem leisen Flackern, wurde ersetzt durch die stabile Wand mit dem stilisierten Porträt des legendären ersten Control. Um das strenge, etwas aufgedunsene Gesicht bewegten sich geheimnisvolle Ziffern entgegen dem Uhrzeigersinn.

  Zweites Kapitel

 

 

 

Schwitzend vor Anstrengung und Konzentration bewegte THX vorsichtig die mechanischen Hände.

Jetzt kommt der kritische Moment. Sollte das radioaktive Material... 

Er stand vor dem mit Blei gepanzerten Fenster der Montagebucht 17. Seine klammen, feuchten Hände steckten in den Stulpen der Manipulatoren. Links und rechts neben ihm schufteten Dutzende wie er an ähnlichen Stationen, alle wie er weiß vermummt mit Helm und Kittel und einem Empfänger im Ohr. Einen Moment lang erstarrte er in Bewegungslosigkeit, und in der bleigepanzerten Bucht blieben die ferngesteuerten Hände mitten in der Luft hängen. Sie hielten eine winzige mit radioaktiven Elementen gefüllte Kapsel, das Lebenselixier für den Roboter aus Chrom, der noch unter den skelettartigen Metallarmen regungslos schlummerte.

»Ist was nicht in Ordnung?«

»Montagebucht 17 - Sind Sie in Ordnung?«

»Antworten Sie, 1138!«

»Alles okay«, sagte THX.

Eine Million Stimmen summten in seinem Kopfhörer - Befehle, Rückfragen, Gesprächsfetzen aus der Montagehalle. In seinem Schädel dröhnte es.

»Keine Kriechströme in die Nullphase ableiten. Bodenkontakt vermeiden...«

»Haben Sie bereits gedruckte Schaltungen mit der neuen D-Code-Funktion erhalten, achten Sie bei der Montage darauf, dass die Steckverbindung den älteren Modellen angepasst werden muss!«

»Geben Sie den Stufenregler in die Aufbereitung, 2434. Ich wiederhole: Den Stufenregler zurück in die Aufbereitung!«

»Multiphasenkontrolle, bitte!«

»Sie sind in der grünen Phase, Station 6! Fahren Sie mit der Montage fort!«

Noch drei Stunden, dachte THX. Noch drei Stunden, und ich kann nach Hause gehen. Zu LUH, setzte er in Gedanken noch hinzu. Er sah ihr Gesicht, spürte ihren Atem an seiner Wange.

»Station 17, was hält Sie auf?«

»Entschuldigung«, stotterte er. Bleib mit deinen Gedanken bei deiner Arbeit! 

»Netzkontrolle, hier spricht die Montagezentrale. Station 17 geht in die thermale Phase. Alarmstufe zwei!«

»Verstanden, Montage. Alarmstufe zwei, thermale Phase. Die Abschirmung steht. Sie können weitermachen, Station 17.«

 

In einem anderen Bereich der riesigen unterirdischen Zentrale saß LUH hinter einem Beobachtungspult und überwachte ihre fünfzig Schirme. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Schirme sie nur selbst beobachteten.

Der Raum war schattig, lag im Halbdunkel und empfing sein Licht hauptsächlich von den bläulich schimmernden Schirmen. Hunderte von Beobachtern saßen an ihren Pulten, hinter ihnen die Aufseher, die leise auf und ab gingen. LUH hörte das Summen von Millionen Stimmen in ihrem Kopfhörer, ein nie endendes Geräusch ohne Sinn und Ziel.

»Ich gehe auf Urlaub. Soll ich in der Zeit auch Pinural einnehmen oder mir andere Tabletten besorgen?«

»Wir gratulieren zu Ihrem Urlaub. Die Erholungszentren sind darauf eingestellt, die Drogenversorgung in bestimmten Grenzen aufrechtzuerhalten. Sie brauchen also keine Vorbereitung in dieser Hinsicht zu treffen.«

»Hier ist die städtische Überwachungszentrale. Wir haben soeben eine illegale sexuelle Aktivität festgestellt. Sie können sie auf Ihrem DTO-Schirm beobachten. Schalten Sie zur Kontrolle, Code sieben.«

»Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Wir werden Ihnen eine angemessene Belohnung auf Ihr Konto überweisen.«

»JDC - Signal auf drei - VPT - stellen Sie durch auf Knotenpunkt Station 5 - Beschwerdemeldung...!«

Einer ihrer mittleren Schirme zeigte einen müde aussehenden alten Mann, der in einer Beschwerdezelle eines Einkaufszentrums stand. Ein Strom von Menschen, die ihre Besorgungen machten, flutete an seiner Zelle vorbei. Das Bild war unscharf. LUH versuchte, es klarer einzustellen. Vergeblich.

»Was haben Sie für Sorgen?«, fragte sie in ihr Kehlkopfmikrophon.

Der alte Mann hielt etwas hoch, das wie eine Einkaufstasche aussah.

»Ich habe das erst gestern hier gekauft...« Er kramte in seiner Tasche und förderte ein gelbes Plastikhexagon ans Licht. »Das Ding passt nicht in meinen Verbrauchsautomaten, und hier haben sie keine von den alten Scheiben auf Lager.«

LUH drückte den Knopf für die programmierte Beschwerdeauskunft. Eine Bandaufnahme rollte ab. Eine sehr weibliche, warme, beruhigende Stimme sagte:

»Wir bemühen uns, die Versorgung unserer Bürger laufend zu verbessern. Deswegen haben wir auch auf dem Verbrauchssektor noch stärker rationalisiert. Wir bedauern sehr, dass die Umstellung auf das neue System Ihnen Anlass zu dieser Beschwerde gegeben hat. Stecken Sie bitte Ihre Erkennungsmarke in den Abtaster, und wir werden Ihnen die neuen Verbrauchskreditscheiben so rasch wie möglich zusenden.«

Der Mann nickte etwas benommen, nestelte gehorsam seine Erkennungsmarke von seinem Jackenaufschlag und schob sie in den Schlitz des Abtasters. Er wartete geduldig, bis die Apparatur die Marke wieder summend ausspuckte, und steckte sie dann wieder in das Jackett.

»Vielen Dank. Darf ich Ihnen noch etwas zu Ihrer Beruhigung empfehlen. Etracene, Enervol und Pinural sind für Sie besonders gut verträglich.«

Der alte Mann nickte verwirrt, schlurfte davon, wurde von dem Strom der Käufer aufgesogen. LÜH blendete das Bild aus und wendete sich jetzt zwei Jungen zu, die kichernd aus dem Bildrahmen schauten und sich dann hinter einer Plastikstahlbank in der Mitte des Schulhofs versteckten. LUH drückte lächelnd auf eine Reihe von Tasten. Eine freundliche Baritonstimme sagte warnend:

»Dieser Monitor darf nur in Notfällen verwendet werden. Alle Routineauskünfte erhalten Sie von den Nachrichtenschirmen, die Ihnen an jeder Kreuzung kostenlos zur Verfügung stehen.«

Einer von den beiden Jungen richtete sich hinter der Bank auf und streckte die Zunge heraus. Dann lief er lachend davon. LUH beobachtete ihn, bis er hinter der Ecke des Schulgebäudes verschwand.

Dann erregte ein Schirm in der linken unteren Ecke der Wand LUHs Aufmerksamkeit. Sie schaltete das Bild auf die vier zentralen Schirme direkt vor ihr.

»Was fehlt Ihnen denn?«

Ein Mann schrie hysterisch. Er stand im Sanitätsraum seiner Wohnung; doch kein Laut drang aus dem verzerrten Mund bis

zu ihr. LUH drehte hastig an ihren Knöpfen.

»...mir... helft mir!«, schrie der Mann.

»Was haben Sie denn?«

Der Mann griff mit beiden Händen in seinen Arzneischrank. Flaschen und Packungen fielen heraus, zerbarsten auf den Kacheln und verstreuten ihren Inhalt über den Boden. Der Mann fiel auf die Knie, sammelte alle Pillen auf, die er erreichen konnte, und stopfte sie sich in den Mund.

LUH drückte eine rote Taste. Eine Stimme predigte vom Band:

»Nehmen Sie vier rote Kapseln. Nach zehn Minuten nehmen Sie noch zwei davon. Hilfe ist schon unterwegs. Haben Sie keine Angst... Nehmen Sie vier rote Kapseln...«

Sie schaltete auf Mercicontrol. »Okay, wir übernehmen«, sagte eine barsche junge Männerstimme in ihrem Kopfhörer. »Sie brauchen sich nicht mehr um ihn zu kümmern.«

Mit einem leisen Seufzen bestätigte sie und verlagerte das Bild des schreienden, pillenschluckenden Mannes wieder an den linken Rand ihrer Schirmwand. Die mittleren Monitore zeigten jetzt vier verschiedene Robotermontagestationen. THX hatte eine dieser Stationen besetzt. LUH starrte ihn an. Er bewegte sich lautlos. Das ständige Dröhnen und Rauschen der Stimmen in ihrem Kopfhörer stammte aus anderen Kanälen.

Sie hörte nicht mehr darauf. Sie beobachtete nur noch THX, wie er konzentriert arbeitete. Langsam, mit wachen Augen und harten Muskeln, die Nerven eisern unter Kontrolle, bewegte er jetzt die mechanischen Hände und hauchte einem neuen Chromroboter sein radioaktives Leben ein. Als würde er ein Baby zur Welt bringen, dachte sie.

»Kanal 5... schalten Sie Monitor drei frei.«

»Kanal 5... 3417-LUH... LUH.«

»Sind Sie auf Empfang? Schalten Sie sich ein! Schalten Sie sich ein!«

Plötzlich wurde sie gewahr, dass man zu ihr sprach. LUH wendete den Blick dem Mann zu, dessen Bild jetzt den unteren rechten Hauptschirm ausfüllte.

»LUH 3417«, bestätigte sie. »Ich höre.«

»Hier spricht die Gesundheitskontrolle«, sagte der Mann. »Haken Sie alle Fragen ab. Erstens: Haben Sie Ihre Tagesration Enervol erhalten?«

»Jawohl«, log sie.

»Haben Sie während Ihrer letzten Schicht eine Etracene-Ration bekommen?«

Sie nickte.

»Sie müssen zur ärztlichen Untersuchung. Die Fernmessdaten zeigen Werte an der unteren Normalgrenze. Eine Gewichtszunahme von drei Einheiten wurde festgestellt, die jedoch keinen Anlass zur Besorgnis gibt. Vielen Dank!«

Der Schirm flackerte kurz und zeigte dann wieder ein Einkaufszentrum.

 

Wieder hörte sie das Rauschen unzähliger Stimmen in ihren Kopfhörern, so dass sie sich ihren eigenen Gedanken überlassen konnte. LUH fragte sich, wie lange sie einer ärztlichen Untersuchung noch ausweichen konnte. Denn dann würde sie nicht mehr verheimlichen können, dass sie gegen das Gesetz verstoßen hatte. Sie hatte ihre Drogen nicht eingenommen.

Jetzt drang die Stimme ihres Vorgesetzten, SEN 5241, bis zu ihrem Bewusstsein durch: »Die Schirmkontrolle ist unterwegs. Beobachten Sie aufmerksam. Und bestätigen Sie sofort!«

»Jawohl, Sir!«