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Gaby Hauptmann

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Beschreibung

Clara Flockheimer und ihre kleine Tochter wollen ihr Leben auf Mallorca verbringen – zusammen mit Andrés, dem charmanten, leidenschaftlichen Spanier, dessen Restaurant Clara mit ihren Ideen zu neuer Blüte verhelfen soll. Doch Andrés scheint nur noch Augen für Maria José zu haben, die verführerische Köchin seines neuen Restaurants – das sieht Clara sich natürlich nicht lange mit an …

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Für Michael

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Originalausgabe

2. Auflage April 2010

© Piper Verlag GmbH, München 2010

Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München

Umschlagabbildung: Photo Division/beyond/Corbis (Sonnenhut),

Peter Frank /Corbis (Sandherz) und Getty Images (Koffer, Palme, Strand)

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-492-95103-6

CLARA BOHRTE IHREN GROSSEN ZEH in den warmen Sand und sah den feinen Sandkörnern zu, wie sie sofort nachrieselten und sich um ihre Haut schlossen. Ihr Zeh war weg – ganz wie ihr früheres Leben. Clara hatte sich aufgesetzt, die Arme um ihre nackten Beine gelegt, und ihr Blick glitt hinüber zu Andrés’ Füßen. Er hatte schöne Füße, einen ausgeprägten Spann, die Zehen gleichmäßig, Männerfüße, die man gern betrachtete. Clara zog ihren großen Zeh aus dem Sand. Ein Sandhäufchen hatte sich darauf gebildet und floss nun nach allen Seiten ab. Clara wartete, bis nur noch eine feine Schicht Körner übrig war, die ihren roten Nagel und die braune Haut mit einem leichten Schimmer bedeckten, dann schob sie ihren Fuß langsam hinüber zu Andrés. Sie sahen gut aus, nebeneinander, sie passten zusammen.

Andrés schlief. Seine Bauchdecke hob und senkte sich gleichmäßig, und Clara schob ihre gespreizten Finger durch seine lockigen Brusthaare, die sich kurz um ihre Finger schmiegten, länger wurden und sich sofort wieder einrollten, sobald sie ihre Hand wegzog. Zärtlich betrachtete sie ihn. Sein Körper war ihr vertraut, der weiche Zug um seine Lippen rief in ihr ein Gefühl der Zärtlichkeit hervor, das Clara mit Dankbarkeit erfüllte. Sie hätte nie gedacht, dass sie für einen Mann noch einmal so würde empfinden können.

Sie waren am späten Nachmittag von Puerto Portals aus hierhergefahren. Als Einheimischer kannte Andrés jeden Winkel von Mallorca und hatte sie zu diesem einsamen Strand geführt, der, tief in eine Felsenlandschaft eingebettet, ein seltenes, vom Tourismus noch unentdecktes Kleinod war. Es waren diese wenigen Stunden, die sie sich davonstahlen, wenn der mittägliche Ansturm im Restaurant vorbei und bis zu den Abendstunden noch Zeit war. Andrés, seit Kurzem Geschäftsführer im Amici miei, einem der angesagtesten Restaurants der Insel, nahm seine Aufgabe ernst, und Clara unterstützte ihn. Ihren Traum, als Innenarchitektin auf Mallorca zu arbeiten, hatte sie zunächst hintangestellt.

Clara seufzte wohlig und ließ sich in den warmen Sand zurücksinken. Der Himmel über ihr war wolkenlos blau, und das Rauschen des Meeres fand sie noch immer unvergleichlich schön. Der gleichmäßige Schlag der Wellen beruhigte sie, und wenn sie zusah, wie die Gischt schäumend über den Sand züngelte, dann fühlte sie sich wie Robinson Crusoe, wie eine Pionierin der ersten Stunde, frei, ungebunden, abenteuerlich.

Ihre Hand stahl sich wieder zu Andrés. Diese Hand hatte in den letzten Wochen eine Art Eigenleben entwickelt. Noch nie hatte sie das Verlangen gespürt, einen Mann derart oft zu berühren wie Andrés. Sie fand ihn einfach zum Anbeißen schön. Sie liebte seinen Körper, die braunen Härchen an seinen Beinen und Unterarmen, die sich sonnengebleicht wie ein weicher Flaum über seine gebräunte Haut legten, sie liebte seine perfekt geformten Waden, die muskulösen Pobacken und die Adern an seinen Unterarmen, die bei körperlicher Anstrengung hervortraten, sie war verliebt in seinen leicht schiefen Vorderzahn und in seine warmen braunen Augen. Und überhaupt. Sie liebte ihn nackt, wie jetzt, oder lässig in Jeans mit T-Shirt und selbst seriös im Anzug.

Oh, Clara, dachte sie. Du, die stille Kulturmaus aus Deutschland, promovierte Kunsthistorikerin, sechsunddreißig Jahre alt, vom Ex im eigenen Bett betrogen, mit der gemeinsamen vierjährigen Tochter ausgezogen, allen Luxus hinter sich gelassen und auf dem Boden der Realität gelandet. Du glaubst nun, die Welt und die Liebe für dich entdeckt zu haben. Clara grub eine Hand in den Sand und schaute zu, wie er durch ihre Finger rieselte. So konnte auch das gewohnte Leben verrieseln, das hatte sie am eigenen Leib erfahren. Sie ballte ihre Hand zur Faust. So, jetzt blieb der Sand drin, gefangen. Sie würde ihr neues Leben festhalten. Clara spürte eine Zuversicht in sich aufsteigen, wie sie sie in ihrem vorigen Leben nicht gekannt hatte. Das war neu an ihr. Sie hatte den Absturz aus der Kölner Gesellschaft hinter sich und war jetzt mit einem sieben Jahre jüngeren Mann liiert. Sie hatte sich auf elegante Art an ihrem Exmann gerächt und sich nicht um die Folgen geschert. Sie war über sich hinausgewachsen und hatte eine neue Clara entdeckt, reifer und zugleich verspielter, bodenständiger und doch experimentierfreudiger, verantwortungsbewusster und zugleich leichtlebiger.

Ihre Hand hatte ihr Ziel erreicht. Sie spürte, wie sich sein Penis unter ihrer Berührung aufrichtete, und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie rückte etwas näher an seinen sonnenwarmen Körper. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Andrés die Augen aufschlug und zu ihr hinübersah. Und dann spürte sie seinen Mund an ihrem Ohrläppchen und seine Hand auf ihrer Brust. Und in plötzlichem Verlangen setzte sie sich auf ihn und bohrte ihre Knie rittlings in den weichen Sand. Der war bereits frühlingswarm wie der ganze Tag. Achtzehn Grad. Und das im März.

Auf der Prachtstraße von Puerto Portals stauten sich die Autos wie mitten im Sommer. Das Showfahren an den Restaurants vorbei war zwar nur von kurzer Dauer, aber manche schienen das Spiel endlos zu betreiben. Wer auf den großen Jachten nicht gesehen wurde, griff gern zu diesem Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen. Clara hatte sich daran gewöhnt. Auch an die extremen High Heels und endlosen Mädchenbeine, die auf der Promenade vorbeispazierten. Die einen stellten sich mit ihrem Reichtum zur Schau, die anderen mit ihren körperlichen Vorzügen, es war ein bisschen wie im Zoo. Clara betrachtete es mit stillem Vergnügen – das war nicht anders als in anderen Mittelmeerorten auch. Wenn sich das Geld irgendwo ansiedelte, zog es neues Geld nach. Clara konnte das nur recht sein. Wenn das Amici miei lief, hatten sie eine Sorge weniger.

Andrés schlängelte sich mit seinem Motorrad an den Autos vorbei, Clara hielt sich auf dem Rücksitz an ihm fest. Es war erstaunlich, was um diese Jahreszeit bereits los war. Aber jetzt kamen alle, die keine schulpflichtigen Kinder hatten und der kalten Jahreszeit in Deutschland entfliehen wollten. Andrés fuhr durch eine schmale Gasse zur Rückseite des Restaurants und parkte seine Maschine neben den großen Müllcontainern, die schon wieder überzuquellen drohten. Clara stieg ab und öffnete den Kinnriemen ihres Jethelms. »Ich warte ja nur drauf, dass sie dir das Motorrad mal mit entsorgen …«

Andrés grinste und hängte seinen Helm über den Spiegel. »Das trauen sie sich nicht. Schließlich kenne ich die Jungs.«

Das ist sein Vorteil als Einheimischer, dachte Clara, er ist auf der Insel bekannt. Und in seinem Job als Türsteher einer Nobeldisco hatte er bewiesen, dass er nicht nur der freundliche Gruß-August war. Offensichtlich genoss er auch körperlichen Respekt.

»Magst du etwas trinken?«, fragte er freundlich und strich sich durch die Haare.

Clara nickte: »Wasser.«

»Wasser?« Andrés klang nicht überzeugt.

»Ich muss Katie noch abholen.« Clara tippte kurz auf ihre Armbanduhr.

»Bring die Kleine mit, dann bekommt sie noch einen tollen Eisbecher!«

»Ist es nicht voll heute Abend?«, wollte Clara überrascht wissen.

»Für euch beide finde ich doch immer Platz!« Andrés öffnete die Hintertür des Restaurants und ließ Clara an sich vorbei eintreten. »Und bis es richtig voll ist, ist Katie sowieso schon im Tiefschlaf.«

Das Amici miei war für Andrés ein Volltreffer gewesen. Vier Jahre lang hatte er in einem Restaurant in Berlin gearbeitet, war in seine Heimat nach Mallorca zurückgekehrt, hatte sich als Busfahrer und Türsteher verdingt und auf seine Chance gewartet. Die kam mit Friedrich, einem gutmütigen, aber gewitzten Geschäftsmann, der in Deutschland und auf Mallorca mehrere Hotels und Restaurants besaß und über einen Geschäftskollegen von Andrés’ Qualitäten erfahren hatte: gute Arbeitsleistung in Berlin, professionell und schnell, dreisprachig und als Mallorquiner die perfekte Besetzung für sein Restaurant Amici miei in Puerto Portals. Noch sammelte Andrés Erfahrung, aber er hatte sich geschworen, den Weg nach oben zu gehen, koste es, was es wolle.

Wenig später fuhr Clara nach Santa Ponça. Sie fühlte sich wie berauscht, obwohl sie nur Mineralwasser getrunken hatte. Wie konnte das Leben so schön, so verheißungsvoll sein? Im Moment schien auch alles so einfach: Katie hatte in den wenigen Monaten, die sie auf Mallorca war, schon richtig tolle Freundinnen gefunden und sprach schon besser Spanisch als sie selbst, obwohl sie sich mit diversen Sprachprogrammen eingedeckt und Andrés gebeten hatte, mehr Spanisch mit ihr zu sprechen. Clara hatte die flüchtige Urlaubslaune, sich auf Mallorca ein neues Leben einzurichten, inzwischen zementiert. Es war keine Laune mehr, es war ihr neues Leben.

Katie hatte am Nachmittag mit ihrer neuen Freundin Ines den Tierpark besucht. Den liebte sie heiß und innig, und Clara stellte fest, dass sie darüber ihren Zoo in Köln schon fast vergessen hatte. Wie leicht es Kindern doch fallen konnte, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Selbst nach Paul, ihrem leiblichen Vater, fragte sie kaum noch. Und wenn, dann klang es nicht nach Sehnsucht, sondern eher nach der Bestätigung, dass es ihm in Deutschland gut gehe. Klar, dachte Clara, während sie am Ortsschild von Santa Ponça vorbeifuhr, Paul war für sie der Zehn-Minuten-Vater gewesen, während Andrés leidenschaftlich gern mit ihr spielte, Muscheln und Steine sammelte und der fröhliche Baggerführer ihres Spielzeugbaggers war. Er hatte sie erobert, und Clara war froh darüber. Wenn Katie von Köln sprach, erzählte sie vor allem von Knuffi, einem Okapi aus dem Zoo, und von ihrer Freundin Sarah, die sie unbedingt einladen wollte.

Clara lächelte, während sie vor dem weißen Haus mit dem kleinen Vorgarten anhielt. Hier wohnte Ines mit einer echten spanischen Vollblutmutter, temperamentvoll und kurvenreich, und mit ihrem typisch englischen Vater, zurückhaltend und blasshäutig. Die Mischung war gelungen, fand Clara, Ines war zweisprachig aufgewachsen und fing an, in ihre englischen und spanischen Sätze deutsche Brocken einzustreuen.

Katie kam ihr schon an der Haustür entgegen. Sie wollte keinen Eisbecher mehr, weil sie und Ines bereits »ganz viel Eis« gegessen hätten, wie ihre Mutter Felisa lächelnd bestätigte.

Die Frauen schauten gerührt zu, wie die beiden Mädchen sich zum Abschied umarmten. Die eine blond gelockt, die andere mit dunklen Haaren bis weit über die Schultern.

»Wie aus dem Bilderbuch«, sagte Clara und drückte Felisa die Hand.

»Sí«, sagte die, als ob sie es verstanden hätte.

Clara wohnte mit Andrés und Katie in einem der vielen Apartmenthäuser von Santa Ponça direkt am Meer. Sie hatten zwei Wohnungen gemietet: In der einen hatten sie sich selbst eingerichtet, in der anderen wohnte Britta, die Clara als Freundin geschäftlich und auch sonst zur Seite stand. Britta hatte in ihrem Apartment ein Büro eingerichtet. Nachdem Claras ursprünglicher Plan, als Innenarchitektin groß ins mallorquinische Immobiliengeschäft einzusteigen, zunächst einmal vertagt worden war, hatte Britta als akkurate deutsche Buchhalterin für ihren eigenen Unterhalt andere Auftraggeber gewonnen. Ganz offensichtlich hatte sie mit ihrer deutsch-präzisen Dienstleistung eine Marktlücke erobert.

Katie sprang fröhlich über die Steinplatten durch den Garten und sauste durch die offene Terrassentür zu Britta hinein.

»Huch, hast du mich erschreckt«, hörte Clara Brittas Stimme und musste lachen. Britta war ihr in den letzten Monaten eine sehr wertvolle Freundin geworden. »Wenn deine Mutter gleich hinterherkommt, dann sag ihr doch bitte, dass ich Lust auf einen Prosecco hätte.«

Katie kam augenblicklich wieder aus dem Zimmer hinausgeschossen und winkte Clara zu: »Mami, Britta möchte gern einen Proschecko!«

Clara nickte. »Schon gehört. Ich komme!«

»Was gibt es Neues auf der Meile?«, wollte Britta wissen, kaum dass sie sich auf der Terrasse an den runden Tisch gesetzt hatten. Sie trug eine weiße Bluse und blaue Leinenhosen und sah mit ihrem gebräunten Gesicht und den dichten dunklen Haaren erheblich jünger aus als zweiundvierzig.

»Wenn ich das mal wüsste«, seufzte Clara. »Ich glaube, wir müssen mal wieder los …«

Britta lachte, und der Schalk blitzte aus ihren Augen. »So eine feste Partnerschaft hindert einen eben doch ganz schön.«

Clara nickte. »Obwohl es ja gar nicht so fest ist … die gemeinsame Wohnung hier, okay, aber es ist eine Ferienwohnung. Nur eine Ferienwohnung, meine ich.«

Britta hob ihr Glas und schaute sie an. »Sei doch froh, dass du so einen tollen Partner gefunden hast!«

»Eigentlich habe ich gedacht, dass ich in meinem ganzen Leben keinen Mann mehr will.« Clara stieß mit Britta an. »Offensichtlich ist mein Wille etwas schwach.«

Katie kam auf die Terrasse heraus, einen Pfirsich auf der flachen Hand balancierend. »Darf ich den essen?«, wollte sie von Britta wissen, aber in dem Moment klingelte Claras Handy, und das fand Katie wiederum spannender als ihren Pfirsich. Mit zwei Schritten war sie an Claras Handtasche und zog das Handy heraus, während der Pfirsich über die Steinfliesen davonrollte.

»Wer ist es?«, wollte sie wissen, bevor Clara es überhaupt richtig am Ohr hatte.

»Was denkst du denn?«, fragte Clara zurück.

»Andrés?«

Clara warf Britta ein Lächeln zu. Interessant, dass sie zuerst an Andrés dachte.

»Flockheimer«, meldete sie sich förmlich.

»Liebe Frau Doktor«, kam die sonore Stimme durch den kleinen Lautsprecher. »Schön, dich zu hören, hier ist …«

»Friedrich!«, schnitt Clara ihm das Wort ab und schaltete auf »laut«. »Es ist schön, dich zu hören!« Britta nickte. »Bist du auf Mallorca? Vielleicht sogar in der Nähe? Wir trinken gerade einen Prosecco, magst du dazukommen?«

»Verlockend«, sagte er. »Aber ich bin erst im Anflug. Auf den Prosecco komme ich zurück – morgen Mittag im Amici miei, wenn dir das passt. Ich hätte etwas mit dir zu besprechen.«

Clara zwinkerte Britta zu. »Für dich doch immer«, sagte sie nur.

»Was will er besprechen?«, fragte Britta mit einer Geste und zog die Augenbrauen hoch.

Clara winkte ab. »Ich bin gespannt«, sagte sie.

»Das darfst du auch sein«, antwortete Friedrich, und Clara hörte ein kurzes hüstelndes Lachen. »Aber ich verrate nichts!«

»Gut.« Clara nickte. »Ich bin ja auch nicht neugierig – nur Britta stupst mich hier ständig …«

»Och!«, protestierte Britta, und Friedrich lachte.

»Liebe Britta«, sagte er dann laut, »auch Sie sind herzlich eingeladen. Für Sie dürfte es auch interessant sein.«

Britta beugte sich näher zu Clara, damit er sie ebenfalls hören konnte. »Danke für die Einladung – eben sprachen Clara und ich darüber, und jetzt rufen Sie an. Ich fürchtete schon, in Santa Ponça versauern zu müssen.«

Friedrich schnaubte. »Ausgerechnet Sie als rheinische Frohnatur! Schöner Gedanke … aber trotzdem … das Geheimnis lüfte ich erst morgen.«

Friedrich saß entspannt lächelnd in einem der mit hellen Leinen bezogenen Stühle. Es war kurz nach Mittag, die Sonne schien angenehm warm, und die Terrasse des Amici miei war bis auf einen Tisch besetzt. Kellner und Kellnerinnen, die lange schwarze Schürzen umgebunden hatten, balancierten große Teller oder Tabletts voller Getränke an die Tische, waren flink, aber verbreiteten keine Hektik.

Clara blieb kurz stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

»Dort, hinten in der Ecke«, flüsterte Britta. Clara nickte, sie hatte Friedrich in demselben Moment entdeckt. Friedrich hob grüßend die Hand und stemmte sich dann aus seinem Stuhl, um Clara und Britta zu begrüßen.

»Bleib doch sitzen«, bremste Clara.

Aber Friedrich lächelte nur. »Einen Teufel werde ich tun. Wenn ich zwei so hübsche Frauen begrüßen darf, werde ich doch wohl auch aufstehen können!«, sagte er und drückte beiden zwei Begrüßungsküsse auf die Wangen. »Das würde mir sonst doch glatt entgehen.«

Clara warf ihm einen kritischen Blick zu. Sein Gesicht war gebräunt – aber trotzdem, so ganz wollte ihr seine Gesichtsfarbe nicht gefallen, es kam ihr auch vor, als ob seine Wangen trotz seines Gewichts etwas eingefallen wären.

»Geht es dir gut?«, fragte sie in besorgterem Tonfall, als sie eigentlich wollte.

»Aber sicher doch«, erwiderte Friedrich und bot den beiden Frauen Platz an. »Mir geht es immer gut. Das ist mein Markenzeichen!«

Britta musste lachen. »Du bist wirklich unvergleichlich«, sagte sie.

»Ja«, er ließ sich in seinen Stuhl sinken und warf ihr dabei einen schelmischen Blick zu, »aber leider schon verheiratet …«

Britta lachte noch immer. »Ja, da bist du konsequent.«

»Wie in allem.«

»Gut so!«, befand Clara und sah sich nach einem Kellner um. Aber wie es Friedrichs Art war, hatte er präzise zu ihrem Eintreffen geordert, und der Champagnerkühler und vier langstielige Gläser waren bereits zu ihnen unterwegs.

»Champagner am helllichten Mittag?«, fragte Britta mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Lieber ein Pils?«, gab Friedrich aufmerksam zurück.

»Untersteh dich«, sagte Clara zu Britta.

Britta zuckte betont ergeben die Achseln. »Ich füge mich!«, erklärte sie und zwinkerte Friedrich zu.

»Schön mit euch«, fand der und beobachtete, wie der Kellner die Flasche öffnete und ihm einen Schluck zum Probieren anbot. Er testete kurz, nickte zustimmend und fuhr dann fort: »Ihr tut mir gut, und ich sollte öfter mit Menschen wie euch zusammen sein!«

»Steht nichts im Wege«, erklärte Britta. »Wir haben noch ein Zimmer frei in unserer WG!«

»Ja«, Friedrich hob sein Glas und wartete, bis Clara und Britta mit ihm anstießen, »das wäre genau das Richtige für mich. Einfach mal raus aus allem, untertauchen in der WG von Clara und Britta.«

Es sollte lustig klingen, aber Clara warf ihm trotzdem einen kurzen Blick zu. War etwas mit ihm?

»Mensch, Fridder«, tönte Britta mit rheinischem Akzent, »ich weiß nicht, wer dich nicht alles um deinen Erfolg beneidet. Du kannst dir die halbe Welt kaufen und willst dich bei uns beiden in einem kleinen Apartmenthaus auf Mallorca verstecken. Du solltest vielleicht einfach mal anfangen, dein Geld zu genießen.«

Friedrich verzog leicht sein Gesicht und sah jetzt ein bisschen wie eine junge Bulldogge aus. »Das Geld interessiert mich an meinem Job überhaupt nicht in erster Linie – Geld ist nur der Beweis für den Erfolg, und wenn der Erfolg da ist, kann das Geld weiterarbeiten, und wenn es gut arbeitet, gibt es mehr Erfolg und neue Projekte … das ist vielleicht wie eine Droge. Der Erfolg ist meine Bestätigung«, sinnierte er und schaute Britta in die Augen. »Meine Figur kann es ja nicht sein«, fügte er mit kokett-scheuem Gesichtsausdruck an.

»Das hört sich nach Dauerstress an«, erklärte Britta. »Innerem, meine ich. Damit setzt du dich doch permanent unter Druck?«

»Kann auch positiv sein.« Friedrich klopfte auf seinen Bauch, der unter dem blau-weiß gestreiften Hemd die Form eines Fußballs hatte, und nickte dazu. »Außerdem habe ich ein dickes Fell!«

Clara zwinkerte ihm zu.

»Und gute Leute«, fuhr Friedrich fort. »Auch Pablo wird nun zu uns stoßen.«

»Ach?« Das wusste Clara noch nicht. Pablo war der sehr gute Barkeeper in der Diskothek gewesen, in der Andrés gejobbt hatte.

»Und wir bekommen eine Spitzenköchin aus Madrid, ganz heißes Gerät, wird in Spanien hoch gehandelt. Hatte unglaubliche Angebote, aber wir hatten Glück. Bevor sie sich mit einem eigenen Restaurant selbstständig macht, wollte sie noch mal Meeresluft schnuppern. Auf Mallorca. Das kam mir sehr entgegen.«

»Wow! Das sind ja unglaubliche Neuigkeiten!« Clara nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. Dann hob sie den Blick. »Und was ist mit dem jetzigen Koch?«

»Der hat ein sehr gutes Angebot aus Berlin in der Politikermeile rund ums Kanzleramt.« Friedrich zuckte mit den Achseln und griff in den Brotkorb, der eben mit einem kleinen Teller Olivenöl auf den Tisch gestellt worden war. »Ich habe für uns drei frische Hummer bestellt«, meinte er beiläufig. »Ich hoffe, das war in eurem Sinne.«

Clara und Britta schauten sich an, sie hatten gerade erst gefrühstückt und waren nicht sonderlich hungrig. Aber Friedrich schien keine Antwort zu erwarten.

»Das Restaurant in Berlin gehört natürlich auch dir«, sagte Clara, einer plötzlichen Eingebung folgend.

Friedrich musste lachen. »Wie meine Frau. Damit hat sie vor dreißig Jahren mein Herz erobert – sie hat mich einfach durchschaut«, sagte er und tunkte sein Brot genüsslich in das Öl.

»War nicht allzu schwer«, sagte Clara nachdenklich. »Und was bringt die Änderung?«

»Neuen Wind.« Friedrich zuckte mit den Achseln. »Und damit der Wind nicht nur lau daherkommt, sondern ordentlich bläst, braucht man zu einem neuen Geschäftsführer, einer neuen Spitzenköchin und einem neuen Barkeeper noch …«, er legte den Kopf schief und sah die beiden Frauen abwartend an, »… na, was wohl?«

»Einen neuen Auftritt«, erklärte schließlich Britta.

»Richtig!« Friedrich nahm sein Glas und hielt es hoch. »Und deshalb heute – am helllichten Mittag«, er warf Britta einen kurzen verschmitzten Blick zu, »hole ich mir zwei weitere Spitzenkräfte mit ins Boot!«

»So, wen denn?«, fragte Britta und stieß mit Friedrich an, während Clara mit keiner Wimper zuckte und ihr Glas unbeweglich hochhielt.

»Na, zunächst einmal«, das Gespräch schien Friedrich sichtbar Freude zu machen, seine hellen runden Augen glänzten, und er gluckste vor guter Laune, »brauchen wir eine Spitzenfachkraft in der Buchhaltung, denn bei unseren Abrechnungen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Das heißt, die Kasse hier war ein unzuverlässiges Ding. Aber bevor ich mein Geld zur Hintertür hinauswandern sehe, zahle ich lieber jemandem, dem ich vertraue, ein ordentliches Gehalt.«

»Aha«, sagte Britta und nahm einen Schluck. »Das ist auf einer kleinen Insel wie Mallorca gar nicht so einfach. Wo soll so jemand denn herkommen?«

»Ich denke, so jemand sitzt mir gerade gegenüber«, erklärte Friedrich und grinste breit.

Britta schaute erst Clara, dann Friedrich mit offenem Mund an, bevor sie ihr Glas hart abstellte. »Ah, ja«, sagte sie nur.

»Und dann«, fuhr Friedrich fort, »brauchen wir auch noch einen neuen Auftritt, wie Britta ganz richtig bemerkt hat.« Er stieß mit Clara an, die ihr Glas noch immer in der gleichen Position hielt. »Liebe Clara«, sagte er und nahm einen Schluck. »Ich kenne Ihr Projekt in Köln – also jedoch zumindest von den Fotos«, korrigierte er sich, »und auch die Wohnungen, die Sie hier eingerichtet haben. Gut, die waren etwas wild, aber dabei folgten Sie ja auch russischem Geschmack. Ich denke, Sie haben genügend Ideen, um dem Amici miei einen neuen Schliff zu geben.« Er breitete die Serviette über seinem Bauch aus, weil er die Teller mit den Hummern kommen sah. »Um es kurz zu machen, es wäre mir eine Ehre und Freude, wenn Sie beide in unser Team mit einsteigen würden.« Er strahlte die Frauen an. »Wir zeigen der kulinarischen Welt, was man aus einem kleinen Restaurant an Mallorcas Küste machen kann!«

Clara hatte sich mit Britta am Strand in zwei Liegestühle gesetzt. Beide spürten den Champagner und wollten erst wieder einen klaren Kopf bekommen, deshalb hatten sie sich an der Strandbude einen Kaffee im Pappbecher geholt und saßen nun da, die nackten Füße im Sand, während es vom Meer her auffrischte und der Wind in ihren Haaren spielte.

»Für mich wäre es wie ein Traum«, sagte Britta.

Clara nickte und rollte den Becher zwischen ihren Handflächen. Irgendetwas war ihr heute Mittag in den Bauch gefahren, aber sie konnte es nicht konkretisieren. »Klar«, sagte sie. »Verstehe ich. Dein Anzeigenblatt in Köln macht sowieso dicht, und du hast hier ja auch ohne Friedrich schon die ersten kleinen Kunden gefunden. Du würdest deinen Weg von Köln nach Mallorca konsequent weitergehen!«

Britta hielt mit einer Hand ihre dunkelbraunen Locken in Schach und schaute sie aufmerksam an. »Hört sich an, als seist du dir da noch nicht so sicher, dabei hast du doch Andrés und Katie und eigentlich alles, was dir wichtig ist.«

Clara nahm einen bedächtigen Schluck aus ihrem Becher. »Weißt du, Britta, manchmal denke ich, dass ich verdammt kompliziert gestrickt bin. Ich stehe mir so oft selbst im Weg. Ich muss ständig über alles nachdenken. Wenn mein Bauch spontan Ja sagt, habe ich gleich darauf tausend Vorbehalte im Kopf.« Sie lächelte zaghaft. »Was ist richtig, was ist falsch? Ich bin sechsunddreißig Jahre alt, habe mein Studium mit großen Plänen abgeschlossen und, kaum hatte ich mich auf dem Markt etabliert, ein Kind bekommen und gedacht, das Richtige zu tun, indem ich alle beruflichen Pläne hintanstellte. Klar, ich wiegte mich in der Illusion eines liebenden Partners und wohnte in einer Villa. Mit Kind und ohne Risiko.« Sie holte tief Luft. »Und jetzt komme ich mir so entsetzlich alt vor. Und dumm, dass ich mich so hab einlullen lassen. Von der Bequemlichkeit, dem Luxus, dem Schöngeistgetue. Ich frage mich, wo ich heute wäre, wenn mich diese Schicksalsminute damals nicht mit Paul an einen Tisch geführt hätte. Vielleicht hätte ich ein gut gehendes Architekturbüro in Berlin, hätte tolle Mitarbeiter, aufregende Aufträge und weder Zeit noch Lust, um auf Mallorca Urlaub zu machen?« Clara griff in den Sand und sah zu, wie der Wind die Sandkörner von ihrer offenen Handfläche blies. »Vielleicht habe ich ja überhaupt alles falsch gemacht.«

Britta hörte zu und schwieg einen Moment.

»Wissen kann das keiner«, meinte sie schließlich. »Wissen könnte man es nur, wenn man ein Leben mehrgleisig leben und die Konsequenz jeder Entscheidung betrachten könnte.« Sie legte Clara eine Hand auf den Oberschenkel. »Meinst du, ich habe nicht auch schon oft darüber nachgedacht, warum ich damals nach meinem Austauschjahr nicht in Amerika geblieben bin, obwohl sich das angeboten hätte? Ich hätte sogar ein Stipendium bekommen, aber mich zog es nach Köln zurück. Aus irgendwelchen Gründen, die ich keinem erklären konnte. Nicht mal mir selbst. Und bis heute nicht verstehe. Ich wollte einfach zurück und habe mich für die kleine Lösung entschieden, anstatt nach den Sternen zu greifen.«

Clara warf ihr einen Blick zu. »Tut es dir heute leid?«

Britta zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja nicht, was in Amerika aus mir geworden wäre.« Sie zog ihre Hand zurück. »Vielleicht war es auch einfach nur Feigheit. Oder ich hatte das Gefühl, ich könnte als Einzelkind meine Eltern nicht im Stich lassen. Vielleicht war es der Gedanke an ein gemeinsames Weihnachten, keine Ahnung, frag mich nicht, ich habe nie eine Antwort darauf gefunden.«

Sie schauten beide eine Weile aufs Meer und beobachteten die Möwen und die Wellen, die immer heftiger auf den Strand schlugen.

»Und ein Mann, Familie? Hat dich das nie interessiert?«, nahm Clara das Gespräch wieder auf und schob sich den zusammengefalteten Pappbecher unter ihren Schuh, damit er nicht davonflog.

»Wenn du dich mit sechsunddreißig schon alt fühlst«, sagte Britta und lächelte ihr zu, »dann vergiss nicht, dass ich rund sechs Jahre älter bin als du. Und ganz ehrlich, ich habe den Richtigen einfach noch nicht gefunden. Es war immer mal ein Aufflammen, aber so richtig lichterloh gebrannt – ich glaube, ich kann mich gar nicht mehr verlieben. Jedenfalls nicht mehr so wie mit zwanzig, dass einem alles egal ist und nur noch dieses eine Gefühl zählt.«

Clara zog einen Haargummi aus der Tasche, hielt ihn mit den Lippen fest, bis sie ihre fülligen braunen Haare zu einem Knoten gezwirbelt hatte. »Hab ich auch gedacht«, sagte sie dann. »Ich habe ehrlich gedacht, das Thema Männer sei jetzt abgeschlossen. Aber«, sie grinste, »so ganz abgeschlossen ist es, glaube ich, nie.«

»Eher das Thema Kinder«, fügte Britta an. »Da hätte ich vielleicht nicht ganz so lange warten sollen …«

»Vielleicht bringt dein nächster Freund ja welche mit«, zwinkerte Clara ihr zu.

»Ja, zum Trübsalblasen haben wir eigentlich keinen Grund«, erklärte Britta und streckte sich. »Wir haben Friedrich –«

»– und wir haben Katie«, ergänzte Clara. Sie stießen sich an und schlugen die Hände gegeneinander.

Zum Trübsalblasen hatte sie tatsächlich keinen Grund, dachte Clara, als sie abends in ihrem kleinen Apartment war. Es war alles im Fluss, und die Richtung stimmte. Sie summte, als sie durch das kleine Wohnzimmer ging, Katies Spielsachen aufräumte und frische Kerzen in die Kerzenhalter steckte. Sie würde Andrés mit einem Liebesmahl überraschen. Dazu hatte sie Lust. Augenblicklich bekam sie gute Laune. Sie wollte etwas kochen, was er im Amici miei nicht bekam. Etwas aus seiner alten Zeit in Deutschland. Aber was? Was gibt es für eine Spezialität in Berlin, mit der sie ihn erfreuen könnte? Sie wusste so wenig über ihn, verdammt.

Aber sie war einfallsreich, fand sie, denn einen Augenblick später hatte sie bereits Friedrich am Handy, und der verriet ihr die Adresse des Restaurants, in dem Andrés damals gearbeitet hatte. Kurz darauf wusste sie es: Currywurst. Currywurst?

Augenblicklich sah sie ihr Liebesmahl schwinden, Currywurst war doch wirklich zu profan. Aber dann überlegte sie es sich anders. Wenn Currywurst sein deutsches Lieblingsessen ist, dann muss sie nun eben die beste Currywurst der Welt auf den Tisch bringen. Sie ging rüber in Brittas Apartment. Die saß vor dem PC und plauderte über Facebook mit ihren Freundinnen.

»Currywurst?« Britta grinste. »Currywurst als Liebesmahl? Ist das etwa ein Aphrodisiakum?«

Clara musste lachen. »Ich glaube, das hat er nicht nötig. Es geht eher um seine Geschmacksnerven …« Sie schüttelte den Kopf. »Du bist gut! Aber wenn du sowieso gerade mit unseren Mädels online bist, dann frag sie doch mal, wie ich die Sauce machen soll. Sie muss schon besonders raffiniert sein. Nicht so eine Industriepampe!«

»Zu Befehl!« Britta nickte. »Das passt gut zum Diätprogramm – Kitty hat mir eben geschrieben, dass sie wieder eifrig bei den Weight Watchers ist, um Platz für die Ostereier zu schaffen.«

»Dann schreib ihr, dass sie mir gern zwei Kilo rüberschicken kann, ich krieg im Moment nichts auf die Rippen!«

»Wohl wahr.« Britta streifte Claras Figur mit einem schnellen Blick. »Aber das werde ich nicht tun, sonst ist sie nur frustriert! Und du isst heute Abend einfach ein Würstchen mehr.«

Clara schaute zweifelnd an sich hinab. »Ich glaube, da wächst nichts hin. Bei mir nirgendwo. Das war ja schon das Problem meines Exfreundes.« Sie grinste schief. »Aber ich kann’s ja noch mal versuchen – wenn ich das Rezept habe.«

»Ja, ist ja schon gut.« Britta wandte sich ihrer Tastatur zu. »Und wenn du dann einkaufen gehst, kannst du gleich Katie abholen –«

»Das hatte ich sowieso vor«, unterbrach Clara sie.

»– und zu mir rüberbringen«, fuhr Britta ungerührt fort, »denn die schläft dann heute Nacht natürlich bei mir. Liebesnacht und Kind, das verträgt sich nicht.«

»Danke!«, sagte Clara. »Ich werde mich revanchieren.«

»Dazu fehlt mir erstens der Kerl und zweitens das Kind«, sagte Britta. »Aber man soll ja nie nie sagen!«

Das Apartment war nicht groß, eben ein typisches Ferienapartment, das sie für die Übergangszeit, die Ungewissheit einer echten Umsiedelung mit allen Konsequenzen, gemietet hatte. Andrés war zu ihr gezogen, nachdem er seine winzige Wohnung in Arenal aufgegeben hatte, und Britta hatte das Nachbarapartment bezogen.

Clara ging nun in dem kleinen Wohnzimmer hin und her und versuchte, mit ein paar Handgriffen ein bisschen Atmosphäre in die eher nüchterne Einrichtung zu bringen. Als es klopfte und Britta hereinkam, stand sie gerade mit einer plumpen Blumenvase in der Hand da und wusste nicht, wohin damit.

»Für eine Innenarchitektin siehst du ziemlich ratlos aus«, stellte Britta fest und hob drei Blätter in die Höhe. »Hier, meine Liebe, das ultimative Rezept. Du kannst es nun als Currywurst à la Bier’s Kudamm 195, Konnopke’s Imbiss am Prenzlauer Berg oder Curry 36 in Kreuzberg laufen lassen, es dürfte deinem Süßen jedenfalls schmecken. Musst nur schauen, dass du die geeigneten Würste bekommst!«

Clara stellte die Blumenvase mitten auf den Tisch. »Es ist wirklich entsetzlich«, sagte sie und machte eine knappe Handbewegung durch den Raum. »Ich komme mir vor wie der Schuster, dessen Familie mit abgelaufenen Absätzen herumläuft, oder wie der Zahnarzt, dessen Kinder schwarze Zähne haben. Die Wohnung hier ist zwar nett, solide und praktisch – aber eben ganz ohne Charme!«

Britta legte die drei Seiten auf den blanken Holztisch. »Dann investierst du zur Feier des Tages eben noch in eine Tischdecke, Stoffservietten und zwei schöne Champagnergläser.«

Clara schaute sie zweifelnd an. »Zur Currywurst? Da passen doch besser ein Tresen, zwei Pappteller, zwei Plastikstäbchen und zwei Plastikbecher.«

Britta tippte auf die Seiten. »Auf dem Ku’damm im Bier’s trinkt man sehr wohl Champagner zur Currywurst, also stell dich nicht so an. Kitty lässt grüßen, und sie sei doch etwas neidisch. Nicht nur auf den Verzehr der Currywurst, sondern auf die ganze Nacht!« Sie zeigte auf die Vase. »Und da lässt sich vielleicht auch noch ein etwas ansehnlicherer Ersatz auftreiben, mit den entsprechenden Rosen …«

»Wenn ich dich nicht hätte.« Clara schaute auf die Uhr und griff nach den bedruckten Seiten. »Dann lass mal die Rezepte sehen.« Sie warf einen Blick darauf. »Hmm, das sind ja zwei verschiedene. Für ein und dasselbeGericht?«

»Einmal Berliner Currysoße für Currywurst wie früher und einmal in der Art vom Ku’damm – wenn’s stimmt. Einmal mit Apfelsaft und einmal mit Zwiebeln. Dürfte beides gut schmecken. Aber die entsprechende Currywurst ist weiß, ohne Darm und weder gepökelt noch geräuchert. Also nicht wie im Ruhrgebiet, wo einfach Bratwürste verwendet werden.«

»Ach du je.« Clara verzog den Mund. »Ich dachte immer, das sei einfach eine Bockwurst.«

»Ja, das gibt es auch, das sind dann Brühwürste mit Darm, gepökelt und leicht geräuchert. Die ähneln der Bockwurst. Wenn du es aber richtig berlinerisch machen willst, dann schau, dass du weiße Würste bekommst.«

»Was tut man nicht alles aus Liebe«, erklärte Clara und legte die Blätter wieder auf den Tisch. »Ich checke einfach mal, was ich bekomme, und zaubere dann das Beste daraus!« Sie drehte sich zu Britta um. »Trinken wir noch einen Kaffee zusammen, und du erzählst mir, was unsere Kölner Mädels treiben?«

Sie ging zur Kaffeemaschine in die Küche, und während sie Wasser und Kaffee nachfüllte und den Satzbehälter leerte, sah sie wieder die Bilder ihrer ersten Urlaubstage auf Mallorca vor sich.

Als sie am ersten Tag am Strand zufälligerweise auf Britta und deren Freundinnen Kitty, Lizzy und Tina gestoßen war, hatte sie erst gedacht, dass sie diesen grellen Kölner Frauen in Zukunft am besten aus dem Weg ginge, denn sie passten so ganz und gar nicht zu ihr. Seit ihrem Studium hatte sich Clara in einer völlig anderen Welt bewegt, hatte Wert auf ihre Kultur und Bildung gelegt und sich entsprechend gekleidet und benommen. Alles an ihr war dezent und stilvoll gewesen. Nun brachen diese vier Frauen wie ein Naturereignis über sie herein, laut, herzlich, unkompliziert und zupackend. Aber vor allem waren sie eines: ansteckend. Und obwohl die vier es in ihrem Alltag nicht leicht hatten, hatten sie Clara mit ihrer unbändigen Lebenslust neuen Mut gegeben und schubsten sie, die nach ihrer Trennung wie gelähmt war, in kürzester Zeit in eine neue Richtung. Sie halfen, ihr den ersten Termin bei einem angesagten Immobilienmakler zu verschaffen, und mieteten gemeinsam einen Leihwagen, damit Clara ihre Termine wahrnehmen konnte. Und sie reisten nach einer Woche wieder ab, während Clara ihren Mallorcaurlaub verlängerte, nicht nur weil sie tatsächlich einen Auftrag zu Gestaltung einer Villa ergattert hatte, sondern auch weil sie sich in Andrés verliebt hatte.

Clara nahm zwei Tassen und ging in das kleine Wohnzimmer zurück. Dort war Britta gerade dabei, die Vase in einen Schrank zu verbannen. »Okay, Britta«, sagte sie. »Nimm mein Leben in die Hand, ich bin es ja gewohnt.«

Britta lachte. »Nur wegen einer neuen Vase?«

Clara stellte die Tassen ab und nahm sie in den Arm. »Nein, weil du die Beste bist. Wie du hier angekommen bist, um mir unter die Arme zu greifen, das werde ich nie vergessen!«

»Ach, komm!« Britta war sichtlich verlegen. »Im Vergleich zu dir bin ich halt wie eine Dampfwalze, die nur eine breite Spur legt!«

»Ja, das ist wunderbar!« Clara drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Deine breite Spur erleichtert mir das Durchkommen jedenfalls ungemein!« Sie lächelte. »Magst du eine Praline zum trockenen Kaffee?«

Andrés hatte sich für zehn Uhr angekündigt, und Clara hatte ihm nur gesimst, dass er etwas Hunger mitbringen solle. Es gebe noch eine Kleinigkeit.

Du bist doch keine Kleinigkeit , hatte er zurückgeschrieben, und sie konterte mit: Ganz recht. Deshalb darfst du auch gespannt sein.

Als er kam, klopfte er sachte, öffnete dann die Tür einen Spaltbreit und streckte zuerst nur vorsichtig den Kopf herein.

Clara hatte überall in der Wohnung Kerzen verteilt und in die Mitte des gedeckten Tisches einen gewaltigen Berliner Bären gestellt, den sie in einem Ramschladen aufgetrieben hatte. Als Andrés die Tür ganz aufmachte, drückte sie auf das Startzeichen auf ihrem Laptop, und Conny Froboess sang mit hoher Kinderstimme: Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein.

Andrés blieb einen kurzen Moment stehen, um sich an das Kerzenlicht zu gewöhnen, dann erkannte er Clara, die mit zwei gefüllten Sektgläsern auf ihn zukam.

»Hast du eine Badehose an?«, wollte er wissen und schloss die Tür leise hinter sich.

»Nein, ich habe keine gefunden. Blau-weiß geringelte Badeanzüge sind leider auch ausgegangen.«

Er blieb stehen.

»Und du hast auch sonst nichts zum Anziehen gefunden?«

»Du weißt doch«, sagte Clara mit dunkler Stimme, »das ist ein weibliches Problem.«

Er verharrte noch immer an derselben Stelle, während Clara nun vor ihm stand und ihm eines der beiden Gläser anbot. Andrés nahm stattdessen ihr Gesicht in seine Hände, küsste ihre Augen, ihren Mund und glitt dann langsam tiefer über ihre nackten Brüste bis zu ihrem Bauchnabel. Clara stand mit geschlossenen Augen, balancierte die beiden Gläser in ihren Händen und wiegte sich sacht unter der Berührung seiner Zungenspitze, die gerade die Tiefe ihres Bauchnabels auslotete. Dann spürte sie seine Zunge zwischen ihren Beinen, bog ihren Körper nach hinten und ließ den Sekt als perlendes Rinnsal zwischen ihren Brüsten hinunterlaufen.

Sie spürte Andrés’ feste Hände auf ihren Pobacken und seine Zunge, die ihre Klitoris umkreiste und immer schneller wurde, und als er sich festbiss, sah sie nur noch rote Spiralen vor ihren Augen, hörte ihr eigenes Stöhnen, und ihr Körper machte sich selbstständig, zuckte, und als eines der Sektgläser auf dem Fußboden zerschellte, hob er Clara auf und trug sie auf den einzigen Sessel, wo sie die Beine auf die Armlehnen legte, er sich vor sie hinkniete und sich langsam auszog, während er sie weiter mit seiner Zunge reizte. Clara war im Taumel, und als er schließlich hart in sie eindrang, steigerte sich ihre Lust zur Raserei, und irgendwann fanden sie sich auf dem Fußboden wieder.

Eine Weile blieben sie ineinander verschlungen liegen, bis Andrés schließlich sagte: »Ich glaube, ich liege auf einer Scherbe.«

Clara musste lachen. »Eigentlich sollte der Sekt der Auftakt sein«, erklärte sie.

»War er doch auch«, sagte er und schob sie ein bisschen von sich weg, damit er mit der Hand an seinen Rücken kam.

»Lass mal sehen«, sagte Clara und richtete sich auf.

»Ist nichts, nur ein paar Splitter.« Andrés zog seine Hand hervor und betrachtete die blutigen Fingerspitzen. »Und außerdem siehst du bei dem Licht ja sowieso nichts.«

»So war es ja auch geplant!« Sie grinste.

»Ich habe dich aber doch gesehen.« Andrés stippte seinen blutigen Finger auf ihre Brust. »Fingerabdruck. Jetzt gehörst du mir!«

»Du bist doch verletzt und überhaupt nicht gebrauchsfähig.« Clara schob sich etwas von ihm weg. »Und außerdem gibt es noch eine Überraschung.«

»Erlebe ich die noch?«

»Ja, bestimmt. Und es ist genau das Richtige für verletzte, müde Männer!«

»Müde bin ich nicht …« Er stand schnell auf und streckte Clara die Hand zum Aufstehen hin. »Aber neugierig.«

Im hellen Licht des Badezimmers zeigte sich, dass er mehrere blutige Striemen auf dem Rücken hatte, aber keine Glasscherbe mehr in der Haut steckte. »Die habe ich alle schön klein geraspelt«, sagte er und nickte Clara zu. »Kannst dein Vergrößerungsglas wieder aus der Hand legen, trotzdem müssen wir den Boden gut wischen, wegen Katie.«

»Jetzt gibt es erst mal einen Sekt«, sagte Clara und drückte Andrés einen Kuss auf die Schulter.

»Ich hatte schon einen«, erklärte er und zog leicht an ihrer Brustwarze.

Sie schüttelte den Kopf. »Spielkind«, sagte sie.

»Ist das was Schlechtes?«, wollte er wissen.

Sie schaute ihn an, wie er vor ihr stand. Etwas größer als sie, gebräunt und breitschultrig, seine dunklen Haare leicht feucht, weil er sich eben mit nassen Händen durch die Locken gefahren war, seine braunen Augen, der kecke Mund mit dem schiefen Zahn. Er war wirklich ein Spielkind. Etwas, was sie schon beim Anblick erfreute.

»Nein, das ist wunderbar!«, sagte sie. »Und jetzt könntest du mal nach den brennenden Kerzen und den Glasscherben schauen, und ich zaubere meine heutige Liebesgabe auf den Tisch.«

»Schon wieder?« Andrés schaute zweifelnd an sich hinunter, und Clara musste lachen.

»Nein«, sagte sie, »das gibt’s erst zum Dessert!«

Andrés war gerührt. Und begeistert. »Von diesen Berliner Currywürsten träume ich sogar manchmal«, gestand er, nachdem er drei Stück hintereinander gegessen hatte. »Und überhaupt, Berlin ist für mich die tollste deutsche Stadt. Dort pulsiert das Leben, die jungen Leute sind originell und frech gekleidet, alles ist in Bewegung. Ich kenne keine Stadt, in der Flip-Flops und High Heels so selbstverständlich nebeneinander hergehen wie in Berlin. Selters und Champagner. Heute so, morgen so, immer anders, immer überraschend. Man mag mitleben, Tag und Nacht.«

»Bereust du, dass du weggegangen bist?«, wollte Clara wissen, die sich über seinen Heißhunger und das Lob freute. Aber sie musste ihm recht geben, ihr schmeckten die Würste auch, und dass sie tatsächlich weiße gefunden hatte, machte die ganze Sache perfekt.

»Ich bin neunundzwanzig«, sagte er. »Vielleicht gründen wir mal eine Filiale in Berlin? Ein Amici miei am Gendarmenmarkt?«

»Da wirst du dich schwertun«, sagte Clara. »Da dürfte schon jedes Fleckchen besetzt sein.«

»Warten wir ein paar Jahre ab, Wechsel gibt es immer. Und mit Friedrich haben wir den perfekten Freund. Er hat gern gute Leute um sich herum und betrachtet sie dann als seine Familie, das hat mir mein Exchef aus Berlin erzählt – und ich finde, er hat recht. Friedrich ist tatsächlich ein besonderer Mensch!«

Clara nickte. »Ja, ein seltenes Exemplar. Hoffentlich passt er auf sich auf.«

Andrés holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Magst du auch eines?«, fragte er.

Clara nickte. Ein kühles Pils tat wirklich gut, und das fand sie immer noch passender zur Currywurst als Sekt oder Champagner, selbst wenn das irgendwelche Schickimickis am Ku’damm zelebrierten.

»Und was sagst du zu seiner Idee, Britta und mich ins Boot zu holen?«

Andrés füllte die beiden Biertulpen und schaute Clara leise lächelnd an. »Was soll ich dazu sagen?«, fragte er leise. »Ich hoffe, ihr beide fangt bald an. Mit Britta wollte ich eigentlich heute Abend einen Termin machen, aber …«, er grinste und deutete auf seinen nackten Körper, »mein Aufzug ist vielleicht nicht ganz comme-il-faut.«

Clara legte die Hand auf seinen Unterarm. »Aber wirft er da nicht nur Geld zum Fenster raus, ich meine, Buchhaltung, ja klar, das wird ihm helfen. Aber ein neuer Auftritt – macht er das vielleicht nur mir zuliebe? Das Restaurant ist doch eigentlich noch in Ordnung. Ich möchte nämlich kein schlechtes Gewissen haben müssen.«

Andrés küsste sie auf die Stirn. »Friedrich ist Geschäftsmann, und das in erster Linie. Er weiß, was er tut. Er möchte ein neues Outfit für sein Restaurant, also hat er dafür auch einen Grund. Am besten kommst du morgen früh mal mit und schaust dir alles im ungeschminkten Morgenlicht und ohne Gäste an. Dann kannst du dir ein Bild machen.«

Ende der Leseprobe