Tod am Dreiherrenstein - Renate Behr - E-Book

Tod am Dreiherrenstein E-Book

Renate Behr

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Beschreibung

Januar 2018. In Oberhof findet der Biathlon-Weltcup statt. International macht der Skandal um das russische Staatsdoping Schlagzeilen, der dazu geführt hat, dass bei der Winterolympiade in Südkorea zwar einzelne russische Athleten teilnehmen durften, aber keine russische Mannschaft.Kommissar Peter Waldmann wird zum Einsatz beim Biathlon-Weltcup abgestellt, um die Sicherheit für Aktive und Besucher zu gewährleisten. Doch als am Dreiherrenstein eine russische Mannschaftsbetreuerin ermordet aufgefunden und eine junge russische Biathletin Opfer eines Anschlags wird, überschlagen sich die Ereignisse.Ein geheimes Labor in der Nähe von Moskau und ein Schweizer Journalist, der über das Staatsdoping recherchiert und dessen Informantin die tote Russin war, geben Kommissar Waldmann viele Rätsel auf. Die Zeit drängt, denn nach dem Weltcup reisen Athleten und Betreuer ab. Und genau in diesem Kreis vermutet die Polizei den oder die Täter.

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Renate BehrTOD AM DREIHERRENSTEIN

In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

Renate Behr

Tod amDreiherrenstein

DER REGIONAL-KRIMIOberhof

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerTitelfoto: Kathrin TrampSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-991-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Vorwort

Liebe Leser,

Mein Mann, der in Sonneberg in Thüringen geboren wurde, kam auf die Idee, einen Thüringen-Krimi im Winter spielen zu lassen. Schließlich ist der Thüringer Wald ein beliebtes und international anerkanntes Wintersportgebiet. Außerdem gab es Anfang 2018 ja wieder einen Weltcup im Biathlon am Grenzadler in Oberhof.

Das schien mir die perfekte Kulisse zu sein für diesen Thüringen-Krimi. Er führt Sie vom Ende des 15. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Ich wünsche Ihnen spannende Unterhaltung.

Herbern, anno 2020

Renate Behr

Prolog: Man schrieb das Jahr 1498 …

Vorsichtig sah er sich um. Er hatte die Leube an der Mehliser Straße seit Tagen beobachtet. Die Karren, die die Weinhändler hier am Abzweig zum Rennsteig abgestellt hatten, weckten seine Begierde. Wein und Eisen ließen sich leicht zu Geld machen. Mit etwas Glück gab es noch mehr, was für ihn von Wert war. Aber er wusste auch, er konnte das nicht allein bewerkstelligen. Er brauchte Hilfe, um das Diebesgut schnell in die versteckte Waldhütte zu schaffen, die er sich als Lager ausgesucht hatte. Aber wem konnte er trauen? Sofort fiel ihm sein alter Kamerad Pflock ein. Der war stark, aber recht einfältig. Er ließe sich sicher mit ein paar Münzen für seine Mitarbeit abfinden. Pflock war ein Säufer, der häufig wirre Geschichten erzählte. Selbst wenn er irgendetwas über diesen Raub berichten sollte, niemand würde ihm glauben. Langsam zog er sich zurück, jedes Geräusch vermeidend. Jetzt musste er schnell handeln. Für den Weg zu Pflock und hierher zurück brauchte er etwa eine Stunde. Dann blieben ihm noch zwei Stunden, bevor die erste Dämmerung anbrach. Zeit genug, um all das wegzuschaffen, worauf er ein Auge geworfen hatte.

*

Gehetzt schaute er sich um. Die eisenbeschlagenen Holzräder des Henkerskarrens ließen ihn jede Unebenheit des Weges schmerzhaft in allen Knochen spüren. Noch immer wusste er nicht, wer ihn beobachtet und verraten haben könnte. Sie hatten ihn in Mehlis ­festgenommen und in den Hallenberger Turm geschleppt. Geholfen ­hatten dabei die Leute des Mehliser Schultheißen. Er hatte versucht, seine Haut zu retten, indem er den Pflock als eigentlichen Täter benannte. Aber das hatte ihm nicht geholfen. Der Hallenberger Amtmann verurteilte ihn zum Tod durch das Schwert. Als Richtstätte wurde die Leube gewählt, an der er seine Untat begangen hatte.

Genau dorthin war jetzt dieser vermaledeite Henkerskarren auf dem Weg. Nicht weit von Oberhof entfernt würde er also seinen letzten Seufzer tun. Im Gefolge erkannte er den Amtmann von Hallenberg, der das Urteil gesprochen hatte. Mit ihm waren einige gleichnische und hennebergische Räte, die es sich nicht entgehen lassen wollten, dieser Hinrichtung beizuwohnen.

Kurz bevor der Karren seinen Bestimmungsort erreichte, erhob Dietzel von Geba laut seine Stimme: „Ihr selbstgerechten Schurken, die Ihr glaubt, mein Leben nehmen zu können. Setzt mir ein Denkmal, auf dass sich die Nachwelt an Dietzel von Geba erinnert, der wegen ein paar Fässern Wein und ein wenig Eisen hingerichtet worden ist. Ihr aber, die Ihr glaubt, über andere richten zu dürfen und die wahrhaft Schuldigen einfach laufen zu lassen, Ihr sollt den Rennsteig meiden. Denn hier wartet der Tod auf Euch und alle aus Eurem Geschlecht. Dieser Stein, den Ihr zu meinen Ehren setzen sollt, wird getränkt sein vom Blut Unschuldiger. Und es wird nicht nur mein Blut sein, das hier vergossen wird. Die Nachwelt wird sich immer wieder daran erinnern, dass hier einst der Dietzel von Geba starb, und mit ihm werden es viele weitere tun.“

Das waren die letzten Worte, die Dietzel von Geba in seinem Leben sprach. Und obwohl niemand der ­anwesenden hohen Herren daran glaubte, dass der Fluch, den er aussprach, Wirkung zeigen könnte, setzte man einen Sühnestein an die Hinrichtungsstelle. Es blieb über Jahrhunderte hinweg die einzige Hinrichtung mit dem Schwert, die hier am Rennsteig stattfand. Mit der Zeit gerieten die Worte Dietzel von Gebas somit in Vergessenheit.

Dieser, mit einer eingemeißelten Hand gekennzeichnete Sühnestein verschwand im Laufe der Geschichte. An seiner Stelle trägt heute der Dreiherrenstein Nummer 16 im Volksmund den Namen Dietzel-von-Geba-Stein und erinnert an die Zeit, in der Wegelagerer und Straßenräuber am Rennsteig ihr Unwesen trieben.

Herbst 2017 … der Winter naht und mit ihm das Unheil

Peter Waldmann hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, als er auf dem Weg nach Hause war. Der Brief, der in der Innentasche seiner Lederjacke steckte, erschien ihm auf einmal zentnerschwer zu sein. Er hatte noch keine Ahnung, wie er mit seiner Frau Ute darüber sprechen sollte. Für den jungen Kommissar der Kriminalpolizei im thüringischen Rudolstadt erschien das Schriftstück die Erfüllung all seiner beruflichen Träume zu sein. Aber das würde erhebliche Veränderungen für sein Privatleben bedeuten. Er wusste, wenn Ute nicht damit einverstanden war, würde er auf seine große Chance verzichten.

Zur gleichen Zeit klappte Ute Waldmann resigniert eine medizinische Fachzeitschrift zu. Auch, wenn sie die ­Stellenanzeige, die sie dort schon vor Tagen entdeckt hatte, sehr reizte. Das konnte und wollte sie ihrem Peter nicht antun. Er war mit Leib und Seele Polizist, und das Kommissariat in Rudolstadt mit all den liebenswerten Kollegen war für Peter fast so etwas wie eine Familie geworden. Erst, als er diese Anstellung damals gefunden hatte, war er hier in Thüringen wirklich angekommen. Am Anfang war alles so ganz anders gewesen, als er es aus dem Westen gewohnt war. Ute hatte nicht eine Minute gezögert, als er sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte. Auch, dass damit der Umzug aus ihrer Heimatstadt Suhl nach Rudolstadt verbunden war, hatte sie nicht erschreckt. Krankenschwestern wurden überall gesucht, und Ute fühlte sich inzwischen hier auch zu Hause. Trotzdem schlug sie die Seite mit der Anzeige noch einmal auf. Eine Stationsleitung auf der Kinder- und Jugendmedizin wurde gesucht. Sie hatte dort in Suhl ihre Ausbildung absolviert und noch alte Kontakte. Den Anruf hatte sie sich einfach nicht verkneifen können. Das Zentralkrankenhaus Suhl war das größte Klinikum in ganz Südthüringen. Dort eine Station leiten zu können, wäre ein echter Traum. Außerdem könnte sie mit Kindern arbeiten. Seit zwei Jahren wusste Ute Waldmann, dass es ihr nie vergönnt sein würde, ein eigenes Kind zu bekommen. Schon allein deshalb wäre sie mehr als glücklich, wenn sie dort arbeiten könnte. Man hatte ihr bereits am Telefon versichert, dass sie die besten Chancen hätte, diesen Job zu bekommen. Sogar einen Termin für ein Vorstellungsgespräch hatte sie schon vereinbart. Alles schien nur eine Formsache zu sein.

Aber ihr Zuhause war nun einmal in Rudolstadt, und als Krankenschwester würde sie Wechselschichten haben. Die Fahrerei jeden Tag war sicher im Sommer schon schlimm genug, im Winter könnte es eine ­Katastrophe sein. Energisch schlug sie die Zeitung wieder zu. Irgendwie würde es eine Lösung geben. Das Gespräch in der nächsten Woche wollte sie aber auf jeden Fall führen.

In diesem Augenblick hörte sie, dass Peter die Haustür aufschloss. Sie atmete tief durch. Er sollte nicht merken, dass sie etwas beschäftigte. Aber dafür hatte Peter Waldmann an diesem Tag ohnehin keinen Blick. Ute merkte sofort, dass ihn etwas stark ablenkte. Also schenkte sie nach einer kurzen Begrüßung Kaffee ein, klopfte auf die Sitzfläche neben sich und sagte:

„Setz dich, Liebling. Und dann erzähl mir, was los ist.“

„Wie kommst du darauf, dass etwas los ist?“, fragte Peter. Er gab sich der Hoffnung hin, dass Ute nicht ­weiter drängen würde. Er war noch gar nicht bereit für das Gespräch, dass er mit ihr führen musste.

„Ich kenne dich schon ein paar Jahre. Mir machst du nichts vor. Raus mit der Sprache, bevor du dran erstickst.“

Er lächelte und legte ihr den Arm um die Schulter. „Du hast recht, es gibt da etwas, worüber wir reden müssen. Ich möchte nur vorab eines sagen: Du entscheidest, und wie immer deine Entscheidung ausfällt, ich werde sie annehmen, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren.“

Ute wurde etwas mulmig. „Das hört sich nach einem ernsten Problem an. Also los, spann mich nicht länger auf die Folter. Was bedrückt dich?“

Wortlos zog Peter Waldmann den Brief aus der Tasche und gab ihn seiner Frau. „Lies selbst, dann können wir darüber reden.“ Er nahm seinen Kaffeebecher, stand auf und trat an das Wohnzimmerfenster. Die Aussicht war schön, besonders jetzt, wo das Abendrot den Himmel über der Stadt in ein blutrotes Licht tauchte.

Ute hatte den Brief zur Hand genommen, und mit jedem Wort, das sie las, wurde das Lächeln auf ihrem Gesicht breiter. Als sie den Brief auf den Tisch legte, konnte sie sich ein erleichtertes Auflachen kaum noch verkneifen. „So, man hat dir also eine Beförderung und eine Versetzung gleichzeitig angeboten. Du weißt aber schon, dass du dafür jeden Tag mindestens zwei, wahrscheinlich eher drei Stunden für die Fahrt einkalkulieren musst, oder? Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Spritkosten. Das frisst die Gehaltserhöhung sofort wieder auf. Und wenn du Bereitschaftsdienst hast, kannst du vermutlich gar nicht nach Hause kommen.“ Ute bemühte sich, ihrer Stimme einen ernsten Klang zu verleihen, obwohl ihr das im Augenblick nicht besonders leichtfiel.

„Weiß ich alles, mein Schatz. Ich überlege schon den ganzen Tag hin und her, wie ich das regeln könnte. Alles, war mir eingefallen ist, ist ein Umzug. Aber ich weiß einfach nicht, ob ich dir das zumuten kann.“

„Du meinst, wir sollten umziehen nach Suhl?“

„Ja, das wäre die Lösung. Aber dann müsstest ja du deinen Job aufgeben und dir dort etwas Neues suchen. Das kann ich eigentlich gar nicht verlangen. Ach, verflixt, wie man es dreht und wendet, einer von uns muss auf etwas verzichten, was ihm wichtig wäre.“

Ute erkannte, dass Peter sich wirklich in einem Gefühlsdilemma befand. Sie lächelte, als sie neben ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. „Weißt du, ich habe den ganzen Tag überlegt, ob ich dir erzählen soll, dass sich für mich ein Traum bewahrheiten könnte.“

Erstaunt sah Peter Waldmann seine Frau an. Er verstand nicht so ganz, warum sie so breit grinste.

„Du weißt, wie gerne ich mit Kindern und Jugend­lichen arbeiten würde, nicht wahr?“

Peters Blick verdunkelte sich. Auch er trug ziemlich schwer daran, dass sie keine Kinder haben würden. Manchmal hatte er sogar schon über eine Adoption nachgedacht, mit seiner Frau darüber aber noch nicht gesprochen. „Ja, ich weiß, Liebes. Aber was hat das jetzt mit deinem Traum und meiner möglichen Versetzung zu tun?“

„Ich habe die Möglichkeit, die Stationsleitung der Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum in Suhl zu übernehmen. Ich habe sogar schon einen Vorstellungstermin nächste Woche. Meine Chancen stehen überaus gut, denn wie du weißt, habe ich dort meine Ausbildung gemacht, und die haben mich damals nicht gerne gehen lassen.“

„Du? Arbeit in Suhl? Aber, das ist ja …“ Peter wusste nicht, was er sagen sollte. In diesem Moment hatten sich all seine Probleme, die ihm den ganzen Tag über im Magen gelegen hatten, quasi in Luft aufgelöst.

Ute nickte. „Da haben wir wohl beide zur gleichen Zeit ein gutes Angebot bekommen und können es wahrnehmen, ohne den anderen zu überfordern. Ist das nicht toll? Meine Eltern werden ganz aus dem Häuschen sein, wenn wir nach Suhl umziehen.“ Ute tanzte durch die Wohnung wie ein kleines Kind. Peter musste lachen. Er hatte ja gewusst, dass es Ute damals nicht ganz leichtgefallen war, ihm nach Rudolstadt zu folgen. Aber wie sehr sie offensichtlich ihre Heimatstadt und die Nähe zu ihren Eltern vermisst hatte, wurde ihm erst jetzt klar. Das Leben ging eben manchmal sehr seltsame Wege, und ihr Weg führte sie also jetzt nach Suhl.

Ein paar Monate später …

Der Winter war früh gekommen in diesem Jahr. Schon seit Mitte November waren die Wälder und Wiesen im Thüringer Wald mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Während die Versetzung von Kriminalkommissar Peter Waldmann von Rudolstadt zur Kriminalpolizei nach Suhl unbürokratisch und schnell vonstattengegangen war, musste Ute Waldmann die übliche Kündigungszeit von drei Monaten einhalten. Da sie noch Urlaubsansprüche hatte, war der 30. November ihr letzter Arbeitstag im Krankenhaus in Sonneberg gewesen. Besonders die letzten 14 Tage nach dem plötzlichen Wintereinbruch hatten ihr schwer zu schaffen gemacht. Sie hatte für die Fahrstrecke nach Suhl regelmäßig fast zwei Stunden pro Strecke gebraucht. Jetzt ließ sie sich aufseufzend auf das Sofa fallen, während Peter ihr eine Tasse Kaffee ins Wohnzimmer brachte.

„Geschafft“, lächelte sie ihn an. „Jetzt kann ich mich ausruhen, mich auf die Weihnachtstage freuen und dann am 1. Januar meine neue Stelle antreten.“

Peter sah sie an und nickte. „Das war sicher eine enorme Belastung für dich, Liebes. Aber jetzt kannst du ganz in Ruhe hier ankommen und dich auf den Neuanfang freuen.“

Ute sah sich im Wohnzimmer um. Sie hatten mithilfe von Utes Eltern relativ schnell ein hübsches kleines Häuschen in Suhl gefunden. Es lag nur einen Steinwurf von Utes Elternhaus entfernt. Aber der Umzug war noch nicht lange her, und in jedem Raum standen noch Umzugskartons, die ausgepackt werden mussten. Ute war sich darüber klar, dass die meiste Arbeit an ihr hängen bleiben würde. Peter war bereits voll integriert in seine neue Arbeit und ging auch mit Feuereifer an die neuen Aufgaben heran. Interessiert fragte sie: „Wie war dein Tag? Gab es etwas Besonderes?“

„Im Augenblick scheint es hier ziemlich ruhig zuzugehen, ruhiger jedenfalls als in Rudolstadt in der Vorweihnachtszeit. Aber langsam fangen die Vorbereitungen auf den Biathlon-Weltcup in Oberhof im Januar an. So etwas habe ich ja bisher noch nie mitgemacht. Ich dachte immer, dass nur die uniformierten Kollegen in die Überwachungen und Sicherheitsmaßnahmen involviert sind. Aber dem ist nicht so. Auch die Kripo hat eine Reihe von Arbeiten zu übernehmen. Ich denke, ab Anfang Januar, also etwa 14 Tage vor diesem Großereignis, wird es ziemlich stressig werden. Für mich ist das ja alles noch neu, aber die Kollegen unterstützen mich gut. Ist schon eine tolle Truppe, die da jetzt zu meinem Team gehört.“

„Ach ja, ist ja wieder Biathlon hier. Karten dafür kriegt man jetzt bestimmt nicht mehr, oder? Ich meine, ich habe meine ganze Kindheit und Jugend hier verbracht, aber ich war noch kein einziges Mal bei einem Weltcup am Grenzadler. Das würde ich mir schon gerne mal aus der Nähe anschauen.“

„Ich kann ja morgen mal die Kollegen fragen, ob das möglich ist. Offiziell ist schon seit Wochen alles ausverkauft. Aber vielleicht hat da ja jemand Beziehungen.“

Ute küsste ihn auf die Wange. „Danke, Schatz. Das wäre echt toll. Und jetzt lass uns in die Küche gehen und etwas essen. Morgen mache ich mich dann daran, aus unserem kleinen Haus hier ein echtes Zuhause zu machen.“

Zur gleichen Zeit in einem Restaurant in Moskau …

Während Ute und Peter Waldmann im winterlichen Suhl ihr Abendessen genossen, saßen in einem Restaurant in Moskau vier Männer um einen Tisch. Der Wodka floss in Strömen, und ein unvoreingenommener Beobachter würde feststellen, dass die vier sich in einer ausgezeichneten Stimmung befanden. Aber der Schein trog. Immer wieder huschten vier Augenpaare durch den Raum auf der Suche nach Gesichtern, die sie hier nicht sehen wollten. Nach einiger Zeit schienen sie sich sicherer zu fühlen, und einer von ihnen senkte seine Stimme zu einem leisen Flüstern. „Wir haben ein Problem. Ich muss wohl nicht erklären, dass es eine Katastrophe wäre, wenn irgendetwas von dem, was wir hier besprechen, an die Öffentlichkeit dringen würde, oder?“ Seine Stimme hatte einen drohenden Klang, und der Blick seiner stahlblauen Augen war scharf auf die anderen gerichtet. Die zogen ein wenig die Köpfe ein, nickten dann aber alle bestätigend.

„Es ist schon viel zu viel rausgekommen. Wir müssen verhindern, dass weitere Fälle aufgedeckt werden. Aber es gibt ganz offensichtlich einen Schwachpunkt. Ob er unter den Aktiven oder bei den Betreuern zu suchen ist, ist immer noch nicht klar. Fakt ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass keine weiteren Gerüchte aufkommen und keine positiven Proben mehr gefunden werden.“

Einer der anderen Männer meldete sich zu Wort. „Wir müssen unbedingt herausfinden, wo die undichte Stelle ist und dafür sorgen, dass von dort keine weiteren ­Informationen geliefert werden. Wir haben inzwischen alle Aktivitäten zunächst eingestellt. Unsere Chemiker arbeiten fieberhaft an einer Methode, die die herkömmlichen Nachweisverfahren außer Kraft setzen kann. Allerdings wird dort ein Zeitraum von vier bis sechs Wochen veranschlagt, bis das alles spruchreif ist. Das wird knapp bis zur nächsten Großveranstaltung in Deutschland.“

„Dann mach denen Dampf. Wir brauchen die Lösung spätestens in der ersten Januarwoche. Wie sie das machen, ist mir egal. Hauptsache, es funktioniert. Wir werden weiter nach dem Maulwurf suchen und ihn unschädlich machen.“

Die Männer zuckten zusammen. Was mit ­unschädlich machengemeint war, war ihnen sofort klar. Irgendwie erinnerte das an die Methoden des KGB. Diese Zeit sollte in Russland eigentlich längst vorbei sein. Aber sie wussten es besser. Das würde sich nie ändern. Es würde immer Menschen geben in Russland, die ihre Ziele auch mit den alten Mitteln durchzusetzen verstanden. Sicher konnte sich davor niemand fühlen, vom einfachen Bauern bis hin zum hohen Funktionär. Es war einfach überlebenswichtig, immer auf der richtigen Seite zu stehen. Sie hatten ihre gewählt, ein Zurück gab es für keinen von ihnen. Die heitere Stimmung war irgendwie dahin, wenn sie auch weiterhin, um den Schein zu wahren, laut lachten und Wodka tranken. Ein Außenstehender wäre niemals auf die Idee gekommen, dass diese lustigen vier Männer gerade über Leben und Tod entschieden hatten.

Im Quartier der russischen Biathlon-Mannschaft am Grenzadler in Oberhof …

Magdalena Komorovskaja reinigte gewissenhaft ihre Waffe. Das Kleinkalibergewehr war exakt nach ihren Anweisungen für sie gebaut worden. Ihre Freundin Nadeshda, die auch zu ihrem Betreuerteam gehörte, beobachtete sie dabei. „Mit einem Geliebten könntest du kaum zärtlicher umgehen, meine Liebe“, lachte sie.

„Das Gewehr ist mein Geliebter, das weißt du doch. Darauf kann ich mich immer verlassen. Hast du gesehen, wie viele Treffer ich heute auf dem Schießstand versenkt habe? Ich bin bereit für meinen großen Auftritt, das kannst du mir glauben. Ich hoffe nur, dass sie mir wirklich jetzt die Chance geben, mich auch international auf Dauer beweisen zu können.“

„Das müssen sie, Magda. Sie haben doch kaum noch unbelastete Sportler zur Verfügung. Dieser Scheiß-Dopingskandal zieht immer weitere Kreise. Du musst vorsichtig sein, dass sie dir nicht auch irgendetwas unterjubeln.“

„Keine Sorge. Ich achte peinlich genau darauf, was ich esse und trinke. Ich nehme von niemandem etwas an. Ich bereite alles selbst und immer frisch zu. Ich kaufe sogar selber ein. Was soll da schon passieren?“

„Die finden immer Mittel und Wege, glaub mir. Ich bin schon lange genug dabei, um zu wissen, wie dieser ganze Apparat funktioniert. Du bist mit deinen 23 Jahren noch ein echtes Küken. Du weißt doch noch gar nicht, wie schlecht die Welt ist. Aber ich passe auf dich auf, so gut ich es eben kann. Sei du selbst um Himmels willen weiter so vorsichtig. Nicht auszudenken, wenn du auch in diesen Sumpf gerätst.“

„Das werde ich nicht, glaub mir. Ich verzichte ja inzwischen sogar auf die Untersuchungen bei unserem Teamarzt und wähle meine eigenen Mediziner aus. Hat für ein wenig Unruhe und Unverständnis gesorgt, aber solange ich weiterhin so gute Ergebnisse liefere, können die mir gar nichts. Schließlich habe ich die Qualifikation für die Olympiade gleich im ersten Anlauf erledigt. Jetzt fehlen mir nur noch mein erster Podiumsplatz und ein Sieg. Vielleicht wird das ja was in Oberhof. Ich bin schon ganz aufgeregt.“

Nadeshda schwieg. Sie wusste, dass Magda niemals sicher sein konnte, ob nicht auch die Ärzte, die sie aufsuchte, in den Skandal verwickelt waren. Die hohen Herren hatten auch da bestimmt ihre Möglichkeiten, den ein oder anderen unter Druck zu setzen, ohne dass Magda davon etwas mitbekam. Aber vielleicht sah sie ja auch Gespenster. Trotzdem wollte sie alle diese Informationen an ihren Kontakt weitergeben. Der sollte die Ärzte auf jeden Fall überprüfen. Sie durfte einfach nichts außer Acht lassen, um ihren Schützling vor bösen Einflüssen zu bewahren. Sie hatte lange darauf gewartet, ein solches Talent zu finden. Magda hatte das Zeug dazu, zu den ganz Großen im Biathlon-Sport zu gehören. Es durfte einfach nichts passieren, was diese Karriere gefährden konnte. Sie hatte endlich wieder einmal eine Sportlerin unter ihren Fittichen, die auf keinerlei Mittelchen angewiesen war, um eine perfekte Leistung abzuliefern. Das wollte sie sich auf keinen Fall kaputt machen lassen.

In der Region rund um Oberhof liefen die Vorbereitungen auf den Biathlon-Weltcup auf Hochtouren. Einige internationale Teams waren in der ersten Januarwoche schon angereist. Darunter befanden sich neben den US-Amerikanern auch die Japaner, Chinesen und die russische Biathlon-Mannschaft. Die Russen waren mit einem stark reduzierten Kader gekommen, weil einige Athleten, auch solche mit großen Namen, wegen des Doping-­Skandals in Russland von der Internationalen Biathlon-Union gesperrt worden waren. So bekam in Oberhof auch der Nachwuchs aus dem russischen Team seine Chance. Magdalena Komorovskaja war eine von ihnen. Für sie war es die erste Reise nach Deutschland in den Thüringer Wald. Sie war bisher schon einmal in Finnland und einmal in Norwegen am Start gewesen. Mit weit aufgerissenen Augen hatte sie auf der Fahrt hierher alles in sich aufgesogen. Sie war so aufgeregt. Dabei konnte sie noch gar nicht sicher sein, ob sie überhaupt hier starten durfte. Aber sie hoffte es inständig.

Nadeshda saß weiter hinten im Bus und sah lächelnd das aufgeregte Gesicht von Magda an. Einer der Betreuer der männlichen Sportler setzte sich neben sie. „Die Kleine ist ja ganz aus dem Häuschen. Da wirst du eine Menge Arbeit haben, sie wieder zu beruhigen. Die wirkt ja wie gedopt.“

Ärgerlich sah Nadeshda den Kollegen an. „Magda nimmt nichts, das weiß ich ganz genau. Sie ist jung, und sie ist zum ersten Mal in Deutschland. Für sie ist das alles aufregend und neu. Da braucht sie nichts von euren Mittelchen.“

Der Mann ergriff ihren Arm und drückte ihn schmerzhaft. Nadeshda verzog das Gesicht, versuchte aber nicht, sich zu befreien. Sie hatte gerade einen äußerst dummen Fehler gemacht.

„Was meinst du damit?“, zischte er ihr ins Ohr.

„Ach, Vladi, was soll ich schon gemeint haben? Ich weiß doch, ihr trinkt gern mal etwas zu viel Wodka, und gelegentlich kreist bei euch auch ein Joint. Wo immer ihr das Zeug auch herbekommt. Das habe ich gemeint, als ich sagte, Magda braucht so was nicht. Was hast du denn gedacht?“ Unschuldig lächelnd sah sie ihn an. Er lockerte den Griff, räusperte sich und brummte: „Nichts, ich hatte nur Angst, du könntest dem Trainer was von den Joints erzählen.“

Dann stand er auf und ging wieder nach vorn. ­Verdammt, dachte Nadeshda. Ich muss viel ­vorsichtiger sein. Dass Vladi sein Smartphone nahm und eine SMS tippte, bekam sie von ihrem hinteren Sitz im Bus nicht mit. Aber diese Textnachricht war der Beginn ­katastrophaler Ereignisse, die Oberhof und die gesamte Region am ­Grenzadler bis in die Grundfesten erschüttern sollte.

Die Vorbereitungen auf den Weltcup laufen an …

Peter Waldmann hatte sich an seinem neuen Arbeitsplatz inzwischen gut eingerichtet. Die Kollegen waren eine ziemlich lustige Truppe, und es wurde viel gelacht. Zumindest so lange, wie es keinen Einsatz gab. Aber auch hier in Suhl machte sich langsam die Nervosität breit im Hinblick auf das sportliche Großereignis in Oberhof. Deshalb war die Dienstbesprechung an diesem Morgen deutlich ernster gestaltet, als Peter sie bisher erlebt hatte. Der Dienststellenleiter begrüßte dieses Mal sowohl die ­Kollegen der uniformierten Polizei als auch die ­Mitglieder der Kriminalwache im großen Besprechungsraum. Auch das war sonst eher unüblich, da Schutzpolizei und Kriminalpolizei zwar zusammen arbeiteten, aber in der Regel verschiedene Einsatzgebiete abdeckten.

„Kolleginnen, Kollegen, ihr wundert euch sicher über die Großversammlung hier, aber es vereinfacht die Sache, wenn wir euch alle gleichermaßen ­informieren können. Wie ihr ja alle wisst, sind etliche Einheiten von uns ab dem nächsten Wochenende in Oberhof aktiv. Zwei Mannschaftswagen der uniformierten Kollegen schicken wir bereits heute los. Es sind schon einige ­Nationalteams der Biathleten vor Ort, und wir müssen dort für die Sicherheit von Aktiven und Betreuern sorgen. Das sollte in enger Abstimmung mit den privaten Sicherheitskräften erfolgen, die ebenfalls reichlich im Einsatz sein werden. Wir haben direkt am Grenzadler