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Melina zieht sich am frühen Morgen wieder die Decke über den Kopf. So ein Lärm in Raisting. Eine Sirene jagt die andere. Da ist an Schlaf nicht mehr zu denken und dann läutet es auch noch an ihrer Tür. Ein Hauptkommissar stellt sich ihr vor. Melinas Tanzpartner ist tot aufgefunden worden.
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Beatrice Kobras
Tod des Tanzpartners
Ein Raisting-Krimi
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2. Auflage 2023
Impressum
Texte: © 2023 Copyright by Beatrice Kobras
Umschlag: © 2023 Copyright by Beatrice Kobras
Verantwortlich für den Inhalt:
Beatrice Kobras, Dobrovského 146/17, 35301 Mariánské Lázné, Tschechische Republik
[email protected], www.k-obras.de
Vertrieb: BookRix GmbH & Co. KG, München
Unter jedem Dach der Welt, auf jedem Baum, in jeder Wiese unter unsrem großen Himmelszelt stecken unendlich viele verschiedene Geschichten.
„Jetzt trödle doch nicht so herum, Franziska!“, schimpfte Ramona, die Mutter von Franziska. „Wir sind schon spät dran. Zieh Deine Schuhe an, pack Deine Kindergartentasche und komm, Du alte Trödelliese!“. Franziska setzte sich auf den Boden, nahm ihre linke Sandale und steckte sie über ihren rechten Fuß. „Ähm, is wohl falsch!“, sagte sie und lachte.
„Ach Mäuschen, Du hast ja eine grüne und eine blaue Socke an.“, stellte ihre Mutter fest. „Ich habe Dir doch zwei weiße Socken hergerichtet.
„Ja, aber die Melina hat gesagt, dass ich eine grüne und eine blaue Socke anziehen soll.“, rechtfertigte sich Franziska. „Warum das denn, Franzi? Das kann ich mir nicht vorstellen!“, widersprach Franziskas Mutter.
„Doch!“, beharrte Franziska. Weil wo Blau ist, ist links und wo Grün ist, ist rechts. Oder ist wo Grün ist, links und Blau rechts? Hm…“, dachte Franziska laut nach. „Aha!“, sagte Ramona nur dazu.
„Ja, dann weiß ich, in welche Richtung ich beim Tanzen gehen muss. Dann sagt die Melina nämlich Grün oder Blau. Und dann weiß ich, welcher Fuß drankommt.“.
„Ach so!“, lachte Ramona. „Na komm, dann lass Dir bei Deinen Sandalen helfen.“.
„Nein! Das kann ich selber!“, wehrte sich Franziska nun. „Ich bin nämlich schon groß!“, fügte sie sicherheitshalber hinzu. „Du bist meine Große!“, bestätigte Ramona. „Aber vielleicht nimmst Du den Schuh, den Du jetzt in der Hand hast für den andren Fuß?“.
„Oh, ja. Kann´s ja mal probieren.“, versprach Franziska. „Und? Hat es geklappt?“, wollte Ramona von ihrer Tochter wissen. „Hat!“, bestätigte Franziska. „Können wir dann jetzt endlich los?“, drängelte Ramona. „Ich muss noch den zweiten Schuh anziehen!“, sagte sie.
„Hast Du meine Tanzschläppchen eingepackt?“, wollte sie noch von ihrer Mutter wissen. „Weil, ich habe ja heute Kindertanzen. Und da geh ich ja gleich vom Kindergarten aus hin.“. „Franziska, die bringe ich Dir mit, wenn ich Dich abhole.“, versprach Ramona. „Nein, die will ich jetzt schon mitnehmen!“, bestand Franziska darauf.
„Jetzt komm schon, wir müssen jetzt los!“, drängelte Ramona. „Erst die Schläppchen!“, beharrte Franziska.
Da Ramona wusste, dass sie nie mehr loskommen würden, wenn Franziska ihre Tanzschläppchen nicht gleich mitnehmen kann, machte sie sich auf die Suche. Denn ein heulendes, brüllendes Kind wollte sie definitiv nicht den ganzen Weg an ihrer Seite haben. Sie hatte da schon so ihre Erfahrungen gemacht. Und ob sie ihre Tanzschläppchen schon jetzt dabeihaben würde, oder später, das war schließlich auch egal.
„Franziska, wo sind denn bitte Deine Tanzschläppchen?“, rief Ramona schon verzweifelt. „Weiß nicht!“, rief Franziska zurück. „Also jetzt denk mal fest nach. Du wolltest sie doch gestern noch zum Üben!“, forderte Ramona ihre Tochter zum Nachdenken auf.
„Hm…“, machte Franziska nur. Dann hatte sie den Geistesblitz. „Ich glaub, die sind in meiner Lego-Kiste!“. „Ah, da sind sie. Was machen denn Tanzschläppchen in einer Legokiste?“, wollte Ramona von Franziska wissen. „Weiß auch nicht.“, antwortete sie. Und endlich konnten sie das Haus verlassen und in den Kindergarten gehen. Jedenfalls dachte Ramona das.
„Ich nehm den Roller!“, hat sie mitgeteilt. „Nein, wir gehen mit den Füßen!“, erklärte Ramona ihrer Tochter. „Ich will aber mit dem Roller fahren!“, schmollte Ramona.
„Süße, ich komm Dich direkt von der Arbeit abholen, das wird ein wenig knapp und da komm ich mit dem Rad. Wenn wir jetzt den Roller mitnehmen, dann kommst Du zu spät zum Tanzen und dann schimpft Dich Melina wieder, dass Du nicht pünktlich bist und so rumgetrödelt hast. Willst Du das?“. „Nein!“, schmollte Franziska, nahm ihre Mutter an der Hand und nun kamen sie endlich gemeinsam durch das Gartentor und schließlich auch die Straße vor dem Haus.
„Was tanzt Ihr denn heute im Tanzunterricht?“, fragte Ramona ihre Tochter. „Weiß nicht. Aber ich mag Schnappi tanzen.“, antwortete Franziska. „Schnappi?“, fragte Ramona nach. „Ja, Schnappi. Das ist auf das Schnappi-Lied und guck, das geht so.“, sagte Franziska und blieb stehen. Sie streckte sich, drückte den Bauch heraus und fing an: „Hacke, Spitze, Hacke, Spitze …“ und machte die dazugehörigen Fußbewegungen dazu.
„Ähm, oder geht es mit dem andren Fuß los?“, überlegte sie und streckte ihren Bauch noch mehr heraus.
„Na komm jetzt weiter!“, forderte Ramona sie auf. Das kannst Du ja jetzt unterwegs noch überlegen.“.
„Na gut!“, bestätigte Franziska. „Aber ich dachte, Du hast deswegen zwei unterschiedliche Socken an, damit Du weißt, mit welchem Fuß Du anfängst.“, fragte Ramona nach. „Ja. Aber ich weiß nicht mehr, an welchem Fuß ich letzte Woche die grüne Socke hatte und an welchem Fuß die Blaue.“, überlegte Franziska laut.
„Aber mit so rausgestrecktem Bauch und durchgebogenen Rücken tanzt man doch ganz bestimmt nicht.“, wunderte sich Ramona.
„Doch! Die Melina sagt, wir müssen uns ganz lang machen und wir dürfen den Popo nicht rausstrecken.“, erklärte sie.
„Aha!“, sagte ihre Mutter und dachte sich im Stillen, dass es noch viel Übung braucht, ihren Körper zu koordinieren. Aber dafür hat sie sie ja in dem Tanzsportverein angemeldet, damit sie das lernt und eine ordentliche Körperhaltung kriegt, damit sie hoffentlich später nicht so entsetzliche Rückenschmerzen kriegt, wie sie sie seit einiger Zeit plagen. Sie hatte nämlich zufällig gelesen, wie der Tanzsportverein auch damit warb, dass Tanzen die Balance fördert, die Koordinationsfähigkeit, sogar Gedächtnis und Lernfähigkeit. Dazu belegen Studien, dass sich Kinder, die das Tanzen erlernen, besser konzentrieren können und sich mit dem Lernen leichter tun, da hier viele Gehirnregionen gleichzeitig aktiviert werden. Hier werden Koordination, Ausdauer, Kondition und Körperbalance gleichzeitig trainiert. Die Wissenschaft zeigt außerdem deutlich auf, dass die Kinder der modernen Gesellschaft hinsichtlich Kraft, Ausdauer, Koordination, Motorik und der Bereitschaft, über einen längeren Zeitraum durchzuhalten in Motivation und Konzentration deutliche Defizite aufzeigen, wobei das Tanztraining entgegenwirkt.
Darüber hinaus müssen Kinder lernen, dass es klare Regeln gibt, die es einzuhalten gibt. Und das nicht nur im Tanzsport. Neben der Kleiderordnung im Turniersport, auch im laufenden Trainingsbetrieb, wozu auch respektvolles Benehmen gegenüber Trainern, Partnern und anderen Trainingsteilnehmern gehören. Disziplin in jeder Hinsicht ist im Tanzsport unumgänglich.
Sie hatte darüber viel recherchiert und stieß überall auf dieselben Ergebnisse. Das Tanzen bietet gegenüber anderen Sportarten schon viele Vorteile, was ihr gar nicht bewusst gewesen war. Dazu kam erleichternd dazu, dass Franziska, wie auch die anderen Kinder ihrer Tanzgruppe Melina über alles liebten. Sie hatte eine fantastische Art, mit den Kleinen umzugehen. Sie war jederzeit für Quatschmachen bereit, aber dann musste wieder Disziplin und Ordnung herrschen. Sie hatte die kleinen Racker wirklich fest im Griff und Franziska war absolut erstaunt, was die höhere Altersgruppe schon alles konnte.
Franziska sollte im nächsten Monat vor den Sommerferien ihr erstes Tanzsportabzeichen machen, das kleine Tanzsternchen. Da war sie schon sehr aufgeregt und übte jede freie Minute. Denn sie wollte auch einmal eine so gute Tänzerin werden, wie Melina es war. Vor allem, weil sie dann auch so schöne Kleider tragen durfte mit so vielen Glitzersteinchen drauf und so tolle Schuhe mit so unglaublich hohen Absätzen, auf die man auch so schöne Glitzersteine kleben kann. Melina tanzte nämlich auch aktiv für den Verein Turniere und gewinnt zusammen mit ihrem Tanzpartner sämtliche Turniere. Dieses Jahr haben sie sich schon wieder einen Meistertitel geholt. Und all ihre Pokale sind in ihrem Tanzraum zu bewundern. Wenn ein neuer Pokal dazukommt, fällt das den Kindern sofort auf und stehen ehrfürchtig davor und stellen fest: „Der ist aber neu!“. Das haben die Kinder jeder Altersgruppe fest im Blick.
Franziskas große Schwester Lucia ist auch mit großer Begeisterung in einer von Melinas Kindertanzgruppen. Vor einigen Jahren, als der Verein neu gegründet wurde, musste die Kindergruppe einmal geschlossen werden, da sich über einen langen Zeitraum nur noch zwei Kinder darin befanden, wovon eines dann auch noch gekündigt hatte, da dessen Mutter meinte, dass es jetzt mal Klavier spielen lernen sollte. Da hatte Ramona eine große Werbeaktion gestartet, da Lucia sehr traurig darüber war, nicht mehr tanzen gehen zu können und wo anders wollte sie definitiv nicht hin. Ramona hatte allen Müttern erzählt, wie viel Spaß Lucia beim Kindertanzen hat und was sie da alles lernen würden, doch eine der Mütter fragte ganz entsetzt, nachdem sie sagte, dass Lena bestimmt auch viel Spaß beim Tanzen hätte: „Sie lernen da viel? Dann kann das gar keinen Spaß machen.“. Ramona war darauf nichts mehr eingefallen.
Aber auch Melina hat nichts unversucht gelassen. Sie hatte sich sogar ehrenamtlich beim Ferienprogramm der Gemeinde über den Verein engagiert, um die Kinder vom Tanzen zu begeistern. Und das fiel ihr auch gar nicht schwer. Alle Kinder waren mit Feuereifer mit dabei. Mehrere Tage hatte Melina damals ein Programm gemacht. Da es ein heißer Sommer war, bei schönem Wetter sogar im Freien. Dafür hatte sie auf eigene Kosten Plantschbecken angeschafft und den ganzen Vormittag Wassereimer geschleppt, da nicht ein Gartenschlauch an den Außenhahn des Pfarrheims passte, wo auch das Kindertanzen stattfindet. Es hatten sich auch Kinder angemeldet. Doch manch Mutter hat sich darüber brüskiert, dass es im Freien stattfindet, obwohl es so ausgeschrieben war. Sie hat den Ort dann wutentbrannt verlassen. Als das Tanzen an einem anderen Tag drinnen stattgefunden hat, da Regen angesagt war, hat sich eine andere Mutter darüber aufgeregt, dass das Kindertanzen im Ferienprogramm drinnen stattfand und nicht draußen. Es wäre ja die anderen Tage auch draußen gewesen. Schließlich sei es Sommer. Wieder andere beschwerten sich schon in der zweiten Tanzstunde draußen mit den Plantschbecken, dass das Wasser dreckig war, da ja in der vorherigen Stunde schon Kinder barfuß durchgelaufen sind und Dreck an den Füßen hatten.
Melina war sehr ruhig geblieben und hat beteuert, dass das Wasser in 30 Sekunden bestimmt wieder genau so aussehen würde, doch die Mutter dieses Kindes wetterte weiter und wollte nicht mehr aufhören. Letztendlich hatte sie ihr angeboten, das Wasser auszuschütten und die Becken neu zu füllen, wenn ihr daran am Herzen lag und sie gebeten, sie möge sich bitte beeilen, da das Kindertanzen in zehn Minuten schon beginnt. Sie hatte am Vormittag zwei Stunden Wassereimer geschleppt.
Das wollte die Mutter dann doch nicht und war ganz überrascht, wie sie Samba mit dem Bouncen über den Rand der Plantschbecken tanzten und es dauernd rein und raus aus den Becken ging und wie sich mehr und mehr Dreck ansammelte.
Bei dem Ferienprogramm von Melina hat Ramona schon einiges erlebt. Sie wunderte sich stets, dass sie es trotzdem von Jahr zu Jahr wieder machte, wie auch alle möglichen Kindertanzpartys, wozu jedoch stets die Kinder kamen, die nie zum Tanzen angemeldet wurden, obwohl Melina bei manchem Kind schon ein Talent zum Tanz entdeckte und Musikalität und die jeweiligen Kinder großen Spaß in Melinas Stunden hatten, doch ihre Mütter meldeten sie lieber im Sportverein an, wo sie nicht mehr als fünf Euro im Monat zu zahlen hatten. Zum Tanzen kamen sie stets nur, wenn es nichts gekostet hat.
Als die Kindergruppe dann aufgelöst war, stellte die Mutter des anderen Mädchens fest, dass ihre Tochter doch unbedingt wieder tanzen wollte, aber nirgendwo anders, als bei Melina. Doch die Tanzgruppe bestand nicht mehr und der Vorstand teilte mit, dass er gern wieder eine Kindertanzgruppe aufmacht, es nur für ein oder zwei Kinder nicht geht, was durchaus verständlich ist, sie aber gern bereit sind, eine Kindergruppe ab acht Kindern wieder zu eröffnen. Da aktivierte die Mutter des Mädchens deren komplette Klasse im Nachbarsort und plötzlich lagen zwanzig Anmeldungen zum Kindertanzen vor. So konnte es nach den Sommerferien spontan und unplanmäßig doch mit dem Tanzen weitergehen. Sogar einige Eltern beschlossen, ihre Tanzkenntnisse aufzufrischen und brachten einige ihrer Freunde mit, so dass der Verein plötzlich ganz schnell wuchs und die Gemeinde sogar die Schulturnhalle an mehreren Abenden zur Verfügung stellte, da sie vielen Vereinen mit festen Zeiten zur Verfügung stand, aber von ihnen nicht genutzt wurde, wie man herausgefunden hat.
Franziska und Ramona waren nun auf ihrem Weg zum Kindergarten schon kurz vor dem Pfarrheim, an welchem sie auf dem Weg zum Kindergarten vorbeikamen, in welchem unten im Gymnastikraum das Kindertanzen stattfand.
„Mama, meinst Du, Melina ist schon da? Dann könnten wir ihr ganz schnell Hallo sagen.“, sagte Franziska. „Nein Franzi, so früh ist Melina noch nicht da. Wer soll denn so früh tanzen?“, antwortete Ramona ihrer Tochter. „Hm… weiß nicht.“.
„Guck mal, eine Ratte!“, rief Franziska ganz begeistert. „Die Ratte geht bestimmt zu Melina tanzen. Ich liebe Ratten! Mama, kann ich auch eine Ratte haben?“, plapperte Franziska. „Heiratest Du denn eine Ratte, wenn Du groß bist?“, lachte Ramona ihre Tochter an. „Hm…“, machte sie und ergänzte: „Weiß noch nicht.“.
„Guck mal Mama, da liegt ein Schuh im Gebüsch!“, wunderte sich Franziska. „Ein Schuh? Wer schmeißt denn einen Schuh vor dem Pfarrheim ins Gebüsch?“, dachte Ramona laut.
„Weiß nicht. Aber da liegt einer, schau!“, sagte Franziska und lief zum Gebüsch, um den Schuh herauszuziehen und ihrer Mutter zu zeigen, aber sie bekam den Schuh nicht aus dem Gebüsch heraus. „Du Mama!“, sagte Franziska. „Da hängt noch einer dran!“. „Franzi, was soll denn da dranhängen? Mit Dir geht mal wieder die Fantasie durch, glaube ich.“, antwortete Ramona ihrer Tochter. „Doch, ein Fuß hängt da dran!“, verteidigte sich Franziska und ergänzte: „Nein! Ein ganzer Mann!“. Da näherte sich Ramona ihrer Tochter und da sah sie den Schuh auch. „Und guck, da is die Ratte. Der Mann hat sie bestimmt mit den ganzen Obstabfällen gefüttert, in denen er drin liegt!“, stellte Franziska fest.
Ramona versuchte krampfhaft ihre Tochter von der Leiche im Gebüsch wegzuziehen. Das war kein Anblick für ein Kind. Nicht einmal für einen Erwachsenen war der Anblick eines Toten geeignet. Doch Franziska ließ sich nicht beeindrucken und fing an, die Ratte mit den Obstabfällen, die um den toten Mann lagen, zu füttern. „Guck Mama, die mag mich. Das ist jetzt mein Freund!“, erklärte sie ihrer blassen Mutter, die nur noch stottern konnte und entgegen ihrer Tochter keinen klaren Satz mehr herausbekommen konnte.
„Polizeinotruf Sumpf Grüß Gott!“, meldete sich eine Stimme am anderen Ende. „Grüß Gott! Klein. Ramona Klein. Aber nicht Sumpf! Gebüsch!“, stotterte sie in ihr Handy hinein.
„Wie bitte?“, fragte eine Stimme am anderen Ende. „Hier liegt einer. Nicht im Sumpf, sondern im Gebüsch!“, teilte Ramona ihrem Gesprächspartner mit. „Ach so!“, entgegnete dieser. „Mein Name ist Sumpf.“. „Ach so. Bitte entschuldigen Sie, ich bin ganz durcheinander.“, entschuldigte sich Ramona.
„Wo sind sie denn?“, fragte der Polizist am Telefon. „Beim Pfarrheim.“, antwortete Ramona. „Gut, und in welchem Ort sind sie?“, fragte er nun nach. „Noch zu Hause. In Raisting.“, antwortete sie.
„Bitte sagen sie mir genau, was passiert ist.“, forderte der Polizist der Notrufstelle sie auf. „Also, ich bin mit meiner Tochter auf dem Weg zum Kindergarten und dann hat sie eine Ratte gesehen und zu der ist sie hingegangen und dann hat sie einen Schuh gefunden und an dem Schuh hängt aber noch jemand dran.“, erklärte sie dem Polizisten etwas wirr.
„Haben Sie die Lebensfunktionen überprüft?“, fragte Herr Sumpf weiter. „Äh, nein. Da müsste ich den Schuh samt Mann ja erst einmal aus dem Gebüsch ziehen.“, stellte sie nun fest.
„Dann sprechen sie ihn einmal an.“, forderte der Polizist nun Ramona auf. „Legen Sie nicht auf. Ich verständige inzwischen einen Rettungswagen und die Weilheimer Kollegen.“, erklärte er. „Ja, bin ich denn nicht bei der Weilheimer Polizei?“, wollte Ramona wissen.
„Nein. Sie sind in der Notrufzentrale. Wir sitzen in Rosenheim.“, erklärte er. „Sprechen Sie den Mann an und bleiben Sie am Apparat!“, forderte er Ramona nochmals auf.
„Franziska, jetzt geh doch mal weg da!“, schimpfte Ramona ihre Tochter. „Aber die Ratte ist mein Freund!“, sagte Ramona trotzig. „Wir müssen jetzt mal schauen, ob der Mann noch lebt!“, erklärte ihre Mutter. Da nahm Ramona ein Stöckchen, stupste den Mann unter dem Gebüsch an und erklärte: „Rührt sich nicht!“.
„Franziska, geh jetzt da weg!“, schimpfte Ramona laut. „Ich will bei meinem Freund, der Ratte bleiben!“, trotzte sie. Ramona bemerkte, es war aussichtslos, ihre Tochter da jetzt wegzukriegen, nahm sie grob am Arm und zerrte sie von Ratte und Mann weg. Natürlich brüllte Franziska wie am Spieß.
Bald hörte sie aus der Entfernung Sirenen heulen und es dauerte nicht lang, da kam ein Rettungswagen über den Kirchweg auf Rathaus und Maibaum zugefahren und bog nun zu ihnen in den Schulweg.
Zwei Rettungssanitäter kamen aus dem Krankenwagen gesprungen und fragten Ramona, an deren Hand immer noch Franziska zerrte, tobte und schrie: „Wo ist die leblose Person?“ und Ramona deutete an die entsprechende Stelle. Zu hören wäre sie bei dem Gebrüll ihrer Tochter sowieso nicht gewesen.
Die Sanitäter liefen auf den Weg des Pfarrheims, der zum Eingang führte und in die Wiese auf der anderen Seite des Gebüschs. Als sie wieder vor das Gebüsch zu Ramona traten, war bereits ein Streifenwagen eingetroffen. Als die Polizisten ausgestiegen waren, schüttelten die Sanitäter den Kopf und einer sagte: „Nix mehr zu machen. Das ist Euer Job.“.
Die Polizisten ließen sich den Toten von einem der Sanitäter zeigen und der zweite wandte sich Ramona zu, die blass war und am ganzen Körper zitterte. An ihrer Hand die brüllende Franziska.
„Da hast Du aber etwas schlimmes gesehen.“, sagte er zu Franziska. „Nein, gar nicht! Das ist mein Freund! Ich will sofort zurück zu Felix!“, brüllte sie. „