Tod unter Gurken - Kai Magnus Sting - E-Book

Tod unter Gurken E-Book

Kai Magnus Sting

4,6

Beschreibung

Tote, die zum Leben erweckt werden, ein Verrückter, der in seinem Keller Leichen sammelt, ein Mann, der am Schreibtisch seines Arbeitszimmers ertrinkt, ein scheußlicher Fund unter den Ruinen eines alten Hauses, eine explosive Weihnachtsgans und ein Tod, der auch mal Erholung braucht. Alfons Friedrichsberg, Privatier und Hobbydetektiv, ist alt, hochintelligent, trinkt gern, isst noch lieber und freut sich über alles Abwegige und Mörderische, was seine Neugier und seinen großen Geist weckt. Und so blickt er in die Abgründe seiner Mitmenschen. Denn nichts liegt näher als ein heimtückischer Mord. Die mit absurdem Witz, rabenschwarzem Humor und sprachlicher Finesse geschriebenen skurrilen Kriminalgeschichten jagen einem kalte Schauer über den Rücken und lassen einen im gleichen Moment herzhaft lachen.

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Kai Magnus StingTod unter Gurken

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Leichenpuzzle

Die Ausrottung der Nachbarschaft

Kai Magnus Sting, geboren 1978, schreibt Kabarettprogramme, Hörspiele, Kriminalromane, Kurzgeschichten und Kolumnen für Radio und Zeitung. Seit über 20 Jahren ist er mit seinen Bühnenprogrammen auf Tournee, produziert Live-CDs und Hörspiele, ist häufig im Fernsehen zu bestaunen und im Radio zu hören und hat für seine kabarettistischen Arbeiten bereits zahlreiche Preise gewonnen. Bei KBV veröffentlichte Kai Magnus Sting bislang die beiden Krimis »Leichenpuzzle« und »Die Ausrottung der Nachbarschaft«.

www.kaimagnussting.de

Kai Magnus Sting

Tod unter Gurken

Kriminalgeschichten

Originalausgabe

© 2017 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Fax: 0 65 93 - 998 96-20

Illustrationen: Heiko Sakurai

Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln

Print-ISBN 978-3-95441-363-8

E-Book-ISBN 978-3-95441-375-1

»Von hübschen Mordgeschichtenkrieg ich ja nie genug.Grad, wenn man sich bei der Leichenentsorgungwas einfallen lässt:Verfütterung an Schweine zum Beispiel.Oder unter den Gurken verbuddeln.Ist doch was Feines.«

Alfons Friedrichsberg

INHALT

Anderthalb alte Leichen

Leiche in Beton

Komposttod

Die Vermissung des roten Drachens

Die Blonde im Trench

Eine Art Liebesgeschichte

Tod unter Gurken

Eifel-Mord

Zwölf dunkle Löcher

Eine Möglichkeit

Der Tod war ein Gedicht

Loreleytod

Die dreizehnte Geschichte

Leichen im Keller

Die Blutvase

Die Bildergalerie

Schlachtplatte

Blutiger Adventskalender

Die bengalische Weihnachtsfeuergans

ANDERTHALB ALTE LEICHEN

Zu dritt standen sie im Wald auf einer Lichtung, mitten in der Nacht: A, B und C.

A stand in ungefähr 30 Metern Entfernung in einem Winkel von 40 Grad zu B und C.

Nach sieben Minuten ging B auf die Knie, und C schoss mit einer Waffe von oben herab B in den Kopf, woraufhin B leblos in sich zusammensackte.

Dann drehte sich A um, entfernte sich von der Lichtung und verschwand im Dickicht.

C sah zu, dass er das Weite suchte.

Was wie eine seltsame Mathematikaufgabe anmuten könnte, ist eine simple Mordgeschichte und entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer kleinen aber feinen Tragödie.

Vorausgegangen war dieser Situation folgender Dialog:

»Sie müssen das etwas großzügiger denken: Wenn Sie mir meine Frau umbringen, kommen wir ungeschoren aus der Sache raus.«

»Wieso?«

»Kennen Sie Zwei Fremde im Zug?«

»Nein. Dann wären es ja keine Fremden mehr.«

»Ich meine den Film. Also das Buch …«

»Was denn jetzt?«

»Von der Amerikanerin in der Schweiz.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Strangers on a Train.«

»Ah, das sagt mir was. Bert Kaempfert.«

»Nein, das war in the Night.«

»Wenn Sie das sagen …«

»Was ich meine, ist: Wir kennen uns doch gar nicht.«

»Natürlich kennen wir uns. Wir sitzen hier zusammen und reden.«

»Ja, aber nur dieser einen Sache wegen. Es besteht eigentlich keine Verbindung zwischen uns. Wir waren nicht zusammen auf der Schule, haben nicht gemeinsam studiert, nicht zusammen Sport gemacht, es gibt einfach nichts, was auf eine Verbindung schließen lassen könnte. Wieso also sollten Sie meine Frau töten?«

»Weil Sie es mir angeboten haben.«

»Ja, durchaus, aber das ahnt doch niemand. Weil keiner weiß, dass wir uns kennen. Deshalb: Warum sollten Sie einen Grund haben, meine Frau umzubringen?«

»Warum denn nicht? Schließlich kann ich doch töten, wen ich will. Wir leben ja schließlich in einem freien Land.«

»Ja, aber so begreifen Sie doch: Es gibt keinen Grund! Wir sind nicht befreundet, nicht verfeindet, wir kennen uns einfach nicht. Also woher sollten Sie meine Frau kennen?«

»Hm … Ich bin ihr vielleicht zufällig begegnet.«

»Meine Frau geht kaum noch aus dem Haus.«

»Ja, aber wenn … Es könnte ein Lustmord sein.«

A schüttelte vehement den Kopf: »Nein, unmöglich. Sie kennen meine Frau nicht.«

»Man müsste sie sehen …«

A wurde ungeduldig: »Was ist jetzt: Tun Sie’s oder tun Sie’s nicht?«

»Ich muss darüber nachdenken.«

»Sie haben sich auf meine Anzeige hin gemeldet. Sie sind bereit, einen Mord zu begehen. Ich habe Sie in der Hand.«

Alles hatte mit einem Zeitungsinserat begonnen.

Alfons Friedrichsberg, seines Zeichens schwergewichtiger Rentner – Freunde bezeichneten ihn als überaus dick und verfressen – und Amateurkriminologe, war zum wiederholten Mal über dieses Inserat gestolpert. Er saß beim Frühstück am Küchentisch, blätterte in aller Ruhe in der Tageszeitung und las: Toten Opa zu vertrödeln. Im Gegenzug Interesse an verstorbener Frau.

Er rümpfte die Nase: Das war jedenfalls mal etwas anderes als dieses ständige Suche Vase, biete Schrankwand, Chippendalemöbel abzugeben oder bei Kontaktanzeigen Flotte Oma, verh NR mit Tagesfreizeit sucht heißen Alten für gelegentliche Treffs, keine finanziellen Interessen oder Junggebliebener Student, 58, sucht Traumfrau aus dem Umkreis Unna.

Hier stand, und das bereits zum dritten Mal: Toten Opa zu vertrödeln. Im Gegenzug Interesse an verstorbener Frau.

Friedrichsberg schlürfte am Milchkaffee. War das ein Scherz, ein makabrer? Oder ein seltsames Spiel, das er nicht verstand? Oder musste man die gewählten Worte für bare Münze nehmen? Es weckte seine Neugierde.

Genau drei Wochen später stand er am Wohnzimmerfenster, schaute auf die regennasse Straße und kratzte sich am Kopf. Regen peitschte von draußen gegen das Fenster, vereinzelte Passanten eilten durchnässt über die Straße, Autos rasten durch Pfützen und jagten das Wasser gegen Fassaden, Windböen schlugen aufgespannte Regenschirme um … Hätte sich die Welt einen Tag für ihren Untergang aussuchen müssen, heute wäre ein guter Termin dafür gewesen.

Sollte er hingehen oder sollte er es bleiben lassen? Also zum Treff auf dem Trödel. Er hätte einfach drüber hinweglesen können. Aber nein, er musste seine dicke Nase wieder in Angelegenheiten stecken, die ihn einen Scheißdreck angingen.

Die Anzeige Toten Opa zu vertrödeln. Im Gegenzug Interesse an verstorbener Frau war noch zweimal erschienen.

In der Woche drauf kam eine »Antwort«, so interpretierte Friedrichsberg jedenfalls diese seltsame Notiz. Da stand in der Zeitung Folgendes: Interesse an Opa. Treffen nächsten Samstag um 11 auf dem Hafentrödel. Kennzeichen: blaue Plastiktüte mit Vase. Stillschweigen.

Über Friedrichsbergs Mund zog sich ein breites Grinsen, und er strich sich über seinen Schnurrbart.

Von draußen war ein lautes Quietschen zu hören, ein langes Hupen, ein greller Schrei. Fast hätte es einen dunkel gekleideten Fußgänger weniger gegeben. Während der sich mit dem Autofahrer wild gestikulierend stritt, traf Friedrichsberg eine Entscheidung: Morgen ging es auf den Trödel.

Friedrichsberg war schon kurz nach 10 auf dem Hafentrödel gewesen. Die üblichen Stände: Tand, Nippes, Firlefanz: Von der defekten Deckenleuchte über alte Videorekorder, Gesellschaftsspiele, Anziehsachen, Rasierklingen, aber auch Silberbestecke, Modeschmuck, Bücher, dazwischen Reibekuchen, Bratwürste und Süßigkeiten.

Im Kopf war er alle denkbaren Möglichkeiten durchgegangen: Was würde er gleich antreffen? Sollte er die beiden Tütenmänner sehen, welchem seltsamen Schauspiel würde er beiwohnen? Oder konnte er zwei Killern dabei zusehen, wie sie sich gegenseitig über den Haufen schossen? Oder wanderten die gleichen Tüten nur von Hand zu Hand, fand also ein Austausch statt? Aber was hatte das alles dann mit toten Großvätern und ebensolchen Gattinnen zu tun? Befanden sich Leichenteile in den Tüten, die transportiert werden sollten?

Mittlerweile war es kurz nach 11 und er hatte noch niemanden mit Tüte und Vase entdeckt. Er schaute sich die Auslage eines Süßigkeitswagens an, drehte sich um, ließ seinen Blick über den Flohmarkt schweifen – und da sah er ihn: einen alten, unscheinbaren Mann in einem schweren, grünen Mantel, der die Last der Welt auf seinen Schultern zu tragen schien und auf dessen kleinem Kopf ein viel zu großer Hut saß.

Der Alte schaute sich hektisch um, drehte eine Runde über den Markt, Friedrichsberg in gebührendem Abstand hinter ihm. Der Alte aß eine Bratwurst mit Senf, drehte eine weitere Runde; dann verließ er den Flohmarkt und machte sich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Dort angekommen schaute sich der Alte zunächst um, warf einen Blick auf den Fahrplan, guckte auf seine Armbanduhr, schaute sich wieder um und setzte sich auf einen der Sitzplätze im Wartehäuschen.

Niemand war ihm gefolgt. Auch keine blaue Plastiktüte mit Vase.

Nur Alfons Friedrichsberg. Der nahm neben ihm auf einem der Sitzplätze Platz und schnaufte laut.

»Na, sagen Sie mal, Sie haben ja ein ordentliches Tempo drauf, Respekt.«

Der Alte schaute irritiert auf. »Wieso? Sind Sie mir gefolgt?«

»Das bin ich«, nickte Friedrichsberg. »Und wenn man es genau nehmen will, ich tue das schon seit fünf Wochen.« Friedrichsberg kramte aus seiner Manteltasche eine Zigarre hervor, roch daran, steckte sie sich in den Mund, holte Streichhölzer hervor, setzte sie in Brand und paffte genussvoll.

»Sie haben doch nichts dagegen …« Friedrichsberg wedelte mit der Zigarre vor der Nase des Alten herum.

»Ich bin Asthmatiker«, hustete der.

»Na, immer noch besser als Veganer. Dann atmen Sie mal bitte hübsch an meiner Zigarre vorbei, sonst werden Sie das hier ja wohl nicht überleben, oder?«

Der Alte schüttelte den Kopf: »Was wollen Sie überhaupt von mir? Und wer sind Sie?«

»Zunächst einmal das Biographische: Mein Name ist Alfons Friedrichsberg. Das sollte genügen. Mehr weiß ich über mich manchmal auch nicht. Und zu dem Grund, warum ich Sie hier so salopp anquatsche: Toten Opa zu vertrödeln. Im Gegenzug Interesse an verstorbener Frau. Na, klingelt’s?«

Der Alte schaute ihn nur verdutzt an.

»Also eigentlich dürfte es bei Ihnen nicht klingeln. Bei Ihnen müsste es schon scheppern.«

Eine Straßenbahn kam. Leute stiegen aus, andere stiegen ein, die Türen schlossen sich wieder, die Bahn fuhr davon.

Der Alte schwieg eine ganze Weile. Derweil paffte Friedrichsberg zurückgelehnt seine Zigarre.

»Ich sitze hier neben Ihnen, weil ich in der Zeitung über Ihr Inserat gestolpert bin. Ich habe dann die knappe Korrespondenz verfolgen dürfen und war brennend daran interessiert, wer hinter toten Opas, Eheweibern und blauen Tüten nebst Vasen steckt. Und da ich auf dem Flohmarkt grad eben ganz zu meinem Leidwesen nicht Zeuge eines Übernhaufenschießens oder sonst einer Tätigkeit – und sei es nur eine schnöde Übergabe – geworden bin, dachte ich mir, ich folge Ihnen mal und biete ein Gespräch an. Und an diesem Punkt sind wir beide gerade.«

»Hat Lothar Sie geschickt?«

»Was denn für ein Lothar? Ich kenne noch nicht einmal einen Lothar. Und wenn Sie mir noch mal mit Ihrem Lothar kommen, dann trete ich Ihnen vors Schienbein.«

»Das ist aber schmerzhaft.«

»Deswegen drohe ich Ihnen ja auch damit. So. Ich habe genug geplaudert. Jetzt sind Sie dran. Und wenn Sie mir nicht bald berichten, worum es hier eigentlich geht, dann schleppe ich Sie in eine Raucherkneipe. Da werden Sie ganz schnell gesprächig, das kann ich Ihnen aber flüstern.«

Der Alte schwieg wieder eine Weile, dann nickte er. »Ich weiß zwar nicht, warum ich Ihnen das alles erzählen soll, aber gut. Haben Sie Zeit mitgebracht?«

»Solange die Zigarre hält.«

»Das ist eine lange Geschichte und sie geht vierzig Jahre in die Vergangenheit zurück.«

Friedrichsberg besah sich kritisch das glimmende Ende seiner Zigarre. »Nun, so viel Zeit habe ich nicht, sputen Sie sich also.«

»Ich werde mich kurz fassen. Ich heiße Karl Hofgarten. Ich bin Beamter. Beim Finanzamt. Ich war 26 Jahre verheiratet. Dann ist meine Frau gestorben. Wir haben keine Kinder. Freunde habe ich auch nicht wirklich. Ich bin alles in allem eine unscheinbare, graue Existenz. Und ich lebe seit vielen Jahren alleine. In einer viel zu großen Villa. Und das ist auch ein wichtiger Aspekt in meiner Geschichte.« Er machte eine lange Pause, so, als müsste er sich noch mal überlegen, was er wie erzählen sollte; Friedrichsberg ruderte mit den Armen, um sein Nebenan zum Erzählen aufzumuntern. »Nun gut. Also … Ich fasse mich kurz. Der Ursprung der ganzen Geschichte liegt jetzt ungefähr vierzig Jahre zurück, ich war damals Mitte dreißig. Verbeamtet, verheiratet, Kegelclub, kleine Wohnung, ein paar Freunde, Skatrunden, das Übliche. Und ich war unzufrieden. Hatte wohl so was Ähnliches wie eine Krise. Meine Frau arbeitete halbtags in einem Steuerbüro, machte den Haushalt. Ich wollte nicht wahrhaben, dass das schon alles gewesen sein sollte. Eigentlich hatte ich gar keinen Grund, mich zu beschweren. Aber ich tat es. Ich war glücklich mit meiner Frau, aber ich hatte wohl die Angst, dass ich … dass wir im Alltag untergehen könnten. Ich träumte zum Beispiel von einer Villa. Ich wollte immer, schon als Kind, in einer großen Villa leben mit großem Grundstück, viel Rasen, Blumen, Bäumen. Mein Vater war einfacher Handwerker gewesen, meine Mutter Hausfrau. Wir hatten nichts. Ich wollte, dass es mir besser gehen sollte. Eines Tages las ich auf der Arbeit in der Mittagspause die Tageszeitung und da stand, ganz klein und schmal gesetzt, ein Inserat: Villa zu verschenken. Entsorgung störrischen Inhalts Voraussetzung. Ich dachte, ich sehe nicht recht. Ich war perplex.«

»Und haben sich auf das Inserat hin gemeldet«, schloss Friedrichsberg.

Karl Hofgarten nickte. »Genau so war es. Ich dachte, der meint Ungeziefer, Mäuse, Parasiten… Ich habe mich dann mit dem Inserenten getroffen. Ein paar Tage später. Abends in einer Kneipe. Und der wollte, dass ich ihm seine Frau umbringe. Der war der absoluten Überzeugung, dass das ein guter Plan sei: Ein Fremder, der in keinem Verhältnis zum Opfer steht, begeht die Tat. Wenn er sich bei der Durchführung des Mordes geschickt genug anstellt und keine Spuren hinterlässt, wird die Polizei nie auf den Täter kommen.«

»Und da Sie sich beide nicht kannten, sollten Sie diesen Mord begehen?«

»Genau so sollte es sein. Ich sollte seine Frau erschießen.«

Friedrichsberg paffte vor sich hin. »Und im Gegenzug sollten Sie seine Villa bekommen.«

»So war es. Der Mann, dessen Frau ich töten sollte, hieß oder heißt Lothar Eggert. Und Eggert bewohnte mit seiner Frau eine luxuriöse Villa in einem gediegenen Vorort dieser Stadt. Aber Eggert wollte dieses Leben nicht mehr. Er hatte eine Geliebte und wollte mit ihr über alle Berge. Und da war ihm die Gattin halt im Wege. Denn Eggerts Frau hatte von Haus aus Geld an den Füßen, er war ein armer Habenichts, und deshalb kam für ihn eine reguläre Scheidung auch nicht infrage. Zu seinem Unglück hatten er und seine Frau bei der Hochzeit eine Gütertrennung vereinbart und ihm nur die Villa zugeschrieben sowie ein fürstliches Taschengeld und ein paar Spielzeuge: Autos, Boote und haste-nicht-gesehen …«

»Eigentlich doch ganz nett, so eine Frau hätte ich auch ganz gerne!«, grinste Friedrichsberg.

»Er aber nicht! Also dachte er, es sei die beste Idee, jemanden mit der Beseitigung seiner Frau zu beauftragen und sich selbst für den Tatzeitraum ein hieb- und stichfestes Alibi zu verschaffen. Das hätte er auch an dem geplanten Tatabend geschafft: Er war mit den Honoratioren der Stadt im Theater, Opernpremiere mit anschließendem geselligem Beisammensein. Die Feier ging bis kurz nach Mitternacht. Bis dahin hatte ich vier Stunden Zeit, seine Frau zu erschießen.«

»Und wie haben Sie das angestellt?«

»Das war ein Mittwochabend, ich werde das nicht vergessen. Mittwochs ging sie immer zum Sport, von sieben bis neun. Sie war zu Fuß unterwegs und ging nach dem Sport alleine nach Hause. Und auf diesem Weg sollte ich sie abpassen und erschießen.«

»Gestatten Sie mir eine Zwischenfrage: Finanzbeamte sind in diesem Land ja noch nicht von Staats wegen mit einer Wumme ausgerüstet … Wo hatten Sie die her? Auch per Inserat gefunden?«

»Quatsch, von Eggert persönlich. Er hatte mir bei unserem ersten Treffen die Waffe zugesteckt und gesagt, dass es damit passieren solle. Er brauche die Waffe auch nicht zurück, ich könne sie behalten oder wegwerfen.«

»Haben Sie sie weggeworfen?«

»Nein. Ich habe sie immer noch. Ich wusste auch nicht, wie ich sie am besten für immer verschwinden lassen sollte. Ich habe damit ja auch niemanden umgebracht.«

Friedrichsberg spitzte die Lippen. »Wie bitte? Ich dachte …«

»Sie dachten doch nicht allen Ernstes, dass Sie neben einem Mörder sitzen.«

»Zwischenzeitlich …, doch. So etwas hatte ich vermutet.«

Hofgarten lachte auf und winkte ab. »Nein, nein, ganz so lief es dann doch nicht.«

»Das wird ja immer besser. Na, dann erzählen Sie mal.« Friedrichsberg rieb sich die Hände.

»Ich sah die Frau von Eggert vom Sport kommen, ich bin ihr auch gefolgt. Sie bemerkte mich irgendwann, lief etwas schneller, ich wurde auch schneller, aber dann blieb sie plötzlich abrupt stehen, drehte sich zu mir um und fragte mich, was ich von ihr wolle. Ich war perplex, damit hatte ich nicht gerechnet. Und so groß meine Gewissenbisse, so groß mein Zögern und Zaudern vorher auch waren, jetzt, hier im Angesicht meines potenziellen Opfers wusste ich, dass ich sie nie und nimmer hätte töten können.«

»Ja, und dann? Sie standen sich da auf der Straße gegenüber. Haben Sie das Weite gesucht?«

Hofgarten schüttelte den Kopf: »Nein, ich habe mit ihr geredet.«

»Sie haben was?!«

»Wir sind in eine Kneipe gegangen und dann habe ich ihr erzählt, dass ihr Mann mich beauftragt hat, sie umzubringen.«

»Aha.«

»Sie war entsetzt. Aber auch begeistert.«

Friedrichsberg zog die Augenbrauen hoch. »Wieso das denn?«

»Der Vater von Frau Eggert war einige Monate vorher gestorben. Anscheinend ein scheußlicher Jagdunfall. Von dem waren nur Reste übrig geblieben. Na ja, der hatte ein großes Unternehmen geführt, aber die Geschäfte liefen die letzten Jahre nicht mehr gut, eher schon katastrophal, und die Firma war hochverschuldet. Sie hatte das Erbe aber schon angenommen, und so fielen jetzt die Schulden auf sie. Frau Eggert war also finanziell ruiniert.«

»Und sie war von der Idee ihres theoretischen Todes begeistert, weil sie damit ihren ungeliebten Mann, von dessen zahllosen Affären sie – wie ich annehme – wusste, und auch ihre Schulden los gewesen wäre und ebenfalls neu irgendwo anders hätte anfangen können.«

»Sie haben’s auf den Punkt genau getroffen.«

»Wie ging die Geschichte denn jetzt weiter?«, wollte Friedrichsberg an seinem Zigarrenstumpen vorbei wissen.

»Frau Eggert und ich fassten einen Plan. Herr Eggert kam nachts nach Hause und war natürlich geschockt, dass seine Frau im Bett lag. Lebend. Am nächsten Morgen erzählte sie ihm, dass sie sich unwohl gefühlt habe am Abend vorher und deswegen nicht zum Sport gegangen sei. Von der Arbeit aus rief Eggert dann mich an. Ich sagte ihm, dass ich beim Sportzentrum war, aber nirgends seine Frau entdeckt hätte. Eggert war unruhig, das merkte ich sofort. Er wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er schlug ein Treffen in der kommenden Nacht vor. Um 23.30 Uhr im Stadtwald, auf einer Lichtung, wo früher ab und an Waldgottesdienste stattgefunden hatten. Und da bin ich dann nachts um Viertel nach elf hin. Die beiden Eggerts waren noch nicht da, die kamen erst um kurz nach halb zwölf. Und Frau Eggert spielte ihre Rolle gut. Die der Panischen, die nicht weiß, was mit ihr geschehen soll und die voller Todesangst ist. Ich stand also da mit Frau Eggert. Lothar entfernte sich, ich denke, so etwas über zwanzig Meter, vielleicht auch dreißig, keine Ahnung. Ich nickte Frau Eggert beruhigend zu. Ich bedeutete ihr irgendwann, auf die Knie zu gehen, was sie dann auch tat. Ich zog mir dünne Lederhandschuhe über, holte die Pistole hervor, die ich von Eggert bekommen hatte und zielte auf Frau Eggerts Kopf. Herr Friedrichsberg, Sie können mir glauben, so schlecht ist es mir noch nie in meinem Leben gegangen. Vorher und hinterher nicht. Ich hätte mich am liebsten übergeben. Mir zitterten die Beine, auch meinen ausgestreckten Arm, in dem ich die Waffe hielt, konnte ich nicht mehr ruhig halten. Und dann schoss ich von oben herab in Richtung Frau Eggert. Aber einen guten Meter daneben. Der Schuss peitschte in die Stille der Nacht, die Kugel ging in den Waldboden, Frau Eggert sackte in sich zusammen.«

»Und was machte Herr Eggert?«

»Der hatte sich, bevor ich in ihre Richtung geschossen habe, umgedreht und haute dann ab.«

»Und Sie?«

»Ich blieb noch eine Weile so stehen, wartete etwas. Ich schätze mal, so zwanzig Minuten. Dann gab ich Frau Eggert zu verstehen, sie könne gleich aufstehen. Für sie konnte jetzt ein neues Leben beginnen. Dann bin ich gegangen.«

»Nicht schlecht. Und Eggert?«

»Von dem hörte ich eine Weile lang nichts. Dann nahm er zu mir Kontakt auf, zum einen, weil er nichts von der Polizei gehört hatte. Ich teilte ihm mit, dass ich seine Frau in eine Plastikplane gewickelt, mit Steinen beschwert und sie dann in einem nahe gelegenen See versenkt hätte. Ein paar Tage später fand die Schenkung des Hauses statt, seitdem lebe ich darin.«

Der Dicke nickte langsam. »Und was ist mit Eggert?«

»Der ist mit seiner Geliebten weg. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.«

»Dann ist doch alles paletti.« Friedrichsberg verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben keinen Mord begangen und leben in Ihrem Kindertraum, vielleicht ein bisschen einsam, dafür aber mit Gras, Blumen und Bäumen …«

Hofgarten unterbrach ihn. »Ja, soweit so gut, aber letztens fügte sich der Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu.«

»Die Eggerts tauchten wieder auf?« Friedrichsberg zog die Augenbrauen hoch.

»Nicht ganz.«

»Wie geht denn: nur halb?«

»Jetzt warten Sie doch ab! Ich hatte einen Rohrbruch, und als ich das Wasser deswegen abstellen wollte, habe ich im Keller einen Verschlag entdeckt, der mir noch nie aufgefallen war. Allerdings hatte ich bis dahin auch nie einen Grund, in den Versorgungsschacht zu klettern. Jedenfalls habe ich den Verschlag geöffnet.«

»Und was war dahinter?«

»Vergessene Konservenbüchsen, teilweise mit Obst, einige mit Gurken …« Hofgarten brauchte einen Moment, dann sprach er langsam weiter: »Und ein menschliches Skelett in vollem Jägerornat. Sie können sich kaum vorstellen, wie ich erschreckt bin.«

»Ja, kein schlechtes Überraschungsei«, nickte Friedrichsberg. »Und? Das ist jetzt der Tote, für den Sie ein Entrümplungsunternehmen suchen? Aber warum gehen Sie damit nicht zur Polizei, Sie haben sich doch nichts vorzuwerfen, oder?«

»Eigentlich nicht. Aber dann bin ich darauf gekommen, dass man mir hier wohl etwas in die Schuhe schieben wollte.«

»Hm … wie denn das?«

»Bei dem Toten lag ein Portemonnaie mit all seinen Papieren drin.«

Friedrichsberg war neugierig. »Und?«

»Das ist der alte Eggert. Also der Vater von Frau Gisela Eggert. Lothar hatte den Namen seiner Frau angenommen. Was ich eben vergessen hatte zu erwähnen …« Hofgarten räusperte sich. »Bevor die Eggert erben konnte oder musste, je nachdem wie man es betrachtet, war ihr Vater erst eine Zeit lang verschwunden. Sein Alter war weit über achtzig, aber immer noch passionierter Jäger. Und von einem seiner Jagdausflüge ist er nicht zurückgekehrt. Hut, Mantel, Gewehr, Reste seines Proviants und eine Menge Blut hat man neben seinem Hochstand gefunden und alles war von Wildschweinen zerwühlt … Das war der vorhin erwähnte scheußliche Jagdunfall, der gar keiner war.«

»Alles nur eine Inszenierung?«

»Richtig. Drei Monate hat die Staatsanwaltschaft gewartet und ihn dann für tot erklärt.«

Friedrichsberg strahlte übers ganze Gesicht. »Man dachte also, eine Rotte Sauen hätte ihn sich geholt …«

»So was in der Art.«

»Aber in Wirklichkeit lag er erschossen in dem Verschlag. Tod unter Gurken. Hm … Eine interessante Geschichte.« Mittlerweile war Friedrichsbergs Zigarre zu ihrem Ende gekommen, er legte sie beiseite und strich sich über den Schnurrbart. »Lothar Eggert dezimiert sein Umfeld, holt zu dieser Umsetzung noch Sie mit ins Boot und überlässt Ihnen dafür die Villa samt des ermordeten Patriarchen …«

»Stimmt.«

»Von wem hatten Sie die Waffe zur Ermordung von Frau Eggert noch mal?«

»Von Lothar …«

Friedrichsberg spitzte die Lippen. »Haben Sie immer schön Handschuhe getragen, wenn Sie die Waffe angefasst haben?«

»Selbstverständlich.«

»Haben Sie an der Leiche im Keller ein Einschussloch entdeckt?«

»Ja. Ein fünfmarkstückgroßes Loch im Schädel …«

»Und das in Eurozeiten … Für die Staatsanwaltschaft sind Sie der prädestinierte Doppelmörder: Erst bringen Sie den Alten um, dann seine Tochter und zu guter Letzt sitzen Sie gemütlich in deren Erbe! Das Ganze ist doch recht geschickt eingefädelt.« Friedrichsberg musste laut auflachen.

»Deshalb habe ich doch das Inserat aufgegeben! Ich wollte Eggert aufstören und ihn damit konfrontieren, dass seine angeblich verstorbene Frau gar nicht tot ist. Und somit sein perfider Plan gescheitert ist!«

Friedrichsberg erhob sich schwerfällig und streckte seinen dicken Bauch raus. »Und tatsächlich meldet sich Eggert auf Ihr Inserat, erscheint aber nicht auf dem Trödel … Jedenfalls nicht so, dass wir ihn hätten entdecken können.«

»Und was machen wir jetzt?«

Alfons Friedrichsberg schaute in den Himmel hinauf und seufzte. »Wir machen nichts. Weil es gar kein wir gibt! Nur ein Sie und ein ich. Sie warten hier offensichtlich auf die Straßenbahn. Und ich geh nach Hause. Schließlich kenne ich jetzt die Geschichte, und mehr interessiert mich nicht.«

»Aber … aber ich meine … Sie können mich doch nicht alleine lassen mit alldem …«

»Ihnen geht die Muffe, was? Hätten den Toten besser einfach ruhen lassen …«

»Mit einer Leiche im Haus, das halte ich einfach nicht aus!«

»Sie hätten einfach zur Polizei gehen und denen die Geschichte erzählen sollen. Nach einer Weile Untersuchungshaft wären die schon drauf gekommen, dass etwas Wahres an Ihrer Geschichte ist …« Der Dicke winkte ab.

»Das Risiko kann ich nicht eingehen. Bei der dünnen Personaldecke bei Polizei und Gericht kann so was auch leicht mal ein paar Jahre dauern. Und wenn Eggert untergetaucht ist, nehmen die am Ende lieber mich, als gar keinen Täter präsentieren zu können. Der lieben Aufklärungsstatistik wegen.«

»Ich sehe, ein Mann mit Amtserfahrung!« Friedrichsberg beugte sich zu dem verzweifelnden Hofgarten hinunter. »Aber soll ich Ihnen was sagen: Wenn Lothar Eggert Kontakt zu Ihnen aufgenommen hat, dann hat er Angst, dass Sie ihm vielleicht doch was ans Leder flicken könnten … Und aus dem Wald wissen wir, das angeschossene Keiler die gefährlichsten sind.«

»Was meinen Sie?«

»Nur ’ne Metapher, kam mir wegen dem alten Eggert in den Sinn. Vielleicht gibt’s ja noch eine interessante Wendung in dem Fall.«

»Ich verstehe gar nichts mehr.«

»Ich hab’s mir gerade anders überlegt: Es gibt doch ein ›wir‹! Und dieses ›wir‹ fährt jetzt gemeinsam zu Ihrer Villa und dann schau ich mich da mal um … Nur noch eine Frage: Haben Sie Kontakt zu Frau Eggert?«

Hofgarten nickte langsam. »Wir schreiben uns Weihnachtskarten, und ich habe eine Telefonnummer für den Notfall von ihr …«

»Und den haben wir jetzt!«

»Wen?«

»Den Notfall! Sie sollten sie dringend gleich mal anrufen.«

Als sie an der ehemaligen Eggertschen Villa ankamen, war es bereits dunkel geworden. Ein kalter Wind pfiff um das Gemäuer. Das kleine Männlein in dem zu großen Mantel schloss das mächtige Eingangsportal auf. Es trat vor in die großzügige Eingangshalle, um das Licht einzuschalten, Friedrichsberg wartete geduldig auf den Außenstufen und schaute sich, an einer Zigarre paffend, ein bisschen um.

Hofgarten wollte gerade aus seinem Mantel, als er eine ihm vertraute Stimme hörte: »Einen schönen guten Abend, Karl!«

Ein Mann mit einem gezückten Revolver saß in einem Sessel in der Eingangshalle und richtete ihn auf sein Gegenüber.

Hofgarten lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Lothar, du?! Was soll das? Nimm die Waffe runter!«

Lothar Eggert verzog sein Gesicht zu einem kalten Lächeln. »Was das soll, sollte ich eher dich fragen! Es war doch alles so schön eingerichtet, warum musstest du diese himmlische Ruhe stören?«

»Weil man mit Toten im Haus so schlecht schläft!«

Der Dicke hatte sich aus dem Dunkel gelöst und war nun ebenfalls in die hell erleuchtete Eingangshalle getreten.

»Wer zum Teufel sind Sie?« Lothar Eggert hatte sich aus dem Sessel erhoben und war einen Schritt auf die beiden Neuankömmlinge zugegangen.

»Alfons Friedrichsberg, Geschichtensammler …«

»Dann haben Sie sich offensichtlich gerade in die falsche verirrt!«

»Wie bist du hier reingekommen?«, wollte Hofgarten wissen.

»Du Geizhals hast ja nie die Schlösser auswechseln lassen! Ich habe von Zeit zu Zeit mal vorbeigeschaut, ob du auch nicht auf dumme Gedanken kommst. Und dann kam mir die Idee, dich auf den Flohmarkt zu locken, um dir hier eine kleine Überraschung zu bereiten … Konnte ja nicht ahnen, dass du auf deine alten Tage noch so gesellig wirst und wen mitbringst … Aber ich lasse mir durch niemanden meine neue Existenz ruinieren!« Mit diesen Worten richtete Eggert seinen Revolver auf den Dicken. »Schade für Sie, Herr Friedrichsberg, das wird wohl Ihre letzte Geschichte sein …«

»Da wäre ich mir nicht so sicher, Lothar!«

Blitzartig fuhr Eggerts Blick zur Türe. »Gisela?!«

In die Eingangshalle schritt nun mit sicherem Gang Gisela Eggert. Was ihren Ex-Mann Lothar erbleichen ließ wie Kalksandstein.

»Das … das … das ist nicht … das ist unmöglich!«, stotterte er. »Das kann nicht wahr sein!«

»Doch, das ist möglich und überaus wahr!« Die Überraschung war gelungen; Friedrichsberg paffte zufrieden an seiner Zigarre.

Eggert hatte seinen Schock nicht überwunden, er sank in seinen Sessel zurück. »Aber das gibt es nicht! Gisela, du bist doch tot! Tot! Seit vierzig Jahren bist du tot!«

Die angeblich tote Gattin schritt langsam auf ihn zu. »Du dreckiger, schäbiger, kleiner Mörder! Ich habe all die Jahre gedacht, dass mit dem Jagdunfall etwas nicht stimmt. Aber so was … Damit kommst du nicht durch. Du hast Papa ermordet und mich wolltest du auch umbringen!«

»Aber … aber ich hab doch … Ich habe doch gesehen wie du, Karl, damals … meine Frau … ich hab das doch gesehen! Ich war doch dabei!« Eggert schaute ungläubig abwechselnd Hofgarten und Gisela an.

»Wenn ich mich vielleicht an dieser Stelle einbringen darf …«, nahm jetzt Friedrichsberg das Steuer in die Hand. »Sie haben nur das gesehen, was Sie sehen wollten und sollten.« Er lachte auf. »Erlauben Sie mir zu bemerken, Sie haben ziemlich schlechte Karten. Wir haben hier den, den Sie beauftragt haben, Ihre Frau umzubringen, wir haben Ihre eigentlich tote Frau, die das bestätigen kann, wir haben Ihren toten Schwiegervater, und wir haben jetzt die Waffe mit Ihren Fingerabdrücken drauf, mit der Sie Ihren Schwiegervater damals erschossen haben. Also ich an Ihrer Stelle wäre jetzt verzweifelt. Aber das nur ganz nebenbei.«

Eggert schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie nicht, dass ich besagte Waffe gerade auf Sie gerichtet habe. An Ihrer Stelle wäre ich jetzt verzweifelter als ich, auch das nur ganz nebenbei!«

Plötzlich sprang Gisela Eggert auf ihren Ex-Mann zu, der reflexartig aus seinem Sessel hochschrak. Gisela packte ihm mit der Rechten an die Gurgel, mit der Linken umklammerte sie den Lauf seines Revolvers.

»Gisela! Lass los!«, brachte Eggert hervor.

Und Gisela Eggert schrie ihn hysterisch an: »Du hast Papa umgebracht!«

Die beiden Ex-Eheleute rangen so heftig miteinander, als läge ihre Trennung nicht schon Dekaden zurück. Und ehe Friedrichsberg eingreifen konnte, war es auch schon passiert. Ein Schuss hatte sich in dem wilden Tumult gelöst. Die beiden Eheleute hielten abrupt inne, schauten sich – Nasenspitze an Nasenspitze – aus weit aufgerissenen Augen an. Dann sank Lothar Eggert langsam in sich zusammen, während seine Frau noch den rauchenden Revolver in der zitternden Hand hielt.

Sie schaute auf ihn herab. »So, du Scheusal, das ist für Papa!«

»Tochterliebe! Ewig traulich auch nach vierzig Jahren …« Friedrichsberg schmatzte auf.

Karl Hofgarten stand überfordert in der Szene, vor ihm ein frisch erschossener Lothar Eggert, davor Ex-Gisela, daneben ein dicker Friedrichsberg. »Noch ’ne Leiche … Du meine Güte, was machen wir jetzt?!«, stotterte Hofgarten.

Friedrichsberg kratzte sich den Haarkranz. »Das ist nicht mehr mein Problem: Eine Tote, die einen Mörder umbringt, der einem verhinderten Auftragskiller einen Mord in die Schuhe schieben will, den der Tote vor vierzig Jahren selbst verübt hat? Das sind Familienangelegenheiten, in die ich mich nicht einmischen möchte. Aber wenn Sie einen Tipp von mir haben wollen, Karl, dann ziehen Sie lieber wieder zurück in eine Etagenwohnung, solche Gemäuer wie hier beherbergen doch immer böse Überraschungen.«

Unbemerkt war Frau Eggert wieder in die Nacht hinausgeschlüpft. Wahrscheinlich würde Gisela Eggert Karl keine weiteren Weihnachtskarten mehr schreiben, die Telefonnummer wohl auch bald löschen und somit verschwunden bleiben.

»Und was soll ich jetzt machen?«, wollte Karl Hofgarten von Alfons Friedrichsberg wissen.

Der Dicke nickte zufrieden. »An Ihrer Stelle würde ich weiter in der Villa leben. Und den toten Eggert zu dem Schwiegerpapa packen und mich daran gewöhnen, fortan mit zwei Toten im Haus zu leben. Aber Tote sind ja eigentlich auch eher stille Nachbarn!«

LEICHE IN BETON

Es scheiterte alles an einer Zahnbrücke.

Es war ein warmer Frühlingstag, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten. Vor dem Fenster standen zwei Streifenwagen, eine dunkle Limousine und ein Krankenwagen. Blaulicht flackerte an den Fassaden hoch. Alfons Friedrichsberg lehnte sich weit aus dem Fenster und betrachtete mit einer Zigarre im Mund die Szene.

Seit sechs Wochen wurde der gegenüberliegende Eckblock abgerissen. Das bedeutete Baustellenlärm, Pressluftbohrer, Bagger, Abrissbirne – alles in allem eine Geräuschkulisse, auf die man verzichten konnte.

Neben Friedrichsberg stand sein alter Freund Willi Dahl und rief: »Ich halte das nicht mehr aus! Dieser Lärm! Ich könnte die alle erschlagen!« Es war seine Wohnung, in der sie sich gerade aufhielten. »Mit dem Spaten könnt ich denen allen den Schädel einschlagen! Und wenn sie fragen, warum, gleich noch mal nachschlagen! Das ist doch kein Leben! Seit sechs Wochen geht das so! Und das ist erst der Abriss! Warte mal ab, wenn sie das wieder aufbauen. Ich könnte die alle umbringen!« Willi Dahl war während seiner Schimpftirade vom Fenster weggetreten, in seinem Wohnzimmer auf und ab gelaufen, hatte die ganze Zeit wild mit den Armen gestikuliert und sich dabei in Rage geredet.

Alfons Friedrichsberg stand daneben, hielt die Hände in den Taschen, eine Zigarre im Mund, und betrachtete sich das Schauspiel: Neben ihm in der Wohnung und unten auf der Straße. Er nahm den Zigarrenstumpen aus dem Mund und deutete damit nach unten: »Und was suchen jetzt die Bullen hier?«

»Weiß ich nicht.«

»Hast du etwa doch so einen Baustellenlümmel mit dem Spaten erschlagen?« Der Dicke grinste diabolisch. »Könnt ich dich verpetzen?«

»Du hast sie doch nicht mehr alle.« Dahls Kopf wurde noch eine Spur roter.

»Das stimmt, dankenswerterweise. Schauen wir uns das Ganze mal aus der Nähe an.«

Auf der Straße herrschte hektische Betriebsamkeit: Polizisten in Uniform, in Zivil, Leute in weißen Ganzkörperanzügen – das alles wirkte recht befremdlich.

Die beiden standen nebeneinander, und Dahl sagte: »Was suchen die denn alle hier?«

»Die suchen nicht mehr, die haben schon gefunden, würde ich sagen«, grunzte Friedrichsberg.

Dahl schüttelte den Kopf. »Ich werde wahnsinnig!«

Die beiden schauten – neben einigen anderen stehen gebliebenen Passanten und Nachbarn, die dazugekommen waren – auf eine große Baustelle: Ein vierstöckiges Eckhaus war abgerissen worden, und die Fläche lag nun frei da, eingegrenzt durch einen Bauzaun, vor dem besagte Streifenwagen und Einsatzfahrzeuge standen.

Mitten auf der Freifläche hatte man ein weißes Zelt errichtet, das ab und an weiße Spurensuchmenschen ausspuckte und in dem hin und wieder Polizeibeamte verschwanden.

»Ich würde sagen, sieht ganz danach aus, als hätten die da eine Leiche gefunden«, sagte Friedrichsberg an seiner Zigarre vorbei.

»Wer macht denn so was?!« Dahls Augen hinter den Brillengläsern schienen noch größer als sonst.

Friedrichsberg zuckte nur mit den Schultern.

Eine blaue Latzhose mit gelbem Helm suchte sich ihren Weg durch den Baustellenzaun, schlängelte sich an den Polizisten vorbei und stellte sich neben die beiden Rentner.

»Und?«, stupste ihn Friedrichsberg mit dem Ellenbogen in die Seite. »Wollen Sie sich das ganze Treiben mal von der anderen Seite aus ansehen?«

»Ja, ja, ist doch der Wahnsinn, das alles.«

»Was denn?«

»Wir sind hier seit Wochen mit dem Abriss von der Bruchbude beschäftigt«, sagte die blaue Latzhose. »Das war doch ein recht nüchterner, zweckmäßiger Fünfzigerjahrebau. Aber marode. Komplett marode. Und in einer Wand ein Schwamm. Konnt man nur noch abreißen, das Ding.« Die Latzhose spuckte auf den Bürgersteig.

»Da konnte man nichts mehr renovieren?«

»Die einen sagen so, die anderen sagen so. Ich hätt’s noch mal mit einer Sanierung versucht.«

Friedrichsberg nickte: »Verstehe. Und die anderen sind die Architekten und die Bauherren, die natürlich an so einem neuen Eckbau mehr verdienen als an einer Sanierung.«

»So isses. Aber ist ja nicht meine Hütte. Deswegen …« Die blaue Latzhose nahm den gelben Helm vom Kopf und kratzte sich die fettigen Haare. »War ja schon froh, dass wir da keine Bombe gefunden haben. Das Haus ist ja kurz nach dem Krieg gebaut worden. Hält ja immer auf, so was. Und macht meistens Ärger. Muss man die Nachbarhäuser räumen und auf Bombenspezialisten warten … Nee, das ist nicht meins.«

»Hm … Und sagen Sie mal«, sagte Friedrichsberg, »was macht jetzt die Polizei da?«

»Die?« Die Latzhose spuckte wieder aus. »Die stört.« Jetzt lachte sie dreckig. »Nee, im Ernst, ich sag’s Ihnen, kommen Sie eh nicht drauf. Wir haben das ganze Ding ja abgerissen. Stück für Stück, Mauer für Mauer, Stockwerk für Stockwerk. Und dann kommen wir ins Erdgeschoss, und dann räumen wir erst mal den ganzen Müll und Schutt und so weg, und dann kommen wir in den Keller, wir reißen da alles zusammen und alles weg … Und raten Sie mal, was wir da unterm Kellerboden gefunden haben? Was denken Sie? Unter dem Betonboden vom Keller?«

Friedrichsberg zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich.«

»Raten Sie doch mal. Kommen Sie …«

»Das Bernsteinzimmer?«

Kopfschütteln.

»Eine römische Heizungsanlage?«

Kopfschütteln.

»Knochen? Gleich ein ganzes Skelett? Derlei?«