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Rituell bestattete Opfer und ein Mörder, der uns alle richten wird …
Die fesselnde Thriller-Reihe um Kommissar Erik Lindberg geht weiter
Kommissar Erik Lindberg und sein Team stehen vor einem rätselhaften Fall: Die Leiche einer seit zwei Tagen vermissten Frau wird mit einer Feder auf den Lippen bestattet aufgefunden. Als weitere Frauen auf ähnliche Weise ermordet werden, scheinen die Umstände auf einen religiösen Tathintergrund zu deuten. Dadurch rückt ein bekannter Sektenführer in den Fokus der Ermittlungen, der bereits öffentlich mit dem Jüngsten Gericht gedroht hat. Doch von höchster Stelle werden dem Kommissar weitere Ermittlungen in diese Richtung untersagt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn der St. Martins Tag steht kurz bevor – traditionell bekannt als der Tag der Abrechnung …
Dies ist eine Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Engelsstille.
Weitere Titel dieser Reihe
Tödlicher Schlaf (ISBN: 9783987788901)
Erste Leser:innenstimmen
„Endlich kommt die Fortsetzung und sie ist genau so spannend wie der Vorgänger!“
„Wahnsinnig packend, ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.“
„Mein Thriller-Highlight dieses Jahr!“
„Thomas Kowa weiß genau, wie er den Leser fesselt …“
„Erneut ein unglaublich mitreißender Thriller, der mir einiges abverlangt hat.“
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Seitenzahl: 481
Kommissar Erik Lindberg und sein Team stehen vor einem rätselhaften Fall: Die Leiche einer seit zwei Tagen vermissten Frau wird mit einer Feder auf den Lippen bestattet aufgefunden. Als weitere Frauen auf ähnliche Weise ermordet werden, scheinen die Umstände auf einen religiösen Tathintergrund zu deuten. Dadurch rückt ein bekannter Sektenführer in den Fokus der Ermittlungen, der bereits öffentlich mit dem Jüngsten Gericht gedroht hat. Doch von höchster Stelle werden dem Kommissar weitere Ermittlungen in diese Richtung untersagt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn der St. Martins Tag steht kurz bevor – traditionell bekannt als der Tag der Abrechnung …
Dies ist eine Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Engelsstille.
Überarbeitete Neuausgabe Mai 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-883-3 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-816-1 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-893-2
Dies ist eine Neuausgabe des bereits 2021 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Engelsstille (ISBN: 978-3-96817-963-6).978-3-96087-666978-3-96817-963-978-3-96817-963-6).
Dies ist eine Neuausgabe des bereits 2019 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Erwache nie (ISBN:978-3-96087-666-3 978-3-96087-666-3).
Copyright © 2016, dp DIGITAL PUBLISHERS Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2016 bei dp DIGITAL PUBLISHERS erschienenen Titels Redux (ISBN: 978-3-94529-881-7).
Covergestaltung: Nadine Most unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © MD SAJJAD MOLLAH, © valkoinen, © Sarah2 Lektorat: Daniela Höhne
E-Book-Version 11.06.2024, 19:09:02.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Rituell bestattete Opfer und ein Mörder, der uns alle richten wird … Die fesselnde Thriller-Reihe um Kommissar Erik Lindberg geht weiter
Im Jahr 2010 plante ich mit meiner Frau eine Weltreise, die uns unter anderem mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking führen sollte. Weil wir keine Lust hatten, in den Luxus-Abteilen des Zugs zu fahren, also in der ersten oder zweiten Klasse, fuhren wir in der dritten, eigentlich für Touristen nicht vorgesehenen Klasse. Zum Glück konnte ich das Reisebüro mit meinen Russischkenntnissen überzeugen, so dass sie uns die dritte Klasse trotzdem verkaufte. Denn ich hatte an meiner Schule – dem Carl-Bosch-Gymnasium in Ludwigshafen am Rhein – Russisch gelernt, das damals die einzige Schule in ganz Rheinland-Pfalz war, an der man die Sprache lernen konnte.
Nun war das aber schon ein paar Jahre her und ich hatte beim Ticketkauf ein wenig gepokert. Und weil zum Pokern immer auch ein gutes Blatt gehört, belegte ich zur Auffrischung meiner Russischkenntnisse in Bern einen Volkshochschulkurs. Zur Vorstellung sollte jeder auf Russisch etwas erzählen, wo er herkam und was das Spezielle an seiner Heimat war. Meine Russischlehrerin Irina Gribi erzählte daraufhin, dass sie in Büren an der Aare wohne und dass dort im Mittelalter eine ganz spezielle Totentaufe stattgefunden hatte. Ich glaubte damals erst, ich hätte mal wieder alles falsch verstanden, doch als ich dann zu dem Thema recherchierte, war sofort klar, wovon mein nächstes Buch handeln würde. Und so entstand die Idee zu „Totenrichter“.
Naja, dazwischen lagen drei Veröffentlichungen unter anderen Namen, zuerst „Redux – der letzte Atemzug“, dann „Erwache nie“, schließlich „Engelstille“ und nun als „Todesrichter“. Wie es dazu kam, das steht im Vorwort des ersten Teils der Erik Lindberg Trilogie, der ebenso unter dem Titel „Tödlicher Schlaf“ neu erschienen ist.
Aber weswegen ich die Geschichte erzähle, ist, um zu zeigen, wie wir Autoren auf Ideen kommen. Man lebt einfach, macht vielleicht das, was andere nicht tun und dann passiert es und eine Idee trifft einen, die so stark ist, dass man mit ihr die nächsten Jahre verbringen will. Da hat man es als Leser oder Leserin schon einfacher, nach ein paar Stunden sind Sie damit durch. Ich hoffe, die Geschichte wird Sie trotzdem gut unterhalten und Ihnen so viel Nervenkitzel beschert wie mir beim Schreiben dieses Romans.
Thomas Kowa
Büren an der Aare war im Mittelalter ein Wallfahrtsort für Kindstaufen, hunderte von bestatteten Skeletten auf dem Gelände der ehemaligen Wallfahrtskirche belegen dies noch heute.
Der Limbus – die Vorhölle für ungetaufte Kinder – war jahrhundertelang gelebter Bestandteil der katholischen Kirchenlehre und wurde erst 2007 widerrufen, als „ältere theologische Meinung, die nicht vom kirchlichen Lehramt unterstützt wird“.
1994 hat der BND den Schmuggel von waffenfähigem Plutonium per Linienmaschine nach München organisiert, auch die Fakten zum Fall Tinner wurden soweit dargestellt, wie es der Kenntnisstand nach Vernichtung aller belastender Unterlagen durch den Schweizer Bundesrat heute noch zulässt.
Ebenso haben die geschilderten Anthrax-Attentate im Oktober 2001 stattgefunden – einige Wochen nach 9/11 – wobei der Täter nie zweifelsfrei ermittelt werden konnte.
Weitere historische Gegebenheiten wie das Valentinsmassaker in Straßburg und die Abfolge der Ereignisse um das Erdbeben in Basel 1356 entsprechen ebenfalls dem heutigen Kenntnisstand.
Trotz dieser und weiterer Fakten ist das Buch sowie alle darin auftretende Charaktere pure Fiktion, auch wenn sich Ähnlichkeiten mit lebenden Personen manchmal nicht vermeiden ließen :-).
Mir bleibt jetzt nur noch, gute Unterhaltung zu wünschen, eine Menge Nervenkitzel und hoffentlich auch den einen oder anderen Lacher.
ZAEHRINGEN BEI FREIBURG, 1495
Er sah das Blut und in seinen Augen blitzte Misstrauen auf.
Sie griff nach seiner Hand. „Ich bin nicht verflucht.“
Er zog seine Hand weg, musterte die roten Flecken auf dem Waldboden. Er biss sich auf die Lippe, sein Blick wanderte höher zu ihren blutverschmierten Ledersandalen, ihren Knöcheln, dem Rock. Das Neugeborene hingegen schaute er nicht an. „Wir müssen weiter“, sagte er und ließ sie stehen.
Selma legte ihre Hand auf die Stirn des Säuglings. Sein Kopf fühlte sich fiebrig heiß an. Die Wolldecke, die den kleinen Körper umschloss, schimmerte schweißnass. Selma öffnete die Decke ein wenig, sprach ein Stoßgebet und folgte ihrem Mann den Hang hinauf. Die Kälte schnitt in ihre Sandalen. „Wie weit ist es noch bis zum Priester?“, fragte sie.
Bartholomä deutete auf ein Gehöft abseits des Weges. „Das Haus des Baders liegt auf dem Weg.“
Sie drückte den Säugling näher an sich und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Er wird uns nicht mehr helfen können.“
Bartholomä lief schneller. „Der Bader hat schon manches Wunder vollbracht.“
„Wir haben kein Geld.“
Er wartete auf sie, doch er nahm sie nicht in den Arm.
„Ich spüre es“, flüsterte sie, als sei verboten, was sie aussprach. „Er gibt auf.“
„Er darf nicht sterben!“ Bartholomä richtete seinen Blick gen Himmel. „Nicht bevor er getauft wurde. Sie würden unser Hab und Gut verbrennen, uns aus dem Dorf jagen. Wenn sie uns nicht gleich töten.“
„Ich habe alles genauso gemacht, wie die Hebamme es mir aufgetragen hat.“
„Ich weiß“, sagt er, doch er lief weiter.
Eine Träne kullerte ihre Backe hinunter, benetzte ihre trockenen Lippen und fiel hinab auf den eiskalten Boden. Sie atmete tief ein, schaute nach vorn und stapfte ihm hinterher.
Endlich erreichten sie die Anhöhe. Bartholomä atmete nicht einmal durch, sondern eilte den Weg nach Freiburg hinab.
Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und folgte ihm. So wie sie es immer getan hatte.
An der Abzweigung zum Haus des Baders blieb Bartholomä stehen und wartete auf sie. Mit tränenüberströmten Augen bedeutete sie ihm, weiterzugehen.
Nach quälend langen Minuten erblickte sie endlich die Silhouette des Kirchturms. Im Dunkel des Morgens wirkte er unheimlich, fast geisterhaft.
Sie musste rennen, um mit ihrem Mann Schritt zu halten. Bartholomä erreichte die Kirche, lief zum Eingang des Pfarrhauses und schlug den Türklopfer auf das Holz.
Noch bevor er dreimal geschlagen hatte, stand Selma neben ihm.
Der Türriegel wurde aufgeschoben und eine Frau lugte durch den Türspalt. Sie trug eine weiße Haube, ihre Augen verrieten Müdigkeit. Und Mitgefühl.
Selma hielt ihr den Säugling hin. „Der Priester muss unseren Erstgeborenen taufen.“
Die Frau nickte, schloss die Eingangstür, ihre Schritte entfernten sich schnell. Selma hörte zwei Stimmen, jemand stapfte zur Tür und riss sie auf.
Der Priester musterte sie wie Eindringlinge und ließ sie nur soweit in sein Heim hinein, dass sie von der Dorfstraße aus nicht mehr zu sehen waren. „Was macht ihr hier um diese Zeit?“ Sein unerbittlicher Blick traf Selma mitten ins Herz.
„Unser Sohn muss getauft werden.“ Selma ging in die Knie, bot ihm den Säugling dar wie ein Opfer.
Der Priester seufzte unwillig, legte seine Hand auf das Kind und betastete dessen Kopf. Er hielt inne, ein, zwei Sekunden. Dann, mit einem Ruck zog er seine Hand fort. „Ihr wagt es?“ Der Priester bekreuzigte sich, seine Augen flammten auf vor Zorn.
„Was ist?“, fragte Bartholomä.
„Hinweg mit euch!“, rief der Priester und drängte sie hinaus auf die Straße. „Seht ihr nicht, dass er schon tot ist?“
Erik Lindberg blickte in den Lauf eines entsicherten Sturmgewehrs. „Aus dem Weg!“, rief der Mann und kam einen Schritt auf ihn zu. „Oder ich knall dich ab!“
Kommissar Lindberg hielt seine Hände in die Höhe. Seine Dienstwaffe lag im Büro, die Schutzweste ebenso; kein Wunder, noch vor einer halben Stunde hatte er im Basler Hirscheneck ein Feierabendbier getrunken und einem alten Schulfreund zugehört, wie toll, frei und abwechslungsreich das Leben als Single war.
Der Schulfreund hatte dabei beinah geweint.
Dann war diese Frau gekommen und hatte Lindberg um Hilfe angefleht. Obwohl er sie nicht kannte, hatte er ihr zugehört.
Und jetzt stand er in ihrer Wohnung vor der Schlafzimmertür und ein Mann richtete ein Sturmgewehr auf ihn. Aus zwei Metern Entfernung. Die Augen des Mannes waren trüb von zu viel Alkohol, von Verzweiflung und Wahnsinn. „Ich will zu meiner Frau und meinem Sohn!“
Lindberg blieb in der Tür stehen. „Ihre Frau hat Angst vor Ihnen.“
„Ich will nur mit ihr reden!“
„Das können Sie, wenn Sie mir Ihre Waffe geben.“
„Du hast mir gar nichts zu befehlen!“ Der Mann machte zwei Schritte auf Lindberg zu und zielte mit diesem verdammten Gewehr direkt auf sein Herz. Eine SIG 550, das übliche Modell der Schweizer Armee, vollautomatisch, 20-Schuss-Magazin. Nahezu jeder ehemalige Schweizer Soldat besaß eines davon, Milizarmee nannte man das. Und die hielt man immer noch für notwendig, denn wie jeder wusste, war die Schweiz ja von so unglaublich vielen Feinden umgeben.
Es war völlig paranoid. Und zog die Wahnsinnigen an wie kostenloses Koks auf einem Züricher Nachtclubklo.
Alle zeigten immer mit dem Finger auf die USA, aber hier, in der kleinen Schweiz starben jedes Jahr über dreihundert Menschen durch Armeewaffen. Und die Polizei durfte die Überreste einsammeln.
So wie die Kollegen ihn einsammeln würden, wenn der Mann abdrückte.
„Ihr wollt sie mir nur wegnehmen!“ Der Mann spuckte auf den Boden. Sein Atem stank nach Korn und Bier. „Du auch!“
„Ich kenne Ihre Frau gar nicht“, entgegnete Lindberg.
„Und warum bist du dann hier?“
„Sie hat mich um Hilfe gebeten. In der Kneipe gegenüber.“
„Und kaum kennst du sie fünf Minuten, riskierst du schon dein Leben für sie?“
Lindberg atmete tief aus. Wie war es soweit gekommen?
Die Frau hatte erzählt, ihr siebenjähriger Sohn habe sich im Bad eingeschlossen, aus Angst vor seinem Vater. Dieser habe schon mehrfach gedroht, sich umzubringen und alle mitzunehmen, doch es sei noch nie so eskaliert wie heute. Er habe sie geschlagen, ihr Handy und Geld abgenommen und sie mit einer Waffe bedroht.
In ihrer Verzweiflung sei sie in die gegenüberliegende Kneipe geflüchtet, habe den Barkeeper gebeten, die Polizei zu rufen und der habe ihr erzählt, dieser Schwarzhaarige am Tisch neben der Garderobe sei Kriminalkommissar.
Und so war sie zu Lindberg gekommen und er hatte sie in ihre Wohnung begleitet. Dort hatte er jeden Raum überprüft und dann den Jungen und die Frau ins Schlafzimmer geschickt, um das Nötigste zu packen. Plötzlich war dieser Mann aus dem Gartenschuppen gekommen und über die Terrasse ins Wohnzimmer gestürmt. Mit erhobenem Gewehr.
Lindberg hatte sich schützend vor die Schlafzimmertür gestellt. Was hätte er auch tun sollen, ohne Waffe?
Er konnte nur hoffen, dass er den Mann solange aufhalten konnte, bis die Frau und der Junge durch das Fenster geflüchtet waren.
Falls sie das überhaupt taten.
Er sah, wie der Mann zitterte, seinen Finger am Abzug krümmte. „Geh zur Seite!“
„Noch ist es nicht zu spät.“ Lindberg blickte dem Mann direkt in die Augen. „Noch ist nichts geschehen. Ich bin bei der Polizei …“
In dem Moment fiel der Schuss.
Er spaltete Lindbergs Satz in zwei Teile, von dem der zweite nie gesagt werden würde.
Antipas legte den Kopf auf den Kofferraum und lauschte.
Stille.
Sein Atem kondensierte in der kalten Novemberluft.
Nur noch wenige Tage, dann würde niemand mehr atmen.
Er stieg in den Wagen und fuhr los, ohne die Scheinwerfer anzuschalten.
Nichts sollte die Schwärze der Nacht stören. Er mochte sie. Schon als Kind hatte er sich in der Dunkelheit geborgen gefühlt.
Und Antipas mochte die Finsternis erst recht.
Nach wenigen Minuten parkte er den Wagen auf der anderen Seite des Waldes und zog den Zündschlüssel ab. Er holte die Drahtschlaufe aus dem Handschuhfach, eine Spezialkonstruktion, die man mit nur einer Hand zuziehen konnte und so stets die Kontrolle über den Gegner behielt. Er stieg aus dem Auto und lauschte wieder.
Wahrscheinlich war Eva noch bewusstlos.
Er wartete einen Moment, nahm dann den Autoschlüssel und öffnete den Kofferraum.
Evas Füße trafen ihn mit voller Wucht an der Brust. Er geriet ins Wanken, trat einen Schritt zurück und lächelte überlegen. Sie war eine Kämpferin. Selbst mit gefesselten Händen und einem Gaffer-Tape vor dem Mund. Und weil sie eine Kämpferin war, würde er sie retten.
Eva war ein guter Mensch. Er hatte viel von ihr gelernt. Früher.
Jetzt würde sie von ihm lernen.
Ihre hinter dem Rücken gefesselten Hände suchten am Kofferraum nach Orientierung. Er ging einen Schritt auf sie zu. Das Weiß ihrer Augen blitzte in der Dunkelheit auf. Er spannte die Drahtschlaufe zwischen seinen Fingern und beobachtete ihre suchenden Bewegungen.
Jetzt! Mit einem einzigen Handgriff legte er ihr die Schlinge um den Hals und zog zu. Die Drahtschlaufe brannte sich in jene Striemen, die er vor ein paar Stunden hinterlassen hatte. Eva trat erneut nach ihm, doch sie verfehlte ihn. Für ihre Augen war die Dunkelheit ein Feind. „Wenn du dich bewegst, machst du es nur schlimmer“, sagte er. „Du möchtest doch deinen Körper behalten, dort wo du hingehst, oder?“
Sie zerrte an ihren Fesseln.
„Ich will dir nicht wehtun“, flüsterte er. „Ich bringe dich an einen Ort, an dem es keine Schmerzen gibt. Keine Sünde. Und keine Versuchung. Du wirst glücklich sein.“
Sie trat noch verzweifelter um sich.
Er zog die Schlaufe enger zu. „Steh auf!“, befahl er.
Sie röchelte und in ihren Augen erkannte er Tränen.
Er gab dem Draht mehr Spiel. „Steh auf!“, befahl er erneut.
Taumelnd erhob sie sich.
„Und jetzt spring!“
Sie reagierte nicht, blickte ihn angsterfüllt an.
„Dir kann nichts passieren“, sagte er. „Ich bin bei dir.“
Eva wimmerte irgendetwas, das unter dem Gaffer-Tape nicht zu verstehen war.
Er zog fester zu und sie sprang aus dem Kofferraum.
Sie kam mit beiden Beinen auf dem Boden auf, verlor das Gleichgewicht, wollte sich trotz ihrer hinter dem Rücken gefesselten Hände instinktiv abstützen und fiel zur Seite. Ihr Oberkörper prallte auf den Waldboden. Regungslos blieb sie in den Laubblättern liegen.
Er ging in die Hocke und beugte sich über sie. „Eva?“
Ihr Tritt traf ihn dort, wo es wehtut.
Er fiel nach hinten, stützte sich ab, verlor dabei den Draht und fluchte. Sie sprang auf und rannte in die Dunkelheit. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob er den Draht auf und folgte ihr.
Sie rannte so haarscharf an ein paar Bäumen vorbei, dass er sich fragte, ob sie diese in der Dunkelheit sah. Schon bald war er dicht hinter ihr, ihr keuchender Atem ganz nah. Mit einer einzigen Bewegung schwang er die Drahtschlaufe wieder um ihren Hals und zog zu.
Sie riss den Kopf nach hinten, wollte schreien, doch es kam nicht mal ein Röcheln aus ihrer Kehle. Er drängte sie tiefer in den Wald, ließ sie nicht mehr zu Atem kommen.
„Siehst du sie schon?“, fragte er.
Doch sie winselte nur um Gnade.
Er zog ihren Kopf nach oben und zeigte auf ein hölzernes Gebäude wenige Meter vor ihnen. „Das ist meine Kapelle“, erklärte er. „Du darfst sie leider nicht betreten.“ Er verstärkte den Druck auf die Drahtschlaufe. „Noch nicht.“
Sie versuchte sich zu wehren, zerrte panisch mit den Händen an den Handschellen.
Er zog den Draht fester zu, Eva zappelte, sie wollte keuchen, doch sie konnte nicht mal mehr das. Sie zuckte ein letztes Mal und erschlaffte in seinen Armen.
Er zählte bis dreißig und dann erst ließ er von ihr ab.
Er musste ihren Puls nicht überprüfen. Er wusste auch so, dass Eva tot war.
Jetzt musste er sie nur wieder zum Leben erwecken.
Überall war Blut. Auf seinem Gesicht, seinem Hemd, am Boden. Erik Lindberg lehnte mit dem Rücken am Türpfosten, die Beine von sich gestreckt, seine Arme hingen schlaff herab.
Vor ihm lag der nach Korn stinkende Mann, niedergestreckt von den Scharfschützen der Sondereinheit Basilisk. Der Mann bewegte sich nicht mehr.
Lindberg hatte nicht damit gerechnet, dass die Kollegen so schnell eingreifen würden, nur fünfundzwanzig Minuten nachdem der Barkeeper die Polizei angerufen hatte.
Ein Typ in Vollmontur stellte sich vor Lindberg. Der Kommissar fokussierte auf dessen Namensschild. Kübler stand darauf. „Das war ziemlich fahrlässig von Ihnen. Wir hatten gerade unsere Position bezogen.“ Kübler zeigte auf den Mann, der aus dem Bauch und dem linken Unterarm blutete. „Eine Minute später und Sie lägen jetzt an seiner Stelle da.“
Lindberg war sich sicher, dass der Mann ohne sein Eingreifen erst seine Frau und den Jungen getötet hätte und dann sich selbst, aber er schwieg.
„Wie kamen Sie überhaupt dazu, sich da einzumischen, und das auch noch ohne Waffe?“ Kübler schüttelte den Kopf. „Man kann kaum glauben, dass Sie bei der Bundespolizei sind.“
Lindberg blickte auf den Boden. „Danke“, sagte er schließlich, „dass Sie die Frau und den Jungen gerettet haben.“ Er richtete sich auf und torkelte ohne weitere Worte aus dem Haus.
Irgendeiner würde sich schon melden, um seine Aussage aufzunehmen.
Irgendeiner meldete sich immer.
Lindberg ging wieder in das Hirscheneck, sah, dass sein Schulfreund nicht mehr dasaß, nickte dem Barkeeper zu und bestellte noch ein Bier. Er wollte jetzt nicht nach Hause. Er brauchte erst ein wenig Ablenkung.
In die Rehaklinik konnte er auch nicht. Er hatte Paula heute schon besucht und die Ärzte sagten, er dürfe sie nicht überfordern. Und wenn sie schlief, glaubte er immer, sie würde nie mehr aufwachen.
Als die Kneipe endlich schloss, fand er doch noch den Weg nach Hause.
Er legte sich ins Bett und wenn das möglich gewesen wäre, hätte er sich gewundert, dass er direkt einschlief.
Jedenfalls schreckte er erst aus dem Schlaf hoch, als sein Handy klingelte.
Sein Kopf schmerzte, als baue jemand eine Autobahn mittendurch. Er griff nach seiner Jeans, kramte sein Privathandy aus der Hosentasche und blickte auf das Display. Es war schwarz.
Es musste ein dienstlicher Anruf sein. Normalerweise erkannte er das schon am Klingelton. Er holte sein Polizeihandy aus der Jackentasche und nahm das Gespräch an. „Ja?“
„Hi, Erik“. Es war seine Kollegin Mia. „Bist du schon auf dem Weg zur Arbeit?“
„Ich bin grad aufgestanden.“ Lindberg rieb sich die Augen und blickte auf den Wecker. Morgens sechs Uhr dreißig. Definitiv zu früh. „Und ziemlich fertig.“
„Dann musst du allein nach Einsiedeln kommen. Wir fahren jetzt los.“
„Einsiedeln?“
„Ein Mordfall, es wäre wirklich gut, wenn du so schnell wie möglich kommst.“
Lindberg massierte sich den schmerzenden Schädel. „Ich war gestern in einen Amoklauf verwickelt.“
„Was? Bist du verletzt?“
„Nein, nur Kopfweh und Kater.“
„Bist du selbst Amok gelaufen, oder was?“ Sie lachte.
„Nicht wirklich.“ Er räusperte sich. „Ist es so wichtig?“
„Würde ich dich sonst um die Zeit anrufen?“
Er atmete tief durch. „Wo muss ich hin?“
„In den Chlosterwald. Ich schicke dir die genauen Koordinaten per SMS.“
Lindberg legte auf, zog seine Jeans an, griff sich ein frisches Hemd und schob sich eine Sonnenbrille in die schwarzen Haare. Auch wenn er in Basel geboren war, was die Sonne anging, war er Schwede, notfalls konnte er auch ein halbes Jahr ohne sie auskommen. Jedenfalls wenn er einen Kater hatte.
Er ließ seinen Volvo stehen und rief sich ein Taxi. Als Lindberg einstieg, rümpfte der Fahrer missbilligend seine Nase. Lindberg schluckte ein Fisherman’s und rieb sich die Stirn. Gemäß Dienstanweisung hätte er aus Versicherungsgründen erst nach Bern zur Bundespolizei fahren müssen und dann dort in einen Dienstwagen steigen, aber er bezweifelte, dass er in einer Stunde schon wieder fahrtüchtig war. Außerdem hatte Mia ihn gebeten, so schnell wie möglich zu kommen. „Nach Einsiedeln“, sagte er so normal es ihm momentan möglich war.
„Das wird aber nicht günstig“, antwortete der Taxifahrer. „Das liegt ja voll in der Pampa.“
„Deswegen heißt es auch Einsiedeln.“ Ein besserwisserischer Taxifahrer hatte Lindberg gerade noch gefehlt.
Ebenso einer, der an jeder Ampel eine Vollbremsung machte, als wolle er das Taxi einem Belastungstest unterziehen.
Und Lindbergs Magen gleich mit.
Der Kommissar erinnerte sich daran, dass er als Kind vor zwei Dingen Angst gehabt hatte: Erstens auf einen hohen Turm zu steigen und zweitens, mehr als dreißig Minuten mit einem Bus fahren zu müssen. Unweigerlich war ihm dabei schlecht geworden. Mit den Jahren hatte sich Letzteres gelegt, aber momentan fühlte Lindberg sich, als sei er wieder fünf und säße in einem Bus irgendwo zwischen Basel und Bangladesch.
Er schloss die Augen und atmete tief durch.
Das nächste was Lindberg mitbekam war, dass der Fahrer ihn antippte. „Wo müssen wir jetzt hin?“
Lindbergs Kopf schmerzte immer noch und ihm war hundselend. Sie standen vor dem riesigen Portal eines Barock-Klosters. „Sind wir schon in Einsiedeln?“
Der Taxifahrer nickte. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass in dem pompösen Ding nur Einsiedler leben.“
Lindberg holte sein Smartphone heraus und führte den Fahrer am Kloster vorbei zu einem Feldweg und auf diesem in Richtung Wald. Jede Bodenunebenheit schlug Lindberg direkt auf den ohnehin schon strapazierten Magen.
Er schaffte auf dem Feldweg nicht einmal hundert Meter. „Stopp!“, rief er.
Der Taxifahrer hielt an, Lindberg stürzte aus dem Wagen und beugte sich über die Gräser am Wegesrand.
Ich bin wohl der erste Kommissar, der schon vor dem Tatort kotzt. Lindberg wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab, deckte seine Hinterlassenschaft mit Herbstlaub ab, nahm dieses Mal gleich drei Fisherman’s und stieg wieder in das Taxi.
„Zu viel Alkohol ist nicht gut“, erklärte der Taxifahrer, als habe er die Weisheit mit Schaufelbaggern gefressen.
Sie fuhren in den Wald hinein und hielten neben mehreren Streifenwagen, die dort parkten. „Da können Sie ja froh sein, dass Sie nicht selbst gefahren sind“, sagte der Fahrer.
Lindberg antwortete nichts, sondern nickte nur.
Der Mann zeigte auf den Taxameter und bewies, dass er nicht zu viel versprochen hatte. Kein Wunder, das Leben in der Schweiz war eben teuer.
Und das Sterben auch.
Lindberg zückte seine Kreditkarte und verließ schwankend das Taxi. Ihm war immer noch schlecht, aber die frische Waldluft tat gut. Und wenigstens stand er jetzt am Tatort. Tatort? Was hatte Mia noch einmal gesagt?
Ein Streifenpolizist stand am Ende des Waldweges, Lindbergs Kehle brannte, als habe er Feuerwasser getrunken. Und zwar nicht nur im übertragenen Sinne. Ich brauche dringend ein Wasser.
Lindberg trottete zu dem Polizisten und zückte wortlos seinen Ausweis.
Der Kollege zeigte in den Wald. „Geht da hinten lang, fünfzig Meter und dann links. Ist nicht zu übersehen.“
Lindberg zog sich Schutzoverall und Handschuhe an. Auch das war ihm schon leichter gefallen. Doch irgendwie schaffte er es und ging los. Der Boden war mit Laub übersät, das dichte Gestrüpp war an einigen Stellen niedergetreten. Es mussten etliche Kollegen vor Ort sein. Wenn jemand hier entlanggekommen war, würde man kaum mehr Spuren von ihm finden.
Nach einigen Metern blieb Lindberg stehen. Hat der fünfzig oder hundertfünfzig Meter gesagt?
Der Pfad vor Lindberg verlor sich im Nichts. Links wucherten ein paar Büsche, nur rechts schien es weiterzugehen. Lindberg torkelte nach rechts, glaubte, ein paar Stimmen zu hören und lief schneller.
Dann sah er das Kreuz. Ein schlichtes, naturbelassenes Holzkreuz. Es ruhte auf einem aufgeschütteten Erdhaufen. Die Erde war noch frisch.
Lindberg lief von hinten auf das Kreuz zu, dann erst erkannte er seine Assistentin Mia Adam, deren knallroter Bubikopf selbst in der Morgendämmerung unverkennbar war. Neben ihr stand die Chefin der Kriminaltechnik Katharina Zach, sie lebte schon viele Jahre in der Schweiz, aber ihre Berliner Schnauze hatte sie nie abgelegt. Wie immer war sie ganz in Schwarz gekleidet, samt schwarzlackierten Fingernägeln. Nur den Einwegoverall der Spurensicherung trug die Mittvierzigerin notgedrungen in Weiß, angeblich hatte sie sich jedoch schon aus Japan ein schwarzes Modell bestellt.
Lindberg erkannte weitere Mitarbeiter der Bundespolizei, sowie eine Menge Kollegen, die er noch nie gesehen hatte, wahrscheinlich von der Kantonspolizei.
Normalerweise überließ die Bundespolizei den lokalen Behörden die Ermittlungen und schaltete sich nur bei Terrorismus ein oder wenn die Sicherheit der Schweiz bedroht war, sowie bei internationalen oder kantonsübergreifenden Fällen, dazu kamen Entführungen. Was also machten sie hier?
Mia Adam erblickte ihn als Erstes und ließ ein Lächeln aufblitzen. Selbst am frühen Morgen sah sie aus wie siebzehn, obwohl sie vierundzwanzig war. „Geht’s dir gut?“
Lindberg zuckte mit den Schultern, am besten er redete nicht viel.
„Erst dachte ich, das ist ein Scherz“, sagte Katharina Zach und zeigte auf das Grab mit dem Holzkreuz. „Aber der Täter hat wohl nicht meinen Humor.“
Ein Blick in ihre Augen verriet Lindberg, dass es nur der übliche Sarkasmus am Tatort war, reiner Selbstschutz. Jetzt erst sah er hinab in das Grab. Dort lag eine Frau. In einem weißen Totenhemd.
Lindberg blickte zur Seite und atmete tief ein. Wer begräbteine Tote mitten im Wald, verziert mit einem Holzkreuz? Eva stand darauf.
Eva? Nur Eva?
Das Holzkreuz sah aus wie eines dieser provisorischen hüfthohen Kreuze, die man in der Schweiz auf das frische Grab stellte, bis der Grabstein gesetzt wurde. Wenn kein Geld für einen Grabstein oder ein Metallkreuz vorhanden war, blieb es auch stehen. Aber immer trug es den kompletten Namen. Außer bei Kindern.
Zwei Kriminaltechniker waren gerade dabei, die feuchte Erde zu beseitigen, die am Körper der Leiche und an ihrem Totenhemd klebte.
„Was machen wir hier?“, fragte Lindberg. Das sah eher nach einer illegalen Bestattung aus als nach ihren üblichen Fällen.
„Das ist Eva Rohner“, antwortete Mia Adam. „Wurde vor zwei Tagen entführt. Du erinnerst dich?“
Lindberg nickte, aber viel wusste er nicht über das Opfer. Lehrerin, Single, Ende dreißig, ein Zeuge hatte gesehen, wie sie beim Joggen von einem Mann überwältigt worden war. „Woher wisst ihr, dass sie es ist?“ Die Kollegen hatten die Leiche gerade mal freigelegt, da war es unwahrscheinlich, dass sie schon identifiziert war.
Mia Adam deutete auf ein weißes Jutesäckchen. „Der Täter hat ihre Kleider mit ihr bestattet, darin befand sich ein Ausweis.“
Lindberg blickte wieder hinab in die Gruft. Das brünette Haar der Toten setzte sich kaum von der Erde ab, ihre Augen waren geschlossen, Mund und Nase noch mit Erde bedeckt. Lindberg hätte am liebsten weggeschaut, denn jetzt hatte der Tod ein Gesicht. Ein bräunlich-roter Bluterguss zog sich quer über den Hals von Eva Rohner. „Stranguliert?“, fragte er.
Katharina Zach nickte. „Wahrscheinlich mit etwas Schmalem wie einer Drahtschlaufe.“
„Wer hat sie entdeckt?“, fragte Lindberg.
Mia Adam zeigte auf einen älteren Mann, der mit zwei Polizisten sprach. „Ein Spaziergänger.“
„Um die Uhrzeit?“
„Der Mann dreht immer morgens um fünf Uhr dreißig seine Runde. Sein Hund hat angeschlagen, ist in den Wald gelaufen und er hinterher. Tja, und dann stand er vor dem Grab.“
„Ist ihm etwas aufgefallen?“
Mia schüttelte den Kopf. „Keine merkwürdigen Spuren, kein Auto, er hat nichts gesehen.“
„Warum hier?“, fragte Lindberg. „Kam die Entführte nicht aus Zürich?“
„Das hab ich mich auch gefragt“, sagte Mia. „Vielleicht hat er den Ort gewählt, weil Einsiedeln der bekannteste Wallfahrtsort des Landes ist.“
„Und daher das Kreuz?“
Mia Adam nickte.
„War das Grab komplett zugeschaufelt?“
Mia nickte. „Wie auf dem Friedhof.“ Sie blickte Lindberg an. „Hast du so was schon mal gesehen?“
„Einen Täter, der sein Opfer bestattet?“ Lindberg schüttelte den Kopf. „Gibt’s hier irgendwo ein Wasser?“
Mia schaute ihn irritiert an.
„War ein Bier zu viel gestern“, flüsterte er.
„Ist nicht zu übersehen.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ist trotzdem gut, dass du gekommen bist.“ Sie kramte in ihrer übergroßen Handtasche, holte aber nur eine leere PET-Flasche heraus und schüttelte den Kopf. „Willst du eine Alka-Seltzer?“
„Ohne Wasser?“ Er winkte ab, nicht ohne ein ,Hicks‘ hinterherzuschieben. Verdammt, jetzt hab ich auch noch Schluckauf!
Katherina Zach lupfte eine Augenbraue, doch dann widmete sie sich wieder der Leiche. „Mach mal das Gesicht richtig frei!“, rief sie zu einem ihrer Mitarbeiter. „Über den Lippen liegt irgendetwas.“
Zach ging erst am Rand des Loches in die Knie und stieg dann doch selbst hinab.
Schließlich richtete sie sich wieder auf und drehte sich zu den Kommissaren. In ihrer Hand hielt sie eine weiße Daunenfeder.
Die letzten Tage hatte er nicht gut geschlafen. Und er befürchtete, dass er es niemals wieder tun würde.
Sein früheres Leben war unglaublich weit entfernt.
Vorsichtig bewegte er erst den einen Arm, dann den anderen und als der auch wehtat, verzichtete er darauf, sein Kreuz durchzudrücken.
Das Schlimmste erwartend, schaute er auf den Wecker.
Acht Uhr dreißig. Er war mal wieder spät dran. Selbst für einen Montag. Doch war das nicht egal, wenn die Kirche bald für immer schließen würde? Oder wenn sie ihn mit Schimpf und Schande davonjagten?
Urs Hediger richtete sich auf und blickte zwangsläufig auf das Jesuskreuz an der Wand gegenüber. Schnell schaute er weg.
Er quälte sich aus dem Bett, stellte sich unter die Dusche und zog sein Priestergewand an. Dann machte er sich einen Espresso, nahm zwei Knäckebrote, beschmierte sie mit Butter und verteilte darauf die letzten drei Scheiben Salami, die sich in seinem Kühlschrank fanden.
Während er kaute, blätterte er in der Zeitung von gestern.
Nichts Neues.
Er blickte auf das Schachspiel, das schon seit Tagen auf dem Küchentisch stand und überlegte, ob er ein Spiel gegen den Computer wagen sollte.
Dabei konnte er eine Zeit lang seine Probleme vergessen, so bedeutend sie auch waren.
Oder war das nur eine Flucht? Er stand auf und stellte das Schachspiel ins Wohnzimmer, aus seinem Blickfeld. Dann ging er zur Haustür. Mit einem Seufzen trat er hinaus in die Novemberkälte. Die Tageszeitung lag auf dem Boden vor der Tür. Er musste den Briefkasten jetzt wirklich mal leeren.
Hediger ging über die Straße zur Kirche, schloss die hölzerne Tür des Hauptportals auf, schaltete das Deckenlicht an und blickte durch den Türspalt zurück zu seiner Wohnung. Selbst von hier aus sah man den überquellenden Briefkasten. Er fluchte leise, ging zurück, nahm seinen Schlüsselbund, öffnete den Kasten und versuchte, dessen Inhalt mit einer Hand zu packen.
Es gelang ihm nicht.
Hediger klemmte die eine Hälfte zwischen die Beine, nahm den Rest aus dem Briefkasten, schloss ihn und legte alles aufeinander in beide Hände. Umständlich griff er nach dem Schlüssel, verlor dabei drei Briefe, öffnete die Haustür, legte die Post auf die Anrichte, sammelte die verlorenen Briefe sowie die Zeitung ein, seufzte und ging wieder in seine Wohnung.
Er setzte sich an den Küchentisch, nahm den obersten Brief, schaute auf den Absender und legte ihn beiseite. Er wusste, was die Sozialversicherung wollte. Momentan konnte er ohnehin nichts daran ändern.
Hediger nahm das nächste Anschreiben, riss es auf und überflog es. Es war der Bittbrief eines verschuldeten Familienvaters. Auch wenn ihn die Worte berührten, er war erleichtert, dass es sich nicht um eine Rechnung handelte. Er würde den Brief an die Caritas weiterleiten. Vielleicht konnten die helfen.
Nach zwei weiteren Rechnungen und drei Werbesendungen ließ Hediger die restlichen Briefe liegen, stand auf, richtete sich noch einmal den Priesterkragen, ging auf die Straße und schaute hoch zum Kirchturm. St. Joseph. Seine Heimat. Wenn auch erst knapp über hundert Jahre alt, war sie mit ihrem neobarocken Stil nach dem Vorbild des Klosters Einsiedeln gebaut worden und damit eine der wenigen katholischen Kirchen in Basel, die nicht dem Beton huldigten.
Hediger schritt durch das Kirchenportal, ging neben dem Weihwasserbecken in die Knie, bekreuzigte sich und lief zum Altar. Dort kniete er erneut nieder und begann zu beten.
Zehn Minuten später erhob er sich wieder, atmete tief durch und drehte sich zum Kirchenschiff. In der Zwischenzeit hatte niemand die Kirche betreten. Wie fast jeden Morgen. Die meisten Touristen und ein paar Gläubige kamen erst gegen Mittag.
Dann sah er, dass die rote Lampe des Beichtzimmers brannte.
Wahrscheinlich hat sich eines der Kinder einen Scherz erlaubt. Die alten Beichtstühle hatte man vor einigen Jahren beim Umbau entfernt, was Hediger heute noch im Herzen wehtat. Stattdessen standen jetzt rechts und links vom Haupteingang zwei quadratische Zimmer.
Hediger hielt nicht viel von festen Beichtzeiten, schließlich folgte das Gewissen keiner Uhr. Als er die Gemeinde vor wenigen Jahren übernommen und mit neuem Leben gefüllt hatte, war seine erste Verfügung gewesen, die Beichtzimmer nicht mehr abzuschließen. Schließlich konnte man auch die Sünde nicht einfach wegschließen. Die Zimmer konnten jederzeit von jedem betreten werden.
Außerdem hatte er die Anonymität wieder hergestellt, indem er das Zimmer mit einem purpurnen, schweren Vorhang unterteilt hatte, das ein fein gewebtes Kreuz in der Mitte aufwies, durch das man nur die Silhouette des anderen sehen konnte.
Hediger öffnete die Tür des Beichtzimmers und hörte jemandes Atem. Das war kein Kind. Er bekreuzigte und setzte sich.
Von seinem Gegenüber konnte er hinter dem Vorhang nur erkennen, dass er ein wenig größer als er und blond war, trotzdem spürte er, dass ihm ein Fremder gegenübersaß. Einer, den er noch nie in der Gemeinde gesehen hatte.
Katharina Zach nahm die kleine Daunenfeder und legte sie in ein transparentes Plastikgefäß für fragile Beweismittel.
„Lag die Feder auf der Toten?“, fragte Lindberg.
Katharina Zach nickte. „Kann natürlich auch Zufall sein, aber sie lag direkt auf ihren Lippen. Und sie ist noch unversehrt.“
Lindberg runzelte die Stirn. „Warum eine Feder?“
„Bin ich hier der Kommissar oder du?“
Mia Adam deutete auf den Jutesack mit den bestatteten Kleidern der Toten. „Da war auch keine Daunenjacke oder so dabei. Nur Joggingklamotten, ein iPod, Stirnlampe und ein Zwanzig-Franken-Schein.“
„Und was ist mit dem Ausweis?“
„Ist ein Swisspass. Deswegen hat man uns sofort informiert.“
Der Swisspass war eine scheckkartengroße Karte, mit der man alle Züge, Busse und Straßenbahnen der Schweiz nutzen konnte. Es galt zwar nicht als offizieller Ausweis, trug aber Namen und Lichtbild. Lindberg verglich das Passfoto mit der Leiche. Die brünetten Haare, das oval gerundete Gesicht, die schmalen Lippen, er war überzeugt, vor ihnen lag Eva Rohner.
„Willst du etwas Bestimmtes sehen?“, fragte Mia Adam. Sie war erst seit Kurzem bei der Bundespolizei, genau wie Lindberg, aber er hatte zuvor schon Ermittlungen in Berlin und bei der Basler Kantonspolizei geleitet.
Lindberg schüttelte den Kopf. Normalerweise ließ er einen Tatort gerne auf sich wirken, doch heute kam in seinem schummrigen Hirn gar nichts bei ihm an. „Wir lassen am besten die Spurensicherer ihre Arbeit machen. Als Erstes reden wir noch mal mit den Angehörigen, offensichtlich war das keine Entführung, um Lösegeld zu erpressen.“ Er massierte sich die Stirn. „Ich wäre froh, wenn du das übernehmen könntest.“
„Yep.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an.
„Ich fahre in die Zentrale, hier stehe ich eh nur im Weg rum.“
„Soll ich dir ein Taxi rufen?“
„Ich fahre lieber mit dem Zug. Tut mir auch gut, ein paar Meter zu laufen.“ Er drehte sich um und ging.
Kurz bevor er wieder auf den Waldweg traf, sah er jemanden mit schnellen Schritten auf sich zukommen. Obwohl Lindberg erschrak, meldete sich sein Schluckauf wieder. Verdammt, was macht der denn hier?
Bundespolizeichef Graf erkannte ihn und hielt weiter auf ihn zu. Lindberg überlegte, ob er noch ein paar Fisherman’s einwerfen sollte, doch das war jetzt zu auffällig.
In seiner immer etwas zu gestressten Art gab Graf ihm flüchtig die Hand. „Morgen, Herr Lindberg.“ Dann hielt Graf inne und musterte sein Gegenüber genauer. „Was ist denn mit Ihnen los? Ist Ihnen nicht gut?“
Lindberg nickte. „Herbstgrippe.“ Er trat einen Schritt zurück. Vielleicht roch Graf den Alkohol in seinem Atem so nicht.
Graf strich sich über seine Glatze. „Sie hatten schon bessere Ausreden.“
Lindberg überlegte, ob er den Vorfall von gestern Nacht erwähnen sollte, doch dann ließ er es dabei. Graf würde noch früh genug davon erfahren. „Ich hab schlecht geschlafen.“
„Tja, gäbe es das Remexan noch …“ Graf biss sich auf die Lippe, er schien dem Medikament immer noch nachzutrauern. „Und jetzt trinkt man eben ein, zwei Bier, um die nötige Bettschwere zu bekommen?“ Graf setzte ein Lächeln auf, als sei er ein verständnisvoller Freund.
„Diese homo … äh … diese homöopathischen Medikamente enthalten Alkohol.“ Lindberg versuchte den Schluckauf zu unterdrücken, obwohl er wusste, dass das auf Dauer nicht funktionieren würde. „Frau Adam meinte letztens schon, dass man das riecht.“
„Dann müssten Sie ja eigentlich blasen“, grinste Graf. „Damit wir sehen, ob Sie dienstfähig sind.“
„Ich kann mich auch krankmelden“, antwortete Lindberg. „Bisher dachte ich, sie wären kein Weichei.“ Graf klopfte Lindberg auf die Schulter. Eine Geste, die so unnötig war wie aufgesetzt. „So eine Herbstgrippe stecken Sie doch locker weg. Oder was immer Sie da erwischt hat.“
Lindberg trat einen Schritt zurück. „Weswegen sind Sie eigentlich hier? Ich habe Sie noch nie an einem Tatort gesehen.“
„Der Fall hat möglicherweise eine politische Bedeutung.“
Lindberg warf dem Bundespolizeichef einen fragenden Blick zu.
Graf seufzte überheblich. „Erstens ist das Kloster Einsiedeln weltbekannt und zweitens sind wir angehalten, allen religiös motivierten Taten besondere Beachtung zu schenken.“
„Der Täter wird kaum ein Islamist sein“, entgegnete Lindberg. „Der Leichenfundort sieht aus wie ein Friedhofsgrab. Sogar ein Kreuz steht drauf.“
„Das ist ja mal ein vorbildhafter Mörder“, entgegnete Graf. „Hat er einen Kranz mit seinem Namen dagelassen?“ Graf lachte über seinen eigenen Witz bis genau zu dem Moment, in dem ihn der Schluckauf von Lindberg unterbrach.
Der Bundespolizeichef fixierte Lindberg. „Können Sie mir diese homöopathischen Medikamente mal zeigen?“
Lindberg spürte, wie er rot anlief. „Ich … hab sie nicht dabei.“
„Dann können Sie auch nicht so krank sein.“ Graf schüttelte den Kopf. „Kommen Sie um ein Uhr in mein Büro. Pünktlich!“
Lindberg nickte, drehte sich um und ging so schnell davon, wie er es ohne zu torkeln konnte. Vor einer Übersichtstafel mit Wanderschildern blieb er stehen. Direkt am Kloster führte auch noch der Jakobsweg vorbei. Das war ja fast heiliger Boden hier. War das der Grund, weshalb jemand Eva Rohner hier begraben hatte?
Der Mann hinter dem purpurnen Vorhang des Beichtzimmers bekreuzigte sich. „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
„Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke Euch wahre Erkenntnis Eurer Sünden und seiner Barmherzigkeit.“ Wie immer, wenn Hediger die Eingangsworte des katholischen Beichtrituals sprach, versuchte er sich ganz auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Also auf das, was er von ihm durch den Vorhang wahrnehmen konnte: Seine Emotionen, seine Präsenz, seine Aura, auch wenn das ein von Esoterikern verbranntes Wort war. Dem Mann wohnte etwas Kindliches inne. Und doch auch etwas Kaltes.
Der Mann sprach das Amen leise, aber mit fester Stimme.
„Nun“, begann Hediger. „Was liegt Euch auf dem Herzen, um diese Zeit?“
„Ich finde Gott in der Einsamkeit“, sagte der Mann. „Ich mag den Kirchtrubel nicht.“
„Ich auch nicht“, antwortete Hediger, obwohl er sich durchaus wünschte, dass in seiner Kirche manchmal mehr Trubel herrschte.
„Ich habe gesündigt.“
„So sprecht.“
„Ich glaube an Gott, Jesus und die Heilige Dreifaltigkeit“, sagte der Mann. „Aber ich bin nur ein einfacher Gläubiger.“
„Gott hat die einfachen Gläubigen am liebsten.“
„Ich … ich habe jemanden getauft.“
Hediger horchte auf. Ehebruch, Diebstahl, häusliche Gewalt, solche Reuebekundungen kannte er zur Genüge, aber eine Taufe hatte noch nie jemand bei ihm gebeichtet. „Weshalb habt Ihr das getan?“
„Es war … eine Frau.“ Dem Mann schien jedes Wort wie ein Stein auf dem Herzen zu liegen. „Sie … sie lag im Sterben.“
„Und es war kein Priester anwesend?“
„Nur ich, sonst niemand.“
„Das muss keine Sünde sein“, erklärte Hediger. „Die katholische Kirche erlaubt die Laientaufe in Notsituationen.“ Er rieb sich die Stirn. „Aber Ihr sagt, es war eine Frau, kein Kind. Woher wusstet Ihr denn, dass sie getauft werden wollte?“
„Sie war ein guter Mensch.“
Hediger wartete ein paar Sekunden. War das schon die Antwort? Er hörte nichts als den nervösen Atem das Mannes. „Es gibt auch gute Menschen, die nicht katholisch sind“, sagte Hediger schließlich.
„Aber sie kommen nicht in den Himmel.“
Der Priester nickte. „Das glauben wir.“ Wieder legte er eine Pause ein. Er fühlte, dass der Beichtende noch nicht alles gesagt hatte.
Doch der Mann schwieg.
„Woher wisst Ihr, dass die Frau ein guter Mensch war?“, fragte Hediger schließlich. „Kanntet Ihr die Sterbende?“
„Ja.“
„Woher, wenn ich fragen darf?“
„Sie … war meine Lehrerin.“
„Aber Sie gehen nicht mehr zur Schule, oder?“
„Es ist schon eine Weile her, dass sie meine Lehrerin war.“
„Und Ihr habt die Frau am Krankenbett besucht? Sie lag dort im Sterben?“ Hediger vermutete, dass er den Mann nur über Fragen dazu bringen konnte, seiner Beichte nachzukommen. Und es war wichtig, dass er das tat. Denn schlimmer als nicht zu beichten war es, bei der Beichte nicht die volle Wahrheit zu sagen.
„Sie … sie lag in meiner Kapelle“, antwortete der Mann. „Dort ist sie gestorben.“
„Jetzt verstehe ich.“ Urs Hediger nickte erleichtert. „Ihr habt die Frau in einer Kapelle gesehen und daher habt Ihr angenommen, dass sie getauft werden wollte.“
„Sie war ein guter Mensch.“
„Ja, das war sie sicher.“
Der Mann schwieg.
„Wollt Ihr mir noch etwas sagen?“, fragte Hediger.
„Sie lag in meiner Kapelle.“
„Das war richtig von Ihnen, die Frau zu taufen“, antwortete Hediger. „Die wenigsten hätten das gemacht. Aber gibt es noch etwas, dass Ihr mir beichten wollt?“
Wieder hörte Hediger nur den nervösen Atem des Mannes.
Der Priester wartete ein paar Sekunden.
Der Mann biss sich auf die Lippe. „Ich möchte jetzt mein Reuegebet sprechen“, sagte er schließlich.
Hediger nickte. „Wenn Euch noch etwas auf dem Herzen liegt, redet mit mir. Denn Ihr wisst: Nichts von dem, was hier gesprochen wird, verlässt diesen Raum.“
„Oh, mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, auch jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.“
„So habt Ihr Euer Reuegebet gesprochen“, sagte Hediger.
Die Stimme des Mannes hatte jegliche Sicherheit verloren, flatterte leicht. „Diese und alle meine Sünden tun mir von Herzen leid. Mein Jesus, Barmherzigkeit.“
„Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti“, sprach Hediger die obligatorischen Schlussworte und vergab dem Beichtenden damit seine Sünden.
Jene, die er gebeichtet hatte.
„Amen“, flüsterte der Mann.
„Danket dem Herrn, denn er ist gütig“, sagte Hediger. „Sein Erbarmen währt ewig“, antwortete der Mann.
„Der Herr hat Eure Sünden vergeben. Gehet hin in Frieden.“ Hediger stand auf, bekreuzigte sich und verließ das Beichtzimmer.
Der Beichtende betete noch ein stilles Gebet zur Danksagung, dann würde auch er gehen. Hediger war versucht, auf ihn zu warten, sich zu vergewissern, ob er ihn nicht doch irgendwoher kannte. Doch er wusste, dass er das niemals tun durfte. Was im Beichtstuhl gesprochen wurde, blieb im Beichtstuhl.
Für immer.
Am Bahnhof von Einsiedeln kaufte sich Lindberg eine Flasche Wasser, leerte sie und holte sich eine weitere. Dann ging er in eine Apotheke, kaufte eine Packung Alka-Seltzer und nahm eine Tablette. Anschließend fuhr er mit dem Zug nach Bern und dort weiter zur Zentrale der Bundespolizei.
Im Büro nahm er eine weitere Alka-Seltzer, setzte sich an den Computer und rief die Akte zu Eva Rohner auf. Er rieb sich die Stirn. Wie ein Anfänger war er vom Tatort davongelaufen, planlos, ohne irgendwelche Anhaltspunkte, ohne Gespür für den Ort. Wie sollte er da recherchieren? Er nahm sein Handy und rief Mia an.
„Und, schon ausgenüchtert?“, meldete sie sich.
„Ich hab eine Herbstgrippe.“
„Echt jetzt?“
„Hab ich Graf erzählt. Ist er noch da?“
„Hat nur ein paar Sprüche über die immense Bedeutung des Ortes abgelassen und ist dann wieder gegangen.“
Mia räusperte sich. „Ich bin gerade auf dem Weg zurück von Eva Rohners Eltern.“
„Und?“
„Sie waren natürlich geschockt.“ Mia hielt kurz inne, so als müsse sie das erst noch verarbeiten „Die beiden haben keinen Verdacht, wer der Täter sein könnte, das hatten sie auch schon bei der Entführung angegeben. Sie meinten, Eva sei überall beliebt gewesen.“
„Und sie hatte wirklich keinen Freund?“
„Eva Rohner war seit drei Jahren Single, ihren Eltern hat sie immer gesagt, sie sei auch ohne Partner glücklich. Ihr letzter Freund, den sie noch an der Pädagogischen Hochschule kennengelernt hatte, lebt inzwischen in den USA.“
„Also scheidet eine Beziehungstat erst mal aus.“
Mia räusperte sich. „Ich hatte mir gestern ihren Computer genauer angesehen, sie besaß ein Konto bei einer Onlinedating-Börse, hat dieses aber schon über sechs Monate nicht mehr benutzt.“
„Tja, entweder sie hat doch einen Freund oder sie will wirklich keinen mehr.“ Lindberg runzelte die Stirn.
„Etwas war noch merkwürdig“, sagte Mia. „Als ich der Mutter erzählt habe, dass ihre Tochter im Grunde christlich begraben wurde, war sie richtiggehend erleichtert.“ Sie räusperte sich. „Als ob das den Täter zu einem besseren Menschen machen würde.“
Lindberg biss sich auf die Lippe. „Alles was ein Trost für die Angehörigen ist, sollte man ihnen nicht nehmen.“
Mia schwieg.
„Was gibt es von Katharina?“, fragte Lindberg. „Irgendwelche weiteren Spuren an der Leiche?“
„Sie ist angeblich an was dran.“
„An was denn?“
„Keine Ahnung, am besten du rufst sie mal an.“
Er legte auf und wählte die Nummer der leitenden Kriminaltechnikerin. Sie ging sofort ans Telefon. „Schon im Delirium tremens, oder alles noch im grünen Bereich?“
Lindberg seufzte. „Ich hab nur eine Herbstgrippe.“
„Die Knallcharge, die das glaubt, muss erst noch gecastet werden.“ Katharina Zach lachte. „Ich hab mir übrigens dieses Holzkreuz näher angeschaut. Wie zu erwarten war, hat der Täter die Plakette der Schreinerei entfernt. Aber man kann noch sehen, wo sie befestigt war.“
„Und du meinst, über die Schreinerei könnten wir herausfinden, wer der Käufer war?“
„Exakt. Ich hab die Fotos und Maße vom Kreuz in die Ermittlungsdatenbank gelegt.“
„Okay, ich kümmere mich darum.“ Lindberg trank noch einen Schluck Wasser. „Wann ist die Obduktion?“
„Molet mag keine Besucher …“
„Das ist nichts Neues. Sagst du mir Bescheid, wenn ihr loslegt?“
„Im Rechtsmedizinischen Institut herrscht striktes Alkoholverbot …“
Lindberg suchte nach Worten, blickte ausweichend auf seinen Bildschirm und blieb an der Akte von Eva Rohner hängen. Beim Punkt Religionszugehörigkeit stand nur ein Wort: keine.
Roland Träger liebte das Leben, die Liebe und die Image-Zeitung. Kein Wunder, er war ihr Chefredakteur. Und weil er die Zeitung liebte, liebte er auch seinen Job.
Meistens jedenfalls.
Wenn er selbst mal wieder eine Reportage machen konnte, dann war er glücklich.
So glücklich, wie nach einem Blick auf den Zürichsee bei Sonnenschein und steigender Auflage.
Doch bei dem trüben Wetter war der See nicht zu sehen, es regnete und die Auflage sank seit Jahren. Auch wenn die Image-Zeitung immer noch unangefochtener Marktführer war, es wurmte ihn, dass nur noch sieben Prozent der Schweizer zu den Lesern seiner Zeitung zählten. Es könnten doppelt so viel sein.
Klar hatten sie online inzwischen eine beachtliche Reichweite, aber er war ein Zeitungsmann der alten Schule und betrachtete das Onlinegeschäft nur als notwendiges Übel. Er wollte den ganzen Internetgläubigen beweisen, dass man selbst heute noch erfolgreich eine Zeitung verkaufen konnte.
Tag für Tag.
Träger blätterte gerade in den Ausgaben der Konkurrenz, da öffnete sich die Tür zu seinem Büro. Sein Assistent Soldau schaute hinter der halb geöffneten Tür hervor, als wolle er sich verstecken. „Herr Träger, wir haben da was ganz Komisches bekommen.“ Er hielt einen Brief in der Hand. „Den sollten Sie sich mal anschauen.“
„Ein Leserbrief, oder was?“ Träger seufzte. Der Kerl kann nicht mal Scheiße von Gold unterscheiden. Und Anklopfen kann er auch nicht.
Soldau schüttelte den Kopf. „Es ist … eher ein Drohbrief.“
„Die bekommen wir doch jeden Tag, oder?“
„Der hier ist aber anders.“ Soldau ließ die schützende Tür los und trat ins Büro. „Wenn ich die richtigen Schlüsse gezogen habe, bezieht der Brief sich auf diesen Mord in Einsiedeln.“
„Merkwürdige Geschichte, oder?“
„Daher wollte ich Ihnen den Brief zeigen. Vielleicht sehen Sie das auch so.“
Kann ich mir nicht vorstellen. Aber selbst eine kaputte Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Uhrzeit. „Dann geben Sie mal her.“
„Er ist in Fraktur geschrieben“, erklärte Soldau. Er hielt den Brief weiter in der Hand. „Soll ich ihn vorlesen?“
„Glauben Sie etwa, ich kann kein Altdeutsch?“
„Natürlich nicht.“ Soldau senkte seinen Blick und legte den Brief auf den Schreibtisch.
Träger nahm eine Pinzette, hob den Brief damit an und betrachte den Umschlag. Kein Absender, keine Briefmarke. „Hat jemand den Brief bei uns im Hausbriefkasten eingeworfen?“
„Ja, hier in Zürich.“ Soldau räusperte sich. „Der Mord war ja erst heute Nacht, meint zumindest die Polizei.“
„Und Sie haben den Brief einfach so geöffnet?“
„Ich …“ Soldau machte eine Pause. Wie immer wenn er angegriffen wurde. „Ja, also … die Kollegen konnten ja nicht wissen, dass es ein Drohbrief ist.“
„Und jetzt sind diverse Fingerabdrücke drauf.“
Soldau nickte tonlos.
„Sie können jetzt wieder an die Arbeit.“
Soldau trottete zur Tür, blieb davor stehen und drehte sich noch einmal um. „Sollten wir den Brief nicht der Polizei zeigen?“
„Wenn wir denen alles zeigen würden, was wir an Material bekommen, könnten wir eine Rohrpoststation zwischen unserer Redaktion und der Kantonspolizei einrichten.“
„Ich verstehe.“ Soldau schloss unterwürfig die Tür.
Nein, du verstehst gar nichts. Träger zog sich ein paar Einweghandschuhe über, nahm den Umschlag und fingerte den Brief heraus. Normales Schreibmaschinenpapier. Mit Tinte beschrieben, leicht krakelige Handschrift. Tatsächlich in Fraktur.
Schon ein paar Sekunden später war Roland Träger so gebannt von dem, was er da las, dass er das feine weiße Pulver, gar nicht bemerkte, dass aus dem Umschlag rieselte.
Welche Person den Brief hat und den Menschenkindern nicht offenbart, der sey verflucht von der Kirche Gottes, und von meiner allmächtigen Hand verlassen. Dieser Brief soll einem jedem gegeben werden abzuschreiben, und sollt euere Sünde so viel sein, als Sand am Meer und Gras auf dem Feld, so sollen sie euch verzogen und vergeben werden. Ihr werdet bald in das Reich Gottes übergehen.
Denn endlich kommt der Tag des Herrn, an dem er richten wird die Lebenden und die Toten.
Eine Pestilenz wird an St. Martin über Europa kommen, wie sie noch nie jemand erlebet hat. Nur solche, die in den Himmel gehören, werden überleben.
So wie Eva Rohner, getaufet und begraben in Einsiedeln.
Lindberg stützte seinen Kopf mit beiden Händen ab. Sollte er seine Kopfschmerzen mit einem Konterbier vertreiben? Funktionierte das überhaupt? Das letzte Mal hatte Lindberg das mit neunzehn probiert, doch damals hatte sein Körper alles wegstecken können. Außerdem musste er nüchtern werden und nicht betrunkener. Statt zum Bier griff er zu einem weiteren Fisherman’s und dann zum Telefon.
Eine weibliche Stimme meldete sich. „Christine Hübner, Bezirksverwaltung, Einsiedeln.“
„Kommissar Lindberg von der Bundespolizei.“
„Bundespolizei?“ Die Frau räusperte sich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Sie sind für die Friedhöfe in Einsiedeln zuständig?“
„Nicht ich persönlich“, antwortete die Frau. „Aber hier in der Bezirksverwaltung betreue ich sie, das stimmt.“
„Wir haben da einen merkwürdigen Fall“, sagte Lindberg. „Eine Bestattung im Chlosterwald.“
„Eine Bestattung?“
„Die Tote wurde im Waldboden begraben, die ausgehobene Erde zu einem Grab aufgetürmt und mit einem Holzkreuz geschmückt.“
„Gottfriedstutz! Wer macht denn so was?“
„Das wollte ich Sie fragen“, entgegnete Lindberg. „Gab es hier schon mal illegale Bestattungen?“
„Ich habe noch nie davon gehört“, antwortete sie. „Zumal die Bestattung in Einsiedeln kostenlos ist“, antwortete sie. „Die Beisetzung, die Grabeinfassung und das Grabfundament werden vom Bezirk bezahlt, selbst das provisorische Holzkreuz.“
„Wirklich?“ Lindberg runzelte die Stirn. Als seine Eltern gestorben waren, war er noch zu klein gewesen, um sich um die Formalitäten zu kümmern.
„Das ist schon seit ein paar Jahrhunderten so“, antwortete sie. „Man könnte fast sagen, es lohnt sich, in Einsiedeln zu sterben.“
Lindberg musste fast lachen. Dann hatte er wohl doch falsch gelegen und in der Schweiz war zwar das Leben teuer, aber das Sterben kostenlos. „Und wie kommt das provisorische Kreuz auf das Grab?“
„Der Bezirk Einsiedeln stellt es den Angehörigen zur Verfügung. Wie gesagt kostenlos.“
„Haben Sie einen festen Lieferanten für die Holzkreuze?“
„Moment“, sagte die Frau. „Da muss ich nachschauen.“ Sie legte den Hörer beiseite.
Lindberg trank einen großen Schluck Wasser. Direkt nach dem Mittag musste er zu Graf, verkatert und übernächtigt. Das konnte nur scheitern.
Er hörte, wie das Telefon wieder aufgenommen wurde. „Wir haben drei Lieferanten“, sagte die Frau und blätterte in ein paar Unterlagen. „Die kommen aber nicht aus der Region. Soll ich Ihnen trotzdem die Adressen geben?“
Lindberg notierte sich die Anschriften. „Darf man auch ein privates Kreuz aufstellen?“, fragte er. „Eines, das man von einer anderen Schreinerei hat?“
„Wenn es der Würde des Ortes entspricht, ist das kein Problem“, antwortete sie.
Also kann das Kreuz von überall stammen. Warum sollte es auch einfach sein? „Die Kreuze von Ihren drei Lieferanten, sehen die alle gleich aus?“
„Kleine Unterschiede gibt es schon“, antwortete sie. „Soll ich Ihnen von jedem ein paar Fotos schicken?“
„Das wäre sehr nett“, antwortete er. „Sie würden mir wirklich helfen, wenn Sie das heute noch erledigen könnten.“
„Ich mache das gleich“, sagte sie.
Lindberg gab ihr seine E-Mail-Adresse und hörte, dass ein weiterer Anrufer in der Leitung war. Er bedankte sich und nahm den anderen Anruf an. Es war Zach, die Kriminaltechnikerin. „Die Leiche wird gerade überführt, Graf hat ziemlich Druck gemacht und Dr. Molet bittet um zwei Uhr zur Audienz. Schaffst du das?“
„Hat er was dazu gesagt, dass ich mitkomme?“
„Meinst du, ich sag ihm das? Da regt er sich nur vorher schon unnötig auf.“
„Du bist eine Meisterin der Psychologie.“ Lindberg legte auf.
Er ging in die Cafeteria und drückte sich einen Kaffee aus dem Automaten, mit der einzigen Kombination, in der das Zeug nicht schmeckte wie Spülwasser: Doppelter Espresso, extra stark, extra Milch, extra Zucker.
„Da ist ja der Mann, wegen dem man sich neuerdings als Bundespolizist schämen muss.“
Lindberg drehte sich um. Vor ihm stand Thorben Furrer, der Leiter der Terrorermittlung. Er sah aus wie die Schweizer Ausgabe von James Bond und wahrscheinlich hielt er sich auch dafür. Doch er trug eben eine Aktenmappe statt einem Martini, dazu eine Hornbrille und einen graumelierten Oberlippenbart. „Also was Kübler vom Basilisk mir da erzählt hat …“
Lindberg nahm einen Schluck Espresso, wollte etwas sagen, doch sein Hirn schien vollends damit beschäftigt, Kopfschmerzen zu produzieren und ihm fiel keine Entgegnung ein. Er warf Furrer einen Blick zu, der mindestens so bitter war wie der Kaffee und ließ ihn stehen.
Als er wieder ins Büro kam, war Mia schon vom Tatort zurückgekehrt und saß an ihrem Schreibtisch. „Gibt es was Neues?“, fragte sie.
Lindberg schüttelte den Kopf und öffnete sein Mailprogramm. Zu seiner Überraschung hatte die Verwaltungsmitarbeiterin aus Einsiedeln schon eine E-Mail gesendet. Lindberg klickte auf die Fotos im Anhang und betrachtete sie. Auf jedem war ein Kreuz abgelichtet, alle leicht unterschiedlich in Farbe und Größe. Das Kreuz der Schreinerei Ullrich kam ihm irgendwie bekannt vor. Er verglich es mit den Bildern, die Katharina Zach vom Tatort gemacht hatte.
„Schau dir das mal an.“ Er schwenkte seinen Bildschirm in Mias Richtung und zeigte auf eines der Fotos.
„Das könnte das Kreuz sein“, sagte sie. „Aber ich hab keine Ahnung, ob die nicht alle gleich aussehen.“
Er schaute auf die Uhr. „Sollen wir bei der Schreinerei mal vorbeifahren? Sie sitzt in der Nähe von Biel.“
„Musst du nicht zu Graf? Er hat vorhin so was angedeutet.“
„Um eins“, sagte Lindberg. „Aber wenn wir Glück haben, dauerte die Befragung so lange, dass ich den Termin verpasse.“
„Und falls nicht?“
„Dann wird mir schon etwas einfallen.“
„Was war jetzt heute Nacht?“, fragte Mia ihn auf dem Weg zur Tiefgarage. „Das war doch ein Scherz mit dem Amoklauf, oder?“
Lindberg schüttelte den Kopf. „Die Kollegen vom Basilisk mussten mich retten.“
„Was?“
Lindberg erzählte was vorgefallen war. „Danach musste ich erst mal ein paar Bier trinken, um mich zu beruhigen.“
„Also muss ich fahren?“
„Wenn wir nicht riskieren wollen, dass uns die Bullen anhalten.“
Mia lächelte. „Schon den neuen Dienstwagen gesehen?“ Sie ließ die Blinker eines silbernen Sportwagens aufleuchten. „Ist alles elektrisch.“
„Die Fensterheber, oder was?“
„Sehr witzig.“ Sie strich über den Lack. „Das ist ein Tesla, der erste alltagstaugliche Elektrosportwagen. Fünf Sitze, cooles Design. 225 Sachen.“
„Bin beeindruckt“, sagte Lindberg. „Aber Tesla? War der nicht wahnsinnig?“
„Mir doch egal“, antwortete sie. „Das Ding schießt von Null auf Hundert in sechs Sekunden.“
Lindberg blickte sie irritiert an. „Ich dachte, du bist bei Greenpeace?“
„Das heißt nicht, dass man keinen Spaß mehr im Leben haben darf. Außerdem fährt das Teil mit Ökostrom.“ Sie stieg in den Wagen.
Lindberg setzte sich auf den Beifahrersitz. Es roch nach Neuwagen und Leder, so hatte sein Volvo für fünfzehn Jahren wahrscheinlich auch gerochen. „Und warum haben wir so einen Dienstwagen?“
„Du kennst doch Graf, der braucht immer ein neues Profilierungsprojekt“, antwortete sie. „Nachdem die für uns zuständige Bundesrätin der Energiewende höchste Priorität eingeräumt hat, ist er sofort auf den Zug aufgesprungen und präsentiert sich mal wieder als Vorreiter.“
„Na, wenigstens ist es dieses Mal ungefährlich.“
„Du bist noch nie mit mir Auto gefahren, oder?“ Sie grinste. „Geht’s eigentlich mit dem Kater?“
„Ich tu einfach so, als hätte ich keinen.“
„Und, klappt’s?“
„Seh ich so aus?“
Mia lachte. „Dann schnall dich mal an.“ Sie drückte das Gaspedal durch und schoss aus der Tiefgarage. Lindberg hielt sich am Haltegriff fest. „Willst du den Wagen gleich zu Schrott fahren?“
„Ich will doch nicht schuld sein, wenn du dein Tête-à-Tête mit Graf verpasst.“
„Du könntest mir keinen größeren Gefallen tun.“