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Sex & Crime, Action & Splatter.
In diesem Werk sammelt der Autor einige harte Kriminalerzählungen, in denen die Hauptkommissarin Jaskewitsch ermittelt. Es sind grausame und tragische Mordgeschichten, die Elemente von Snuff und Splatter enthalten. In einigen geht es da etwas freizügig zur Sache. Selbst die Hauptkommissarin kommt in eine extrem prickelnde Situation, als sie in einer uralten Kirche auf ein mysteriöses Mädchen trifft, in dem ein höllisches Wesen steckt.
In einem weiteren Fall hat es die Jaskewitsch mit einem bestialischen Mörder zu tun, der seine Opfer häutet und an exponierten Orten ausstellt. Tragisch hingegen ist das Schicksal einer jungen Arzthelferin, die sich in einen attraktiven Patienten verliebt. Nichtsahnend, in die Fänge eines raffinierten Killers gefallen zu sein, der ihr eine fatale Falle stellt.
Ebenfalls überraschend und tödlich geht es in einer Aikido-Gruppe zu. Einer der Mitkämpfer wird nachts tot vor der Halle aufgefunden, noch ahnen die Aikidoka nicht, dass sich ein Dämon in ihre Gruppe eingeschlichen hat, der mit diesem Mord noch lange nicht seine Ziele erreicht hat.
Dieses Buch ist nur für 18+. Es enthält folgende Erzählungen:
Die unheilvolle Schwertstunde,
Jung, verführerisch und tödlich,
Der Maler und sein Opfer,
Das zweite Messer.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Die unheilvolle Schwertstunde
Jung, verführerisch und tödlich
Der Maler und sein Opfer
Das zweite Messer
Weitere Werke des Autors
Es ist stockdunkel. Die Laternen sind ausgefallen. Tief in Gedanken trottest du den Schotterweg am Park entlang. Die S-Bahn aus Seelze, die dich hierhergebracht hat, ist längst schon wieder weiter gerauscht.
In deinem Rücken rauscht ein ICE durch den Bismarckbahnhof. Links sind die fast verlassenen roten Backsteingebäude des ehemaligen Fachbereiches der Erziehungswissenschaften. Kein Fenster leuchtet, keine Stimmen dringen mehr aus geöffneten Fenstern heraus. Du bist ganz allein in dieser finsteren Sommernacht des Jahres 2014. Allein auf deinem Weg.
Rechts der dunkle Park. Hinter den paar Turngeräten des Spielplatzes stehen Büsche, danach kommen die alten, großen Bäume. Sonst spärlich erleuchtet von den Laternen der Bismarckstraße. Heute mit einem düsteren Tuch überzogen.
Ein wenig mulmig ist dir schon. Ein Mann kennt keine Angst, sprichst du dir Mut zu.
Lediglich ein paar Fenster der Wohnhäuser spenden Licht.
Und hinten links der breite Treppenaufgang zur Turnhalle.
Aus dem Augenwinkel siehst du hinten rechts auf der Wiese einen Schatten liegen. Sofort erkennst du, der gehört da nicht hin. Du zwingst dich, nicht hinzusehen, denn du fürchtest dich.
Der Form nach könnte es ein Mensch sein. Bräuchte er Hilfe? Ist es ein Trick, dich zu überfallen? Wieder lähmt Angst deine Füße. Vorsichtig misst du mit deinen Augen die umgrenzenden Büsche ab. Nirgendwo regt sich etwas.
Deine Hände werden feucht. Du hörst den Wind in den Blättern rauschen. Alle Sinne sind hellwach. Du kannst jetzt nicht weggehen, versuchst du dir dein Unwohlsein wegzureden. Unschlüssig marschieren deine Füße auf der Wiese vorwärts.
Du stutzt. Ein Schrecken fährt dir in die Glieder, dein Herz hört für Sekunden auf zu schlagen. Dann donnert es los und du rennst.
Das Gras ist feucht, du rutschst aus, fängst dich jedoch vor dem Fall.
Ja, der Körper dort ist eine Person. Und sie bewegt sich nicht mehr.
Und verdammt, du kennst die Jacke. Ein schrecklicher Schrei entfährt deiner Kehle. Du weißt genau, wer da liegt. Brüllend, fast weinend, stürzt du zu ihm, packst ihn an der Schulter, drehst ihn um. Die gebrochenen Augen deines Bruders starren ins Leere. Jemand hat ihm mit einer scharfen Klinge die Kehle durchgeschnitten.
An das Aikido-Training ist jetzt nicht mehr zu denken.
Hektisch wühlst du dein Handy aus der Jackentasche heraus. Es entschlüpft deinen Händen, fällt ins Gras. Wie ein Frosch springt deine Hand hinterher. Greift es, hebt es zu deiner Nase. Kalt und nass liegt es in deiner Hand, während du die Notrufnummer eintippst.
Als drei Minuten später Polizei und Rettungswagen eintreffen, kniest du noch immer vor der Leiche.
Jemand legt dir eine Decke über die Schultern. Im Licht der Taschenlampen blinkst du golden. Eine nicht allzu große Kommissarin mit kräftigen Oberschenkeln, eines beachtenswerten Oberkörpers und einem überaus niedlichen Gesicht, umrahmt von langen, dunkelbraunen Korkenzieherlocken kommt auf dich zu. Sie nimmt deine Personalien auf, will wissen, was du gesehen hast.
Du bist ihr in diesem Moment des Schocks keine große Hilfe. Stammelst wirres Zeug und kannst dich an nichts erinnern.
Sie packt dich an den Schultern, rüttelt dich. Ihr Assistent, Herr Sahin wirst du später seinen Namen erfahren, versucht sie zu beruhigen. Kurz blitzen ihre Augen, hebt sie die Lippen, wie ein Hund die Zähne fletscht. Dir gruselt es vor dieser Frau.
„Hatte ihr Bruder Feinde, Herr Hoppenstedt?“, fragt dich die Hauptkommissarin Jaskewitsch mit sachlicher Arroganz. Versteht die nicht, wie es gerade in dir drunter und drüber geht, ärgerst du dich und antwortest unkooperativ: „Nicht, dass ich wüsste.“ Was sollst du auch sonst in dieser Situation sagen.
„Hatte er eine Freundin?“
„Natürlich.“
„Name und Adresse.“
„Doreen Rokahr, wohnt mittlerweile bei meinem Bruder. In Seelze.“
„Was war ihr Bruder von Beruf?“ Ihr Aufhorchen, als du den Namen der Kleinstadt nennst, du schenkst ihm keine Beachtung. Kannst ja nicht wissen, dass die Stadt der „Chemischen“ die Heimat der Hauptkommissarin ist. Stattdessen gibst du mechanisch Auskunft über deinen Bruder. Er ist Betreuer in Wohngemeinschaften von Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen.
„Eine Umwelt, bei der man sich kaum Feinde schafft“, stellt die Hauptkommissarin nüchtern fest. „Hatte er Hobbys?“
„Aikido. Die Stunde läuft schon. Ich bin zu spät.“ Du nickst mit dem Kopf zur breiten Treppe und der dahinter hell erleuchteten Türfront. „Seine Freundin finden Sie dort auch“, ergänzt du, nicht, weil du helfen möchtest, sondern weil die Polizei das sowieso in Kürze herausfinden wird.
„Aha?!“ Die Hauptkommissarin zupft mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Hals, was wirklich sehr skurril aussieht, resümierst du mit einem Anflug an Widerwillen. Warm wirst du mit dieser Person nicht werden, weißt du.
Mehr als dieses indifferente „Aha“ sagt die Hauptkommissarin nicht. Nickt nur mit einem wissenden Gesichtsausdruck. Was soll das bedeuten? Dass sie den Mörder unter den Teilnehmern der Aikidogruppe vermutet? An dieser Stelle sagst du ihr nicht, wie sehr sich der Trainer eine Zeit lang um die Freundin deines Bruders bemühte, Doreen sich letztendlich aber für Phillip entschied.
Offensichtlich war es gewesen. Wochenlang. Marc, der Trainer – ihr duzt euch alle – nahm sich jede Trainingseinheit viel Zeit, Doreen die Techniken und Kniffe beizubringen. Seine Augen glänzten, Doreen schenkte ihm oft ein Lächeln. Anfangs noch schüchtern, später offener. Doch immer war es der Ausdruck der Schülerin zum Lehrer, nie der einer Verliebten. Marc verstand dieses nicht. Wollte es nicht verstehen, hattest du den Eindruck.
Und dann kam der Bruch.
Es war Anfang Oktober, gerade sechs Wochen her. Ihr wart nach dem Training alle noch im Pindopp gewesen. Zum Abschied hatte Marc Doreen in die Arme genommen. Vollkommen überzogen.
Dann war er zu seinem Auto gegangen; Doreen, Philipp und du in die entgegengesetzte Richtung. Doreen hakte sich bei Philipp ein, du warfst einen Blick über die Schulter. Deine Augen trafen den Blick des Trainers, der sich ebenfalls umgewendet hatte. Deutlich nahmst du Unverständnis und Enttäuschung wahr. Hast es aber für dich behalten. Bis heute.
Doreen und Philipp wurden an diesem Abend ein Paar. Dein Bruder sagte es beim nächsten Mal dem Trainer. Denn er hatte eine freundschaftliche Beziehung zu ihm und musste seiner Freude Luft geben, endlich wieder eine Freundin zu haben. Es überraschte dich damals total, wie leicht Marc das wegsteckte. In seinem Verhalten war keine Änderung zu spüren. Er begegnete Doreen, Philipp und dich nach wie vor sehr freundlich und respektvoll.
Du erklärtest dir dieses mit Marcs Nähe zum Zen. Immer die Gegenwart akzeptieren, immer jede Person in seiner Einzigartigkeit zu respektieren. Doch diese Deutung bricht gerade zusammen wie ein ausgemustertes Hochhaus, das mittels ausgeklügelter Sprengstoffverteilung in sich zusammenfällt. Der Krach betäubt deine Ohren, im Mölm des Schutts kannst du keinen Meter mehr sehen.
Dein ganzer Magen zieht sich auf Größe einer Haselnuss zusammen. Vor deinem geistigen Auge siehst du noch einmal, wie schnell und geschickt Marc mit dem Schwert ist. Ein paar kurze Drehungen, und sein Schwert liegt an deiner Kehle. Wenn auch aus Holz. Oft genug hast du diesen Druck selber auf deinem Kehlkopf gespürt.
Polizisten in Uniform sperren mit ihrem blauweißen Band den Tatort ab. Dich geleitet die Hauptkommissarin Jaskewitsch zur breiten Treppe. Mit runter in die Halle willst du nicht.
Schreiend kommt Doreen ein paar Minuten später in ihrem weißen Trainingsanzug heraus gestürmt. Du ziehst sie in deine Arme. Weinst mit ihr.
Die Polizei schickt die Gruppe rigoros in die Umkleide zurück. Zehn Minuten später sind alle umgezogen im Treppenhaus, um ihre Aussagen zu Protokoll zu geben. Selbst die Neue ist da. Jiao Zhan. Du bist beeindruckt von ihrem Lernwillen und ihrer Disziplin. Nie hattest du eine Person ungeschickter mit dem Schwert umgehen sehen. Dennoch bleibt sie jedes Mal nach dem Aikido die halbe Stunde länger, um sich an diesem Holzstock abzumühen. Und auch jetzt keimt in dir der alte Verdacht. Mit spitzen Ohren und scharfen Augen beobachtet sie Marcs Gespräch mit der Hauptkommissarin. Wieso nur macht der Trainer ihr keine Avancen? Würde Jiao dich in der Art anhimmeln, wie sie es bei Marc macht, sofort würdest du sie auf einen Tee einladen.
Aber du bist irgendwie zu unscheinbar für die Frauen. Nicht nur in deiner Gruppe. Auch an der Uni.
Dabei warst du der erste gewesen, der aus deiner Gruppe mit der Neuen gesprochen hatte. Am Bismarckbahnhof fragte sie dich, wo die Turnhalle wäre. Anhand deiner Schwerttasche wusste sie, ihr hattet denselben Weg. Stolz führtest du sie zur Umkleide.
Das ganze Training über ruhte dein Blick auf ihr. Und sauer warst du. Wütend auf deinen Bruder Philipp, der sie regelrecht anbaggerte, obwohl er gerade erst zwei Wochen mit Doreen zusammen war.
Eigenartig, wie sich dieser Tag in dein Hirn gebrannt hat. Als würde mit ihm eine neue Zeitrechnung für dich beginnen. Zwei Wochen vor Jiao das Zusammenfinden von Doreen und Philipp; eine Woche nach Jiao der tragische Unfall deines Vaters. In den Serpentinen zwischen Nienstedt und Einbeckhausen war er tödlich verunglückt.
Die eintreffenden Polizeipsychologen reißen dich aus deinen Gedanken. Und treiben die ganze Gruppe auseinander. An ein gemeinsames Ausgehen in eine Kneipe ist nicht mehr zu denken. Das hättest du auch auf keinem Fall gewollt. Du sehnst dich nach deinen vier Wänden. Willst mit deinem Schmerz alleine sein. Lediglich Doreen, die sowieso schon bei dir und deinem Bruder wohnt, dürfte mitkommen.
Sie mag aber nicht, will sich von der Polizei zu einer Freundin fahren lassen.
Der Trainer wird in das Fahrzeug der Hauptkommissarin gebeten. Er muss mit aufs Revier.
*
Am nächsten Freitag sind Jiao und du die Einzigen, die nicht mitbekommen haben, dass das Training aufgrund der Trauer ausfällt.
Überraschender Weise lädt dich die hübsche, große Chinesin auf einen Nachtspaziergang ein. Ihr fährt mit deinem Wagen in den Pänner-Schuster-Weg. Bei den Kleingärten parkt ihr, um schnell über die Leine zum Dreiecksteich zu kommen.
Die Nacht ist sternenklar. Und kalt.
Der Lärm der Bundesstraße begleitet euch ein Stück. Zwischen den Teichen biegt ihr ab. An der Spitze des Dreieckteichs setzt ihr euch in die kalte und schon vom Tau befeuchtete Wiese. Es ist dir egal. Du bist froh, mit der „Neuen“ hier zu sein. Dir ist fast, als hättest du ein Rendezvous.
Weit im Westen steht die zunehmende Mondsichel orange am Himmel. Aufgeweckte Wildtauben gurren in den Bäumen. Ganz leise schwappen die kleinen Wellen ans Ufer. Es riecht nach See, ein wenig nach Algen. Verlegen zupfst du Gras. Dabei würdest du gerne deinen Arm um Jiaos Taille legen. Doch so weit seid ihr noch nicht.
„Weißt du schon Neues über den Mord an deinen Bruder, Edwin?“ Du bist froh, dass das Schweigen endlich unterbrochen ist. Wenn das Thema dich auch nicht glücklich stimmt.
„Nein. Die Polizei hält sich sehr bedeckt. Vor allem diese Kommissarin.“
„Sie ist ein komischer Mensch, oder?“
„Komisch?“
„Ich traue ihr nicht. Sie ist hart, wie ein Roboter. Keine Gefühlsregung. Wie die mich ausfragte, gleich am Abend des Mordes. Mitgefühl kennt die nicht. Wie ein Hund hechelte sie durch die Halle.“ Die Chinesin schaut dich eindringlich an, als hätte sie dir ein Geheimnis verraten und wolle nun in deinem Gesicht deine Meinung dazu lesen.
„Das ist ihre Aufgabe. Wahrscheinlich ist sie abgestumpft nach all den Morden, die sie aufzuklären hatte.“ Nachdenklich schaust du auf die Fläche des silbrig in der Nacht schimmernden Teichs.
„Verteidigst du sie?“, fragt die Chinesin mit aufmüpfiger Stimme.
„Verteidigen? Nein Jiao, ich versuche sie nur zu erklären“, weichst du ihrer Feststellung aus, die sich für dich wie eine Anschuldigung anfühlt.
„Und wie erklärst du dir, dass sie Marc mit ihren Augen fast verschlang, Edwin?“ Jetzt ist ihr Blick eine Mischung aus Drohung und Erkenntnis. Damit du ihre Aussage nicht auf dich beziehen sollst, greift sie kurz deine Hand.
Die Berührung fühlt sich gut an und lässt die Worte der Verteidigung in deinem Inneren. Allmählich verstehst du ihre Art zu denken. „Du meinst, die Kommissarin geht davon aus, dass Marc Philipp umgebracht hat? Das ist absurd.“
„Edwin, du verstehst gar nichts. Lüstern schaute diese Kommissarin unseren Trainer an, als wir aufgefordert wurden, in die Umkleidekabinen zu gehen. Glaube mir, ich als Frau erkenne das. Die hätte sich Marc an diesem Abend am liebsten mit in ihr Bett genommen.“
Dieser neuen Wendung der Gedankengänge deiner Begleiterin kannst du nicht folgen. Warum hackt Jiao jetzt auf dieser Polizistin herum? Abweichend antwortest du, nur, weil du glaubst, dass dieses von dir verlangt wird: „Das darf die gar nicht. Mitten in einer laufenden Ermittlung mit einem Verdächtigen anbändeln.“
„Die schert sich nicht um Recht und Gesetz“, braust die Chinesin energisch auf und wirft ein paar kleine Ästchen zum Wasser.
„Jiao, du schaust zu viele Filme“, versuchst du die hübsche Frau an deiner Seite von ihrem Irrweg abzubringen. In dir drängelt die Frage, ob sie auf die Hauptkommissarin eifersüchtig ist. Aber würde diese Vermutung jetzt über deine Lippen rutschen, könnte der Abend ganz anders verlaufen, als du es dir wünschst. So lenkst du ab. Weißt selber nicht, warum du so schlimme Verdächtigungen ausstößt: „Und wenn Marc doch etwas mit dem Mord zu tun hat, Jiao. Das quält mich seit Tagen. Vor Monaten hatte ich sein Katana aus der Saya gezogen. Es ist messerscharf geschliffen.“
„Du spionierst deinem Lehrer hinterher?“ Entrüstet rückt die große Chinesin von dir ab. Vorwurfsvoll funkeln dich ihre Augen an. Schlagartig hast du ein schlechtes Gewissen. Dabei hast du gar nichts Unrechtes getan. Wieso verdreht Jiao die Tatsachen? Sie spricht doch sehr gut deutsch. Dir ist nicht wohl. Instinktiv greifst du dir an den Hals. Deine Hand will etwas abziehen, was gar nicht da ist: „Das war Wochen zuvor. Ich wollte einfach mal mit einem echten Schwert anstelle eines Bokken üben“, rechtfertigst du dich mit wenig Überzeugung in der Stimme und wunderst dich kurz, dass Jiao darauf eingeht und sogar Mitgefühl für dich aufbringt: „Ach so. Entschuldige bitte, Edwin. Ein wenig geht mir diese ganze Sache ans Herz. Du kennst Marc sicherlich schon sehr lange?“
„Zehn Jahre.“
„So weißt du viel mehr über ihn, als ich.“ Du buchst ihre Reaktion als Entschuldigung ab, merkst gar nicht, wie dich Jiao weiter ausfragt: „Hat er denn keine Freundin oder Frau?“
„Seit vier Jahren schon nicht mehr.“
„Auch nicht in der Gruppe? Da gibt es viele hübsche Frauen.“
„Höchstens Doreen.“
Bei Erwähnung dieses Namens zuckt deine Begleitung zusammen. Du hast es jedoch nicht gesehen. In Gedanken versunken an die Bilder dieses Herbstes zupfst du erneut an den Grashalmen.
„Aber Doreen ist . . . war mit Philipp zusammen? Da wollte Marc zwischenfunken?“ Jetzt richtet sich Jiaos Vorwurf eindeutig gegen den Trainer.
„Nein, das war vor der Zeit. Nachdem sich Doreen entschieden hatte, nahm Marc großen Abstand“, gibst du deinem Aikidolehrer Rückendeckung.
„Wann war das?“ Eifrig funkeln Jiaos Augen. Zwei Sterne in der Nacht, in denen der Detektiv erwacht ist.
„Vor sechs Wochen etwa.“
„Das ist ja noch ganz jung. Was ist, wenn Marc das doch nicht so einfach weggesteckt hat, Edwin? Stellst du dir diese Frage gar nicht?“
Nein, diese Frage verdrängst du. Du willst nicht, dass das Ansehen deines Trainers befleckt wird. Nicht von den eigenen Gedanken, nicht durch die Wahnvorstellungen Dritter. „Marc sieht gut aus, er könnte viele Frauen haben, wenn er wollte“, hoffst du, abzulenken.
„Warum nimmt er dann nicht mich?“ Provokant flackern Jiaos Augen, während ihre Hände sich in ihre eigenen Oberschenkel krallen.
Jetzt bist du da, wo du nicht hingewollt hast. Dein Rendezvous entrückt dir. Was du geahnt hast, jetzt steht es vor dir: Jiaos Herz schlägt für Marc, nicht für dich.
Du stehst abrupt auf.
Mit einer Geschwindigkeit, wie du sie noch nie erlebt hast, greift Jiao dein Handgelenk. Kraftvoll zieht sie dich zurück auf die Wiese. Wieder neben ihr sitzend wird ihre Hand sanft. Lässt dich aber nicht los. Dieses beruhigt dich. Wie Winterlinge, die sich durch den ersten Schnee bohren, erwächst neue Hoffnung in dir.
„Philipp hat von Anfang an auf der Matte meine Nähe gesucht. Warum, wenn er gerade erst mit Doreen zusammen gekommen ist?“, will die große Chinesin wissen.
Natürlich hast du dieses die ganze Zeit wahrgenommen. Und großzügig drüber hinweg gesehen. Plötzlich dreht sich die Welt um dich. Was du gesehen hast, wird auch Doreen nicht verborgen geblieben sein. „Du meinst, Doreen könnte sich aus Eifersucht gerächt haben? Nein, Jiao, man tötet nicht, ohne einen konkreten Anlass zu haben.“ Du winkst mit deiner freien Hand ab. Lachst deiner Begleitung offen ins Gesicht und verstummst, da sich ein nagender Verdacht in dein Gehirn frisst. Jetzt ist der Zeitpunkt da, nicht mehr zu schweigen, sprichst du dir Mut zu und lässt die Regung deines Herzens nach außen dringen: „Ihr hattet doch nichts miteinander, nicht wahr?“
„Edwin, wo denkst du hin?!“ Die Entrüstung der hübschen Asiatin tut dir gut. Und obwohl du deutlich in ihrer gekünstelten Sprache die Lüge erkennst, lässt du dich mit Blindheit schlagen. Was nicht sein soll, ist auch nicht. Mit dieser Einstellung schiffst du durchs Leben. Wie eine Nussschale, die von Lissabon nach New York schippern will und hochmütig alle Warnenden des Wahnsinns bezichtigt.
„Verflucht, Jiao“, nun legst du deine freie Hand väterlich auf ihre Linke. Diejenige, die dich noch immer gegriffen hält: „In den letzten drei Wochen hat Doreen immer sonntags ein Einzeltraining im Schwertkampf bekommen. Sie war richtig besessen darauf, den Umgang mit der Waffe zu erlernen. Selbst in der Wohngemeinschaft mussten wir fast jeden Abend mit ihr üben. Wir müssen zur Polizei gehen, unbedingt.“
„Halte die Pferde in Zaum, Edwin. Es ist nur eine Vermutung. Vielleicht ein Hirngespinnst. Was ist, wenn Doreen und Marc sich sonntags nur getroffen haben, um ungestört miteinander knutschen zu können? . . . Gelinde gesagt.“
„Fängst du wieder damit an? Das Thema hatten wir schon. Doch du hast recht, wir müssen noch mehr Details in Erfahrung bringen, bevor wir es der Hauptkommissarin sagen.“ Dir ist, als hättest du ein gemeinsames Geheimnis mit der schwarzhaarigen Frau neben dir, und als würde diese Tatsache euch sehr eng zusammenschweißen.
„Wunderbar, ich sehe, wir verstehen uns.“ Die hübsche Frau legt jetzt ihren Arm um deine Schulter und zieht dich an ihre Seite. Diese Nähe gefällt dir prima. Die Kälte, die aus dem Boden in dich aufsteigt, die spürst du nicht.
„In meiner Familie gab es einmal ein großes Verbrechen“, hebt die Hübsche mit ihren langen, schwarzen Haaren feierlich zu einer kleinen Rede an. „Sie wurden Opfer von zu schnell gefällten Urteilen. Deshalb bin ich an dieser Stelle sehr vorsichtig.“
„Was war geschehen?“ Der Märchenton in ihrer Stimme hat dich Blut lecken lassen.
„Es war vor vierhundert Jahren. Unsere Sippe lebte in einem großen Dorf in den Bergen. Mühselig bewirtschafteten sie ihre Terrassen. Der Boden war zwar karg, aber es gab das ganze Jahr über genügend Wasser. Mit Rindermist gedünkt warfen unsere Felder reichliche Ernte ab. Eines Tages gab es nach langen Regenfällen einen großen Erdrutsch. Viele Felder waren zerstört. Aber die Götter beschenkten uns mit dem Unglück. Eine Ader Kupfererz war aufgebrochen. Meine Sippe bekam die Schürfrechte. Schnell kam das ganze Dorf zu einem ansehnlichen Wohlstand.
Wie immer, sind in solchen Fällen die Neider nicht fern. Wir wurden verleumdet, nicht genügend Steuern zu zahlen. Mit den Anklagen waren die Fürsten ganz schnell. Eine Untersuchung wurde nicht gestattet. Wir bekamen keine Chance, uns zu rechtfertigen; die Lüge offen auf den Tisch zu legen. Stattdessen überrannte eine Horde Soldaten das Dorf und mordete jeden Einwohner. Die Kupferminen gingen in den Besitz des Fürsten über. Ein kleiner, habgierige Chinese, der einen europäischen Finanzminister seinen Freund nannte. Dieser kam sogar aus deinem Land, Edwin.“
Solltest du dich jetzt schlecht fühlen? Schnell verscheuchst du diese Emotionen: „Deine Familie wurde maßlos ungerecht behandelt. Ich werde dir beweisen, es gibt auch gute Deutsche.“ Am liebsten hättest du Jiao jetzt in deine Arme gezogen. Sie wirkt in ihrer Trauer so zerbrechlich und schutzbedürftig. Galant reichst du ihr ein Taschentuch. Gütig lächelt sie dich an, während sie ihre Tränen abtupft: „Das weiß ich doch, Edwin.“
Verdammt! du bist dabei, dich in Jiao zu verknallen. Wo soll das enden? Gefräßige Heuschrecken kommen aus der Erde gekrochen, wollen deiner Zuversicht den Garaus machen.
Mit einem Schrei schießt du in die Höhe.
Die Chinesin folgt.
Du streichst an deinen Hosenbeinen entlang, als müsstest du das Ungeziefer abstreifen.
„Was ist? Ist dir kalt? Komm, lass uns zurück zum Auto gehen, Edwin.“
Bestimmend greift die Hübsche erneut deine Hand. Sie ist warm und zart. Dein Herz macht Luftsprünge. Warum eigentlich sollte die „Neue“ sich nicht in dich verlieben? Deine ständige Negativerwartung über die Zukunft, diese Heuschrecken an deinen Beinen, du bist bereit, sie zu rösten, wie es die Tuareg machen.
Vor Jiaos Haus steigst du aus deinem Wagen aus, öffnest ihr die Beifahrertür.
Ihr umarmt euch kurz.
Dann huscht sie hinfort.
Lange ruht dein Blick auf die schon längst wieder ins Schloss gefallene Haustür.
*
Zuhause hast du die Vorhänge schon in der Hand. Durchs Fenster schaust du auf die Pyramide, das Obentrautdenkmal. Hinter ihm huschen die Scheinwerfer ein paar Autos entlang.
Die Gardine ratscht, als du sie zuziehst. Dann hechtest du zum Laptop von Doreen. Das Password umgehst du leicht. Stundenlang wühlst du dich durch die Dateien. Nichts!
Keine Fotos von Marc Höppner, dem Trainer. Keine mails an oder von ihm. In Doreens Leben hat er anscheinend keine Rolle gespielt. Hat deine Mitbewohnerin wirklich ein Motiv? Nach diesen Erkenntnissen zweifelst du ein ganz klein wenig an deiner Unterstellung.
Da kratzt und schabt es an der Wohnungstür.
Du schlägst den Laptop zu, löschst das Licht, flitzt in die Küche.
Doreen kommt stark angetrunken nach Hause. Setzt sich zu dir, heult dir die Ohren voll. Sie kommt genauso wenig über den Tod Philipps hinweg, wie du selber.
Still schimpfst du dich einen Lump, so ein Misstrauen gegen dieses arme Mädchen gehegt zu haben. Dir ist klar, sie hat deinen Bruder nicht betrogen; nie und nimmer ihm die Kehle durchgeschnitten.
Nach dem zweiten Espresso lallt die Freundin deines Bruders nicht mehr so stark. Auch kriegen ihre Gedanken wieder mehr Kontur.
„Hast du schon eine Vermutung, wer Philipp umgebracht haben könnte, Edwin?“ Doreen sitz eingesunken auf dem Stuhl und schnaubt sich die Nase.
Du spürst, sie will auf jemanden Bestimmtes hinaus. Hältst dich aber bedeckt; zumindest, was den zweiten Teil deiner und Jiaos Vermutung betrifft: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer das getan hat. Philipp hatte keine Feinde. Weder an der Uni noch im Aikido. Die Hauptkommissarin hingegen unterstellt Marc ein Motiv.“
„Marc!?“ Doreens Reaktion kommt dir ein wenig zu heftig vor. Ist da doch etwas gelaufen? Diesen Punkt willst du später weiter verfolgen. Jetzt willst du sie nicht verärgern. Sie soll plaudern.
„Nun - ja“, stotterst du, „sie denkt, - weil er dich mag und - du ihm Philipp vorgezogen hast . . .“
„Wer hat ihr denn das gesteckt?“ Doreen schlägt mit der Faust auf den Tisch. Ein Zipfel ihres Taschentuchs guckt zwischen Daumen und Zeigefinger hervor.