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Mikka Tornesch kombiniert in diesem Buch Phantastik mit Horror und einer Prise sinnlicher Erotik.
In der Kurzgeschichte „Der gläserne Patient“ geht es zu den Abgründen menschlichen Seins. Um den Profit maximal zu steigern, beschreiten zwei Ärzte spektakuläre Wege der Organgewinnung. Können die Opfer dem Schmerz entkommen?
Im Hauptstück des Buches, dem teuflischen Mann, gesellt sich Satan selbst unter die Menschen, um junge Mädchen zu ernten. Doch Inga Fisker scheint einen Schutzengel zu haben. Ein Recke, der mit dem Schwert fast noch besser umgehen kann als Satanel. Aber wird er das Mädchen retten können?
Letztendlich ist es in der dritten Geschichte eine Frau, die teuflischen Gelüsten nachgeht. Gekonnt lockt sie mit ihrem Harfenspiel Männer in die Irre. Leichtbekleidete Frauen helfen ihr, den Mann zu umgarnen, wie Spinnen ihre Beute. Auch der stämmige Ion Kowaljow kommt von seinem nächtlichen Wege ab. Hat er einen teuren Preis zu zahlen für nur einen Kuss?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Der gläserne Patient
Der teuflische Mann aus Sønderborg
Die verführerische Nixe vom Spreewald
Weitere Werke des Autors
Leseprobe aus „Die verbrannte Tochter“
Seelze-Dedensen im Jahre 2031.
„Sollten wir ihr nicht eine Beruhigungsspritze geben?“ Ekrem schaut mit einem Anflug an Mitgefühl auf die Frau Anfang Dreißig, die auf dem OP-Tisch angeschnallt ist.
„Unnütze Geldausgabe.“ Doktor Yes Augen scheinen den Fragenden erdolchen zu wollen. Sie spiegeln seinen ganzen Charakter wider. Er ist eine autoritäre Führungspersönlichkeit, ein umwerfend anschauliches Objekt, an dem wir die Einstellung seiner Gattung erkennen können: Für ihn sind seine Mitmenschen faul, unwissend, lügen und wollen die Arbeitgeber von morgens bis abends betrügen. Aufgrund der Zuweisung dieser negativen Attribute wiederum ist er der einzige Leitstern im ganzen Universum. Derjenige, der die Berufung hat, diese Mitarbeiter mit harter Hand zu führen, damit aus den geistig Fünfjährigen zumindest brauchbares Material für den Moment wird. Respekt, Gerechtigkeit und Anerkennung muss ihnen nicht gewährt werden. Schließlich haben sie es sich selber zuzuschreiben, wenn er nicht achtsam mit ihnen umgeht.
„Könnten wir ihr nicht wenigstens einen Knebel geben?“, wagt Ekrem dem großen Doktor zu widersprechen. Er ist erst seit einem Monat im Dienst und hat trotz unzähliger, geistiger Breitseiten noch nicht gelernt, das Maul zu halten.
Einen Gott kritisiert man halt nicht.
„Ab heute übernehmen Sie die Nachkalkulation, Herr Ekrem. Dann werden sie schnell eine Einsicht erlangen, wie die Herstellkosten so gering wie möglich gehalten werden“, kontert Doktor Yes in seiner selbstgefälligen Art.
„Aber sie wird von den Schmerzen erwachen.“
„Und sie nicht lange ertragen. Sie werden sehen, Herr Ekrem, diese Frau wird sehr schnell verständig werden“, geht der Arzt über den erneuten Einwand hinweg, wie eine große Woge am Meeresstrand über ein in den Sand geritztes Bild. „Ich hoffe nur, Sie und Herr Dirk werden ähnlich urteilsfähig sein, wenn wir hier fertig sind. Wir haben da einige Schwachpunkte Ihres Einsatzes zu besprechen“, schiebt er mit einem herablassenden Blick nach. Kurz bevor er sich seiner aktuellen Aufgabe widmet.
Am Anfang der Scheide setzt der Arzt sein Skalpell an. Leicht in das Fleisch gedrückt, zieht er es bei der auf dem OP-Tisch gefesselten Frau bis zum Hals durch. Schon nach den ersten Zentimetern ist die auf dem Tisch Gefesselte mit einem irrsinnigen Schrei aus ihrer Betäubung erwacht. Das laute Kreischen geht über in ein Weinen, als die Klinge des scharfen Bestecks zwischen ihren Brüsten entlang gleitet. Wie die beiden Gehilfen des Arztes vorsichtig mit einem Schabmesser ihre Haut vom Gewebe ziehen, wird aus dem Weinen ein Wimmern. Dieses wird leiser. . . . und leiser . . . und lei . . . und . . . u.
Fachmännisch häuten die beiden Gesellen Ekrem und Dirk die Vorderseite der Frau. Sorgfältig wird die Haut an der Seite abgeschnitten, vorsichtig zusammengelegt und behutsam in einen kleinen Kühlbehälter gelegt, der mittels Trockeneis auf einer unteren Ebene gekühlt wird. Nachdem die Haut der Vorderseite eingelagert ist, wird die Kühlbox verschlossen und beiseite gestellt.
Im Anschluss daran wird die Frau von Doktor Yes akribisch auseinander genommen. Darm, Lunge, Niere, Herz, Milz und Magen wandern in farblich unterschiedliche Kühlboxen, alle tragen schon Lieferscheine in einer Extrafolie eingeschweißt auf dem Deckel. Die Boxen werden auf kleine Wägelchen gestellt, die automatisch zum Versand fahren. Dort übernehmen vorprogrammierte Drohnen die Kisten und starten durch das für diesen Zweck geöffnete Scheunendach. Es ist spät in der Nacht. Drei Uhr morgens. Das „Institut“, ein ehemaliger Bauernhof im Südzipfel des zu Seelze gehörenden Dorfes Dedensen, liegt sehr versteckt. Ein eigens angepflanzter Waldstreifen umschließt es, wie ein Ehering den Finger. So nimmt kein Anwohner wahr, wie die Drohnen sich gleich Brieftauben auf den Weg machen, Krankenhäuser mit ihrer frischen Ware zu beliefern.
Nach der Entnahme der Innereien der Rohstofflieferantin werden ihr die Beine und Arme abgetrennt. Diese werden mit Drohnen zu diversen Forschungseinrichtungen gefahren, die sich dem Thema „Humane Prothesen“ angenommen haben. Die Wissenschaft steckt noch in den Anfängen, von daher hat sie eine hohe Nachfrage. Ein lukratives Nebengeschäft.
Nicht zum Beiwerk hingegen gehören der Verkauf von Blut und dem größten Organ des Menschen, der Haut. Erstes wird während der gesamten Operation gesichert, die Haut erst versendet, nachdem auch der Rücken abgeschabt wurde.
Der Kopf wird zu einem Zwischenhändler gesendet, der Gehirn, Augen, Ohren, Nase und Mund weiter verwertet; der Torso an eine Schlachterei, die offiziell daraus Tierfutter herstellt. Inoffiziell kursieren Gerüchte, dieses Fleisch wird in Form von Schinken, Goulasch, Brust-Geschnetzeltem und Mett an den Mann (und auch die Frau) gebracht. Unwissend natürlich, was die Köche am Sonntag wirklich ihrer Familie kredenzen.
*
Nachdem die gesamte Frau ihrer Wiederverwertung überführt worden ist und sich alle Beteiligten gereinigt und desinfiziert haben, kommt es im Büro des Arztes und Institutsleiters zu dem angesprochenen Klärungsgespräch. Bemängelt wird die noch nicht ausgereifte Programmierung der Ernte-Drohnen. Anders als die Genesis-Drohnen, die seit mittlerweile zwei Jahren einwandfrei ihre Dienste verrichten und zufriedene Kunden hinterlassen haben.
Ekrem und Dirk verteidigen sich mit dem Hinweis auf die kurze Laufzeit des Projektes „Beschaffung mittels Drohnen“. Bis vor einigen Monaten noch wurden die männlichen und weiblichen Organlieferanten mittels Zeitarbeiter erworben. Das bedeutete neben dem Lohn Zusatzkosten von Anfahrt, Transportwagenmietung, Sprit, Telefon und was den Brüdern noch so einfiel.
Der größte Posten hingegen waren die exorbitant hohen Personalkosten. Diese sollen mit der Neuausrichtung in erster Linie eingespart werden. Zum anderen und entscheidenden Moment jedoch muss die Verschwiegenheit abgesichert werden. Eine Drohne kann weder plaudern noch Erpressungsversuche starten, die das Unternehmen veranlassen, nicht kalkulierte Kosten für die Entsorgung unliebsam gewordener Mitarbeiter aufbringen zu müssen. Schließlich eignet sich nicht jedes menschliche Exemplar zur weiteren Nutzbarmachung.
Erwartungsgemäß lässt Doktor Yes die Argumente seiner EDV- und Technik-Meister nicht gelten. Es gibt nur eine einzige Wahrnehmung der Wirklichkeit, und das ist seine. Seiner Meinung nach kratzen die beiden Herren Ekrem und Dirk – um die Anonymität zu wahren, wird jede Person nur mit ihrem Decknamen angesprochen – an der Tür des Herabstufens zum Taugenichts.
Einen Monat gewährt er den beiden Herren zur Optimierung. Dann will er die eklatanten Schwachstellen von heute beseitigt wissen. Ganz voran das stümperhafte Setzen der Betäubungsspritze in die Halsschlagader. Wie die Aufzeichnungen der in der Drohne installierten Kamera belegen, konnte die Frau mindestens zehn Sekunden lang nach Hilfe schreien, bevor ihr die Sinne schwanden. Das muss gen Null verkürzt werden, ist eine der neuesten Vorgaben des Institutsleiters. Entsprechend seiner neuen Lieblingslektüre über die Arbeitsphilosophie des Kaizen.
Als nächstes zu beseitigendes Übel prangert Doktor Yes die zu hohe Druckkraft der Greifarme an. Hämatome an Hals und Schultern der geernteten Person könnten zu Preisnachlässen führen, ist seine große Befürchtung.
*
Vier Wochen später sitzen Ekrem und Dirk in einem nachgemachten Polizeifahrzeug in der Königsstraße in Hannover, am Rand der Unterführung. Analog aktueller Fotos haben sie das Modell ausgesucht sowie Banderolen und das Nummernschild exakt nachgestaltet.
Dirk sitzt auf dem Beifahrersitz und steuert mit seinem Tablett die Ernte-Drohne, die auf der anderen Seite der Brücke die Bushaltestellen am Thielenplatz im Auge hat. Das altbewährte Opernhaus zum einen, das Schauspielhaus sowie ein absolut angesagter Club zum anderen verspricht zu später Stunde eine große Herde, aus der ausgewählt werden kann. Ähnlich wie Löwen im Familienverband eine Antilopenherde angreifen und taktisch das schwächste Glied der Nahrungslieferanten ausmachen, sondieren auch die beiden Gesellen des trendbewussten und geschäftstüchtigen Unternehmers die zu vermittelnden Menschen.
Noch ist die Straße ruhig. Nur eine sich ins Innere des Polizeifahrzeugs verirrte Fliege sorgt für Aufsehen. Dirk hat schon aus dem Handschuhfach das Handbuch für das Fahrzeug geholt, um dem herumschwirrendem Insekt den Garaus zu machen, als sich eine Hand fest auf sein Handgelenk legt.
„Diese Fliege profitiert genauso von dem Wunder „Leben“, wie du und ich“, wird Ekrem philosophisch. „Sie freut sich seiner Existenz, ist beseelt von der Suche nach Nahrung und einem Geschlechtspartner. Wie du und ich. Es ist immer das Gleiche. Überall dreht es sich um Hunger und Sex.“
„Und!?“ Dirk will sich brüsk aus dem Griff seines Kollegen befreien. Bevormundung mag er gar nicht.
„Siehst du die Sterne da oben am Himmel, Dirk? Wie viele werden es sein?“ Weil Ekrem seine Frage nur rhetorisch gemeint hat, führt er unvermittelt fort: „Millionen? Milliarden? Und höchstwahrscheinlich gibt es auf keinem weiteren Stern Leben. Verstehst du nun, wie einzigartig es auf der Erde ist? Wie groß unser Glück ist? Auch das eines Grashalms oder einer Fliege. Und gerade die Insekten, die es aufgrund der Umweltgifte so schwer haben . . .“
Dirk legt das Buch zurück in das Handschuhfach. Schaut sich das erste Mal in seinem Leben eine Fliege bewusst an. Wie sie vorwärts krabbelt mit ihren sechs Beinen, mit dem Rüssel mikroskopisch kleine Nahrung aufnimmt, mit den beiden Vorderbeinen über ihren Kopf streift. Unerwarteter Weise erwachsen in ihm jetzt Freundschaftsgefühle. Dieses zarte Wesen gilt es mit seiner ganzen Kraft zu beschützen, als es zu vernichten, ist ein völlig neuer Gedanke in ihm.
„Wenn du dem Leben so zugeneigt bist, Ekrem, wieso bist du dann zum Menschenjäger geworden?“, kann er sich dennoch eine provozierende Frage nicht verkneifen.
„Kerl, hier ist es anders“, entrüstet sich der Kritisierte und ärgert sich obendrein, als der Mann neben ihm seine Augen verdreht, „wir entnehmen ein Leben und schenken dafür fünf Existenzen eine Fortführung ihres irdischen Daseins. Wo siehst du da etwas Verwerfliches? Damit sollten wir keine Probleme haben. Nur weil die Hergebenden sich ihres Mehrwertes nicht bewusst sind, dürfen wir nicht moralisch werden. Wir engagieren uns für eine gute Sache. Was hingegen brächte es dir oder irgendjemanden Anderes, wenn die Fliege platt an der Windschutzscheibe kleben würde?“
„Ist ja gut.“ Neue Geschäftigkeit vortäuschend richtet Dirk sein Augenmerk auf den Screen. Er weiß, der Intelligenz seines Kompagnons nicht gewachsen zu sein, deshalb fängt er jetzt keine Diskussion über Doppelmoral an.
„Schau dir die Kleine an! Mann, ist die heiß.“ Wie ausgewechselt ist die Gefühlsregung des Beifahrers. Eben noch war er leicht deprimiert, jetzt ist er ins Schwärmen gefallen und zoomt die Person aus der Masse heran.
Ins Visier hat die Kamera der Drohne eine junge Frau mit schulterlangen, hellblonden Haaren genommen. Etwa zwanzig Jahre, eher klein und zierlich mit einem unschlagbar niedlichen Gesicht. Sie steht im Pulk, der auf Einlass in den Club wartet.
Ekrem holt sich das Tablett rüber und flitzt mit seinen Fingern über den Bildschirm. In Windeseile hat er den Code der elektronischen Gesundheitskarte der jungen Frau geknackt. Nun hackt er sich bei der Kasse ein, um ihre Daten auszuspionieren.
„Kein Sport, keine Verhütung, keine Frauenarztbesuche – demnach kein Freund“, brummelt er in seinen Bart, „hoher Blutzuckergehalt, schlechte Eisenwerte, vermehrt Behandlung wegen Schuppenflechte, unternormale Langzeit-EKG-Werte, extrem schlechte Belastungsfähigkeit – Dirk, das Mädchen ist nicht geeignet. Schlag es dir aus dem Kopf.“
„Mensch Ekrem, lass nur ein einziges Mal Fünfe gerade sein. Wir könnten sie uns eine halbe Nacht lang sichern, bevor wir sie dem Doktor übergeben.“ Als wäre der Fahrer schwer von Begriff, schlägt Dirk seine Faust Daumen voran gegen seine andere Handfläche.
„Dirk, es geht nicht um Spaß haben“, bleibt dieser ernst. „Wir haben nach Umsatz zu entscheiden. Und dieses Girl wird garantiert nicht viel einbringen.“
„Sei nicht immer so penetrant gewissenhaft, Mister Controlling. Dein trockenes Kalkulieren vermauert dir ja jeglichen Zugang zur Lebensfreude. Lass sie uns greifen und ihr zeigen, wie schön es mit Männern ist. So geht sie nicht mehr als Jungfrau zum Doktor ins Besprechungszimmer. Glaub mir, sie wird ihren Spaß haben.“ Aufwendig versucht Dirk seinen Kollegen von der Notwendigkeit zu überzeugen, die junge Blondine heute zu pflücken. Dieser indes lässt sich nicht für das Anliegen seines Begleiters erwärmen. Stattdessen straft er ihn mit tadelndem Blick.
*
Saliha hat sich den ganzen Tag schon auf den Abend gefreut. Jetzt steht sie vorm Spiegel, bringt ihr schulterlanges Engelshaar in Form, zieht ihre Augenlider mit einem blauen Eyeliner nach, trägt dick Mascara auf. Gülistan will gleich vorbei kommen und sie mit in einen angesagten Club nehmen.
Ihre Freundin ist ein Kopf größer, trägt langes, schwarzes Haar, heute zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das gibt der Vierundzwanzigjährigen ein teeniehaftes Aussehen.
Aufgeregt ist Saliha aufgrund der Aussicht auf Männerbekanntschaft. Noch nie hat sie mit einem Jungen mehr gemacht als geknutscht. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Wenn da nur nicht der Bammel vorm ersten Mal wäre. Die Bedenken, zu versagen, den Mann nicht bedienen zu können, vielleicht keine Lust zu empfinden, einfach nur wie ein Stock unter dem Burschen zu liegen und nicht zu wissen, wie sie sich ihrer eigenen Lust nähern kann. Dieses aus Unsicherheit geborenes Hadern mit sich selber ist die Quelle ihres Muffensausens. In Kürze wird sie zwanzig. Allen Mut für heute Abend hat sie zusammengenommen, um demnächst nicht mehr beschämt Ameisen vor ihren Schuhspitzen zu zählen, wenn die Freundinnen von ihren Liebesabenteuern berichten. Der Club, so hat ihre große Freundin zugesichert, ist bekannt für unkompliziertes Kennenlernen. Letztes Wochenende, als sie mit ihrer Freundin Edith dort war, fragten zwei Männer, ob sie die beiden lecken dürften. Gülistan und Edith gingen mit den Kerlen in ein geräumiges Auto und ließen sich von warmen Zungen zwischen den nackten Oberschenkeln massieren. Bis zum Finale. Hinein durften die Lümmel der Männer hingegen nicht.
Gerade dieser Punkt der Rücksichtnahme hat Saliha imponiert und ihr ein großes Stück der Angst genommen. Der Abend könnte erregend werden, ohne nennenswerte Folgen beachten zu müssen.
Als Gülistan vorm Haus einparkt, hastet die junge blonde Frau mit klopfendem Herzen das Treppenhaus hinunter. Unten reißt sie die Haustür auf, als die Schwarzhaarige gerade den Klingelknopf drücken will. Wie von der Tarantel gestochen zuckt die Freundin zusammen. Gleich darauf brechen beide in ein schallendes Gelächter aus.
„Engelchen, du siehst zum Anbeißen schön aus“, wird Saliha von ihrer Freundin mit einem Lob und zwei Wangenküssen empfangen, bei denen die Zähne aber inaktiv bleiben. „Von dir würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden, Schätzchen. Wie machst du es nur, so begehrlich zu wirken.“
„Naturtalent“, grinst die Blonde frech, greift ihre Freundin an der Hand und zerrt sie zum Auto. Auf dem Bürgersteig schaut sie nach oben. „Wie viele Sterne mögen es sein, Gülistan? Millionen? Milliarden? Und alle strahlen heute nur für uns.“
„Siehst du in ihnen ein besonderes Gesicht, Saliha?“ Schäkernd zwickt die Schwarzhaarige ihre Freundin in den prachtvollen Hintern. Er wirkt gemessen an dem Rest des Körpers überproportioniert. Einfach umwerfend viel Fleisch, welches die Blicke der Männer auf sich ziehen wird, weiß die in Liebesdingen Erfahrene, schweigt aber über diesen Punkt. Stattdessen ergötzt sie sich über die enge Jeans, die figurbetont alle Vorzüge unterstreicht.
Im Club ist es voll. Gülistan führt ihre Begleitung als erstes für einen Cocktail an die Bar. Erste, uninteressante Männer suchen Kontakt. Schnotterig lässt die Große die unbeholfenen Annäherungsversuche abblitzen. Still amüsiert sich Saliha über so viel Frechheit. Dann sieht sie Frank auf der Tanzfläche.
Bis vor ein paar Monaten waren sie in einer Klasse. Jetzt ist September, das Abi haben sie alle im Juni locker geschafft, erste Klassenkameraden und Mitschülerinnen sind zum Studieren schon weggezogen. Ob es Frank auch in eine andere Stadt zieht? Hoffentlich nicht.
Saliha ist überrascht über ihren Wunsch; über ihre Sorge. Bisher war Frank einfach nur Frank. Heute, wo sie vom Cocktail angeschwippst und von Gülistans Geschichten angestachelt ist, erkennt sie seine schönen Seiten. Langsam wippend schreitet sie zu ihm auf die Tanzfläche.
Wird er mich annehmen?
Er wird. Der blonden Frau fällt ein Stein vom Herzen, als der schöne Boy sich zu ihr wendet und seine Armbewegungen den ihren anpasst. Schnell haben sie im Tanzen eine nonverbale Kommunikation gefunden. Sie lachen viel, zwinkern sich zu, berühren wie unabsichtlich mit ihren Händen den Körper der oder des Anderen. Erst nach weit über einer Stunde verspüren sie Durst und Erschöpfung. Frank lädt Saliha auf ein Wasser und ein Glas Sekt ein. Den Sprudel gegen den Durst, den Schaumweit gegen die Befangenheit.
Gülistan, die ebenfalls ausladend getanzt hat, gesellt sich mit einem Jungen, den sie gerade am Aufreißen ist, zu den beiden an der Bar. Mit lockeren Sprüchen weist sie Frank auf die Vorzüge ihrer Freundin hin. Ein Umstand, den es eigentlich nicht bedurft hätte, weiß Saliha, da sie in den Augen des ehemaligen Klassenkameraden wie in einem Buch liest. Eigentlich. Denn uneigentlich ist genau Gülistans Unkompliziertheit die Sonne, die das Eis der Angst um beider junger Leute Herzen zum Tauen bringt.
Saliha sitzt auf dem Barhocker, Frank steht in ihrem Rücken, hat von hinten seine Arme um ihren Leib geschlungen. Es fühlt sich für die Frau beschützend und geborgen an. Vertrauensvoll lässt sie ihren Rücken gegen die Brust des jungen Mannes fallen. Sie spürt seine Wärme, seinen Herzschlag. Der sanfte Atem, der ihren Nacken streift, lässt sie erschauern.
Sie spricht mit Frank, als würden sie sich schon sehr lange äußerst intensiv kennen. Froh ist sie, dass der Boy weiß, Konversation zu betreiben. So entstehen keine unangenehmen Pausen des Schweigens.
Als ein langsames Stück aufgelegt wird, gehen sie wie selbstverständlich auf die Tanzfläche und wiegen sich eng umschlungen im Rhythmus. Irgendwann finden ihre Lippen wie von selber zueinander. Es ist der Startschuss für ein stundenlanges Knutschen.
Saliha ist glücklich. Losgezogen ist sie mit der Absicht, auf Sex zu treffen – eine Charaktereigenschaft, die gar nicht zu ihr passt – gefunden hat sie Liebe. Bei der sich ganz zaghaft eine Leidenschaft einnistet, wenn sie ihren Busen am Körper ihres Tanzpartners reibt.