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München... Schwabing... Atelierfeste im Fasching...
Ein Gast erhält eine mysteriöse telefonische Nachricht: »Zwei Kisten zu 40 Stück!«
Ein Geheimnis?
Wenig später sind die Hände des Mannes seltsam verkrampft. Oberamtmann Baumann sieht zunächst nur den Messergriff, der aus der Brust des Mannes ragt...
Harry Genter (* 1929 in München) war ein deutscher Schriftsteller.
Der München-Krimi Tödlicher Fasching erschien erstmals im Jahr 1965; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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HARRY GENTER
TÖDLICHER FASCHING
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
TÖDLICHER FASCHING
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
München... Schwabing... Atelierfeste im Fasching...
Ein Gast erhält eine mysteriöse telefonische Nachricht: »Zwei Kisten zu 40 Stück!«
Ein Geheimnis?
Wenig später sind die Hände des Mannes seltsam verkrampft. Oberamtmann Baumann sieht zunächst nur den Messergriff, der aus der Brust des Mannes ragt...
Harry Genter (* 1929 in München) war ein deutscher Schriftsteller.
Der München-Krimi Tödlicher Fasching erschien erstmals im Jahr 1965; der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
»Du hast dir allerhand Arbeit gemacht«, sagte Peter Grewert anerkennend. Der junge Mann stand in der Nähe des breiten Fensters, das eine ganze Seite des großen Raums einnahm. Trotz der angenehmen Wärme, die der altertümliche Kanonenofen verbreitete, waren die Scheiben des Fensters mit kleinen Eisblumen übersät.
»Man tut, was man kann«, brummte Thomas Walden. Er saß in luftiger Höhe im Reitsitz auf einer Leiter und bemühte sich, eine schimmernde Papiergirlande an der Zimmerdecke zu befestigen.
Das Atelier über den Dächern der Stadt war mit einfachsten Mitteln und viel Phantasie in eine bizarre Faschingslandschaft verwandelt. Grellfarbige Stoffreste und schillernde Girlanden, an denen bunte Lampions schaukelten, spannten sich quer durch den Raum und ließen das weiträumige Atelier niedriger erscheinen. Ein Vorhang aus leuchtenden Luftschlangen und farbenfrohen Schnüren reichte vom Plafond bis fast zum Boden und trennte das Zimmer in der Mitte ab. Das Ganze erweckte den Eindruck eines geheimnisvollen Dschungels. Die mit orangefarbigem Seidenpapier verhüllte Lampe trug das Ihre dazu bei, durch einen gedämpften Lichteffekt eine gespenstisch-düstere Atmosphäre zu schaffen. An den Wänden hingen dunkle, schemenhafte Scherenschnitte, die afrikanische Masken darstellten und die fremdartige Stimmung noch verstärkten. In einer Ecke des Zimmers war mit Hilfe eines quergehängten Spiegels, eines Regals und eines auf zwei Hockern befestigten Bügelbretts eine improvisierte Bar aufgebaut.
»Wirklich, deine Bude ist nicht wiederzuerkennen«, meinte Peter vom Fenster her. Er zündete sich eine Zigarette an. »Wo fast du übrigens deine Bilder versteckt?«
Sein Freund warf einen letzten, prüfenden Blick auf die Dekoration und turnte dann geschickt auf den Sprossen der Leiter nach unten.
»Meine Bilder? Die habe ich vorsorglich auf den Speicher gebracht. Denkst du etwa, ich will meine Arbeiten dem Trubel aussetzen, den es heute Abend hier geben wird?« Thomas lachte. »Außerdem verstehen die meisten meiner Gäste ja ohnehin nichts davon, Roll und den alten Poelders ausgenommen. Und natürlich dich und Tina.«
Peter Grewert spielte nervös mit seiner Zigarette. Walden, der ihn verstohlen betrachtete, stellte fest, dass sein Freund ziemlich verlegen wirkte. Nach einer Weile sagte Peter mit belegter Stimme: »Du hast also - hm - Tina wirklich eingeladen?«
»Klar, sonst würde mir ja wohl die Ehre deines Besuches kaum zuteil geworden sein, was?«
»Unsinn!« Grewerts jungenhaftes, von einem zunftgerechten Backenbart umrahmtes Gesicht verzog sich ärgerlich. »Du weißt ganz genau...«
»Na schön, ich sage ja ohnehin nichts«, grinste der Hausherr. »Allerdings hatte ich vor zwei Jahren den starken Eindruck, dass ein gewisser Jemand bis über beide Ohren in die Kleine verschossen war. Du bist also nicht nur Tinas wegen nach Rom geflüchtet?«
»Natürlich nicht!«, entrüstete sich -Peter. Aber sein Protest klang nicht sehr überzeugend. Während Walden achselzuckend seine Leiter zusammenschob und in einem Nebenraum verstaute, paffte Grewert nachdenklich vor sich hin. Versonnen starrte er aus dem Atelierfenster. Es war draußen dunkel geworden. Schon den ganzen Nachmittag über hatte ein feiner, grauer Schleier über den Dächern von Schwabing gelegen. Zudem war es bitter kalt. Seit Stunden tanzten unaufhörlich große Schneeflocken vom bedeckten Himmel und hüllten die Stadt in einen glitzernden, weißen Teppich ein.
Thomas Walden und Peter Grewert waren junge Kunstmaler und seit vielen Jahren eng befreundet. Beide hatten ihre Studien in München abgeschlossen - jener Stadt, die mit ihrer Mischung aus überschäumender Lebenslust und klassischer Ausgewogenheit, göttlicher Schlamperei und dennoch strengem Formgefühl zu allen Zeiten Musensöhne, unruhige Geister und Lebenskünstler aus allen Richtungen magisch angezogen und in ihren Bann geschlagen hatte.
Vor zwei Jahren hatte der begabte Peter bei einem Wettbewerb ein Stipendium gewonnen, das ihm eine sorglose Weiterbildung auf einer Kunstakademie in Italien ermöglichte. Eben zu dieser Zeit endete auch eine stürmische Affäre, die den jungen Maler mit Tina Feldner, einer Kunststudentin, zusammengeführt hatte. Peter war seinerzeit Hals über Kopf abgereist. An diesem Tag hatten sich auch die Wege der beiden Freunde getrennt. Thomas Walden war inzwischen in der Stadt sesshaft geworden, die ihm alles bedeutete - Schaffen und Leben, Arbeit und Freude zugleich. Seine Atelierwohnung in der ausgebauten Mansarde eines verwinkelten Hinterhauses in Schwabing war nicht komfortabel, aber geräumig, ruhig und vor allem finanziell erschwinglich. Hier arbeitete und lebte Thomas, wenn er nicht gerade drüben in der Kunstakademie war, die dem talentierten jungen Maler vor kurzem einen Lehrauftrag erteilt hatte. Waldens Bilder waren modern und trotzdem in Farbe und Form gefällig. Sie atmeten den lebhaften und grellen Rhythmus seiner Zeit. So war es Walden nach anfänglichen Schwierigkeiten gelungen, sich durchzusetzen. Er hatte nie Überfluss, aber genug zum Leben.
Peter Grewert war über die Weihnachtszeit zu Hause bei seinen Eltern im Rheinland gewesen. Auf seinem Rückweg nach dem sonnigen Süden war es natürlich Ehrensache, dass er seinen Freund Walden in dessen Bude aufsuchte. Dies umso mehr, als Thomas an diesem Abend eines seiner (Peter aus früheren Zeiten wohlbekannten) Atelierfeste arrangierte. Hier, in der eigentlichen Atmosphäre des Künstlerviertels, verstand man noch, Feste zu feiern - fernab von der Konvention steifer Bälle und dem anonymen Trubel großer, inhaltsleerer Massenveranstaltungen. Eine Einladung zu so einer Künstlerparty war für jeden Zunftfremden eine Auszeichnung und eins der wenigen Dinge, die für Geld allein nicht zu haben waren.
Natürlich würde Peter mitmachen. Endlich wieder einmal diese vertraute Mischung von Parfüm, abgestandenem Rauch und Ölfarbe, Bier und Wein.
Und dann war da noch Tina. Peter hatte das Mädchen seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Seit jenem Tag, als...
»Meditierst du länger - oder würdest du unter Umständen bereit sein, mir ein wenig an die Hand zu gehen?«, brummte Walden ironisch. »In einer guten Stunde werden die Gäste aufkreuzen - dann sollten wir eigentlich fertig sein!«
Peter Grewert drehte sich um und nickte verträumt. »Natürlich, was kann ich tun?«
»Komische Frage, das heiße Klima da drunten hat dich entschieden verdorben«, brummte Thomas. »Los, hole alle Kissen und Polster. Schau auch, was du nebenan im Schlafzimmer findest und bring das Zeug her, wir brauchen Sitzgelegenheiten.«
Während Peter nebenan verschwand, hantierte der Hausherr vorsichtig am Ofen. Das Feuer durfte auf keinen Fall ausgehen. Dann schlenderte Thomas zu dem uralten Klavier, das in einer dunklen Zimmerecke stand, und schlug spielerisch einige grelle Akkorde an. Das Möbelstück war entsetzlich verstimmt.
Grewert, der eben mit einer Ladung Sofakissen zurückkam, warf diese zu Boden und hielt sich erschrocken die Ohren zu.
»Um Himmels willen, du beabsichtigst doch nicht etwa, auf dieser Mühle heute Abend Musik zu machen?«
»Warum nicht?«, erwiderte Thomas grinsend.
»Aber der Apparat geht doch mindestens eine Oktave nach«, japste Peter. »Die ganzen Katzen der Nachbarschaft werden zusammenlaufen!«
»Na, wenn schon, hier gibt’s nur zweibeinige Katzen«, lachte Walden. »Außerdem wollen wir ja nicht Chopin spielen, was? Schön, ich gebe zu, das Ding ist kein Bechstein-Flügel, und die Nähe des Ofens bekommt dem Biest auch nicht.«
»Wo hast du das Vehikel überhaupt her? Gibst du neuerdings Nachhilfeunterricht zur Aufbesserung deiner Finanzen?«
»Ach was! Buddy hat mir das Klavier aufgehalst. Seine Hauswirtin wollte ihn nicht mehr klimpern lassen.«
»Wer ist Buddy?«, wollte Peter wissen.
»Ja so - du kennst ihn ja nicht! Bud Lissom ist ein dunkelhäutiger Boy aus Nigeria. Er studiert hier Medizin. Nebenbei ist Buddy ein ausgezeichneter Jazzpianist. Wirklich große Klasse, der Junge. Und ein feiner Kerl dazu. Wenn er keine Vorlesungen hat, übt er hier bei mir nach Herzenslust. Mich stören seine Phantasien und Fingerübungen nicht. Und sonst fühlt sich hier niemand belästigt. In dem alten Fuchsbau unter mir sind nur Lagerräume einer Schreibwarengroßhandlung - ideal. Ja, der Junge war heilfroh, dass er hier einen Unterschlupf für sein Hobby gefunden hat. Freilich muss er das Klavier alle paar Tage nachstimmen. Aber dafür hat die Kiste auch nur sechzig Mark gekostet, und Bud meint, zum Training der Fingerfertigkeit reicht es aus.«
»Großartig«, lächelte Peter. »Übrigens, wer kommt außer Tina und diesem Mr. Lissom noch heute Abend?«
Thomas gruppierte die Sitzkissen malerisch um einen niedrigen Couchtisch. »Vor allem natürlich Roll...«
»Alexander Roll? Der Kunsthändler?«
»Ja. Der Gute fehlt auf keiner meiner Parties. Alex braucht gelegentlich die Bewunderung junger Damen, und hier hat er die Gelegenheit, ein bisschen den Flaneur zu spielen. In Wirklichkeit ist er völlig harmlos. Du weißt, ich bin ihm ziemlich verpflichtet. Er hat viel für mich getan, protegiert und verkauft meine Bilder...«
»Und verdient daran hundertfünfzig Prozent«, murrte Grewert. Aber sein Freund schüttelte den Kopf. »Du weißt, ich male nicht in erster Linie, um reich zu werden...«
»Aber Roll ist in der Beziehung sicher kein Asket, er fährt bestimmt einen protzigen Jaguar?«
»Mein Gott«, murmelte Thomas, »lass ihm doch seinen Spaß!«
»Nun, mir soll’s recht sein«, meinte Grewert, »gut, wer kommt sonst noch? Die Mädchen, die den großen Mäzen Roll umflattern sollen, holst du dir wohl aus deiner Akademieklasse?«
Walden lachte. »Keine Spur. Das habe ich einmal versucht. Aber die Mädels haben den guten Alexander den ganzen Abend mit Fachsimpeleien gequält, statt ihm schöne Augen zu machen. Nein, die Mädchen bringt Herr Mandrino mit, meist recht leckere Balletthäschen.«
»Mandrino? Das klingt wie Verdi oder allenfalls eine Obstsorte. Ist der Knabe Tanzmeister oder einer der arrivierten, geleckten Playboy-Bohemiens, die jetzt neuerdings hier auftauchen? Dann verschwinde ich lieber gleich.«
Thomas schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Du bist ein Schafskopf und zugleich kulturell nicht auf der Höhe, mein Lieber. Enzo Mandrino ist ein aufgehender Sängerstar, wenigstens seiner Meinung nach.«
»Oper?«, forschte Peter interessiert. Thomas lachte hellauf.
»Keine Spur - Operette, Film und so weiter. Übrigens heißt er eigentlich Vinzenz Mandretzki, Mandrino ist sein Künstlername. Der Bursche sieht gut aus und tanzt hinreißend. Singen? Na ja, ein bisschen, was man halt für die leichte Muse braucht. Er träumt von Danilo und Eisenstein, aber es langte bisher nur für eine Nebenrolle in My Fair Lady. Wenn Mandrino besoffen ist, bekommt er einen Moralischen, dann singt er Lohengrin.«
»Vielversprechend«, feixte Grewert amüsiert, »ein verstimmtes Klavier, ein gutaussehender Schmalztenor und Lohengrin! Das kann ja ein heiterer Abend werden. Übrigens, du erwähntest vorhin Poelders?«
Thomas Walden nickte. »Natürlich kommt unser alter Poelders. Er ist uns zwar immer noch böse, dass wir zur Moderne umgeschwenkt sind, Klecksereien nennt er das, aber du kennst ihn ja.«
Professor Jan Poelders war vor Jahren Thomas’ und Peters Lehrer an der Akademie gewesen, ein feiner alter Herr, aber konservativ bis auf die Knochen. Und das nicht nur in der Musik und Malerei. »Seit Bruckner und van Gogh hat die Kunst nichts wirklich Bedeutendes mehr hervorgebracht«, war Poelders Wahlspruch, von dem er sich nicht abbringen ließ. Trotzdem war er dem munteren Künstlervölkchen von Herzen zugetan und fühlte sich im Kreise der Jugend zu Hause.
Walden musterte indessen sorgenvoll das leere Bar-Regal, das außer einer Anzahl Gläsern nichts enthielt.
»Hoffentlich haben sich die Burschen unsere Partyregel gemerkt: Jeder Gast ist lustig und bringt außerdem eine Flasche trinkbaren Inhalts mit.«
Grewert grinste. Wenn das eine Anspielung sein soll, ich habe zwei Flaschen Wein drüben in meinem Koffer. Trockenbeerenauslese, wenn du überhaupt weißt, was das ist.«
»Na und ob! Wir sind beinahe gerettet«, lachte Thomas. »Übrigens, wegen der Getränke verlasse ich mich auf Hämmerlein, der ist da sehr großzügig.«
»Hämmerlein? Schon wieder ein neuer Name«, wunderte sich Peter. Thomas Walden sagte kurz: »Paul Hämmerlein, Fabrikant.«
»Nanu, seit wann kommt die Industrie zu dir? Du wirst den Ruf deiner Atelierfeste noch gefährden! Woher kennst du denn den Knaben?«
Zu Peters Erstaunen glitt ein Schatten über das Gesicht seines Freundes. Thomas bemühte sich, unbefangen zu bleiben, aber seine Stimme klang unsicher, als er erwiderte: »Paul hat Christa geheiratet...«
»Doch nicht etwa Christa Even?«, fragte Peter neugierig. Er wusste, dass dieses Mädchen lange Zeit mit Thomas befreundet gewesen war. Walden nickte: »Doch, sie heißt jetzt Christa Hämmerlein. Ihr Mann ist wesentlich älter als sie, aber hat viel Geld. Wenigstens vermute ich das.«
»Willst du damit sagen, dass ihn Christa nur deswegen geheiratet hat?«, fragte Peter überrascht.
»Nein, natürlich nicht«, murmelte Thomas zerstreut, »und überhaupt kann mir das jetzt auch gleich sein.«
Peter merkte, dass sich Thomas ärgerte und beeilte sich, deshalb rasch zu fragen: »Ist Hämmerlein wenigstens aus der Branche?«
»Nein, absolut nicht. Er ist der Mann, der Seifen für den Seiden-Teint vertreibt. Nie gehört? Na, ihr da drunten wascht euch vermutlich noch mit Mandelkleie. Sein Slogan hängt doch an allen Litfaßsäulen: Soll Dein Teint wie Seide sein - Seifen nur von Hämmerlein. Das ist Paul. Christa hat eine Zeitlang als Mannequin gearbeitet, nachdem - hm - nachdem die Sache mit mir damals auseinanderging. Bei einer Werbeaufnahme für sein Seifenzeugs hat Hämmerlein sie kennengelernt. Kurz darauf haben sie geheiratet.«
»Donnerwetter«, staunte Grewert, »da ist Christa ja in einen goldenen See gefallen.«
Thomas runzelte seine Stirn. »Ich bin mir darüber nicht im Klaren. Aber lassen wir das jetzt. Christa war jedenfalls immer gern bei unseren Festen, und so habe ich sie auch nach ihrer Verheiratung eingeladen, natürlich zusammen mit Paul. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie gelegentlich so einen unbeschwerten Abend nötig hat. Ihr Mann ist sehr großzügig, er stiftet bei solchen Gelegenheiten immer eine Menge. Pauls Teilhaber kommt übrigens auch, Herbert Schueler. Er ist ein wortkarger Mensch, nicht ganz der Typ für einen Faschingsball. Aber da er Pauls Freund ist, kann ich ihn nicht ausschließen. Ja, das wären dann wohl alle.«
In der Ecke klingelte das Telefon. Thomas gab seinem Freund einen Wink. »Geh du an den Kasten. Ich bin nicht da! Und wenn es die Post sein sollte, um den Anschluss zu sperren, so sage ihnen, sie möchten das erst morgen früh machen.«
Grewert hob ab. Er lauschte eine Weile, bedeckte dann die Sprechmuschel mit seiner Hand und wisperte seinem Freund zu: »Thomas, da ist eine Dame. Sie will deinen Seifenkrösus sprechen.«
»Hämmerlein? Aber Paul kommt doch erst abends. Wer ist es denn? Vielleicht Christa? Gib mal her.«
Thomas nahm den Hörer. »Ja, hier Walden. Sie wollten Herrn Hämmerlein sprechen?«
»Ja, ist er bereits bei Ihnen?« Die Stimme der Frau klang dringlich. Thomas hatte das Gefühl, die Stimme irgendwoher zu kennen. Deshalb meinte er: »Leider nein, Frau - äh...«
Einen Augenblick vernahm Thomas nichts, dann sagte die Anruferin kurz: »Burr, Martha Burr. Unsere Firma steht in geschäftlicher Verbindung mit Herrn Hämmerlein.«
»Aber weshalb versuchen Sie es dann nicht in Herrn Hämmerleins Büro in der Augustenstraße? Ich kann Ihnen die Rufnummer...«
»Danke, dort konnte ich Herrn Hämmerlein nicht mehr erreichen. Und da er mir vor ein paar Tagen erzählte, er würde heute Abend bei Ihnen sein, dachte ich...«
»Bedauere, aber Paul - ich meine, Herr Hämmerlein kommt voraussichtlich erst in einer Stunde. Kann ich ihm etwas bestellen?«
»Oh, das wäre sehr freundlich. Es könnte sein, dass ich ihn heute nicht mehr erreiche, und er wartet auf meine Nachricht. Wenn Sie ihm also bitte bestellen würden, die nächste Sendung besteht aus zwei Kisten zu je 40 Seifen. Werden Sie das behalten können? - Zwei Kisten mit je 40 Seifen!«
»Ich hoffe«, sagte Thomas ironisch, der sich nicht vorstellen konnte, weswegen diese Nachricht so bedeutungsvoll sein sollte. »Gut, ich werde es ihm ausrichten. Paul weiß also Bescheid?«
»Ja, und teilen Sie es ihm bitte allein mit, vielleicht ist es seiner Frau und seinem Geschäftspartner nicht recht, dass Herr Hämmerlein den Auftrag an uns vergeben hat.«
Walden stutzte. Aber dann sagte er kurz: »Schön, ich werde es so einrichten.«
»Besten Dank, Herr Walden.«
Thomas legte auf. Peter fragte: »Erledigt? Vermutlich eine Verehrerin?«
Aber Walden sagte ärgerlich: »Schmarrn! Das war eine komische Sache.«
In wenigen Worten erzählte er seinem Freund den Inhalt des Anrufs und meinte dann: »Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb diese Seifenbestellung so entsetzlich wichtig ist. Diese Frau Burr hat gerade so getan, als hinge das Schicksal der Welt von diesen lächerlichen achtzig Seifen ab. Und warum sollen Christa und Herbert nichts davon erfahren?«
»Vielleicht ein Geschäft, dass dein Hämmerlein ohne seinen Partner abwickeln will«, erwiderte Grewert gelangweilt. »So etwas soll ja vorkommen.«
»Ja, aber warum dann diese Geheimnistuerei vor Christa? Soviel ich weiß, kümmert sich Pauls Frau überhaupt nicht um geschäftliche Dinge.«
Peter verzog sein Gesicht. »Mein Gott, ich weiß es auch nicht. Richte Paul halt die Botschaft dieser Seifentante aus, und damit basta!«
Thomas wechselte das Thema. »Du, da fällt mir eben ein, hast du überhaupt ein Kostüm?«
»Natürlich nicht, aber ich kann ja meinen Schlafanzug anziehen.«
»Ausgeschlossen«, protestierte Walden, »das ist eine seriöse Party! Schlafanzug, du bist wohl...? Ein Künstlerfest ohne Masken? Das gibt es nicht.«
»Künstler!« spottete Grewert. »Die Hälfte deiner Gäste sind alles andere -Ts Künstler. Seife, wenn ich das schon höre!«
»Ich kenne dein mangelhaftes Reinlichkeitsbedürfnis«, stichelte Thomas. »Aber im Ernst, du verschwindest jetzt in meinem Schlafzimmer. Stöbere den Schrank durch, da findest du eine Menge alten Krimskrams. Such dir etwas aus, das einigermaßen kostümähnlich aussieht. Phantasie ist alles.«
Brummend schlurfte Peter nach drüben. Thomas hörte ihn hantieren. Nach einer Weile schimpfte Grewert: »Verfluchte Kälte hier, wie in einem Eisschrank.«
»Da siehst du, welch spartanisches Leben ich führe«, lachte Thomas, »mach schnell, wenn du fertig bist, kriegst du einen Birnenschnaps, Eigenbrand.«
Endlich tauchte der junge Maler wieder im Türrahmen auf. Bei seinem Anblick brach Thomas in schallendes Gelächter aus. Peter hatte eine lange schwarze Hose angezogen. Darüber trug er einen wallenden gelben Umhang, eine schwarze Mütze vervollständigte seine Ausstattung. Walden prustete los: »Genial, du siehst wie das Münchner Kindl mit Backenbart aus!«
»Armselige Phantasie«, murmelte Grewert- und drängte sich fröstelnd an den warmen Ofen.
»Wo ist der Schnaps?«
»Ihre letzte Reportage war Mist, leider«, sagte der Chefredakteur kalt.
Maxie Ronacher wurde blass. Sie saß unruhig auf dem Polstersessel im Büro des Gewaltigen. Endlich raffte sie sich zu einer Antwort auf.
»Aber doch nur deshalb, weil Sie mir den Bericht heillos zusammengestrichen haben...«
»Ach was«, knurrte der Mann verdrießlich, »seien Sie froh, sonst hätten Sie die Leser auf vier Spalten gelangweilt statt auf nur eineinhalb. Nein, Maxie, Ihren Berichten fehlt in letzter Zeit der Schmiss, der Pfeffer, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Er musterte sie kühl. »Sie werden doch hoffentlich nicht zu alt für unseren Job?«
Der brutale Satz ließ Maxie erschauern. Sie war Ende Vierzig und keineswegs attraktiv. Mein Gott, nur jetzt nicht die Stellung verlieren, dachte sie erregt, während sie stammelte: »Ich, ich werde mich wirklich bemühen...«
»Hoffentlich, meine Liebe! Was wir hier brauchen, ist Ihnen doch klar. Gut, dann will ich’s noch mal versuchen. Bringen Sie mir etwas, schließlich ist ja Faschingszeit. Tummeln Sie sich, eine schmissige Stimmungsreportage, wenn Sie das hinkriegen. Die Leute wollen Atmosphäre spüren - Leben! Also bis morgen. Und denken Sie daran, dass sich jeden Tag zehn junge Volontäre hier bewerben. Schön, guten Tag!«
Maxie Ronacher schlich aus dem Zimmer. Als sie wieder unten auf der Straße stand, benahm ihr die beißende, trockene Kälte beinahe den Atem. Sie war verzweifelt. Natürlich, der Chef wollte sie offensichtlich loswerden. Eine jüngere... Maxie kämpfte mit den Tränen. Sie biss ihre Lippen krampfhaft zusammen. Woher jetzt schnell eine stimmungsvolle Reportage nehmen? Aber dann fiel ihr Professor Poelders ein, ein freundlicher alter Herr. Er musste ihr helfen. Er würde sie verstehen. Und sie, Maxie, würde es dem da droben schon zeigen.
»Ich will mich nicht unterkriegen lassen«, dachte sie in wahnsinniger Angst, während sie eine Telefonzelle betrat und mit klammen Fingern wählte...
»Nein, verflucht noch mal!«, schrie der Regisseur verzweifelt. »Kinder, wenn man euch so lahm herumhopsen sieht, denkt man nicht an den Blumenmarkt von Covent Garden, sondern an ein Spital der Heilsarmee. Mehr Schwung - los, noch mal von vorn!«
Die Statisten huschten aufgescheucht auf der Bühne durcheinander. Die Musik setzte von neuem ein.
Enzo Mandrino stand in den Kulissen und beobachtete die Probe mit zunehmender Gereiztheit. Der Regisseur war heute wieder unausstehlich. Freilich, die Premiere stand vor der Tür. Aber trotzdem - was sich der Kerl einbildete!
»Mehr Tempo, Meister«, brüllte er eben ins Orchester hinunter, »das klingt wie ein Trauerchor! Herrgott, diese Inszenierung hier mit euch Südgermanen kostet mich zehn Jahre meines Lebens. Ja, so ist’s besser. Aber nein, jetzt rennen die da oben wieder durcheinander wie eine Schafherde. Wir haben zur Zeit zwar Fasching in der Gegend, aber unser Bild spielt nicht auf einer Redoute, sondern vor der Königlichen Oper in London!«
Während der Mann sich weiter mühte, die Leute verrückt zu machen, war Mandrino bei dem Stichwort Fasching der heutige Abend eingefallen. Natürlich, Waldens Party. Recht gemütlich dort, und man brauchte ihn. Er hatte bereits mit Edith und Karin gesprochen. Die Mädels würden natürlich mitkommen. Immerhin bin ich Solist, dachte Enzo stolz, also war es beinahe eine Herablassung von ihm, zwei unbekannte Ballettmädels einzuladen.
Irgendwie war aber Mandrino nicht mit sich zufrieden. Schön, er hatte ein Engagement, aber er war hier kein Star, darüber gab es keinen Zweifel. Seine Träume hatten einst ganz anders ausgesehen. Und wie einen dieser Regisseur behandelte!
Mandrino überlegte. Sollte er? Ja, er würde heute Abend mit Hämmerlein reden. Das müsste ein Ausweg...
»He, Sie da drüben! Schlafen Sie oder was ist sonst los?« tobte in diesem Augenblick der Gefürchtete, »ja, Sie meine ich! Wenn Sie uns vielleicht Ihr Auftrittslied hören lassen würden?«
Enzo merkte, dass er gemeint war. Mit hochrotem Kopf rannte er auf die Bühne und brummte: »Ich dachte, Sie wollten erst mit dem Ensemble proben...«
»Sie sollen nicht denken, singen sollen Sie!«, schnauzte der Regisseur. »Oder besser das, was Sie dafür halten. Also, wird’s bald? Orchester - ab!«
Ohne rechte Begeisterung begann Mandrino das Lied des jungen verliebten Lords zu singen: »Ach wie oft schon ging ich hinunter hier...«
»Halt, Schluss!«
Der Regisseur pflanzte sich vor Mandrino auf. »Sagen Sie mal - wie war doch gleich Ihr Name?«
»Mandrino, er steht auf dem Theaterzettel«, zischte der Tenor. Er war aufs höchste ergrimmt.
»Aha, mein Freund! Aber ich kann Ihnen versichern, dass er nicht mehr lange darauf steht, wenn Sie Ihre Nummer so schlapp herunterleiern. Sie sollen einen Liebhaber darstellen, keinen Melancholiker! Noch mal von vorn - aber mit Feuer, ja!«
Und wutentbrannt schmetterte der Sänger sein In der Straße, mein Schatz, wo du wohnst in den leeren, halbdunklen Zuschauerraum...
Paul Hämmerlein saß in seinem behaglich eingerichteten Büro und überlegte. Ob wohl alles klappen würde? Verdammt ärgerlich, dass Walden ausgerechnet heute Abend dieses Fräulein Feldner eingeladen hatte. Aber freilich, Thomas hatte natürlich keine Ahnung.
Ob wohl Tina wusste, dass auch er kommen würde? Vermutlich nicht, sonst hätte sie sicher abgesagt.
Hm - absagen? Eine Weile brütete Hämmerlein vor sich hin. Aber dann entschloss er sich doch hinzugehen. Erstens einmal passte ihm die Party ganz gut in seine Pläne, und außerdem war jetzt alles vorbereitet. Ja, und dann wollte ja auch Christa unbedingt hin. Für einen Augenblick fragte sich Paul, ob seine Frau wohl noch in den jungen Walden verliebt sein mochte? Na, ihm war das ziemlich gleichgültig. Heute Abend - man würde ja sehen. Hoffentlich macht Christa keine Szene wegen dieser Tina Feldner. Paul biss sich auf die Lippen. Sollte er die Sache doch lieber abblasen? Aber dann sagte er sich, dass das gar nicht mehr möglich war. Marion würde inzwischen - nein, es musste jetzt alles laufen.
Nervös wählte Hämmerlein zum wiederholten Mal eine Telefonnummer - aber nichts rührte sich. Herrgott, warum meldete sich das Mädel nicht?
Aber dann kam ihm ein Gedanke. Ungeduldig drückte er auf seine Sprechanlage. »Bitten Sie Herrn Schueler zu mir.«
Kurze Zeit darauf trat Herbert Schueler ins Zimmer seines Geschäftspartners. Er war etwa fünfzig Jahre alt, kahlköpfig und untersetzt. Sein weißer Mantel war fleckig von den Chemikalien, mit denen er arbeitete. Hämmerlein nickte ihm zu.
»Nimm doch bitte Platz, Herbert. Du gehst doch heute Abend auch zu Walden?«
»Ja - ist etwas los?«
Paul lachte gequält. »Allerdings, das kann man wohl sagen. Siehst du, Herbert, ich bin da in einer dummen Lage. Walden hat ein Mädchen eingeladen, mit der ich früher - na ja, wir hatten einen kleinen Flirt miteinander.«
»Aha, ich verstehe, ehe du deine Frau kennenlerntest?«
»Genau, und nun...«
Herbert Schueler zog seine Augenbrauen zusammen. »Ja, und was habe ich damit zu tun? Soll ich dich bei Walden entschuldigen?«
»Nein, ich gehe mit Christa hin, ich kann nicht mehr absagen. Aber du könntest mir - nun, du könntest dich den Abend über ein bisschen um das Mädel kümmern, sie ein bisschen unterhalten.«
»Du meinst, ich soll sie dir vom Hals halten?«
»Ja, du hast mich gut verstanden.«
»Hm«, Schueler schien nicht begeistert zu sein. »Ich weiß nicht recht...«
»Das Ganze ist kein Opfer für dich«, drängte Hämmerlein, »Tina ist ein reizendes Mädchen. Du brauchst keine Angst zu haben, dass sie etwa Plattfüße oder einen Kropf hat.«
»Tina heißt sie also«, sagte Schueler nachdenklich.
»Richtig, Tina Feldner. Sie ist Kunststudentin.«
»Ich werde mir’s überlegen«, brummte Herbert Schueler schließlich. Er blickte seinen Partner an. »Weiß deine Frau davon?«
»Natürlich nicht, das ist es ja gerade, was ich fürchte! Christa spioniert ohnehin ständig hinter mir her. Sie ist imstande, mir eine läppische Szene zu machen, vielleicht gerade heute Abend.«
»Wieso, ist heute etwas Besonderes los?«, fragte Schueler.
Hämmerlein warf ihm einen gedankenschnellen Blick zu und sagte dann barsch: »Unsinn, was sollte los sein?«
»Ich dachte nur...«
Auf Hämmerleins Stirn erschien eine ärgerliche Falte. »Du denkst zu viel, Herbert. Ja, das wäre alles. Also, dann bis heute Abend.«
Aber Schueler machte keine Anstalten zu gehen. Hastig fragte er: »Hat sich der Scheck noch nicht gefunden, Paul?«