Tolstoi: Der lebende Leichnam - Leo Tolstoi - E-Book

Tolstoi: Der lebende Leichnam E-Book

Leo Tolstoi

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Beschreibung

In "Tolstoi: Der lebende Leichnam" offenbart Leo Tolstoi eine tiefgründige Analyse der russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Durch seinen unverwechselbaren literarischen Stil, der von Realismus und moralischen Überlegungen geprägt ist, porträtiert Tolstoi die korrumpierende Wirkung von gesellschaftlichen Normen und die Suche nach persönlicher Identität. Das Buch bietet einen Einblick in die psychologischen Kämpfe der Hauptfigur, die mit ihrem eigenen moralischen Kompass konfrontiert wird. Mit seiner meisterhaften Erzählkunst und seiner tiefgründigen Charakterzeichnung setzt Tolstoi einen bedeutenden Beitrag zur Weltliteratur des 19. Jahrhunderts. Leo Tolstoi, einer der einflussreichsten Schriftsteller seiner Zeit, schöpft aus seiner eigenen Erfahrung und seinem tiefen Verständnis der menschlichen Natur, um ein beeindruckendes Werk zu schaffen. Seine persönliche Lebensgeschichte und sein Engagement für soziale Gerechtigkeit spiegeln sich in seinen Werken wider, einschließlich "Tolstoi: Der lebende Leichnam". Dieses Buch, das zeitlose Themen wie Liebe, Eifersucht und moralische Dilemmata behandelt, ist ein Wendepunkt in Tolstois literarischem Schaffen und wird Leser jeden Alters faszinieren und provozieren.

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Leo Tolstoi

Tolstoi: Der lebende Leichnam

Das spannende Theaterstück/Drama des russischen Autors Lew Tolstoi Übersetzer: August Scholz
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Inhaltsverzeichnis

Personen
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Personen:

Inhaltsverzeichnis

Feodor Wasiljewitsch Protasow (Fedja)Jelisaweta Andrejewna (Lisa) (seine Frau)Mischa(der kleine Sohn der beiden)Anna Pawlowna(Lisas Mutter)Sascha(Lisas Schwester)Viktor Michajlowitsch Karenin(Lisas zweiter Gatte)Anna Dmitrijewna(seine Mutter)Fürst Sergej Dmitrijewitsch AbreskowMascha(eine junge Zigeunerin)Iwan Makarowitsch(ihr Vater)Nastasja Iwanowna(ihre Mutter)Ein MusikerEin OffizierEin ZigeunerEine ZigeunerinEin ArztMichail Alexandrowitsch AfremowStachow, Butkewitsch, Korotkow(Fedjas Freunde)Iwan Petrowitsch Alexandrow(ein Trunkenbold)Wosnjesenskij(Sekretär Karenins)Petuschkow(ein verbummelter Maler)ArtemjewKellner im RestaurantKellner in der SchenkeDer SchenkwirtEin PolizistDer UntersuchungsrichterMelnikow(ein Bekannter)Der ProtokollführerEin GerichtsdienerEin junger AdvokatPetruschin(Fedjas Advokat)Eine DameEin OffizierKinderfrau bei ProtasowsDienstmädchen bei ProtasowsLakai bei ProtasowsLakai bei AfremowLakai bei KareninsGäste in der Schenke Zigeuner und Zigeunerinnen (Chor)Advokaten, ZuschauerRichterZeugenEin Arzt

Erstes Bild

Inhaltsverzeichnis

Residenz, Wohnung der Protasows. Die Bühne stellt ein kleines Speisezimmer dar. Anna Pawlowna, eine volle, grauhaarige Dame, sitzt im Korsett allein am Teetisch. Die Kinderfrau kommt mit der Teekanne.

Kinderfrau: Darf ich mir etwas heißes Wasser nehmen?

Anna Pawlowna: Bitte. Was macht der kleine Mischa?

Kinderfrau: Er ist unruhig. Nichts ist schlimmer, als wenn die Damen selbst nähren wollen. Sie haben ihren Kummer und Gram, und das Kind leidet darunter. Was für eine Milch muß solch eine Mutter haben, wenn sie in der Nacht nicht schläft und immer weint!

Anna Pawlowna: Sie scheint sich ja nun beruhigt zu haben.

Kinderfrau: Eine schöne Beruhigung. Nicht mehr zum Ansehen ist’s. Immerzu hat sie was geschrieben und dabei geweint.

Saschakommt herein, zur Kinderfrau: Lisa sucht sie.

Kinderfrau: Ich komm’ schon. Ab.

Anna Pawlowna: Die Kinderfrau sagt, daß sie noch immer weint. Daß sie sich gar nicht beruhigen kann!

Sascha: Nein, Mama, Sie sind wirklich gut! Sie verläßt ihren Gatten, den Vater ihres Kindes – und Sie verlangen, daß sie ruhig sein soll!

Anna Pawlowna: Nicht ruhig – aber was geschehen ist, ist geschehen. Wenn ich als Mutter es nicht nur zugelassen habe, sondern sogar froh bin, daß meine Tochter sich von ihrem Manne trennt, so muß er wohl danach sein. Freuen sollte sie sich, statt sich zu grämen, daß sie einen so schlechten Menschen los wird.

Sascha: Wie können Sie nur so reden, Mama! Sie wissen doch, daß das nicht wahr ist. Er ist durchaus kein schlechter, sondern im Gegenteil ein ganz, ganz ausgezeichneter Mensch, trotz seiner Schwächen.

Anna Pawlowna: Ja, wirklich, ganz ausgezeichnet! Sobald er Geld in die Finger bekommt, mag es ihm oder sonst jemand gehören …

Sascha: Er hat nie fremdes Geld angerührt, Mama!

Anna Pawlowna: Es war das Geld seiner Frau.

Sascha: Er hat aber sein ganzes Vermögen seiner Frau überlassen.

Anna Pawlowna: Sollte er’s vielleicht behalten, wo er sich sagen muß, daß er alles durchbringen würde?

Sascha: Ob er es durchbringt oder nicht – ich weiß nur, daß eine Frau ihren Mann nicht verlassen soll, namentlich einen solchen Mann wie Fedja.

Anna Pawlowna: Nach deiner Meinung soll man also warten, bis er alles verjubelt hat und seine Zigeunerliebchen ins Haus bringt?

Sascha: Er hat keine Liebchen.

Anna Pawlowna: Das ist ja das Unglück, daß er euch alle förmlich behext hat. Nur bei mir verfangen seine Künste nicht: ich durchschaue ihn, und er weiß das. An Lisas Stelle hätte ich ihn nicht erst jetzt, sondern schon vor einem Jahr laufen lassen.

Sascha: Wie leicht Sie das so hinsagen!

Anna Pawlowna: Durchaus nicht leicht. Mir als Mutter fällt es keineswegs leicht, meine Tochter als geschiedene Frau zu sehen. Sei überzeugt, es fällt mir gar nicht leicht! Aber es ist doch immer besser so, als daß ihr junges Leben ganz verkümmert. Nein, ich danke Gott, daß sie jetzt einen Entschluss gefaßt hat und daß alles zu Ende ist.

Sascha: Vielleicht ist auch noch nicht alles zu Ende.

Anna Pawlowna: Wie? Er braucht doch nur noch in die Scheidung einzuwilligen.

Sascha: Was ist daran so besonders gut?

Anna Pawlowna: Daß sie noch jung ist und noch glücklich werden kann.

Sascha: Ach Mama, das ist entsetzlich, was Sie da sagen; Lisa kann doch unmöglich einen andern Mann lieben!

Anna Pawlowna: Warum kann sie das nicht? Wenn sie erst frei ist … Es werden sich Leute finden, die tausendmal besser sind als euer Fedja und sich glücklich schätzen werden, Lisa zur Frau zu bekommen.

Sascha: Mama, das ist nicht recht! Ich weiß, Sie denken an Viktor Karenin.

Anna Pawlowna: Warum soll ich nicht an ihn denken? Er liebt sie seit zehn Jahren, und sie liebt ihn.

Sascha: Sie liebt ihn wohl, aber nicht so wie ihren Gatten. Das ist eine Jugendfreundschaft.

Anna Pawlowna: Man kennt diese Jugendfreundschaften. Wenn nur die Hindernisse nicht wären! Das Stubenmädchen tritt ein. Was wollen Sie?

Stubenmädchen: Die gnädige Frau hat den Diener mit einem Brief zu Viktor Michajlowitsch geschickt.

Anna Pawlowna: Was für eine gnädige Frau?

Stubenmädchen: Jelisaweta Andrejewna, unsere gnädige Frau.

Anna Pawlowna: Nun, und was weiter?

Stubenmädchen: Viktor Michajlowitsch lassen sagen, sie würden gleich selbst herkommen.

Anna Pawlownaverwundert: Soeben haben wir von ihm gesprochen. Ich verstehe nur nicht, warum … zu Sascha: Weißt du es nicht?

Sascha: Vielleicht weiß ich es, vielleicht auch nicht.

Anna Pawlowna: Immer Geheimnisse!

Sascha: Lisa kommt gleich, sie wird es Ihnen sagen.

Anna Pawlownakopfschüttelnd zu dem Stubenmädchen: Der Samowar muß angewärmt werden. Nimm ihn hinaus, Dunjascha.

Das Stubenmädchen nimmt den Samowar und geht hinaus.

Anna Pawlownazu Sascha, die sich erhoben hat und gehen will: Es ist so gekommen, wie ich sagte: sie hat eben nach ihm geschickt.

Anna Pawlowna: In welcher Absicht denn?

Sascha: Jetzt, in diesem Augenblick gilt ihr Karenin vielleicht nicht mehr als das Stubenmädchen.

Anna Pawlowna: Nein, nein, du wirst sehen. Ich kenne sie. Sie ruft ihn. Sie bedarf des Trostes.

Sascha: Ach, Mama, wie wenig kennen Sie Lisa, daß Sie das annehmen können!

Anna Pawlowna: Nun, du wirst sehen! Und ich bin sehr, sehr froh darüber.

Sascha: Wir werden ja sehen. Sie geht, eine Melodie trällernd, ab.

Anna Pawlownaallein, schüttelt den Kopf und murmelt vor sich hin: Recht so, laßt sie nur; recht so, laßt sie nur. Ja …

Stubenmädchentritt ein: Viktor Michajlowitsch sind da.

Anna Pawlowna: Nun, was weiter? Bitte ihn, einzutreten, und sag es der gnädigen Frau.

Das Stubenmädchen ab durch eine nach innen führende Tür.

Viktor Karenintritt ein, begrüßt Anna Pawlowna: Jelisaweta Andrejewna schrieb mir, ich möchte herkommen. Ich beabsichtigte ohnedies, heute abend vorzusprechen, und ich war sehr erfreut … Befindet sich Jelisaweta Andrejewna wohl?

Anna Pawlowna: Ich danke; das Kind ist etwas unruhig. Sie wird gleich erscheinen. Betrübt: Ja, ja, es ist eine schwere Zeit. Sie wissen alles.

Karenin: Ja. Ich war vorgestern hier, als sein Brief ankam. Ist es denn nun unwiderruflich beschlossen?

Anna Pawlowna: Aber ich bitte Sie – selbstverständlich! Alles das noch einmal durchzumachen, wäre entsetzlich.

Karenin: Da heißt es doch zehnmal ansetzen, bevor man den Schnitt führt. Es ist nicht so leicht, so ins lebendige Fleisch zu schneiden.

Anna Pawlowna: Gewiß ist’s nicht leicht. Aber ihre Ehe war längst angeschnitten. Es war bei weitem nicht so schwer, sie zu zerreißen, als man meinen könnte. Er sieht es selbst ein, daß er nach allem, was vorgefallen, nicht mehr zurückkehren kann.

Karenin: Warum nicht?

Anna Pawlowna: Aber wie können Sie das nur annehmen, nach allen seinen gemeinen Streichen – nachdem er geschworen, daß das nicht mehr vorkommen wird und, wenn es doch noch einmal vorkommt, daß er dann freiwillig auf alle Rechte eines Gatten verzichtet und ihr die volle Freiheit wiedergibt!

Karenin: Ja – aber was bedeutet die Freiheit einer Frau, die durch die Ehe gebunden ist?

Anna Pawlowna: Diese Ehe wird gelöst werden. Er hat versprochen, in die Scheidung einzuwilligen, und wir bestehen darauf.

Karenin: Aber Jelisaweta Andrejewna hat ihn doch so geliebt!

Anna Pawlowna: Ach, ihre Liebe war so harten Prüfungen unterworfen, daß von ihr kaum noch etwas übrig ist. Er ist ein Trunkenbold, er hat sie belogen und betrogen. Kann sie einen solchen Mann noch lieben?

Karenin: Die Liebe verzeiht alles.

Anna Pawlowna: Sie sagen: die Liebe – aber wie soll man denn einen solchen Waschlappen lieben, auf den man sich in keiner Hinsicht verlassen kann! Was er jetzt wieder angerichtet hat! Sie sieht nach den Tür und erzählt hastig: Der ganze Haushalt ist in Unordnung, alles ist verpfändet und kein Groschen im Hause. Der Onkel schickt endlich zweitausend Rubel, damit wenigstens die Zinsen bezahlt werden. Er verschwindet mit dem Geld und läßt sich nicht mehr sehen. Die Frau sitzt mit dem kranken Kind da und wartet und wartet, und endlich kommt ein Brief von ihm, sie solle ihm Wäsche und Kleider schicken.

Karenin: Ja, ja, ich weiß.

Sascha und Lisa treten ein.

Anna Pawlowna: Nun, siehst du – Viktor Michajlowitsch ist auf deinen Ruf erschienen.

Karenin: Ja … ich wurde allerdings ein wenig aufgehalten … Begrüßt die Schwestern.

Lisa: Ich danke Ihnen. Ich habe eine große Bitte an Sie. Ich habe niemand, an den ich mich sonst damit wenden könnte.

Karenin: Ich stehe gern zur Verfügung.

Lisa: Sie wissen ja alles.

Karenin: Ja, ich weiß alles.

Anna Pawlowna: Ich werde euch allein lassen. Zu Sascha: Komm, wir wollen sie allein lassen. Ab mit Sascha.

Lisa: Er hat mir einen Brief geschrieben, in dem er sagt, daß er unsere Beziehung als gelöst betrachtet. Ich war so … Sie hält mit Gewalt ihre Tränen zurück … so tief gekränkt, daß ich … Nun, mit einem Wort, ich entschloß mich, mit ihm zu brechen. Und ich antwortete ihm, daß ich seinen Vorschlag annehme.

Karenin: Und nun bereuen sie Ihren Entschluß wieder?

Lisa: Ja, ich fühle, daß es Unrecht war, was ich getan, daß ich mich nicht von ihm zu trennen vermag. Alles, nur das nicht! Nun, und … so wollte ich Sie bitten, Viktor, ihm diesen Brief zu überbringen … Geben sie ihm den Brief, und sagen Sie … und holen Sie ihn zurück …

Kareninverwundert: Ja, aber wie denn?

Lisa: Sagen Sie ihm, daß ich ihn bitte, alles zu vergessen und nach Hause zurückzukehren. Ich könnte ihm einfach den Brief hinschicken. Doch ich kenne ihn: die erste Regung ist, wie immer, gut, dann aber kommt irgendein fremder Einfluß dazwischen, er wird andern Sinnes und handelt anders, als er wollte.

Karenin: Ich will tun, was ich kann.

Lisa: Sie wundern sich vielleicht, daß ich gerade Sie darum bitte …

Karenin: Nein … das heißt, ich will aufrichtig sein; ja, ich wundere mich …

Lisa: Aber Sie sind mir nicht böse?

Karenin: Kann ich Ihnen überhaupt böse sein?

Lisa: Ich habe Sie deshalb darum gebeten, weil ich weiß, daß Sie ihn lieben.

Karenin: Ihn und Sie. Sie wissen das. Es geschieht um Ihretwillen, daß ich ihn liebe, und ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir vertrauen. Ich werde tun, was ich vermag.

Lisa: Ich weiß es. Ich werde Ihnen alles sagen: Ich war heute bei Afremow, um in Erfahrung zu bringen, wo er sich aufhält. Man sagte mir, er sei zu den Zigeunern gefahren. Und das gerade ist’s, was ich fürchte, diesen Reiz des Phantastischen, Ungebundenen. Ich weiß, wenn er nicht zur rechten Zeit zurückgehalten wird, gerät er ganz auf Abwege. Das muß verhindert werden. Sie wollen also hinfahren?

Karenin: Gewiß, sofort.

Lisa: