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Perry Rhodans erstes Abenteuer. Ein Siedlungsraumschiff, das älter scheint, als es sein sollte. Viren, die dich zum Vampir machen. Magische Artefakte, Nebelwölfe, heldenhafte Elfen und kämpferische Orks. Das alles und noch viel mehr erwartet dich im Jahresprogramm von FISCHER Tor 2019.
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Seitenzahl: 543
Tor Leseproben E-Book 2019
FISCHER E-Books
Das größte Abenteuer der irdischen Menschheit begann am 4. Oktober 1957 alter Zeitrechnung. An jenem Tag gelang es Menschen zum ersten Mal, einen Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde zu befördern.
Dieser Satellit hieß Sputnik 1.
Viele Menschen wissen das heute immer noch – was erstaunlich ist, liegt dieses Ereignis doch fast so lange zurück wie aus damaliger Sicht der Bau der Pyramiden.
Um jedoch wirklich zu verstehen, welch eine Zeitenwende dies bedeutete, genügt es nicht, nur einen Namen zu kennen. Man braucht auch eine Vorstellung davon, wie die Erde zu jener Zeit ausgesehen hat, welche politischen und gesellschaftlichen Strukturen das Leben und das Denken der Menschen des 20. Jahrhunderts prägten. Das vorliegende Werk muss in der Tat auf ein gewisses historisches Vorwissen seiner geneigten Leserschaft hoffen: Es gilt, sich zurückzuversetzen in eine Zeit, in der auf der Erde mehr als tausend verschiedene Sprachen gesprochen wurden. Es gilt, sich vorstellen zu können, wie Menschen ernsthaft glaubten, sie seien allein im Universum. Es gilt, sich hineinzudenken in eine Welt, die zersplittert war in weit über hundert große und kleine, schwache und mächtige Staaten, die in vielfältiger Weise untereinander konkurrierten.
Das ging beileibe nicht immer friedlich vor sich, im Gegenteil. Man stritt um Ressourcen, man stritt um Einflussgebiete, man stritt über weltanschauliche Fragen – und nicht selten arteten derartige Streitereien in bewaffnete Konflikte aus.
Tatsächlich hatte die Menschheit des Jahres 1957 gerade zwei erbitterte Kriege hinter sich. Die Frontlinien dieser Kriege waren erstmals überall auf dem Globus verlaufen, weswegen man sie die Weltkriege nannte. In deren Folge hatten sich zwei Machtblöcke entwickelt, nämlich der Westen und der Osten, die einander nun argwöhnisch belauerten. Und der Zweite Weltkrieg war mit Nuklearwaffen beendet worden: Man darf sich dieses Belauern also durchaus als höchst bedrohlich vorstellen.
Das war die Situation, als am 4. Oktober 1957 um 19 Uhr 28 Minuten und 34 Sekunden damaliger Standardzeit eine 30 Meter hohe und 267 Tonnen schwere Verbrennungsrakete startete. Sie tat dies in der Nähe von Baikonur, einer Stadt im südlichen Kasachstan, zweihundert Kilometer westlich des Aralsees. Damals gehörte dieses Gebiet zu einem Staatenbund namens Sowjetunion, der die zentrale Rolle im Osten spielte. Die Nutzlast der Rakete bestand in einer 58 Zentimeter durchmessenden Kugel aus Aluminium, die vier Antennen trug, von denen jede rund zweieinhalb Meter lang war.
Der Start erfolgte ohne jegliche Ankündigung. Erst als feststand, dass das Vorhaben geglückt war, gab man bekannt, dass nun erstmals ein von Menschen geschaffener Satellit die Erde umkreiste, der unablässig Funksignale von sich gab.
Für die Führung der westlichen Zentralmacht, der auf dem amerikanischen Nordkontinent angesiedelten Vereinigten Staaten von Amerika, auch USA genannt, kam diese Nachricht völlig überraschend. Und sie war ein Schock. Denn: Wer einen Satelliten in eine Erdumlaufbahn schießen konnte, die jeden Punkt der Erdoberfläche überquerte, der konnte auch eine Bombe an jeden Punkt der Erdoberfläche befördern. Der Osten hatte damit einen Vorsprung, von dem sich der Westen existentiell bedroht fühlte.
Nach außen hin gab man sich in Washington, der Hauptstadt der USA, gelassen. Hinter geschlossenen Türen jedoch diskutierten Politiker, Militärs und Wissenschaftler überaus hitzig. Was sollte man tun? Was konnte man tun?
Rund fünfhundert Kilometer weiter nordöstlich, in der Stadt Manchester im amerikanischen Bundesstaat Connecticut, war zur gleichen Zeit ein junger Mann von 21 Jahren damit beschäftigt, Bauteile aus dem Elektrogeschäft seines Vaters zusammenzulöten. Er versuchte, einen Empfänger zu basteln, mit dem sich die Signale des Sputnik auffangen ließen.
Zu jenem Zeitpunkt hätte niemand ahnen können, dass dieser junge Mann in diesem Wettlauf ins All noch eine überaus bedeutende Rolle spielen sollte, am allerwenigsten er selbst. Sein Name war Perry Rhodan.
Etwas mehr als 13 Jahre später, am Abend des 21. Juli 1971, schob sich eine dunkle, nach viel Geld und Macht aussehende Limousine durch eine aufgebrachte Menschenmenge im Herzen von Washington, D.C., der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika. Es handelte sich um einen Lincoln Continental Mark III mit getönten Scheiben, auf dessen Vordersitzen zwei bewaffnete Männer des Secret Service Ausschau nach möglichen Gefahren hielten, die ihren Schutzbefohlenen auf dem Rücksitz drohen mochten: Dort saßen Jake und Mary Rhodan, hielten einander an den Händen und konnten nicht fassen, was um sie herum geschah. Es war schon ein Schock gewesen, als Präsident Nixon sie angerufen und – durchaus freundlich – gebeten hatte, ins Weiße Haus zu kommen, aber was sie nun zu sehen bekamen, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Rings um das Auto prügelten sich Menschen – Amerikaner wie sie! –, wobei die einen Schilder trugen, auf denen »Eine Welt – jetzt!« stand, »Nie wieder Krieg!« und dergleichen, die anderen aber Schilder mit Aufschriften wie »Rhodan – Verräter!« und »Mondfahrer an den Galgen!«.
»O Jake«, flüsterte Mary Tibo Rhodan, die Hand ihres Mannes umklammernd wie einen Rettungsring. »Was haben wir nur falsch gemacht?«
Jake Rhodan war nicht der Mann, der je auf solche Fragen mit billigen Trostworten reagiert hätte. Er dachte vielmehr gründlich darüber nach, ließ alles, was geschehen war, vor seinem geistigen Auge Revue passieren und erklärte schließlich: »Ich glaub nicht, dass wir was falsch gemacht haben. Es ist was falsch gelaufen, das wohl schon – aber uns trifft daran keine Schuld.«
Zwei ineinander verkeilte Streithähne prallten krachend gegen das Auto, brachten die tonnenschwere Limousine zum Schaukeln. Eine Tafel mit einem großen Konterfei von Jake Rhodans Sohn, über das jemand eine Zielscheibe gemalt hatte, klebte am Fenster und rutschte quälend langsam abwärts.
»Und Perry auch nicht«, fügte Jake unbeirrt hinzu.
Je näher sie dem Weißen Haus kamen, desto mehr berittene Polizisten patrouillierten. Die Dämmerung brach an. Hier und da hielten Demonstranten brennende Fackeln in Händen, was die ganze Szenerie noch unheimlicher wirken ließ.
Endlich erreichte der Wagen die Zufahrt zum Sitz des Präsidenten. Hunde schnüffelten den Wagen ab. Ausweise wurden vorgezeigt. Durch die offenen Fenster drang das Geschrei der Randale herein und eine Wärme, wie man sie zu dieser späten Stunde nicht gewohnt war, wenn man aus Connecticut kam.
Endlich ein Wink, der Wagen rollte weiter, nur ein paar Schritte bis zum Seiteneingang, dann öffnete man ihnen den Wagenschlag und ließ sie, von mehreren Soldaten abgeschirmt, aussteigen. Eine nervöse Frau in einem teuren Kostüm und mit großen, für Mary Rhodans Augen bestürzend echt aussehenden Perlenohrringen empfing sie, bedankte sich, dass sie es hatten einrichten können, und beteuerte, wie leid es ihr tue, dass heute alles drunter und drüber gehe; sie hätten es ja sicher mitbekommen, die Chinesen mit ihrem Ultimatum, sehr beunruhigend das alles. »Aber der Präsident will Sie beide unbedingt kennenlernen«, bekräftigte sie, »sobald er Gelegenheit dazu findet. Es ist nur gerade unklar, wann das sein wird.«
»Well«, erwiderte Jake Rhodan gelassen, »wir haben heute Abend jedenfalls nichts anderes mehr vor.«
Man führte sie durch die überraschend schmalen Flure und Gänge des Weißen Hauses und wollte sie gerade in einen kleinen Raum komplimentieren, in dem Getränke und ein Büfett mit Häppchen bereitstanden, als ein untersetzter Mann mit dichtem, lockigem Haar und einer dicken schwarzen Hornbrille auftauchte und zu der Frau mit den Perlenohrringen sagte: »Bringen Sie sie gleich runter in die Schutzräume. Wir sind gerade auf DEFCON 1 gegangen. Bis in einer halben Stunde muss das ganze Haus evakuiert und gesichert sein.«
»Oh my goodness«, stieß die Frau hervor.
Jake Rhodan, der einen Moment gebraucht hatte, um in dem Mann Sicherheitsberater Henry Kissinger zu erkennen, fragte: »Können wir vielleicht mal erfahren, was eigentlich los ist?«
Kissinger, schon auf dem Sprung weiter den Flur hinab, blieb stehen und sah ihn an. »Sie sind der Vater, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Jake.
»Dann beglückwünschen Sie sich mal zu Ihrem Sohn. Wie es aussieht, ist er gerade dabei, den dritten Weltkrieg auszulösen.«
Ich saß an jenem Tag in London im Gefängnis, und zwar in Her Majestys Prison Pentonville im Bezirk Borough of Islington.
Während sich in Amerika der 21. Juli 1971 seinem Ende zuneigte, waren in London schon die frühen Morgenstunden des 22. angebrochen. Wie an jedem Tag hatte man uns um halb fünf Uhr geweckt. Nach zehn Minuten, um seine Notdurft zu verrichten, sich ein wenig Wasser ins Gesicht zu spritzen und sein Bett zu machen, hieß es wie stets: antreten, sich beim Durchzählen laut und vernehmlich zu Gehör bringen und anschließend in die Kantine marschieren, wo uns das gute englische Gefängnisfrühstück erwartete, bestehend aus faden weißen Bohnen in wässriger Tomatensoße, kaltem, hartem Speck, Würstchen, in denen alles Mögliche enthalten sein mochte, nur kein Fleisch, labberiger Toast und ein Spülwasser von Kaffee.
Nur dass uns das alles an diesem Morgen nicht erwartete. Als wir in den Speisesaal kamen, lag die Essensausgabe leer und dunkel da, stattdessen lief der Fernsehapparat, der, geschützt durch ein stabiles Gitter, hoch oben in einer Ecke des Raums hing, und die ganze Küchenmannschaft stand einträchtig versammelt davor.
Besagter Fernsehapparat wurde äußerst selten eingeschaltet, im Grunde nur, wenn wichtige Endspiele im Fußball oder Rugby stattfanden. Solche Übertragungen wurden stets lange vorher angekündigt; wer sich nicht benahm, musste damit rechnen, davon ausgeschlossen zu werden – und der Apparat war noch nie morgens gelaufen.
Das hieß: Irgendetwas noch nie Dagewesenes war passiert oder im Begriff zu geschehen.
Eine atemlose Anspannung lag in der Luft. Niemand kam auf die Idee, wegen des Frühstücks zu randalieren, nicht einmal die ganz harten Burschen, die sonst keinen Anlass vermieden, sich zu streiten. Frühstück war irgendwie gerade völlig unwichtig; das schien jeder zu begreifen, ohne dass es eines Wortes bedurft hätte.
Neben mir hörte ich einen meiner Mitinsassen, den alle nur Crazy Bruce nannten, flüstern: »Der Mond. Ich hab’s euch immer gesagt, der Mond ist unser Unglück!«
Niemand antwortete ihm. Wir gingen alle einfach weiter, durch die Reihen der Stühle und Tische bis nach vorn, wo sich alle unter dem Fernseher versammelten, Insassen und Küchenleute und Wärter, Schulter an Schulter stehend, alle Blicke auf den Bildschirm gerichtet. Dort verlas gerade ein BBC-Sprecher einen Bericht, die laufenden Ultimaten der Atommächte betreffend, und man konnte sehen, dass seine Hände zitterten.
Crazy Bruce hatte recht, es ging immer noch um die amerikanische Mondrakete und die Krise, die diese ausgelöst hatte, als sie bei ihrer Rückkehr nicht in den USA gelandet war, sondern in China, im hintersten Winkel der Wüste Gobi. Zuerst hatte es geheißen, es sei eine Notlandung gewesen, doch inzwischen sah es eher so aus, als sei das SOS der Mondfahrer nur eine Finte gewesen – doch aus welchem Grund?
Die USA warfen China vor, die Rakete illegal an sich gebracht zu haben. Was China entschieden bestritt.
China warf den USA vor, mit Hilfe ihrer Rakete einen illegalen Stützpunkt auf ihrem Territorium errichtet zu haben. Das wiederum bestritten die USA entschieden.
Ich merkte auf, als der Uhrzeiger, wie jeden Morgen, mit einem unverkennbaren, lauten Klack! auf fünf Uhr sprang.
Im selben Moment ließ der Sprecher seine Papiere sinken, legte eine Hand an den Knopf, den er im Ohr trug, und sagte: »Ladies and gentlemen, gerade erreicht uns die Nachricht, dass die Volksrepublik China wie angedroht ihre gegen die USA gerichteten Atomraketen in Marsch gesetzt haben soll.« Er lauschte einen Moment, dann fuhr er fort: »Es handelt sich dabei allerdings nur um bislang unbestätigte Gerüchte. Ich rufe unseren Korrespondenten Philip Coyle in Amerika – Philip, wissen Sie Genaueres?«
Das Bild eines pausbäckigen Mannes wurde eingeblendet. Die Telefonverbindung war nicht besonders gut.
»Hallo, Jim. Ich stehe hier zusammen mit etwa hundert Kriegsgegnern an einem Ort außerhalb von Washington, D. C., von dem es heißt, dass hier einige der amerikanischen Atomraketen stationiert seien. Man sieht davon nichts, nur mit Maschenzaun und Stacheldraht umzäunte Wiesen, aber die Menschen hier harren seit Tagen mit Zelten und Plakaten –«
Der Rest des Satzes ging in vielstimmigem Entsetzensgeschrei unter. Als man die Stimme des Korrespondenten wieder hören konnte, sprach er deutlich hastiger und aufgeregter. »… werden Augenzeugen, wie sich hier überall gewaltige Metalldeckel aus dem Erdreich heben, die offenbar bislang die Siloschächte der Raketen verschlossen haben. Das heißt wohl, dass nun so etwas wie höchste Alarmbereitschaft herrscht, wenngleich natürlich zu hoffen ist, dass es nicht zum Äußersten –«
Dann brach ein Höllenlärm los, ein ohrenbetäubendes Krachen, das kein Ende zu nehmen schien. Ich sah unwillkürlich zur Wanduhr, doch die zeigte erst drei Minuten nach fünf Uhr, und ich weiß noch, wie ich dachte: Schlechter kann ein Tag ja wohl kaum anfangen.
Endlich ließ das Tosen und Dröhnen nach, und man hörte den Reporter rufen: »London? Die Raketen sind gestartet … Keine Ahnung, ob ihr mich hört, ich bin taub, ich höre mich selber nicht mehr, aber wir sehen noch die Triebwerke am Nachthimmel, dünne Lichtstreifen, die sich rasch entfernen … das Unausdenkbare, es ist geschehen … die Atomraketen sind gestartet!«
»Danke, Philip Coyle.«
Der Sprecher, kreidebleich im Gesicht, legte seine Unterlagen beiseite, wandte sich der Kamera zu und faltete die Hände. »Gott sei uns allen gnädig. Das ist das Ende der Welt.«
2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Das Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
»Perry Rhodan« ist eine eingetragene Marke der Heinrich Bauer Verlag KG. Die Figur Perry Rhodan ist eine Schöpfung von K. H. Scheer und Clark Darlton
Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildes von shutterstock/Sergey Nivens
Mitten im Wald lag eine kleine, kreisrunde Lichtung, von der die mächtigen Ulmen Abstand hielten wie abergläubische Alte. Dort hockte ein Haus aus Stein, über und über mit Brombeersträuchern und Moos überwachsen. Die Wasserlilien neigten sich den Kristallfenstern zu statt dem Himmel, und unter dem First zogen Eulen und Tauben nebeneinander ihre Jungen auf. Es war kein gewöhnliches Haus, so wie die Lichtung keine natürliche war … eine Zauberin wohnte hier, eine Weise Frau.
»Sie ist wach«, flüsterte Haselkin.
»Wo?«, fragte Salbei aufgeregt.
»Na, im Haus, Dummerchen. Schau, der Kamin raucht.«
»Sag nicht Dummerchen zu mir!«
Haselkin verbarg sich mit ihrer kleinen Schwester am Rande der Lichtung im Unterholz. Von hier aus hätte man das Haus für einen Hügel halten können, wäre nicht tatsächlich eine Rauchfahne vom Kamin hinauf ins Laubdach des Waldes weit oben gestiegen. Frühes Morgenlicht fiel durch den sich kräuselnden Dunst und verriet, dass der Herbst nahte. Vor einem halben Mond noch hätte ein pollenkörniger Schimmer die grünen Kronen durchdrungen. Nun schwebten die ersten gelben Blätter im Wind.
Haselkin zupfte Salbei eines davon aus den Zöpfen und fuhr auch sich selbst über den von Zöpfen bedeckten Kopf. Sie war zwölf und galt fast schon als zu alt, um die Opfergaben zu bringen, weshalb man ihre kleine Schwester mitgeschickt hatte. Dem Himmel sei Dank hatten sie die Hütte gefunden. Sicher konnte man nämlich nie sein. Angeblich zeigte sie sich nur jenen, die reinen Herzens waren, und darum sollten Kinder die Opfergaben bringen. Was Haselkin Schlimmes über Erwachsene vermuten ließ.
»Klopfen wir an?«, fragte Salbei.
»Um Himmels willen, nein. Die Sachen werden hier abgelegt. Komm, und mach keinen Krach«, raunte Haselkin und ging ihrer kleinen Schwester voran.
Zwei Bäche flossen am Haus vorüber: ein schmaler an der Südseite, ein breiter an der Nordseite. Am Ufer des südlichen Wasserlaufs ruhte ein großer, flacher Stein, beinahe wie ein Tisch. Auf den legten sie ein Stück geräucherten Speck, noch ofenwarme Fladenbrote aus Einkorn und die ersten Äpfel des Jahres.
»Jemand kommt«, quietschte Salbei.
Haselkin drehte sich um. Aber die Tür der Hütte war geschlossen, und außer den Blättern, die aus den Baumkronen trudelten, bewegte sich nichts.
»Da ist niemand, du Hasenfuß.«
In dem Moment spürte Haselkin einen Blick auf sich. Langsam schaute sie sich um. Und da, auf der anderen Seite des Baches, stand eine junge Frau in einem leuchtend blauen, feingewebten Gewand, auf das mit Goldfaden Bienen gestickt waren.
»Habt Dank, Mädchen«, sagte sie im Dialekt der Leute hier aus der Gegend. Dabei war sie augenscheinlich keine Seenländerin, ja, nicht einmal ein Mensch. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Turm hochgesteckt und mit Stoff umwunden, wie es nur die Töchter des Kleinen Volkes taten. Ihr Gesicht, rund und in schwungvollen Bögen gezeichnet, wirkte auf Haselkin eigentlich fröhlich und freundlich. Doch ihre steife Haltung und ihr Ausdruck widersprachen dem. Nein, diese hübsche Zwergin war kein lustiges, kindliches Wesen. Schon jetzt ging eine feine Linie durch ihre Stirn, weil sie die Brauen wohl grüblerisch zu verziehen pflegte. Haselkin musste daran denken, was ihre Großtante manchmal mahnend sagte: Mit den Jahren verändert der Geist den Körper mehr als umgekehrt.
Die hübsche Zwergin nutzte die Trittsteine, um den Bach zu überqueren, kam zu ihnen und reichte ihnen mehrere Sträuße getrockneter Kräuter und einen Tonkrug, den Haselkin ehrfürchtig entgegennahm. Dabei fiel ihr auf, dass die Hände der Zwergin nicht größer waren als ihre eigenen.
»Die Arzneien sind geweiht«, sagte die junge Frau. »Gebt den Trunk euren Kranken, die Kräuter den Stillenden und Schwangeren.«
»Du bist gar keine von uns«, sagte Salbei.
Haselkin versetzte ihrer kleinen Schwester einen Stoß mit dem Ellenbogen, doch die Frau lächelte, wenn auch angespannt. »Das ist wahr. In eurer Sprache heiße ich Waldgrün – Walgreta bei meinem Volk, das noch die Zunge der Götter spricht. Eine Weise Frau, eine Wyka, muss sich darauf verstehen, auf viele Arten zu reden, auf die der Menschenvölker ebenso wie auf die des Kleinen Volkes.«
Trotzig fuhr Salbei fort: »Aber du bist nicht die Weise Frau. Ich hab sie schon oft gesehen. Sie ist alt.«
»Salbei!«, zischte Haselkin.
»Du hast recht«, sagte Walgreta in einem heiteren Ton, der etwas Schrilles hatte. »Ich bin nicht die Weise Frau vom Ulmenhain, sondern ihre Schülerin. Bis zum Jahresende noch.«
Da Walgreta so redselig war, wagte nun auch Haselkin eine Frage: »Nur bis zum Jahresende? Also wirst du nicht ihre Nachfolgerin?«
Ein Schatten fiel auf Walgretas Gesicht, und Haselkin bekam Angst. Konnte die Schülerin der Weisen Frau in ihr Herz hineinhorchen? Wusste sie, dass Haselkin fragte, weil sie selbst bei der Weisen Frau in die Lehre gehen und ihre Nachfolgerin werden wollte?
»Lauft nach Hause«, murmelte Walgreta, und ein eisiger Luftzug strich Haselkin über die Haut.
Im nächsten Moment rannte sie mit ihrer kleinen Schwester davon.
Walgreta sah den Mädchen nach, dann beäugte sie die Opfergaben. Es gab tatsächlich schon Äpfel. Der Herbst war nicht mehr im Anmarsch, er war gekommen. Und obwohl Walgreta diese Jahreszeit, wenn die Erde ihre schönsten Geschenke gab, am meisten liebte, regte sich Panik in ihr. Denn nicht nur das Jahresende stand bevor, sondern auch das Ende ihrer Ausbildung.
Sieben Jahre hatte Walgreta nacheinander bei sieben Weisen Frauen die Zauberkunst und die geheime Unterredung mit den Göttern erlernt. Länger durfte man nicht in die Lehre gehen. Und bis jetzt hatte keine Wyka ihr das Angebot gemacht, dass sie bei ihr bleiben und eines Tages ihre Nachfolgerin werden könnte. Wenn es hier, in diesem Jahr, nicht passierte …
Walgreta verbot sich ein Seufzen und atmete stattdessen tief ein. In der Luft lag schon der süße Hauch, den die Blumen ausstießen, wenn die Kälte aus dem Totenreich stieg, ihre Wurzeln berührte und sie erschaudern ließ.
Walgreta sammelte die Opfergaben auf, füllte noch einen Tonkrug mit Wasser und kehrte ins Haus zurück.
Onyx stand am offenen Herd und fischte ein Stöckchen aus dem Feuer, das Walgreta entfacht hatte. Mit dem Stöckchen zündete die Weise Frau ihre Pfeife an. Groß, krumm und dürr wie eine Esche stand sie da im Leinenkittel, umgeben vom Gespinst ihrer grauen Haare, und rauchte.
»Guten Morgen«, sagte Walgreta, ohne eine Antwort zu erwarten. Onyx gehörte zu den Leuten, die finsteren Blicks durch die ersten Tagesstunden schlafwandelten, und war bis zu ihrer zweiten Pfeife nicht ansprechbar. Das hatte Walgreta schnell lernen müssen.
Sie hängte den Kessel über die Flammen, füllte ihn mit Wasser und kochte Haferbrei auf die Weise, die Onyx für richtig hielt, auch wenn die Weise Frau morgens nicht mitaß, und Onyx sah ihr dabei zu, rauchend in ihrem mit Lammfell bezogenen Sessel, die Beine breit vor sich ausgestreckt.
Die Zauberin hatte etwas von einem jungen Mädchen in diesen Momenten. Etwas Schlaksiges und Linkisches von einem jungen Mädchen, das in die Höhe schoss, statt rundere Formen anzunehmen. Auf eine verwirrende Weise fand Walgreta das jedoch hübsch. Vielleicht, weil sie selbst so sehr das Gegenteil war. Dabei waren die Menschen in jeder Hinsicht weniger edel als Walgretas Volk, und es gab keinen Grund, weshalb sie, eine Hochgeborene des Kleinen Volkes, auf eine Seenländerin neidisch sein sollte. Außer, dass diese Seenländerin eine Weise Frau war … und Walgreta niemals eine werden würde, wenn Onyx sie nicht zu ihrer Nachfolgerin erklärte, ehe das Jahr um war.
»Der Sommer ist vorbei«, bemerkte Onyx, als hätte sie Walgretas Gedanken erraten. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Ich hatte einen Traum. Zwei Bucheckern fielen vom Baum. Eine fiel in einen Fluss, und eine fiel in einen Teich. Diejenige, die in den Fluss fiel, ließ Bäume entlang des Flusses wachsen, doch es waren kahle Stämme ohne ein grünes Blatt. Diejenige, die in den Teich fiel, wuchs nach unten in die Erde, und ihre Wurzeln schwammen wie ein böses Spinnennetz an der Oberfläche.« Sie sah Walgreta eindringlich an. »Was, meinst du, bedeutet dieser Traum?«
Walgreta hielt im Rühren inne, überrascht, dass die Alte so viel sagte, obwohl sie noch ihre erste Pfeife paffte. »Ich glaube, es bedeutet, dass Ihr nachts die Eicheln in den Bach habt fallen hören.«
Onyx verzog die Lippen zu ihrem Dachsgrinsen. »Eine gute irdische Erklärung. Und wenn du den Kopf aus der Erde ziehst, was siehst du dann in meinem Traum?«
»Dann …« Walgreta rührte weiter im Haferbrei, als suchte sie darin ihre Gedanken. »Dann glaube ich, die Buchecker, die in den Fluss fiel, steht für die Güter, welche die Händler dieses Jahr den Donwall heraufbringen werden. Es werden Güter sein, die allerorts begehrt sind, aber mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken werden. Und die Buchecker, die in den Teich fiel … kündigt einen harten, langen Winter an, in dem die Menschen des Seenlands bang zum Totenreich hinabblicken.«
Onyx ließ sich nicht anmerken, was sie davon hielt. Dabei hatte sie sonst nie gezögert, Walgretas Traumdeutungen mit einem verächtlichen Schnauben oder, seltener, mit einem anerkennenden Brummen zu quittieren. Still, wie in einen Tagtraum versunken, saß sie da und vergaß sogar ihre Pfeife. Endlich kam sie zu sich, stand auf und zündete das Violettenkraut noch einmal an.
»Frostig heute«, murmelte sie. »Ich zieh’ mich an.«
Damit verschwand sie in ihrer Schlafkammer und kam eine ganze Weile nicht wieder.
Als die Zauberin endlich aus ihrer Kammer trat, trug sie ihren Mantel aus schwarzen Ziegenfellstreifen ungegürtet über dem Kittel und das Haar noch immer zottelig. Sie streckte sich und ließ einen weichen Furz fahren.
Formgefühl, wie jede Art von Kultur, war bei den Menschen nicht so entwickelt wie beim Kleinen Volk, aber selbst für die Verhältnisse der Menschen war Onyx eine verlotterte Erscheinung. Als Weise Frau durfte sie sich solche Freiheiten wohl erlauben; schließlich lebte sie in der Abgeschiedenheit, wo sie auf niemanden Rücksicht nehmen musste außer auf ihre Schülerin.
Walgreta wandte sich geflissentlich den letzten Löffeln ihres Nachschlags zu, und Onyx beäugte, während sie sich ihre Pfeife neuerlich anzündete, den Kessel.
»Du bist naschhaft wie eine Schwangere«, sagte die Wyka.
Walgreta verkniff sich eine Bemerkung über Onyx’ weit naschhafteres Rauchverhalten und erwiderte stattdessen: »Dafür esse ich abends kaum.«
Onyx paffte ihr Violettenkraut, dessen Duft Walgreta oft schwindelig machte, und breitete dann den Arm aus, was eine allgemeine Betrachtung der Welt ankündigte. »Unser Tagesablauf spiegelt unser ganzes Leben wider, so wie ein einzelnes Leben das eines ganzen Volkes spiegelt. Du, mein liebes Waldgrün, springst bei Sonnenaufgang aus den Federn und futterst dich durch die Morgenstunden wie eine Made durch die Pflaumen, weil du in deiner Jugend vor Lebenshunger, Kraft und Tatendrang strotzt. Mit dem Alter wirst du dich übersättigt aus dem Leben zurückziehen. Und als alte Frau wirst du vielleicht nicht einmal mehr sprechen, so wie du jetzt schon bei Einbruch der Dunkelheit in jeder Hinsicht schlappmachst.«
Walgreta rätselte, ob Onyx ihr damit etwas über ihre Nachfolge andeuten wollte, und fragte behutsam: »Was sagt Euer Tagesablauf dann über Euer Leben aus?«
»Dass ich in meiner Jugend ein faules Ei war. Ich lag moderig rum wie heute noch jeden Morgen.«
»Aber die Weise Frau vom Ulmenhain hat Euch damals trotzdem zu ihrer Nachfolgerin erwählt.«
»Ja, weil ich abends fidel werde. Ich konnte schon damals die Spindel länger drehen, als der Torf brennen kann. Ich habe bis zur Morgendämmerung Kröten gefangen, wenn es sein musste, und wenn man mich gelassen hat, habe ich auf der Zupfe gespielt und Lieder erfunden, bis die Nachtigallen schlafen gingen. Die Weise Frau vor mir wusste, dass sich meine Kräfte mit dem Alter entfalten würden, so wie sie sich täglich zu vorgerückter Stunde entfalteten. Und sie wusste auch, dass eine Weise Frau die längste Zeit ihres Lebens alt sein wird und nicht jung.«
Walgreta nickte langsam, die Zähne zusammengebissen, um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Ich verstehe«, sagte sie erstickt und merkte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Die konnte sie nicht zurückhalten.
Also erhob sie sich und eilte aus dem Haus nach draußen ins funkelnde Morgenlicht.
Onyx fand ihre Schülerin beim Wasserfall, der dreihundert Schritte östlich der Lichtung, auf der ihre Hütte stand, von einer Klippe stürzte. Es war kein besonders imposanter Wasserfall, nur gespeist von den zwei Bächen, die ihre bescheidene Behausung umflossen, aber weil an der Felswand keine Bäume wuchsen, eröffnete sich an dieser Stelle ein herrlicher Ausblick auf die verflochtenen Kronen der Eichen, Buchen, Eiben und Zedern weiter unten, in denen Vögel und Eichhörnchen umherhuschten.
Walgreta hatte den Wasserfall wohl aufgesucht, weil sie in seinem Rauschen schluchzen konnte, ohne es selbst hören zu müssen. Danach musste sie sich in dem eiskalten Wasser das Gesicht gewaschen haben. Denn als Onyx sich nun neben sie auf das Moos setzte, sah Walgreta fast wieder so aus, als wäre nichts geschehen. Nur die nassen Strähnen an ihren Schläfen und ein rötlicher Schimmer um ihre Augen verrieten ihre Gekränktheit.
Eine Weile saßen sie schweigend da und beobachteten die Baumwipfel, in denen der Wind atmete. Im Wald war es leicht, die Zeit zu vergessen. Das Leben ringsum war so groß und umfassend, dass man darin versank und eins werden konnte mit den warmen Steinen, den raschelnden Blättern und dem knarrenden Holz.
So mancher Sterbliche war auf diese Weise im Wald verschwunden, hatte sich in Vogelgesang und Morgentau verwandelt – ohne Schmerzen, wie man sagte. Auch die Schwangeren der Menschenvölker verließen nach uralter Sitte ihre Dörfer, um ihre Kinder in Aufgelöstheit mit dem Wald zu gebären. Manche kamen nicht wieder, und man wusste, dass sie nicht gelitten hatten …
Aber eine Weise Frau beherrschte die Kunst, mit dem Wald nicht nur zu verschmelzen, wann immer es ihr beliebte, sondern auch wieder aus ihm aufzutauchen, und so sagte Onyx schließlich in die riesige, ruhige Lebendigkeit des Waldes hinein: »Du hast meinen Traum mit viel Zuversicht ausgelegt.«
»Bedeutet es Schlimmeres als Hungersnot im Winter, wenn im Traum Nüsse ins Wasser fallen?«, erwiderte Walgreta, und ihre Stimme klang spöttisch vor Verletztheit.
»Es waren Bucheckern«, korrigierte Onyx sie ernst. »Bucheckern sehen aus wie eine Königskrone. Mein Traum kündigt in der Tat Schlimmeres an als einen harten Winter.«
Walgreta wandte sich ihr jetzt zu, ihr Blick ahnungsvoll bestürzt, so wie damals zu Beginn ihrer Ausbildung, als sie einmal aus Versehen einen Haufen Abfälle in die heilige Opfergrube geschüttet hatte.
»Beide Bucheckern«, fuhr Onyx fort, »stehen für ein Samenkorn von königlichem Blut, das ich in die Welt entlassen werde: Sie stehen für dich, mein liebes Waldgrün. Von dir kündet mein Traum. Zwei Wege stehen dir offen: über die weitverzweigten, schnelllebigen Gewässer der Sterblichen oder in die stillen, tiefen Wasser der Zauberwelt hinab. Ich weiß wohl, welcher Weg dir lieber wäre. Du bist im siebten und letzten Jahr deiner Lehre. Du willst eine Zauberin sein und den Ulmenhain hüten, wenn ich zu den Toten übergegangen bin. Mein Traum aber hat mir gezeigt, dass du als Weise Frau in die falsche Richtung wachsen würdest. Du würdest vom Dunklen angelockt werden und die Welt mit einem gefährlichen Spinnennetz überziehen.«
Walgreta spürte, wie die Worte der Wyka etwas in ihr zertrümmerten. Es war die Hoffnung, an die sie sich sieben Jahre lang geklammert hatte. Nein, länger noch – seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie eine Weise Frau sein wollen, tief im Wald, bei einem heiligen Hain, eine Mittlerin zwischen den Völkern, zwischen den Sterblichen und den Göttern, dem Vergangenen und dem Kommenden. Doch das würde sie nun nie sein, niemals.
Niemals.
In den Abgrund dieses Wortes stürzend, hörte sie nur halb zu, während Onyx fortfuhr: »Wenn du zu deiner Familie zurückkehrst, wirst du auf andere Weise einflussreich werden. In meinem Traum hast du viele Bäume entlang des Flusses wachsen lassen. Sie waren blatt- und fruchtlos. Doch Träume sind Bilder der Zukunft. Sie warnen uns vor Gefahren, denen wir entgegenwirken können. Dies wird deine Aufgabe sein, mein liebes Waldgrün, wenn du wieder in deine Heimat zurückkehrst: nicht den Tod in die Welt zu bringen, sondern das Leben.
Nicht erst mein Traum hat mir gezeigt, dass du Großes vollbringen kannst. Du bist willensstark und hast einen scharfen Blick. Du siehst die Dinge klarer als die meisten, denen ich begegnet bin, und bestimmt deutlicher als ich. Aber dein Blick geht ins Detail, nicht in die Tiefe. Du siehst die Dinge – nicht das, was dahinterliegt. In Zeiten wie unseren ist dein Talent sehr viel wert. Die Neun Stämme der Urier haben das Mitterland schon erobert. Dessen ursprüngliche Bewohner mussten sich ihren barbarischen Bräuchen beugen. Jetzt zwingen die Urier nach und nach auch die Völker des Seenlands unter ihr Joch. Keiner aus dem Menschengeschlecht ist mächtig genug, um sich ihnen zu widersetzen. Aber dein Volk, angeführt von Frauen wie dir, könnte uns vor den Reiterstämmen beschützen. Das wird deine Aufgabe sein.«
Walgreta verzog das Gesicht. Ihre Träume sahen anders aus. Hatten mit den Uriern nicht das Geringste zu tun.
»Weißt du, Waldgrün … im Grunde deines Herzens willst du nur eine Weise Frau werden, weil dir der Rang einer Wyka gefällt, das damit verbundene Ansehen, die Ehrerbietung der Leute.«
»Ihr täuscht Euch.« Walgreta wollte kühn und selbstsicher klingen, aber ihre Stimme war wie gequetscht vor Bitterkeit. »Ginge es mir um Rang und Ehrerbietung, wäre ich nach dem ersten Lehrjahr, das für eine Tochter meines Ranges Pflicht ist, nach Hause zurückgereist und Priesterin geworden.«
Onyx schüttelte langsam den Kopf. »Als Priesterin hättest du dich auf kleinliche Kämpfe um die Gunst der Königin einlassen müssen. Du willst echte Macht. Einfluss … und vor allem Ehrerbietung.«
»Das ist unwahr!« Walgreta sprang auf. Die Wut, die sie all die Monde in sich getragen hatte wie Glutstücke, flammte jäh auf. »Ihr mochtet mich von Anfang an nicht. Ach was, Ihr mochtet mich schon nicht, bevor Ihr mich kennengelernt habt! Und ich vermag sehr wohl hinter die Dinge zu sehen! Ihr verweigert mir die Nachfolge, weil ich vom Kleinen Volk bin. Es nagt an Euch, dass Ihr Menschen uns untertan seid, und darum wollt Ihr lieber eine Seenländerin zur Weisen Frau machen als eine Zwergin!«
Ohne aufzublicken, erwiderte Onyx: »Das ist es, was ich meine. Du siehst nur die Verstrickungen der Sterblichen, aber das, worum es einer Weisen Frau gehen sollte, ist für dich nichts als ein diffuser Schein.«
Walgreta dachte daran, wie leicht es wäre, Onyx mit einem Tritt in den Abgrund zu befördern. Ein Frösteln durchrann sie, da ihr die Zerbrechlichkeit aller Dinge bewusstwurde, von Träumen ebenso wie von Lebewesen … und sie wusste nicht, ob sie sich zurückhalten oder im Gegenteil gegen ihre Feigheit ankämpfen sollte, um den Tritt doch noch auszuführen.
»Du bist gefährlich, Walgreta«, murmelte Onyx. »Du fühlst dich ohnmächtig, ohne dir deiner Kraft bewusst zu sein. Blinde Kraft ist Vernichtung. Erinnere dich daran!«
Wieder füllten sich Walgretas Augen mit Tränen. Sie schämte sich – für ihre Wut, für ihr Versagen, für so vieles, was sie falsch gemacht hatte. Aber ihr Lebensziel zu verlieren … das konnte sie nicht einfach hinnehmen. Sie wünschte es sich mehr als alles auf der Welt, mehr als irgendwer es sich je gewünscht hatte! Was brauchte es denn mehr? Sie war bereit zu lernen, zu opfern, sich zu verändern. Warum war das nicht genug?
»Verzeiht mir«, brachte sie hervor. »Ich habe im Zorn gesprochen. Ehrenwerte Onyx, bitte erklärt mir, was Euch an mir fehlt. Wenn Ihr mich behaltet, schwöre ich, dass ich genau so werde, wie Ihr mich …«
Ein jäher Wind fegte durch die Baumkronen, so dass die Zweige sich teilten und Sonnenlicht Walgreta blendete. Sie schirmte ihre Augen mit der Hand ab. Da sah sie, dass buntes Laub über die Stelle wirbelte, an der Onyx gesessen hatte.
Die Zauberin war verschwunden.
Walgreta lief bis zur Abenddämmerung durch Wald und Unterholz, ohne den Ulmenhain, geschweige denn das Steinhaus auf der Lichtung, zu finden. Onyx hatte sie ausgestoßen. Ihr Lehrjahr war vorbei.
Sie fühlte sich wie ein Schatten ihrer selbst, dazu verdammt, auf Erden umherzuirren. Schließlich gab sie die Suche auf. Niemand konnte eine Wyka finden, die nicht gefunden werden wollte. Nicht einmal nach sieben Lehrjahren konnte Walgreta das.
Sie stieg ins Tal hinab und erreichte, als die Sterne bereits am Himmel schimmerten, ein Dorf, das auf Pfählen im Uferschilf stand.
»Brot, etwas Warmes und ein trockenes Lager«, befahl sie missmutig in der Sprache des Kleinen Volkes, als sie, ohne anzuklopfen, das größte der Pfahlhäuser betrat, damit die Seenländer gleich wussten, wen sie vor sich hatten.
Auch wenn diese die Worte vielleicht nicht kannten, errieten sie Walgretas Wünsche und kamen ihnen augenblicklich nach, wie es sich für Menschen geziemte, wenn sie es mit Angehörigen des Kleinen Volkes zu tun hatten.
Schweigend ließ Walgreta sich nieder und begann zu essen.
»Hallo, Waldgrün«, erscholl da plötzlich die Stimme eines kleinen Mädchens, in dessen großen, schlaftrunkenen Augen mehr als nur der Widerschein des Herdfeuers leuchtete.
Es war Salbei, die an diesem Morgen die Opfergaben gebracht hatte. Wie lange schien das her!
»Ist deine Ausbildung bei der Weisen Frau jetzt vorbei?«
Walgreta wusste nicht, was sie antworten sollte; die Beklommenheit verhinderte so oder so, dass sie sprechen konnte.
»Wenn ich groß bin, will ich die Zauberin vom Ulmenhain sein!«, rief die Kleine aus.
Walgreta erhob sich vom Herdfeuer und zog sich wortlos in die Tiefe des Hauses zurück. Ohne ihre Kleider abzulegen, streckte sie sich auf dem Lager aus, das man ihr bereitet hatte, und schloss die Augen. Sie wollte schlafen und nie wieder aufwachen.
Schon am nächsten Nachmittag kam ein Boot zweier Händler den Fluss herauf, die auf dem Weg nach Süden waren, wie so viele zu dieser Jahreszeit. Die beiden nahmen Walgreta mit, nachdem sie ihnen zwei Säcke Linsen und einen Sack Hafer abgekauft hatte, damit in dem langen, schmalen Einbaum Platz genug für sie war. Die kostbaren Nahrungsmittel schenkte sie den Dorfbewohnern, die vor ihr auf die Knie fielen. Dann ließ sie sich von dem schaukelnden, bedenklich tief im Wasser liegenden Gefährt in Richtung Heimat bringen.
Heimat. Obwohl Horuns Bauch, die prächtige Stadt im hohlen Berg, der Ursprung ihres Volkes war, hatte Walgreta sich innerlich schon vor Jahren davon verabschiedet. Es war der Ort ihrer Kindheit. Das Nest, das sie ein für alle Mal verlassen haben wollte. Was für eine Schmach, nun dorthin zurückkehren zu müssen!
Zwei Tage vergingen. Nachts schliefen sie in seenländischen Dörfern, die entlang des Donwall lagen und den Meridiern und Sarwen gehörten. Walgreta sprach nur so viel, wie die Höflichkeit es erforderte. Ihr war wohl bewusst, dass sie bei den Seenländern damit Erstaunen, wenn nicht gar Befremden auslöste, denn von ihr als Tochter des Kleinen Volkes erwartete man, dass sie am Feuer die Geschichte ihrer langen Abstammung erzählte, die bis in Zeiten zurückreichte, die für die Menschen im Dunkel lagen. Aber sie brachte es nicht fertig, die Runenkette abzuzählen, die ihr Haartuch umwand. Sie würde sich wie ein Schandfleck fühlen, wenn sie ihre über neunhundert großen Mütter aufzählte, deren ruhmlose Tochter sie war.
Dann zerfiel der Donwall in die vielen störrischen Bäche, die ihn speisten. Die Händler mühten sich, das Boot über die schnellen Wogen zu staken, bis ihnen nichts anderes mehr übrigblieb, als ihren Weg zu Fuß fortzusetzen, wobei die Männer das Boot über ihren Köpfen trugen.
In der Dämmerung eines Morgens erreichten sie die Quelle der Bäche: den ersten der fünf Hellen Seen.
Nun waren sie nicht länger allein. Von den Ufern des Sees, wo Dörfer lagen, lösten sich nach und nach Boote, lang und schmal und beladen mit allerlei Gütern. Bunte Wimpel waren an Schnüren und Stöcken aufgezogen, um die Waren anzuzeigen – exotische Tiere, Getreide, Stoffe und Färbemittel, Klingen und Werkzeuge – oder um als Wappenzeichen die eigene Herkunft kundzutun. Langsam glitten die Boote über den See. Ab und an hallten Grüße in verschiedenen Dialekten der Menschenvölker und den unverständlichsten Varianten der Hochsprache des Kleinen Volkes durch die Nebel.
Walgreta hielt sich das Ende ihres Haartuchs vors Gesicht, von einem kindischen Wunsch ergriffen, niemand möge sie sehen. Aber man würde sie sehen. Noch früh genug.
Vor ihnen tauchte Land auf aus der Nacht, endlose Hügel und Berge, blauschimmernd am Firmament wie rhythmische Wiederholungen von Raum und Zeit. Laut der Überlieferung des Kleinen Volkes waren die Berge riesenhafte Ahnen, die gegen die Götter des Himmels aufbegehrt hatten und von Blitzen erschlagen worden waren. Unter den Erdgöttern war auch eine Schwangere gewesen, die Riesin Horun, deren Silhouette mit dem großen Bauch und den geschwollenen Brüsten an der Grenze zum unbetretbaren Gebirge noch heute zu erkennen war. Als Horun bereits erschlagen dalag, senkte sich der mitleidige Vater Sonne zwischen ihre Beine, erwärmte ihren Schoß und rettete so den ungeborenen Kindern der Riesin das Leben: Hervor kamen winzige, weiche und unfertige Geschöpfe – das Kleine Volk, liebevoll oder spöttisch auch Zwerge genannt.
In goldenen Schleiern strich das Licht über die östlichen Hügelkuppen und löste den Nebel. Nun sah Walgreta, dass nicht nur Boote der Menschenvölker sich ihrem Zug anschlossen. Da waren auch geflochtene und mit Birkenpech bestrichene Barken, die sich nach Bedarf auf- und abbauen ließen. Die Gestalten darin waren größer als Menschen. Diademe aus Flechtwerk, verziert mit Muscheln und Perlen, bändigten ihr rötliches Haar. Ihre seltsam blassen, ärmellosen Roben waren zarter als alle Walgreta bekannten Stoffe, und grüne Tätowierungen überzogen ihre perlmutthelle Haut wie ein Gespinst von Schlingpflanzen. Nicht zuletzt verrieten ihre erstaunlichen diamanthellen Augen, dass es Leute vom Alten Volk der Küsten waren.
Sie, die Elfen, stammten nicht von Horun ab. Sie waren schon immer da gewesen, so wie Feuer und Wasser, und hatten zu Zeiten der Riesen Jagd auf die gewaltigen Ahnen der Tiere gemacht. Jedenfalls, wenn man den Geschichten der Elfen glauben durfte. Sie erzählten sich überhaupt ganz andere Geschichten: Ihrer Auffassung nach waren die Berge kein Gebein toter Götter, sondern lebten und bewegten sich, so wie alles, und zwar um den herum, der schaute.
Walgreta hatte nie recht verstanden, wie sie sich das vorstellen sollte. Sie wusste sehr wenig über sehr viel, wie Onyx einmal bemerkt hatte … Der Hass auf die Wyka überschwemmte ihre Gedanken, und sie versuchte, ihn loszulassen, während das Wasser geschmeidig an ihr vorüberzog.
Loslassen. Eine der ersten Übungen für eine Weise Frau.
Blitz und Donner würde sie loslassen!
Es dauerte vier Tage, das Land der Hellen Seen zu durchqueren. Jeder der fünf Seen war so lang, dass man von einem Ende das andere kaum erkennen konnte. Dazwischen lagen schmale Flussabschnitte, von denen nicht alle befahrbar waren; zweimal mussten sie aus dem Boot steigen und mit allem Gepäck durch ein Tal wandern. Zum Glück gab es genug Dörfer, aus denen ihnen bereitwillige Helfer entgegenkamen. Der Herbst war die Zeit der Gastfreundschaft, in der sich alle fröhlich begegneten. Es wurde getauscht und geschenkt, und an jeder Flussbiegung und jedem Ufer erwartete die Reisenden ein Festessen mit Musik unter alten Ulmen, Linden, Buchen oder Eichen.
Dann endlich erreichten sie den Finsteren See. Es war der letzte des Seenlands, bevor das unüberwindliche Gebirge sich erhob. Anders als die Hellen Seen leuchtete er nicht türkisfarben, sondern war schwarz wie Obsidian. Schroffe Felswände umschlossen ihn, die unter Wasser ebenso steil abfielen: Selbst in Ufernähe konnte man einen Stein an einem zweihundert Ellen langen Seil versenken, ohne dass er auf Grund stieß.
Es gab nur zwei Stellen, über die der Finstere See erreicht werden konnte. Eine davon war der Flusslauf, über den sein Wasser in die Fünf Hellen Seen abfloss. Die andere war ein Hang gegenüber, der durch einen Bergrutsch entstanden war. Mit Tannen und Moos überwucherte Felsbrocken lagen im Wasser. Das mussten Schädel von Riesen gewesen sein, dachte Walgreta, denn die Felsen wiesen grottenartige Öffnungen auf, die an Augenhöhlen erinnerten. Darin befanden sich Stege und Pflöcke aus Holz für Boote zum Anlegen.
Männer in den roten Umhängen von Horuns Bauch hielten Wache und kontrollierten die Ankömmlinge und ihre Waren. Walgreta erkannte ein paar hochgeborene Söhne aus den ältesten Familien ihres Volkes wieder und wurde von ihnen mit einer Verneigung begrüßt.
Spätestens heute Nacht werden alle wissen, dass mich auch die letzte Wyka abgelehnt hat.
Man bot ihr eine Sänfte an, aber Walgreta wollte lieber zu Fuß gehen, verabschiedete sich knapp von ihren seenländischen Wegbegleitern und begann mit dem Aufstieg.
Ein wagenbreiter gewundener Pfad führte aus den Grotten durch den Wald nach Horuns Bauch. Walgreta, die den Weg als Kind endlose Male zurückgelegt hatte, überholte mehrere Händler, die sich ebenfalls mit ihren Waren bergauf mühten. Bei einer Ansammlung von kleinen Steintürmchen, die einen heiligen Ort markierten, nahm sie eine kaum sichtbare Abzweigung und kam zu einem Weiher. Hier legte sie für die Ahnen mehrere flache Steine zu einem Turm aufeinander, um dann gelbe, violette und weiße Wasserlilien und Orchideen pflücken zu dürfen, die sie der Königin von Horuns Bauch mitbringen würde. Als sie einen prächtigen Strauß zusammenhatte, kletterte sie auf einen Felsen im Sonnenlicht, wickelte sich sorgfältig ihr Tuch neu ums Haar, ließ lediglich zwei Strähnen vor den Ohren herabhängen, die sie flocht, und versuchte, ihre Sorgen zu vergessen. Sie rief den Wald … und der Wald atmete langsam und friedlich über sie hinweg. Die Zeit fiel von ihr ab, und was blieb, war ein endloses, stilles Hier. Es war verlockend, sehr verlockend, zu bleiben …
Ein Flüstern drang zu ihr. Nein, es war weniger ein Geräusch als ein Gefühl: Sie war nicht allein. Walgreta kroch bis zum Rand des Felsens und lugte hinab.
Unten am Weiher kniete ein junger Mann. Mit einer Gans.
© 2019 Jenny-Mai Nuyen
Deutsche Erstausgabe:
© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München
Covergestaltung: Nele Schütz Design, München unter Verwendung mehrerer Bilder von shutterstock/faestock, susanitah, Valokuva24
Zuerst war da nichts. Dann kam ein Funke, ein Knistern, das ein löchriges Gespinst aus Traum und Erinnerung in Schwingungen versetzte. Und dann ein Knall, ein Brausen, und ein blauweißer Blitz, der ihn durchzuckte und in seine verödeten Hirnwindungen schoss wie das Meer, das bei Flut in ein Felsloch prescht. Sein Körper spannte sich so heftig, dass er für einen langen Augenblick auf den Hacken und der Rückseite seines Schädelpanzers balancierte. Er schrie und erwachte, in ihm helles Rauschen und das Gefühl zu fallen.
Er erinnerte sich ans Sterben. Er erinnerte sich an feuchtes Gras und das vernarbte Gesicht eines jungen Mädchens, das sich über ihn beugte. Sie war wichtig, sie bedeutete ihm etwas, bedeutete ihm mehr, als es für einen Stalker vorgesehen war, und da war etwas, das er ihr sagen wollte und nicht konnte. Jetzt blieb ihm nur ein Nachbild ihres entstellten Gesichts.
Wie hieß das Mädchen? Sein Mund wusste es noch.
»H…«
»Er lebt!«, sagte eine Stimme.
»Hes…«
»Noch einmal, bitte, schnell!«
»Wird geladen!«
»Hester …«
»Achtung, zurück!«
Und schon peitschte ein weiterer Stromstoß durch ihn hindurch und löschte auch diesen Gedächtnisfetzen. Er wusste nur noch, dass er der Stalker Shrike war. Eins seiner Augen ging an. Verschwommene Umrisse waberten durch einen Schneesturm aus Störsignalen, und er schaute zu, wie sie langsam zu menschlichen Gestalten wurden, von Lampen angeleuchtet, vor mondbeschienenen Wolken, die über den Himmel jagten. Ein steter Regen fiel. Einmalgeborene in Schutzbrillen, Uniformen und Plastikmänteln standen an seinem offenen Grab. Sie hatten Quarz-Iod-Leuchten dabei, und manche machten sich an Maschinen mit leuchtenden Röhren und glänzenden Drehknöpfen zu schaffen. Von den Maschinen verliefen Kabel zu ihm herunter. Er spürte, dass sein Schädel geöffnet war und sein Stalkerhirn freilag.
»Mr Shrike! Können Sie mich hören?«
Eine sehr junge Frau schaute auf ihn herab. Eine ferne, sehnsüchtige Erinnerung an ein Mädchen tauchte in ihm auf, und er fragte sich, ob sie es war, die mit ihm sprach. Aber nein – das Gesicht in seinen Träumen war irgendwie beschädigt gewesen, und dieses hier war makellos. Ein asiatisches Gesicht, blass, mit hohen Wangenknochen und einer schweren schwarzen Brille auf den dunklen Augen. Das kurze Haupthaar der Frau war grün gefärbt. Unter dem transparenten Regenmantel trug sie eine schwarze Uniform, auf deren hohem Stehkragen silberne geflügelte Totenschädel eingestickt waren.
Sie legte ihm eine Hand auf den rostigen Brustpanzer und sagte: »Keine Angst, Mr Shrike. Es ist sicher alles etwas verwirrend. Sie waren mehr als achtzehn Jahre tot.«
»Tot«, sagte er.
Die junge Frau lächelte. Ihre weißen, schiefen Zähne wirkten ein wenig zu groß für ihren schmalen Mund. »Oder sagen wir besser inaktiv. Alte Stalker sterben nie wirklich, Mr Shrike …«
Es grollte, aber zu regelmäßig für ein Gewitter. Auf den Wolken flammten orangefarbene Lichtflecken auf und machten die Felswand sichtbar, die über Shrikes Ruhestätte aufragte. Einige der Soldaten schauten besorgt hoch. Einer sagte: »Bugkanonen. Sie haben unsere Linien in den Marschen durchbrochen. In weniger als einer Stunde werden amphibische Vororte hier sein.«
Die Frau schaute kurz über die Schulter und sagte: »Danke, Captain.« Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Shrike zu und machte sich mit flinken Fingern in seinem Schädel zu schaffen. »Sie sind schwer beschädigt worden und waren abgeschaltet, aber wir werden Sie reparieren. Ich bin Doktor Oenone Zero vom Wiedererweckungskorps.«
»Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte Shrike.
»Ihr Gedächtnis ist zerstört worden«, antwortete sie. »Ich kann es nicht wiederherstellen. Das tut mir leid.«
Wut und ein schwer fassbarer Schrecken stiegen in Shrike auf. Er spürte, dass diese Frau ihm etwas genommen hatte, nur wusste er nicht, was. Er wollte seine Klauen ausfahren, konnte sich aber nicht regen. Als bestünde er nur aus dem einen Auge.
»Keine Sorge«, sagte Dr. Zero. »Ihre Vergangenheit ist nicht wichtig. Sie arbeiten jetzt für den Grünen Sturm und werden bald neue Erinnerungen haben.«
Hinter ihrem lächelnden Gesicht platzten rote und gelbe Lichtgarben am Himmel auf. Einer der Soldaten rief: »Sie kommen! General Nagas Division geht mit Tumblern in die Gegenoffensive, aber das wird sie nicht lange aufhalten.«
Dr. Zero nickte, kletterte aus dem Grab und wischte sich den Schlamm von den Händen. »Wir müssen ihn sofort hier wegbringen.« Sie schaute wieder zu Shrike herab und lächelte. »Ein Luftschiff steht schon bereit, Mr Shrike. Wir verlegen Sie in die zentrale Stalkerfertigung in Batmunkh Tsaka. Dort bringen wir Sie wieder auf die Füße.«
Sie trat beiseite, um zwei massigen Gestalten Platz zu machen. Es waren Stalker. In ihre Panzerung war ein grünes Blitzsymbol gestanzt, das Shrike nicht kannte. Ihre Gesichter waren glatt wie Schaufelblätter; sie hatten nur schmale Sehschlitze, aus denen es grün leuchtete, als sie ihn anhoben und auf eine Trage legten. Die Soldaten mit den Maschinen eilten neben der Trage her, während die stummen Stalker Shrike auf einem Fußpfad zu einer befestigten Luftkarawanserei brachten, aus der ein Luftschiff nach dem anderen sich in den regnerischen Himmel erhob. Dr. Zero lief voraus und rief: »Beeilung, Beeilung! Aber Vorsicht! Er ist eine Antiquität!«
Als der Pfad allmählich steiler wurde, begriff Shrike, warum sie so hektisch und ihre Männer so nervös waren: Durch Lücken in der Felswand fiel sein Blick auf eine Wasserfläche, in der sich stetes Geschützfeuer spiegelte. Am Rand des Gewässers und am Ufer dahinter waren riesige bewegliche Umrisse zu erkennen. Im Licht brennender Luftschiffe am Nachthimmel darüber und im bleichen, sinkenden Schimmer von Fallschirmraketen sah Shrike ihre gepanzerten Raupenketten, ihre gewaltigen Kiefer und ihre Lage um Lage übereinandergestapelten Geschützstellungen und Eisenbunker.
Traktionsstädte. Eine ganze Armee, die sich einen Weg durch die Marschen bahnte. Der Anblick rief in Shrike vage Erinnerungen wach. Solche Städte hatte er schon gesehen. Zumindest hatte er einen Begriff davon. Ob er je an Bord gewesen war und was er dort getan haben könnte, daran konnte er sich nicht erinnern.
Als seine Retter ihn in das wartende Luftschiff verfrachteten, sah er einen Moment lang das entstellte Gesicht eines Mädchens vor sich, das voller Vertrauen zu ihm aufblickte – als erwartete sie etwas von ihm, das er ihr versprochen hatte.
Aber wer sie war und was ihr Gesicht in seinem Kopf zu suchen hatte, wusste er nicht mehr.
Mehrere Monate später und am anderen Ende der Welt lag Wren Natsworthy nachts wach und schaute zu, wie ein Flecken Mondlicht über die Wand kroch. Es war nach Mitternacht, und im Zimmer war nichts zu hören als Wrens eigener Atem und ein gelegentliches leises Knarren im Holz. Bestimmt gab es nirgendwo auf der Welt eine verschlafenere Stadt als die, in der sie lebte: Anchorage-in-Vineland war ein trauriges statisches Kaff an der felsigen Südküste einer namenlosen Insel in einem verlassenen See im hinterletzten Winkel des toten Kontinents.
Aber so ruhig es auch war, Wren konnte einfach nicht schlafen. Sie wälzte sich hin und her und verhedderte sich in den warmen Laken. Beim Abendbrot hatte sie wieder Streit mit Mum gehabt. Es war eine dieser Auseinandersetzungen, die mit irgendeiner Kleinigkeit begannen (in diesem Fall, dass Wren mit Tildy Smew und den Sastrugi-Jungs ausgehen wollte, statt den Abwasch zu machen) und sich rasend schnell zu einem verbissenen Kampf auswuchsen, samt Beleidigungen und Tränen und Vorwürfen, die sie aus der Mottenkiste hervorkramten und einander an den Kopf schleuderten wie Handgranaten, während Dad hilflos danebenstand und »Beruhige dich doch, Wren« oder »Hester, bitte!« sagte.
Am Ende hatte Wren natürlich verloren. Sie hatte das Geschirr spülen müssen und war danach, so laut es ging, die Treppe zum Schlafzimmer hochgestampft. Seitdem arbeitete ihr Kopf auf Hochtouren und ließ sich lauter schlagfertige Gemeinheiten einfallen, die sie vorhin hätte sagen sollen. Mum hatte doch keine Ahnung, was es hieß, fünfzehn Jahre alt zu sein. Sie war so hässlich, dass sie als Teenager vermutlich überhaupt keine Freunde gehabt hatte, und schon gar nicht solche wie Nate Sastrugi, von dem alle Mädchen in Anchorage schwärmten und der Tildy gesagt hatte, dass er Wren ziemlich nett fand. Ihre Mum hatte wahrscheinlich nie irgendjemand nett gefunden, außer Dad natürlich – und was Dad in ihr sah, war für Wren eins der großen ungelösten Rätsel von Vineland.
Sie wälzte sich wieder auf die andere Seite und versuchte, diese Gedanken loszuwerden, aber schließlich seufzte sie resigniert und stand auf. Vielleicht würde ein Spaziergang helfen, den Kopf freizubekommen. Und wenn ihre Eltern aufwachten und merkten, dass sie weg war, und sich Sorgen um sie machten, würde Mum bestimmt bereuen, sie wie ein Kind behandelt zu haben. Wren zog sich warme Sachen und Stiefel an und schlich durch das stille nächtliche Haus zur Tür.
Mum und Dad hatten das Haus vor sechzehn Jahren für sich ausgewählt, als Anchorage an Land ging und Wren noch nicht mehr war als ein kleines Würmchen in Mums Bauch. So ging die Familienlegende, die Gutenachtgeschichte, die Wren als kleines Mädchen erzählt bekommen hatte. Freya Rasmussen hatte den beiden erlaubt, sich irgendeins der Gebäude in der Oberstadt auszusuchen. Für dieses hatten sie sich entschieden: eine ehemalige Kaufmannsvilla an einer Straße namens Sirius Court mit Blick auf den Lufthafen. Es war ein gutes Haus, behaglich und stabil gebaut, mit gefliesten Böden und breiten Heizungsrohren aus Keramik, die Wände mit Holz und Bronze vertäfelt. Im Lauf der Jahre hatten Mum und Dad aus den umstehenden leeren Häusern weitere Möbel zusammengetragen und die Räume mit Bildern und Gardinen dekoriert, mit Treibholz von der Küste und mit Antiquitäten, die Dad von seinen Ausflügen in die Toten Berge mitbrachte.
Wren tappte durch den Flur, um ihren Mantel von der Garderobe zu holen. Sie achtete weder auf die Fotografien an den Wänden noch auf die kostbaren Bauteile alter Küchenmaschinen und Telefone in der Vitrine neben der Tür. Diese Dinge kannte sie schon von klein auf und interessierte sich überhaupt nicht mehr dafür. Seit einem Jahr ungefähr fühlte sich das ganze Haus zu eng an, als wäre Wren aus ihm herausgewachsen. Der vertraute Geruch nach Staub und Holzpolitur und nach Dads Büchern war heimelig, aber irgendwie auch stickig. Sie war fünfzehn Jahre alt, und das Leben drückte und kniff wie ein zu klein gewordener Schuh.
Wren schloss so leise wie möglich die Tür hinter sich und eilte den Sirius Court hinunter. In den Toten Bergen hing der Nebel so dicht wie Rauch, und auch Wrens Atem erzeugte weiße Wolken. Es war erst Anfang September, aber die Nachtluft roch schon nach Winter.
Der Mond stand tief, die Sterne leuchteten hell, und das Polarlicht schillerte am Himmel. Davor zeichnete sich im Herzen der Stadt der Winterpalast als schwarze Silhouette ab. Efeu franste seine Konturen aus. Im Winterpalast hatte früher die Herrschaftsfamilie von Anchorage gelebt, aber heute war da nur noch Miss Freya, damals die letzte Margrabina und jetzt die Lehrerin der Stadt. Seit ihrem fünften Lebensjahr hatte Wren an jedem Wochentag im Winter den Klassenraum im Erdgeschoss des Palasts besucht und sich von Miss Freya Geographie und Logarithmen und den Städtedarwinismus erklären lassen und lauter andere Sachen, die sie garantiert nie brauchen würde. Es hatte sie furchtbar gelangweilt, aber jetzt, wo sie fünfzehn und zu alt für die Schule war, vermisste sie den Unterricht schrecklich. Nie wieder würde sie in dem netten kleinen Klassenzimmer sitzen, es sei denn, sie folgte Miss Freyas Bitte und half ihr, die Kleineren zu unterrichten.
Dieses Angebot hatte die Lehrerin Wren schon vor Wochen gemacht, und sie würde bald darauf antworten müssen, denn wenn die Erntezeit vorbei war, sollten die Kinder von Anchorage wieder Unterricht bekommen. Aber Wren konnte sich nicht entscheiden, ob sie Miss Freyas Assistentin sein wollte. Sie mochte nicht einmal darüber nachdenken, jedenfalls nicht heute.
Am Ende des Sirius Court führte eine Treppe durch die Deckplatten ins Maschinenviertel. Schon als Wren die Metallstufen hinunterpolterte, schlug ihr ein sommerlicher Geruch entgegen, und sie hörte die Rostflocken, die sich unter ihren Stiefeln lösten, in die Heuhaufen fallen. Früher einmal, als Anchorage noch von starken Motoren getrieben über das Eis glitt und mit anderen Städten Handel trieb, musste es hier laut und geschäftig zugegangen sein. Aber schon seit Wrens Geburt war die Stadt fest in den Felsgrund dieser Insel eingegraben, und das Maschinenviertel diente jetzt als Lagerstätte für Heu und Wurzelgemüse und als Winterquartier für das Vieh. Im Mondlicht, das durch Oberlichter und Öffnungen in den Deckplatten fiel, konnte Wren die gestapelten Heuballen zwischen den leeren Treibstofftanks erkennen. Als sie klein war, hatte sie dieses verlassene Stadtviertel als Spielplatz benutzt, und auch jetzt noch kam sie gern hierher, wenn sie traurig oder einfach gelangweilt war, und stellte sich vor, wie das Leben ausgesehen hatte, als die Stadt noch fuhr. Die Erwachsenen sprachen immer von den schlimmen alten Zeiten und den Ängsten, die sie ausgestanden hatten, weil sie ständig in Gefahr waren, von größeren, schnelleren Siedlungen gefressen zu werden, aber Wren hätte die gewaltigen Traktionsstädte zu gern gesehen oder wäre im Luftschiff von einer zur anderen gefahren, wie Mum und Dad vor ihrer Geburt. Ihr Dad hatte auf dem Schreibtisch eine gerahmte Fotografie, auf der die beiden an Bord einer Stadt namens San Juan De Los Motores im Lufthafen vor ihrem hübschen kleinen Luftschiff Jenny Haniver standen, aber sie erzählten nie von ihren Abenteuern. Wren wusste nur, dass sie irgendwann in Anchorage gelandet waren, wo der niederträchtige Professor Pennyroyal ihr Luftschiff gestohlen hatte, und sie sich von da an auf das beschauliche, verschlafene Dorfleben in Vineland eingelassen hatten.
So ein blödes Pech, dachte Wren und atmete den warmen, blumigen Heuduft ein. Sie wäre viel lieber als Tochter von Luftkaufleuten aufgewachsen. Es klang alles so spannend, viel aufregender als ihr eigenes Leben auf dieser einsamen Insel, unter Leuten, für die ein Ruderbootrennen oder eine gute Apfelernte schon ein Ereignis war.
Irgendwo im Dunkel vor ihr fiel eine Tür zu, und Wren erschrak. Sie hatte sich schon so daran gewöhnt, im verlassenen unteren Deck allein zu sein, dass ihr die Vorstellung, jemand anders könnte sich hier unten herumtreiben, fast Angst einjagte. Da wurde ihr erst klar, wo sie sich befand: Sie war in Gedanken versunken bis ins Zentrum des Viertels spaziert, wo Caul, der Ingenieur von Anchorage, in einem kleinen Verschlag zwischen zwei Stützpfeilern lebte. Er war der einzige Bewohner des gesamten Decks, denn niemand sonst wollte zwischen Rost und Schatten leben, wenn oben in der Sonne geräumige Häuser leer standen. Aber Caul war eigen. Er mochte die Sonne nicht besonders, weil er in einem unterseeischen Diebesnest namens Grimsby aufgewachsen war, und von Gesellschaft hielt er genauso wenig. Mit Mr Scabious, dem früheren Obermaschinisten, hatte er sich gut verstanden, aber seit der alte Mann gestorben war, blieb Caul hier unten für sich.
Warum war er um diese Zeit noch auf? Wren wurde neugierig und stieg über eine Leiter auf einen der Laufstege unter dem Oberdeck, von wo sie den ehemaligen Maschinenraum und Cauls Hütte überblicken konnte. Caul stand vor der Tür seiner Behausung. Er hatte eine Handleuchte dabei und las in ihrem Licht einen kleinen Zettel. Nach einer Weile steckte er den Zettel ein und ging in Richtung Stadtrand.
Wren stieg die Leiter hinunter und schlich ihm nach. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie kleiner war und systematisch die wenigen Kinderbücher in der Bibliothek der Margrabina durchgelesen hatte, waren ihre Lieblingsgeschichten die Abenteuer mutiger junger Hobbydetektivinnen gewesen, die in einer Tour Schmuggler entlarvten und antitraktionistische Verschwörungen aufdeckten. Sie hatte immer bedauert, dass es in ganz Vineland keine Verbrechen aufzuklären gab. Aber war Caul nicht früher ein Einbrecher gewesen? Vielleicht fiel er jetzt in alte Gewohnheiten zurück!
Nur dass es natürlich sinnlos war, in Anchorage irgendetwas zu stehlen, weil jeder sich aus den verlassenen Häusern und Läden alles nehmen konnte, was er wollte. Wren lief geduckt zwischen den halbzerlegten Maschinen hinter Cauls Verschlag hindurch und suchte nach plausibleren Erklärungen für seinen nächtlichen Ausflug. Vielleicht konnte er einfach nicht einschlafen, genau wie sie. Oder er hatte irgendwelche Sorgen. Ihre Freundin Tildy hatte Wren einmal erzählt, dass Caul vor vielen, vielen Jahren, in der Zeit, als Anchorage nach Vineland kam, in Miss Freya verliebt gewesen war und sie auch in ihn, dass aber nichts daraus wurde, weil Caul schon damals so ein komischer Eigenbrötler war. Vielleicht wanderte er Nacht für Nacht durch die leeren Straßen des Maschinenviertels und trauerte um die verlorene Liebe? Oder hatte er jemanden Neues gefunden und wollte sich jetzt heimlich am Stadtrand zu einem Rendezvous im Mondlicht mit ihr treffen?
Voller Vorfreude auf die Geschichte, die sie Tildy am nächsten Tag würde erzählen können, lief Wren weiter.
Aber am Stadtrand hielt Caul nicht an. Er stieg eine Treppe hinunter, die auf den nackten Boden führte, und folgte dem schweifenden Kegel seiner Handleuchte den Hang hinauf. Wren wartete ein Weilchen, dann sprang auch sie in das federnde Heidekraut und schlich den Pfad hoch, der zu einem Gebäude aus Naturstein führte, dem leise brummenden Wasserkraftwerk des alten Mr Scabious. Auch daran ging Caul einfach vorbei, durch die Obstplantage und quer über die Viehweiden bis hoch in den Wald.
Am höchsten Punkt der Insel, wo Nadelbäume die Luft mit ihrem Harzgeruch erfüllten und Felskämme durch die dünne Humusschicht drangen – die Zacken auf dem Rücken eines Drachen –, blieb Caul stehen, schaltete sein Licht aus und schaute sich um. Wren duckte sich zwanzig Schritt hinter ihm in die verästelten Schatten. Eine sanfte Brise fuhr ihr durchs Haar, und die Äste wischten mit ihren kleinen Händen über den nächtlichen Himmel.