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TOTES LAND 3 - DER BUNKER Der Horror hat einen Namen: XJ09… Der teuflische Virus hat die Welt in ein Schlachthaus verwandelt. Mit Hochdruck arbeiten Wissenschaftler der Erprobungsstelle 53 an einem Gegenmittel. Vieles deutet darauf hin, dass man es mit weit mehr als einem Virus zu tun hat. Nach einer spektakulären Flucht durch die halbe Republik wähnt sich eine Gruppe Überlebender - unter ihnen der junge Markus - endlich in Sicherheit. Die Bedrohung durch die Toten ist nicht die einzige Gefahr, der sich Markus und seine Freunde stellen müssen, denn Einheiten der Erprobungsstelle 53 sind ihnen mit einem tödlichen Auftrag auf der Spur. Es gibt nur eine Lösung: Markus muss sich zum Ursprung der Plage begeben. Er muss in den Bunker und sich dem schlimmsten Feind stellen, den die Menschheit jemals gesehen hat. BLUTIGER SHOWDOWN DES ENDZEIT-THRILLERS VON M. H. STEINMETZ!
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Seitenzahl: 565
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M. H. STEINMETZTotes Land 3
M. H. Steinmetz
Der Bunker
Roman
Deutsche Erstausgabe
1. AuflageVeröffentlicht durch denMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKFrankfurt am Main 2015www.mantikore-verlag.de
Copyright © der deutschsprachigen AusgabeMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKText © Mario Steinmetz 2015
Lektorat: Nora-Marie BorruschSatz & Bildbearbeitung: Matthias LückCovergestaltung: Karolina Gardovic
ISBN 978-3-945493-27-4
UNERWARTETER BESUCH
MORGEN BRECHEN WIR AUF
WIR SIND LEGION
DIE ÜBEREINKUNFT
DER MANN IST NICHT VON UNS!
WIE EIN TOLLWÜTIGER HUND
MARSCHBEFEHL
DIE ROTEN TEUFEL KOMMEN IN DIE STADT
ICH WARTE DORT AUF EUCH
IN DER FALLE
RAMSTEIN
SODOM UND GOMORRHA
DAS EHEMALIGER-MENSCH-JETZT-DÄMON-DING
US NAVY SEALS OPERATION „SCANDIC SHARK“
EIN KIND UNTER KINDERN
EINER VON UNSEREN JUNGS!
ÜBERRASCHUNGSGÄSTE
BLEIBEN SIE STEHEN UND IDENTIFIZIEREN SIE SICH
DIE STINKEMENSCHEN KOMMEN
WO ALLES BEGONNEN HATTE
EAGLE EYE HAT SICH VERDUNKELT
BUMM
COMBAT MODE
UMKEHR AUSGESCHLOSSEN
VON EINEM GEMETZEL STAND NICHTS IM LEHRBUCH
ZWEI MINUTEN SPÄTER WAR ALLES VORBEI
MANN AM BODEN! MANN AM BODEN!
POSITIV, ICH WIEDERHOLE, POSITIV!
WIR WERDEN UNS ALLE DIESEN MIST EINFANGEN
FELDWEBEL BRAUN TRIFFT EINE ENTSCHEIDUNG
HEUTE WAR DER TAG DER GROSSEN VEREINIGUNG
FÜNFZIG ZENTIMETER DICKER STAHLBETON
WIE DER VERDAMMTE PALE RIDER
OPERATION UNIT
HELLBOUND MC
ABSTIEG IN DIE HÖLLE
GERHARD GEHT NACH HAUSE
WIR KÖNNEN DIE SACHE AUF DREI ARTEN BEENDEN
DIE MONSTER UNTER DER TREPPE
SAFETY HAT SICH SOEBEN GEMELDET!
FOLGE SCHRÖDERS STIEFELN UND DU WIRST ES SCHAFFEN!
ICH HASSE MICH FÜR DAS, WAS ICH GETAN HABE
GLAUBST DU WIRKLICH, ES WÄRE SO EINFACH?
BLINDE FLUCHT
FERTIGMACHEN
DAS BEKOMMEN WIR SICHER WIEDER HIN
KONTAKT, ZWEI OBJEKTE, FÜNF METER!
EINE VISION VON HOFFNUNG
IMMER DER SONNE ENTGEGEN
A6
EPILOG
„Dieses Buch widme ich meinen Eltern Hermann und Maria Steinmetz. Sie sind für mich Zuflucht, Stütze, starker Arm, alles!“
Mein besonderer Dank gilt:
Katrin, die mich durch ihren immensen Wissensschatz in Sachen Katastrophenschutz inspiriert hat.
Dirk, für seine militärischen Tipps.
Sascha, für seine hervorragenden Ideen in Sachen Wahnsinn
sowie
dem Team der Probeleser und allen, die mich in dieser langen Zeit unterstützt haben.
„Schaffst du mir aber den Himmelsstier nicht,So zerschlag ich die Türen der Unterwelt,Zerschmeiß ich die Pfosten, lass die Tore weit offen stehen,Lass ich auferstehen die Toten, dass sie fressen die Lebenden,Der Toten werden mehr sein denn der Lebendigen!“
Gilgamesch-Epos, Sechste Tafel
(Mesopotamien, 2. Jahrtausend v. Chr.)
„Die Fähigkeit mehrzelliger Organismen, fieberartige Reaktionen im Rahmen der angeborenen Immunantwort zu bilden, ist wahrscheinlich etwa 600 Millionen Jahre alt, in der Evolution hoch konserviert und überwiegend erfolgreich.“
„Das Virus“ // Lexikonartikel
Im Keller war es stockdunkel. In den unübersichtlichen Gängen irrten Tote umher, aber deswegen waren die beiden Männer nicht hier. Die weitverzweigten Gänge gehörten zu einem Hallenkomplex, in dessen Obergeschoss ihre Gruppe Zuflucht vor der Armee der Toten gefunden hatte. Es gab einen triftigen Grund, weswegen sich Markus und Dirk in die Katakomben begeben hatten. Sie mussten einen Ausgang finden, der noch nicht von den Toten belagert wurde, damit sie losziehen und ihre Vorräte aufstocken konnten.
Markus hatte vor vielen Jahren hier gearbeitet und erinnerte sich vage an einen Notausstieg über einen Lichtschacht in einem der Heizungskeller an der Rückseite des Gebäudes. Der sehnige Mann fuhr sich mit der Hand über seinen wild wuchernden Vollbart. Feine Schweißperlen glänzten auf seinem kahl rasierten Kopf. Er ließ den Strahl seiner Taschenlampe durch den Raum gleiten. Hier unten war es feucht und es roch nach aufgeweichtem Papier und Schimmel. Schuld daran war der Regen, der seit Tagen auf die Erde niederprasselte, als wolle er das ganze Elend einfach vom Antlitz der Erde waschen. In den Tiefen des Kellers musste ein Abwasserrohr undicht sein, denn Wasser bedeckte mehrere Zentimeter hoch den Boden. An den Wänden aufgereiht standen große Kisten und Paletten mit für die Überlebenden nutzlosem Inhalt herum und ließen nur einen etwa zwei Meter breiten Weg frei.
Selbst nach Jahren kannte Markus sich hier unten noch aus. Einst wummerten in den Hallen schwere Druckmaschinen und der Keller hatte als Lagerraum für die großen Papierrollen gedient. Markus nickte entschlossen und beantwortete die unausgesprochene Frage seines Gegenübers.
„Keine Bange, ich kenne mich hier unten aus. In den Hallen war mal ’ne Druckerei. Ich hab’ dort meine Ausbildung absolviert. Wir müssen nur dem Gang nach links folgen, bis es nicht mehr weitergeht.“
Markus wies mit dem Finger in die besagte Richtung.
Dirk sah ihn fragend an. „Deine Ausbildung? Echt wahr?“
„Jep. Hatte mir damals zwar was anderes vorgestellt, aber he, manchmal nimmst du einfach, was du kriegen kannst.“
Jahre nach seiner Ausbildung war die Druckerei pleitegegangen, man hatte die Arbeiter entlassen, die Maschinen abgebaut und aus den Hallen und Kellern war eine große Abstellkammer geworden. Ansonsten war alles beim Alten.
Markus deutete nach vorne. „An der Ecke gehen wir nach rechts und danach gleich nach links. Lauf mir einfach hinterher.“
Dirk nickte nur knapp. Er kannte sich in den feuchten, dunklen Gängen nicht aus, fühlte sich bedrückt und abhängig.
„Was immer du willst, solange wir endlich weiterkommen. Bin froh, wenn wir wieder oben bei unseren Mädels sind.“
Der untersetzte Saarländer war zusammen mit seiner Frau erst vor kurzem zu der kleinen Gruppe um Markus gestoßen. Die Zuflucht war in den letzten Tagen mehr und mehr zu einem Gefängnis geworden, umgeben von tausend toten Wärtern. Sie hatten die Zeit mit reden verbracht und dabei festgestellt, dass sich ihre Wege in der Vergangenheit oft gekreuzt hatten, ohne dass ihnen das bewusst gewesen war. Sie hörten die gleiche Musik und besuchten die gleichen Clubs, mochten die gleichen Filme und lasen die gleichen Bücher. Aber die Welt hatte sich verändert. Heute gab es keine Musik mehr, nur tote silberne Scheiben, auf denen die Lieder ihrer Zeit verstummt ihr Dasein fristeten. Kein Film flimmerte mehr auf den Leinwänden der Kinos. Nie wieder. Zusammen mit der Menschheit war ihr Lebensstil untergegangen. Die Monster hatten alles zunichtegemacht. Die Helden ihrer Zeit, Musik, Schauspieler, einfach alles.
„Ich bin froh, dass du mit mir hier runtergekommen bist.“
„Ja, und das, obwohl ein Ausbruch eine echt verrückte Idee ist“, sagte Dirk.
„Na ja“, meinte Markus, „ist unser beider persönlicher Ausgang aus diesem Knast.“
Er packte sein G36 fester und auch Dirk schien froh, das Gewicht seiner Pistole am Gürtel zu spüren. Schweigend arbeiteten sie sich voran. Der Schimmel und die Feuchtigkeit machten Markus’ Lunge zu schaffen. Jeder Atemzug wurde zu einer Herausforderung. Noch war das kein Problem, aber er wusste genau, dass sich früher oder später seine Bronchien verengen würden. Das verfluchte Asthma würde ihn an seine Schwächen erinnern. Soviel war sicher. Wesentlich schlimmer war der widerliche Verwesungsgeruch, der sich in den Gängen wie ein dumpfer Odem des Zerfalls festgesetzt hatte. Das hier war mit Sicherheit kein Ort, an dem man länger als unbedingt notwendig verweilen sollte. Zügig erreichten sie die erste Ecke, prüften die Lage und folgten dem quer verlaufenden Gang weiter nach rechts. Sie leuchteten dabei immer direkt vor sich auf den Boden, um den Lichtschein so gering wie möglich zu halten. Auf diese Weise erregten sie weniger Aufmerksamkeit. Noch eine letzte Abzweigung und sie würden ihr Ziel erreichen. Hier floss das Wasser in kleinen Rinnsalen über die Wände und sammelte sich auf dem Boden. Der Atem bildete feuchte Wölkchen in der klammen Luft. Das musste von den Abwasserkanälen kommen, die verstopft waren von Unrat und voll bis zum Überlauf. Es war ja niemand mehr da, der die Anlagen in Schuss hielt. Die Zeichen des Zerfalls wurden immer offensichtlicher, aber Markus war verwundert, wie schnell die von Menschen geschaffene Welt vor die Hunde ging. Seit Tagen war der Himmel voller bleigrauer Wolken und es schüttete ununterbrochen wie aus Kübeln. Der Boden, die Bäche, Flüsse und Kanäle waren satt.
Markus blieb an der letzten Biegung stehen und schielte um die Ecke. Auch wenn nur ein kurzes Wegstück vor ihnen lag, sie hatten keine Lust, eine böse Überraschung zu erleben. Der Gang wurde schwach durch ein paar staubige Kellerfenster erhellt. Schnell zuckte Markus zurück und warf Dirk einen warnenden Blick zu. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Verdammt, wir haben ein Problem. Genau vor der Tür des Heizungskellers steht ein Zombie.“
Dirk schob sich lautlos an Markus vorbei und wagte ebenfalls einen kurzen Blick. Der Tote stand tatsächlich genau vor der Stahltür. Er trug einen zerrissenen Overall und hatte eine alberne Wollmütze auf dem Kopf, so ein langes Ding, wie es die Jugendlichen heutzutage gerne trugen. Dem Saarländer kam der Tote bekannt vor. Endlich fiel es ihm wieder ein.
„Scheiße, Mann, das ist Andreijs Bruder. Das ist echt zum Kotzen.“
Markus sah zu Boden. Als sie hier eingetroffen waren, hatte ihnen Andreij, ein Hüne von einem Russen, aber mit einem großen Herz, die Tür geöffnet und sie mit einem freundlichen Lächeln eingelassen. Ausgerechnet ihn hatte es erwischt, als sie die Brandschutztore des Gebäudes geschlossen hatten.
„Wir haben keine Wahl, der Typ muss weg. Aber weißt du was? Vielleicht ist das so etwas wie Andreijs letzter Wille, jetzt wo er seinen Bruder nicht mehr selbst erlösen kann.“
Dirk hob den Kopf und nickte knapp. Er steckte seine Pistole in die Jacke und griff nach unten, wo das etwa sechzig Zentimeter lange Messer in einer Lederscheide an seinem Gürtel hing. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er die Waffe und wog sie in der Hand, als ob er sich ihrer Tauglichkeit versichern wolle. Entschlossen trat er um die Ecke. Der Tote bemerkte ihn sofort. Fauchend drehte er sich zu ihm um und streckte die Arme gierig nach vorne. Wie in einem bescheuerten Zombiefilm, dachte Dirk. In dem wächsernen Gesicht wirkte das aufgerissene Maul wie ein dunkler, bodenloser Schlund, umrahmt von öligen schwarzen Haaren, die wirr aus der Mütze standen. Dirk beschleunigte seine Schritte und überbrückte die Distanz zu dem leichenblassen Toten, noch bevor dieser selbst zum Angriff übergehen konnte. Er musste schnell sein, denn das war der Vorteil der Lebenden gegenüber den zumeist trägen Toten. Präzise schwang er seine Klinge und wollte dem armen Kerl damit den Schädel zertrümmern, doch der schwankte im letzten Augenblick ein paar Zentimeter zur Seite. Mit verheerender Kraft hieb die schwere Klinge am Kopf des Monsters vorbei und zertrümmerte dessen Schulter, dass es nur so krachte. Der Treffer drückte den Leichensack zur Seite und ließ ihn unkontrolliert durch den Gang taumeln. Jetzt kam Markus ins Spiel, der seinem Gefährten natürlich gefolgt war. Er trug ebenfalls eine Nahkampfwaffe bei sich. In seinem Fall war es ein Streitkolben mit einem dicken, etwa fünfzig Zentimeter langen Holzstiel, gekrönt von einem eisernen, sternförmig gezackten Kopf von der Größe eines Tennisballs. Dirk rannte ein paar Schritte weiter, um aus der Reichweite des um sich greifenden Toten zu gelangen. Währenddessen stürmte Markus auf das Monster zu und hieb ihm den schweren Kopf seiner Waffe mitten in den aufgerissenen Schlund. Brüchige Zähne zersplitterten und eitriger Speichel spritzte aus dem Loch, das einst ein Mund gewesen war. Die Wucht des Schlages reichte aus, um den Toten von den Beinen zu holen. Rücklings krachte der vergammelte Körper in das schale Wasser. Unkontrolliert ruderte Andreijs Bruder mit den Armen, dass das Wasser nur so spritzte.
Das Ding war aber noch längst nicht ausgeschaltet. Milchig trübe Augen fixierten Markus, der jetzt direkt vor dem Scheusal stand. Schon wollte es sich wieder aufrichten, doch Markus schwerer Armeestiefel krachte in das entstellte Gesicht. Mit einem trockenen Krachen schlug der Kopf erneut auf den Boden. Darauf hatte der Saarländer gewartet. Sein harter Schlag traf die Stirn des Monsters. Schmierige Haut platzte auf und mit einem hässlichen Krachen zersplitterten die darunter verborgenen Knochen. Die Klinge verschwand komplett im Kopf des Leichensacks, der auf der Stelle erschlaffte, als sein Gehirn vom Metall der Waffe zermalmt wurde. Eine aufs Übelste stinkende Flüssigkeit lief aus den Wunden und vermischte sich mit der Brühe, die den Boden des Gangs bedeckte. Dirk ging in die Knie und zog seine Waffe aus dem Kopf der nun endgültig toten Leiche. Beim Trennen von Stahl und Fleisch gab es ein widerwärtig schmatzendes Geräusch.
„Das war ein verdammt zäher Brocken.“
Markus nickte. „Russischer Dickschädel halt. Er ist jetzt wieder mit seinem Bruder vereint. Hoffe ich jedenfalls.“
Dirk wischte seine Klinge an der Kleidung des Leichnams ab, bevor er sie zurück in die Lederscheide steckte.
„Was man von uns nicht unbedingt behaupten kann. Ich kann dir echt nicht sagen, was besser ist.“
Markus sah sein Gegenüber fragend an.
„Na, so leben, wie wir es gerade tun, oder einfach tot sein und alles hinter sich haben“, erklärte Dirk.
„Wenn wir erst die Ursache von alldem beseitigt haben, wird es besser werden, das ist es, woran ich glaube.“
„Ach wirklich? Denkst du, dass –“
Ein lautes Platschen hinter der Stahltür, vor der sie gerade standen, ließ Dirk abrupt verstummen. Solche Geräusche bedeuteten selten etwas Gutes. Sie starrten gebannt auf die Tür.
„Oh Mann, das muss doch jetzt nicht sein. Nicht noch mehr von diesen toten Arschlöchern bitte“, seufzte Markus. Seine Stimme klang müde.
Dirk sah den Gang hinunter, den sie gekommen waren, und rümpfte die Nase. „Glaub mir, ich könnte darauf verzichten. Wenn wir nun mal durch diesen verdammten Heizungsraum müssen, um nach draußen zu gelangen, dann werden wir das tun, ganz gleich, was uns da drin erwartet.“
Markus sah zur Tür und nahm das G36 von der Schulter. „Sei nicht so pathetisch. Mir geht nämlich gerade der Arsch auf Grundeis, wenn ich nur daran denke, was da alles auf uns lauern könnte. Das sind verdammt üble Bilder in meinem Kopf.“
Der Saarländer legte die Hand auf den Türgriff. „Allein durch labern werden wir das nicht herausfinden. Wir ziehen das durch, jetzt sofort. Bist du bereit?“
Markus atmete noch einmal durch, so tief es seine geschundene Lunge zuließ. Er versuchte, sich an den Raum hinter der Tür zur erinnern. Die Tür öffnete sich in den Gang hinein und dahinter würde es ein paar Stufen nach unten gehen. Am gegenüberliegenden Ende stand ein riesiger Kessel, hinter dem man auf eine kleine Plattform klettern konnte, von der es zu besagtem Notausgang ging. Überall im Raum waren Rohre, Ventile, Hebel.
Schließlich nickte Markus. „Komm, mach endlich diese verfluchte Tür auf. Bringen wir es hinter uns.“
Dirk drückte die Klinke nach unten und zog die Tür mit einem schnellen Ruck auf. Das Metall kreischte laut in den rostigen Angeln. Sobald der Spalt groß genug war, hob Markus den Lauf seiner Waffe, auf dem er mit Klebeband seine Taschenlampe befestigt hatte, und machte einen schnellen Schritt nach vorne. Wie erwartet, stand die Brühe in dem nur schwach erhellten Raum bis an die Türschwelle. Das waren mindestens fünfzig Zentimeter trübes kaltes Wasser. Unter der undurchsichtigen Fläche konnte einfach alles lauern. Markus dachte einen kurzen Moment darüber nach, ob die Toten unter Wasser weiter existieren konnten, fand darauf aber keine Antwort. Ehrlich gesagt, wollte er darauf keine Antwort finden, denn das war ein ganz blödes Gefühl. Aber da war noch etwas anderes. Unsicher verharrte er auf der obersten Stufe. Hier stimmte etwas nicht, er spürte es ganz genau. Dirk stand schon direkt hinter ihm und wollte ebenfalls in den Raum drängen, als links von Markus’ Kopf das grelle Licht einer Taschenlampe aufleuchtete. Ein trockenes und äußerst unangenehmes Klicken ertönte neben dem Ohr des Speyerers und ließ ihn auf der Stelle erstarren.
Der menschliche Umriss direkt neben der Tür fing mit ruhiger Stimme an zu sprechen. „Nimm den Lauf deines Gewehrs ganz langsam nach unten und stell den Sicherungshebel auf OFF. Dann legst du die Waffe auf den Boden.“
Ein weiteres Klacken ertönte, dieses Mal allerdings direkt hinter Markus. Das musste Dirk sein. Es war ganz sicher Dirk, denn der Saarländer machte eine klare Ansage.
„Ganz ruhig, Freundchen. Nimm deine Waffe aus dem Gesicht meines Freundes und halte sie über deinen Kopf, verstehst du, was ich sage?“
Die auf Markus gerichtete Waffe rührte sich keinen Millimeter, ebenso wenig wie der Mann in den Schatten.
„Einer meiner Männer hat dich schon die ganze Zeit im Visier. Also mach keine Dummheiten und hör auf, mit deiner verfluchten Waffe auf mich zu zielen. Nimm das Ding runter und wir reden wie vernünftige Menschen.“
Dirk suchte den Heizungsraum nach weiteren Schützen ab, konnte aber in dem Gewirr aus Rohren und Schatten nichts erkennen. Gleichzeitig zweifelte er die Worte des Mannes nicht an, denn dafür waren sie zu bestimmt, zu sicher gewesen. Das war ein verdammtes Patt und er hasste so was.
Der Mann neben der Tür sprach weiter. „Wir können hier stehen bleiben und uns gegenseitig bedrohen. Bis einer die Nerven verliert und wir alle sterben. Möglicherweise taumelt auch ein Toter durch den Gang und fällt dir in den Rücken, was auf das Gleiche hinausläuft.“
Der Fremde mache eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
„Oder wir verhalten uns alle wie vernünftige Menschen, nehmen die Waffen runter und reden.“ Der Mann machte eine Pause. „Nochmal wiederhole ich mich nicht. Also, was ist jetzt?“
Der Mann meinte es ernst, davon war Dirk felsenfest überzeugt. Was Markus betraf … der wollte einfach nur raus aus dieser verzwickten Situation, in der er als Erster draufgehen würde, wenn es eng wurde.
Markus blieb keine andere Wahl. Er senkte seine Waffe und nahm den Finger vom Abzug. „Einverstanden, reden wir.“
Dirk trat einen Schritt zurück und ließ seine Waffe sinken. „Ich hoffe, das ist kein Fehler, aber meinetwegen.“
Der Mann neben Markus senkte jetzt ebenfalls seine Waffe. Der Schein der Taschenlampen ließ die Wasseroberfläche glitzern. Lichtreflexe spiegelten sich an den Wänden und Rohren und tauchten den Raum in ein seltsames, mystisches Licht. Auf der gegenüberliegenden Seite, rechts neben dem großen Heizöltank, erhob sich ein Schütze aus den Schatten und hob eine Hand. In der anderen hielt er ein Gewehr mit einem beeindruckend langen Lauf. Markus trat nun seinerseits in den Gang zurück, um weg von dem Wasser zu kommen, das ihm immer noch Angst machte. Der Fremde trat aus den Schatten. Zum Vorschein kam ein großer, breitschultriger Soldat mit harten Gesichtszügen. Seine Augen waren durch eine Schutzbrille verdeckt. Der Mann trug die typischen Tarnklamotten der Bundeswehr, inklusive Schutzweste, Magazintaschen, Handschuhen und flachem Kevlarhelm, auf dem ein Nachtsichtgerät befestigt war, und auf dem Rücken einen großen Rucksack. Der äußerst professionell wirkende Kerl schob seine Schutzbrille auf den Helm und sah sie jetzt mit einem gewinnenden John-Wayne-Lächeln freundlich an. Alles in allem ein Soldat wie aus dem Bilderbuch.
„Es ist gut, dass wir die Lage auf diese Weise klären konnten. Meine Name ist Hauptfeldwebel Schröder, Kommandotrupp Eins der Task Force Alpha. Im Heizungskeller befinden sich noch zwei weitere Männer meiner Kommandoeinheit.“
Ohne die verblüfften Männer aus den Augen zu lassen, reckte er seinen Arm nach oben und winkte mehrmals mit der ausgestreckten Handfläche. Der Mann mit dem langen Gewehr sprang daraufhin von seiner Stellung nach unten in die schwarze Brühe und half einer weiteren Gestalt, die sich unter einem Rohrbündel hervorquälte, von der erhöhten Position nach unten zu steigen. Der dritte Mann war augenscheinlich verletzt.
Schröder deutete Markus’ fragenden Blick richtig. „Einen meiner Männer hat es auf dem Weg hierher übel erwischt. Wir brauchten einen halbwegs sauberen Platz, um die medizinische Erstversorgung durchzuführen, und hofften, diesen hier im Gebäude zu finden. Als wir den Kampflärm vor der Tür hörten, sind wir erst mal in Deckung gegangen.“
Dirk runzelte skeptisch die Stirn. „Das ist sicherlich nicht der einzige Grund, weswegen Sie und Ihre Leute hier sind. Es gibt in der Umgebung tausend Häuser, die diesen Zweck ebenso gut erfüllen könnten. Also, was wollen Sie wirklich?“
Der Soldat nickte knapp und schob sein Gewehr auf den Rücken. „Gut, legen wir die Karten auf den Tisch. Unser Auftrag sieht vor, dass wir zwei bestimmte Zielpersonen ausfindig machen und evakuieren. Laut unserer Aufklärung sollen sich die Personen innerhalb dieses Gebäudes aufhalten.“
Schröder machte eine Pause.
„Eine dieser Personen steht in diesem Augenblick genau vor mir.“
Der Mann neigte seinen Kopf ein wenig zur Seite und sah zu Markus, der seinen Blick mit versteinertem Gesicht erwiderte. Aufklärung, Zielpersonen, das hatte er alles in den letzten Wochen öfters gehört und immer hatte es in beängstigender Weise mit ihm zu tun. Markus dachte an den Ami, der das Hawaiihemd in der Coleman-Kaserne getragen hatte. Der Amerikaner hatte etwas Ähnliches behauptet. Meinte, dass er eine wichtige Rolle in diesem scheiß Spiel spielen würde.
Schröder staunte nicht schlecht, als sie etwas später in der Zuflucht der kleinen Gruppe ankamen, die sich als Zwei-Millionen-Euro-Wohnung mit eigenem Pool auf dem Dach des Industriekomplexes entpuppte. Er legte seine Sachen ab und sah sich um. Hier hielten sich vier weitere Personen auf. Der Pool war verdreckt und in der Wohnung stank es nach Wodka und kaltem Rauch, aber das Gebäude war perfekt als Zuflucht geeignet. In diesem hermetisch abgeriegelten Betonbau im dritten Obergeschoss gelegen, glich es einer kleinen Festung, die mit bloßen Händen nicht einzunehmen war. Und mehr hatten die Toten auf der Straße nicht zu bieten. Sie konnten mit ihren knochigen Fingern an den Wänden kratzen und sich ihre blanken Schädel an den Stahltoren einrennen, bis nichts mehr von ihnen übrig war, sie würden diese Zuflucht nicht zu Fall bringen. Aber das mussten sie auch nicht. Das kleine Häufchen Überlebender war ihrem permanenten Gejammer ausgesetzt, dem Schlurfen ihrer Füße und Kratzen ihrer Finger an den rauen Wänden, und das würde sie schon bald in den Wahnsinn treiben. Egal, wie tief sie sich in dem Gebäude verkriechen würden. Und wenn das nicht reichte, würde sie der Hunger auf die Straße treiben.
Schröder hatte zusammen mit seinem Kameraden den verletzten Maier in eines der Schlafzimmer gebracht und ihn dort ins Bett gelegt. Ausgerechnet Maier hatte es erwischt. Mit seinen eins fünfundsiebzig war der aus Bayern stammende Mann der Kleinste der Einheit, aber das machte er durch seinen robusten Körperbau wett.
Maier öffnete die Augen.
„Siehst scheiße aus“, brummte Schröder „Was musstest du auch mit dem Hund kuscheln.“
Maier lachte matt. „Glaub mir, ich hasse Hunde.“
„Wir bekommen dich schon wieder auf die Beine“, machte ihm Schröder Hoffnung.
Der Hauptfeldwebel erinnerte sich daran, wie es passiert war. Vor Tagen hatten sie über eine Außenstelle der Allied Command Operations eine Nachricht erhalten. Das Hauptquartier der European Centre for Disease Prevention and Control in Stockholm erwarte dringend die Zuführung der Zielpersonen Null-Alpha und Null-Beta. Die Null stand für „immun“. Im Grunde ging es um einen Impfstoff. Sollte es nicht möglich sein, die Null-Personen lebend zum ECDC zu evakuieren, waren Blut und Gewebeproben das Mindeste, was sie nach Schweden bringen sollten. Infizierte trugen die Kennzeichnung „Kategorie Eins“ und wieder Auferstandene die Kennzeichnung „Kategorie Zwei“. Nach einem Abgleich der Daten aus Platkow sowie der Coleman in Mannheim sollten sich die Zielpersonen innerhalb der Koordinaten LAT49.332722 LONG8.427120 aufhalten.
Die auf drei Mann zusammengeschrumpfte Kommandoeinheit war in den letzten Tagen auf der Suche nach den Zielpersonen durch die Hölle gegangen und Schröder hoffte inständig, dass es die Leute am Ende wert waren. Nicht nur als Versuchskaninchen, sondern auch als Menschen. Also waren sie mit einem Zephyr-Schlauchboot von Mannheim aus flussaufwärts bis nach Speyer zum Wasserübungsgelände des Spezialpionierbatallions 464 im Reffenthal gefahren und dort an Land gegangen. Das Gelände bestand aus mehreren Fahrzeughallen und war von einem stabilen Zaun umgeben, stand aber ansonsten leer. Das Schlauchboot hatten sie in einem der Fahrzeughangars untergebracht. Ein guter Rückzugspunkt, sollte es eng werden. Von dort aus hatten sie sich in strömendem Regen querfeldein durch die Auwälder auf den Weg zu den Zielkoordinaten gemacht. Das war besser, als sich auf den Straßen zu bewegen, die die Toten bevorzugten. Womöglich aus alten Gewohnheiten, die tief verborgen eine Art Automatismus auslösten.
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