Tourismuspolitik - Ralf Bochert - E-Book

Tourismuspolitik E-Book

Ralf Bochert

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Beschreibung

Ideal für Ausbildung, Praxis und Wissenschaft Urlaub ist die schönste Nebensache der Welt. Allerdings geht das Reisen mit Markt- und Staatsversagen einher. National und supranational müssen Regierungen deswegen den Tourismus politisch gestalten. Ralf Bochert und Ralf Vogler beleuchten die Tourismuspolitik im Detail: Zu Beginn skizzieren sie die Grundlagen von Tourismus und Politik. Zudem gehen sie u.a. auf Marktformen und Wettbewerb ein. Die Problematiken, die sich aus öffentlichen Gütern und Externalitäten ergeben, lassen sie nicht außer Acht. Privatisierung und Deregulierung thematisieren sie ebenso wie Lobbyismus und die Interessen der Stakeholder. Auf Basis dessen zeigen sie Handlungsfelder der Tourismuspolitik auf.

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Ralf Bochert / Ralf Vogler

Tourismuspolitik

Prof. Dr. Ralf Bochert lehrt Destinationsmanagement, Tourismuspolitik und VWL an der Hochschule Heilbronn.

Prof. Dr. Ralf Vogler ist Forschungsprofessor für Tourismuspolitik und -entwicklung an der Hochschule Heilbronn.

 

Umschlagabbildung: © fotoVoyager ∙ iStockphoto

Autorenbild Bochert: © privat

Autorenbild Vogler: © Matthias Stark

 

Ralf Bochert hat in der Vergangenheit bereits zum Thema „Tourismuspolitik“ publiziert; z. B. in dem Buch Tourismus in der Marktwirtschaft (Oldenbourg, München 2001) und in dem Buch Tourismuspolitik (uni-​edition, 1. A. (2007); 2. A. (2014) und 3. A. (2019)). Diese Bücher sind vergriffen. Textpassagen aus diesen Büchern können sich vereinzelt in diesem Werk wiederfinden.

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783739880662

 

© UVK Verlag 2024— Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-7398-3066-7 (Print)

ISBN 978-3-7398-0639-6 (ePub)

Inhalt

AbkürzungsverzeichnisVorwort1 Einführung1.1 Dimensionen der TourismuspolitikPolicyPoliticsPolity1.2 Bedürfnisse und Motive1.3 Push- und Pull-Faktoren1.4 Nachfrage1.5 Konsum1.6 Nutzen1.7 Partizipation und Teilhabe1.8 LebensqualitätWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise2 Philosophische Grundlagen und politische Ideologien2.1 Macht und Herrschaft2.2 Herrschaftsformen2.2.1 Herrschaftsformen nach Aristoteles2.2.2 Heutiges Verständnis von Herrschaftsformen2.3 StaatstheorienStaatsgebietStaatsvolkStaatsgewaltTriade der drei Elemente2.4 Ideologien2.4.1 Politische Ideologien2.4.2 Religiöse und glaubensorientierte Ideologien2.5 Ethische Grundlagen von politischen Entscheidungen2.5.1 Folgenethik und Utilitarismus2.5.2 Tugendethik2.5.3 Deontologische Ethik2.5.4 Diskursethik2.5.5 Ethischer Egoismus2.5.6 Bezug der Ethik zur TourismuspolitikWeiterführende Literatur und Quellenhinweise3 Staatsorganisation3.1 GewaltenteilungLegislativeExekutiveJudikative3.2 Gemeinwohl3.3 Parlamentarische Strukturen3.4 Unterschiede zwischen parlamentarischen und präsidialen Staatsorganisationen3.5 Föderalismus und Zentralstaat3.6 Tourismusspezifische Implikationen von föderalen und nationalen Staatssystemen3.7 Rolle der Europäischen UnionWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise4 Rechtliche Rahmenbedingungen4.1 Normenhierarchie4.2 VerhältnismäßigkeitsprinzipLegitimitätGeeignetheitErforderlichkeitAngemessenheit4.3 Grundrechte4.3.1 Relevante Grundrechte im Kontext der Tourismuspolitik4.3.2 Grenzen und Beschränkungen4.3.3 Praktische Konkordanz als Bewertungsmaßstab4.4 Verwaltungsrecht4.4.1 Maßstäbe für das Verwaltungshandeln4.4.2 Der Verwaltungsakt als Interaktionsinstrument4.5 Europarechtlicher Einfluss4.5.1 Grundrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Union4.5.2 Europäische Rechtsakte und Europäischer Gerichtshof4.6 Wettbewerbsrecht4.6.1 Unlauterer Wettbewerb4.6.2 Kartellrecht4.6.3 BeihilferechtWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise5 Marktformen und Wettbewerb5.1 Funktionen des Wettbewerbs5.2 Zentrale Leitbilder der Wettbewerbspolitik5.3 Die Bestreitbarkeit von Märkten5.4 Verschiedene Marktformen5.4.1 Monopolistische Strukturen5.4.2 Oligopolistische Strukturen5.4.3 Polypolistische Strukturen5.5 Natürliches MonopolNatürliche Monopole im Tourismus5.6 Essential-Facilities-DoktrinWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise6 Externe Effekte6.1 Positive externe Effekte6.2 Negative externe Effekte6.3 Politische Konsequenzen6.3.1 Staatliche Eingriffe bei positiven externen Effekten6.3.2 Staatliche Eingriffe bei negativen externen Effekten6.4 Marktwirtschaftliche Lösungen6.4.1 Coase-Theorem6.4.2 Spieltheoretische Betrachtung6.5 EingriffsnotwendigkeitWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise7 Öffentliche Güter7.1 Private Güter7.2 Clubgüter7.3 Kollektivgüter7.4 Allmende7.5 Politische Zusammenhänge zwischen den öffentlichen GüternFall A: Eine Allmende wird ein ClubgutFall B: Ein Kollektivgut wird ein ClubgutFall C: Argumente für das staatlich angebotene ClubgutFall D: Argumente für das privat angebotene ClubgutFall E: Ein Clubgut wird ein Kollektivgut7.6 Ausschließung und Finanzierung als KernproblemeWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise8 Güter und ihre Bewertung8.1 Differenzierung der geförderten und eingeschränkten Güter8.2 Externe Effekte und Umverteilungsproblematik8.3 Politische Maßnahmen zur Beeinflussung des Konsums8.3.1 Steuererhebung-/steigerung8.3.2 Steuerreduzierungen und Subventionen8.3.3 Information8.3.4 Lizenzierung/Ausbildung8.3.5 Qualitätsstandards8.3.6 Gebote8.3.7 Verbote8.3.8 Kontingente8.3.9 Arbeitsrecht8.4 Tourismus an sich als meritorisches Gut8.5 EingriffstiefeWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise9 Umverteilung9.1 Finanzielle Förderung der Konsumenten9.2 Förderung der Anbieter9.3 Einzelprüfung der Bedürftigkeit durch den Anbieter9.4 Sozialer Schutz für Reisende9.5 Menschenbild der PolitikWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise10 Politischer Entscheidungsprozess10.1 Politische Ziele10.1.1 Idealziele als Oberziele10.1.2 Abgeleitete sektorale Ziele und Beiträge der Tourismuspolitik10.2 Einflussfaktoren auf tourismuspolitische Entscheidungen10.3 Handlungsrahmen und Prozesse10.3.1 Der politische Prozess als Input-Output-Beziehung10.3.2 Einflussströme und politische Entscheidungen10.3.3 Trichtermodell nach Hofferbert10.3.4 Policy Cycle und Phasenmodelle10.3.5 Partizipation der Bevölkerung10.4 Rolle der Verwaltung und Bürokratie10.5 Lobbyismus und Einflussnahme10.5.1 Internes Lobbying10.5.2 Externes Lobbying10.5.3 Lobbying als Marktplatz und TauschbörseWeiterführende Literatur und Quellenangaben11 Interessen und Stakeholder11.1 Öffentliche und private Institutionen11.2 Interessen und Interessengruppen11.2.1 Direkte Interessen11.2.2 Indirekte Interessen11.2.3 Monothematische versus multithematische Interessengruppen11.2.4 Relevante tourismuspolitische Interessengruppen11.3 Stakeholder-Management11.3.1 Identifikation von Stakeholdern11.3.2 Abgeleitete HandlungsfelderWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise12 Staatsversagen12.1 Die besondere Rolle der Wähler12.2 Die Rolle von Parteien und Regierungen12.2.1 Die Bedeutung der Wahlkampfprogrammatik12.2.2 Das Verhalten der Regierung12.2.3 Die allgemeine Problematik der Parteiendemokratie12.2.4 Die tourismuspolitische Bedeutung der Lösungsansätze12.2.5 Überzeichnung der Bedeutung des Tourismus12.3 Die Rolle der Bürokratie12.3.1 Das diskretionäre Budget und Bürokratie­kontrolle12.3.2 Regulierung durch Behörden12.3.3 Mehr exekutive Macht für Bürokratien?12.3.4 Tourismusspezifische Problematik der Bürokratie12.4 Interessengruppen12.4.1 Verzerrungen der politischen Entscheidungen12.4.2 Die Bedeutung der Gruppengröße und -homogenität12.4.3 Die Interessengruppen im TourismusWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise13 Privatisierung und Deregulierung13.1 Formen der Privatisierung13.1.1 Formale Privatisierung13.1.2 Materielle Privatisierung13.1.3 Funktionale Privatisierung13.1.4 Implizite Privatisierung13.2 Der Trend zur Privatisierung und seine Grenzen13.3 Die touristische Privatisierung13.3.1 Rückzug des Staates13.3.2 Rückzug des Staates in Erwägung ziehen13.3.3 Rückzug des Staates bedeutet das Verschwinden des Gutes13.4 Trends der Privatisierungen13.5 Deregulierung13.5.1 Monopolgarantie und Versorgungsverpflichtung13.5.2 Freistellung von wettbewerbsrechtlichen Regelungen13.5.3 Preiseingriffe13.5.4 Die Folgerung aus der Kritik13.5.5 Der Sinn und die Formen der Deregulierung13.5.6 Regulierung und Deregulierung im Tourismus13.6 Interkommunale Kooperationen13.6.1 Die incomingtouristischen Grundlagen13.6.2 Die Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit13.6.3 Zusammenfassung: Interkommunale Kooperation13.7 Der Zusammenhang von Privatisierung und Deregulierung13.8 Allokative Effizienz der DeregulierungWeiterführende Literatur- und Quellenhinweise14 Spezielle tourismuspolitische Handlungsfelder14.1 Tourismusplanung14.1.1 Strategie14.1.2 Leitbild/Tourismuskonzept Grundlagen14.1.3 Die touristische Marke vs. Die touristische Einheit14.2 Struktur- und Regionalpolitik14.2.1 Ziele der Struktur- und der Regionalpolitik14.2.2 Tourismus als struktur- und regionalpolitischer Sonderfall14.2.3 Die Abhängigkeit des Tourismus von der Strukturentwicklung14.2.4 Struktur- und regionalpolitische Maßnahmen14.2.5 Vor- und Nachteile der Allokationseingriffe14.3 Infrastruktur und die Bedeutung für den Tourismus14.3.1 Touristische Infrastruktur14.3.2 Notwendigkeit von Infrastruktur14.3.3 Infrastruktur als KonfliktfeldWeiterführende Literatur- und QuellenhinweiseRegister

Abkürzungsverzeichnis

Abs. | Absatz

AG | Aktiengesellschaft

Art. | Artikel

AEUV | Vertrag über der Arbeitsweise der Europäischen Union

BGB | Bürgerliches Gesetzbuch

BRAO | Bundesrechtsanwaltsordnung

BTW | Bundesverband der deutschen Tourismuswirtschaft

CLIA | Cruise Lines International Association

CSU | Christlich Soziale Union

DEHOGA | Deutscher Hotel- und Gaststättenverband

DM | Deutsche Mark

DMO | Destination Management Organization

DNA | Deoxyribonucleic acid

DRV | Deutscher Reiseverband

DTV | Deutscher Tourismusverband

ECPAT | End Child Prostitution in Asian Tourism

EU | Europäische Union

EuGH | Europäischer Gerichtshof

FAA | Federal Aviation Administration

GE | Geldeinheit

GmbH | Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GG | Grundgesetz

Hrsg. | Herausgeber

IATA | International Air Transport Association

IBT | Internationale Bodensee Tourismus GmbH

ILO | International Labour Organization

ITF | International Transport Workers Federation

JArbSchG | Jugendarbeitsschutzgesetz

MLC | Maritime Labour Convention

NGO | Nichtregierungsorganisation

p.a. | per annum

SPD | Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SPQR | Senatus Populusque Romanus

SWOT | Strength-Weaknesses-Opportunities-Threats

UNESCO | United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UNWTO | Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen

US | United States

USA | United States of America

VO | Verordnung

WTTC | World Travel and Tourism Council

Vorwort

Tourismuspolitik. Die Rechtfertigung für eine Befassung mit diesem Thema liegt zunächst einmal in der kollektiven Komponente: Es gibt offensichtlich eine gesellschaftliche Relevanz, die durch Reisen erzeugt wird. Das betrifft sowohl das touristische Angebot als auch die Nachfrage; darüber hinaus aber auch sehr viele soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Systeme.

Aber diejenigen, die beruflich mit dem Phänomen befasst sind, sollten, um für ihre Institution sinnvoll verstehen und antizipieren zu können, sich mit Tourismuspolitik beschäftigen. Letztlich zeigt die Analyse der Wirkungen durch und der Eingriffe auf das Reisen auf, welche kollektiven Konsequenzen und Bewertungen vorliegen. Das dient wiederum der ganz individuellen Einordnung des eigenen Tuns.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ordnet sich das Buch wie folgt.

In der Einführung werden die grundlegenden Dimensionen dieses Bereichs beleuchtet. Hierbei werden die Bedürfnisse und Motive von Touristen ebenso behandelt wie die Faktoren, die die Nachfrage beeinflussen, um für diese zunächst einmal ihren strukturellen Zusammenhang zu entwickeln.

Im folgenden Abschnitt werden die philosophischen und ideologischen Grundlagen der Tourismuspolitik erkundet, wobei ethische Überlegungen und unterschiedliche politische Systeme eine Rolle spielen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, darunter die Normenhierarchie, Grundrechte und die Auswirkungen des Europarechts, werden danach in einem eigenen Kapitel analysiert.

Anschließend widmet sich das Buch den Marktformen und dem Wettbewerb im Tourismus, wobei verschiedene Marktstrukturen eingehend betrachtet werden.

Externe Effekte, öffentliche Güter und die Bewertung von Gütern sind weitere wichtige Aspekte, die in ihren tourismuswissenschaftlichen Spezifika ausführlich behandelt werden. Die Umverteilung von Ressourcen und die Rolle des Staates in der Tourismuspolitik stehen im Mittelpunkt eines eigenen Kapitels, einschließlich sozialer Schutzmaßnahmen für Reisende.

Die politischen Entscheidungsprozesse, die die Tourismuspolitik beeinflussen, werden eingehend beleuchtet. Hierbei spielen politische Ziele, Einflussfaktoren und der Prozess der politischen Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle. Des Weiteren analysieren wir die Interessen und Stakeholder im Tourismussektor sowie mögliche Formen von Staatsversagen, Privatisierung und Deregulierung.

Schließlich widmen wir uns den speziellen tourismuspolitischen Handlungsfeldern wie Tourismusplanung, Struktur- und Regionalpolitik sowie der Bedeutung von Infrastruktur für den Tourismus.

Wir hoffen, dass dieses Buch dazu beiträgt, ein tieferes Verständnis für die komplexe Welt der Tourismuspolitik zu entwickeln und wertvolle Einblicke in die Zusammenhänge und Herausforderungen dieses Bereichs zu vermitteln.

Unser Dank gilt allen, die an der Entstehung dieses Buches mitgewirkt haben, vor allem Madita Lemke, deren scharfer Blick als Lektorin absolut unverzichtbar für uns war. Ferner danken wir Luise Biere, Laura Czermak und Katharina Hetsch für das überaus hilfreiche Feedback zur Verständlichkeit einzelner Kapitel. Wir hoffen, dass das Buch einen wertvollen Beitrag zur Diskussion und Forschung im Bereich der Tourismuspolitik leisten wird.

Heilbronn, im März 2024

Ralf Bochert und Ralf Vogler

 

 

Genderhinweis | Die Autoren verzichten auf verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinneren und verwenden in der Regel das generische Maskulinum.

1Einführung

Der Begriff Tourismuspolitik ist schwer fassbar. Schon die beiden einzelnen Begriffe Tourismus und Politik sind jeder für sich mit den unterschiedlichsten Bedeutungen aufgeladen und je nach Kontext unterschiedlich interpretierbar. Festhalten lassen sich allerdings die vielfältigen Verknüpfungen zwischen Tourismus und Politik, die die Notwendigkeit der Tourismuspolitik einerseits und die inhaltliche Auseinandersetzung mit derselben andererseits bedingen.

Eines ist jedoch nahezu unmöglich: Das konkrete Verorten der Tourismuspolitik. So verfügen zwar einzelne Länder und auch Bundesländer über Tourismusministerien, jedoch ist Tourismuspolitik nicht auf Tourismusministerien beschränkt. So finden sich Aspekte der Tourismuspolitik auch in anderen Politikbereichen wieder, die keinen originären Bezug zum Tourismus innehaben. So bleibt die Tourismuspolitik schwer fassbar und in vielen Bereichen, trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die Praxis ein abstraktes und teilweise auch ein in der Wahrnehmung theoretisches Konstrukt. Daher befasst sich auch diese Einführung zunächst mit den eher abstrakten und theoretischen Aspekten der (Tourismus-)Politik."

1.1Dimensionen der Tourismuspolitik

TourismuspolitikTourismuspolitik, Dimensionen lässt sich in drei unterschiedliche Dimensionen untergliedern, die wiederum entweder Handlungsaspekte oder eine im weitesten Sinne „räumliche Verortung“ darstellen:

Tourismuspolitik als PolicyPolicy-Aufgabe

(engl. Tourism Policy)

Tourismuspolitik als PoliticsPolitics-Aufgabe

(engl. Tourism Politics)

Tourismuspolitik in der räumlichen PolityPolity-Verortung

(engl. Tourism Polity)

Schon aus dieser Übersicht wird die begriffliche Schwierigkeit der Unterscheidung der einzelnen Ebenen in der deutschen Sprache deutlich. Sowohl Policy, Poltics und Polity werden in der deutschen Sprache als Politik bezeichnet, obwohl sie jeweils gänzlich unterschiedliche Politikaspekte repräsentieren.

Tourismuspolitik

Dimension

Ausrichtung

Fragestellungen

Policy

Inhalt und Funktion der Tourismuspolitik

Interessen

Politics

politische Prozessgestaltung und Durchsetzung

Macht und Herrschaft

Polity

Struktur, Form und Handlungsrahmen

Träger und räumliche Verortung

Tab. 1.1:

Dimensionen, Ausrichtungen und Fragestellungen der Tourismuspolitik

PolicyPolicy

Der Bereich Policy umfasst alle inhaltlichen Aspekte der Politik wie Inhalte und Zielsetzungen der Politik. Übertragen auf die Tourismuspolitik im Sinne der Tourism Policy werden hier die Ergebnisse des politischen Entscheidungsprozesses thematisiert. Eine politische Entscheidung kann bspw. ein abgeschlossenes Gesetzgebungsverfahren, Ministerialentscheidung oder ähnliches sein. Im simpelsten Falle erfüllen aber auch Genehmigungen den Policy-Charakter. Bezogen auf das System Tourismus ist die Policy die Repräsentanz der Interessen, die sich im politischen Prozess durchgesetzt haben.

Beispiel | So kann die erteilte Baugenehmigung durch ein regionales Bauamt unter die Dimension Policy gefasst werden. Die beantragende Hotelgesellschaft hat sich mit ihrem Interesse auf Errichtung eines Hotels zum Beispiel gegen die Interessen von Anwohnern und Umweltschützern durchgesetzt, die jeweils unterschiedliche Interessen haben dürften, jedoch im Interesse am Versagen der Baugenehmigung übereinstimmen.

Aus der Perspektive der Tourismuswissenschaft erscheint der Bereich Tourism Policy als der am stärksten beleuchtete. Dies spiegelt sich insbesondere in der Wechselwirkung zwischen Tourismuspolitik und -planung auf Ebene der Destination wider. In dieser Triade entsteht die Relevanz der inhaltlichen Politikdimension.

PoliticsPolitics

PoliticsPolitics kann verkürzt als die Gesamtheit des politischen Prozesses verstanden werden. Dieser setzt sich zusammen aus den Bereichen der politischen Abstimmung aber auch der Ernennung oder Wahl von Repräsentanten. Außerhalb der politischen Arena zählen auch alle Elemente der Beeinflussung politischer Akteure (inkl. der Verwaltungsakteure) zur Dimension Politics.

Beispiel | Im vorangegangenen Beispiel umfassen alle Aktivitäten von der Vorbereitung des Bauantrags bis zur finalen Genehmigung die Dimension Politics. Im Vorfeld des Antrags könnte bereits eine Beeinflussung der Entscheidungsträger und anderer Interessengruppen durch das Verdeutlichen der Notwendigkeit eines Hotelbetriebs für eine Kommune erreicht worden sein. Mit dem Stellen des Bauantrags wird der politische Prozess in die Hoheit der politischen Entscheidungsträger und damit der politischen Abstimmung übergeben.

PolityPolity

Als strukturelles Element gibt Polity sämtlichen politischen Aktivitäten einen formellen Handlungsrahmen. Dieser besteht zunächst einmal aus den von Staat und Verfassung vorgegebenen Institutionen der Politik. Darüber hinaus werden auch alle weiteren strukturgebenden Elemente wie das politische System, die politische Kultur sowie das Gemeinwesen im generellen als Polity verstanden. Die PolityPolity ist somit die strukturell räumliche Verortung des politischen Entscheidungsprozesses. Sie greift dabei auch in Bereiche ein, die, wie z. B. der öffentliche Diskurs im Vorfeld einer politischen Entscheidung, institutionell-​politisch nicht verankert und vorgelagert sind.

Beispiel | Während die Bearbeitung des Bauantrages durch die entsprechende Behörde im institutionellen Kontext der Polity erfolgt, ist die vorgelagerte Beeinflussung der Entscheidungsträger und Interessengruppen differenziert zu betrachten. Sofern sich die Beeinflussung direkt auf den Entscheidungsprozess bezieht, liegt hier eine direkte Verknüpfung zum institutionellen Rahmen vor. Bei der bloßen Beeinflussung von anderen Teilnehmern des Gemeinwesens gilt dies nicht, da es sich um eine im Wesentlichen ungerichtete Beeinflussung handelt. Dies gilt auch dann, wenn die Beeinflussung der Entscheidungsträger durch Interessengruppen das Ziel der Maßnahme ist.

1.2Bedürfnisse und Motive

Während im Kontext des Managements und auch des TourismusmanagementsTourismus, Management Bedürfnisse vor allem unter betriebswirtschaftlichen Aspekten thematisiert werden, bedarf es für den Kontext der Tourismuspolitik einer differenzierten Betrachtung. So ist ein Bedürfnis aus Sicht der Politik nicht nur etwas, was ein Individuum zu einer Handlung bewegt oder motiviert bzw. durch ein Unternehmen befriedigt werden muss. Vielmehr muss die Politik die Bedürfnisse der Bevölkerung und des GemeinwesensGemeinwesen insgesamt berücksichtigen, um eine am Gemeinwohl orientierte Ausbalancierung von Interessen erreichen zu können.

Auch wenn sich Fragen der TourismuspolitikTourismuspolitik vor allem mit sozialen Aspektensoziale Aspekte und damit sekundären Bedürfnissen, die durch das soziale Umfeld geformt werden, befasst, dürfen primäre Bedürfnisse nicht vernachlässigt werden. Die (weitgehende) Erfüllung dieser im weitesten Sinne naturbedingten und angeborenen Bedürfnisse ermöglicht es erst, soziale Bedürfnisse zu entwickeln.

Deutlich wird dieses Wechselspiel anhand der von Maslow entwickelten BedürfnishierarchieBedürfnisse, Hierarchie (Maslow). Diese kann zwar nicht mehr für sich beanspruchen, die Erkenntnisse aus der Motivationsforschung exakt wieder zu geben, soll aber die Bedeutung von Bedürfnissen illustrieren. In dieser Hierarchie liegen die Primärbedürfnisse als physiologische Grundbedürfnisse wie Nahrung, Erholung und triebgesteuerte Sexualität auf der untersten Hierarchiestufe. Direkt darüber werden Sicherheitsbedürfnisse wie Geborgenheit und Schutz vor Umwelteinflüssen angeordnet. Beide Bedürfnisgruppen entsprechen der Kategorie Primärbedürfnisse, auch wenn das Bedürfnis nach Sicherheit bereits schon soziale Aspekte der Sekundärbedürfnisse berücksichtigt.

In jedem Fall sozialgeprägt und damit Sekundärbedürfnisse sind die sogenannten sozialen BedürfnisseBedürfnisse nach Freundschaft oder Liebe. Die vierte Ebene ist gekennzeichnet durch individualistisch orientierte Bedürfnisse wie Anerkennung und Selbstvertrauen. Ziel jedes Individuums und damit an der Spitze der ursprünglichen Version steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und das Ausschöpfen des eigenen Potenzials. Die Ebene der Selbstverwirklichung klassifiziert Maslow als Wachstumsbedürfnis des Menschen über sich selbst hinaus zu wachsen. In einer späteren Ausarbeitung wird die Ebene der Selbstverwirklichung durch eine weitere Ebene der Selbsttranszendenz ergänzt. Für die folgenden Ausführungen bleibt aber relevant, dass Selbstverwirklichung und Selbsttranszendenz im Wesentlichen ein Wachstumsbedürfnis darstellen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Wachstum bei Selbstverwirklichung aus Eigennutz oder bei Selbsttranszendenz aus altruistischen Motiven erfolgt. Die anderen Ebenen werden als Defizitbedürfnisse bezeichnet. Ihnen wohnt der Gedanke der Mangelbeseitigung inne.

Keines der BedürfnisseBedürfnisse kann für sich genommen dauerhaft erfüllt werden. Defizitbedürfnisse sind je nach Konstellation situativen Mangelzuständen wie Schwankungen, unterworfen oder die Maßnahme der BedürfniserfüllungBedürfnisse verbraucht sich im Zeitverlauf. Wachstumsbedürfnisse erfordern eine schier endlose Bedürfnisbefriedigung da mit dem erreichten Wachstum ein neuer Status Quo geschaffen wird, der erneute Wachstumsbedürfnisse in Gang setzt.

Grundgedanke dieser an einer Pyramide orientierten Hierarchie von Maslow ist, dass ein höheres Bedürfnis von einem Individuum angestrebt wird, wenn die darunter liegenden Bedürfnisebenen erfüllt sind. Dabei ist kritisch anzumerken, dass der Grad der Erfüllung niemals absolut sein muss.

Beispiel | So kann eine Person, die aus Gründen der Selbstverwirklichung auf dem Jakobsweg wandert, darin Selbstverwirklichung auch in den Phasen finden, in denen sie physiologisch Hunger verspürt. Das Bedürfnis der Nahrungsaufnahme wird das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung nicht gänzlich verdrängen.

Ferner muss zwischen dem Bedürfnis und der in der Realität erfolgten Ausprägung der Bedürfnisbefriedigung unterschieden werden. So sind einzelne Realhandlungen auf verschiedenen Bedürfnisebenen zu finden. Sie befriedigen somit verschiedene Bedürfnisebenen und negieren den vorgenannten Absolutheitsanspruch einer aufsteigenden Tendenz.

Beispiel | So kann das Tragen von Kleidung in realitas dem physiologischen Kälteschutz ebenso dienen wie dem Sicherheitsbedürfnis nicht aus der Gesellschaft zu fallen, da man unbekleidet ist. Je nach Wahl der Kleidung erfüllt diese darüber hinaus sowohl soziale Status-, als auch Anerkennungszwecke. Ähnlich verhält es sich mit Sexualität. Sie ist je nach Kontext Ausdruck eines triebhaften, entweder pathologischen oder der Fortpflanzung dienendem Verlangen oder einer sozialen Zugehörigkeit in einer Partnerschaft oder ein Element der Selbstbestätigung.

In Abgrenzung zum originären BedürfnisBedürfnisse muss das MotivMotive unterschieden werden. Während es bei der Bedürfnisbefriedigung eines Defizitbedürfnisses ausreicht, dass ein konkreter Mangel überhaupt beseitigt wird, spielt bei den Motiven die konkrete Ausgestaltung der Bedürfnisbefriedigung eine Rolle. Somit steht nicht mehr nur die Frage nach dem ob der Befriedigung im Raum, sondern auch nach dem wie. Motive können der Bedürfnisbefriedigung dienen, müssen dies im Konkreten aber nicht tun. So kann ein Motiv auch abseits der Bedürfnisse existieren und bspw. die Wahrnehmung einer sich bietenden Gelegenheit zum Inhalt haben. Insgesamt sind Motive im Gegensatz zu Bedürfnissen zielgerichteter. Deutlich zeigt ein Rückgriff auf den lateinischen Ursprung movere=sich bewegen, die Zielrichtung des Motivs.

Beispiel | So ermöglicht das Motiv „Besuch eines Sternerestaurants“ auch die Befriedigung des Bedürfnisses Hunger. Letztere steht nur nicht im Fokus der Entscheidung.

Während Bedürfnisse ihrer Struktur nach unveränderlich sind, passen sich Motive dem Wohlstand und den Lebensumständen des Individuums an. Mit steigendem Wohlstand treten vermehrt qualitativ anspruchsvollere Motive in den Vordergrund, die höherwertigere Güter zur Motiv- und Bedürfnisbefriedigung erfordern.

Im Kontext von BedürfnissenBedürfnisse ist der Tourismus und damit die Tourismuspolitik mit der Frage konfrontiert, ob Reisen als Grundbedürfnis anzusehen ist. Mithin also auf der unteren Stufe der Bedürfnishierarchie steht. Zur Beantwortung der Frage können die jeweiligen Reisemotive herangezogen werden. Liegt der Reise das Motiv der Selbstverwirklichung zu Grunde, der Reisende also so zu sich selbst finden will, ist von einem Wachstumsbedürfnis auf der höchsten Stufe auszugehen. Oftmals ist der Gedanke des Reisens auch mit dem Wunsch verbunden ein bestimmtes Prestige zu verkörpern. Ein solches kann sich in einem hedonistischen aber auch in einem sozialen Prestige wie bei nachhaltigem Reisen, widerspiegeln. In beiden Fällen ist das zu Grunde liegende Bedürfnis, das Bedürfnis nach (sozialer) Anerkennung oder Selbstanerkennung. Liegt der Reise ein eher geselliges Motiv zu Grunde, stehen soziale Aspekte im Vordergrund und das Reisen als solches erfüllt auch hier noch nicht die Voraussetzungen eines Grundbedürfnisses.

Diese Bewertung wandelt sich erst in der Motivlage (Zu-)Flucht. Ob der Fluchtmotivator nun aus einem Sicherheitsbedürfnis oder einem physiologischen Bedürfnis entspringt, ändert an dem Vorhandensein eines primären Grundbedürfnisses nichts. In dieser Konstellation hat der Reisewunsch ein so starkes Gewicht, dass er von nichts anderem ausgeglichen werden kann. Zwar mag ein Außenstehender in der Reise noch nicht zwingend die Erfüllung eines Grundbedürfnisses erkennen, für den Reisenden ist es dies dennoch.

In diesem Zusammenhang sind Flucht und Zuflucht nicht nur Begrifflichkeiten aus dem Kontext Flüchtling und Vertreibung, sondern haben auch durchaus touristische Komponenten. So kann eine Reise als Flucht aus dem Alltag geplant werden, bzw. der Aufenthalt in einem Kloster als Zuflucht zu einem abgeschirmten, geordneten Leben verstanden werden. Beide Aspekte sind nicht direkt lebensbedrohlich, haben aber lebenseinschränkende Aspekte als Ursache und „Ausgangspunkt“ der touristischen Reise. Die Unterteilung richtet sich einzig nach dem Bedürfnis- und Motivträger.

Für die Tourismuspolitik sind jedoch nicht nur „Reisende“ relevante BedürfnisBedürfnisse, Träger- und Motivträger, sondern auch alle anderen Gruppen im System Tourismus. Dies gilt insbesondere auch für die Gruppe der An- und Einwohner, da diese von den Entscheidungen der Tourismuspolitik permanent beeinflusst werden. Daher sind deren Bedürfnisse und Motive von der Politik ebenfalls in den Blick zu nehmen. Im Kern darf Tourismuspolitik kein wesentliches Bedürfnis oder Motiv einer betroffenen Gruppe unberücksichtigt lassen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet zur Befriedigung aller Bedürfnisse und Motive beizutragen und kann dies auch nicht leisten.

1.3Push- und Pull-Faktoren

Aus der Geographie kommend, lassen sich touristische Motive in Push- und Pull-​FaktorenPush- und Pull-Faktoren unterteilen. Push-​Faktoren oder Schubfaktoren sind bspw. Motive die einen Antrieb zur Reise darstellen, während Pull-​Faktoren die Zielrichtung der Motive und damit der Bedürfnisbefriedigung fokussieren. In Anlehnung an Maslow besteht zwischen beiden Faktorenpaaren ebenfalls ein Über- und Unterordnungsverhältnis. Hierbei sind zunächst einmal die Push-​Faktoren ausschlaggebend für eine Entscheidung zur Bedürfnisbefriedigung und die das Motiv beeinflussende Pull-​Faktoren treten nachgelagert in Erscheinung.

Ursprünglich wurden Push- und Pull-​Faktoren genutzt, um MigrationsbewegungenMigrationsbewegungen zu beschreiben. So entstanden aus Notlagen im Heimatland (Push-​Faktoren) die Motive in ein besseres Lebensumfeld zu migrieren (Pull-​Faktoren). Die Notlagen sind somit intrinsisch in der Person des Migranten und das (erhoffte) bessere Lebensumfeld extrinsisch durch den Zielort definiert. Gleiches gilt für das touristische Reisen. Der intrinsische Wunsch des Reisenden sich von seinem gewohnten Umfeld zu entfernen ist der Push-​Faktor und die extrinsische Motivation zu einem bestimmten Ziel zu reisen der Pull-​Faktor.

Zusammenfassend sind die Push-​Faktoren die originären Anlässe eine Reise zu unternehmen und die Pull-​Faktoren die „Ziele“, die mit der Reise erreicht werden sollen. Aus Sicht einer Destination oder jedes anderen touristischen Ziels können alleinig die Pull-​Faktoren beeinflusst werden, da diese mit Anziehungspunkten auf der Ebene der Destination adressierbar sind. Push-​Faktoren kann eine Destination oder ein touristischer Dienstleister dagegen nicht beeinflussen. Die Tourismuspolitik muss demgegenüber je nach Perspektive beiden Aspekten Rechnung tragen. Bei der OutgoingOutgoing-TourismuspolitikTourismuspolitik, Outgoing erhalten folglich die Push-​Faktoren und bei der IncomingIncoming-TourismuspolitikTourismuspolitik, Incoming die Pull-​Faktoren stärkeres Gewicht. In realitas ist die Unterscheidung jedoch oft schwierig, da sich beide Arten von Faktoren überlagern und nicht klar zu trennen sind.

1.4Nachfrage

Aus den vorgenannten Push- und Pull-​FaktorenPush- und Pull-Faktoren entwickelt sich die touristische Nachfrage. Abseits der Faktoren sind für die Nachfrage wirtschaftliche, soziale, psychologische und exogene Determinanten bestimmend. Diese Determinanten wirken, je nach konkreter Ausprägung sowohl als Push- als auch als Pull-​Faktor. Als wesentliche wirtschaftliche Determinanten können das verfügbare Einkommen des Touristen, sowie die Preise des touristischen Angebots gesehen werden.

Wissen | So wirkt das EinkommenEinkommen sowohl unmittelbar auf den Reisewunsch als Push-​Faktor sowie auf das konkrete Reiseziel in Abhängigkeit der zugehörigen Destinationspreisegestaltung als Pull-​Faktor ein.

Im weitesten Sinne soziale Determinanten sind verfügbare Reisezeit als Konsumzeit aber auch kulturelle Prägungen. Erstere bestimmen vor allem die Push- und letztere die Push- und Pull-​Faktoren. Eng mit sozialen Determinanten verknüpft sind psychologische Determinanten, die sich insbesondere in Reisepräferenzen aber auch Einstellungen zum Reisen generell niederschlagen. Auch diese lassen sich im Regelfall nicht eindeutig als Push oder Pull klassifizieren.

Aus tourismuspolitischer Sicht sind die exogenen Determinanten der Nachfrage die relevantesten, da diese durch entsprechende Maßnahmen beeinflusst werden können. Als exogen können angesehen werden: sozioökonomische Umfelder, wirtschaftspolitische Stabilität, rechtliche Rahmenbedingungenrechtliche Rahmenbedingungen etc. Hierbei ist es für die Nachfrage unerheblich, ob sich exogene Effekte auf den Reisenden oder auf die Destination auswirken. Beides erzeugt eine entsprechende Resonanz im Nachfrageverhalten und muss von den jeweiligen tourismuspolitischen Instanzen gemäß der Zielsetzung adressiert werden.

1.5Konsum

Eng verknüpft mit dem Begriff der Nachfrage ist der Begriff des KonsumsKonsum. Hierbei ist begrifflich zwischen der betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Perspektive zu unterscheiden. Für die Politik relevanter ist die volkswirtschaftliche Betrachtung. Nach dieser definiert sich der Konsum als Verbrauch und damit letztlich auch „Vernichtung“ eines Konsumgutes oder einer Dienstleistung. Demgegenüber stehen der Gebrauch oder die Nutzung sowie die Investition. Beiden Begriffen liegt der Gedanke zu Grunde, dass durch die Nutzung eines Gutes letztlich ein anderer Wert für den Nutzenden entsteht. Im Idealfall entsteht hierbei ein ökonomischer Mehrwert auf Basis dessen der Nutzer nach Gebrauch in einer besseren Situation ist als zuvor.

Dem Reisen als immaterielles Erlebnis wohnt dabei regelmäßig eine Neigung zum Konsum inne. Zwar „produziert“ Reisen Erinnerungen und im Idealfall positive Assoziationen, dennoch ist mit dem Abschluss der Reise dieselbe konsumiert und kann nicht anderweitig genutzt werden. Daran ändert im Prinzip auch das Konstrukt einer Geschäftsreise nichts. Diese mag zwar einen Investitionscharakter haben, das touristische Erlebnis auf dieser Reise fällt dennoch unter den Konsum.

Beispiel | Beispielhaft kann hier ein Theaterstück herangezogen werden. Dieses wird durch den Besucher konsumiert. Auch bei wiederholter Aufführung ist das konkrete Stück, sobald der letzte Vorhang fällt, beendet und kann nicht weiter konsumiert werden. Demgegenüber ist eine Aufzeichnung des gleichen Stücks eher ein Gebrauchsgut, da es sich möglicherweise, durch Alterungserscheinungen der digitalen Medien oder möglichem Datenverlust abnutzt. Die Betrachtung der Aufzeichnung dagegen kann als Konsum verstanden werden, da das konkrete Erlebnis mit dem Ende der Aufzeichnung verbraucht ist.

Aus der Perspektive der BWL steht vor allem im MarketingMarketing die Erhöhung der Konsumausgaben im Vordergrund. Übertragen auf die Tourismuspolitik kann daher das eher betriebswirtschaftliche Ziel abgeleitet werden, die Konsumausgaben im Tourismus zu erhöhen. Hier verschneidet sich auch die volkswirtschaftliche Perspektive, da das Handlungsfeld der Tourismuspolitik der konsumatorischekonsumatorisch Aspekt der Reise ist. Daran ändert auch eine Fokussierung auf Geschäftsreisen als Zielgruppe einer Destination oder touristischen Aktivität nichts.

1.6Nutzen

Übertrieben vereinfacht lässt sich NutzenNutzen als Gegensatz von Kosten definieren. Nutzen stellt in dieser Gleichung einen Wert dar, den der Nutzende einer Aktivität oder einem Gut beimisst. Ein solcher Nutzen lässt sich zwar in Geldeinheiten berechnen und damit finanziellen Kosten (oder fiktiven Zeitkosten) gegenüberstellen, doch entstünde unmittelbar das Problem der Bewertung von immateriellem NutzenNutzen. Hieran ändert grundsätzlich auch die Möglichkeit nichts, einem solchen immateriellen Nutzen immaterielle Transaktionskosten gegenüber stellen zu können. Nutzen lässt sich allenfalls in fiktiven Einheiten messen, die wiederum nur bedingt verrechenbar sind.

Zielführender im Kontext des Tourismus ist es, Nutzen als etwas „touristenspezifisches“ zu begreifen. Somit lässt sich nicht ein Nutzen für jeden Touristen ermitteln, sondern nur der konkrete Nutzen eines individuellen Touristen. In der Volkswirtschaft definiert sich NutzenNutzen als das Maß der Befriedigung, die ein Individuum aus dem Konsum eines Gutes oder einer Dienstleistung zieht. Hierbei kann unterstellt werden, dass das Individuum bestrebt ist seinen individuellen Nutzen zu maximieren.

Für die Nutzenmaximierung gilt jedoch der Grundsatz des abnehmenden Grenznutzens. Dies bedeutet, dass der Konsum einer zusätzlichen Einheit eines Gutes oder einer Dienstleistung im Regelfall einen geringeren Nutzen besitzt als der Konsum der vorherigen Einheit. Hierbei ist unterstellt, dass im Zeitverlauf immer ein abnehmender Grenznutzen eintritt, wenngleich in frühen Perioden dieses Zeitverlaufes der Grenznutzen auch steigen kann.

Beispiel | So leuchtet unmittelbar ein, dass der zwanzigste Aufenthalt in einer touristischen DestinationDestinationen oder in einem speziellen Hotel weniger „aufregend“ ist als der erste. Auch wird der Tourist von der ersten Reise mehr Eindrücke mitnehmen und damit einen größeren „Eindrucksnutzen“ und wahrscheinlich auch Erholungsnutzen bei gleichbleibenden Umfeldbedingungen haben als bei der zwanzigsten Wiederholung. Allerdings kann auch der folgende Effekt eintreten: Durch das Kennen der Destination oder des Hotels, mag sich der Tourist ungezwungener bewegen und dadurch Aspekte seiner Reise entdecken und wertschätzen, die ihm vorher verborgen geblieben sind. In der Folge ist der Nutzen der zweiten Reise ggfs. höher als der der ersten Reise, ohne dass dies im Gesamtverlauf dem Grundsatz des abnehmenden Grenznutzen widerspricht.

1.7Partizipation und Teilhabe

Aus den Erklärungen der Weltgesundheitsorganisation zu Menschen mit Beeinträchtigungen hat sich im deutschen Sprachgebrauch der Begriff „Teilhabe“ geprägt. Darunter wird das Einbezogensein in konkrete Lebenssituationen verstanden. Der Begriff selbst wird oft synonym zur politischen PartizipationPartizipation verwendet. Obwohl in der letztlichen Ausprägung hier unterschiedliche Bedeutungen vorliegen, lassen sich die Elemente der Integration nicht negieren.

Zielführender im konkreten Kontext ist es daher, die Teilhabe aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung mit dem Begriff Inklusion zu versehen und den Begriff Teilhabe auf alle Arten von Beeinträchtigungen, die einen Teilhabeausgleich erforderlich machen, anzuwenden.

Unter dem Verständnis der TeilhabeTeilhabe im Sinne des Ausgleichs von Beeinträchtigungen, kann dies nicht nur auf körperliche, geistige und seelische Beeinträchtigungen subsumiert werden. Auch soziale Beeinträchtigungen wie prekäre oder konfliktbeladene Lebensverhältnisse erfordern den Ausgleich durch eine soziale Teilhabe. In diesem Verständnis ist Teilhabe das Einschließen von Gruppen oder Individuen in ein konkretes Konstrukt, aus dem die Betroffenen vorher ausgeschlossen waren. Verkürzt ist Teilhabe die Aufhebung des Drinnen- und Draußen-KonfliktDrinnen- und Draußen-Konflikts.

Beispiel | Im Kontext von Menschen mit Beeinträchtigungen bieten Theater oder andere Veranstaltungsstätten die Möglichkeit, bspw. Rollstuhlplätze zu nutzen, um darauf angewiesenen Menschen die Teilnahme und Teilhabe an einer Aufführung zu ermöglichen. Demgegenüber sind rabattierte Eintrittspreise für bedürftige Personen Elemente der sozialen Teilhabe zum Ausgleich sozial schwächerer Lebensbedingungen.

TeilhabeTeilhabe in diesem Verständnis ist somit regelmäßig Teil einer Sozialpolitik und berührt die Tourismuspolitik in den Feldern, in denen touristische Leistungen einer sozialen Bewertung unterliegen. Da Tourismuspolitik in vielen Fällen eine wirtschaftspolitische Komponente hat, sind in diesem Spannungsfeld Konfliktfelder unausweichlich.

 

Demgegenüber bezeichnet politische Partizipation die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen. Pointiert bringt dies Huntington zum Ausdruck, in dem er Partizipation als Aktivität von privaten Individuen bezeichnet, deren Ziel es ist, die Entscheidungsfindung der Regierung zu beeinflussen. Diese Darstellung fokussiert den aktiven und mündigen Bürger. Partizipation kann aber auch aus der Perspektive der Regierung oder des Entscheidungsprozesses als abstrakte Instanz betrachtet werden. Aus dieser Perspektive ist PartizipationPartizipation nicht eindimensional auf die Ermöglichung des Einflusses gerichtet, sondern besteht aus verschiedenen Abstufungen, die die wechselseitige Beeinflussung verdeutlichen.

1.8Lebensqualität

Entscheidende Aufgabe der Tourismuspolitik ist neben der ökonomischen Qualität touristischer Aktivitäten die Berücksichtigung der Lebensqualität. Eine gängige Definition der LebensqualitätLebensqualität liefert die Weltgesundheitsorganisation. Demnach ist Lebensqualität die individuelle Wahrnehmung des Individuums über dessen Stellung im Leben unter Berücksichtigung der umgebenden Kultur und des Wertesystems unter Einbeziehung der individuellen Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen. Erschwert wird ein Verständnis von Lebensqualität durch die häufig synonyme Verwendung des Begriffs „Wohlbefinden“. Wenngleich die Überschneidungen der beiden Begriffe offensichtlich sind, muss dennoch eine Unterscheidung getroffen werden.

WohlbefindenWohlbefinden wird regelmäßig als das subjektive Empfinden des eigenen körperlichen, sozialen und psychologischen Zustands verstanden. Ein solches Empfinden ist im Zeitverlauf regelmäßig starken Schwankungen unterworfen und kann sich kurzfristig mit und ohne erkennbaren Einfluss von außen ändern. Hieraus werden zwei Konsequenzen abgeleitet: Zum einen ist Lebensqualität in der Bewertung längerfristig angelegt und zum anderen wird LebensqualitätLebensqualität auch anhand objektivierbarer Kriterien außerhalb des Zustands des Individuums fassbar.

Schon diese Komplexität in der Abgrenzung zum Wohlbefinden verdeutlicht die Schwierigkeit Lebensqualität zu fassen und zu objektivieren. Im Kontext des Tourismus wird Lebensqualität daher auf vier Ebenen untersucht:

Qualität der Lebensbedingungen eines Individuums

Zufriedenheit des Individuums mit den Lebensbedingungen

Kombination der Qualität der Lebensbedingungen und der Zufriedenheit des Individuums mit diesen

Kombination der Qualität der Lebensbedingungen und der Zufriedenheit des Individuums mit diesen, gewichtet nach der jeweiligen Wichtigkeit für das Individuum

Schon die Auflistung zeigt, dass, je nach Bewertungsebene, verschiedene intra- und intersubjektive Wechselwirkungen beachtet werden müssen. Insbesondere die Wechselwirkungen, die sich aus der Person des Adressaten ergeben, sind tourismuspolitisch schwer steuerbar. In Folge beschäftigt sich die Tourismuspolitik insbesondere mit der eher objektiven Ausgestaltung der Qualität der Lebensbedingungen und versucht die individuelle Zufriedenheit und Gewichtung allenfalls nachgelagert zu berücksichtigen.

Systemisch ergeben sich für die Tourismuspolitik zwei Perspektiven, Lebensqualität in den Entscheidungsprozess zu integrieren. Zum einen kann sie die Lebensqualität der Touristen (als Ziel- und Adressatengruppe) berücksichtigen und zum anderen die Lebensqualität in der Destination. In letzterem Fall entsteht ein Spannungsfeld zwischen der Lebensqualität der Touristen im Zielgebiet und der Lebensqualität der Einwohner, die in diesem Gebiet zu Hause sind.

Die LebensqualitätLebensqualität von Touristen als Adressatengruppe hat direkte Bedeutung für das Vorhandensein möglicher Push-​Faktoren die als Reiseanlässe dienen. Politisch ist dies insofern zu berücksichtigen, als dass die Möglichkeit reisen zu können, ein Element von Lebensqualität darstellt.

Beispiel | So genießen die Bürger der Bundesrepublik ein hohes Maß an Reisefreiheit, da ihnen von Seiten des Staates nur in Ausnahmefällen Reisebeschränkungen auferlegt werden können. Bezogen auf Inlandsreisen ist dies zumeist tourismuspolitisch ohne Implikation. Bei Auslandsreisen jedoch spielt das Element „Einreisebestimmungen“ eine gewichtige Rolle. Diese sind in der Hoheit des jeweils anderen Staates und können nur im weitesten Sinne auf dem Weg der außenpolitischen Diplomatie adressiert werden. Ein solches Vorgehen hat dann auch tourismuspolitische Bedeutung.

In freiheitlichen Gesellschaften genießt diese Möglichkeit den Charakter eines GrundrechtesGrundrechte und in autokratischen Gesellschaften dient die Möglichkeit zur Erhöhung von Lebensqualität dem Machterhalt. In diesem Fall wird durch die Erhöhung der Lebensqualität angestrebt, die Bevölkerung vom Hinterfragen des Status quo abzuhalten.

Wissen | Ein gängiges Mittel autokratischer Staaten zum Machterhalt ist es, der Bevölkerung ein möglichst hohes Maß an individuellem Wohlstand zu garantieren, um die Notwendigkeit von Protesten, die sich zu Staatskrisen ausweiten können, zu senken. Als immaterieller Wohlstand kann hier auch Reisen dienen. Durch die grundsätzliche Möglichkeit, reisen zu können, soll die Zufriedenheit der Bevölkerung erreicht werden. Oftmals ist in Autokratien Reisen als Privileg ausgestattet, um zum einen verhindern zu können, dass regimekritische Personen sich im Ausland vernetzen und zum anderen, um regimetreues Verhalten als erstrebenswert zu klassifizieren.

Die zweite Perspektive der Tourismuspolitik, die LebensqualitätLebensqualität der Einwohner in touristischen Regionen zu berücksichtigen, spielte von je her eine gewichtige Rolle. Zwei Entwicklungstendenzen haben den Aspekt jedoch in jüngerer Zeit verstärkt. Zunächst ist im Kontext des touristischen Phänomens Overtourism deutlich geworden, welche Belastungen für Einheimische durch den Tourismus entstehen. Darüber hinaus hat eine weitere Entwicklung Bahn gebrochen, in der touristische Räume auch aus der Perspektive des Tourismus als Lebensraum für Einheimische verstanden wird.

Einwohner sind für Tourismus von jeher in ihrer Rolle als „GastgeberGastgeber“ von Bedeutung. Daher zielt Tourismuspolitik auch immer darauf ab, sie in den touristischen Prozess einzubinden. Politisch sind sie auf Ebene der Destination eine der wichtigsten Stakeholder-​Gruppen. Dies betrifft nicht nur die direkt an der touristischen „Produkterstellung“ beteiligten Einwohner, sondern aller Menschen, die in der Destination leben und arbeiten. Nur wenn ein von diesen Personen getragenes Tourismusbewusstsein existiert, entsteht auch ein allgemeines Verständnis des Wohn- und Lebensumfeldes als touristische Destination.

Darüber hinaus nutzen EinwohnerEinwohner in vielen Fällen die gleiche touristische Infrastruktur. Sei es in Bezug auf Mobilitätslösungen oder im Bereich der Gastronomie. Sie sind in dieser Konstellation quasi Nutznießer der touristischen Investitionen ohne eine eigenständige Berücksichtigung zu finden. Dies ist im Wesentlich das Spiegelbild zu den Touristen als Nutznießer von Investitionen, die mit dem Fokus auf die einheimische Bevölkerung getätigt wurde. In beiden Richtungen entsteht eine Wechselwirkung zwischen Tourismus und LebensqualitätLebensqualität. Im ersten Fall ist diese Entwicklung für die Einheimischen in der Regel positiv, da sich die Lebensqualität erhöht. Im zweiten Fall kann die Lebensqualität negativ beeinträchtigt werden, wenn durch die zusätzliche Nutzung von Touristen die Qualität der eigenen Infrastruktur leidet oder Overtourism-Effekte auftreten.

Ergänzend zu diesen Wechselwirkungen zwischen Touristen und EinwohnernEinwohner, können touristische Räume als Lebensräume betrachtet werden. Eine solche Betrachtung hat das Ziel auch die Einwohner direkt als touristische Kunden anzusprechen. Sie sind nun nicht mehr Nutznießer, sondern eigenständige Adressaten der Tourismuspolitik. Oft geschieht dies mit dem Hintergrund das touristische Bewusstsein zu stärken oder den Raum für neue Einwohnergruppen zu attraktiveren. Hierbei entsteht eine tourismuspolitische Schnittstelle zwischen Tourismusentwicklung und wirtschafts- sowie sozialpolitischer Standortentwicklung.

In der Betrachtung touristischer Räumetouristischer Raum als Lebensräume steht nicht mehr nur die ökonomische Entwicklung im Vordergrund der Tourismuspolitik. Vielmehr versucht sie, die Lebensqualität als ein wesentliches Element mitzudenken, um nicht nur die Akzeptanz touristischer Aktivitäten zu erhöhen, sondern darüber hinaus die Einwohner in alle Ebenen des touristischen Systems und damit auch als Kunden zu integrieren.

Weiterführende Literatur- und Quellenhinweise

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Bartling, H., Luzius, F., & Fichert, F. (2019). Grundzüge der Volkswirtschaftslehre: Einführung in die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Vahlen.

Freyer, W. (2015). Tourismus: Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie. de Gruyter Oldenbourg.

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Schulz, A., Eisenstein, B., Gardini, M. A., Kirstges, T., & Berg, W. (2020). Grundlagen des Tourismus. de Gruyter Oldenbourg.

Uysal, M., Sirgy, M. J., Woo, E., & Kim, H. (2016). Quality of life (QOL) and well-​being research in tourism. Tourism Management, 53, 244–261.

2PhilosophischePhilosophie Grundlagen und politische IdeologienIdeologie

Mit dem Aufkommen gesellschaftlicher Strukturen, die sich nicht nur auf eine biologische Verwandtschaft gründen und über den Familienverbund hinausgehen, wurden andere verbindende Elemente für das Zusammenleben unerlässlich. Jede Gesellschaft als soziale Verbindung hat in der Folge eigene Ideen und Vorstellungen des Zusammenlebens entwickelt. Durch diese etablierten sich auch unterschiedliche Macht- und Herrschaftsstrukturen. Alle diese Elemente bestimmen und beeinflussen den politischen Diskurs einer Gesellschaft und wirken sich auf die Formen und den Umfang der Zusammenarbeit aus. Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die Phänomene MachtMacht und HerrschaftHerrschaft und den sich daraus entwickelnden Konsequenzen für eine Gesellschaft und die Politik geben. Die folgenden Ausführungen sind bewusst allgemein gehalten und gelten für alle Formen der Politik oder Entscheidungsfindung und -durchsetzung. Gleiches gilt für die Ausführungen zur Staatstheorie, da diese den Herrschaftsbereich räumlich fassbar macht. Die Tourismuspolitik ist hierbei nur ein Teilbereich, der sich in den Grundzügen von Herrschaftsphilosophie und Ideologien nicht von anderen unterscheidet.

2.1Macht und Herrschaft

Macht und Herrschaft hängen sowohl begrifflich als auch in der gedanklichen Auseinandersetzung eng zusammen. Max Weber geht sogar so weit, Herrschaft als einen Sonderfall von Macht zu begreifen. Dieser Rangordnung folgend bedingt das Verständnis des Begriffes „Herrschaft“ zunächst einmal ein Verständnis des Begriffes „Macht“. Hierbei spielt insbesondere die begriffliche Einordnung im Kontext politischer Prozesse oder des Staatswesens eine Rolle.

Obwohl jeder ein intuitives Verständnis vom Begriff „MachtMacht“ hat und dieser Bestandteil verschiedener Aphorismen und gängiger Sprichwörter wie „Wissen ist Macht“ oder „Alle Macht dem Volke“ ist, ist Macht selbst schwer zu fassen. Im Wesentlichen liegt dem Begriff Macht die Annahme zu Grunde, dass eine mit Macht ausgestattete Person in der Lage ist, das Denken und Verhalten von anderen Personen zu beeinflussen. Diese Möglichkeit besteht zumeist auch gegen den Willen der anderen Person oder Personen. Dabei ist es unerheblich, worauf sich die Macht gründet. Macht benötigt nicht nur eine psychologische, sondern im Besonderen auch eine soziale Struktur. Die notwendige soziale Struktur fußt auf dem Gedanken, dass es jedem Menschen ansonsten freistünde über seine natürliche Umwelt nach Belieben zu verfügen.

Hieraus entsteht das Risiko einer totalen Anarchie in sozialen Strukturen, zu denen auch Staaten und Gesellschaften zählen. In diesem Kontext erblickt Hobbes Macht als eine sinnvolle und notwendige Übertragung von Entscheidungsgewalt auf eine staatliche Instanz zur Befriedung innerhalb der sozialen Struktur.

Inhaltlich ist Macht aus Sicht des Mächtigen die Möglichkeit Dinge umzusetzen und zu gestalten. Dabei ist es unerheblich, ob für das beeinflusste Individuum selbst Konsequenzen positiver oder negativer Art aus der Machtausübung bestehen. Auch benötigt Macht zwingend weder physische noch psychische Gewalt, um zu beeinflussen. Als Möglichkeit besitzt Macht für sich genommen keine moralische Kategorie im Sinne von richtig oder falsch. Das Umsetzen und Ausnutzen von Macht kann dagegen im Ergebnis an moralischen Kategorien gemessen werden und zeigt die Ambivalenz der MachtMacht, wie sie schon Cicero treffend formuliert hat: „Ich gebe zu, dass in jeder Macht ein Element des Bösen steckt. Aber das Gute, das wir in ihr suchen, ist ohne das Böse nicht zu haben.“

Aus dem römischen Staatsverständnis lassen sich ferner auch verschiedene Facetten von Macht ableiten. Gemäß der antiken römischen Vorstellung bestimmt sich Macht aus dem Verhältnis von „(Amts-)Gewalt“ und „Ansehen“. Beides ist letztlich notwendig, um Macht zu besitzen. Diese philosophische Unterscheidung lässt sich auch sozialwissenschaftlich unterstützen. So definieren French und Raven für die heutige Zeit fünf verschiedene Stützpfeiler von Macht:

LegitimationLegitimation

BelohnungBelohnung

ZwangZwang

IdentifikationIdentifikation

WissenWissen

Der Machtpfeiler „Legitimation“ bildet in diesem Kontext auch das Bindeglied zum Begriff der Herrschaft. In der klassischen Theorie Max Webers ist Herrschaft die vom Beherrschten akzeptierte Möglichkeit zur Machtausübung. Somit kann Herrschaft auch als institutionalisierte Machtausübung verstanden werden.

Beispiel | Die Unterschiede zwischen Macht und HerrschaftHerrschaft lassen sich wie folgt verdeutlichen: In nahezu allen Herrschaftsstrukturen, bedienen sich die Herrschenden der Expertise von Beratern. Diese Berater üben zwar keine Herrschaft über eine Gesellschaft aus, sind aber in der Lage aufgrund ihres Wissens in der Lage Macht auf den Herrscher selbst auszuüben und damit dessen Herrschaft und die Geschicke einer Gesellschaft zu beeinflussen. In dieser Situation ist Wissen dann wirklich Macht. Ein weiteres Beispiel ist die Macht und Herrschaftsverteilung im Kirchenstaat während der sog. PornokratiePornokratie im 10. Jhd. In dieser Periode standen die herrschenden Päpste unter dem Machteinfluss ihrer jeweiligen Mätressen, die die Geschicke des Kirchenstaates bestimmten, ohne herrschaftlich hierzu legitimiert zu sein.

Die Gründe weshalb Beherrschte die HerrschaftHerrschaft eines anderen akzeptieren sind vielfältig. Im Wesentlichen spielen materielle und wertrationale Motive wie die Überzeugung von der ethischen Richtigkeit der Entscheidung ebenso eine Rolle wie tradierte Verhaltensmuster und der Glaube an eine gegebene Legitimität. Die Legitimität kann dabei verschiedene Ausprägungen annehmen:

rationale LegalitätLegalität

Die Überzeugung, dass die gesetzten Ordnungen und gegebenen Anweisungen richtig und legal sind.

traditionale LegitimitätLegitimität

Die Überzeugung von der universellen Gültigkeit historischer, philosophischer und theologischer Traditionen, die den Herrschenden Autorität verleihen.

charismatischeCharisma LegitimitätLegitimität

Die Überzeugung, dass der Vorbildcharakter oder Heros einer Person diese zu einem außergewöhnlichen Führer machen und seinen geschaffenen Ordnungen Gültigkeit verleihen.

Für den politischen Kontext und im Staatswesen werden solche institutionalisierten Herrschaftskonzepte als gegeben vorausgesetzt. Die einzige Ausnahme bildet dabei der AnarchismusAnarchismus dessen ideelles Wesensmerkmal die Herrschaftslosigkeit ist. Praktisch erscheint eine gelebte Herrschaftslosigkeit auch im Rahmen der vom Anarchismus propagierten Kommunen und Kollektiven schwierig. Es ist auch in diesen Strukturen denkbar, dass einer charismatischen Persönlichkeit oder Gruppe die Rolle und Funktion von Herrschaft übertragen und somit charismatische Legitimität erreicht wird.

In der Herrschaftsdiskussion im politischen Kontext eines Staates haben sich im Wesentlichen drei Strömungen der Herrschaftslehre herausgebildet. So wurden im antiken Griechenland, insbesondere von Platon und Aristoteles am Kontext der Ideenlehre entlehnte „ideale“ Herrschaftsformen entwickelt.

Im Gegensatz dazu steht das von Realismus geprägte politische Herrschaftskonzept des Machiavellismus. Dieses Niccolo Machiavelli zugeschriebene Konzept von Herrschaft steht gleichberechtigt neben Recht und Moral und wird von beiden nicht beeinflusst. Machtstreben, Machterlangung und Machterhalt als Grundlage von Herrschaft erlangen aus sich selbst heraus Bedeutung und imperative Kategorien werden allenfalls im Hinblick auf ihre Nützlichkeit bewertet. Herrschaft gilt dann als gut, wenn sie die Ziele des Herrschenden am adäquatesten verwirklicht.

In der philosophischen Neuzeit hat sich neben den beiden genannten Strömungen noch eine dritte Strömung vertragstheoretischer Natur entwickelt. So begreifen die Vertreter dieser Strömung Herrschaft als die Folge einer bewussten oder hypothetischen Übereinkunft zwischen Herrschenden und Beherrschten. Herrschaft wird durch die Vertragstreue der Beherrschten und der Herrschenden realisiert und erhalten. Die Vertragspflichten der Beherrschten sind die Unterwerfung unter das Herrschaftssystem, für welches sie von den Herrschenden Sicherheit erhalten, die durch Garantie der herrschenden Ordnung gewährleistet wird. Das Wesen des Vertrages ist unabhängig von der jeweiligen Zeit und den Umständen, es unterscheidet sich allenfalls in der Ausgestaltung der wechselseitigen vertraglichen Pflichten. Während Hobbes in seiner Weltsicht den Beherrschten durch die absolutistischAbsolutismus Herrschenden die Sicherheit vor gewalttätigen Auseinandersetzungen durch Anarchie garantiert, garantieren moderne demokratische Verfassungen und Rechtsysteme den beherrschten Bürgern bspw. Freiheits- und Eigentumsrechte.

2.2HerrschaftsformenHerrschaftsformen

In der griechischen Antike sind die ersten Übersichten für Herrschaftsformen im Sinne von staatlichen Regierungssystemen entstanden. Nach Platon ist die optimale Herrschaftsform die Aristokratie, in der idealerweise Philosophen in der nach Ständen organsierten Gesellschaft die Geschicke der Gesellschaften als Regenten lenken. Dem Gedanken, dass es immer am besten sei, dass eine Gruppe von Regenten die Geschicke bestimme, widerspricht Aristoteles. Für ihn sind Herrschaftsformen, in denen eine Einzelperson die Geschicke bestimmt aufgrund der höheren Effektivität in der Umsetzung allen Gruppenherrschaftsformen überlegen. Entscheidend sei aus seiner Sicht die Legitimation durch die Orientierung auf das Gemeinwohl im Gegensatz zur Eigennutzorientierung.

2.2.1Herrschaftsformen nach AristotelesHerrschaftsformen, Aristoteles

Zunächst sollen die Herrschaftsformen nach Aristoteles thematisiert werden. Dies erfolgt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Herrschaftsformen teilweise in ihrem Verständnis vom modernen Verständnis unterscheiden.

Anzahl der Herrscher

Fokus auf das Gemeinwohl

Fokus auf Eigennutz

einer

Monarchie

Tyrannis

einige

Aristokratie

Oligarchie

viele/Mehrheit

Politie

Demokratie

Tab. 2.1:

Herrschaftsformen nach Aristoteles

AristokratieAristokratie

Als Aristokratie gilt die Herrschaft der Tugendhaftesten und Tüchtigsten. Hier agiert die Gruppe der Besten zum Wohle der Gemeinschaft. Abseits der ggfs. mangelnden Effektivität gilt dies als beste Herrschaftsform, unabhängig davon wer im Rahmen der Bestenauslese der Gruppe der Herrschenden angehört.

DemokratieDemokratie

Für Aristoteles ist Demokratie die schlechteste aller eigennützigen Herrschaftsformen. Der Gedanke der „Schlechtigkeit“ fußt auf dem Verständnis der Demokratie als eine Herrschaftsform in der alle Menschen trotz der tatsächlichen Ungleichheit als gleich betrachtet werden. Somit können die Unvermögenden durch den Gleichheitsanspruch den Tüchtigen das Recht am Besitz des Selbsterwirtschafteten Absprechen. Darüber hinaus bedeutet die Herrschaft aller in einem eigennützigen Verständnis auch das Recht auf Ausübung der absoluten Freiheit und gefährdet somit die „Herrschaft“ bzw. Existenz des Staatswesens.

MonarchieMonarchie

Unter Monarchie versteht Aristoteles die Alleinherrschaft eines Regenten, der das Gemeinwohl seines Staates bzw. seiner Gesellschaft im Blick hat. Als Voraussetzung hierfür erachtet er die Uneigennützigkeit und Selbstgenügsamkeit. Bedeutsam ist in diesem antiken Verständnis, dass eine Monarchie keine vererblichen Herrschaftstitel vorsieht, sondern sich als altruistische „Bestenherrschaft“ versteht. Eine Legitimation erfährt die Monarchie im antiken Verständnis auch durch reale Spiegelung in einem antiken Haushalt, in dem der „Hausherr“ das alleinige Herrschaftsrecht im Sinne und Interesse der Hausgemeinschaft ausübt.

OligarchieOligarchie

Im Gegensatz zur Aristokratie herrschen in der Oligarchie nicht die tugendhaftesten und besten Einwohner, sondern die mit dem meisten Besitz. Kennzeichnend ist hier das Bestreben dieser Gruppe den Status Quo der Ungleichheit und damit den eigenen Besitzt zu erhalten und an die Nachkommen des eigenen Stands weiterzugeben.

PolitiePolitie

Im Gegensatz zur Demokratie nutzen die Herrschenden der Politie nach Aristoteles ihre Freiheits- und Gleichheitsrechte, um eine für alle vernünftige Herrschaft zu errichten und das Gemeinwohl zu fördern. In der praktischen Umsetzung wird unter Politie eine Mischform von Demokratie und Oligarchie verstanden. Diese beiden im Kern eigennützigen Herrschaftsformen tragen in der Politie zu einer Stabilisierung und damit einer Gemeinwohlorientierung bei. Das Streben nach Gleichheit und Freiheit der Demokratie wird durch das Streben nach Reichtum in der Oligarchie ausbalanciert und durch klassenbezogene Verteilung der Herrschaftsämter unterstützt.

TyrannisTyrannis

Die eigennützige Form der Monarchie ist die Tyrannis. In dieser gibt es ebenfalls einen Alleinherrscher, der allerdings nicht dem Gemeinwohl verpflichtet ist, sondern eigennützige Interessen verfolgt. Hierbei wird die Nichtwürdigkeit des Tyrannen ins Zentrum der Überlegungen gestellt.

2.2.2Heutiges Verständnis von HerrschaftsformenHerrschaftsformen, heute

Vieles im heutigen Verständnis von Herrschaftsformen beruht auf den aristotelischen Herrschaftsformen. Jedoch sind im Verlaufe der Geschichte einige Anpassungen vorgenommen worden, um eine zeitgenössische Interpretation mit der Rechtfertigung durch die antike Philosophie zu ermöglichen. Zusätzlich sind reale Herrschaftsformen oder gedachte Konstrukte entstanden, die außerhalb platonischer oder aristotelischer Kategorien stehen. Die nachfolgende Übersicht ist dabei unvollständig und soll sich auf die Herrschaftsformen beschränken, die für das Verständnis politischer Entscheidungsprozesse eine gewisse Relevanz haben. Hierbei ist nicht davon auszugehen, dass in einzelnen Staaten oder Gebietskörperschaften jede Herrschaftsform vorkommt. Entscheidend ist vielmehr in einem Herrschaftsverständnis Webers zu erkennen, durch welche Herrschaft Entscheidungen beeinflusst oder getroffen werden. Zu beachten ist ferner, dass die tatsächliche Herrschaftsausübung regelmäßig durch Mischformen erfolgt.

AbsolutismusAbsolutismus

Der Absolutismus beschreibt eine Herrschaftsform in dem die Herrschaftsgewalt in einer einzelnen Person vereint ist. Diese Person kann die Herrschaft über die Beherrschten ohne Beeinträchtigung oder Beeinflussung von anderen Gruppen oder Personen ausüben.

AnarchieAnarchie

Anarchie ist die Abwesenheit von Herrschaft in sozialen Strukturen und Gesellschaften. Wesen dieser Herrschaftsform ist, dass sie im eigentlichen Sinne keine beherrschenden Strukturen kennt. Um dennoch eine soziale Strukturierung zu ermöglichen, setzt die Anarchie auf die ungesteuerte Selbststeuerung von sozialen Gruppen.

AristokratieAristokratie

Im Gegensatz zum aristotelischen Verständnis bezeichnet die Aristokratie als reale Herrschaftsform einen Zustand, in dem die Herrschaftsgewalt in der Hand von sog. Adeligen oder anderen besonders herausgehobenen Gruppen liegt. Solche Gruppen bildeten in der Historie z. B. Patrizier aber auch Kleriker. Erstere waren für die städtischen Gesellschaften in Norditalien oder im Bereich der Hanse von immenser Bedeutung. Diese Gesellschaften wurden in vielen Fällen nicht vom Erbadel, sondern im weitesten Sinne vom „Geldadel“ regiert. Zusammenfassend lassen sich alle Gruppen mit hohem gesellschaftlichem Einfluss als eine Ausprägung des Adelsprinzips bezeichnen. Sie müssen nicht notwendigerweise, wie von Aristoteles postuliert, die Besten oder Tugendhaftesten sein.

AutokratieAutokratie

In autokratischen Herrschaftsstrukturen herrschen Personen oder Personengruppen mit der Berechtigung aus sich selbst heraus. Es gibt in dieser Herrschaftsform keine aus der Staatsverfassung resultierende Beschränkungen in der Herrschaftsausübung. Umgangssprachlich wird der Begriff auch als Gegensatz zur Demokratie verwendet.

BürokratieBürokratie

Eine Herrschaftsform in der sich die Beherrschten keinen Personen oder Personengruppen, sondern festgelegten Anweisungen und Vorschriften unterordnen, wird Bürokratie genannt. In dieser wird der Mensch vom handelnden Subjekt zum bloßen Objekt der Herrschaft von allgemein gültigen und dokumentierten Grundsätzen. Bürokratien sind daher frei von Willkür und gelten als rational neutral jedoch unmenschlich.

DemokratieDemokratie

Gesellschaften in der alle Mitglieder am Herrschaftsprozess beteiligt sind, werden als Demokratien bezeichnet. Dieser Prozess wird regelmäßig durch Wahlen ausgeübt. In der Praxis wird hier zwischen direkter Demokratie und repräsentativer Demokratie unterschieden. In Ersterer werden alle Entscheidungen eines Staates wie in der Schweiz per Abstimmung entschieden. Letztere ist durch die Wahl der Entscheidungsträger gekennzeichnet, die final die Entscheidungen als Repräsentanten des Wählers treffen.

In der repräsentativen Demokratie wird ferner zwischen folgenden Systemen unterschieden:

PräsidialsystemPräsidialsystem

Semi-​PräsidialsystemPräsidialsystem

parlamentarisches SystemParlamente

Im Präsidialsystem agiert die Regierung bzw. der herrschende Regent unabhängig von parlamentarischen Regularien und werden parallel zum Parlament direkt gewählt. Regelmäßig kann das Parlament in diesem System ein Amtsenthebungsverfahren einleiten.

In einem Semi-​Präsidialsystem, wie es zum Beispiel in Frankreich existiert, wird die Regierungsgewalt auf zwei Säulen verteilt. Eine dieser Säulen wird direkt gewählt und kann unabhängig vom Parlament agieren, während die andere Säule durch das Parlament bestimmt wird.

Demgegenüber sind Regierungen in parlamentarischen Systemen in dieses eingebunden und werden nicht direkt und parallel gewählt, sondern aus dem Parlament heraus bestimmt. In diesen Systemen hat das Parlament einen starken Einfluss auf die Ausgestaltung der Regierung und kann diese durch Wahlen stützen oder beseitigen.

DespotismusDespotismus

Herrschende in einem despotischen System können absolutistisch agieren und sind niemandem Rechenschaft schuldig. In Abgrenzung zum AbsolutismusAbsolutismus und der AutokratieAutokratie zeichnet sich der Despotismus als Herrschaftsform durch die bewusste Inkludierung von Willkürentscheidungen als Machtinstrument aus.

DiktaturDiktatur

Wesentlich für die Diktatur ist die Person des Diktators bzw. das Vorliegen einer herrschenden Gruppe mit einer nahezu unbeschränkten Machtfülle. In ihrer klassischen Bedeutung ist die Diktatur weitgehend wertneutral und es wird keine Aussage über die ethische Bewertung derselben getroffen. Sie findet teilweise sogar verfassungsgemäße Anwendungen in Demokratien. Viele demokratische Gesellschaften verfügen über Notstandsverordnungen oder -gesetze, die jedoch idealerweise nur vorübergehend Geltung erlangen. Problematisch werden Diktaturen immer dann, wenn ihr keine temporalen oder bedingten Schranken auferlegt werden.

FeudalismusFeudalismus

Feudalismus ist weniger eine Herrschaftsform als eine Herrschaftsstruktur. In dieser vergibt der Lehnsherr seinen Gefolgsleuten ein Lehen zur eigenen Bestellung. Durch das Lehen soll sichergestellt werden, dass die Gefolgsleute die Herrschaft des Lehensherrn anerkennen. Diese Gefolgsleute wiederum haben eine abgeleitete Herrschaftsgewalt über die Einwohner im Bereich des Lehens. Diese wiederum erhalten für die Akzeptanz der Herrschaft den Schutz des Lehensherrn und seiner Gefolgsleute. Der entscheidende Vorteil für den Lehensherrn ist die Möglichkeit, die Verwaltung des Herrschaftsbereiches auf mehrere Schultern zu verteilen und sich auf die bezogenen Erträge zu konzentrieren. Nachteilig ist jedoch hier die strukturelle wechselseitige Abhängigkeit.

GerontokratieGerontokratie

Die mit Herrschaft der Alten übersetzte Gerontokratie ist eine Herrschaftsform, in der die Entscheidungsgewalt in der Hand des oder der Ältesten liegt. Praktisch relevant wird dies vor allem in abgelegenen oder abgeschotteten Dorfgemeinschaften, wie sie teilweise in Afrika oder Asien zu finden sind.

HäuptlingstumHäuptlingstum

Als archaische Herrschaftsform ist das Häuptlingstum vor allem in Stammesgesellschaften verbreitet. So galt es nahezu weltweit bis zum Eintreffen von Vertretern selbsternannter zivilisierter Gesellschaften. Kennzeichnend für das Häuptlingstum ist, dass eine nach außen sichtbare Überlegenheit einer zumeist männlichen Person den Herrschaftsanspruch manifestiert. Diese Überlegenheit kann sich beispielsweise aus Alter, Ansehen oder physiologischer Stärke speisen.

KleptokratieKleptokratie

In einer Kleptokratie bereichern sich die Herrschenden entweder selbst oder ihre Günstlinge mit dem Zugriff auf die Besitztümer der Beherrschten. Voraussetzung für die Bereicherung ist hierbei die Möglichkeit einer willkürlichen Verfügungs- oder Herrschaftsgewalt.

KorporatokratieKorporatokratie

Als Korporatokratie wird eine Herrschaftsform verstanden, in der die Entscheidungsgewalt über das Wohl und Wehe einer Gesellschaft in der Hand von Konzernen liegt. Häufig wird diese Form der Herrschaft in Bezug zur Globalisierung und dem GlobalismusGlobalismus gesetzt und als Beleg wird angeführt, dass multinationale Konzerne durch staatliche Eingriffe nicht mehr zu steuern sind.

MatriarchatMatriarchat

Im Matriarchat liegt die Herrschaftsgewalt über eine soziale Gruppe in der Hand von Frauen. Die Legitimation dieser Herrschaft resultiert aus der Rolle als Mutter bzw. in einem erweiterten Verständnis aus Weiblichkeit generell. In derart organisierten Gesellschaftsformen wird nicht nur die herrschende Klasse aus weiblichen Mitgliedern gebildet, Frauen verfügen in Ihnen auch über einen höheren sozialen Status.

MonarchieMonarchie

In der Monarchie liegt die Herrschaftsgewalt über einen Staat in der Hand eines durch Wahl oder Erbfolge bestimmten Herrschers. Kennzeichnend für diese Herrschaftsform ist die nicht vorhandene zeitliche Begrenzung des Herrschaftsanspruchs. Das heißt ein Monarch herrscht bis zu seinem Tod oder dem selbstgewählten Verzicht auf den Herrschaftsanspruch durch Abdankung.

Die Machterlangung durch Erbfolge wird regelmäßig durch religiöse oder sakrale Rechtfertigungen begründet. Alternativ dient auch die historisch gewachsene und tradierte Macht einer Familie als Begründung. Demgegenüber werden die Herrschenden in Wahlmonarchien durch einen in der Regel beschränkten Wählerkreis bestimmt. Ebenso wie der Kreis der Wähler ist auch der Kreis der Kandidaten meist eingeschränkt. Eine der längsten Wahlmonarchien der Geschichte war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. In diesem kürten die Kurfürsten den Regenten durch Wahl. Heutzutage ist die vermutlich bekannteste Wahlmonarchie der Vatikanstaat, in dem die Kardinäle die Rolle der Kurfürsten einnehmen und einen Vertreter aus ihrer Mitte zum Papst und damit auch zum Herrscher über den Staat wählen.

In Bezug auf das Staatswesen wird ferner noch eine weitere Unterscheidung von Monarchien im Hinblick auf die Beschränkungen der Machtfülle des Monarchen vorgenommen. So werden absolute Monarchien von konstitutionellen und parlamentarischen Monarchien abgegrenzt. Erstere beschränkt die Macht des Monarchen nicht. Der Monarch herrscht absolut über sein Herrschaftsgebiet. In den beiden anderen Formen wird seine Macht beschränkt. Am weitesten geht die Beschränkung in der parlamentarischen Monarchie. In dieser Herrschaftsform liegt die praktische Herrschaftsmacht in der Hand des Parlamentes und der Monarch verfügt vor allem über repräsentative und zeremonielle Aufgaben. Darüberhinausgehende Machtansprüche sind ihm vom Parlament zugeteilt, auf das er selbst keinen Einfluss hat. Demgegenüber besitzt er in einer rein konstitutionellen Monarchie über eigenständige vom Parlament unabhängige in der Staatsverfassung niedergelegte Rechte. Im Gegensatz zur parlamentarischen Monarchie ist der Monarch in der konstitutionellen Monarchie mit unterschiedlichen Einflussgraden in die Staatsgeschicke und Geschäfte der Regierungen eingebunden.

OligarchieOligarchie

Das moderne Verständnis von Oligarchie beruht auf der aristotelischen Interpretation. In dieser Herrschaftsform liegt die Herrschaftsgewalt in der Hand einiger weniger Personen, die zur sog. Machtelite gezählt werden. Dabei kann die Machtbasis der Oligarchen unterschiedlich sein. Sie kann auf Reichtum ebenso beruhen wie auf Machtpositionen in der Verwaltung oder anderen Möglichkeiten der Beeinflussung von Regierungsentscheidungen.

OchlokratieOchlokratie

Die von Polybios eingeführte Ochlokratie entspricht der Demokratie im aristotelischen Verständnis und ist somit in der moralischen Bewertung aufgrund der Eigennützigkeit der Herrschenden negativ besetzt. Sie bezeichnet im modernen Herrschaftsverständnis die Herrschaft des Pöbels und somit des sog. einfachen Volks als negative Abgrenzung zur Herrschaft des gesamten Volkes in der DemokratieDemokratie.

PatriachatPatriachat

Gesellschaften, in denen die Väter uneingeschränkt über ihre Nachkommen und über die Familie herrschen können, werden als patriarchisch klassifiziert. Im weitesten Sinne stellt das Patriachat eine aus der Vaterrolle abgeleitete Herrschaftslegitimation von Männern dar.

PlutokratiePlutokratie

In der Plutokratie ist der Reichtum die entscheidende Herrschaftsvoraussetzung. Im Gegensatz zu anderen ähnlichen Herrschaftsformen wie Oligarchie oder Timokratie kann der Reichtum nicht durch andere Ressourcen ersetzt werden. Somit ist Plutokratie eine Sonderform der beiden anderen Herrschaftsformen.

PornokratiePornokratie

Pornokratie oder Mätressenherrschaft bezeichnet eine Herrschaftsform, in der die wirkliche Macht über eine Gesellschaft und deren Geschicke nicht bei dem eigentlich legitim Herrschenden liegt, sondern bei dessen Geliebten. Historisch wird die Herrschaftsform im Kirchenstaat in der ersten Hälfte des 10. Jhd. so bezeichnet. In Reinform ist diese Herrschaftsform nicht mehr zu finden, sie steht jedoch sinnbildlich für die Möglichkeit der im weitesten Sinne „emotionalen“ Beeinflussung von Entscheidungsträgern und deren Entscheidungen.

StratokratieStratokratie

In einer Militärregierung (Stratokratie) geht die herrschende Staatsgewalt entweder direkt von militärischen Institutionen aus oder wird durch diese wesentlich beeinflusst. Eine Stratokratie, die den Militärs eine absolutistische Machtposition einräumt, wird landläufig als Militärdiktatur bezeichnet. Militärregierungen sind im geschichtlichen Kontext häufig anzutreffen, da dies eine Art „Regelherrschaft“ in den besiegten Territorien einer unterlegenen Kriegspartei darstellt. Darüber hinaus resultieren aus Bürgerkriegen und Putschen zunächst regelmäßig Militärregierungen, die erst nach und nach in andere Herrschaftsformen überführt werden.

TechnokratieTechnokratie (auch ExpertokratieExpertokratie)