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"Leg dich ruhig hin. Ich lege dir Anabelle auf den Bauch. Das ist das Größte überhaupt. Du wirst sehen." Ronny ist unsterblich in Birgit verknallt, aber die will nichts von ihm wissen. Um sich abzulenken, aber auch um Birgit zu imponieren, kauft er sich mehrere Schlangen. Als Birgit sich durch einen Trick in Ronnys 'Schlangenhöhle' locken lässt, erkennt sie zu spät, worauf sie sich eingelassen hat … Ein Junge, dessen Liebe verschmäht wurde, entwickelt sich immer mehr zum Psychopathen – und kaum einer merkt es. Die Geschichte beginnt, als Ronny 13 Jahre alt ist, aber bis er in der Psychiatrie landet, vergehen viele Jahre. +++ Ein hochgiftiger Psychothriller für junge Erwachsene.
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Seitenzahl: 384
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Anita Jurow-Janßen
Anita Jurow-Janßen Toxicus
© 2017 Anita Jurow-Janßen E-Mail: [email protected] Website: www.anita-jurow-janssen.de Alle Rechte vorbehalten
Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de Lektorat: Juliane Trebus, Berlin Cover: Michael Kusmierz, Dangast
Anita Jurow-Janßen, geboren 1952 in Varel, Niedersachsen, machte ihre Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Nach einem Jahr als Stenotypistin in einer Maschinenfabrik wechselte sie zum Amtsgericht und arbeitete dort in verschiedenen Abteilungen bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2015. Seitdem lebt sie in Oldenburg.
2007 begann sie mit dem Schreiben und hat neben Kurzgeschichten und Gedichten bisher drei Romane veröffentlicht.
2011
„Wie das Leben so spielt“
Isensee Verlag Oldenburg
ISBN: 978-3-89995-770-9
2012
„Johanna und David – Eine bittere Liebe“
Noel-Verlag – Oberhausen/Obb
ISBN: 978-3-942802-75-8
2014
„Geliebter Schläger“
Südwestbuch Verlag, Stuttgart
ISBN: 978-3-944254-81-3
„Leg dich ruhig hin. Ich lege dir Anabelle auf den Bauch. Das ist das Größte überhaupt. Du wirst sehen.“
Ronny ist unsterblich in Birgit verknallt, aber die will nichts von ihm wissen. Um sich abzulenken, aber auch um Birgit zu imponieren, kauft er sich mehrere Schlangen. Als Birgit sich durch einen Trick in Ronnys „Schlangenhöhle“ locken lässt, erkennt sie zu spät, worauf sie sich eingelassen hat …
Ein Junge, dessen Liebe verschmäht wurde, entwickelt sich immer mehr zum Psychopathen – und kaum einer merkt es. Die Geschichte beginnt, als Ronny 13 Jahre alt ist, aber bis er in der Psychiatrie landet, vergehen noch viele Jahre.
Ein hochgiftiger Psychothriller für junge Erwachsene.
Es fing alles ganz harmlos an. Keine Ahnung, wodurch es letztendlich eskalierte. Ich bin dabei, das herauszubekommen, und beginne mal ganz von vorn. Ich sitze hier in einer Art Zelle in der Psychiatrie. Professor Grundloos will, dass ich meine Geschichte aufschreibe, damit ich vielleicht selbst drauf komme, was mit mir los ist. Ob das wohl klappt? Einen Versuch mag es ja wert sein.
Also fange ich mal an: Ich war gerade dreizehn Jahre alt, als ich mich unsterblich in Birgit verknallte. Sie war sehr groß, viel größer als ich, obwohl sie auch dreizehn war und mit mir in dieselbe Klasse ging. Leider himmelten alle anderen Klassenkameraden sie auch an, und ich rechnete mir keine Chancen aus. Als Einzelgänger wurde ich von den meisten aus der Klasse gemieden. Meine Eltern waren beide bei einem großen Elektrokonzern beschäftigt und kamen erst spät abends nach Hause. Geschwister habe ich keine, so sehr ich mir eine Schwester, meinetwegen auch einen Bruder, wünschte, die ich mal hätte um Rat bitten können.
Das Unglaubliche geschah, als ich Birgit fragte, ob wir uns mal bei mir zu Hause treffen könnten. Sie sagte Ja. Ich dachte, ich hätte einen Stern vom Himmel geholt, so glücklich war ich. Aber die Ernüchterung folgte schon, als sie dann tatsächlich kam. Allein ihr Blick, als sie unser Haus in Oldenburg betrat, sagte schon alles. Nichts war ihr gut genug, und als ich die Spielkonsole aus der Kommode holte, auf die ich besonders stolz war, und sie zum Mitmachen aufforderte, lachte sie schallend.
„Was, mit dem Ding? Nein danke. Da geh ich lieber zu Sebastian, der hat einen neuen Computer. Ihr habt ja noch nicht mal einen vernünftigen Fernseher. Ich dachte, deine Eltern arbeiten bei Elektra.“
Bevor ich antworten konnte, dass meine Eltern sich für das Haus abrackerten, das immerhin irgendwann unseres sein würde, war sie schon mit einem verächtlichen Grinsen aus der Tür verschwunden.
Ich war bitter enttäuscht, schluckte aber die Tränen, die aufzusteigen drohten, herunter, und eine ungeheure Wut machte sich in mir breit. Sie hatte mich ausgelacht!
Von diesem Tag an war ich nicht mehr derselbe. Ich verschanzte mich zu Hause und zog mich noch mehr von den Mitschülern zurück. Videos und Spiele, in denen es nur darum ging, Feinde abzuknallen, wurden zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Als meine Eltern informiert wurden, dass ich kaum noch in die Schule ging, war schon fast alles zu spät. Ich sollte von der Schule fliegen. Nur die Überredungskünste meiner Mutter und die Tatsache, dass meine Eltern mit unserem Direx befreundet waren, verhinderten das Schlimmste. Ich musste die Klasse wiederholen, aber das war mir egal. Jetzt sah ich Birgit wieder täglich auf dem Schulhof, und meine Sehnsucht entflammte erneut. So sehr ich mich auch ablenkte, sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich wollte sie für mich haben. Unbedingt.
Die Jahre vergingen. Durch Zufall sah ich eine Sendung über Schlangen im Fernsehen. Ich war sofort begeistert von den eleganten Reptilien und beschaffte mir heimlich eine Kornnatter, die ich versteckte. Es war klar, dass meine Eltern mir das niemals erlauben würden. Nattern sind ungiftig, mich reizten aber immer mehr die giftigen Schlangen. So folgten eine grüne Mamba und zwei Vipern.
Ich heiße übrigens Ronald Feller, aber alle nennen mich Ronny.
„Birgit und ich möchten unseren Geburtstag zusammen feiern. Ist das okay?“ Sanne sah ihre Mutter flehend an.
„Aber Sanne, ich dachte, wir feiern unten am See. Die ganze Familie freut sich schon darauf.“
„Ach Mama, bitte, ich hab nur durch Birgit die Möglichkeit, mit Freunden zu feiern. Ich … ich …“
„Was ich? Was meinst du?“
„Hm ... ich hab mich verknallt. In Ben. Bitte, lass mich bei Birgit feiern. Das ist meine einzige Chance.“
„In Ben? Birgits Bruder? Der ist doch viel älter als du.“
Gunda Schönewald, Sannes Mutter, sah ihre Tochter aus den Augenwinkeln an. Der Anblick war kein schöner. Sanne, die eigentlich Susanne hieß, litt seit Jahren unter Fettsucht. Gunda hätte sich schon daran gewöhnen müssen, wie ihre Tochter aussah, aber es tat ihr jedes Mal aus tiefstem Herzen weh. Alle Bemühungen, die Krankheit in den Griff zu bekommen, waren bisher gescheitert. Sanne sah aus wie eine Sumoringerin, aber sie war sensibel wie ein Kaninchen und hatte ein Gesicht wie eine wunderhübsche Prinzessin aus einem Märchenbuch. Gunda seufzte. Sie konnte ihrer Tochter so gut wie nie etwas abschlagen – und in diesem Fall?
„Wieso viel, nur fünf Jahre. Das ist doch nicht viel.“
„In deinem Alter ist das eine ganze Menge.“
„Mama, bitte!“
„Also gut, Kind. Ich werde mit Papa reden. Vielleicht ist er ja einverstanden.“
„Oh, danke, Mama, ich hab dich so lieb!“
Sanne umarmte ihre Mutter stürmisch, sodass die zarte Frau unter ihr ins Wanken geriet.
„Bitte lass mich leben!“, lachte Gunda.
***
„Du, Michael, Sanne möchte so gern mit Birgit ihren Geburtstag feiern. Was meinst du?“
Michael Schönewald sah von seiner Zeitung auf. Es war Samstag, und da er frei hatte, schien die Gelegenheit günstig zu sein, ihn von Sannes Wunsch zu überzeugen. Gunda sah ihn bittend an.
„Aber wir wollten doch am See …“
„Ich weiß“, unterbrach sie ihn, „aber sie hat sich verknallt, in Ben, Birgits Bruder.“
„Na, dann wohl erst recht nicht. Das kann doch nur eine Enttäuschung werden. Oder meinst du wirklich, dass der sich mit unserer Tochter abgibt? So wie der aussieht. Das glaubst du ja selbst nicht! Ist der nicht auch viel älter?“
„Michael, wir haben eine sehr hübsche Tochter, und Ben ist ein lieber Junge. Ich mag ihn. Ich mag ihn sogar lieber als Birgit.“
„Wieso? Was hast du denn plötzlich gegen Birgit?“
„Ich habe nichts gegen Birgit, aber sie ist manchmal richtig kratzbürstig. Findest du nicht?“
„Ist mir noch nicht aufgefallen. Zu mir ist sie immer ganz höflich.“
„Ist doch jetzt unwichtig. Ich denke, wir sollten Sanne den Wunsch erfüllen. Wir werden meine Eltern an einem anderen Tag ins Haus am See einladen. Denen ist das wahrscheinlich ziemlich egal. Und ob Erik sich an diesem oder einem anderen Tag mit Opa herumplagen muss, ist ihm bestimmt auch schnuppe.“
Erik, Sannes Bruder, ein drahtiger kleiner Kerl, elf Jahre alt, spielte lieber mit seinen Freunden, als sich von seinem Opa maßregeln zu lassen. So lieb er seine Oma hatte, sein Opa, ein knurriger alter Herr, hatte ständig etwas an ihm herumzumeckern.
Michael schien in sich hineinzuhorchen. Es dauerte eine Weile, bis er sagte: „Werden sie Erik denn zur Party einladen?“
„Wohl kaum. Er ist zu jung.“
„Na gut. Vielleicht hast du recht. Sollen sie doch bei Birgit feiern. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.“
Gunda war aufgestanden, stellte sich hinter Michaels Stuhl und umarmte ihn von hinten.
„Danke. Ich liebe dich. Du bist der Beste“, raunte sie und küsste sein rechtes Ohr.
„Na dann!“ Michael grinste versöhnlich.
***
Ben Giese saß in seinem Zimmer am Schreibtisch vor dem Fenster. Die Hausarbeit, die er für die Uni Oldenburg schreiben musste, war anstrengend. Er saß schon einige Stunden vor dem Laptop und brauchte dringend eine Pause. Es war schwül in seinem Zimmer. Obwohl die Räume hoch und die Fenster geöffnet waren, hatte sich die sommerliche Hitze inzwischen im ganzen Haus breitgemacht. Ben konnte von seinem Fenster aus die ganze Auffahrt bis zur Straße einsehen. Er liebte den Blick in den Garten, der hin und wieder von einem Gärtner gepflegt werden musste, weil er so riesig war. Die Villa am Stadtrand von Oldenburg gehörte schon seit mehr als hundert Jahren seiner Familie und sah von der Straße wie ein altes Gemälde in einem Rahmen aus Büschen und Bäumen aus.
Ben seufzte. Er musste sich ranhalten, denn der Abgabetermin für die Arbeit war morgen. Er wollte gerade weitermachen, als er Birgit und Sanne heftig diskutierend die Auffahrt heraufkommen sah. Bei dem Bild, das sich ihm bot, fing er an zu grinsen. Unterschiedlicher konnten Mädchen wohl nicht aussehen. Seine Schwester war ein langes, dürres Elend, die Haare aschblond und heute zu einem Pferdeschwanz gebunden. Wie immer war sie die Rädelsführerin, während Sanne hin und wieder zu ihr aufsah und überwiegend zuhörte. Sanne sah von Weitem aus wie ein angezogener riesiger Medizinball. Allerdings umspielte ihr kastanienbraunes Haar in Wellen ihr Kinn und schien sogar aus dieser Entfernung zu leuchten. Ben mochte sie. Sie war nicht annähernd so zickig wie seine Schwester, mit der er sich eigentlich immer nur stritt. Die Mädchen waren jetzt im Hausflur zu hören, in dem sie sich wahrscheinlich die Schuhe auszogen. Sie sprachen über die bevorstehende Geburtstagsparty, die derzeit das über alles hinausragende Familienthema war. Gerade wollte er hinunterrufen, dass die Mädchen ihm einen Tee mitmachen sollten, als er eine Gestalt auf der Auffahrt bemerkte. Er beugte sich näher an die Fensterscheibe, um diesen Jemand vielleicht erkennen zu können. Als ob derjenige Ben bemerkt hätte, versteckte er sich hinter einem großen Rhododendron, der neben vielen weiteren die Auffahrt säumte. Ben stutzte. Sollte er hinlaufen und nachschauen? Bis dahin hätte der Typ längst das Weite gesucht. Er ging hinunter zu den Mädchen. Vielleicht hatten sie ja etwas bemerkt. Sanne sah ihn mit strahlenden Augen an. Wie hübsch sie ist!
„Sagt mal, ist euch vielleicht jemand gefolgt?“
Birgit blickte wenig interessiert auf. Sie hatte nur ihre Party im Kopf. „Wieso? Nö, wer sollte uns schon folgen?“
„Ich habe jemanden gesehen, der hinter dem Gebüsch an der Auffahrt verschwunden ist, als ihr ins Haus gegangen seid.“
Sanne, die Ben nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, erwiderte erstaunt: „Wirklich? Und du weißt nicht, wer das war?“
„Ich konnte ihn nicht erkennen. Er war zu schnell verschwunden.“
„Aber ein Junge war es?“
„Ja, glaub ich schon. Oder ein Mann. Jedenfalls keine Frau.“
„Wollen wir nicht mal nachsehen?“
„Quatsch, der ist doch längst über alle Berge. Wahrscheinlich hat der nur da gepinkelt“, mischte Birgit sich ein.
Sanne sah zweifelnd von einem zum anderen.
Ben spürte, dass sie sehr verunsichert war. Er wollte sie beruhigen und sagte: „Ist wohl nicht so wichtig. Wahrscheinlich hat Birgit recht. Macht ihr mir einen Tee mit? Ich muss dringend weiterarbeiten.“ Schnell drehte er sich um und eilte zur Treppe.
Ich glaub das nicht. Dass der nur pinkeln wollte. Als er oben angekommen aus dem Fenster sah, konnte er niemand mehr entdecken.
***
Ronny hatte Birgit und Sanne von der Schule aus verfolgt. Es war nicht das erste Mal gewesen. Bisher war er unbemerkt geblieben. Die Mädchen hatten heute auf dem Schulhof Einladungen verteilt, aber er war mal wieder übergangen worden. Wie er herausbekam, ging es um eine Geburtstagsparty. Es schmerzte, dass er so oft ignoriert wurde. Eigentlich war er nur an Birgit interessiert. Aber Sanne klebte ständig an ihren Hacken. Jetzt bogen die beiden in die Einfahrt zu Birgits Elternhaus ein. Bevor er sich an seinen Beobachtungsposten begeben konnte, bemerkte er, dass jemand von einem der oberen Fenster genau in seine Richtung starrte.
„Scheiße, der hat mich gesehen!“ Schnell sprang er zur Seite hinter einen großen Busch. Sein Herz pochte. Ich verpiss mich lieber, bevor noch jemand herkommt. Ich muss irgendwie auf die Fete. Lukas muss mich einschleusen. Ich muss nachdenken, wie wir das anstellen. Aber jetzt muss ich erst mal meine Schlangen versorgen.
„Hallo meine Süßen, ihr habt sicher Hunger?“
Anabelle, Ronnys Lieblingsschlange, eine fast orangefarbene Kornnatter, zischte ihn mit der gespaltenen Zunge an, als er in ihr Terrarium sah. Sie glitt von ihrem Baumstamm herunter und schlängelte sich zum Sichtfenster, als ob sie Ronny begrüßen wollte.
„Du bist genauso schön wie Birgit“, sagte Ronny liebevoll und nahm die Schlange aus dem Käfig. Anabelle kringelte sich um seinen Nacken. Ein angenehmes Kribbeln durchzog seinen Körper. Er war inzwischen ein großer kräftiger Bursche geworden und überragte fast alle seine Mitschüler. Er hatte die gleiche Figur wie sein Vater, nur dass der nicht ganz so groß war. Auch dessen braune Augen und die braunen Haare, die ihm immer wieder in die Stirn fielen, hatte er von seinem Vater geerbt. Nachdem er die anderen Schlangen, zwei Vipern und eine grüne Mamba, gefüttert hatte, legte er sich mit Anabelle aufs Sofa und zog seine Hose herunter.
„Ja … Anabelle, weiter so, weiter so.“ Er stöhnte, während Anabelle sich auf seiner nackten Haut hin- und herwand. Sein Glied schien vor Erregung zu bersten. Nachdem er gekommen war, legte er Anabelle zurück in ihr Terrarium. Er warf einen Blick auf seine Giftschlangen. Die grüne Mamba hatte er „Birgit“ getauft. Voller Wehmut dachte er jetzt an die andere Birgit. Er musste sie haben. Nur durch sie konnte er wirklich zur Erfüllung kommen.
***
Nachdem Sanne und Birgit in der Pause die Einladungen zu ihrer Geburtstagsparty verteilt hatten, bekam Sanne ein schlechtes Gewissen. Ronny hatte an der Hauswand der Schule gelehnt und sie und ihre Freundin beobachtet.
Das Gefühl, Außenseiter zu sein, kannte sie nur zu gut. Dass sie nirgends ausgeschlossen wurde, hatte sie nur Birgit zu verdanken. Anfangs machten alle Klassenkameraden wegen ihrer Fettsucht einen großen Bogen um sie, und das tat weh.
Auf dem Rückweg in ihr Klassenzimmer sprach sie Birgit auf Ronny an. „Meinst du nicht, dass wir ihn auch hätten einladen sollen? Er sah so traurig aus. Ich glaube, er hat mitbekommen, dass er nicht dabei sein soll.“
Birgit sah sie empört von der Seite an und blieb abrupt stehen.
„Spinnst du? Der hat sie doch nicht mehr alle. Der hätte mir gerade noch gefehlt.“
Sanne erschrak. Mit einer derartigen Abwehr hatte sie nicht gerechnet.
„Aber er tut mir leid. Er ist sicher sehr unglücklich. Sonst wäre er nicht so ein Außenseiter.“
Birgits Augen waren immer größer geworden. „Außenseiter? Ein Spinner ist der. Und ein Spanner noch dazu. Er hat vor unserem Haus gestanden und in mein Zimmer geglotzt. Und du nimmst den auch noch in Schutz!“
„Was? Das hast du mir ja gar nicht erzählt.“
„Ich hab es nicht so wichtig genommen.“ Birgit war weitergelaufen und sah sie etwas schuldbewusst von der Seite an. „Es war ja auch nur ein Mal. Ich hab es wohl vergessen dir zu sagen. Tut mir leid. Ist aber auch schon eine Weile her.“
Sanne war jetzt stehen geblieben und sah Birgit ungläubig hinterher. „Vergessen?“ rief sie. „Wie lange ist das her? Wann war das?“
Birgit drehte sich um. „Weiß ich nicht mehr so genau. Komm jetzt! Nicht sehr lange. Ich will ihn jedenfalls nicht auf meiner Party haben.“
„… Aber … war der das, der schon mal auf der Auffahrt stand? Du weißt, als Ben jemanden gesehen hat?“
„Kann sein. Hab ich auch schon dran gedacht. Aber wissen tue ich es nicht. Ist mir eigentlich auch egal.“
„Sag mal! Das ist doch nicht egal. Frag ihn, was das soll!“
„Du spinnst. Der kann mich mal.“
„Aber …“ Sanne sah Birgit fassungslos an. „Hast du wenigstens mit Ben darüber gesprochen?“
„Wieso mit Ben? Der geht mir doch so schon jeden Tag auf den Keks.“
„Und deine Eltern? Wissen die das?“
„Quatsch. Was sollen die denn schon machen? Die Auffahrt ist so lang. Wenn jemand hinläuft, ist der doch längst verschwunden.“
„Vielleicht hätten sie die Polizei informiert.“
„Das fehlte noch. So ’n Aufwand für den Spinner.“
„Bist du denn sicher, dass Ronny das war?“
„Klar bin ich sicher. Ich hab ihn genau erkannt. Er hatte ein Fernglas dabei. Der kann doch von da aus genau in mein Zimmer glotzen. Ich hab extra die Gardinen aufgezogen, damit er merkt, dass ich es weiß. Ich hab mich in Pose gestellt.“
Birgit kicherte. Sanne sah sie mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an.
„Ich glaub, du bist verrückt geworden.“
Birgit umfasste Sannes Schultern und zog sie an sich, so weit das bei ihrem Umfang möglich war.
„Nur keine Panik“, sagte sie lachend.
„Was soll der mir schon tun?“
***
Ronny machte sich auf den Weg zu Lukas Schröder. Sein Fahrrad war kaputt und er fluchte, weil er laufen musste. Bei der Hitze kam ihm der Weg in die Innenstadt von Oldenburg, in der Lukas mit seinen Eltern wohnte, doppelt so lang vor. Er überlegte, wie er Lukas überreden könnte, ihn zu Birgits Party mitzunehmen. Nachdem er an Lukas’ Wohnungstür geklingelt hatte, öffnete dessen Mutter und er fürchtete einen Augenblick, dass Lukas nicht zu Hause wäre. Aber sie begrüßte ihn freundlich und schickte ihn in Lukas’ Zimmer. Lukas sah überrascht von seinem Schreibtisch auf, als er plötzlich vor ihm stand.
„Was machst du denn hier?“, fragte er etwas unfreundlich.
„Hi, Lukas! … Na ja, ich will nicht lange rumreden, du bist doch auf Birgits Fete eingeladen und … ich muss unbedingt mit.“
„Wieso, bist du nicht eingeladen?“
„Nee, wohl nicht, sonst würde ich nicht fragen. Aber … ich bin scharf auf die Kleine. Kannst du mich nicht einfach mitnehmen?“
Lukas sah wenig begeistert aus. „Also, ich weiß nicht … Wie soll das gehen?“, fragte er.
„Weiß ich noch nicht so genau. Aber ich muss unbedingt mit.“
„Nee, also, das kann ich nicht machen.“
„Was heißt das? Du bist mir noch etwas schuldig. Vergessen?“
Lukas sah Ronny aus den Augenwinkeln an. „Du meinst wegen der Natter?“
„Genau. Du warst so scharf darauf, eine zu bekommen, und ich habe dir eine besorgt. Obwohl deine Eltern das nicht wollten“, ergänzte er. „Was ist überhaupt aus der Kleinen geworden?“
„Ich hab sie im Schuppen versteckt. Mein alter Herr hat’s noch nicht geschnallt. Das darf er auch nicht. Er würde ausrasten.“
„Ist mir auch eigentlich schnuppe, wie du das mit der Schlange hinkriegst. Jedenfalls habe ich noch was gut bei dir.“
„Ich hab ja auch nichts dagegen, dass du mitkommst. Aber wie soll ich Birgit das erklären?“
„Brauchst du nicht. Hauptsache, ich komme mit rein.“
Lukas zögerte. Er sah Ronny unsicher an.
„Na gut. Irgendwie wird das schon gehen. Aber dann musst du mir noch eine Viper besorgen oder eine andere Giftschlange.“
Ronny atmete auf. „Geht in Ordnung. Ich werde sehen, was sich machen lässt.“
***
Die lange Auffahrt, der Eingangsbereich sowie das ganze Haus erstrahlten in einem so prunkvollen Licht, dass jeder Gast erst einmal stehen blieb und tief Atem holte, bevor er sich auf die Villa zubewegte. Die ganze Familie Giese und Sanne Schönewald hatten Stunden gebraucht, um überall Lampions aufzuhängen und Girlanden zu verteilen. Am Nachmittag sah es so aus, als ob sich ausgerechnet heute die Sonne nicht mehr blicken lassen würde, aber rechtzeitig zum Abend hatten die Wolken sich verzogen und das frühe Abendlicht der Sonne konkurrierte mit den unzähligen Lampen. Es dauerte lange, bis Sanne und Birgit jeden Gast begrüßt und die zahlreichen Geschenke entgegengenommen hatten. Mittlerweile war die Party in vollem Gange und weder Birgit noch Sanne hatten die Sache im Griff. Birgits Eltern, Christa und Ferdinand Giese, hatten sich auf Drängen ihrer Tochter ins Obergeschoss zurückgezogen. Ihr Vater ging nur ab und zu nach unten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Es hatte ein paar Tage zuvor heftige Diskussionen mit Birgit gegeben, da ihre Eltern sich eigentlich den ganzen Abend unter die Gäste mischen wollten. Aber Birgit sagte, das wäre doch einfach nur peinlich. Niemand würde sich wohlfühlen, wenn es nach Kontrolle riechen würde. Letztendlich war Ben derjenige gewesen, der den Streit geschlichtet hatte. „Ich bin doch dabei“, hatte er gesagt. „Ich werde aufpassen, dass nichts passiert. Ihr könnt ganz beruhigt sein.“
Birgit hatte ihn dankbar angesehen. Das erste Mal, dass sie ihm einen wirklich liebevollen Blick zuschickte. In Bens Augen war eine irritierte Verwunderung zu erkennen gewesen. In Birgits Elternhaus war es in letzter Zeit häufig zu Diskussionen gekommen, weil Birgit zunehmend aufsässig wurde und sich nicht an die Regeln hielt, die ihre Eltern ihr auferlegten. Durch den vollkommen durchorganisierten Haushalt der Gieses war es bisher möglich gewesen, sich wenigstens einmal am Tag zusammenzusetzen, um wichtige Dinge zu besprechen, und wenn es Probleme gab, gemeinsame Nenner zu finden. Aber seit einiger Zeit war das nicht mehr möglich. Birgit nahm sich häufig heraus, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne sich um die Belange ihrer Familie zu kümmern. Birgits Vater nahm das relativ gelassen zur Kenntnis. Er schob es auf die Pubertät und dieses banale Argument brachte er immer wieder zu Birgits Verteidigung an. Ihre Mutter war es, die sich nicht damit abfinden wollte. Auch wenn diese es durchaus normal fand, dass ihre Tochter flügge würde und nicht mehr das kleine Mädchen war, meldete sie Bedenken hinsichtlich der bevorstehenden Party an. Sie traute ihrer Tochter alles Mögliche zu. Deshalb setzte sie durch, dass ihr Mann zu jeder vollen Stunde auf der Party nach dem Rechten sah. Der verdrehte zwar jedes Mal die Augen, wenn er sich ins Getümmel der Partygäste begeben musste, tat seiner Frau aber den Gefallen, wenn auch nicht gerade sehr gewissenhaft.
Als es gegen zweiundzwanzig Uhr klingelte, war es wahrscheinlich eher Zufall, dass Sanne es hörte. Die Musik hatte sich immer mehr zu einem überbordenden Rauschen und Dröhnen des Basses entwickelt, nach dem einige der Geburtstagsgäste sich im Takt auf der Tanzfläche, die eigens auf der Diele des großen Hauses hergerichtet worden war, bewegten. Andere wippten nur mit dem Kopf und nippten an ihren Gläsern. Mit Birgits Eltern war vereinbart, keinen Alkohol anzubieten. Aber einige der Freunde hatten das Alkoholverbot geschickt umgangen, indem sie in die Colaflaschen, die sie mitgebracht hatten, unterschiedlichen Fusel gefüllt hatten, der überall die Runde machte. Birgit, die in ihrem engen Kleid, ohne es zu ahnen, einer grünen Schlange glich, war in ihrem Element. Sie war die Königin.
Gerade, als Sebastian Herzog sich darum bemühte, ihr einen Kuss auf den Mund zu geben, sah sie Ronny auf das kleine Sofa zukommen, auf dem sie saßen. Für einen winzigen Moment stockte ihr Atem, bevor sie betont gelassen fragte: „Wie kommst du denn hierher?“ Nach dem köstlichen Colagesöff übertünchte eine gewisse Gleichmütigkeit ihre sonst so aufbrausende Art. Dennoch ergänzte sie mit einem leichten Stirnrunzeln: „Du warst doch gar nicht eingeladen.“
Nach dieser direkten Konfrontation sah Ronny sie etwas verunsichert an. Birgits alkoholträchtiger Zustand war aber so offensichtlich, dass er Mut fasste und sagte:
„Deine Busenfreundin hat mich eingeladen. Wusstest du das nicht?“
Birgit schaute jetzt misstrauisch. Sie wollte aufstehen und nach Sanne sehen, fiel aber auf das Sofa zurück.
Sebastian, der verärgert über Ronnys Auftritt war, hatte offensichtlich ebenfalls zu viel des „köstlichen Gesöffs“ intus. Er stand auf, sagte: „Ich muss mal“ und verschwand.
Ronny war wie verzaubert von Birgits Anblick. Spontan setzte er sich zu ihr auf das Sofa. Erschrocken rückte sie ein Stück von ihm weg. Ronny perlte Schweiß auf der Stirn, als er sagte: „Ich habe ein besonderes Geschenk für dich. Ich konnte es aber nicht mitbringen.“
Birgit, die zwischen Widerwillen und Neugierde schwankte, sagte: „Aha, und was soll das sein?“
„Du musst mit zu mir kommen, wenn du es haben willst.“
„Vielleicht will ich es ja gar nicht haben.“
„Ich glaube doch. Denn du willst doch immer etwas Besonderes. Stimmt’s?“
„Du musst es ja wissen.“
Sanne tauchte zwischen den Gästen auf. Ronny sah es von Weitem und stand schnell auf. Im Weggehen raunte er: „Morgen um vier Uhr. Ich warte an der Straße vor der Auffahrt auf dich. Dann bekommst du es. Aber verrate es niemandem.“ Schnell machte er sich durch die ausgelassenen Schüler davon.
„Ich denke, du wolltest Ronny nicht einladen“, sagte Sanne, die jetzt vor dem Sofa angekommen war. Ihre Stimme klang gleichermaßen überrascht wie vorwurfsvoll. „Warum hast du es dir anders überlegt?“
Birgit sah sie erstaunt an.
„Wie? Der hat doch gesagt, du hättest ihn eingeladen.“
„Was? Wie käme ich dazu? Ich hätte dich doch zumindest gefragt. Außerdem wusste ich doch, wie du dazu stehst.“
Birgits Augen waren so glasig, dass Sanne erschrak. Sie hatte sich zurückgehalten und das verbotene Getränk standhaft abgelehnt.
„Du hast zu viel getrunken“, sagte sie.
„Jetzt spiel nicht den Moralapostel“, antwortete Birgit verärgert.
„Meinetwegen trink so viel du willst. Ich könnte mir nur vorstellen, dass deine Eltern sauer werden, wenn sie das mitbekommen.“
„Müssen sie ja nicht … Ich glaub, ich muss kotzen“, lallte Birgit und versuchte, sich von dem Sofa zu erheben.
Sanne ergriff ihren Arm. Sie sah sich hilfesuchend nach Ben um, der war aber nirgends zu entdecken.
„Hast du Ben gesehen?“, fragte sie Sebastian, der auf sie zukam.
„Ich glaube, der ist gerade in die Küche gegangen.“
„Hole ihn! Bitte! Sofort!“
Sebastian setzte sich zögernd in Bewegung. Sanne versuchte, Birgit zu stützen. Aber diese schob sie weg. „Lass das“, schimpfte sie. „Ich kann wohl noch selbst gehen.“
Sanne stand hilflos daneben. Sebastian kam mit Ben zur Hilfe.
„Ben, bitte! Sie hat gesagt, sie muss kotzen. Bitte hilf ihr!“
Sannes Stimme war den Tränen nahe.
Ben sah sie an. „So schlimm wird es wohl nicht sein.“
Als er Birgit umfasste, versuchte diese auch Ben wegzuschieben. Aber er ließ es nicht zu und brachte sie zur Toilette. Schnell zog er den Schlüssel aus der Tür, bevor Birgit sich einschließen konnte. Sanne sah ihn dankbar an.
„Bitte warte mit mir, bis sie wieder herauskommt.“
„Na klar. Was denkst du denn. Wir müssen sehen, dass meine Eltern das nicht mitbekommen. Geh mal zur Treppe und sag mir Bescheid, falls mein Vater herunterkommt. Ich halte hier so lange die Stellung.“
Ben sah Sanne schuldbewusst hinterher. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er nicht besser auf Birgit und die ganze Situation aufgepasst hatte. Es schien alles ein wenig aus dem Ruder zu laufen.
***
Ronny war mit dem Gefühl, einen ersten Sieg errungen zu haben, zu seinen Schlangen geeilt. Er hatte die beiden Mädchen gegeneinander ausgespielt. Zunächst hatte er Sanne weisgemacht, dass Birgit ihn eingeladen hatte. Die hatte ihn zwar skeptisch angesehen, ihn aber schließlich dennoch ins Haus gelassen. Lukas hatte seinen Mund gehalten und sich davongeschlichen, nachdem er seine Glückwünsche heruntergestammelt hatte. Kurz nach ihnen war noch ein Gast erschienen, der Sanne davon abhielt, sich weiter um sie zu kümmern. Ronny war vor Staunen der Mund offen stehen geblieben, als er auf ein riesiges Gemälde aufmerksam geworden war, von dem Birgit ihm entgegenlachte. Gebannt war er auf das Bild zugegangen. Bei näherem Hinsehen hatte er geglaubt zu erkennen, dass es sich doch nicht um Birgit handelte. Die Frau war schon etwas älter, sah aber fantastisch aus, in ihrem engen grünen Kleid, das bis zum Boden reichte und sich unten zu einem Volant ausbreitete. Als er sich durch die vielen Gäste zu Birgit durchgekämpft hatte, glaubte er, das Kleid an Birgit wiederzuerkennen, nur dass es jetzt kurz war. Nachdem Sanne aufgetaucht war, hatte er sich schnell aus dem Staub gemacht, und jetzt stand er vor seinen Terrarien und konnte es kaum fassen. Ich hab es geschafft. Sie hat angebissen. Ich bin mir sicher.
Ehrfürchtig nahm er seine Anabelle aus dem Terrarium und legte sie um seinen Nacken.
„Stell dir vor, meine Schöne. Ich bin mit Birgit verabredet. Ich weiß ganz genau, sie wird euch auch lieben. So wie sie aussieht, ist sie mit euch verwandt.“ Im Glücksrausch legte er sich mit Anabelle aufs Sofa.
Pünktlich um sechzehn Uhr des nächsten Tages stand Ronny vor der Auffahrt der Giesevilla. Sein Herz klopfte. Wird sie wirklich kommen?
Seine Zuversicht war plötzlich zu einem Minimum zusammengeschrumpft. Was bilde ich mir eigentlich ein! Die kommt doch nicht. Niemals.
Zehn Minuten vergingen. Keine Birgit in Sicht. Auf das Fernglas hatte er verzichtet. Wie hätte er Birgit das erklären sollen? So konnte er jetzt aber nichts hinter ihrem Fenster entdecken. Verzweifelt und mit Wut auf sich selbst lief er ein Stück die Straße hoch und wieder zurück.
Wie konnte ich nur so blöd sein und denken, sie würde tatsächlich kommen!
Er wollte sich schon davonmachen, als er die Haustür hörte. Sein Herz schien stillzustehen, als er in Richtung Haus sah. Birgit kam schnellen Schrittes auf ihn zu. „Da bin ich also“, sagte sie.
„Hallo“, begrüßte er sie unsicher. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.“
„Will sehen, was du mir zu bieten hast“, sagte sie ohne Umschweife.
„Na, dann komm!“
„Wohin gehen wir überhaupt?“
„Ist ein ganzes Stück aus Oldenburg raus. Wir können mit dem Bus fahren.“
Birgit sah ihn zögernd an. Zweifel standen in ihrem Gesicht. Niemand wusste, was sie vorhatte, noch nicht einmal Sanne.
Sie trottete neben Ronny her bis zur Bushaltestelle, ohne ein Wort zu sagen. Auch er schwieg. Es dauerte nur einen Moment, bis der Bus kam und sie einstiegen.
„Ist ja ’ne Weltreise“, brach sie das Schweigen. Sie hatten die Innenstadt hinter sich gelassen und Birgit war immer unruhiger geworden. „Wohin fahren wir überhaupt?“
„Sind gleich da, wirst schon sehen.“
Als sie ausstiegen, standen nur noch vereinzelt Häuser an der Straße. Nur wenige schienen bewohnt zu sein.
„Hier war ich noch nie“, sagte Birgit mehr zu sich selbst, während sie sich immer wieder umsah.
„Ist nicht mehr weit“, sagte Ronny, der ihre Verunsicherung spürte. Er schlängelte sich durch eine kleine Häusergruppe hindurch zu einem Hinterhof. Am Ende stand eine kleine Baracke, auf die er jetzt zügig zuging. Birgit folgte zögernd.
„Wohnst du jetzt etwa hier?“ Ihre Stimme wollte nicht richtig gehorchen.
„Nein, aber hier ist die Überraschung. Ich habe mir nur eine Bude eingerichtet, in der ich mich meistens aufhalte. Meine Eltern ahnen nichts davon. Sie sind kaum zu Hause und wissen nie, wo ich gerade bin.“
„Aber dann brauchst du doch diese Bude nicht, wenn sie nie da sind.“
Ronny sah sie geheimnisvoll an. „Sie wissen nichts von meinen Freundinnen, und sie dürfen es auch nicht wissen.“
Birgits Gesichtsausdruck war ein einziges Fragezeichen. Was mache ich hier? Was meint er mit Freundinnen? Ihre Schritte wurden immer langsamer.
Ronny bemerkte ihre Unsicherheit. „Gleich ist es so weit. Du wirst staunen. Komm!“
Birgit sah sich noch einmal um. Weit und breit war niemand zu sehen. Ronny hatte die Tür inzwischen aufgeschlossen und sah sie erwartungsvoll an. „Na, nun mach schon.“
Zögernd ging sie durch die Tür.
Kurz nach der Geburtstagsfeier musste Ronny das Gymnasium für immer verlassen. Er hatte zu viel versäumt und kam weder mit den Schülern noch mit den Lehrern wirklich zurecht. Sein ständiges Schwänzen war letztlich aber der Grund für den Rausschmiss gewesen.
Die Sache mit Birgit hatte ihn endgültig aus der Bahn geworfen. Birgit war tot. Es war zwar ein Unfall gewesen, Ronny konnte sich aber nicht verzeihen, wie es dazu gekommen war. Nach dem furchtbaren Unglück in seiner Baracke, das Birgit ihr Leben gekostet hatte, fand er überhaupt keine Ruhe mehr. Seine Trauer um Birgit hatte er seit dem schrecklichen Ereignis immer wieder zu verdrängen versucht. Oft wachte er nachts schweißgebadet auf, weil sie ihm im Traum erschien. Tagsüber irrte er umher und entwickelte gegen alles und alle einen zerstörenden Hass. Er brachte seine Eltern schier zur Verzweiflung.
Nachdem Birgit Ronnys abenteuerliche Behausung am Rande von Oldenburg endlich betreten hatte, war sie nicht nur überrascht, sondern geradezu begeistert von seinen ungewöhnlichen Freundinnen gewesen. Ronny hätte vor Freude am liebsten einen Luftsprung gemacht, als er spürte, wie angetan sie von Anabelle war. Er wollte ihr die drei weiteren Schlangen zeigen, stellte aber mit Entsetzen fest, dass die grüne Mamba, die Namensvetterin von Birgit, fehlte. Die Klappe ihres Terrariums stand einen winzigen Spalt offen. Wie hatte das passieren können? Birgit, die nicht wusste, wie viele Schlangen Ronny besaß, konnte nichts von der Gefahr ahnen, in der sie sich befand. Ronny verschwieg es ihr, weil er befürchtete, dass sie sofort das Weite suchen würde. Um das zu verhindern, ging er mit ihr und Anabelle zu seiner Sitzecke und schaute wie nebenbei unter die Kissen, die verstreut auf dem Sofa lagen. Er konnte jedoch keine Schlange entdecken. Mit bemüht unbefangenem Ton schwärmte er von Anabelle und wie toll es sich anfühlte, wenn man mit ihr Hautkontakt hätte. Seine Augen ließ er währenddessen in seiner Behausung umherschweifen, ohne dass Birgit es merkte. Wo kann sie bloß sein? Ich darf mich nicht verrückt machen. Es wird schon nichts passieren.Ich muss einfach nur die Nerven behalten.
Er überredete Birgit, ihren Pullover auszuziehen und Anabelle selbst zu spüren. Birgit schaute ihn etwas skeptisch an, der Reiz des Neuen war aber offensichtlich so groß, dass sie tatsächlich ihren Pullover auszog und nun im BH auf dem Sofa saß. Ronny konnte jetzt den Blick nicht mehr von ihr lassen. „Du hast einen wunderschönen Hals“, schwärmte er. Seine Stimme war dunkel und verführerisch.
Birgit, die mit Anabelle beschäftigt war, lächelte, als sie sagte: „Findest du?“
„Du bist so wunderschön wie …“ Er stockte. Beinahe hätte er Birgit verraten, dass sie Ähnlichkeit mit der entwichenen grünen Mamba hatte.
„Wie denn? Was meinst du?“, fragte Birgit und sah ihm erwartungsvoll in die Augen.
Er wandte den Blick ab. „Na ja, wie meine Schlangen eben. Ich hoffe, du bist über den Vergleich nicht böse.“ Birgit lachte. Ronny, der durch Birgits offensichtliche Begeisterung für Anabelle immer mutiger wurde, setzte sich neben sie und sagte: „Leg dich ruhig hin. Ich lege dir Anabelle auf den Bauch. Das ist das Größte überhaupt. Du wirst sehen.“
Birgit, die eine enge Jeans trug, die den Bauchnabel frei ließ, bekam sofort eine Wohlfühlgänsehaut, als Anabelle auf ihr lag und anfing, sich zu schlängeln.
Ronny passte auf, dass Anabelle sich nicht davonmachte. Er nutzte die Gelegenheit, Birgits Bauch mit seiner Hand zu streicheln. Er wusste nicht, ob Birgit das merkte, oder ob sie dachte, es wäre einzig und allein Anabelle, die ihr die Glücksgefühle bescherte. Ronny zog seinen Pullover aus und legte sich zu ihr. Das Sofa war breit genug für sie beide. Er legte sich ein paar Kissen unter den Kopf und schob auch eins unter Birgits Kopf. Er lag etwas höher und konnte ihr Gesicht von oben betrachten. Wie er sie begehrte! Er konnte seine Erregung kaum zügeln und hatte Angst, dass sie es bemerken würde.
Dann geschah das Unglaubliche. Die grüne Mamba schlängelte sich unter Birgits Kissen hervor. Ronny, zu Tode erschrocken, wollte sie mit seinen Händen greifen, aber sie hatte schon zugeschlagen und Birgit in den Hals gebissen. Birgit schrie laut auf. Ihr Körper zuckte, sie starrte Ronny aus weiten Augen an. Die Farbe ihrer Haut hatte sich grünlich verfärbt, oder sah es nur so aus, weil die Mamba über ihren Körper schlängelte und sich davonmachte? Ronny war aufgesprungen und blickte hilflos auf Birgits Körper, konnte sehen, wie sie verkrampfte und ihre Augenlider offensichtlich nicht mehr schließen konnte. Sie wollte etwas sagen, war aber nicht mehr in der Lage. Sie versuchte, sich zu erheben und nach Ronny zu greifen. Ihre Arme versteiften auf halben Weg, sie fiel zurück und blieb regungslos liegen.
Ronny stand mit verzerrtem Gesicht neben ihr, die Schultern hochgezogen, die Arme schwer wie Blei und unfähig, irgendwie einzugreifen. Von Panik erfüllt grübelte er, was er tun sollte. Er sah die grüne Mamba auf dem Fußboden und starrte diese voller Wut an. Schließlich rannte er los und holte die Stange, mit der er die Giftschlagen üblicherweise fixierte. Sie stand wie immer neben den Terrarien. Als er zurückkam war die Mamba verschwunden. Verzweifelt rannte er im Zimmer umher und versuchte, sie zu finden. Er blieb vor Birgit stehen und sah, dass ihr Körper immer noch zuckte. Sie rang offensichtlich mit dem Tode. Er wandte den Blick wieder ab und seine Augen schweiften erneut durch den Raum. Nirgends war etwas von der Schlange zu sehen. „Wo bist du, du verfluchte Mamba? Was hast du angerichtet?“ Ronny gab dem Sessel einen Tritt, schmiss den anderen mit beiden Händen in die Ecke. Anabelle lag die ganze Zeit neben Birgit auf dem Sofa und rührte sich nicht von der Stelle. Jetzt endlich entdeckte er die Schlangenbirgit. Die grüne Mamba bewegte sich auf ihr Terrarium zu. Wütend griff er mit der Stange zu, an deren Ende sich eine Zange befand. Er sperrte sie in ihren Käfig und ging erschüttert zu Birgit zurück. Sie rührte sich nicht mehr. Selbst das Zucken hatte aufgehört. Er nahm Anabelle, die ihren Kopf aufgerichtet hatte und Birgit ansah, als ob sie Totenwache hielt, und brachte sie in ihr Terrarium zurück. Hätte ich den Notdienst rufen sollen? Soll ich noch? Ronny lief wie ein aufgescheuchter Hahn hin und her. „Was bringt das denn?“, schrie er. „Sie ist tot, tot, tot.“
Er brach zusammen und weinte wie ein kleines Kind, aber niemand war da, um ihn zu trösten oder ihm zu sagen, was jetzt zu tun sei. Er hockte sich neben Birgit auf den Boden und betrachtete sie. Er schloss ihre Augen und ihren Mund, der weit offen stand und stumm um Hilfe rief.
Mittlerweile war es draußen stockdunkel. Ronny ging vor die Tür und sah sich um. Niemand war zu sehen. Die Stille war ihm unheimlich und er zitterte vor Angst und Ohnmacht. Er schnupperte. Es roch nach Rauch. Ein Feuer war jedoch nicht zu entdecken. Plötzlich wusste er, was zu tun war. Er würde Birgit verbrennen. Niemand wusste, wo er war. Niemand wusste, wo Birgit war, und niemand wusste, dass er Schlangen besaß. Er fühlte sich auf der sicheren Seite. Nur ein paar Häuser weiter befand sich eine stillgelegte Ziegelei. Ein Glücksfall, wie er sofort dachte. Er holte eine Taschenlampe aus seiner Baracke und machte sich auf den Weg. Er sah sich um. Es war totenstill. Der Mond war nur eine schmale Sichel, weder Sterne noch Straßenlaternen störten die Dunkelheit. Die Einfahrt zur Ziegelei wurde nicht durch ein Tor gesichert. Er hatte freien Zugang. Eine Eule flog über ihn hinweg. Schon häufiger hatte er in der Nähe der Ziegelei welche beobachten können. Jetzt war es zu dunkel, um ihren Flug verfolgen zu können. Die spärlichen Bäume an der rechten Seite der Ziegelei rauschten leise. Es war, als ob alle darauf bedacht waren, keinen Lärm zu machen. Sogar die Tür der Ziegelei ließ sich nahezu geräuschlos öffnen. „Lieber Gott, ich danke dir, dass du ein Einsehen hast“, betete Ronny, obwohl er nicht besonders gläubig war. Er durchleuchtete den Raum und sah sich nach einem Ofen um. Womit sollte er aber Feuer machen? Brennbares Material war nirgends aufzufinden. Würde Benzin gehen? Eine andere Lösung fiel ihm nicht ein. Am besten wäre es wohl, er würde Birgit schon einmal hierherbringen. Der riesige Ofen, der inmitten einer großen Halle stand, wäre in gutes Versteck, aber womöglich nur für kurze Zeit.
Verbrennen ist sicherer, ging ihm durch den Kopf. Aber, wie sollte er sie hierherschaffen? Sein Kopf brummte vor Anspannung. So leise wie möglich verließ er die Ziegelei und sah sich die umliegenden Häuser an. Nur vereinzelt brannten Lichter in den heruntergekommenen Wohnblöcken. Nach wie vor herrschte eine unheimliche Totenstille. Die Taschenlampe hatte er ausgemacht, um nicht entdeckt zu werden.
Auf dem Hof der Ziegelei stolperte er über etwas. Es schepperte so laut, dass er zusammenzuckte und den Atem anhielt. Nichts rührte sich. Er war gegen eine Schubkarre aus Aluminium gelaufen. Der Schall hallte noch eine Weile nach. Ronny ertastete, ob sich in der Karre etwas befand. Er fühlte ein paar Steine, die er hinauswarf. Danach schob er die Karre zu seiner Behausung.
Birgit lag friedlich auf seinem Sofa. Eine kleine Stehlampe beleuchtete spärlich ihren Körper. Er küsste sie auf den Mund, bevor er sie hochhob. Sie war federleicht, und er war ein kräftiger Bursche. Als er sie auf dem Arm hatte, spürte er ihre Knochen. Er liebte dünne Frauen und hatte in seiner Fantasie schon oft seine Hände über Birgits spitze Knochen gleiten lassen. Eine sanfte Erregung zog durch seinen Körper. Er legte sie wieder aufs Sofa zurück und zog seine Hose herunter. Er küsste ihren Oberkörper und ihre kleinen festen Brüste. Seine Zunge umspielte ihre Brustwarzen. Das erregte ihn so, dass er ihr die Hose auszog und in die Ecke schleuderte. Sie trug einen winzigen Slip mit bunten Blumen drauf, den er genussvoll über ihre Beine gleiten ließ, während er ihre Schamhaare betrachtete. Jetzt legte er seinen Kopf auf ihren Bauch und verweilte dort einen kleinen Augenblick. Was für ein entzückender Hügel, der sich unterhalb ihres flachen Bauches wölbte. Er stand auf und drückte ihre Schenkel auseinander, konnte sich jetzt nicht mehr beherrschen. Sein Schwanz war so hart wie noch nie. Er drang in sie ein und kam sofort. Ein gleichsam lustvoller wie schmerzhafter Schrei kam aus seiner Kehle, bevor er in sich zusammensackte.
Ronny hatte sich immer noch nicht so recht in Hameln eingelebt, obwohl der Umzug von Oldenburg nun schon einige Jahre zurücklag. Seine Eltern, Burkhard und Annemarie Feller, hatten überraschenderweise den Elektrobetrieb seines Onkels Georg geerbt. Dieser war plötzlich verstorben und hatte keine Kinder. Georgs Frau Luise Feller, eine untersetzte Frau mit dauergewellter Omafrisur wohnte jetzt in der Oberwohnung des Hauses, das zum Elektrobetrieb gehörte. Sie hatte lebenslanges Wohnrecht. Ronnys Familie zog in die Wohnung im Erdgeschoss ein. Ronny fühlte sich beengt. Er war zu lange auf sich allein gestellt gewesen, und jetzt hatte er plötzlich nicht nur seine Eltern, sondern auch noch seine Tante Luise am Hals. Und die nervte besonders. Er sehnte sich nach seinen Schlangen. Er vermisste sie so sehr. Vor allem suchte er ein gutes Versteck, auch für sich selbst, damit er sich dorthin zurückziehen könnte. Aber eine Lösung war weit und breit nicht zu erkennen. Das frustrierte ihn von Tag zu Tag mehr. In der Eile der Ereignisse hatte er vor dem Umzug etwas überstürzt, wie er jetzt fand, Lukas seine Lieblinge überlassen. Besonders Anabelle vermisste er, weil das Onanieren ohne sie überhaupt keinen Spaß machte. Ronny wollte wieder nach Oldenburg zurück. Er hatte seine Lehre als Einzelhandelskaufmann in Hameln geschmissen und seinen Eltern weisgemacht, dass er nun doch Elektriker werden wollte. Er behauptete, in Oldenburg ein Vorstellungsgespräch dafür zu haben. Seine Eltern waren nicht begeistert, dass er zurückwollte. Aber sie waren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und die Spannungen, die durch das Zusammenleben mit Ronnys Tante Luise ständig präsent waren, machten ihnen das Leben schwer genug. So gaben sie nach und steckten Ronny sogar das Geld für die Fahrt zu. Immerhin bestand jetzt eine kleine Chance, dass er eines Tages ihren Betrieb übernehmen würde.
Ronny hatte Sehnsucht nach Anabelle und keineswegs ein Vorstellungsgespräch. Als er in Oldenburg ankam, machte er sich schnurstracks auf den Weg zu seinem ehemaligen Schlangendomizil. Lukas hatte er nicht informiert. Er wollte sich erst einmal einen vergnügten Nachmittag mit Anabelle machen, und dann würde man weitersehen.
Schon als er auf die Baracke zulief, sah er die Veränderung. Der Hof war aufgeräumt, die Tür repariert. Als er näher kam, bemerkte er, dass sogar die Fenster geputzt waren. Du meine Güte, was ist das denn für ein Pedant! Vor der Tür hing jetzt ein großes Vorhängeschloss.
„So ’n Mist!“, fluchte er. Es fiel ihm ein Zugang auf der Rückseite der Baracke ein. Dort hatte er seinerzeit ein Fenster nur provisorisch mit Brettern zugenagelt, damit keine der Schlangen aus Versehen entschlüpfen konnte. Die übrigen Fenster der Baracke waren alle mit Glas versehen, nur dieses eine nicht. Voller Hoffnung ging er um die Baracke herum, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn keiner beobachtete. Die Luft war rein. Von der rückwärtigen Seite der Baracke aus konnte er die Ziegelei sehen, deren Schornstein weit über die übrigen Gebäude hinausragte. Er spürte sein Herz klopfen, weil die Erinnerung an Birgits Tod ihn einholte.Da gehe ich nachher auch noch hin, nahm er sich vor. Aber erst mal Anabelle. Das rückwärtige Fenster war verglast worden. Neugierig spähte er hindurch. Ein Fliegengitter verdunkelte den Einblick, aber er konnte mehrere Terrarien erkennen. Lukas ist ja ganz schön fleißig gewesen. Hoffentlich ist Anabelle noch da.Wie komme ich bloß ins Haus ? Mürrisch ging er um die Baracke herum. Es war alles verriegelt und verrammelt. Ihm war zum Heulen zumute. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als Lukas anzurufen und sich mit ihm zu verabreden. Immerhin hatte er ihm seine vier Schlangen überlassen, da konnte er ihn schlecht abweisen. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und drückte die gespeicherte Nummer. Es dauerte nur einen Moment und Lukas war am Apparat. „Hi, Lukas, Überraschung! Ich bin in Oldenburg und würde gern meine Schlangen besuchen. Was sagst du? Hast du eventuell Zeit für mich?“
„Oh, hallo Ronny. Wie kommt’s? Hast du Urlaub?“
„Lange Geschichte. Erzähle ich dir später. Ich dachte, ich könnte vielleicht in der Baracke übernachten. Ist mein altes Sofa noch da?“
„Du wirst staunen, was ich inzwischen alles gemacht habe. Ich habe jetzt zwölf Schlangen. Aber ich verrate noch nicht so viel. Du wirst es selbst sehen. Ich freue mich jetzt schon auf dein Gesicht. Wo bist du denn? Ich kann erst in zwei Stunden. Ich bin noch in der Uni. Hab grad Pause. Hast Glück gehabt. Während der Vorlesung mach ich mein Handy aus.“
Er studiert also. Ich hab keine Ahnung gehabt, was er überhaupt treibt. Ich hätte mich öfter melden sollen. Aber die blöde Lehre hat alles kaputt gemacht.
„Hey, Ronny, bist du noch da?“
„Ja, ich überleg nur. Ich könnte doch schon zur Baracke gehen. Dann können wir uns dort treffen.“
„Hm … ich hab jetzt ein Schloss vor der Tür. Aber warte, ich sag dir, wo der Schlüssel ist. Wenn du vor der Tür stehst, auf der rechten Seite unter dem Dach. Die Dachrinne hat dort ein Loch. Du wirst es sehen. Genau über dem Loch kannst du ihn finden.“
„Oh, super, dann kann ich mich gleich auf den Weg machen. Wann bist du da?“
„Na, wie gesagt, wohl so in zweieinhalb Stunden.“