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Weltweit leiden viele Menschen unter den seelischen Folgen von Traumatisierungen. Bei manchen Betroffenen führen die erlittenen Traumatisierungen zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die durch schmerzliche Wiedererinnerungen an Teile des Traumas, durch die Vermeidung traumarelevanter Reize sowie durch eine körperliche Übererregung gekennzeichnet ist. Die Neuauflage des Ratgebers beschreibt ausführlich, was unter einer PTBS zu verstehen ist und vermittelt anhand zahlreicher Beispiele, welche Faktoren an der Entstehung einer chronischen PTBS beteiligt sind: Es wird auf die Funktion des Traumagedächtnisses, auf ungünstige Bewertungen des Traumas, insbesondere Schuld- und Schamgedanken sowie auf ungünstiges Vermeidungsverhalten eingegangen. Der Teufelskreis, in dem Patienten mit einer PTBS gefangen sind, wird ausführlich erläutert. Darauf aufbauend macht der Ratgeber dann Vorschläge, wie bestimmte Symptome der PTBS im Rahmen einer Verhaltenstherapie bewältigt werden können. Einzelne Arbeitsschritte werden genau beschrieben. Der Ratgeber eignet sich insbesondere dazu, therapiebegleitend eingesetzt zu werden. Die zahlreichen Arbeitsblätter ermöglichen es, zielgerichtet das aktuelle Problemverhalten zu behandeln und einen Transfer in den Alltag der Betroffenen herzustellen.
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Anne Boos
Traumatische Ereignisse bewältigen
Hilfen für Verhaltenstherapeuten und ihre Patienten
Unter Mitarbeit von Michael Nagel und Silvia Mader
2., aktualisierte Auflage
Dr. rer. nat. Anne Boos, geb. 1971. 1990–1997 Studium der Psychologie in Trier, Stirling und Oxford (GB). 2002 Promotion sowie Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. 2002–2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Psychologische Psychotherapeutin an der Institutsambulanz und Tagesklinik für Psychotherapie der TU Dresden. Seit 2009 niedergelassen in eigener Praxis. Tätigkeit in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
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2., aktualisierte Auflage 2019
© 2007 und 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2952-6; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2952-7)
ISBN 978-3-8017-2952-3
http://doi.org/10.1026/02952-000
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|5|Für Jakob und Martin
In unserer klinischen Praxis machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Patientinnen und Patienten, die unter einer PTBS leiden, ein großes Bedürfnis haben, zu verstehen, was sie genau, warum haben. Sie möchten wissen, wie die Symptome genau heißen, wie sie entstehen und was man dagegen tun kann. Daher besteht der Ratgeber aus der Vermittlung von wichtigen Informationen zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und deren Behandlung. Die im Buch enthaltenen Informationen sollen also die Verhaltenstherapie unterstützen. Wir erwarten durchaus, dass einige Leserinnen und Leser mithilfe des Buches sich selbst bei der Bewältigung ihrer PTBS helfen können. Wir sind uns aber bewusst, dass alleine die Lektüre des Buches keine vollständige Heilung bringen kann. Daher möchten wir Sie bereits an dieser Stelle ermuntern, sich einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu suchen und werden dies im Laufe des Buches auch immer wieder tun.
Die Folgen von Traumatisierungen beschäftigen nicht nur Psychotherapeutinnen. Vielfach werden Menschen als Opfer von Straftaten traumatisiert. In solchen Fällen kann es auch zu rechtlichen Auseinandersetzungen, wie einem Prozess gegen den mutmaßlichen Täter kommen. Eine wichtige Rolle übernehmen Sozialarbeiterinnen bei der Betreuung von Opfern, die sowohl seelisch belastet sind, als auch entweder die Trennung vom Täter noch vor sich haben, oder zusätzlich durch ein Strafverfahren belastet sind. Kapitel 12 wurde daher von der Sozialarbeiterin Silvia Mader geschrieben. Sie arbeitete viele Jahre in der Opferhilfe. Dort betreute sie Opfer von Gewalttaten und beriet sie in vielen wichtigen Belangen. Ihr Kapitel stellt verschiedene Arbeitsbereiche der Opferhilfe Dresden vor und beschreibt die Zusammenarbeit mit anderen „Helfern“ wie Psychotherapeutinnen und Angehörige von Justiz und Polizei. Dr. Michael Nagel beschreibt in Kapitel 13 aus der Perspektive eines Rechtsanwaltes die einzelnen Schritte, die auf Opfer von Sexualstraftaten nach erstatteter Anzeige im deutschen Rechtssystem zukommen. Im Anhang des Buches findet sich eine Auswahl hilfreicher Adressen aus den Bereichen Opferhilfe, Beratung, Rechtsschutz und Psychotherapie.
|8|Sprachregelung:
Wir haben weitgehend darauf verzichtet, durchgehend gleichzeitig von Patienten und Patientinnen zu sprechen. Während das Kapitel von Frau Mader durchgängig die weibliche Form wählt, wird in den Kapiteln 1 bis 11 sowie 14 zwischen der weiblichen und der männlichen Form gewechselt. So weit es sich nicht eindeutig um Einzelpersonen handelt, ist das andere Geschlecht jeweils mit gemeint.
Dresden, im März 2019
Anne Boos
Vorwort
1 Was möchte dieser Ratgeber erreichen?
1.1 Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1.2 Liebe Patientinnen und Patienten!
2 Was ist ein Trauma?
3 Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung?
3.1 Spontane Erholung von posttraumatischen Symptomen
3.2 Die eigenen Symptome verstehen
3.3 Finden Sie heraus, ob Sie an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden
3.3.1 Mögliche Denkfehler, die mit der Posttraumatischen Belastungsstörung einhergehen können
3.3.2 Auseinandersetzung mit den Folgen des Traumas: Ja oder Nein?
3.4 Was ist eine akute Belastungsstörung oder akute Belastungsreaktion?
3.5 Andere mögliche psychische Störungen nach einer Traumatisierung
4 Traumagedächtnis: Die Zeit heilt nicht alle Wunden!
4.1 Das Traumagedächtnis erfüllt eine Warnfunktion
4.1.1 Welche Nachteile entstehen aus dieser Warnfunktion?
4.1.2 Den Vergangenheitscharakter des Traumas stärken
4.1.3 Heute ist es anders
4.1.4 Überzeugen Sie sich davon, dass es heute anders ist!
4.2 Auslöser: Das Traumagedächtnis hat es leicht, Sie zu warnen!
4.2.1 Welche Nachteile entstehen durch die Auslöserabhängigkeit des Traumagedächtnisses?
4.2.2 Was ist zu tun? Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen
4.2.3 Helfen Sie Ihrem Traumagedächtnis: Sprechen Sie mit ihm!
5 Was ist Angst?
5.1 Wann wird Angst zum Problem?
5.2 Wieso geht die Angst nicht mehr weg und wie wird sie verarbeitet?
5.3 Verarbeitung durch Konfrontation
5.4 Wege aus der Angst
6 Lösungsversuche: Sicherheitsstrategien und Vermeidungsverhalten
6.1 Welche Nachteile haben das Sicherheitsverhalten und bestimmte Denkstrategien?
6.2 Wie kann das Vermeidungsverhalten verändert werden?
6.3 Geben Sie sich die Chance, neue Erfahrungen zu machen
7 Wie entstehen Gefühle? Das ABC-Modell des Denkens, Fühlens und Handelns
8 Bewertungen des Traumas und seiner Folgen
8.1 Warum sind die Gefühle nach einem Trauma so stark?
8.2 Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann
8.3 Die eigenen Bewertungen erkennen und verändern lernen
9 Was sind Schuldgefühle?
9.1 Schuldgedanken
9.1.1 Denkfalle: „Im Nachhinein ist man immer schlauer“ – oder: angebliche Vorhersehbarkeit
9.1.2 Denkfalle: Fehlende Rechtfertigung für das eigene Handeln, Denken und Fühlen
9.1.3 Denkfalle: Angebliches Fehlverhalten bzw. Verstoß gegen Wertvorstellungen
9.1.4 Schuldgefühle nach Traumatisierungen in der Kindheit
9.1.5 Ausgeprägte Schuldgefühle: ein ausführliches Fallbeispiel
9.2 Wege aus der Schuldfalle
10 Was sind Schamgefühle?
10.1 Krank machende Schamgefühle
10.2 Gerechtfertigte und ungerechtfertigte Schamgefühle
10.3 Soll ich doch lieber den Mund halten?
10.4 Mythen im Zusammenhang mit Traumatisierungen
10.5 Wege aus der Scham I: Das Verhalten ändern
10.6 Wege aus der Scham II: Das Denken ändern
11 Sicherheit geht vor!
12 Gehen und Bleiben – Betroffene häuslicher Gewalt aus Sicht der Opferhilfe
12.1 Entstehung des Arbeitsfeldes Opferhilfe
12.2 Kurzprofil einer Opferberatungsstelle am Beispiel der Opferhilfe Sachsen e. V.
12.3 Die Betroffenen häuslicher Gewalt
12.4 Interventionen durch die Beratungsstelle der Opferhilfe Sachsen e. V.
12.5 Interdisziplinäre Kooperation in der Opferhilfe aus dem Blickwinkel der Sozialen Arbeit
13 Sexualstraftaten: Was kommt auf ein Opfer nach erfolgter Anzeige bis zum Abschluss des Strafverfahrens zu?
13.1 Die allgemeine Rechtslage
13.2 Die rechtlichen Folgen einer Strafanzeige im Einzelnen
13.2.1 Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und deren Folgen
13.2.2 Was passiert nach Abschluss der Ermittlungen?
13.2.3 Rechtsbeistand – oder: Folgen der Nebenklage
13.2.4 Das Opfer als Zeuge/Zeugin
13.2.5 Probleme im Zusammenhang mit der Videovernehmung
13.3 Möglichkeiten für einen „gerechten Tatausgleich“
13.3.1 Staatliche Sanktionen – die Stellung des Opfers?
13.3.2 Der Täter-Opfer-Ausgleich?
13.3.3 Das Adhäsionsverfahren – Schadensersatz und Schmerzensgeld?
13.3.4 Begleitumstände am Rande des Strafverfahrens – tatsächliche Folgen der Strafanzeige?
14 Wegweiser: Wie finde ich die richtige Therapieform für mich?
14.1 Traumazentrierter Ansatz: Verhaltenstherapie
14.2 Traumazentrierter Ansatz: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
14.3 Traumazentrierter Ansatz: Die Behandlung mit Psychopharmaka
14.4 Unspezifische Therapien
14.5 Wissenswertes über traumazentrierte Psychotherapie
14.6 Wissenswertes über Psychotherapie allgemein
14.7 Formale Aspekte von Psychotherapie in Deutschland
14.8 Welche Hilfe möchten Sie?
Anhang
Literaturempfehlungen
Zitierte Literatur
Adressen
Arbeitsblätter
Das empirische Störungs- und Behandlungswissen über die PTBS ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Daher sind wir als Verhaltenstherapeuten besser als je in der Lage unseren Patienten und Patientinnen bei der Behandlung dieser Störung zu helfen. Das vorliegende Buch möchte Materialien zur Verfügung stellen mit deren Hilfe Ihre Verhaltenstherapie unterstützt, strukturiert bzw. begleitet werden kann. Das Buch spricht Betroffene direkt an. Es ist aber nicht dazu angelegt, eine Verhaltenstherapie zu ersetzen. Warum nicht? Weil wir aus einer Reihe von Untersuchungen wissen, dass eine reine Anleitung zur Selbsthilfe (Ehlers et al., 2003; Turpin et al., 2006) bzw. Psychoedukation allein (Neuner et al., 2004) keine wirksame Behandlungsmöglichkeit der PTBS darstellen. Im Gegenteil: Betroffene, die sich in den ersten Monaten nach einem Trauma mithilfe von Selbsthilfe behandeln wollen, haben später u. U. einen höheren Therapiebedarf und zeigen ein niedrigeres Funktionsniveau als Betroffene, die zunächst überhaupt nicht behandelt wurden (Ehlers et al., 2003). Eine Therapie zunächst nur auf Psychoedukation zu beschränken, kann ebenfalls zu Verschlechterungen führen (Neuner et al., 2004).
Also:
Bitte setzen Sie dieses Buch nicht dazu ein, Patientinnen „nur“ Informationen über ihre Leiden zu vermitteln, sondern geben Sie ihnen die Chance die Spätfolgen auch zu verarbeiten. Verhaltenstherapeutische Manuale zur PTBS liegen im deutschsprachigen Raum vor (z. B. Boos, 2014; Ehlers, 1999; König et al., 2012; Cloître et al., 2014). Die in diesem Ratgeber vorgeschlagenen Übungen ersetzen nicht die Traumakonfrontation!
Das therapeutische Wissen über die PTBS ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Viele Psychotherapeuten haben gute Kenntnisse über die Therapie der PTBS erworben. Dieses Buch möchte Ihnen Informationen über die PTBS und deren Behandlung zur Verfügung stellen. Der Ratgeber konzentriert sich zunächst auf Wissensvermittlung über die PTBS. Er möchte die Leser und Leserinnen also über die PTBS schulen und sie in die Lage versetzen, Zusammenhänge zu finden zwischen den vielleicht verwirrenden und ängstigenden Symptomen, sprich Ihren Beeinträchtigungen und dem Erlittenen. Zudem sollen Sie darüber informiert werden, wie die Symptome verhaltenstherapeutisch behandelt werden.
Im zweiten Schritt macht dieser Ratgeber Vorschläge, wie Sie bestimmte Symptome der PTBS im Rahmen der Verhaltenstherapie bewältigen können. Das Buch ist nicht dazu angelegt, Sie anzuleiten Ihre posttraumatischen Symptome Belastungen nur allein mit diesem Buch zu bewältigen. Wir wissen, dass Selbsthilfe in der Regel keine ausreichende Möglichkeit der Behandlung einer PTBS darstellt. Zwar kann dies manchen Lesern und Leserinnen gelingen. Für andere dürfte dies jedoch eine große Herausforderung darstellen. Selbsthilfe sollte also keine geeignete Psychotherapie ersetzen und kann diese auch nicht ersetzen. Halten Sie sich daher bitte Folgendes vor Augen:
Es verlangt niemand von Ihnen, dass Sie Ihre PTBS aus eigener Kraft alleine bewältigen müssen.
Setzen Sie sich bitte nicht unter Druck: Erwarten Sie keine Wunder von sich. Wir tun es auch nicht.
Manche Komplikationen können nur mithilfe einer Expertin oder eines Experten geklärt werden. Entscheiden Sie, ob Sie eine oder einen aufsuchen möchten.
Wenn die Informationen, die wir für Sie zusammengetragen haben, Sie ermutigen über geeignete nächste Schritte für sich nachzudenken, dann ist dies bereits ein schönes Ergebnis mit dem Sie zufrieden sein können. Wir sind es auch.
Der Ratgeber konzentriert sich auf die PTBS. Dies bedeutet auch, dass dieses Buch keine ausführlichen Informationen über andere psychische Störungen, wie zum Beispiel Depressionen enthält, die durchaus auch nach einer Traumatisierung auftreten können. Im Anhang finden |15|Sie einige Literaturempfehlungen zu anderen psychischen Störungen (S. 169).
Wichtig:
Rühren Sie dieses Selbsthilfebuch nicht an, wenn Sie aktuell unter folgenden Problemen leiden:
Sie haben kürzlich, zum Beispiel im letzten halben Jahr, einen Selbstmordversuch unternommen.
Sie denken in letzter Zeit über Selbstmord nach.
Sie verletzen sich selbst, indem Sie sich schneiden, brennen, würgen etc.
Sie konsumieren Drogen.
Sie konsumieren Medikamente, die nicht verschrieben wurden, oder solche, die verschrieben wurden, über das erforderliche Maß hinaus. Damit sind v. a. verschreibungspflichtige Beruhigungs- und Schmerzmittel gemeint.
Sie neigen dazu, Dinge zu tun, die sehr gefährlich sind.
Sie sind im Moment oder waren in der Vergangenheit wegen einer psychotischen Erkrankung in Behandlung.
Wenn einer oder mehrere der beschriebenen Punkte auf Sie zutreffen, dann sollten Sie ernsthaft überlegen, sich in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Was Sie im Moment nicht brauchen, ist unsere Hilfe durch das Buch. Vielleicht wird es in der Zukunft noch einmal wichtig für Sie. Jetzt aber Finger weg!
Ein Trauma zu erleiden gehört leider häufig zu den schmerzlichsten Erfahrungen im Laufe des Lebens. Weltweit leiden viele Menschen unter den seelischen Folgen von Traumatisierungen. Die psychischen Folgen einer Traumatisierung wurden in den letzten Jahrzehnten gut untersucht. Dazu gehört, dass Wissenschaftler in der Lage sind, genau zu beschreiben welche Ereignisse als Trauma erlebt werden können. Der Begriff Trauma bedeutet im Deutschen „Verletzung der Seele“ und kommt aus dem Griechischen. Er wurde von dem Begriff traũma (traúmatos), was soviel wie Wunde oder Verletzung heißt, abgeleitet. Im Bereich der Medizin kennt man ebenfalls den Begriff des Traumas. Dort bezieht er sich auf körperliche Verletzungen, wie zum Beispiel einem Schädel-Hirn-Trauma. Im Laufe der Jahrhunderte von der Antike bis heute wurden immer wieder seelische Verletzungen und ihre Folgen in der Literatur wie in der Wissenschaft beschrieben. Diese Zeugnisse sind sich oftmals in der Beschreibung des Leidens der Betroffenen recht ähnlich. Trotzdem hat es bis in die Mitte des 20. Jahrhundert gedauert, bis eine umfassende Erforschung von seelischen Verletzungen einsetzte. Leider waren es immer wieder die Schrecken von Kriegen, die Wissenschaftler, Psychologen und Medizinerinnen dazu anregte, sich näher mit den seelischen Folgen für Opfer militärischer wie ziviler Katastrophen zu beschäftigen. Zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts einigten sich Experten und Expertinnen dann auf den Begriff der „Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)“, um die möglichen und typischen Folgen einer Traumatisierung allgemeingültig für alle Traumatisierten zu beschreiben. Ein Klassifikationssystem, das Psychotherapeuten benutzen, um psychische Störungen zu beschreiben, umschreibt ein Trauma als ein
„belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz- oder lang anhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder durch Menschen verursachte Katastrophe, ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen zu sein.“
Innerhalb helfender Berufe wird der Begriff des Traumas also enger gefasst als es manchmal umgangssprachlich der Fall ist. Eine Ehescheidung oder der Verlust des Arbeitsplatzes wird von manchen als traumatisch |17|bezeichnet. In den Augen helfender Berufe wird dies anders gesehen, da solche Ereignisse zwar belastend sein können, aber weder eine „außergewöhnliche Bedrohung, noch eine Situation katastrophenartigen Ausmaßes“ oder eine „Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit“ (so lautet eine andere gängige Umschreibung eines Traumas) darstellen. Zudem führen solche als kritische Lebensereignisse beschriebenen Erfahrungen meist nicht zu den charakteristischen, noch zu beschreibenden Symptomen einer PTBS. Auch ein Trauma im Sinne der eng gefassten Umschreibung führt nicht notwendigerweise in allen Fällen zu einer PTBS. Folgende Aussage ist also wichtig:
Wichtig:
Einem Trauma folgt nicht zwingend eine Posttraumatische Belastungsstörung!
Eine PTBS ist eine psychische Störung von längerer Dauer, die in Folge einer erlittenen Traumatisierung entstehen kann. Sie zeichnet sich durch eine Reihe typischer Symptome aus, die in drei Symptomgruppen unterteilt werden (eine genaue Beschreibung der PTBS nach einem international üblichen Klassifikationssystem finden Sie im Anhang auf S. 175 f.):
Schmerzliche Wiedererinnerungen an Teile des Traumas. Menschen, die unter einer PTBS leiden, berichten von Bildern, Filmen, Schnappschüssen oder Alpträumen in denen sie Teile des Traumas wiedererleben. Diese sogenannten intrusiven, d. h. sich ungewollt aufdrängenden (bildlichen) Wiedererinnerungen sind in der Regel von schmerzlichen Gefühlen, wie v. a. Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen, aber auch Scham, Schuldgefühlen, Ekel oder Ärger begleitet.
Beispiele:
Frau D. sieht immer wieder die Hände des Mannes vor sich, der sie in der Kindheit missbrauchte.
Vor Herrn E.’s innerem Auge spult sich der erlebte Unfall wie ein Film ab. Er bekommt dann Angst und „hört“ die Geräusche sich zusammen schiebenden Bleches und quietschender Reifen.
Frau F. wird fast jede Nacht von einem Alptraum gequält, aus dem sie mit starker Angst erwacht. Danach ist sie nicht mehr in der Lage, einzuschlafen, sondern läuft unruhig durch die Wohnung. Dies führt im Laufe der Zeit zu einer starken Erschöpfung.
Herr G. schreckt zusammen, wenn er den Geruch verbrannten Gummis riecht oder Rauchwolken sieht. Dies erinnert ihn an den Unfall in seinem Betrieb, der sein Leben geändert hat.
Leider können die schmerzlichen Wiedererinnerungen so stark sein, dass die Betroffenen so sehr in die Vergangenheit hineingezogen werden, dass sie den Eindruck haben, das Trauma würde gerade jetzt wieder passieren. Der Kontakt zum Hier und Jetzt geht dabei verloren, was dazu führen kann, dass die Betroffenen sich auch so verhalten, als würde das Trauma wieder passieren. Das heißt sie werden ganz starr, versuchen zu |19|fliehen oder zu schreien. Diese starken Wiedererinnerungen werden als „Flashbacks“ bezeichnet. Sie sind zum Glück aber seltener als die zuerst beschriebenen Wiedererinnerungen.
Merke:
Wenn Sie unter einer PTBS leiden, heißt dies: Sie sind nicht verrückt, sondern Sie reagieren darauf mit psychischen Belastungen, was viele andere Menschen, die Ähnliches erlebt haben, auch tun würden.
Vermeidung von Erinnerungen an das Trauma. Traumatisierte mit einer PTBS versuchen verzweifelt, den Erinnerungen an das Trauma aus dem Weg zu gehen. Da sie es in der Regel als zu schmerzlich erleben, darüber zu reden oder sich auf eine andere Art und Weise damit auseinanderzusetzen. Dies führt dazu, dass bestimmte Personen, Aktivitäten oder Situationen vermieden werden, die irgendwie etwas mit dem Trauma zu tun haben. Dies kann der Tatort sein, aber auch viele andere Orte oder Menschen, die seit dem Trauma nicht mehr als vertrauenswürdig erlebt werden. Es kann auch zu einem starken sozialen Rückzug und einer gefühlsmäßigen Abstumpfung kommen. Manche Betroffene brechen wichtige Beziehungen ab oder fühlen sich bisher als wichtig erlebten Gruppen oder Personen gegenüber nicht mehr verbunden.
Beispiele:
Frau D. findet es schwierig, entspannt mit älteren Männern umzugehen und geht ihnen aus dem Weg.
Herr E. fährt nur ungern Auto. Am Unfallort fährt er nicht mehr vorbei. Wenn er im Auto sitzt, ist er jetzt sehr wachsam und bemüht, alles im Griff zu haben, damit kein Unfall mehr passiert.
Frau F. zieht sich sehr zurück und hat nur wenige, ausschließlich weibliche Bekannte. Sie versucht mit aller Kraft, die Bilder und den Alptraum aus ihrem Kopf zu drängen, was ihr nicht gelingt.
Herr G. hat sich in den Innendienst versetzen lassen, um den Erinnerungen an den Betriebsunfall aus dem Weg zu gehen. Aufkommende schmerzliche Gefühle versucht er mit Ablenkung und viel Arbeit zu unterdrücken. Er redet kaum noch mit seinen Arbeitskollegen und zog sich aus geliebten Aktivitäten in mehreren Sportvereinen zurück.
|20|Körperliche Übererregung. Viele Betroffene sind von einer ständigen inneren Unruhe geplagt, die das Konzentrationsvermögen einschränkt und sehr anstrengend sein kann. Andere sind fast immer ängstlich und angespannt. Wut und Reizbarkeit können den Umgang mit sich und anderen Menschen erschweren. Oft ist der Schlaf so gestört, dass es kaum noch erholsame Nächte gibt. Viele reagieren in extremer Form auf die kleinsten Geräusche oder Unsicherheiten.
Beispiele:
Frau F.’s häufige Alpträume jagen sie förmlich aus ihrem Bett. Dadurch schläft sie kaum und wenn, dann nur unruhig. Während der Arbeit fällt es ihr sehr schwer, bei der Sache zu bleiben. Eine massive Erschöpfung ist die Folge.
Herr E. fängt an zu zittern und ist sehr von Angst gepackt, sobald er nur ansatzweise über seinen Unfall spricht.
Herr G. hat sich aus den Sportvereinen zurückgezogen, da er begann, sich wegen Kleinigkeiten zu streiten. Manchmal wurde er seiner Wut kaum noch Herr.