Tremor - Klaus-Dieter Kieslinger - E-Book

Tremor E-Book

Klaus-Dieter Kieslinger

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Beschreibung

Unwillkürliches Zittern der Finger, Hände, Füße oder anderer Körperteile ist ein häufiges Beschwerdebild in einer neurologischen Praxis. Wer zittert und warum? Tremor ist meist nicht gefährlich. Oft stecken jedoch ernste Ursachen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, eine Überfunktion der Schilddrüse oder auch Alkoholismus dahinter. In diesen Fällen kann durch die Therapie der Grunderkrankung auch der Tremor effektiv gebessert oder geheilt werden. Doch auch ohne eindeutige Ursache lässt sich der Tremor erfolgreich behandeln, etwa durch bestimmte Medikamente oder neurochirurgische Maßnahmen. Ebenso können komplementärmedizinische Methoden wie Entspannungstraining oder Physiotherapie die Lebensqualität von TremorpatientInnen deutlich verbessern. Dieser Ratgeber, in leicht lesbarer Sprache verfasst, bietet Betroffenen und Angehörigen hilfreiche Informationen zu Diagnostik und Therapien und liefert Tipps für einen lebenswerten Alltag mit Tremor. Ein Leitfaden für PatientInnen, der Mut macht, aber auch ÄrztInnen und TherapeutInnen empfohlen werden kann, die das neurologische Leiden Tremor aus einem neuen Blickwinkel betrachten möchten. Plus: Patientenberichte und Interviews mit (medizinischen) Experten aus Psychiatrie und Suchthilfe, Neurochirurgie und Reha, Psychologie und Physiotherapie. Bonus: Ein Sportschütze berichtet über die Kunst der ruhigen Hand u. v. m.

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Inhalt

Tremor

Impressum

Begleitwort

Vorwort

Einführung

Was ist Zittern überhaupt?

Zittern als natürliches Phänomen

Normal und physiologisch

Krankhaftes Zittern

Keine seltene Erkrankung

Arten des Zitterns

Licht ins Dunkel

1 Grundlegendes zum Thema Zittern

„Zittern wie Espenlaub“

Natürliches – „physiologisches“ – Zittern

Frequenz und Amplitude

Reize, die Zittern verstärken

2 Das krankhafte Zittern – Pathologie des Tremors

Betroffene erzählen

Tremor eines Parkinson-Patienten

Tremor eines Multiple-Sklerose-Patienten

Tremor eines Alkoholabhängigen

Interview: Wie häufig ist Tremor in der neurologischen Praxis?

3 Untersuchung und diagnostische Möglichkeiten

Was möchte der Arzt wissen?

Tipps für den Arztbesuch

Die neurologische Untersuchung

Labortests – Was verraten Blut und/oder Speichel?

Messung des vegetativen Nervensystems

Weitere Untersuchungen bei Tremor

Elektromyographie – Messung der elektrischen Muskelaktivität

Bildgebende Verfahren

Mobile Messgeräte

Übersicht: Diagnostik bei Tremor

Interview: Handelt es sich um Tremor?

4 Formen des Tremors, Diagnostik und Therapie

Verstärkter physiologischer Tremor

Essentieller Tremor

Parkinson-Tremor

Psychogener Tremor (= Funktioneller Tremor)

Seltenere Tremorarten

Dystoner Tremor

Orthostatischer Tremor

Tremor aufgrund von Läsionen im Gehirn

Interview: Warum helfen Blutdrucksenker, Antiepileptika und Co bei Tremor?

Alkohol und Tremor

Interview: Warum zittern Menschen mit zu viel Alkoholkonsum?

5 Die chirurgische Therapie

Eingriff am Gewebe

Tiefe Hirnstimulation

Interview: Was bringt die Tiefe Hirnstimulation?

6 Physiotherapie bei Tremor

Interview: Physiotherapie – eine wirksame Hilfe?

7 Rolfing

Wozu Rolfing?

Welche positiven Effekte sind von Rolfing zu erwarten?

Wie läuft eine Rolfing-Sitzung ab?

8 Entspannungstraining und Psychotherapie

Interview: Helfen Entspannungsmethoden gegen das Zittern?

Progressive Muskelentspannung (PMR) – kurz erklärt

Training der Achtsamkeit – kurz erklärt

Qigong – kurz erklärt

Entspannung im Schießsport

Interview: Über die Kunst, eine ruhige Hand zu bekommen

Psychotherapie

9 Neurogenes Zittern als begleitende Therapie

Was ist Neurogenes Zittern?

Interview: Hilft neurogenes Zittern auch Tremorpatienten?

10 Leben und Alltag mit Tremor

Lexikon der wichtigsten Begriffe

Die zehn wichtigsten Fragen zum Thema Tremor

Die Autoren

Literatur, Medien

Dr. med. Klaus-Dieter Kieslinger

Mag. Wolfgang Bauer

Tremor

Was hilft gegen mein Zittern?

Impressum

© Verlagshaus der Ärzte GmbH

Nibelungengasse 13

A-1010 Wien

www.aerzteverlagshaus.at

 

1. Auflage 2023

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere­ das der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwendung, vorbehalten.

ISBN 978-3-99052-306-3

Umschlaggestaltung & Satz: Grafikbüro Lisa Hahsler, 2232 Deutsch-Wagram

Umschlagfoto: iStock/PeopleImages

Projektbetreuung: Marlene Weinzierl

Dieses Buch wurde in der Schrift Clear Sans gesetzt.

Das Werk gibt den Wissensstand der Autoren bei Drucklegung wieder. Autoren und Verlag haben alle Buchinhalte sorgfältig geprüft, jedoch kann keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der hier publizierten Informationen übernommen werden.

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden im Buch nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann aber nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit – vor allem in Hinblick auf die Vermeidung einer ausufernden Verwendung von Pronomen – haben wir uns dazu entschlossen, alle geschlechtsbezogenen Wörter nur in eingeschlechtlicher Form – der deutschen Sprache gemäß zumeist die männliche – zu verwenden. Selbstredend gelten alle Bezeichnungen gleichwertig für Frauen.

 

 

BEGLEITWORT

In diesem umfangreichen und patientenorientierten Buch über Tremor als Ausdruck einer Reihe von Erkrankungen, aber auch in seinen harmloseren Formen, wird dieses Phänomen sowohl für den Fachkundigen als auch für den Laien ausführlich und verständlich erklärt.

Durch die übersichtliche Gliederung findet man sich wunderbar zurecht und lernt nicht nur die unterschiedlichen Formen des Zitterns kennen, sondern auch die verschiedenen Ursachen, die diagnostischen Abläufe und vor allem auch die therapeutischen Möglichkeiten.

Viele Fallbeispiele sowie kompetente Interviews unterstützen zusätzlich ein besseres Verständnis und einen leichteren Umgang mit einem oft belastenden Symptom sowohl für den betroffenen Menschen als auch für sein Umfeld.

Damit kann dieses Buch nach einer genauen Diagnose und Aufklärung durch den Facharzt für Neurologie im Weiteren für viele als ein wertvoller Begleiter dienen.

Assoc.-Prof. Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Staffen

Facharzt für Neurologie,

Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg

Salzburg, im Jänner 2023

 

 

VORWORT

Die lateinische Bezeichnung „Tremor“ steht ganz einfach für „Zittern“. Zittern­ gilt als das häufigste Symptom, welches die Motorik beeinträchtigt. Betroffene leiden insbesondere unter der Sichtbarkeit ihres Tremors: Das unwillkürliche Hin und Her betrifft meist die Hände, manchmal aber auch den Kopf, den Rumpf, die Beine und sogar die Stimme. Es wirkt sich unangenehm auf die Tätigkeiten des Alltages aus.

Das Essen mit einem Löffel oder das Trinken aus einem Glas gestalten sich zu einem Kampf mit sich selbst. Der Besuch in einem Restaurant oder das Bezahlen an der Kassa im Supermarkt fühlt sich für Betroffene manchmal an wie ein Spießrutenlauf. Nicht wenige versuchen dann, solchen Situationen überhaupt aus dem Weg zu gehen. Sie neigen dazu, sich zu isolieren und in ihre eigenen vier Wände zurückzuziehen. Dieser soziale Rückzug wirkt sich dann nicht selten negativ auf ihre Stimmungslage aus und führt zu Depressionen, Ängsten oder Schlafstörungen.

Beim Auftreten dieser unangenehmen Bewegungsstörung lassen sich zwei Altersgipfel feststellen: Ein erster Gipfel der Häufigkeit zeigt sich im Jugendalter, insbesondere im zweiten Jahrzehnt des Lebens. Der andere Anstieg der Häufigkeit tritt – wie Sie wahrscheinlich schon vermutet haben – im höheren Lebensalter auf.

Sogar Schulkinder leiden manchmal schon unter überstarkem Zittern: Das Schreiben vor den Augen der Lehrer und Klassenkameraden an der Tafel entwickelt sich zu einer Art Höllenritt, die Blicke und Kommentare der Mitschüler können für Betroffene zur Qual werden. Nicht zuletzt drohen die schulischen Leistungen darunter zu leiden und ins Bodenlose zu fallen.

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Ursachen für Zittern. Trotz oder vielleicht sogar wegen zahlloser Informationen, die durch das weltweite Netz schwirren, fühlen sich Betroffene häufig überfordert mit dieser Flut an Wissen und alleingelassen mit ihren Beschwerden. Diese Lücke will das vorliegende Werk schließen.

Wir, ein Neurologe und ein Medizinjournalist, möchten auf den folgenden Seiten eine Übersicht über die verschiedenen Ursachen von Tremor, aber auch über die Möglichkeiten der Erkennung und Behandlung bieten. Und zwar in einer Sprache, die Sie als Betroffener oder Angehöriger verstehen, auch wenn Sie medizinischer Laie sind.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Buch zu einem besseren Verständnis der Ursachen von Tremor beitragen und damit Hilfe zur Selbsthilfe anbieten können. Wir möchten auch Mut dazu machen, sich als Betroffener aktiv mit dem Symptom auseinandersetzen. Wenn wir die Hürde etwas kleiner machen können, sich fachliche Hilfe beim Arzt zu holen, dann haben wir unser Ziel erreicht!

Dr. Klaus-Dieter KieslingerSalzburg

Mag. Wolfgang Bauer

Admont

im Jänner 2023

 

 

EINFÜHRUNG

Kennen Sie den?

Ein Mann mit stark zitternden Händen wendet sich an seinen Arzt um Rat. Fragt der Arzt: „Trinken Sie viel Alkohol?“ Darauf der Patient: „Nicht wirklich, das meiste davon verschütte ich.“

Zugegeben: Für Betroffene nicht gerade ein Witz zum Schenkelklopfen. Er könnte beleidigend und geschmacklos klingen, weil er sich über eine Gruppe von Patienten lustig macht, die ihr Leiden gewiss nicht als besonders witzig empfinden.

Doch auf der anderen Seite steckt in diesem knappen Dialog einiges, was für unser Buch von Interesse ist: Zum einen veranschaulicht er, dass Zittern häufig am offensichtlichsten die Hände betrifft. Zum anderen zeigt er auf, dass das Zittern simple Alltagsaktivitäten wie das Trinken aus einem Glas beeinträchtigt. Was sich nicht nur auf die Menge der Flüssigkeitszufuhr negativ auswirkt, sondern ganz allgemein die Lebensqualität mindert. Und wie die Frage des Arztes andeutet, kann Zittern – zumindest in manchen Fällen – in Zusammenhang mit Alkoholkonsum stehen. Nicht zuletzt verhält sich der erwähnte Patient in dieser Anekdote geradezu vorbildlich. Denn: Er wendet sich mit seinem Leiden an einen Arzt. Das wohl stärkste Argument dafür, dass wir den Witz an dieser Stelle erwähnen, denn die Medizin kann wirksame Hilfen anbieten.

Was ist Zittern überhaupt?

Wenn man von Zittern spricht, dann meint man ein unwillkürliches, also nicht der bewussten Kontrolle des Willens unterlegenes, mehr oder weniger rhythmisches Hin-und-her-bewegen bestimmter Abschnitte des Körpers. Dies betrifft meist und in erster Linie die Hände oder die Füße. Der Fachausdruck für diese häufige Bewegungsstörung lautet „Tremor“.

Der Begriff stammt – wie viele medizinische Termini – aus dem Lateinischen. Das Zeitwort „tremere“ bedeutet so viel wie „zittern, zucken, beben“. „Tremere“ steckt auch in anderen Wortschöpfungen: So sprechen Ärzte von einem Delirium tremens, das während des Entzugs von Alkohol oder anderen Suchtmitteln auftreten kann. Dabei handelt es sich um einen Zustand von massiver Unruhe, Verwirrtheit und Halluzinationen in Verbindung mit einem Zittern, das zum Teil sehr stark ausfällt. Eine Situation, die einen medizinischen Notfall darstellt und umgehend medizinisch abgeklärt und behandelt werden muss.

Im positiven Sinne ernst hingegen stellt sich die Lage dar, wenn eine Sängerin ihre Stimme absichtlich durch ein Beben oder Vibrieren verziert oder wenn ein Musiker den Ton seiner Violine rasch hintereinander an- und abschwellen lässt. Dieses Stilmittel aus der Welt der Musik kennen wir als Tremolo: Eine Art von Vibration, welche sozusagen ein inneres Beben ausdrückt und sich – bewusst eingesetzt – vom Instrument auf die Zuhörer übertragen kann. Diess Zittern löst im besten Fall sogar Gänsehaut aus.

Zittern als natürliches Phänomen

Zittern an sich bedeutet erst einmal nichts Negatives, nichts Krankhaftes. Vielmehr stellt es eine natürliche Fähigkeit des Organismus dar. Zum Beispiel als Reaktion auf kalte Umgebungstemperaturen. In solchen Fällen schützt sich der Körper durch permanente kleine und kleinste Bewegungen von Muskelfasern vor einem Absinken der Körperwärme. Die Zitterbewegungen setzen dabei Energie frei – Energie in Form von Bewegung und Wärme. Dieses so genannte Kältezittern kann im Extremfall dazu beitragen, das Leben zu retten, etwa wenn sich ein Bergsteiger an einem kalten Tag in Schnee und Eis verletzt und auf Hilfe warten muss.

Ein anderes Beispiel: Schüler sprechen bei entscheidenden mündlichen Prüfungen oft mit einem nervösen Zittern in der Stimme. Oder rechnen und zeichnen mit zittriger Schrift auf der Tafel: Zittern – ein natürlicher Ausdruck von Nervosität, von Stress.

Noch ein Beispiel: Wer in einer Kraftkammer schwere Gewichte stemmt, um Muskelmasse aufzubauen, wird nicht selten unmittelbar nach dem Training ein leises Beben in seinen Händen bemerken. Eine Folge des anstrengenden Trainings.

Wohl niemand kommt auf die Idee, das Zittern in den genannten Situationen als Problem oder gar als Krankheit anzusehen. Vielmehr zeigt es, dass der Organismus adäquat auf eine äußere Belastung reagiert.

Normal und physiologisch

Ein ganz, ganz leichtes Zittern, das jeden Menschen betrifft und welches, kaum wahrnehmbar, aber immer vorhanden ist, bezeichnet die Fachsprache als physiologischen Tremor – eine normale Funktion des menschlichen Organismus. Es entsteht durch das regelrechte Zusammenspiel von zahllosen, einzelnen, winzigen Muskelfasern, die durch ihre Aktivität den Muskeltonus – also den Spannungszustand der Muskulatur – aufrechterhalten.

Wenn sich dieses „normale Zittern“ steigert, zum Beispiel bei einem Wettkampf, dann könnte es in manchen Fällen die sportliche Leistung beeinträchtigen. Man denke an Sportschützen oder Biathleten, die beim Anlegen ihrer Waffe auf das Ziel eine „ruhige Hand“ benötigen, um ins Schwarze zu treffen. Ein solches verstärktes natürliches Zittern, das sich unter der angespannten mentalen Situation und der körperlichen Belastung des Wettkampfs vielleicht noch ausgeprägter als sonst darstellt, kann zu Fehlschüssen führen. Bestimmte mentale Techniken und die Kontrolle der Atmung helfen den Athleten, zur nötigen Ruhe zu finden (siehe auch Interview: Über die Kunst, eine ruhige Hand zu bekommen).

Eine ruhige Hand benötigen ebenso Chirurgen bei operativen Eingriffen. Neue Technologien tragen dazu bei, dass das natürliche Zittern des Operateurs kaum mehr eine Rolle spielt. Zum Beispiel in der roboterassistierten Chirurgie. Diese Methode bedeutet nicht, dass kleine Maschinenmännchen die Operation vornehmen. Vielmehr steuert der Chirurg über Schalthebel, ähnlich einem Joystick, die Arme eines Roboters im Körper des Patienten. Hochauflösende Kameras auf diesen Roboterarmen vergrößern die zu operierenden Körperareale um ein Vielfaches. Instrumente, die sich ebenfalls auf diesen Armen befinden, sind um ein Mehrfaches beweglicher als die menschliche Hand, sie ermöglichen ein hohes Maß an Präzision unter Ausschaltung jedes Zitterns. Diese Operationstechnik kommt zum Beispiel in der Gynäkologie oder Urologie zum Einsatz.

Krankhaftes Zittern

Und dann gibt es noch das Zittern, das über das natürliche – physiologische – Ausmaß hinausgeht. Das eigentliche Thema unseres Buches! Dieses krankhafte oder pathologische Zittern tritt als Symptom bei einer Reihe von Krankheiten in Erscheinung, zum Beispiel bei Morbus Parkinson. Auch als Nebenwirkung von Medikamenten oder als Folge der Alkoholkrankheit kann es auftreten. Oder auch als eigenständige Erkrankung ohne erkennbare Ursache; man spricht dann vom sogenannten essentiellen Tremor, der mit dem Alter zunimmt. All diese Phänomene weisen zu Beginn eine Gemeinsamkeit auf: Die Betroffenen reagieren mit Unruhe oder sogar Angst auf die Zitterbewegungen. So mancher vermutet dahinter eine schwere Krankheit. Eine kurze Recherche im Internet führt sodann viele aufs Glatteis und steigert die Befürchtungen.

Zu zittern bedeutet ja ein Stück weit, die Kontrolle über den eigenen Körper verloren zu haben. Denn das Zittern geschieht unwillkürlich, man kann es willentlich nicht einfach abstellen. Einige der Betroffenen schämen sich sogar für ihr Leiden und fast alle versuchen, ihre zitternden Hände irgendwie zu verstecken. In ihren Hosentaschen. Oder sie verstecken sich sozusagen selbst, indem sie sich von der Welt zurückziehen, nur damit niemand merkt, dass ihre Hände nicht zur Ruhe kommen.

Keine seltene Erkrankung

Tremor stellt keine seltene Erkrankung dar. Ein Artikel des Deutschen Ärzteblatts vom 28. März 2014 (Heft 13) bezeichnet den essentiellen Tremor als die häufigste aller Bewegungsstörungen: Bis zu fünf Prozent der über 65-Jährigen und bis zu 21 Prozent der über 95-Jährigen leiden demnach unter unwillkürlichem Zittern. Ein ähnliches Bild zum essentiellen Tremor zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in ihren Tremor-Leitlinien.

Für den verstärkten physiologischen Tremor wiederum – ebenfalls eine Ursache des Zitterns, wie später noch zu lesen sein wird – führen die Experten sogar eine Prävalenz von mehr als neun Prozent ins Treffen, basierend auf Daten aus Südtirol. Wie dem auch sei: Zittern betrifft und beeinträchtigt viele Menschen. Und da der Anteil der älteren Bevölkerungsgruppe zunimmt, dürfen wir davon ausgehen, dass die Fallzahlen sich weiter nach oben entwickeln werden.

 

Arten des Zitterns

Was die Art des Zitterns angeht, so steht in den allermeisten Fällen der sogenannte Halte­tremor an vorderster Stelle. Also das eingangs erwähnte Zittern, das immer dann auftritt, wenn man einen Gegenstand, beispielsweise ein Glas, in der Hand hält, aber auch beim Hochhalten der Arme gegen die Schwerkraft. Weiters unterscheiden lassen sich der sogenannte Ruhetremor, also ein Zittern der Hände in Ruhe, und der Aktionstremor, also ein Zittern, welches bei bestimmten Bewegungen auftritt.

Nicht nur die Hände können betroffen sein. Manche Personen zittern mit dem Kopf, mit den Beinen, dem Gesicht, dem Kinn, dem Rumpf oder sogar mit der Stimme. Auch mehrere Körperabschnitte zusammen können betroffen sein, etwa alle Extremitäten.

Licht ins Dunkel

Dieses Buch verfolgt die Absicht, etwas Licht in die dunklen Winkel dieses vielleicht beunruhigenden und manchmal angstbesetzten Themas zu bringen. Denn ein Leiden, das man zumindest in Grundzügen versteht, verliert bereits ein Stück von seinem Schrecken. Wir möchten unseren Leserinnen und Lesern darüber hinaus vermitteln,

dass man dieses Leiden nicht einfach erdulden muss,

dass man gegen das Zittern sehr wohl etwas unternehmen kann,

dass heute Möglichkeiten bestehen, die Erkrankung günstig zu beeinflussen, ja, manchmal sogar zu heilen. Vor allem, wenn man die Ursachen erkennt und diese erfolgreich behandelt.

Wichtig ist dafür allerdings,

einen Arzt aufzusuchen, der Erfahrung im Umgang mit diesem Beschwerdebild hat, und nicht zuletzt:

selbst aktiv am Therapieplan mitzuwirken.

Auf den folgenden Seiten werden wir versuchen, zu erklären, warum Menschen manchmal zittern und welchen Sinn das (natürliche) Zittern ergibt (Kapitel 1). Was das Zittern zu einem Symptom macht und nach welchen Kriterien es die Medizin einteilt und klassifiziert, ist das Thema des 2. Kapitels. In diesem Teil kommen auch Betroffene zu Wort. Es folgt ein Abschnitt über die Möglichkeiten und Methoden der modernen Medizin, das Zittern zu diagnostizieren (Kapitel 3). Danach geht es um die verschiedenen Formen des Tremors, mit einer ausführlichen Charakterisierung der jeweiligen Beschwerden, ihrer Ursachen und natürlich mit den vielen Möglichkeiten ihrer Behandlung: Das medizinische Herzstück des Buches (Kapitel 4). Welche nicht medikamentösen Hilfen zusätzlich zur Verfügung stehen und den Tremor günstig beeinflussen, behandeln die nachfolgenden Kapitel: Wann neurochirurgische Eingriffe sinnvoll sind und welche es gibt (Kapitel 5), was Physiotherapie bewirkt (Kapitel 6), ob Rolfing helfen kann (Kapitel 7) und welche Möglichkeiten Entspannungstraining und Psychotherapie bereithalten (Kapitel 8). Im Abschnitt über das sogenannte neurogene Zittern untersuchen wir, wie Zittern als Therapie – Sie lesen richtig! – eingesetzt werden kann (Kapitel 9). Wie sich trotz des lästigen Tremors der Alltag in und mit der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit bewältigen lässt, schildert Kapitel 10. Und am Ende des Buches finden Sie noch ein Lexikon der wichtigsten Begriffe und die zehn wichtigsten Fragen rund um das Thema Zittern.

Wir konnten für unser Projekt einige Patienten gewinnen, die unter verschiedenen Formen des Zitterns leiden oder davon betroffen waren. Sie gewähren uns in diesem Buch sehr offen Einblick, wie sie dieses Leiden empfinden und wie sie damit umgehen. Ihnen allen gebührt unser ausdrücklicher Dank. Manche Fragen, die sich in den genannten Kapiteln ergeben, versuchen wir durch zusätzlich eingestreute Interviews mit Experten zu beantworten. Auch ihnen ein herzliches Dankeschön für ihr Mitwirken an diesem Buch!

 

1Grundlegendes zum Thema Zittern

 

Am 2. Februar 2021 erreichte ein Notruf die Bergrettung von St. Wolfgang im Salzkammergut. Sie musste auf ihren Hausberg ausrücken, den Schafberg (1.783 m), um ein 16-jähriges Mädchen zu bergen. Die junge Frau war am frühen Nachmittag unter hoch winterlichen Bedingungen zu Fuß in Richtung Gipfel aufgebrochen. Zunächst nahm sie einen Wanderweg, anschließend folgte sie den Gleisen der berühmten Schafbergbahn. Aufgrund von Schneeverwehungen und Sturmböen kam sie auf einer Höhe von etwa 1.500 Metern nicht mehr vor und zurück. Mit dem Handy gelang es ihr gerade noch, ihre Mutter zu verständigen. Diese wiederum setzte einen Notruf bei der Bergrettung ab. Sechs Einsatzkräfte brachen um 18:30 Uhr auf, die in der Winternacht Hängengebliebene zu suchen.

Gott sei Dank fanden sie die Wanderin gegen 21:00 Uhr, völlig erschöpft und unterkühlt. Zu diesem Zeitpunkt herrschte dichtes Schneetreiben mit Sturmböen von bis zu 70 km/h. Das alles fand in steilem, ausgesetztem Gelände statt. Also eine Bergung unter erschwerten Bedingungen. Die Retter brachten das Mädchen schließlich heil hinunter ins Tal zu ihren Eltern. Nochmal gutgegangen!

Ob das Mädchen bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaft frieren musste? Davon ist auszugehen. Ob es gar vor Kälte und Aufregung zitterte „wie Espenlaub“? – Vermutlich! Denn bei zu kalten Temperaturen setzt in einem gesunden Organismus unwillkürlich die körpereigene und natürliche Schutzmaßnahme gegen eine drohende Unterkühlung ein: Das bereits weiter vorn erwähnte Kältezittern.

„Zittern wie Espenlaub“