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Üblicherweise empfehlen Beziehungsratgeber zu kämpfen und durchzuhalten. Die allermeisten Paare aber, so Thomas Meyers provokante These, sind unglücklich – und sollten sich trennen. Denn das Leben ist zu kurz, um unnötig zu leiden. Meyer beschreibt mit analytischer Schärfe und großer Empathie alle Phasen des Schlussmachens (die quälende Zeit davor, die Trennung selbst sowie die Zeit danach) und macht Mut zum achtsamen Umgang mit sich selbst.
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Seitenzahl: 87
Thomas Meyer
Ein Essay über inkompatible Beziehungen und deren wohlverdientes Ende
Diogenes
Gleichheit ist die Seele der Freundschaft.
Aristoteles
Sehr geehrte Damen, Herren und weitere Geschöpfe,
wo ich auf den folgenden Seiten vom Partner spreche, meine ich jedweden Menschen an der Seite eines anderen. Also auch Sie, ungeachtet Ihres Geschlechts, Ihrer Geschlechteridentität und Ihrer sexuellen Orientierung. Die Beschränkung auf die männliche Schreibweise entspringt einzig meinem Verständnis von Leserlichkeit.
Hochachtungsvoll
Ihr Thomas Meyer
Ich glaube, dass der Sinn des Lebens darin besteht, Freude zu empfinden und sie zu teilen.
Ich glaube, dass der Sinn einer Beziehung darin besteht, einander gutzutun und in der Entwicklung zu unterstützen.
Ich glaube, dass eine Beziehung, die Sie kleinhält und traurig macht, beendet werden muss.
Denn ich glaube, dass das Leben sehr kurz ist. Zu kurz für alles, was uns nicht zum Lachen bringt.
Also trennt Euch!
Ob zwei Menschen zusammenpassen, ist keine Frage der Interpretation. Es passt, oder es passt nicht. Und meistens passt es nicht. Denn zum Passen braucht es viel.
Trotzdem sind nichtpassende Paare in der Mehrheit. Sie machen gewiss vier von fünf Beziehungen aus, und viele von ihnen bleiben für lange Zeit zusammen, obwohl sie alle an ihrer Verschiedenheit leiden – oder gerade deswegen: Sie scheinen in ihrem Kummer eine Art verhextes Glück zu sehen und somit einen Anlass, es immer weiter miteinander zu probieren, um diesen Bann eines Tages endlich zu brechen.
Doch wenn es nicht passt, wird es nie passen, und aus Leid wird immer nur noch mehr Leid, weswegen diese unheilvollen Beziehungen besser heute als morgen beendet werden sollten. Die wenigen anderen aber, die passenden, verdienen die größtmögliche Hingabe.
Ihr Partner und Sie passen zueinander, wenn Sie sich in den zentralen Aspekten ähnlich sind; also in Bezug auf
Humor,
Intelligenz,
Sexualität,
Kommunikationsverhalten,
persönliche Reife,
Wertvorstellungen,
sowie Lebensumstände und -ziele.
Sie müssen kein besonders lustiger Mensch sein, um einen Partner zu finden, aber Sie sollten einen ähnlich witzigen und generell ähnlich veranlagten Menschen dazu erwählen. Denn nur wenn Ihre Charaktere miteinander kompatibel sind und Sie offen und aufrichtig miteinander reden, ist echtes und dauerhaftes Verständnis zwischen Ihnen möglich – und damit jene Innigkeit, die wir uns alle wünschen.
Häufig ist zwar zu hören, dass Gegensätze sich anzögen, aber diese Idee taugt bestenfalls für Unterhaltungsfilme. Geht es darum, mit jemandem in Frieden – und damit tendenziell unspektakulär – zusammenzuleben, gilt vielmehr der Satz Gleichund Gleich gesellt sich gern, was nur eine andere Formulierung dafür ist, dass Ähnliche einander am besten verstehen, also rational und emotional nachvollziehen können, weshalb ihr Gegenüber so denkt, empfindet, spricht und handelt.
Diese Einfühlung gelingt zwar selbst bei unseren besten Freunden nicht immer; auch sie verstören uns bisweilen mit ihren Ansichten und Entscheidungen, wie ja auch umgekehrt. Wir sind ihnen aber deshalb nahe, weil sie uns üblicherweise, an neunundzwanzig von dreißig Tagen, das heimatliche Gefühl vermitteln, in ihnen Geistesverwandte gefunden zu haben. Wäre dem nicht so, wären sie nicht unsere Freunde geworden, und sie bleiben es nur so lange, wie das gegenseitige Empfinden von Gleichklang besteht.
Auch eine Partnerschaft kann nur glücken, wenn sie auf dem basiert, was eine Freundschaft ausmacht: Interesse aneinander, Achtung voreinander und Verständnis füreinander. Treffen Sie also einen Menschen an, dessen Wesen dem Ihren weitgehend entspricht, so ist das eine ebenso seltene wie kostbare Begegnung, für deren Gelingen Sie nichts unversucht lassen sollten.
Die Nichtpassenden – die Unähnlichen, die Inkompatiblen – geben sich gegenseitig ständig Rätsel auf. Sie sind einander zwar zugetan, sehen aber zu vieles zu verschieden, und auch wenn sie ihre gemeinsame Zeit zu großen Teilen dafür aufwenden, sich dem andern verständlich zu machen, gelingt ihnen das nur ausnahmsweise.
Letztlich bleiben sie sich fremd. Denn auch die heftigste körperliche Anziehung, die ehrlichste Kommunikation und der gewandteste Paartherapeut sind nicht imstande, Ähnlichkeit zu schaffen. Diese ist gegeben oder nicht, und wie man sich im Rückblick zerknirscht eingestehen muss, macht sich ihr Fehlen schon von Anfang an bemerkbar, ebenso wie das quälende Gefühl der ausbleibenden oder höchstens gelegentlich auftretenden seelischen Verbundenheit.
Wie sollen Sie sich auch erkannt, akzeptiert und geschätzt fühlen von jemandem, der sich nicht erwärmen kann für die Dinge, die Sie beschäftigen, der nie über Ihre Scherze lacht, aber dafür über Ihre Vorstellung einer besseren Welt, und dessen Gesinnung und Betragen in Ihnen immer wieder den Wunsch wecken, ihn wachzurütteln – kurz: der Sie ebenso wenig versteht wie Sie ihn?
Das Leid, das solcher Verschiedenheit entströmt, ist kolossal und hat seinen Ursprung darin, dass die beiden nichtpassenden Partner einander nur aufgrund gegenseitiger, mit allerlei Glückserwartung und Verschmelzungsphantasie bemäntelter Anziehung ausgewählt haben und nicht danach, ob sie miteinander kompatibel sind.
Haben sich die schwärmerischen Gefühle dann gelichtet und den Blick auf die nichtpassende Wirklichkeit freigegeben, trennen sich die meisten Unglückseligen aber nicht etwa. Stattdessen gehen sie zum Versuch über, einander mit monumentalem Starrsinn von ihrer jeweiligen Wahrheit zu überzeugen, im Ansinnen, auf diese Weise Verständnis zwischen sich herzustellen: Wenn du die Dinge doch nur so sähest wie ich! Dann verstünden wir einander endlich und wären glücklich!
Allein, diese Logik hat mit Verständnis nichts zu tun. Sie ist im Gegenteil ein gnadenloser Kampf zweier ungleicher Systeme um die Dominanz, der, da beide Partner ihn führen, unmöglich gewonnen werden kann und dessen Ergebnis einzig darin besteht, dass sie ihren Humor und den Respekt voreinander verlieren – und schließlich die Freude am Leben. Ironischerweise können sie einander dabei aber durchaus lieben. Denn Liebe und Kompatibilität sind nicht dasselbe.
Bloß weil Sie Ihr Herz an jemanden verschenken, heißt das nicht, dass Sie mit diesem Menschen eine funktionierende Beziehung führen oder überhaupt schöne Erfahrungen machen werden. Sie können sich ohne Weiteres zu jemandem hingezogen fühlen, dessen Geisteshaltung Ihrer eigenen komplett zuwiderläuft, der Sie schlecht behandelt oder dessen Leben ein derartiges Chaos ist, dass Sie an seiner Seite ständig in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch Ihren Eltern gegenüber werden Sie ein Leben lang Liebe empfinden; ganz gleich, wie sie mit Ihnen umgegangen sind. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun – Liebe lässt sich von Problemen nicht aufhalten, vermag diese aber auch nicht zu lösen.
Begehrende Gefühle zu entwickeln, ist ein emotionaler Vorgang, den Sie nicht beeinflussen können und auch nicht zu beeinflussen brauchen. Die Liebe ist eine höchst erquickliche Erfahrung, die Sexualität ebenso, und intime Begegnungen mit anderen Menschen sind dazu da, dass man sich entwickelt und aneinander erfreut – aber nicht unbedingt dazu, in eine lebenslange Partnerschaft zu münden. Allerdings wecken positive Emotionen meist exakt diesen Wunsch, und da nur wenige Charaktere wirklich mit Ihnen übereinstimmen, ist er in der Regel auf Personen ausgerichtet, die nicht zu Ihnen passen.
So gesehen ist der Liebe nicht zu trauen, oder besser: Man sollte sich nicht mit ihr begnügen. Man darf nicht glauben, magnetisches Empfinden gegenüber jemandem, den man überhaupt nicht kennt, sei ein Garant für eine harmonische Zukunft mit ihm. Vielmehr sollten Sie der zugegebenermaßen unromantischen, aber entscheidenden Frage nach der Kompatibilität und dem Wohlbefinden die nötige Beachtung schenken; also Ihren Partner oder den Menschen, von dem Sie sich wünschen, dass er dazu wird, nicht nur danach beurteilen, wie attraktiv und interessant er auf Sie wirkt, sondern auch danach, ob Sie sich mit ihm verstehen, ob er also eine ähnliche Weltsicht hat und ähnlich reif ist wie Sie, und ob Ihnen seine Nähe gesamthaft guttut. Denn eine Beziehung mit jemandem, der nicht zu Ihnen passt, verursacht erheblichen Stress, was sich in Gefühlen von Beklemmung, Ohnmacht, Frustration und Isolation äußert, oftmals Alkohol- und Drogenmissbrauch, heimliche Affären, generelle Unaufrichtigkeit sowie verschiedenste körperliche Reaktionsbeschwerden nach sich zieht und Ihnen zu wenig Zeit und Kraft für die Dinge lässt, die Sie und andere erfreuen und weiterbringen.
Dass über einer derartigen Szenerie fortwährend Trennungsgedanken aufsteigen, ist nicht verwunderlich. Sie sind die logische Folge der regelmäßig empfundenen Ahnung, dass Sie sich auf einem Kurs befinden, der Sie immer weiter von sich selbst wegführt und immer tiefer in den Schmerz des Nichtpassens hinein. Es gibt Menschen, denen das ganz recht ist, denn sie neigen zum Drama und sind erst zufrieden, wenn sie unzufrieden sind – wir werden ihnen später kurz begegnen. Alle anderen aber haben ihren gemeinsamen Weg nicht beschritten, um zu leiden, sondern um miteinander glücklich zu sein, und stellen, nachdem sie sich von ihrer hormonellen Erblindung erholt haben, verwundert fest, dass sie es nicht sind: Ich liebe diesen Menschen doch, wieso denke ich immer wieder daran, ihn zu verlassen?
Dieser irritierende Gegensatz von Zuneigung und Fluchtplanung ist nur zu verkraften, indem Sie sich immer wieder einreden, Ihre Liebesgefühle seien ein eindeutiges Zeichen, dass es hier tatsächlich um Liebe gehe, Sie demzufolge zusammengehörten, und dass Ihre Trennungserwägungen daher mangelnder Dankbarkeit, Beziehungsunfähigkeit oder genereller Schlechtigkeit ihrerseits geschuldet seien. Aber Liebe ist weder ein Indiz für das Passen noch eine Voraussetzung dafür. Sie ist vollkommen neutral und stellt keinerlei Bedingung. Mal gilt sie einem Menschen, der Ihnen das Leben versüßt, mal einem, der es Ihnen zur Hölle macht; sie führt hier zu positiven Erfahrungen und dort zu schlechten. Und sie lässt sich weder erzwingen noch ausradieren.
Wir werden mit unserem Naturell geboren und sterben mit ihm. Wir können auf unserem Weg reifen, lernen und uns entwickeln, wir können versuchen, schädliche Verhaltensweisen abzulegen und uns konstruktive anzugewöhnen, aber verändern werden wir uns nicht. Der Geizige bleibt geizig und die Großzügige großzügig, die in sich Gekehrte bleibt in sich gekehrt und der Gesellige gesellig. Zu den einen passt unser Charakter gut und zu den anderen schlecht, und daran ändert die Liebe nicht das Geringste. In ihrer Kraft stehen die menschliche und künstlerische Hingabe, das Verzeihen, das Versöhnen und die Heilung, doch an der Aufgabe, die Verschiedenheit zwischen zwei Menschen zu überbrücken, wird sie immer scheitern.
Und wenig zerreißt einen mehr, als jemanden zu lieben und festzustellen, dass die Liebe nicht reicht. Nicht weil zu wenig davon vorhanden ist – sondern weil auch die größte Liebe allein als Grund nicht genügt, um mit jemandem zusammen zu sein.
Solange Sie sich in einer nichtpassenden Beziehung befinden, oszillieren Sie unablässig zwischen der Klage über Ihren Partner und der Beteuerung, mit diesem eigentlich eine gute Beziehung zu führen, da er eigentlich perfekt zu ihnen passe – wenn bloß jene lästige Eigenschaft nicht wäre, er endlich diese eine Einsicht hätte und sein Verhalten Ihnen gegenüber ändern würde.