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Als der Student Mischa der acht Jahre älteren Natascha begegnet, ist er in denkbar schlechter Verfassung. Schuld sind natürlich die Frauen. Er kann sich nicht einmal mehr auf seine Potenz verlassen und will sich eigentlich von nun an vom weiblichen Geschlecht fernhalten. Für Natascha ist das jedoch nur ein Grund mehr, wirklich unbedingt mit Mischa schlafen zu wollen, denn sie weiß genau, wie man sich in Gefahr begibt. 'Sie wird dir das Herz brechen', warnt ihn Paul, Nataschas Ehemann, und der muss es ja eigentlich wissen. Mischa sucht also vor Nataschas Begierden das Weite, nicht immer erfolgreich, und beginnt eine Freundschaft mit Paul. Dieser muss jedoch mit aller Macht gegen die Anziehungskraft ankämpfen, die sein junger Freund auf ihn ausübt, um seine Frau nicht zu verletzen. Denn was Mischa und Natascha nicht wissen: Paul führt ein Doppelleben und hat sich in Mischa verliebt. Um ihn zu verführen, braucht er aber seine Frau, die schöne Natascha, die ihre Lust inzwischen in anderen Betten stillt. Und doch will sie ihre Ehe retten. Es entsteht eine berauschende Beziehung zu dritt, die scheinbar alle Wünsche erfüllt und dabei die emotionalen Grenzen aller Beteiligten auslotet. Heike Duken erzählt in ihrem Roman sinnlich, klug und mit sprachlicher Raffinesse über Träume, die nicht verwirklicht werden können, Wünsche, die sich nicht unterdrücken lassen, und die Wirklichkeit, die überraschender sein kann als die Fantasie.
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Seitenzahl: 249
HEIKE DUKEN
Für A.
1. KAPITEL
Er saß im Wartebereich der Notaufnahme einem gleißend hellen Licht gegenüber, das aus einer offen gelassenen Tür heraus schien, und wartete nicht etwa darauf, in dieses Zimmer gebeten zu werden, dort geheilt, operiert, eingerenkt oder genäht zu werden. Er hatte tatsächlich nichts Besseres zu tun, als zu heulen. Sich leidzutun. Sich vorzustellen, es hätte ihn übel erwischt und eine gütige, schöne Frau würde ihn sich vornehmen, ihn untersuchen, betäuben, aufschneiden, entrümpeln und wieder zumachen und ihm nach dem Aufwachen zeigen, was in ihn hineingeraten war, kein Mensch wusste mehr wie, aber jetzt war es draußen. Er konnte es begutachten, tief Luft holen, ach du Scheiße, ganz schön groß das Teil, und das haben sie rausgeholt? Sie würde lächeln, ihm eine Hand auf die Schulter legen und sagen: »Da haben Sie noch mal Glück gehabt. Ein paar Stunden später und …«
Die Hand auf seiner Schulter würde ihm guttun, spürbar den Heilungsprozess vorantreiben, sodass er bald so weit sein würde, sich diese Hand woanders zu wünschen als auf seiner Schulter.
Er sah an sich herunter auf den Reißverschluss seiner Jeans und unterbrach kurz das Weinen, um verächtlich zu schnauben. Tot. Sein Ding da unten war tot. Ein Gartenschlauch, eine Gummischlange zum Erschrecken, eine Banane, vergessen im unteren Bereich des Obstkorbes.
Ein Mann mit einem toten Schwanz war wie ein kleiner Junge, da konnte man so eine Hand auf der Schulter wirklich brauchen. Dann weiß der kleine Junge, dass schon jemand auf ihn aufpasst. Und von den Schrecken, die ihn erwarten, wenn das kleine Etwas in der Mitte seines Körpers zum Leben erwacht, hat er noch nicht die leiseste Ahnung. Er weiß nur, dass er die Frau, der diese Hand gehört, heiraten und glücklich machen würde, später zumindest, wenn er Bundeskanzler, Polizeichef oder Pathologe geworden war, wenn nur dieser grobe Mensch, der behaarte, ins Riesige überwachsene, furchtbare Typ sich nicht schon über sie hergemacht hätte.
Die Hand strich ihm über den Nacken und verfing sich ein bisschen in seinen Locken, das machten sie alle gerne, in seinen Locken herumwühlen, das hatte schon seine Mutter gerne getan, Rebekka und die ganzen jungen Dinger der letzten Zeit auch. Oh Gott, da hätte er jetzt nicht dran denken dürfen. An diese Mädchen, an seine Mutter und zu guter Letzt: Rebekka.
Er musste den Kopf schütteln.
Und dann passierte es einfach. Es rutschte ihm so heraus, ganz leise, aber trotzdem: »Mama.«
»Ich bin ja da.«
»Was?«
Er richtete sich auf.
Die Hand auf seiner Schulter griff fester zu, als wollte sie ihn zu irgendwas ermutigen. Er wandte sich um. Neben ihm saß tatsächlich eine Frau. Sie trug einen schwarzen, flauschigen Pullover, ihr Busen war ziemlich groß und bewegte sich hoch und runter.
Die Frau atmete, so viel war klar.
»Du hast Mama gesagt.«
»Ich hab nicht Mama gesagt. Ich hab Mannomann gesagt.«
»Ach so.«
»Wirklich.«
»Natürlich.«
»Könntest du die Hand da wegnehmen?«
»Ist ihr was passiert? Deiner Mutter?«
Mit dem Heulen war es jedenfalls vorbei.
»Scheiße«, sagte er jetzt.
»So schlimm?«
»Was?«
»Das mit deiner Mutter.«
»Würdest du mich bitte in Ruhe lassen?«
Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich ans andere Ende der Stuhlreihe, wo ein Junge mit offenbar frisch gebrochener Nase vor sich hin stierte. Der war vielleicht dreizehn. Höchstens. Und offensichtlich ganz allein auf der Welt.
Mischa hätte sich jetzt gerne wieder konzentriert und weitergeheult, aber versaut war versaut. Und das war nicht seine erste versaute Nacht, das war nur eine weitere in einer endlos langen Kette von beschissenen Nächten. Diese Nacht brauchte sich also nicht das Geringste einzubilden.
Er konnte dann doch nicht anders. Er sah noch mal zu der Frau rüber.
Es war ihr natürlich peinlich, dass sie ihn angesprochen hatte. Sie starrte auf den Boden, wo nicht wirklich was Interessantes zu finden war. Und tatsächlich gibt es wohl kaum was Peinlicheres als so eine unheimlich gut gemeinte Fürsorglichkeit, wenn die überhaupt nicht angesagt, sondern alles in bester Ordnung ist.
Doch, eine Sache wäre da noch, er würde mal sagen: Peinlichkeitsfaktor 10. Keinen hochzukriegen zum Beispiel, während ein einwandfrei hübsches Mädchen nackt und mit großen Erwartungen unter einem im Bett liegt. Da passte er auf, normalerweise, dass ihm das nicht passierte, und trotzdem war es vor nicht allzu langer Zeit, vor zwei Stunden etwa, so weit mit ihm gekommen, das musste er sich eingestehen. Wie hieß sie noch mal? Maria? Lisa? Mit Lisa lag man in der Hälfte der Fälle richtig. Er hatte das für eine gute Idee gehalten, sich noch was aufzureißen. Wegen Rebekka und allem. Diese Mädchen unter zwanzig fackelten nicht lange, wenn man Glück hatte, und mit Sagen-wir-mal-Lisa hatte es eben geklappt. Das konnte ja keiner ahnen, wie das ausgehen sollte, das war ja nicht vorherzusehen. Dass einem immer noch was bevorstand, egal wie viel man schon hinter sich hatte. Und jetzt saß er hier und gab sich düsteren Gedanken und einer gewissen Hoffnungslosigkeit hin.
Die Frau mit dem schwarzen Pullover rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie tat ihm leid. Es war nicht zu fassen, er war am Boden zerstört, ein Wrack, aber sie tat ihm leid. Sie war nett zu ihm gewesen, oder etwa nicht. Und wie behandelte er sie?
Also: Sie war hübsch. Sie tat ihm leid. Er lächelte sie an.
Sie stand auf und kam entschlossen auf ihn zu, ihre Turnschuhe quietschten auf dem Krankenhauslinoleum. Jetzt war sie ihm unheimlich. Da sollte er besser die Finger von lassen. Aber sagte er sich das nicht immer? Morgen würde sie neben ihm aufwachen, ohne Pullover, ohne Schuhe, nur ein Körper, schlank, hübsch, nur die Hülle, mit einem kleinen Eingang, den er benutzt hatte, Sackgasse, weiter war er nicht gekommen.
Sie lief allerdings an ihm vorbei. Ohne noch mal zu ihm hinzuschauen. Er konnte ihren Hintern in einer ziemlich engen Jeans begutachten, das war alles.
Die Tür zum Behandlungsraum stand wieder offen, und das Licht umrahmte ihre Gestalt, sodass sie wie ein Engel ohne Flügel aussah oder wie Christus selber, gerade aus der Höhle geklettert und mit der ganzen Helligkeit des Universums ausgestattet.
Plötzlich waren sie zu zweit. Zwei Engel.
Der eine sagte: »Und? War’s schlimm?«
Der andere sagte: »Alles wieder im Lot« und bewegte seinen Arm hin und her, wahrscheinlich um zu zeigen, dass alles wieder im Lot war.
Besorgtes »Kannst du laufen?« und »Ach, du Armer!«.
Sie tätschelte dem Typen den Rücken.
»Ach, du Armer!«, meine Güte, irgendwas störte Mischa gewaltig an ihrem Getue. Der Typ war bestimmt zehn Jahre älter als sie und hatte eine rasierte Glatze, vermutlich weil es mit dem Haarwuchs nicht mehr so weit her war. Er tat ein bisschen umständlich beim Jackeanziehen, bestimmt, damit sie sich noch eine Weile um ihn kümmerte. Der Idiot.
Und? Was regte er, Mischa Mackenroth, sich schon wieder so auf? So konnte das nicht weitergehen, er musste sich von Frauen noch ferner halten. Er musste sich so ein Band kaufen, wie zum Absperren von gefährlichen Baustellen oder Löchern in der Straße, so ein rot-weißes, das musste er um sich herum tragen. Und über das Band durfte keine Frau mehr drüber. Das war Sperrzone für Menschen mit Muschi. Aber wie er die kannte, die Frauen, scherten die sich einen Dreck um so eine Absperrung. Das war denen gerade egal. Die machten sich noch einen Spaß draus, drüberzusteigen. Haha, ich bin drüben, kicher kicher. Ein kleiner Elektrozaun musste schon dazu installiert werden, wie für Schafe, aber wesentlich stärker natürlich. Dass wenn Frauen sich ihm näherten, sie ordentlich einen gewischt kriegten, also schon so, dass sie hinfielen oder in Ohnmacht, sonst war das für die Katz, das konnte man sich vorher ausrechnen.
Was hielt ihn hier noch? Der Typ, den er aufgelesen hatte, bewusstlos und besoffen, Gesicht auf dem Asphalt, der war versorgt, bekam wahrscheinlich den Magen ausgepumpt oder irgendwelche Infusionen, egal, der brauchte ihn nicht mehr zu kümmern.
Mit dem Heulen war es auch vorbei. Sich unmöglich zu machen, schon passiert. Zeit, nach Hause zu gehen.
»Komm, wir gehen noch auf ein Bier«, sagte der Typ.
»Echt?« Sie freute sich über irgendwas, dass es ihrem Schatz wieder so gut ging oder weil sie noch was von der Nacht haben wollte.
»Kommst du mit?«, fragte sie dann.
Wer? Er etwa? Mit den beiden? Was sollte das denn werden? Eine Mitleidsnummer?
»Er hat geweint«, raunte sie dem Typen von der Seite ins Ohr.
Der legte seinen gesünderen Arm um die Frau und nickte ihm, der geweint hatte, aufmunternd zu.
»Warum nicht. Wohin geht’s?«, hörte er sich sagen, möglichst unbefangen natürlich.
»Trocadero?«, fragte sie.
»Astrein«, antwortete er und hatte dabei eine seiner düsteren Vorahnungen. Das Schicksal nahm wahrscheinlich gerade mal wieder seinen unvermeidlich tragischen Verlauf.
2. KAPITEL
Ich habe ihn gut ausgesucht, diesen Jungen. Er saß in der Notaufnahme, und ich dachte, dem ist wer gestorben oder dem ist was Schreckliches passiert, aber das stimmte alles nicht, das war noch schlimmer. Er starrte mir dauernd auf den Busen, als wollte er daran nuckeln. Es wäre mir egal gewesen, ich hätte den Pullover ausgezogen und ihm die Brust gegeben, aber das hätte er bestimmt abgelehnt. Männer lehnen in der Regel ab, was ihnen helfen könnte.
Er hat ein Problem mit Frauen. Da stimmt was nicht, mit ihm und den Frauen. Ich werde das rauskriegen und heilen. Geheime Mission: Natascha. Und natürlich werde ich mit ihm schlafen.
Aber das ist es nicht. Es ist wegen Paul. Es gibt so wenige Menschen, die Paul zum Lachen bringen. Oder zum Sprechen. Es gibt so wenige, die dieser unendlichen Anzahl von Bieren standhalten und immer noch da sind, und die Paul vielleicht das Wasser reichen können. Denn Paul ist eben Paul, der muss nicht geheilt werden. Wenn er was hat, geht er ins Krankenhaus und lässt sich wieder einrenken. Er war auf der Treppe zur Haustür ins Stolpern gekommen, wollte sich am Geländer abfangen, und zack war der Arm draußen aus dem Kugelgelenk. In der Notaufnahme musste ich natürlich draußen warten, keine Diskussion (ich hätte ja Pauls Gesicht sehen können, wie es sich vor Schmerz verzerrt). Doch alles hat ja auch sein Gutes, denn da saß dieser Junge, und ich habe ihn mitgenommen. Hätte ich ihn sitzen lassen sollen, so ganz allein? Wäre das nicht grausam gewesen?
Sie haben im Trocadero mit ihren Handys herumgespielt und ihre Nummern ausgetauscht und sich geschworen, dass sie sich auf jeden Fall anrufen und sich auf jeden Fall wiedersehen.
Ach, sollen die Männer ruhig was ausmachen. Ich habe nicht darauf bestanden. Ich habe nichts dazu getan.
Aber mir selbst kann ich nichts vormachen. Ich weiß, wie man so etwas einfädelt. Ich weiß, wie man sich in Gefahr begibt. Und schon liegt wieder irgendetwas in Trümmern. Denn nichts, wirklich gar nichts schützt uns vor den eigenen Wünschen.
3. KAPITEL
Er lag im Bett, sah sich Die Sendung mit der Maus an und diagnostizierte den eigenen Zustand als bedenklich. Zu viele Zigaretten, zu viel Bier, zu wenig Schlaf. Aber das kannte er ja schon. Das war zu einer Art Normalzustand geworden.
Ansonsten war es im Trocadero ganz gut gelaufen. Natascha aus der Notaufnahme hatte zwischen Paul, ihrem Typen, und ihm, Mischa, gesessen und sie alle beide so richtig um den Finger gewickelt. Sie hatte ihm unter dem Tisch die Hand auf sein Bein gelegt und ihn eine Weile nicht an Rebekka und nicht an seinen toten Schwanz denken lassen, sondern daran, was Paul, Nataschas anwesender Ehemann, wohl davon halten mochte.
Der merkte so was sofort, der gehörte nicht zu den ganz Bescheuerten, blieb aber schön cool, also dermaßen cool, da konnte man was von lernen. Paul war sowieso einer von den cooleren Typen. Mit so einem Selbstbewusstsein, mit so einer Lässigkeit, wie konnte irgendwer so dermaßen mit sich im Reinen sein?
Sie hatten jedenfalls ihren Spaß gehabt: Paul und Mischa überm Tisch und Natascha und Mischa unterm Tisch.
Aber jetzt ging dieses Programm wieder los in seinem Kopf, als hätte nur jemand kurz auf Pause gedrückt, und was war das für ein mieses Programm. Eine Doku-Soap. Mischa Mackenroth, der Vollzeit-Loser. Zu nichts zu gebrauchen, außer Frauen anderer Männer, die tatsächlich überhaupt nichts ausgefressen oder sich irgendwie unbeliebt gemacht hatten, zu nichts Gutem zu verleiten. Und drei halbe Tage in der Woche wildfremde Menschen anzurufen, um ihnen Telefontarife zu verkaufen, mit denen sie schlecht dran waren. Offiziell studierte er immer noch Jura, aber jeder wusste, dass er sich nie in der Uni blicken ließ, dass er keine Bücher bei sich rumliegen hatte und dass er seine Zeit mit was anderem verbrachte als mit Strafrecht, Verwaltungsrecht und solchem Kram.
Die Maus klapperte mit ihren Augendeckeln.
Er fühlte sich mies.
Er überlegte allen Ernstes, die Telefonseelsorge anzurufen oder den Krisendienst. Das hatte Rebekka, seine Ex, ihm geraten, er solle doch den Krisendienst anrufen anstatt sie. Nachdem sie diese SMS geschrieben hatte, diesen Todesstoß: WERD ERWACHSEN MACH EINE THERAPIE ES IST AUS.
Frauen sollten so was nicht tun, das war seine Meinung. Frauen sollten irgendwie lieb sein. Stattdessen waren das Monster, die nur so aussahen, als wären sie lieb. In ihrem Inneren versteckten sie ein Wesen von unvorstellbarer Grausamkeit. Dem war man als Mann nicht gewachsen, da konnte man einpacken. Lehnte man sich auf, wurde man entsorgt, man landete im Restmüll, dort traf man auf die anderen alle, die das gleiche Schicksal beklagten und so erbärmlich aussahen, dass man unmöglich glauben konnte, nun einer von denen zu sein.
Warum dachte er jetzt überhaupt an Rebekka? Ach ja, weil er sie getroffen hatte, gestern, früher Abend, in seiner Stammkneipe wohlgemerkt, zu der Exfreundinnen der Zutritt eigentlich verwehrt sein sollte, das war seine Meinung. Sie hatte Stiefel angehabt und einen viel zu kurzen Rock und war direkt auf ihn zugekommen, als hätte sie sich absolut nichts vorzuwerfen, mit einem Typen an ihrer Seite, so ein Graumelierter mit Vollbart und gütigem Lächeln.
»Bist du jetzt mit dem Nikolaus zusammen? Na herzlichen Glückwunsch!«, hatte Mischa gesagt, das war doch schlagfertig und witzig gewesen, oder etwa nicht.
Rebekka hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Werd erwachsen.«
Da hätte ihr aber auch mal was Neues einfallen können.
Er sollte sowieso aufhören, an Rebekka zu denken. Und sich diese Natascha vornehmen. Oder sonst eine, egal welche, verdammt noch mal, irgendeine halt.
Doch vorher klingelte ein Handy. Es klingelte nicht wirklich, sondern spielte This is the end. Also war es seins. Es lag auf dem Fußboden etwas außerhalb seiner Reichweite, vibrierte antirhythmisch mit und legte dabei kleine Wegstrecken zurück, aber nicht in seine Richtung. Er hatte keine Lust, aufzustehen. Wer wollte was von ihm? Auf dem Display irgendeine Nummer. Wenn er jetzt ranging, sollte diese Nummer gleich merken, dass er nicht zu irgendwelchen Späßen aufgelegt war.
»Ja?«, blaffte er.
»Paul hier.«
Das war doch mal ein Lichtblick. Paul durfte ihn ruhig anrufen. An Paul war erst mal nichts verdächtig. Außer dass es erst ein paar Stunden her war, dass sie sich verabschiedet hatten, schwankend und einander in den Armen liegend.
»Hi Paul. Habe ich jetzt einen Stalker am Hals?«
Paul lachte. Dieser Mann ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. »Wie geht’s dir?« fragte er.
Schwierige Frage. Was konnte Mischa schon antworten, ohne zu lügen und ohne ein Fass aufzumachen. Paul sollte ihn aber auch nicht unbedingt für einen Typen halten, der nichts zu sagen hatte.
»Mir? Schlecht.«
»Warum?«, fragte Paul.
»Verkatert.«
»Und sonst?«
»Hm. Weiß nicht. Warum fragst du?«
»Warum ich frage?«
»Ja, warum?«
»Na, weil’s mich interessiert.«
»Komisch«, sagte Mischa und hörte sich das sagen und schaute auf das Poster von Che Guevara an der Wand und fragte sich, ob Che Guevara sich das gewünscht hätte, bei Mischa Mackenroth an der Wand zu hängen, ob das nicht ein Abstieg war, ein unglaublich tiefer Abstieg, von der Revolution und von dem ganzen Kampf bis in Mischas Wohnung, keine Revolution weit und breit, keine Waffen, keine Arbeiter und keine Bauern.
»Ja, sehr komisch«, meinte Paul und grinste womöglich dabei. Das wusste man nicht so genau. »Natascha und ich fahren nach München, nächstes Wochenende. Bisschen Vergangenheit schnuppern. Und abends in die Oper. Lust mitzukommen?«
Mischa fragte sich, was das zu bedeuten hatte, und dann, warum er sich das fragte, und alles wurde unendlich kompliziert in seinem Kopf. Geriet er da gerade in was hinein? Spätnachts in der Kneipe mit ein bisschen Rum und Vitamin C im Schädel war eben alles einfacher.
»Ich lad dich ein«, meinte Paul schnell. »Ich hab eine Karte übrig.«
Das hörte sich gut an. Der Nebel lichtete sich. Mischa hatte Lust, mitzukommen und sich mit den beiden einen ganzen Tag zu vertreiben. Das konnte für sich genommen nicht allzu verkehrt sein.
»Keine Angst, wir besuchen keine Verwandten oder so.«
»Ich komm ja schon mit!«
Er versuchte, etwas weniger begeistert zu sein, krabbelte aber aus dem Bett und fing an, mit dem Handy in der Hand durchs Zimmer zu laufen.
»Freut mich«, sagte Paul.
Das hörte sich noch besser an. Fast wie ein Song von den Doors oder von Johnny Cash oder vielleicht noch von den Babyshambles.
»Was meint Natascha dazu?«, fragte Mischa, um auf Nummer sicher zu gehen.
»Sie träumt noch schön. Aber sie freut sich garantiert, wenn du mitkommst.«
»Okay.«
Okay war ein bisschen untertrieben, aber das brauchte niemand zu wissen, das hätte Mischa am liebsten selbst nicht gewusst. Er stellte sich vor, wie sie jetzt in ihrem Bett lag, ihr schwarzes Haar um sich herum, und wie sie schön träumte, von einem Delfin vielleicht oder vom Fliegen oder sogar von ihm, Mischa, von seinem Bein, wo ihre Hand gelegen hatte, oder von seinem heimlichen Zuzwinkern, das sie zum Lächeln gebracht hatte, als sie von der Toilette gekommen war. Ja, zum Lächeln.
»Geht’s dir jetzt besser?«, fragte Paul.
»Ja, ein bisschen.«
»Hol dir Brötchen, koch dir einen Kaffee, lass den Tag gut angehen.«
»Danke, Paul.«
»Für was denn?«
»So halt.«
»Komm am Samstag zu uns, bevor wir losfahren, ich will dir unsere Wohnung zeigen. Wird dir gefallen.«
Natascha lag in der Wohnung, die ihm gefallen würde, eine große, helle Wohnung, hoch oben, mit riesigen Fenstern, und sie lag auf dem Bett und träumte schön.
»Komm um neun. Machs gut bis dahin.«
Er legte sich zu ihr. Einfach so.
»Ich bemühe mich.«
»Tschüss, Mischa.«
»Ciao, Paul. Grüß deine Frau.«
Paul lachte.
*
Am Samstag stand Mischa vor dem Klingelschild: von Abenberg/Neuhofer. Paul nannte sich natürlich zuerst. Paul war bestimmt immer als Erster dran. Aufgrund natürlicher Gesetze, die im ganzen Universum gelten.
Sie wohnten im vierten Stock. Mischa nahm nicht den Fahrstuhl, sondern rannte praktisch die Treppe hoch. Er war ganz schön außer Atem, als er oben ankam.
Natascha öffnete die Tür.
Guckte ihn an.
Rief: »Paul! Schau dir Mischa an!«
Er hatte also alles richtig gemacht: seine Mutter um Geld angehauen, einen dunkelgrauen, ziemlich lässigen Anzug gekauft, der saß wie angegossen, und sein schwarzes Hemd drunter angezogen, keine Krawatte, keine Fliege, die ersten beiden Knöpfe offen. Schwarze Schuhe, leider schon etwas ausgelatscht.
So standen sie also da, er draußen, sie drinnen.
Ihr Haar war feucht, und sie roch nach Duschgel oder Shampoo oder so was. Sie hatte ein riesiges T-Shirt an, das bestimmt Paul gehörte, darunter Shorts, und Mischa war sich absolut sicher, dass sie ganz genau wusste, wie verführerisch sie aussah, so frisch geduscht und ungeschminkt und nur halb angezogen.
Er hätte auch gerne irgendwas gerufen, sagte aber lieber nichts und erwiderte nur ihren Blick, in dem ein gefährliches Leuchten wohnte. Es hätte ihn in dem Augenblick nicht gewundert, wenn ihre Pupillen schmal gewesen wären und senkrecht gestanden hätten.
Weiter hinten im Flur erschien Paul. Der musterte ihn lange, nickte dann, zog die Mundwinkel ein wenig nach unten, rieb sich mit der Hand einmal über die frisch rasierte Glatze und sagte: »Junge, Junge, du siehst echt gut aus. Machst mich glatt zum alten Sack neben dir.«
Nein, nein, hätte Mischa gerne gesagt, einen alten Sack habe ich neulich gesehen, an Rebekkas Seite. Das war kein alter Sack, den er jetzt vor sich hatte, das war Paul. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte, keine Fliege, der erste Knopf offen. Schwarze Schuhe, frisch geputzt und wie neu. Paul hatte ein paar Falten im Gesicht, aber diese Glatze und sein Dreitagebart sahen verdammt männlich aus, verdammt kraftvoll.
»Hi, du alter Sack«, sagte Mischa und lachte und bewegte sich endlich vom Fleck, umarmte Paul, der drückte ihn kräftig, dann Natascha, sie drückte ihn zart. Sie gingen vor ihm her und zeigten ihm ihr Zuhause, das sich sehen lassen konnte, hatte irgendwer was anderes erwartet? Wenn man sich ein Penthouse vorstellt, und man hat dann ein Bild im Kopf, genau so sah die Wohnung aus. Dachterrasse, Fenster bis zum Boden, Blick zur Burg, schicke Möbel, total aufgeräumt, ein Esstisch für ungefähr einhundert Personen, ganz bestimmt aus sündhaft teurem Holz, für das irgendwo auf der Welt seltene Primaten ihre Schlafnester hatten räumen müssen. Auf dem Tisch stand noch das Frühstücksgeschirr, Natascha bot Mischa Kaffee an, er sagte natürlich Ja. Er konnte sich niemanden vorstellen, der nicht gerne an diesem Tisch einen Kaffee getrunken, auf die Burg geguckt und aus dem Augenwinkel Nataschas Beine verfolgt hätte.
Sie machte dann im Badezimmer eine ziemliche Verwandlung durch, tauchte geschminkt wieder auf, Jeans, Stiefel, ein Kapuzenteil mit Reißverschluss, unter dem ihr Busen positiv zur Geltung kam.
Runter in die Tiefgarage, rein in den alten Benz.
Natascha saß vorne neben Paul, Mischa hinten. Ganz allein. Er konnte beobachten, wie sie ihr Haar kämmte, zu einem Knoten zusammensteckte, Haarspray drüber gab und einzelne Strähnen ordnete. Frauen konnten unwahrscheinlich viel Zeit mit ihren Haaren verbringen, mal hingebungsvoll und zärtlich, mal irgendwie unerbittlich und sogar grausam. Er stellte sich jetzt vor, als das Haar einer Frau wiedergeboren zu werden und ohne eigene Persönlichkeit nur dafür da zu sein, das Haar dieser Frau zu sein und sie glücklich und stolz zu machen, wenn sie mit ihren Händen hineinfuhr und verführerische Gesten machte.
Diese Stufe der Wiedergeburt erreichten allerdings ganz sicher nur die guten Menschen, die Vegetarier, Nichtraucher, Nichttrinker und die Erleuchteten.
Mit dem hochgesteckten Haar sah Natascha älter aus. So alt, wie sie wahrscheinlich war. Bestimmt sieben Jahre älter als Mischa oder noch mehr, zehn Jahre älter. Ob es pervers war, einer so alten Frau auf den Nacken zu sehen und sich zu denken, dass man da gerne mal hinlangen würde, aber nicht durfte, weil nebenan ihr Typ saß, ein ziemlich netter Typ, noch älter, stark, bestimmt gut im Zuschlagen? Paul könnte Mischa wegpusten, wenn er wollte. Dass Paul das aber nicht wollte, als würde es sich lohnen, Mischa mit nach München zu nehmen, ihn in die Oper einzuladen, anstatt sich mit Natascha zu zweit einen eins a Tag zu machen, das war schon komisch. Das war auch beängstigend. Das war nicht koscher. Jetzt war er auch noch misstrauisch, also wirklich, schließlich war er hier der Typ, dem nicht zu trauen war.
Aber sie behandelten ihn nicht so. Eher wie einen Freund. Oder wie einen Sohn. Oder wie einen Hund, der den Stellenwert von einem Sohn hat.
Auf der Autobahn schloss er die Augen und lehnte den Kopf zurück. Aber Natascha hatte nicht vor, ihn schlafen zu lassen. Sie drehte sich immer wieder zu ihm um und fragte dieses und jenes und plapperte ständig irgendwelche Sachen, von dem Lied, das gerade lief, von dem Film, den sie gestern gesehen hatte, dann wieder von dem anderen Lied, sie spielte ihm noch eins vor und plapperte weiter, irgendwelchen Mädchenkram. Mischa mochte das, auch ihre Stimme und ihre ganze Begeisterung und dass sie viel dabei lachte. Es war, als hätte ein Kind, dem nie jemand zuhört, plötzlich Gelegenheit, sich alles Mögliche von der Seele zu reden, und als würde es sich diese Gelegenheit jetzt nicht nehmen lassen, auf gar keinen Fall. Da durfte man sich nicht querstellen, das war seine Meinung. Das kippte sowieso irgendwann, und dann war die gute Stimmung schnell hinüber. Da wollte er dann nicht dabei sein und schon gar nicht irgendeinen Anlass dafür liefern.
Paul schaute auf die Straße, was auch gut so war, weil ihm die Geschwindigkeitsbegrenzungen anscheinend ziemlich egal waren.
Nach anderthalb Stunden lotste Natascha Paul quer durch die Stadt in den Süden nach Solln. Er parkte seelenruhig im Halteverbot, sie stiegen alle drei steifbeinig aus, streckten sich ein bisschen und hielten ihre Nasen in den kühlen, grauen Vormittag.
Natascha hatte es allerdings eilig. Sie stapfte los und startete eine Art Führung. Links die Schule mit Sportplatz, rechts der Friedhof mit Oma und Opa, eine Kirche mit Zwiebeltürmchen, eine kurvige Dorfstraße mit Bäckerei und Blumengeschäft, vorbei an Hecken und Mauern, dahinter Villen, aus den Sechzigern oder Siebzigern, nicht gerade wahre Schmuckstücke, soweit man das von der Straße aus erkennen konnte. Ein Dorfweiher mit Enten, noch kinderlos. Bänkchen natürlich, Trauerweide. In was für einer Zeit lebten sie eigentlich? Und wo? War das München oder war das ein Kaff im Nirgendwo? Fehlten nur noch Kuhställe oder Hühner, die auf Misthaufen herumliefen. Mischa war bloß froh, dass er seine warme Jacke anstatt des Jacketts anhatte, und machte sich ernsthaft Sorgen um seine Schuhe. Da fing jetzt nämlich eine ausgedehnte Wiese an, und Natascha steuerte unbeirrt drauf zu, deutete auf eine Gruppe Bäume quasi am Ende des Horizonts und meinte, nur noch bis da hin, dann sind wir da.
»Natascha, klär mich mal auf, wohin geht’s eigentlich?«, fragte Mischa mal unbefangen. Konnte ja nicht schaden.
»Das wirst du schon sehen«, antwortete sie bloß.
Na gut. Das war jedenfalls kein Spaziergang, das wuchs sich zu einer echten Wanderung aus. Natascha schickte sie auf einen Weg, der kerzengerade durch die Landschaft führte und wahrscheinlich Hunderte Kilometer lang war. Sie machte ordentlich Tempo, der Wald da hinten, Wildschweine, der Baum da vorne, noch mal Weide, idealer Picknickplatz und so weiter. Sie war mittlerweile eher kurz angebunden. Und dieser Weg war weit so ganz ohne ihr Gequatsche.
Von Paul kam auch nichts. Er trottete einfach hinter ihr her, nicht gerade motiviert, wenn man Mischa fragte, nicht gerade begeistert. Sie hörten bloß noch ihre eigenen, verdammten Schritte auf den Steinchen, die massenweise auf dem Weg herumlagen, und ab und zu einen Piepmatz, ziemlich einsam hörte sich das an, um nicht zu sagen kläglich. Hoch oben kreiste noch dazu ein Raubvogel, der bestimmt nichts Gutes im Sinn hatte. Ein gelbes Blümchen guckte zwischen den Grashalmen raus, eigentlich niedlich, aber auch irgendwie verloren auf dieser Wiese mit ihren gigantischen Ausmaßen.
Endlich, die Schuhe von einer lehmigen, beigefarbenen Schmiere einigermaßen versaut, erreichten sie die Baumgruppe, offenbar das Highlight dieses Ausfluges. Wieder mal Weiden, dazwischen Büsche mit winzigen Knospen dran, und (»Überraschung!«) noch ein Weiher. Versteckt und alles in allem idyllisch. Natascha nickte zufrieden und ließ ihn den Weiher bestaunen, echt geiler Weiher, gibt’s da Frösche im Sommer, ja klar, und vorher Kaulquappen, die man natürlich fängt als Kind, meistens kommen sie dann aus Versehen zu Tode. Die Stille, die Weiden, die kahlen Äste, die dunkle, praktisch unbewegte Fläche, die paar Sonnenstrahlen, die sich gerade durch die Wolkendecke zwängten, all das hätte durchaus für romantische Gefühle sorgen können, wenn man für so was anfällig war.
Aber Natascha fiel mehr und mehr einem gewissen Trübsinn zum Opfer. Sie starrte auf den Weiher und stippte mit dem Fuß Dreck und Steine ins Wasser, mit irgendeinem Groll, konnte man meinen. Mischa hatte das kommen sehen. Kein Mensch konnte einen ganzen Tag lang fröhlich sein.
»Natascha?«, rief er und fuchtelte mit der Hand vor ihren Augen herum. »Noch da? Was geht ab?«
Sie drehte ihm den Kopf zu und lächelte. Dieses Lächeln war ungefähr so echt wie ein Marken-Shirt aus dem letzten Türkeiurlaub.
»Ach nichts«, sagte sie, ging an ihm vorbei und streifte dabei mit der Hand kurz seinen Arm, ganz leicht. Das war kein Versehen gewesen, so viel war klar. Mischa hatte plötzlich ein ganz komisches Gefühl, so als würde dieser Weiher doch noch seine gewisse, unheilvolle Wirkung entfalten. Er machte sich lieber mal auf die Socken, legte einen Zahn zu und erreichte Paul, der schon auf dem Rückweg war.
»Was hat sie denn?«, fragte Mischa.
Paul machte so eine Bewegung mit der flachen Hand nach unten, wie um den Ball flach zu halten, wie um Mischa zurückzupfeifen, bloß kein Fass aufmachen, bloß keine schlafenden Hunde wecken oder so was in der Art.
Er kannte sie halt. Mischa hätte sie auch gerne gekannt.
Er drehte sich nach ihr um, sie lief mit gesenktem Kopf vor sich hin. Mischa blieb stehen, aber anstatt dass sie zu ihm aufrückte, blieb sie auch stehen und sah ihn an. Was erforschte sie da in seinem Gesicht? Was ging ihr nur durch den Kopf? Da lächelte sie wieder, ganz zaghaft, und diesmal war das kein Fake, das war echt, und sie zuckte mit den Schultern. Er tat das Gleiche, lächeln, mit den Schultern zucken. Diesen kurzen Moment lang gab es so eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, so einen filigranen Draht, so ein paar leise Morsezeichen, so ein ganz schwaches Lichtsignal, dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz.
Sie setzte sich wieder in Bewegung, stupste ihn an, als sie ihn erreicht hatte, und sie beeilten sich, Paul einzuholen, der immer weiter lief, immer weiter, mit den Händen in den Hosentaschen.
Er hatte wohl beschlossen, die ganze Tour und Nataschas Laune einfach über sich ergehen zu lassen. Aber Mischa war sich fast sicher, das war keine Laune, das war ein schwer zu beschreibendes Leiden, da kannte er sich aus, er war Spezialist für so was, und er dachte darüber nach, ob er Natascha trösten sollte und wie. Frauen wollten ziemlich oft wegen irgendwas getröstet werden. Da konnte man allerdings einiges falsch machen und auf alle möglichen Holzwege geraten.
Jetzt hatte er keine Lust mehr, sie zu trösten. Seine Füße taten weh. Natascha hatte wahrscheinlich bloß eine unglückliche Kindheit gehabt, hier in der Gegend, am Weiher, aber wer hatte die nicht? Nur seine Kindheit war glücklich gewesen, das war zumindest die Version seiner Mutter. Deswegen hatte sie auch beschlossen, dass diese Kindheit nie aufhören sollte, und kämpfte mit allen Mitteln darum.