Tritt aus dem Schatten deiner Angst - Dr. med. Dunja Voos - E-Book

Tritt aus dem Schatten deiner Angst E-Book

Dr. med. Dunja Voos

0,0

  • Herausgeber: Humboldt
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Prüfungsangst, Flugangst, Angst vor dem Alleinsein oder dem Tod – es gibt unzählige Ängste, an denen Menschen leiden können. Wenn Angst oder Panikattacken jedoch scheinbar aus dem Nichts kommen, ist es schwer, einen Weg aus dem Schatten der Angst zu finden. Mit ihrem Ratgeber hilft Dunja Voos allen, die sich von ihren Ängsten endlich nicht mehr bedroht fühlen möchten. Sie verfolgt einen tiefenpsychologischen Ansatz, der dabei hilft, Unbewusstes und Ursachen zu erkennen, über Ängste zu sprechen und sich bei Angst- und Panikattacken zu beruhigen. Ihr 7-Schritte-Programm mit den Eckpfeilern Sprache, Sinnlichkeit, Körper, Beziehung, Wahrheitssuche, Traum und Disziplin verhilft zu einem angstfreieren Leben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 232

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Vorwort

Das 7-Schritte-Programm – wie du mit diesem Buch arbeitest

Angst ist menschlich

Die Angst in den Griff bekommen

Der tiefenpsychologische Ansatz

Schritt 1: Finde Worte für deine Angst

Lerne, über deine Angst zu sprechen, denn wenn du darüber sprechen kannst, hältst du sie in deinen Händen

Über die namenlose Angst

Angstzustände „mit Grip“ und „ohne Grip“

Wenn Unbewusstes bewusst wird, geht die Angst zurück

Lerne, deine Angst zu beschreiben

Phobie, Furcht und generalisierte Angst

Angst und frühes Trauma: Psychotische Ängste

Panikattacken in der Nacht

Thought-Action-Fusion: Die Angst vor Denken und Tun

Der Diagnosen-Salat

Die strukturelle Reife bestimmt die Angst mit

Medikamente: Ja oder nein?

Hypnose gegen Angst?

Kann ich meine Angst heilen oder lerne ich nur, mit ihr umzugehen?

Schritt 2: Erfahre Beruhigung durch Sinnlichkeit

Dich selbst zu beruhigen ist eine Kunst, die du erlernen kannst. Sie gibt dir Sicherheit, sodass du dich freier bewegen kannst

Warum kann mich nichts beruhigen?

Finde gute Bücher, gute Musik und gute Menschen

Still werden will gelernt sein

Schritt 3: Stelle eine Verbindung zu deinem Körper her

Wenn du dich in deinem Körper geborgen fühlst, fühlst du dich überall zu Hause

Wenn der Körper verrücktspielt

Körperbeschwerden verringern das Schuldgefühl

Körperliche Beschwerden können eine Erinnerung an Traumata sein

Was tun bei körperlichen Überreaktionen?

Angst und Sexualität

Im Alptraum zeigen sich körperliche Regungen

Selbstbestimmtheit reduziert die Angst

Yoga hilft bei Angststörungen

Schritt 4: Stelle gute Beziehungen her

Seelische Gesundheit heißt in Beziehung sein

Übertragung: Warum sehe ich in anderen die Bedrohung?

Einsamkeit bewältigen

Schritt 5: Suche nach der Wahrheit

Wenn du deine inneren Wahrheiten kennst, kannst du nicht mehr so tief fallen

Ablenken oder in sich gehen?

Die Angst vor dem Verrücktwerden

Mythen und Märchen machen Angst – und helfen dir aus deiner Angst

Auch ich bin böse: Über Abwehrmechanismen

Wie Wahrheit die Angst nimmt

Schritt 6: Entdecke das Träumen und das Spielen

Traum und Spiel eröffnen dir neue Wege und ermöglichen dir, deine Ziele zu erreichen

Es kann nichts werden, was ich vorher nicht geträumt habe

Die Angst vor Esoterik, Telepathie und Religion verstehen

Mit Ohnmacht umgehen lernen

Schritt 7: Finde durch Disziplin zu deiner Stabilität

Wenn du ein gutes Maß an Stabilität und Flexibilität findest, wirst du von deiner Angst nicht mehr so leicht überrascht

Disziplin erlernen

Routinen aufbauen

Ausgewogenheit finden

Wie Motivation finden?

Sterben lernen heißt leben lernen

Neues kann kommen

Die 7 Schritte auf einen Blick

Schritt 1: Finde Worte für deine Angst

Schritt 2: Erfahre Beruhigung durch Sinnlichkeit

Schritt 3: Stelle eine Verbindung zu deinem Körper her

Schritt 4: Stelle gute Beziehungen her

Schritt 5: Suche nach der Wahrheit

Schritt 6: Entdecke das Träumen und Spielen

Schritt 7: Finde durch Disziplin zu deiner Stabilität

Anhang

Quellen

Hilfreiche Adressen

VORWORT

„Warum hilft mir eigentlich nichts von dem, was ich lese, wenn ich eine Panikattacke habe?“, fragte ich mich. Meine Angst käme daher, dass ich die Dinge falsch bewerte, hörte ich. Sie käme aus grauer Vorzeit, als die Menschen noch Angst vor dem Säbelzahntiger hatten. Wenn ich achtgäbe auf meine Gedanken, könnte ich meine Angst reduzieren, las ich. Manches half mir ein bisschen, doch nichts brachte mich wirklich weiter.

Vielleicht geht es dir ähnlich wie mir damals: Du bist ständig im Kampf mit deiner Angst. Du hast das Gefühl, etwas falsch zu machen, weil dir nichts hilft. Du hast schon vieles ausprobiert, aber die Angst will nicht vergehen. Wenn es dir so ergeht, könnte dieses Buch hilfreich für dich sein, denn es behandelt vor allem die hartnäckige Angst, die schwer zu bewältigen ist.

Ich hatte früher oft Angst, verrückt zu werden oder zu sterben, ohne dass ich diese Angst hätte einordnen können. Ich wollte meine Angst in den Griff bekommen, aber es war umgekehrt: Sie hatte mich im Griff.

Ich begann einen langen Weg, auf dem ich alles ausprobierte: autogenes Training, Verhaltenstherapie im Selbststudium, Glauben und Religion, Hypnose, Tiefenpsychologie, Yoga und Psychoanalyse. Ich sprang damals ohne Internet und völlig ahnungslos in mein Vorhaben „Psychotherapie“. Ich landete bei einer Psychotherapeutin mit einer Couch in der Praxis. „Da lege ich mich niemals drauf!“, sagte ich.

Auf Dauer fand ich selbst die größte Hilfe in der Kombination aus Psychoanalyse (nach einiger Zeit dann doch im Liegen auf der Couch) und Yoga. Beide Therapieformen stellen die Beziehung zum Therapeuten in den Mittelpunkt. Und das ist der heilsame, aber auch schwierige Punkt. Schlechte Beziehungen können Angst und krank machen, doch schon eine einzige gute Beziehung kann heilsam sein. Da ich so gute Erfahrungen mit diesen Methoden gemacht habe, wirst du in diesem Buch vorwiegend psychoanalytische Sichtweisen finden. Ich beschreibe sie so, dass du sie verstehen kannst, und weise auch auf andere Hilfsmöglichkeiten hin.

Heute bin ich selbst Psychotherapeutin und kann nachvollziehen, wie sich meine Patientinnen und Patienten auf den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung fühlen. Auch wenn du selbst ganz andere Erfahrungen machst als ich, so kann ich mir vorstellen, dass dir die „7 Schritte“ helfen können, deine Angst zu lindern. Du brauchst sehr viel Geduld und einen langen Atem, um die vielen kleinen Fortschritte zu fühlen. Aber zu merken, dass du selbstwirksam sein kannst, ist schließlich eine wunderbare Belohnung. Ich freue mich, dich mit meinem Buch auf diesem Weg zu begleiten.

Deine

Dunja Voos

DAS 7-SCHRITTE-PROGRAMM – WIE DU MIT DIESEM BUCH ARBEITEST

„Was hast du?“, fragt die Freundin. „Ich weiß es nicht“, antwortest du vielleicht. Es hat dich wieder erwischt: Deine Angst taucht wie aus dem Nichts auf und du kannst kaum beschreiben, wie dir geschieht. Niemand und nichts scheint dich beruhigen zu können. Vielleicht glaubst du, du hättest eine schreckliche Krankheit. „Wann finde ich endlich Hilfe?“, fragst du dich.

Angst ist menschlich

Wir können vor so vielem Angst haben: Angst, es nicht zu schaffen, Angst vor der Prüfung, vor Nähe, vor dem Alleinsein, vor Krankheit, Sterben und Tod. Ohne Angst ist der Mensch nicht denkbar. „Je ursprünglicher ein Mensch, umso tiefer die Angst“, sagte der Philosoph Søren Kierkegaard (1813–1855).

Das Wort Angst ist verwandt mit dem Begriff der Enge. Wenn du Angst hast, fühlst du eine Enge auf der Brust. Im Supermarkt kommt die Angst, wenn es dir unter den vielen Menschen zu eng ist. Und wenn du nachts aufwachst, zitterst du vielleicht vor Angst, weil du den Druck der ganzen Anforderungen spürst.

Vielleicht ist deine Angst vor dem Unbekannten riesig groß, wohingegen dir die Angst vor dem Hund oder vor dem dunklen Wald harmlos vorkommt. Verzweiflung kommt auf. Vielleicht hast du Sorge, dass deine Angst so schwer und die Bedrohung so groß wird, dass es keine Hilfe mehr für dich gibt. Du fühlst dich vielleicht, als gäbe es keinen Ausweg für dich. Manche Menschen haben große Angst vor dem Tod und fühlen sich hoffnungslos, weil der Tod ja eine Realität ist, die sich nicht wegreden lässt. Doch wie groß deine Angst auch sein mag: Es gibt Hilfe.

„Normale“ Angst erkennst du daran, dass sie einen Sinn ergibt und dass du sie mit anderen teilen kannst. Wenn du Angst vor einer Prüfung oder vor einem Gewitter hast, ist das auch für andere verständlich. Du kannst mit anderen einfach darüber sprechen. Sogenannte „krankhafte“ Angst ist jedoch schwer zu erklären. Da wir Menschen innerlich ein gutes Gefühl dafür haben, was „normal“ im Sinne von „gesund“ ist, erkennst du „krankhafte“ Angst unter anderem daran, dass du selbst vielleicht denkst: „Das ist nicht mehr normal.“ Bei der krankhaften Angst leidest du so sehr, dass du merkst, dass du Hilfe brauchst, um mit ihr klarzukommen.

Wie groß deine Angst auch sein mag: Es gibt Hilfe.

Wenn du an schwerer Angst leidest, dann hat diese Angst einen langen Entstehungsweg hinter sich. Du hast in deinem Leben vieles erlebt, was schließlich zu deiner scheinbar unerklärlichen Angst geführt hat. Vielleicht fühlst du dich so gelähmt und so gebannt, dass du dich kaum auf etwas anderes konzentrieren kannst. Vielleicht magst du kaum noch das Haus verlassen.

Ängste sind hoch individuell. Deine Vergangenheit, deine Beziehungen und dein Körper haben zusammen mit deiner Seele zu einer Angst geführt, die nur du ganz besonders gut kennst. Doch du bist nicht allein. Es gibt einige Mechanismen, die zur Angststörung führen und die sich erklären und verstehen lassen. In diesem Buch wirst du mögliche Erklärungen und Tipps zur Selbsthilfe finden. Es gab einen Weg hinein in diesen unangenehmen Zustand, also gibt es auch einen Weg hinaus.

Ich habe letzten Endes die Zuversicht gewonnen, dass sich selbst sehr schwere Ängste beruhigen lassen.

Ich selbst habe zu Beginn meines Medizinstudiums eine schwere Angststörung bekommen. Anfangs erschien es mir fast unmöglich, herauszufinden, was ich da überhaupt habe. Was war das, was meinen Körper und meine Seele in einen so schrecklichen Zustand versetzte? Übelkeit, Angst vor dem Erbrechen, Durchfall, Atemnot und Zittern gepaart mit einem schrecklichen Gefühl der Bedrohung ließen mich verzweifeln. „Daran stirbst du nicht“, sagte der Hausarzt. Doch ich glaubte ihm nicht, denn es fühlte sich wie Sterben an. Irgendwann hatte ich Angst davor, wieder einen neuen Angstanfall zu bekommen. Die „Angst vor der Angst“ war geboren.

Ich begab mich auf eine sehr lange Suche, probierte sehr vieles aus und brauchte viele Jahre, um diese schreckliche Angst nach und nach verlieren zu können. Ich musste erfahren, was für ein steiniger Weg das ist. Ich habe aber letzten Endes die Zuversicht gewonnen, dass sich selbst sehr schwere Ängste beruhigen lassen und Träume in Erfüllung gehen können. Wenn du die schweren Ängste nach und nach überwinden kannst, erlangst du dabei besondere Fähigkeiten, die dir dabei helfen, dich dem Leben ganz zu widmen.

Mit diesem Buch möchte ich dir etwas an die Hand geben, das dir helfen kann, aus deiner Angst zu finden. Dabei wirst du sehen, dass Beziehung ganz besonders wichtig ist. Du und ich, wir haben in diesem Moment auch eine Art von Beziehung. Ich stellte mir beim Schreiben meine Leser und Leserinnen vor, und du fühlst dich jetzt beim Lesen vielleicht von mir angesprochen. Du machst dir vielleicht Fantasien über mich. Das kann schön sein, aber vielleicht auch Angst machen, denn Beziehung kann leicht zu nah werden und zu einer Art Verfolgungsangst führen, wenn man sich selbst nicht gut abgegrenzt fühlt. Du kannst jedoch in diesem Buch lernen, dich abzugrenzen.

Unsere Beziehungen beeinflussen unser Seelenleben stark. Manchmal wären wir vielleicht gerne „total unabhängig“. Doch gerade unsere Angst erinnert uns daran, dass wir Menschen abhängige Wesen sind. Da gibt es Menschen, die uns beruhigen können, und solche, die unsere Angst verstärken.

Es ist nicht immer leicht, eine gute Beziehung zu uns selbst und zu anderen herzustellen. Vielleicht fühlst du dich manchmal unendlich einsam. Oder du fühlst dich durch zu große Nähe von anderen Menschen eingeengt. Vielleicht traust du dich nicht, deine aggressiven Gefühle oder deine Zuneigung zu äußern. Du zeigst anderen dann nicht, wie es dir geht, weil du dich vor ihren Reaktionen fürchtest. Doch dann fühlst du dich eingeengt in dir selbst. Du fühlst dich immer unwohler und schon kann die Angst wieder wachsen. Du wirst sehen, wie sich deine Angst dadurch verringern kann, indem du mithilfe dieses Buches lernst, mit anderen über deine Bedürfnisse, deine Gefühle und besonders über deinen Ärger zu sprechen.

Die Angst in den Griff bekommen

Mit den 7 Schritten möchte ich dir einen Weg aufzeigen, wie du durch Arbeit an den Eckpfeilern Sprache, Sinnlichkeit, Körper, Beziehung, Wahrheitssuche, Traum und Disziplin zu einem angstfreieren Leben finden kannst. Dabei geht es nicht darum, deine Angst „in den Griff“ zu bekommen. Denn wenn du das versuchst, wirst du vielleicht verzweifeln, weil das – gerade am Anfang – nur schwer möglich ist.

Anstatt die Angst in den Griff zu bekommen und sie damit „abzuwürgen“ und mundtot zu machen, wollen wir uns von der Angst eine Geschichte erzählen lassen. Mit den 7 Schritten kannst du an einen Punkt kommen, an dem du innerlich deine Hände öffnen kannst, um deine Angst dort hineinzulegen und zu halten.

Wir können lernen, offen zu werden für unser Unbewusstes, und unbewusste Anteile bewusst werden zu lassen.

Wenn du verstehen lernst, was eigentlich in deiner Seele passiert, dann ist es, als würdest du dir Winterreifen auf dein Auto ziehen: Es rutscht nicht länger im Schnee, sondern es kann sich mit seinen Rillen im Schnee festhalten und sozusagen mit dem Schnee zusammenarbeiten. Wenn du dieses Buch in Händen hältst, ist dies vielleicht ein erster Schritt hin zu einem Gefühl von mehr „Grip“. Dein Körper wird dir auf diesem Weg zu deinem wichtigsten Anker werden.

Du wirst lernen, deine Abwehrmechanismen zu erkennen und vielleicht sogar etwas abzubauen. Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Verdrängung und Vermeidung, aber auch Überanpassung können auf Dauer deine Angst verstärken. Du begreifst mit der Zeit, dass die Welt es besser mit dir meint, als du denkst, und dass du dich nicht ständig schützen musst. Die Lösung liegt aus meiner Sicht in der Anerkennung von Wahrheiten – seien sie auch noch so schmerzhaft und erschreckend. Achtsamkeit und radikale Akzeptanz gehören zum Finden der Wahrheit ebenso dazu wie Beziehungen, die dir dabei helfen, deine Wahrheiten anzunehmen.

Der tiefenpsychologische Ansatz

Der Weg hinaus aus der Angst fängt oft mit ganz einfachen Dingen an. Wenn du beginnst, dich ernst zu nehmen und auf deine Bedürfnisse zu achten, ist dies schon ein wirkungsvoller Schritt. Du bemühst dich vielleicht um mehr Selbstfürsorge und spürst bewusst, wie gut dir beruhigende Düfte oder Wellnessbäder tun. Am Anfang meines Weges aus der Angst standen Frauenzeitschriften und Pflegecremes. Ich habe mir Wohlfühlbilder angeschaut und gut duftende Lotionen ausprobiert. Bis heute weiß ich, wie wichtig diese ersten Schritte für mich waren.

Doch wie viel mehr es braucht, um schwere Ängste zu beruhigen und ein positiveres Erleben im täglichen Leben zu finden, wurde mir erst mit der Zeit klar. Ich begann damals mit verhaltenstherapeutischen Techniken, doch mir persönlich reichte das nicht. Wenn ich Entspannungsübungen durchführte, wurde alles eher noch schlimmer. Es wollte mir einfach nicht gelingen, die schweren Ängste durch Gedanken und Neubewertungen zu beeinflussen. Also ging ich dem nach, was ich schon lange spürte: Ich suchte eine Therapieform, bei der ich über eine lange Zeit mit einem beruhigenden Therapeuten zusammenarbeiten konnte. Dieser Drang in mir war unbändig. Der Ansatz, der mir half, war ein tiefenpsychologischer. Während die Verhaltenstherapie ihren Schwerpunkt auf das bewusste Denken legt, geht es in der tiefenpsychologischen Therapie hauptsächlich um das Unbewusste in der Beziehung zum Psychotherapeuten bzw. zur Psychotherapeutin.

Über die Jahre konnte ich dabei verschiedene Faktoren ausmachen, die tiefgreifend wirken. Ich spürte, wie die einzelnen Faktoren ineinandergriffen. Ich erkannte 7 Schritte, die es mir dauerhaft ermöglichen, mich selbst zu beruhigen und eine befriedigende Beziehung zu mir selbst und mit anderen zu führen. Worte zu finden, Sinnlichkeit bewusst zu erleben, eine gute Verbindung zum eigenen Körper zu haben, gute Beziehungen zu pflegen, die Wahrheit zu suchen, das Träumen und Spielen wertzuschätzen und schließlich das durch Erfahrung Gelernte durch Disziplin zu festigen sind die Eckpfeiler, die meiner Erfahrung nach bei schweren Ängsten helfen können.

Ich schrieb dieses Buch, damit du eine Ahnung davon bekommst,was du brauchst, um aus der schweren Angst zu finden.

Das Wichtigste ist dabei aus meiner Sicht die Beziehung zu sich und anderen Menschen. Ich habe erfahren, dass keine andere Psychotherapiemethode so viel Beziehung anbietet wie die Psychoanalyse. Von der Psychoanalyse abgeleitet ist die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Während die Psychoanalyse mehrmals pro Woche stattfindet, ist die tiefenpsychogische Behandlung in der Regel auf eine Sitzung pro Woche begrenzt. Auch sie beschäftigt sich vorrangig mit dem Unbewussten. Für viele ist die tiefenpsychologische Therapie ein guter Anfang und für manche ist sie auch vollkommen ausreichend.

Ich fragte mich, wie ich Lesern und Leserinnen die Wirkfaktoren näherbringen kann, auch wenn sie selbst noch keine Psychoanalyse oder tiefenpsychologische Psychotherapie erlebt haben. Ich schrieb dieses Buch, damit du selbst eine Ahnung davon bekommen kannst, welche Zutaten du brauchst, um aus der schweren Angst zu finden.

Dabei ist es nicht so wichtig, dass du die Schritte aufeinander aufbaust. Die 7 Schritte greifen ineinander: Wenn du eine gute Beziehung zu dir und deinem Körper aufbaust, dann verbessert sich auch die Beziehung zu deinen Mitmenschen. Und umgekehrt: Wenn du eine intensive Beziehung zu jemandem hast, der dich mit all deinen Gefühlen wirklich ernst nimmt, dann beginnst du auch, dich selbst besser zu pflegen, deine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und dich mit ihnen zu beschäftigen.

Wenn du dir die Möglichkeit gibst, sinnliche Erfahrungen zu machen, indem du z. B. schwimmen gehst oder einen Barfuß-Waldspaziergang machst, dann wirst du dir selbst mehr wert. Du hast dann auch Lust auf mehr. Wenn du dir selbst genauer zuhörst, findest du mit der Zeit auch leichter Worte, um mit anderen über dein Befinden sprechen zu können. Und wenn du mehr Selbstliebe entwickeln kannst, dann fällt es dir auch zunehmend leichter, deine inneren Wahrheiten zu erkennen und zu akzeptieren.

Motor von all dem ist der Wunsch, ein besseres Leben zu führen. Du träumst vielleicht von einem bestimmten Beruf, doch du kannst ihn dir jetzt noch nicht für dich vorstellen. Der Traum ermöglicht dir aber erste Schritte. Vielleicht hast du als Kind schon gespielt, Stewardess zu sein, doch jetzt kannst du es dir mit deiner Flugangst kaum vorstellen. Doch am Anfang stehen immer Traum und Spiel. Träume halten sich nicht an die Gesetze der Realität, daher kannst du dich mit Träumen innerlich weiten und schauen, was dir in der Realität behilflich sein könnte, deinen Traum zu verfolgen. Deine Träume und deine realen körperlichen, finanziellen oder sozialen Grenzen können sich manchmal ganz schön beißen. In sicheren Grenzen träumt es sich jedoch leichter, und Träume können so manche Grenze erweichen.

Du kannst dieses Buch also querlesen oder Kapitel für Kapitel durchspielen – im Mittelpunkt steht der Wunsch nach dem angstfreieren Leben. Dieses Buch möchte dich darin bestärken, deinen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen und dich deinem Ziel zu nähern. Nur „Schritt 7: Finde durch Disziplin zu deiner Stabilität“ steht vielleicht ganz am Ende. Wenn du bemerkst, was du durch deine Selbstheilungsmethoden oder durch deine Therapie erreicht hast, kommt es darauf an, dich weiterzuentwickeln und das Gewonnene sorgsam zu halten. Schritt 7 kannst du am besten also ganz am Ende lesen. Doch auch das ist kein Muss, vielleicht hilft er dir auch gerade am Anfang, mit diesem Buch an dir selbst zu arbeiten.

Wenn du weißt, dass es ein langer Weg ist, wirst du nicht gleich aufgeben, wenn du zum hundertsten Mal eine schwere Angstattacke oder Depression erlebst, obwohl du dir doch schon so viel Mühe gegeben hast. Sich von schwerer Angst zu befreien ist ein großes Projekt. Es ist dem Projekt, ein Sternekoch oder ein außergewöhnlicher Künstler oder eine erfolgreiche Sportlerin zu werden, gar nicht unähnlich. Insofern geht es nicht um das schnelle Loswerden von Symptomen, wie es so mancher Angst-Ratgeber verspricht.

Sich von schwerer Angst zu befreien ist ein großes Projekt. Ich möchte dir Mut für einen langen Weg machen.

Ich möchte dir Mut für einen langen Weg machen. Angst reduziert sich auf wundersame Weise, indem du dich mit ganz anderen Baustellen beschäftigst, z. B. mit der Partnersuche, mit deiner Beziehung, mit deinem Körper oder mit deiner Bildung und deinem Beruf. Ein gesundes Leben zu führen, ist eine Kunst, die erlernt werden will. Dazu gehört auch, dass sich deine Spiritualität weiterentwickelt. Was dir lange Angst machte, kannst du vielleicht auf eine neue Weise erleben. Dich mit deiner Angst auseinanderzusetzen, ist viel mehr, als mit Symptomen zu kämpfen – Angstreduktion ist nur möglich, indem die großen Themen des Lebens und Sterbens miteinbezogen werden.

Du spürst vielleicht, dass dein neues Wohlergehen, also dein „Gutgehen“, auch Arbeit ist. Diese Arbeit ist oft hart, aber sie macht auch Spaß, weil du dich durch das Dranbleiben zunehmend als selbstwirksam erleben kannst. Du merkst, dass durch dein Tun und auch durch dein Lassen einiges von dem wahr werden kann, was du dir erträumt hast.

Wenn du die 7 Schritte geschafft hast und dich als selbstwirksam erlebst, bekommst du auch mehr Lust, neue Dinge auszuprobieren. Viele gute Effekte werden sich erst nach einem längeren Weg zeigen, doch irgendwann stellst du erleichtert fest: „Diese Arbeit hat sich gelohnt!“

Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt für dich da, die ersten Schritte zu gehen. Ich freue mich, wenn ich dich mit diesem Buch dabei begleiten kann.

SCHRITT 1: FINDE WORTE FÜR DEINE ANGST

Lerne, über deine Angst zu sprechen, denn wenn du darüber sprechen kannst, hältst du sie in deinen Händen

Über die namenlose Angst

„Wenn ich noch einmal das Wort ‚Säbelzahntiger‘ höre, dann raste ich aus“, dachte ich als junge Studentin. Wieder war ich wegen meines Herzrasens beim Hausarzt. Mein Kopf fühlte sich an wie Watte und ich fühlte mich wie von verborgenen Mächten bedroht. Es war, als fühlte ich Gespenster, die kein anderer sieht oder fühlt. Ich zitterte am ganzen Körper. Mir war sehr übel.

„Das ist eine Angststörung“, sagte der Hausarzt lapidar. „Weißt du, vor Urzeiten mussten wir Menschen noch vor dem Säbelzahntiger fliehen. Heute gibt es zwar keine Säbelzahntiger mehr, aber wir leben immer noch gefährlich: Da ist der Autoverkehr, der Stress im Beruf, das enge Kaufhaus. Wir haben immer noch genauso viel Angst wie unsere Vorfahren in der Wildnis, aber wir können heute nicht mehr wegrennen. Wir müssen sitzen bleiben und die Angst aushalten. Das ist es, was diesen Stress in dir auslöst.“

Vielleicht hast du diese Erklärung auch schon einmal gehört. Ich fand sie für den Anfang irgendwie hilfreich, weil ich wenigstens irgendeinen Anhaltspunkt hatte für mein inneres Durcheinander. Doch mit der Zeit dachte ich: So einfach ist das nicht. Wenn da jetzt ein Tiger vor mir säße, hätte ich natürlich Angst. Selbst wenn ich nicht weglaufen könnte, so wüsste ich ja: Da ist ein Tiger und es ist natürlich, dass ich Angst vor ihm habe. Ich könnte nach Hilfe rufen und jeder würde die Situation sofort erfassen. Jeder könnte mich verstehen und würde versuchen, mir zu helfen. Die „Angst vor dem Säbelzahntiger“ ist eigentlich eine konkrete Furcht. Und diese Furcht würde sich handfest anfühlen. Sie wäre greifbar.

Die Angst, die ich jedoch fühlte, war eine ganz andere. Sie war ein Schweben in meinem Kopf und ein furchtbarer Wirbel in meinem Körper. Ich konnte sie nicht benennen – es war eine namenlose Angst. Niemand konnte mich wirklich verstehen, und auch ich selbst war vollkommen ratlos.

Ich hatte das unangenehme Gefühl, völlig losgelöst von allem zu sein – niemand schien mehr da zu sein. Es war, als sei ich eine Ertrinkende. In meiner Vorstellung standen Menschen am Ufer, die mir die Hand reichen wollten, aber mich nicht erreichen konnten. Ich zitterte am ganzen Körper. „Nur nicht verrückt werden!“, sagte ich mir. Nichts konnte mich beruhigen. Was war nur mit mir los?

Angstzustände „mit Grip“ und „ohne Grip“

Wenn du Angst hast, dann spürst du wahrscheinlich, wie körperliche Symptome deine Angst begleiten. Vielleicht bekommst du Durchfall, dir wird schwindelig und du hast das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Vielleicht kannst du während dieser akuten Angstphase noch nicht einmal weinen, obwohl du es gerne möchtest. Vielleicht hast du das Gefühl, dass dir alles entgleitet – die Angst weitet sich auf alles Mögliche aus.

Dieses Gefühl, nichts mehr im Griff zu haben, fühlt sich besonders unangenehm an. Es ist, als würdest du gleich in Ohnmacht fallen. Das kommt daher, dass bei dieser Angst dein vegetatives Nervensystem reagiert. Das vegetative Nervensystem ist das Nervensystem, das wir nicht direkt willentlich beeinflussen können. Es sorgt z. B. dafür, dass wir wie automatisch atmen, es regelt unsere Temperatur, unseren Schlaf-wach-Rhythmus, unsere Verdauung und unseren Blutdruck.

Weil wir dieses Nervensystem nur indirekt z. B. über Meditation oder über die Atmung erreichen können, heißt es auch autonomes Nervensystem. Das heißt: Es macht, was es will. Wenn dieses autonome Nervensystem für uns spürbar „anspringt“, dann haben wir das Gefühl, dass wir keine Macht mehr über uns selbst haben. Es ist, als würden wir den „Grip“ verlieren.

Das Gefühl, nichts mehr im Griff zu haben, fühlt sich besonders unangenehm an.

Während deiner Angst fühlst du dich vielleicht, als ob du schwebst. Es ist, als müsstest du dich im Dunkeln bewegen und hättest nur wenig Anhaltspunkte, die dir Orientierung geben. Du kannst noch nicht einmal sagen, wovor du eigentlich Angst hast. Du weißt nur, dass du in diesem Zustand nicht das Haus verlassen möchtest.

Das Straßenbahnfahren würde dir Angst machen, vor allem, wenn Betrunkene oder aggressive Menschen mitfahren. Du hast vielleicht Angst, dich mitten auf der Straße oder im Restaurant übergeben zu müssen. Du willst aber auch nicht allein zu Hause bleiben, weil dir das Alleinsein Angst macht. Kommt aber ein anderer, um mit dir zu sprechen, macht dir das vielleicht auch Angst. Es ist, als könnte dich nichts beruhigen. In diesem Fall spricht man auch von „generalisierter Angst“, weil sie sich eben scheinbar auf alles bezieht.

Solch eine Angst wird auch als „namenlose Angst“ bezeichnet (Bion, 1962). Ich finde diesen Ausdruck sehr schön, denn er beschreibt so gut, wie es sich anfühlt. Diese wohl stärkste und unangenehmste Form der Angst geht häufig auf die sehr frühe Kindheit zurück. Säuglinge empfinden diese namenlose Angst, und wenn sie keine Mutter haben, die diese Angst aufnimmt, dann landet sie statt in der Seele der Mutter sozusagen in einem endlosen Raum. Bei der namenlosen Angst fühlt man sich völlig lost in space, verloren im Raum – so, als gäbe es keine Grenzen mehr.

Viele Psychoanalytiker gehen heute davon aus, dass wir uns an frühe Kindheitsereignisse zwar nicht bewusst erinnern können, dass wir uns aber über Körpersymptome und psychische Reaktionen eben doch irgendwie an etwas erinnern, was wir früher schon einmal erlebt haben.

Wenn z. B. ein Baby zu lange von der Mutter allein gelassen wird, dann entwickelt es ganz furchtbare Ängste. Das Baby „weiß“, dass es sterben muss, wenn die Mutter nicht zurückkommt und es füttert. Das Baby spürt in gewisser Weise, wie abhängig es von der Mutter und anderen Erwachsenen ist. Wenn es vergessen wird, dann muss es sterben, denn es kann noch nicht sprechen und sich nicht selbst helfen. Um sich bemerkbar zu machen, kann es einfach nur schreien.

Wenn wir erwachsen sind, sind wir zwar nicht mehr so hilflos, aber wenn wir von starker Angst überfallen werden, dann kann es sein, dass wir uns so hilflos fühlen wie ein Baby. Vielleicht kennst du das Gefühl der Todesangst während einer starken Angstattacke. Du sagst dir selbst, dass das nicht realistisch ist, und auch andere versuchen, dich zu beruhigen. Und doch fühlt sich diese Todesangst so echt an, weil du sie vielleicht schon einmal erlebt hast und dich auf diese Weise an sie „erinnerst“. Du erinnerst dich vielleicht nicht bewusst an eine Szene aus der frühen Kindheit, aber vielleicht an eine Stimmung oder eine Atmosphäre. Du erinnerst dich vielleicht an ein Gefühl des absoluten Verlassenseins oder des Gequältwerdens.

Viele Psychoanalytiker gehen davon aus, dass du dieses schreckliche Gefühl, das du gerade erlebst, vielleicht schon als Baby erlebt hast, bevor du sprechen konntest. Daher fühlt sich diese Angst einerseits so echt an, ist aber andererseits auch so schwer zu fassen. Sie ist manchmal eng mit dem Gefühl verbunden, verrückt zu werden oder zusammenbrechen. Das Bild „Der Schrei“ (1895) von Edvard Munch bildet diese Angst gut ab: Da ist einer ganz einsam, abgeschieden von anderen Menschen, mit der Angst, verrückt zu werden. Niemand scheint ihn zu verstehen.

Viele Psychoanalytiker gehen davon aus, dass du schreckliche Gefühle, die du gerade erlebst, vielleicht schon als Baby erlebt hast.

Ich fand es damals sehr tröstlich, zu entdecken, dass der Psychoanalytiker Donald Winnicott (1974) einen Text geschrieben hat mit dem Titel „Die Angst vor dem Zusammenbruch“. Ich dachte: „Ja, genau so fühlt es sich an: als würde ich gleich zusammenbrechen und als würde gleich nichts mehr gehen.“ Ich war erleichtert zu sehen, dass es zu diesem Gefühl Worte gibt. Das bedeutete ja, dass ich nicht allein damit war und dass man darüber sprechen kann.

Vielleicht hast du während deiner Angstattacken zudem ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Auch dieses Gefühl spricht dafür, dass du eine sehr ähnliche Angst schon als kleines Kind empfunden hast, denn kleine Kinder haben noch ein ganz anderes Zeitgefühl. Wenn du daran denkst, wie lang dir die Zeit vom Mittag des Heiligen Abends bis zur Bescherung vorkam, spürst du wieder, wie langsam die Zeit für dich