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Alleinerziehende leiden oft unter großen Ängsten und Konflikten mit dem ehemaligen Partner. Nicht eine schnelle Lösung ist hier unbedingt wichtig, sondern das Halten von Gefühlen. Psychoanalytische Beratungen unterscheiden sich von lösungsorientierten Beratungen dadurch, dass der Kummer von Mutter und Vater ausreichend Platz erhält. Auch unbewusste Gefühle und Ängste werden hier angeschaut. Erst, wenn sich beide Eltern wieder wohler fühlen, geht es auch dem Kind besser.
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Seitenzahl: 97
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Von Dr. med. Dunja Voos
Wenn ich Alleinerziehende berate, fällt mir immer wieder Eines auf: Die Sätze wiederholen sich. Die Konflikte und Sorgen ähneln sich bei vielen Elternpaaren. Wenn sie die Erziehungsberatungsstellen, Anwälte oder gar das Gericht aufsuchen, bekommen sie ganz oft dasselbe zu hören. Man müsse doch Lösungen finden und es ginge doch um’s Kind. Man müsse da doch erwachsen sein. Was viele aber übersehen ist, dass es auch bei den Eltern häufig um kindliche Gefühle und um sehr große Ängste geht, die den Ängsten der Kinder mitunter ähneln.
Dr. med. Dunja Voos, geboren 1971, arbeitet als Ärztin und angehende Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin in ihrer privaten Praxis in Pulheim-Sinnersdorf (www.praxis-voos.de). Sie ist ausgebildete Fachärztin für Arbeitsmedizin und seit 1999 auch als Autorin und Medizinjournalistin tätig. In ihrem Blog www.medizin-im-text.de/blog schreibt sie seit 2005 über die Psychoanalyse und über seelische Erkrankungen aus psychoanalytischer Sicht. Sie ist selbst Mutter einer Tochter und alleinerziehend.
Deine Frau spielt doch Spielchen. | Es ist unfassbar! | Ein elender Narzisst! | Nicht mal dazu ist sie bereit! | Nach all dem, was er dir angetan hat? | Da musst du endlich mal durchgreifen! | Der benutzt das Kind doch als Druckmittel! | Und du merkst es noch nicht einmal! | Sie benehmen sich wie die Kinder! | Es geht doch um's Kind! | Das sieht ihm mal wieder ähnlich! | Er zahlt nicht genug. | Sie wird schon sehen, was sie davon hat. | Perverse Charakterstörung. | Sie müssen auch mal eine konstruktive Lösung finden. | Ohne Kompromisse geht es nicht. | Die Erziehungsfähigkeit ist anzuzweifeln. | Das ist nachweislich falsch. | Ich will das alleinige Sorgerecht! | Das muss ein für alle Mal aufhören. | Die nutzt dich doch aus! | Der hat doch alles, was er will! | Klar, der will das Spielchen gewinnen. | Der Vater entfremdet das Kind von der Mutter. | Die Mutter entfremdet das Kind vom Vater. | Immer auf dem Rücken des Kindes. | Zum Wohle des Kindes! Zum Wohl.
"Alleinerziehend" ist ein großes Wort. Manche sagen auch: "Getrennt erziehend." Jede Mutter und jeder Vater ist in einer anderen Situation. Bildungsgrad, Beruf, Anzahl der Kinder, finanzieller Hintergrund, Zeitpunkt der Trennung und Alter der Kinder – all das ist entscheidend für die Situation, in der sich Mutter und Vater befinden. Was vielen Alleinerziehenden jedoch gemeinsam ist, sind die zugrundeliegenden Gefühle wie Einsamkeit, Ohnmacht, Wut, Überforderung, Neid, Eifersucht, Angst, Scham, Freude und die Liebe zum Kind. Auch die Konflikte, die Phantasien und inneren Gespräche ähneln sich oft – so unterschiedlich die Lage der einzelnen Betroffenen auch sein mag.
"Die Sorgen der Alleinerziehenden" ist kein Ratgeber-Buch. In diesem Buch möchte ich über die Dinge sprechen, die in den Fernsehsendungen, in den Familiengerichten und Erziehungsberatungsstellen zu kurz kommen und die doch zentral für jede Betroffene und jeden Betroffenen sind.
Ich selbst bin von Anfang an alleinerziehend und berate in meiner Praxis Paare sowie Frauen und Männer, die kurz vor der Trennung stehen oder sich bereits getrennt haben. Immer wieder berührt es mich, wie engagiert die Eltern sind und immer wieder bin ich erschüttert darüber, was sie in Beratungsgesprächen, von Anwälten und im Familiengericht zu hören bekommen.
Trotz meiner eigenen Erfahrungen mit dem Thema und trotz der vielen Geschichten, die mir bereits anvertraut wurden, kann ich mit diesem Buch nur einen winzigen Ausschnitt aus dem oft sorgenvollen Leben von Alleinerziehenden widergeben. Und doch hoffe ich, dass Sie sich als Leser oder Leserin hier und da wiederfinden und sagen können: "Ja, genauso ist es!"
Der Einfachheit halber spreche ich in diesem Buch überwiegend von der "Mutter", also über "die Alleinerziehende". Die Probleme und Möglichkeiten der alleinerziehenden Väter mögen anders aussehen, vielleicht aber auch der Situation der alleinerziehenden Frauen sehr ähneln. Über Rückmeldungen würde ich mich sehr freuen.
Alleinerziehende stehen oft wirklich ganz alleine da. Einige können auf lange Phasen ihres Lebens blicken, in denen sie schon einmal einsam waren. Scheidungskinder haben eine höhere Chance, selbst geschieden zu werden als Nicht-Scheidungskinder. Viele haben in der heutigen Zeit keinen oder nur spärlichen Kontakt zu den eigenen Eltern. Geschwister sind möglicherweise nicht vorhanden oder der Kontakt ist auch hier abgebrochen.
Viele Alleinerziehende haben zwar gute Freunde und ein großes Netzwerk, wie es so schön heißt – aber ihre schwersten Entscheidungen treffen sie selbst. Auf wirklich enge, intime und vertrauensvolle Kontakte, die einer Partnerschaft gleichkommen, können viele Alleinerziehende nicht zurückgreifen. Die Ängste in der Nacht müssen ebenso alleine durchgestanden werden wie die Geldsorgen und die Kämpfe mit dem Partner. Möglicherweise kommen noch die Ängste und Sorgen um Gerichtstermine hinzu oder der Anwalt frisst das letzte Gesparte auf.
Da sind Fragen zur Kindergartenwahl, zu Schulproblemen und zur Gesundheit und niemand ist da, der einem wirklich weiterhilft. "Sag mal, was hältst du davon? Wie würdest du hier entscheiden?" Diese Frage bleibt vielen Alleinerziehenden im Halse stecken, weil niemand da ist, den man mal eben ansprechen könnte. Alles muss man mit sich alleine ausmachen – so kommt es einem vor. "Aber die beste Freundin, die Geschwister oder Eltern können doch helfen!", könnte man einwenden. Ja, sicher. Doch was fehlt, ist die Möglichkeit, sich "mal eben" etwas Rückhalt zu holen.
Oft beobachte ich verheiratete Paare, die kleine Kinder haben und wundere mich, wieviele SMS sie sich an einem Tag schicken. So viele Dinge werden eben mal zwischendurch besprochen – hier wird ein Foto geschickt und da wird mal eine Pommes mitgebracht. Diesen nahen, unkomplizierten Kontakt vermissen viele Alleinerziehende.
Als ich den Ausdruck "Ein-Eltern-Familie" das erste Mal hörte, hatte das für mich etwas sehr Tröstliches. "Stimmt", dachte ich zunächst, "ich bin ja mit meiner Tochter auch eine Familie." Von Anfang an aber hatte ich das Gefühl, mich damit zu belügen. Zu einer Familie gehören doch immer mindestens drei. Ich kann es nachvollziehen, wenn sich Mütter mit mehreren Kindern wie eine "Ein-Eltern-Familie" fühlen. Für mich ist es jedoch befremdlich, wenn sich Frauen mit nur einem Kind auf dem Anrufbeantworter mit "Familie XY" melden. Ich würde mich auch gerne als Familie fühlen, aber so ist es leider nicht. Die Unruhe und die Sehnsucht danach, dass sich die Lücke füllt, bleiben. Doch ich weiß auch, dass sich diese Lücke auf gewisse Weise niemals füllen wird, weil der biologische Vater für mein Gefühl eben doch eine ganz besondere Bedeutung hat. Eine Patchworkfamilie kann in meiner Vorstellung nie dasselbe sein, wie eine "ganze, biologische Familie".
Viele alleinerziehende Mütter stellen an sich selbst den Anspruch, so zu leben, wie eine "normale" Familie. Sie wollen, dass ihrem Kind keine Nachteile daraus erwachsen, dass sie mit ihm alleine sind. Damit setzen sie sich aber ungeheuerlich unter Druck. Sie versuchen zum Beispiel, die Symbiose nicht zu eng werden zu lassen und führen dann unnatürliche Trennungen herbei. Sie schicken ihr Kind länger in den Kindergarten, als sie selbst es eigentlich möchten, weil sie die Vorstellung haben, sie dürften nicht zu eng mit dem Kind zusammenleben. Der Wunsch nach mehr gemeinsamer Zeit wird durch den Verstand weggedrängt.
Dabei kann es entlastend sein, sich zu sagen: "Ja, es ist halt so. Wir leben hier alleine und sind teilweise einem enormem Druck ausgesetzt. Es ist nur natürlich, dass wir beide, das Kind und ich, vielleicht enger zusammenleben als andere Kinder mit ihren Müttern. Ich habe vielleicht mehr Angst als andere Mütter und habe mehr Grund zur Sorge, weil ich manchmal befürchten muss, mein Kind zu verlieren. Mein Kind ist dadurch vielleicht anhänglicher als andere Kinder. Aber ich will meine Kraft jetzt nicht darauf verwenden, mich zu verbiegen. Ich schaue, dass wir in gutem Kontakt mit Freunden bleiben. Ich bin mir der Nachteile unserer Situation bewusst. Aber im Moment ist es einfach so. Ich kann uns jetzt keine Vater-Mutter-Kind-Familie herbeizaubern."
Das Alleinsein mit dem Kind kann viele Vorteile haben, aber es bringt auch viele Nachteile mit sich. Für viele Mütter ist es so schmerzlich, dass sie diese Tatsache am liebsten verleugnen. Manche sagen: "Wieso? Es geht uns doch gut! Mein Kind und ich haben alles, was wir brauchen. Es ist jedenfalls 1000-mal besser, als noch mit diesem furchtbaren Mann zusammen zu sein." Natürlich ist es besser, alleine mit dem Kind zu sein, als mit einem Mann zusammenzuleben, der einen immer wieder verletzt. Viele Mütter, Väter und Kinder sind nach einer Trennung enorm entlastet, weil die furchtbare Belastung durch die Konflikte entfällt.
Und doch fehlt vielen etwas. Das zeigt sich unter anderem am Gesundheitszustand der Mütter und Kinder. Alleinerziehende Mütter leiden zum Beispiel häufiger unter Depressionen als verheiratete Mütter (Cariney 2003). Auch blicken die alleinerziehenden Mütter häufiger auf eine unglückliche Kindheit zurück (Cariney 2003). Kinder aus Patchwork- oder Ein-Eltern-Familien sind nicht so gesund wie Kinder, die mit beiden leiblichen Eltern aufwachsen. Das hat eine Studie von Susanne Seyda und Thomas Lampert (2009) ergeben. Die Wissenschaftler erhoben Daten der KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen) des Robert-Koch-Instituts und kamen zu dem Ergebnis, dass 11- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche, die in Stieffamilien oder bei einem Elternteil aufwuchsen, psychisch auffälliger waren und ihre Gesundheit als schlechter beurteilten, als Kinder, die in ihren biologischen Familien groß wurden.
Ich glaube, es ist leichter, das Alleinerziehendsein als ein gewisses "Defizit" zu akzeptieren, als ständig dagegen anzukämpfen. Es kann leichter sein, sich bewusst auf die "Mängel" einzustellen, als sie zu verleugnen. Sicher entstehen durch diese Lebensform auch viele Stärken. Doch der "Mangel" ist für viele oft spürbar und kann eben nicht so schnell behoben werden. Man muss eine Weile damit leben. Als eine Freundin von mir mit Herzinfarkt-ähnlichen Symptomen ins Krankenhaus kam, stellten die Ärzte einen bedrohlich hohen Blutdruck fest. Mit ernster Miene sagte der Oberarzt: "Sie müssen unbedingt Ihren Lebensstil ändern." Meine Freundin war zunächst sprachlos, antwortete dann aber sehr treffend: "Ich hab'nen Laden und zwei Kinder – soll ich die unter die Decke hängen, oder wie meinen Sie jetzt?"
"Ich bin ja quasi auch alleinerziehend – mein Mann kommt immer erst um 20 Uhr nach Hause." Es gibt wohl kaum eine alleinerziehende Mutter, die diesen Satz nicht schon viele Male gehört hat. Doch während der Partner bei der Arbeit ist, weiß die Frau, dass der Mann gerade das Geld verdient, von dem die Familie lebt. Zudem sind nicht die Tage das Problem. Erst in der Nacht spürt man die Last. Alleinerziehend zu sein ist oft deshalb so anstrengend, weil abends eben kein Mann nach Hause kommt. Selbst das Wissen, dass nachts noch jemand da ist, kann entlasten.