Triumph einer Untergrundsekte - Prof. Dr. Holger Sonnabend - E-Book

Triumph einer Untergrundsekte E-Book

Prof. Dr. Holger Sonnabend

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Beschreibung

Der Aufstieg des Christentums von der kleinen Untergrundsekte zur Weltreligion gehört zu den erstaunlichsten Phänomenen der Geschichte. Selbst durch brutale Verfolgung gelang es den römischen Herrschern nicht, die junge Glaubensgemeinschaft auszulöschen. Im Gegenteil: Innerhalb von nur vier Jahrhunderten avancierte das Christentum zur römische Staatsreligion. Wie war das möglich? Holger Sonnabend ist überzeugt, dass es nicht allein die attraktive Botschaft war, sondern die dem Christentum zum Durchbruch verhalf. Welche Strategie und welche klugen Köpfe hinter dem "Projekt Weltreligion" stecken, erzählt der Historiker in seinem Buch über die ersten vier Jahrhunderte der Glaubensgemeinschaft. Die Geschichte vom Tod der Antike und vom Aufstieg einer Religion, die die Welt veränderte. "Wie konnte es bei derart ungünstigen Startbedingungen dazu kommen, dass diese Religion aus Palästina zu einer universalen Religion wurde, die auf allen Kontinenten Menschen für sich gewann? Eine noch so gute Bot schaft allein reicht nicht aus. Sie muss auch mit überzeugenden Argumenten und Strategien unter die Leute gebracht werden. Wer aber saß am Regiepult und hielt die Fäden in der Hand?" Holger Sonnabend

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Holger Sonnabend

Triumph einer Untergrundsekte

Das frühe Christentum – von der Verfolgung zur Staatsreligion

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

 

Wenn nicht anders angegeben, so sind die Bibeltexte entnommen aus:

Die Bibel. Die Heilige Schrift

des Alten und Neuen Bundes.

Vollständige deutsche Ausgabe

 

© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005

 

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Schmalz, Herbert: Treu bis in den Tod, 1888, Öl auf Leinwand; AKG-Images

 

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

 

ISBN Print: 978-3-451-37985-7

ISBN E-Book: 978-3-451-81399-3

 

Inhalt

I. Tod eines Christenverfolgers

II. Die Stärken

1. Wegbereiter: Alexander der Große und die Öffnung der Welt

2. Infrastruktur: Kommunikationsforum Rom

3. Richtige Lehre zur richtigen Zeit: Krisenregion Palästina

4. Planmäßige Verbreitung des Glaubens: Die Mission

5. Anpassung: Neue Lehre in vertrautem Gewand

6. Netzwerk: Gemeinden als Kontaktzentren

7. Wettbewerb: Konkurrenz belebt das Geschäft

8. Teamgeist: Stark durch Verfolgungen

9. Sozial ausgewogen: Gemeinschaft ohne Schranken mit Herz für Schwache

10. Politisch korrekt: Für Kaiser, Staat und Gesellschaft

11. Kluge Köpfe: Die Macht des geschriebenen Wortes

12. Faszinierend präsentiert: Cleveres Marketing

III. Vollendung

1. Kaiser als Freund und Helfer

2. Krisenmanagement

3. Rolle rückwärts?

4. 100 Prozent: Alle sind Christen

IV. Die Erfolgsformel

Zum Weiterlesen

Bildnachweis

I. Tod eines Christenverfolgers

Sommer 260 n. Chr. Die Bewohner der Millionenstadt Rom wollen die Nachrichten nicht glauben, die aus dem Orient in die Metropole am Tiber gelangen. Kaiser Valerian ist während eines Feldzugs im fernen Persien in Gefangenschaft geraten. Mit einer 70.000-Mann-Armee war der ambitionierte Monarch an den Euphrat gezogen, wo ihm sein Rivale, der persische Großkönig Schapur, eine vernichtende Niederlage bereitete. Niemals zuvor in der ruhmreichen Geschichte Roms ist ein Kaiser dem Gegner in die Hände gefallen. Während die Hauptstadt Trauer trägt, sind die Perser am Feiern. In der Nähe der Residenzstadt ­Persepolis lässt Schapur ein monumentales Felsrelief errichten. Es zeigt den besiegten Valerian in demütiger Haltung vor dem hoch zu Ross sitzenden König der Perser. Der erläuternde Text preist mit rühmenden Worten Schapurs kriegerische Großtaten und spart nicht an demütigenden Sätzen für den unglücklichen Valerian.

Die Perser freuen sich − aber auch im Römischen Reich sind nicht alle Bewohner gleichermaßen traurig. Der Kaiser hat sich durch unpopuläre Maßnahmen Feinde gemacht. Vor allem bei einer Gruppe herrscht ausgelassene Jubelstimmung – bei den Christen. Überall im Imperium geben sie ihrer Erleichterung Ausdruck. Genüsslich malen sie sich aus, was mit dem gefangenen Kaiser in Persien passiert sein könnte. Er soll einen grausamen Tod erlitten haben, wie der christliche Autor Laktanz später zeitgenössische Deutungen zusammenfasst, und mit seiner Leiche seien die Sieger geradezu bestialisch umgegangen:

»Nachdem er sein schändliches Leben schmachvoll beendet hatte, zog man ihm die Haut ab und tränkte sie, nachdem man sie von Fleisch gelöst hatte, mit roter Farbe, um sie im Tempel der barbarischen Götter zum Andenken an den berühmten Triumph aufzubewahren«(Über die Todesarten der Verfolger 5,6).

In Wirklichkeit weiß keiner etwas Genaues über das Schicksal des Kaisers, er bleibt verschollen. Aber die Christen haben aus ihrer Sicht allen Grund dazu, ihm das Schlimmste zu wünschen. Denn Valerian war einer der berüchtigtsten Christenverfolger, der sogar einen Nero in den Schatten stellte. Drei Jahre vor dem Desaster in Persien hatte er eine reichsweite Kampagne gegen die Christen gestartet, hatte ihnen die Abhaltung von Gottesdiensten und überhaupt jede Form der Versammlung untersagt. Ein Jahr später legte er nach und verfügte die Ermordung des gesamten kirchlichen Führungspersonals. Vielen Christen gelang, teils auf abenteuerliche Weise, die Flucht, viele andere aber büßten für ihren Glauben mit dem Leben.

Das Ende Valerians in Persien interpretierten die Christen als eine gerechte göttliche Strafe für den Frevler. Unser Herr und Gott, so lautete die frohe Botschaft an die verschreckten Gläubigen, aber auch die Warnung an die römischen Behörden, steht trotz allem felsenfest auf unserer Seite. Die christlichen Führer wünschten, dass die Anhänger ihrer Religion aus der Krise gestärkt hervorgehen. Sie wollten keine Sündenböcke sein für die Fehler der Regierung, die ihnen vorwarf, an allem Schuld zu sein, was an Negativem auf der Welt passierte, weil sie, wie man sagt, mit ihrem abstrusen Glauben die alten Staatsgötter verärgern.

Aus den Verfolgungen Valerians gingen eine ganze Reihe von Märtyrern hervor, »Zeugen«, die für ihren Glauben gestorben sind und mit deren im Laufe der Zeit immer phantasievoller ausgemalten Schicksalen die christliche Regie eine wirkungsvolle Propaganda in eigener Sache betrieb. Eine Religion, für die Menschen bereit sind zu sterben, musste, so wurde suggeriert, eine gute Religion sein. Weil sich diese Praxis bewährte, scheute man auch nicht davor zurück, solche »Zeugen« einfach zu erfinden. Je mehr Märtyrer, desto besser für den Ruf.

 

Seit den Zeiten eines Valerian hat sich viel getan. Die damals verfolgte Christenheit stellt heute eine Weltreligion dar. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 7,3 Milliarden Menschen leben aktuell auf der Welt. Mehr als zwei Milliarden sind Christen. Das ist eine komfortable relative Mehrheit, denn keine andere Religionsgemeinschaft kann mehr Anhänger aufweisen. Von diesen zwei Milliarden sind die Hälfte Katholiken, die unter der Obhut von Papst Franziskus stehen. Kontinental gesplittet, leben die meisten Christen in Europa (über 500 Millionen). Prozentual gesehen, in Relation zur Gesamtbevölkerung, weist Lateinamerika die höchste Zahl an Christen (nämlich über 90 Prozent) auf. In Deutschland sind etwa 50 Millionen Menschen bekennende oder zumindest eingetragene Christen. 23 Millionen ­gehören der katholischen, 22 Millionen der evangelischen Kirche an. Der Rest verteilt sich auf verschiedene Frei- und Sonderkirchen.

Warum aber sind so viele Menschen Christen? Was machte diese vor 2000 Jahren gegründete Religion so stark?

 

Die christliche Religion entstand im Osten des Römischen Reiches. Angesichts dessen erscheint es etwas kurios und anmaßend, wenn sich der Westen so benimmt, als habe er das Christentum erfunden. Die gerne verwendete Formel »christliches Abendland« belegt diesen Anspruch eindrucksvoll. Doch war das Christentum originär eine Religion aus dem Osten und für den Osten. Wer polemisch sein will, kann den Christen im Westen unterstellen, dass sie, historisch gesehen, nur angelernte Christen oder Christen zweiten und dritten Grades sind. Erst mit einiger Verspätung bildeten sich auch im Westen des Römischen Reiches christliche Gemeinden heraus. Hier aber stand das christliche Management vor einer echten Herausforderung. Denn die religiösen Vorstellungen des Westens waren ganz andere als die des Ostens. Dort war man vertraut mit Erlösungsreligionen und mit der Idee des ewigen Lebens, auch mit dem Gedanken des einen Gottes. Den antiken Vorläufern der heutigen Deutschen, Schweizer, Österreicher, Briten oder Spanier, die ganz andere Glaubensinhalte hatten, konnte man damit aber nicht ohne Weiteres kommen. Hier musste besondere Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Als einer der wichtigsten Förderer der späteren Weltreligion gilt der römische Kaiser Konstantin. Dank eines angeblichen Wundererlebnisses an der Milvischen Brücke in Rom im Jahre 312 (52 Jahre nach dem Verschwinden Valerians) setzte er sich mit großem persönlichen Einsatz für die Religion aus dem fernen Palästina ein. Doch war der Kaiser überhaupt ein Christ? Oder sprang er nur auf einen bereits rasant fahrenden und gut besetzten Zug auf?

 

Ein Zeichen von Stärke ist es immer, wenn man in der Lage ist, Schwierigkeiten zu meistern. Ohne Probleme verlief auch der Siegeszug des Christentums nicht. Im Gegenteil: Auf dem umkämpften Markt der Religionen hatten sich die frühen Christen heftigster Konkurrenz zu erwehren. Da war zunächst die alte römische Staatsreligion mit ihren vielen Göttern und dem obersten Gott Jupiter. Zwar hatten die meisten Menschen keine emotionale Bindung mehr zu diesen starren, in die Jahre gekommenen Kulten. Aber sie freuten sich jedes Mal, wenn die Priester zum Gottesdienst riefen, denn bei dieser Gelegenheit gab es für die Anwesenden gratis Fleisch von den Opfertieren (die Knochen erhielten die Götter). Gefährlicher aber waren für die Christen jene Religionen, die ihrer eigenen Religion ähnlich waren, wie Mithras aus Persien oder Isis aus Ägypten. Schon lange vor den Christen versprachen diese Religionen ein Weiterleben nach dem Tod und Annehmlichkeiten wie ein intaktes Leben in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Hier mussten sich die Propagandisten etwas einfallen lassen.

Noch erstaunlicher ist aber, dass sich mit dem Christentum eine Religion durchsetzen konnte, die in den ersten drei Jahrhunderten ihrer Existenz massiv verfolgt wurde. Viele Kaiser nahmen, wie Valerian, die seltsame Sekte aus dem Orient ins Visier, töteten ihre Mitglieder, konfiszierten ihr Vermögen und untersagten denen, die überlebten, die Ausübung ihres Glaubens. Und Gefahr drohte nicht nur von oben. Auch bei der »einfachen« Bevölkerung waren die Christen zumindest anfangs nicht besonders gut angeschrieben. Denunziationen und Anzeigen bei den Behörden waren an der Tagesordnung. Unter diesen Umständen war es eine anspruchsvolle Aufgabe, die Anhänger bei der Stange zu halten und gleichzeitig ständig für Nachschub zu sorgen und immer mehr Menschen für die christliche Religion zu begeistern.

 

Es gab starke Konkurrenz.

Es gab massive Verfolgungen.

Das Christentum war keine Religion für den Westen.

 

Wie konnte es bei derart ungünstigen Startbedingungen dazu kommen, dass eine Untergrundsekte aus Palästina zu einer universalen Religion wurde, die in den vielen Jahrhunderten, die seit den Anfängen vergangen sind, auf allen Kontinenten unzählige Menschen für sich gewonnen hat? Eine noch so gute und attraktive Botschaft allein reicht nicht aus. Sie muss auch mit überzeugenden Argumenten und Strategien unter die Leute gebracht werden.

Die Christen siegten, weil sie die Vorteile, die das große Römische Reich bot, für sich zu nutzen verstanden. Sie siegten, weil sie als einzige Religion der Antike konsequente Werbung für ihren Glauben betrieben. Sie siegten, weil sie es verstanden, sich im richtigen Moment anzupassen. Und sie siegten, weil sie für ihr Produkt perfekte Strategien der Vermarktung präsentierten.

Wer aber saß am Regiepult und hielt die Fäden in der Hand?

II. Die Stärken

1. Wegbereiter: Alexander der Große und die Öffnung der Welt

Kann eine Religion 300 Jahre vor sich selbst beginnen? Sie kann, wie der Fall Alexander zeigt.

Alexander der Große lebte über 300 Jahre vor Jesus Christus und über 600 Jahre vor Konstantin dem Großen. Und doch hat er seinen Anteil daran, dass sich das Christentum zu einer erfolgreichen Religion entwickelte. Natürlich konnte er das nicht wissen, und einmal als Wegbereiter einer Weltreligion in die Geschichte einzugehen, war sicher nicht seine vorrangige Absicht, als er sich 334 v. Chr. an das ehrgeizige Unternehmen machte, die Hälfte der damals bekannten Welt zu erobern.

Zu diesem Zeitpunkt war er gerade einmal 22 Jahre alt. Zwei Jahre vorher war er König der Makedonen geworden, nachdem sein Vater Philipp II. einem Attentat zum Opfer gefallen war. Zehn Jahre später war er Herrscher über ein Gebiet, das sich von Ägypten bis nach Indien erstreckte. Die Perser, bisherige Führungsmacht im Orient, waren besiegt, Alexander konnte seine Visitenkarte um den Eintrag »König von Asien« ergänzen.

Alexander stammte aus Makedonien, einer Region im nördlichen Griechenland. Sie galt lange Zeit als rückständige Randprovinz, und im Gegensatz zu heute waren die damaligen Griechen nicht bereit, die Makedonen als Griechen anzuerkennen. Sie waren für sie mehr oder weniger lästige Verwandte, mit denen man nicht gerne etwas zu tun haben wollte. Die Makedonen hingegen waren bemüht, den Anschluss an die griechische Kultur zu gewinnen. Alexanders Vater Philipp hatte sich damit nicht begnügt und die stolzen griechischen Städte unter seine Kontrolle gebracht. So war Alexander nicht nur als König der Makedonen, sondern auch als Beherrscher der Griechen unterwegs.

Die religiösen Vorstellungen der Makedonen entsprachen denen der Griechen. Ganz oben auf der Liste standen die alten olympischen Götter um den Patriarchen Zeus – eine ziemlich starre Religion mit geschäftsmäßigen Ritualen, nicht gerade geeignet, die Empfindungen und Sehnsüchte der Menschen zu berühren. Vor allem gab es keine wirklich beruhigende Antwort auf die drängende Frage, was nach dem Tod passiert. Nach der geläufigen Lehre landeten die Verstorbenen im Hades, wo sie als Schattenwesen ein ziemlich trostloses Dasein fristeten. Keine guten Aussichten, dachten Griechen und Makedonen, und fragten sich, ob es nicht auch noch andere, bessere Angebote gebe.

Vielversprechend war da ein Blick Richtung Osten:

In Anatolien, in Mesopotamien oder in Ägypten gab es Religionen, die in dieser Hinsicht viel attraktiver waren. Auf dem Gebiet der heutigen Türkei, das Alexander auf seinem Feldzug zuerst betrat, spielte die Göttin Kybele eine wichtige Rolle. Ihre Hochburg hatte sie in der Landschaft Phrygien, in deren Hauptstadt Gordion Alexander den berühmten »Gordischen Knoten« durchtrennte und damit aufgrund eines alten Orakels den Anspruch auf die Herrschaft über Asien erwarb. Die antiken Völker pflegten mit ihren Göttinnen und Göttern einfallsreiche und spektakuläre Geschichten zu verbinden, die zum festen Glaubensrepertoire ihrer Anhänger zählten. Von Kybele erzählte man sich wundersame Dinge. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit und der Vegetation, wachte also darüber, dass die Natur gut funktionierte. Sie hatte einen Geliebten namens Attis, einen höchst ansehnlichen jungen Mann, der es mit der Treue nicht so genau nahm und sich eine Geliebte hielt. Schäumend vor Wut, ließ ihn die eifersüchtige Göttin wahnsinnig werden. Der junge Attis, nicht mehr Herr seiner Sinne, entmannte sich und starb – jedoch nicht ganz. Sein Leichnam blieb unversehrt, und so büßte Attis auch als Toter nichts von seiner Schönheit ein. Seine Wiedergeburt wurde von den Anhängern des Kybele-­Kultes alljährlich mit einem großen Fest gefeiert.

Bei den Persern war es Gott Mithras, der aus dem Pantheon herausragte. Er symbolisierte den Kampf des Guten gegen das Böse. Wer für Mithras war, stand auf der richtigen Seite und durfte erwarten, dass der Gott ihn vor allem Übel auf der Welt schützte. Seine Verehrer versammelten sich in Höhlen und Grotten, in denen sich ein zentrales Kultbild befand, das den Gott zeigte, wie er einen Stier – die Verkörperung des Bösen – tötete. Mithras war ein kämpferischer Gott, deshalb war er besonders bei Soldaten beliebt. Bei Frauen weniger, denn diese durften an den Gottesdiensten nicht teilnehmen. Wie alle antiken Götter, so hatte auch Mithras seinen besonderen Feiertag. In seinem Fall beging man regelmäßig am 25. Dezember das Fest seines Geburtstages – ein Datum, das, wie man weiß, auch für die Christen noch eine gewisse Bedeutung bekommen sollte.

Ägypten hatte unter der Schar seiner Götter eine außerordentlich prominente Göttin namens Isis. Über sie wusste man im Land am Nil folgendes zu erzählen: Es gab vier göttliche Geschwister – Isis, ihre Schwester Nephthys und die beiden Brüder Osiris und Seth. Sie waren aber nicht nur Geschwister, sondern darüber hinaus miteinander verheiratet: Isis mit Osiris, Nephthys mit Seth. Aus Machtgier tötete Seth Osiris, zerstückelte die Leiche und verstreute die sterblichen Überreste im ganzen Land. Die trauernde Isis machte sich auf die Suche nach dem toten Gemahl. Sie war im ganzen Land unterwegs, fand nach und nach die einzelnen Körperteile, setzte sie in mühevoller Kleinarbeit wieder zusammen und hauchte ihm neues Leben ein. Osiris, der Gott, dem so übel mitgespielt wurde, sollte wieder auferstehen, jedoch nicht im Diesseits: Künftig spielte er die Rolle des Herrschers der Unterwelt und des Richters über die Toten. Seth empfing seine gerechte Strafe, wurde von Horus, dem Sohn der Isis und des Osiris, besiegt und von einem Göttergericht verurteilt.

Anatolien, Persien und vor allem Ägypten lernte Alexander auf seinem Feldzug kennen. Ägypten, das Land der Pharaonen, hatte es ihm besonders angetan. Eigentlich wollte er, nachdem er 333 v. Chr. in der Schlacht von Issos (im heutigen türkisch-­syrischen Grenzgebiet) die Armee des persischen Großkönigs Dareios III. besiegt hatte, gleich weiter Richtung Osten ziehen, um zu den persischen Zentralgebieten zu gelangen. Doch für Ägypten scheute er keine Strapazen. Das Land stand unter persischer Besatzung. Allein strategisch war es daher sinnvoll, zunächst hier aktiv zu werden und sich für den weiteren Vormarsch nach Asien den Rücken freizuhalten. Aber Alexander trieb auch die Neugier auf eine uralte, faszinierende Kultur. Das alte Land der Pharaonen genoss auch in Europa einen Ruf als Wunder- und Zauberland. Und da Alexander nicht nur ein kühl kalkulierender Stratege, sondern auch eine schwärmerisch veranlagte Persönlichkeit war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, diesem Traumziel seine Aufwartung zu machen.

Auf dem Weg nach Ägypten entlang der Küste kam Alexander auch durch jenes Land, in dem über 300 Jahre später der Gründer der christlichen Religion geboren werden wollte. Judäa, wie die offizielle Bezeichnung lautete, stand ebenfalls noch unter persischer Herrschaft. Dieser Zustand wurde von Alexander beseitigt und so wurde auch Judäa gewissermaßen im Vorbeigehen Teil seines Großreichs. Denn Alexander hatte es eilig und demzufolge auch keine Zeit, Jerusalem einen Besuch abzustatten. Zwar berichten jüdische Quellen, der König der Makedonen habe am Tempelberg einen Stopp eingelegt, um den Hohepriester zu begrüßen und dem Gott der Juden seine Reve­renz zu erweisen. Außerdem habe er die für die Juden erfreuliche Mitteilung im Gepäck gehabt, dass sie keine Steuern mehr zahlen müssten. Glaubwürdig sind diese Berichte nicht. Alexander wurde von der späteren jüdischen Tradition vereinnahmt, um Forderungen, die sie an seine Nachfolger hatten, mehr Gewicht zu verleihen.

Tatsächlich also ging es für Alexander direkt nach Ägypten. In Memphis ließ er sich zum Pharao krönen, an der Mittelmeerküste gründete er die heutige Millionenmetropole Alexandria. Zum Schrecken seiner Begleiter verkündete er dann, er wolle nun die Oase Siwah aufsuchen. Das Unbehagen war verständlich: Die Oase lag mitten in der wasserlosen libyschen Wüste. Alexander aber ließ sich nicht beirren. Was ihn anzog, war ein altes, berühmtes Heiligtum, das sich in dieser Oase befand. Hier verehrte man traditionell den ägyptischen Gott Amun Re. Die Griechen, gewohnt, in fremden Göttern eigene Götter zu erkennen, setzten ihn mit ihrem obersten Gott Zeus gleich. Angeschlossen war dem Heiligtum ein Orakel mit einem direkten Draht zum Gott. Priester dienten denjenigen, die bei Amun-Zeus Auskünfte einholen wollten, als Dolmetscher und Erklärer.

Als Alexanders Karawane in Siwah eintraf, begab sich der König unverzüglich zum Heiligtum, wo ihn der älteste Priester begrüßte. Dann verschwanden beide im Innern des Tempels. Gespannt wartete man darauf, was nun geschehen würde. Nach einer Weile trat Alexander vor die versammelten Begleiter und erklärte lapidar, er freue sich über den Bescheid, den er erhalten habe. Später zeigte er sich auskunftsfreudiger. Der Priester habe ihm eröffnet, er sei der Sohn des Gottes. Dafür habe er sich mit reichen Geschenken revanchiert. Der Sohn Gottes? In den Ohren von Griechen und Makedonen hörte sich dieser Anspruch blasphemisch an. Menschen konnten keine Götter sein. Allenfalls konnten Götter in Menschengestalt unterwegs sein, wie man es von den olympischen Göttern kannte. Verteidiger Alexanders, allen voran sein Hofhistoriograph Kallisthenes, argumentierten, es sei in Ägypten doch üblich, die Herrscher göttlich zu verehren. Alexander sei jetzt der Pharao, also wolle ihn die Bevölkerung auch als Sohn Gottes verehren – so wie der Pharao als Wiedergeburt des Horus und damit als Sohn des Totengottes Osiris galt.

Götter waren nach antiker Ansicht unsterblich. Alexander war es nicht: Er starb am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon, gerade einmal 32 Jahre alt. Also war er kein Gott. Oder doch? So ganz sicher war sich keiner. Aber er hatte damit der westlichen Welt ein Thema geliefert, das drei Jahrhunderte später, als das Christentum aufkam, noch eine wichtige Rolle spielen sollte: Kann ein Mensch Gott sein? Und kann ein Gott Mensch sein? Oder ist ein Mensch, der vorgibt, der Sohn Gottes zu sein, gar kein Mensch? Mit Alexanders legendärem Besuch in einer ägyptischen Oase war dieses Thema, das den Orient schon länger bewegte, auch im Westen angekommen.

Die Verdienste Alexanders des Großen als eines vorchristlichen Pioniers des Christentums beschränken sich aber nicht allein auf den Aspekt »Gottessohnschaft«. Christen müssen dem umtriebigen Welteroberer auch in anderer Hinsicht dafür dankbar sein, dass er – natürlich wieder unbewusst – lange vor dem Christentum die Weichen in Richtung christlicher Weltreligion stellte. Alexander starb früh, doch die von ihm geschaffenen Verhältnisse wirkten fort. Der König der Makedonen ging als der Begründer der »hellenistischen« Weltkultur in die Geschichte ein. Ohne den »Hellenismus« hätte das Christentum keine Chance gehabt, die Welt zu erobern. Mit diesem Begriff, den im 19. Jahrhundert der deutsche Historiker Johann Gustav Droysen prägte, wird die von Alexander dem Großen eingeleitete, intensive Begegnung zwischen Okzident und Orient, dem Westen und dem Osten, Europa und Asien bezeichnet. Alex­ander kam als Eroberer und führte zugleich, was vermutlich ebenfalls nicht in seiner Absicht lag, einander bis dahin fremde Welten zusammen.

Nach Alexanders frühem Tod begannen die Kämpfe der Diadochen um seine Nachfolge – »Diadoche« ist das griechische Wort für Nachfolger. Die Generäle und Mitstreiter, die mit ihm nach Asien gezogen waren, kämpften erbittert um sein Erbe. Und das über Jahrzehnte hinweg – bis das große Alexanderreich in mehrere Teile zerfallen war. Aus den makedonischen und griechischen Generälen wurden griechische und makedonische Könige, die über große Territorien herrschten – wie die Ptolemäer in Ägypten und die Seleukiden in Syrien.

Die Herrschaft der griechischen Diadochen führte zu einem bis dahin nicht gekannten Mobilisierungs-Effekt. Menschen aus Griechenland, aber auch aus anderen Teilen der mediterranen Welt, strömten in Scharen in den Osten, um dort ihr Glück zu machen. Neue Städte schossen wie Pilze aus dem Boden. Griechische Kultur, Wissenschaft und Technologie wurden zu Exportschlagern und fanden überall zwischen Ägypten und Indien dankbare Abnehmer. Mit Blick auf die Ausbreitung des Christentums war die Tatsache von großer Bedeutung, dass sich nun auch die griechische Sprache ausdehnte. Die Könige sprachen Griechisch, die Bürokraten sprachen Griechisch, die Gelehrten sprachen Griechisch. Da blieb denjenigen, die in dieser Welt des Aufbruchs ein Wort mitreden wollten, nichts anderes übrig, als ebenfalls Griechisch zu lernen. Griechisch wurde auf diese Weise zur Weltsprache, so wie in der Neuzeit die englische Sprache. Zum Glück für die Christen – denn mit Aramäisch oder Hebräisch, den ursprünglichen Sprachen im Herkunftsland des Christentums, wären sie nicht sehr weit gekommen. Der einheitliche Sprachraum aber versetzte sie in die Lage, mit ihren Lehren und Ideen überall verstanden zu werden und damit der Tragik zu entgehen, jede Menge frohe Botschaften parat zu haben, die aufgrund kommunikativer Störungen nirgendwo ankamen. Selbstverständlich waren daher alle wichtigen Propaganda-Schriften der frühen Christen, wie die Briefe des Paulus oder die Evangelien, in griechischer Sprache verfasst. Wie notwendig das war, zeigt der Umstand, dass schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr., also ein paar Jahrzehnte nach Alexanders Tod, viele Juden kein Hebräisch mehr verstehen konnten. Das galt besonders für die Juden in der Diaspora. Sie, die fern der Heimat als Zugewanderte in Ägypten, Kleinasien oder Mesopotamien lebten, vergaßen in der Fremde die Sprache ihrer Vorfahren und passten sich den Verhältnissen in der neuen Heimat an. So sprachen die Juden, die in der Metropole Alexandria in Ägypten lebten, nur noch Griechisch. Daher waren sie auch nicht in der Lage, die heiligen Schriften ihres Volkes zu lesen. Um diesem Missstand abzuhelfen, veranlassten die Ptolemäer eine Übersetzung des hebräischen Alten Testaments in die Weltsprache Griechisch. Weil angeblich 70 Übersetzer an diesem Unternehmen beteiligt waren, nennt man diese erste Bibelübersetzung nach dem lateinischen Wort für »70« Septuaginta. Eine wichtige historische Erfahrung später für die Christen: Bedient euch der Weltsprache Griechisch, wenn ihr verstanden werden wollt.

Die von Alexander dem Großen eingeleitete Begegnung zwischen West und Ost war keine Einbahnstraße. So, wie der Osten vom Westen profitierte, so lernte der Westen vom Osten – auch wenn das der Westen später nicht immer wahrhaben wollte, weil er sich dem Osten überlegen fühlte. Er lernte vor allem dessen Lebensformen und dessen Religionen kennen. Isis, Mithras, Kybele und die anderen Mysterienreligionen fanden nun auch im Westen viele Anhänger. Spezielle Rituale der Einweihung in die Kulte und der Glaube an die Wiederauferstehung, auf ein Leben nach dem Tod waren den Europäern daher nicht mehr fremd, als sich die Christen an die Aufgabe machten, für ihren Gott und ihre Lehren zu werben. Auch hier gilt: Ohne Alexander, den großen Türöffner, hätte das alles nicht funktioniert.

Und noch etwas konnten die christlichen Strategen aus dem Fall »Alexander und der Hellenismus« lernen. Wenn man mit seinen Göttern oder auch mit nur einem Gott Erfolg haben wollte, musste man die Tatsache bedenken, dass die Griechen und später auch die Römer, unter deren Herrschaft Jesus geboren wurde, gerne fremde Götter mit ihren eigenen gleichsetzten. So war Alex­ander bei seinem denkwürdigen Aufenthalt in der Oase Siwah der Meinung gewesen, bei dem dort von den Ägyptern verehrten Amun Re müsse es sich um Zeus handeln, nur in einer anderen Gestalt und unter einem anderen Namen. Grundsätzlich war man daher auch bereit, fremde Götter in den eigenen Pantheon aufzunehmen. An sich lobenswert, aber auch nicht ohne Gefahr für eine Religion, die den einen und einzigen Gott predigen wollte und der es nicht darum ging, ein zusätzliches Angebot zu unterbreiten, sondern den Anspruch auf Exklusivität erhob. Einen Gott wie den Christengott hatten die anderen Religionen nicht in ihrem Repertoire. Wie sollte man es also anstellen, ihnen diesen Gott zu vermitteln?

2. Infrastruktur: Kommunikationsforum Rom

Alexander der Große wurde zum Wegbereiter der Christen, obwohl er lange vor der Zeit der Christen lebte. Und es gab noch einen weiteren, sehr wichtigen günstigen Umstand, an dessen Entstehen kein Christ beteiligt gewesen ist, den die Christen aber auch gerne akzeptierten, als sie ihre Religion zu einer Weltreligion machten: Der Aufstieg des Christentums vollzog sich zu einer Zeit, als ein großer Teil dieser Welt von den Römern beherrscht wurde. Ohne die Römer wäre das Christentum nicht über den Status einer unbedeutenden Provinzreligion hinausgekommen.

Diese Aussage gilt, auch wenn die Christen später versuchten, ihren Siegeszug als Ergebnis eines vorgegebenen heilsgeschichtlichen, göttlichen Planes auszugeben. In ihrer Deutung der Dinge war es kein Zufall, dass Jesus geboren wurde, als in Rom Kaiser Augustus herrschte. Jesus war der Heiland, der Retter, der Erlöser der Welt. Augustus war der große Friedenskaiser, der dem ganzen Imperium Ruhe, Ordnung und Sicherheit bescherte. Die Christen propagierten ein Bild, das Augustus nur zu gern auch von sich selbst verbreitete. Dabei sah die Wirklichkeit anders und nun gar nicht »christlich« aus.

Augustus war mit Gewalt an die Macht gekommen. Nach dem Attentat auf seinen Adoptivvater Caesar an den Iden des März des Jahres 44 v. Chr. waren Bürgerkriege ausgebrochen, an denen Augustus, der damals noch Octavian hieß, maßgeblich beteiligt gewesen war. Konsequent und zielbewusst strebte er nach der Alleinherrschaft. 27 v. Chr. war es so weit: Unter dem moderaten Titel »Princeps«, was so viel wie »der Erste« heißt, wurde er zum Begründer des römischen Kaisertums. Er stilisierte sich als Garant für Frieden und Sicherheit, wobei er geflissentlich verschwieg, dass er eine Ordnung wieder hergestellt zu haben vorgab, an deren Zerstörung er maßgeblichen Anteil hatte. Friedlich war er auch als Kaiser ganz und gar nicht. Kaum ein anderer der römischen Herrscher hat so viele Kriege geführt wie Augustus. Nicht alle endeten erfolgreich: 9 n. Chr., als Jesus im fernen Palästina im Stadium des Heranwachsens war, fand im hohen Norden, in den Wäldern Germaniens, eine Schlacht statt, die unter dem Namen »Schlacht im Teutoburger Wald« berühmt wurde. Hier besiegte der Germane Arminius den Römer Varus, sodass in der Folge Augustus auf den ehrgeizigen Plan verzichten musste, das römische Imperium bis zur Elbe auszudehnen. Andere Unternehmungen, wie etwa in Nordspanien, gestalteten sich erfolgreicher. So war Augustus in Wirklichkeit ein Kriegskaiser. Aber man konnte in Rom auch als Kriegskaiser Friedenskaiser genannt werden. Denn die Römer verstanden unter »Frieden« etwas anderes als die Christen. Für diese war Frieden ein Wert an sich, ein jederzeit anzustrebender Zustand. Nach römischem Verständnis konnte sich Frieden erst einstellen, wenn es zuvor einen Krieg gegeben hatte. Frieden ohne Krieg war nicht möglich. Insofern konnte sich Augustus völlig zu Recht rühmen, ein Friedenskaiser zu sein. Er war also einer der kriegerischsten Friedenskaiser der Römischen Geschichte. Die Christen deuteten ihn zu einem – in ihrem Verständnis – wahren Friedenskaiser um, denn Jesus sollte mit seiner Friedensbotschaft nicht in eine Welt des Krieges hineingeboren worden sein. Und um diese Verbindung für alle Zeiten zu manifestieren, hat Lukas, einer der wichtigsten Verbreiter der Tradition über Jesu Leben, gleich zu Beginn seiner Darstellung Augustus und Jesus in einen historischen Zusammenhang gebracht. Den Satz kennt jeder, der alljährlich zu Weihnachten einen christlichen Gottesdienst besucht:

»Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.«(Lk 2,1)

Und um sich bei dieser kaiserlich angeordneten Volkszählung registrieren zu lassen, machten sich auch Joseph und seine Frau Maria aus Galiläa in Richtung Bethlehem auf. So beginnt die berühmte »Weihnachtsgeschichte«, in der Augustus dank Lukas einen festen Platz hat.

Jesus gehörte zu den damals etwa 60 Millionen Bewohnern des Römischen Reiches, das sich von Syrien bis Spanien, von Nord­afrika bis Britannien erstreckte. Seine Heimat Judäa war gerade rechtzeitig einige Jahrzehnte vor seiner Geburt Teil des Imperiums geworden, nachdem der römische Feldherr Pompeius 63 v. Chr. das Land okkupiert hatte. Hätte das heutige Israel nicht zum Römischen Reich gehört, wäre es sehr viel schwieriger, wenn nicht gar aussichtslos gewesen, das Projekt Weltreligion zu starten. So aber konnten die Pioniere des frühen Christentums von all den Annehmlichkeiten profitieren, die das Imperium den Völkern und Kulturen bot, die unter seinem Dach vereint waren. Und die Christen haben die Chancen und Möglichkeiten auch intensiv genutzt – viel mehr und viel konsequenter als die Vertreter anderer Religionen, die nicht so engagiert und zielstrebig waren.

Die Christen analysierten die Lage, gelangten zu klaren Erkenntnissen und fanden effiziente Lösungswege. Dafür können die Stimmen zweier Zeitzeugen als Beweis herangezogen werden. Um das Jahr 200 schrieb der christliche Autor Tertullian, dessen Heimat sich in Karthago im heutigen Tunesien befand, in einer Gruß- und Ergebenheitsadresse an die Römer:

»An die Stelle berüchtigter Einöden sind freundliche Kulturen getreten. Kornfelder haben die Wälder, Herden die wilden Tiere verdrängt. Sandwüsten werden bepflanzt, Felsen durchbrochen, Sümpfe getrocknet. Überall gibt es Kultur, Bevölkerung, staatliche Ordnung, Leben.« (Über die Seele 30)

Die Römer, will der Christ Tertullian sagen, haben die Welt kultiviert und zivilisiert. Dahinter stand natürlich der Wille Gottes. Er schuf das Römische Reich, damit die Christen es leichter hatten, ihren Glauben zu verbreiten. Das sagt der zweite Kronzeuge, ein sehr prominentes Mitglied der christlichen Gemeinschaft, dem Rom es zu verdanken hat, dass es Sitz der Päpste wurde. Leo I., den seine Anhänger »den Großen« nannten, war zwischen 440 und 461 Bischof von Rom. Er nannte sich »Erster der Apostel« und begründete damit den Anspruch, als Oberhirte aller – jedenfalls katholischen – Christen gelten zu dürfen. Sehr präzise hat er die Rolle Roms beschrieben, wie sie die Christen gerne sehen wollten:

»Damit die Wirkung der unaussprechlichen Gnade über die ganze Welt verbreitet werde, hat die göttliche Vorsehung das Römische Reich bereitet. Dem göttlichen Weltplan war es am meisten gemäß, dass viele Reiche in einem Imperium verbunden würden und die allgemeine Predigt schnellen Zugang zu den Völkern habe, weil die Herrschaft einer einzigen Stadt sie alle unter sich hielt.« (Predigten 4, Nr. 95)

Den zufälligen Umstand, dass Jesus Christus in das Römische Reich hineingeboren wurde, nahmen die Christen dankbar entgegen und sammelten gleichzeitig Pluspunkte, indem sie diese Konstellation als von ihrem Gott gewollt darstellten. Tatsächlich waren die Vorteile, die das große Imperium seinen Bewohnern bot, immens. »Schnellen Zugang zu den Völkern haben« – dieses unschätzbare Kapital wurde später bei den christlichen Werbekampagnen durch die exzellente Infrastruktur des Reiches ermöglicht. Sie ist eine der wichtigsten Erklärungen dafür, dass sich eine Regionalreligion aus dem Nahen Osten in beeindruckend kurzer Zeit bis in den äußersten Westen, das heißt nach Spanien, Gallien, Germanien, Britannien ausbreiten konnte. Sie ermöglichte jene Formen der Kommunikation, ohne die das Christentum niemals seine imponierende Breitenwirkung hätte entfalten können.

Bevor die Römer am Ruder waren, dauerte es ewig, wenn man eine Reise beispielsweise von Syrien nach Germanien unternehmen wollte. Vor allem wurde es für diejenigen schwierig und strapaziös, die auf den Landweg angewiesen waren. Als die Römer das Heft in die Hand nahmen, sah das ganz anders aus. Jetzt war alles mit allem verbunden. Dafür sorgte in erster Linie das reichsweite Netz an gut ausgebauten Straßen. Römerstraßen waren mit einem Qualitätssiegel versehen. Sie waren breit, stabil, schnell, allwettertauglich. Ob mit dem Wagen, zu Pferd oder zu Fuß, auf ihnen kam man immer gut voran. Komfortable Raststätten luden unterwegs zum Verweilen und Erholen ein. Das gesamte Straßennetz erstreckte sich in der Kaiserzeit auf 100.000 Kilometer.

Straßen transportieren Menschen, aber auch Technologien und Ideen. Das wussten die Propagandisten des Christentums, und so waren sie ständig unterwegs, von Ort zu Ort und von Stadt zu Stadt. Ganz wie vom christlichen Lobredner Tertullian beschrieben, stellten sich ihnen keine Hindernisse in den Weg. Flüsse? Wurden von Brücken überspannt. Berge? Wurden durch Tunnel und Passstraßen überwunden. Schlechtes Wetter? Kein Problem. Die Straßen hatten eine leichte Wölbung in der Mitte, so dass das Regenwasser abfloss und sich keine Überschwemmungen bildeten. Solche vermeintlichen Kleinigkeiten dürfen nicht vergessen werden, will man den Siegeszug einer Religion erklären, für die Kommunikation und Zusammenhalt ganz oben auf der Agenda stand.