Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auf dem südlichen Wendekreis der Sonne im Herzen des südafrikanischen Buschfelds erleben die Pauls den politischen Wandel abseits der blutigen Unruhen in den terrorisierten Townships. Von der Euphorie einer neuen Demokratie getragen, gelingt Nelson Mandela ein erfolgreicher Start, doch seine Nachfolger Mbeki und nun Zuma waren und sind dabei, das ererbte Potential zu vergeuden. Gegen den Widerstand der Afrikaaner bemüht sich Jo Paul im Golfclub um Arbeit für junge Schwarze, um ihre Integration. Dafür nannten sie ihn Madiba. Die Bemühungen, Heimat in Südafrika zu finden, scheitern, und als Touristen wollen die Pauls nicht bleiben. Das Herz bleibt in Südafrika bei Land und Freunden, der Pass ist die Vernunft. Wird Südafrika, dieses wunderschöne Land, endlich eine afrikanische Erfolgsgeschichte schreiben?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 379
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jürgen Tuttas, Jahrgang 1939, studierte Maschinenbau. Als Dipl.Ing. im Anlagenbau erfüllte sich zu Beginn der 70iger sein Jugendtraum, in Afrika arbeiten und leben zu können. In Tunesien, Algerien, Nigeria und Kenia verbrachte er über fünf Jahre. Ab 1984 lebte und arbeitete Tuttas mit einer kurzen Unterbrechung bis Mitte 2002 in Südafrika. Im Busch im hohen Norden, auf dem südlichen Wendekreis der Sonne. Nach 2004 hielt er sich bis 2014 jährlich bis zu neun Monaten im Land auf, war dabei in Intervallen als Berater für verschiedene Projekte tätig.
Jürgen Tuttas wurde Zeitzeuge des politischen Wandels in Südafrika, durchlebte Distanz, Verständnis, Unterstützung, Euphorie und Enttäuschung. Viele Gegenstände im Haus erinnern an eine glückliche Zeit. Seine späte Zuneigung zum Golfsport hat er sich bereits verziehen.
Für Nick Kilbride und Stephan Hattingh, die jüngsten aller Freunde. Sie kamen durch tragische Unfälle viel zu früh ums Leben. Allen Freunden, die wesentlich zu der Erkenntnis beitrugen, dass positives Denken den Beginn einer politischen Kehrtwende in eine ungewisse Zukunft friedlich meistern kann.
Aber auch allen, die kein Vertrauen in die Zukunft ihres Landes aufbringen konnten.
Für Keith, stellvertretend für die weiße Jungend, der wegen seiner Hautfarbe keine Chance auf einen Studienpatz mehr hat und sehr traurig nach England emigrieren wird.
Nicht das, was wir gelebt haben,
ist das Leben,
sondern das, was wir erinnern
und wie wir es erinnern,
um davon zu erzählen.
MARQUES
PROLOG
TEIL 1
INTERMEZZO
Wo ist zu Hause?
TEIL 2
Neustart in Südafrika
INTERMEZZO
Asiatisch
TEIL 3
EPILOG
Zu guter Letzt
Erläuterungen
Literaturhinweise:
Die Trauergemeinde in der Friedhofskapelle ist klein, nicht einmal fünfzehn Personen sind gekommen. Zu wenig, finde ich, für eine Frau, die den Namen der einmal angesehensten Familien der kleinen Stadt in der Lüneburger Heide trägt. Sie hat es verdient, dass nach vielen trüben und regnerischen Tagen heute ausnahmsweise die Sonne scheint.
Beerdigungen sind immer düster, traurig, endgültig, machen mich depressiv. Wann immer möglich, vermeide ich es, dabei zu sein. Irgend jemand weint immer, und dann muss ich auch meist schlucken.
Ich denke, wie es sein wird, wenn ich dort liege. Wird es Menschen geben, die dann hier sitzen werden, um zu trauern?
Für mich steht fest: ich werde mich verbrennen lassen. Ich will nicht unter die Erde. Meine Asche soll in Südafrika enden, verstreut auf dem Grün der ersten Spielbahn des Mogol Golfclubs in Ellisras, heute Lephalale. Keine 30 m von dort habe ich lange glücklich gelebt.
Tante Erika liebte die Sonne über alles. Wann immer möglich, lag sie auf ihrem Liegestuhl im Garten und genoss die Wärme. Sie wusste, dass sie einen großen Teil ihrer zahlreichen Falten im Gesicht ihrer Vorliebe zu verdanken hatte, aber das war ihr eher gleichgültig.
Und sie liebte Ostpreußen und das kleine Dorf, in dem sie vor 87 Jahren geboren wurde, in dem sie aufwuchs, und das sie 1943 nach ihrer Hochzeit für immer verließ. Die Trauer um den Verlust ihres kleinen, geerbten Backsteinhäuschens hat sie zeitlebens begleitet.
Der Organist spielt zum Ausgang „Land der dunklen Wälder, und kristall`nen Seen, ...“. Das hätte ihr gefallen.
Sie wird auf der großen Familiengrabstätte beigesetzt. Unmittelbar vor dem großen Findling, den eine Eiszeit einmal in der Umgebung der Kleinstadt zwischengelagert hatte, wird sie ruhen. Der Stein trägt die Namen aller bislang verstorbenen Familienmitglieder, auch wenn sie hier nicht ihre letzte Ruhe fanden.
Den Namen ihres Mannes, den Namen ihrer ältesten Tochter, die mit ihrem Leben überfordert war und nur eine endgültige Lösung für ihre Probleme fand, den Namen ihres Schwiegervaters und Mühlenbesitzers oben auf.
Und plötzlich läuft ein Film vor meinen Augen ab, so intensiv und schnell, wie ich es noch niemals erlebt habe.
Als kleiner Junge habe ich auf Tante Erikas Hochzeit in Ostpreußen Blumen gestreut. Die evangelische Kirche war gelb gestrichen. Es gab nur diese eine in dem kleinen Dorf in den Masuren, in dem meine Großeltern einen Bauernhof besaßen. Mir kam die Kirche riesig vor. Am Altar weckte eine Fliege mein Interesse, und ich ließ Brautpaar Brautpaar sein und verfolgte diese Fliege. Ich habe sie nicht gefangen, aber nun musste ich eingefangen werden.
Sie zog mit ihrem Mann in die Kleinstadt der Lüneburger Heide, in der er geboren wurde und aufwuchs. Als Rekrut begann er seinen Wehrdienst in Allenstein / Ostpreußen. Dort traft er zum ersten Mal Tante Erika, die jüngere Schwester meiner Mutter.
Onkel Alfreds Vater besaß die große Mühle in der Ortsmitte, und als der älteste Sohn Willi im Krieg gefallen war, erwirkte der Vater Alfreds Freistellung vom Kriegsdienst. Die Mühle war als kriegswichtiger Betrieb eingestuft worden.
„Wenn alles schief geht und ihr müsst hier weg, kommt ihr zu uns in die Heide“, hat Tante Erika beim emotionalen Abschied gesagt.
Den Weg vom Bahnhof, den Osterberg hinab in den Ort laufe ich in Gedanken wieder, wie am 17. Februar 1945, am Ziel unserer Flucht aus Ostpreußen. Den Weg zur Mühle findet Mutter ohne zu fragen, der Kirchturm in der Ortsmitte ist weithin sichtbar.
Mutter hatte meine kleine Schwester und mich am Bahnhof in Soltau vor der Weiterfahrt noch einmal gewaschen. Kalt natürlich.
Nun stehen wir vor dem wunderschönen Fachwerkhaus, dem Herrenhaus des Mühlenbesitzers, gleich neben der großen Mühle am Fluss. Mutter mit zwei Köfferchen in den Händen und zwei kleinen Kindern am Rock, und wir trauen uns nicht durch die Pforte.
Da erscheint eine Frau in weißer Bluse am Fenster im ersten Stock, und sie winkt uns zu, Tante Erika. Wir sind angekommen.
Im Wohnzimmer ist der Tisch mit viel Kuchen für ihre Gäste üppig gedeckt, Es duftet nach Bohnenkaffee. Wir waren nicht nur wegen der Gäste um den Tisch verlegen, sprachlos. Das es so etwas noch gab!
Es ist ihr Geburtstag heute, der Geburtstag einer angesehenen hübschen jungen Frau, meiner Patentante Erika.
Nach Kriegsende, noch 1945, verstirbt der Mühlenbesitzer. Zu früh! Das Testament regelt die Nachfolge und die Besitzverhältnisse nicht eindeutig. Durch den Streit der Erben geht die Mühle den Bach hinunter, an dem sie liegt.
Tante Erika bekommt drei Töchter, dabei wollte sie immer einen Sohn.
Der blieb ich dann, ihr langes Leben lang.
Die Müdigkeit von der stressig langen Reise mit Nachtflug und Autofahrt ist wie weggeblasen, weil ich sicher bin, sie hätte sich gefreut, obwohl es zuletzt zu einem Besuch im Pflegeheim nicht mehr gereicht hat.
Es macht mich glücklich, dass Sabine es geschafft hat, meinen Abflug von Johannesburg umzubuchen und mich auf einen bereits ausgebuchten LH - Jumbo zu bekommen. Ich hätte ihr sonst nicht die letzte Ehre erweisen können.
Es ist ein strahlend wolkenloser Tag im Norden Südafrikas, und schon sehr warm für diesen September, den 21. 09. 2008. Vor dem Rückflug nach Deutschland habe ich mich mit den alten Freunden Ute und Attie Martin in Pretoria verabredet. Seit sie vor drei Jahren von Pretoria nach Jeffreys Bay in ihr Haus gezogen sind, treffen wir uns nicht mehr so häufig.
Sie haben mich eingeladen, den Tag mit ihnen bei Tochter Nadia und ihrem Mann Kobus zu verbringen, die vor einem Jahr in ihr neues Haus in Pretoria umgezogen sind. Es wird „Potjiekos“ geben. Oxtail, den Ute und Attie besonders gut können.
Auf der knapp dreistündigen Autofahrt von Ellisras nach Pretoria habe ich viel Zeit für Gedanken und Erinnerungen. Sonntags morgen gehen Südafrikaner in die Kirche, und nicht auf die Straße. Der Verkehr ist heute sehr ruhig.
Nadia habe ich aufwachsen sehen, seit sie acht Jahre alt war. Mit zehn hat sie dann manchmal meinen Trolly mit Golfbag gezogen, um ihr Taschengeld etwas aufzubessern. Ute hat damals und bis heute ihre beiden Töchter motiviert, immer etwas zu tun. „ Für Nichtstun gibt es kein Geld“, sagt sie immer.
Nadia hat vor sechs Monaten eine Tochter mit 27 Wochen und 800 gr Gewicht zur Welt gebracht. Die Ärzte in Pretoria haben ihr Leben erhalten können. Vor drei Wochen durfte Nadia die kleine Leila mit nach Hause nehmen. Sie hat ihr Geburtsgewicht auf 2500 gr verdreifacht. Ich bin gespannt, wie die kleine Leila aussieht, und wie sich die zweijährige Martinese entwickelt hat. Einen Tag nach ihrer Geburt durfte ich dieses winzige Bündel im Krankenhaus im Arm halten. Ute berichtet, sie isst so gerne.
Plötzlich tut es einen Schlag rechts vorne auf der Fahrerseite. Obwohl ich wegen der zahllosen Schlaglöcher noch relativ langsam unterwegs bin, habe ich wohl eines erwischt. Der kleine Honda Jazz hüpft leicht, bleibt aber in der Spur. Ich halte an, kann aber an Reifen und Felge keinen Schaden erkennen. Glück gehabt!
Die Straßen sind schlecht geworden in Südafrika, vor allem die viel befahrenen aus den Industriegebieten in Gau-teng um Johannesburg und Pretoria in Richtung Norden.
In den vergangenen Jahren hat der Güterverkehr nach Zimbabwe stark zugenommen, seit unter Mugabe die Volkswirtschaft am Boden liegt und die Bevölkerung ohne die Hilfe Südafrikas nicht überleben würde.
Die Administration hat vergessen, dass auch Straßen gewartet und repariert werden müssen. Die ‹Potholes› werden oft nur notdürftig mit Lehm zugekleistert. Das hält dann bis zum dritten Lastwagen.
Heute sind nur noch ca. 20% der Landstraßen in einem guten Zustand. 1987 waren es noch 80%.
Nicht alles, was noch vor dem Ende der Apartheid 1994 solide gebaut wurde, hält ewig. Das hat der ANC doch immer beweisen wollen.
Präsident Thabo Mbeki wird am heutigen Sonntagabend im Fernsehen seine letzte Ansprache als südafrikanischer Präsident an die Nation halten.
Die Regierungspartei ANC hat gestern entschieden, dass Mbeki noch vor Ende seiner Amtszeit in sieben Monaten abdanken muss. Das ist wenig demokratisch, das ist Parteidiktatur. Aber so sieht sich der ANC nun einmal. Als Einheitspartei für die südafrikanische Bevölkerungsmehrheit, und als Wegbereiter für seinen neuen Parteivorsitzenden Jacob Zuma zur Macht.
Jeder Aufenthalt in Südafrika beginnt mit einer langen und aufwendigen Reise. Abhängig von der Dauer des geplanten Aufenthaltes auch mit viel Planung oder gar mit einem Umzug.
Für die Reise von Köln zum Kap mit dem Auto werden sich nur die wahren Abenteurer entscheiden. Eine durchgehende Autobahn wie von Hamburg nach Sizilien gibt es zum Kap nicht.
Mit dem Schiff ist das große Abenteuer schon eingeschränkt. Die meisten Schiffe fahren nach Plan.
Der heutige Tourist oder Geschäftsmann fliegt von Europa durch die Nacht über den gesamten afrikanischen Kontinent und landet am Morgen in Johannesburg, ohne Jetleg, ohne einen besonderen Abenteurergeist gespürt zu haben. Der Düsenantrieb ist zuverlässig und bequem, je nach Buchungsklasse.
An eine Reise nach Südafrika dachte Jo noch lange nicht.
Jo Paul heißt eigentlich wie sein Vater mit Vornamen Johannes. Doch Johannes war ihm und seinen Freunden viel zu lang, und Johannes Paul viel zu heilig. So war es nur logisch, dass er bald nach seiner Einschulung nur noch Jo gerufen wurde. Nur seine Patentante Erika nannte ihn Buscheck, der Kosename für ihren Vater Gottlieb. In Jos Geburtsurkunde war der volle Name Johannes Gottlieb Paul eingetragen. Wer kann schon etwas für seinen Namen?
Jo war in seiner Jugend ein Junge, der alle Freizeitangebote der Kleinstadt in der Lüneburger Heide in Anspruch nahm und auch nutzte. Er liebte Sport, spielte beim lokalen SV vom 11. Lebensjahr an Fußball, und wurde bald schon zum Mannschaftsführer der 1. Knabenmannschaft bestimmt. Damit konnte er Einfluss nehmen auf die Mannschaftsaufstellung, und welcher Spieler auf welcher Position spielen durfte. Die Verbindung zum Fußball hielt sehr lange. Noch als Senior oder „Alter Herr“ spielte Jo in der Mannschaft mit, wenn er die Eltern besuchte.
Auf dem Gymnasium verbesserte er sich im Freistilschwimmen und im Tischtennis und wurde Kreismeister in beiden Disziplinen.
Beim CVJM spielte er Tischtennis, und manchmal auch Schach mit dem Superintendenten. Die 1. Trompete blies Jo im Posaunenchor, sonntags um 9 Uhr auch manchmal einen Choral vom Kirchturm. Drei Strophen aus dem Dachfenster nach Norden, und drei Strophen aus dem Dachfenster nach Süden.
Jos Traum war es, einmal Cello zu spielen, im Schulorchester des Gymnasiums. Für die Cellostunden und ein Leihinstrument war leider kein Geld vorhanden, und so blieb es bei der Trompete. Die kostete nämlich nichts.
In der politischen Diskussion übte sich Jo gemeinsam mit Freunden auf Wahlveranstaltungen und Parteiversammlungen, wobei er sich immer bemühte, seine liberale Haltung zu behaupten.
Langezeit stolz war Jo auf sein Mitwirken als Statist in dem Herman – Löns – Film „Rot ist die Liebe“ mit Barbara Rütting und Dieter Borsche in den Hauptrollen. Für die Rolle als radelnder Student gab es DM 20 und noch DM 3 Leihgebühr für das alte Fahrrad vom Stiefvater. Für diesen Betrag hätte Jo auf der alten Kegelbahn im Lieth -Caffee zwölf Stunden lang Kegeln aufstellen müssen.
Besonders verehrte Jo damals den ebenfalls mitspielenden Günter Lüders, dessen Rezitationen von Ringelnatz – Gedichten großartig waren.
Mit den Tanzstunden nahm die Scheu vor dem Kontakt mit Mädchen ab. Jo lernte viele kennen und manche auch lieben. Manche lehrten ihn auch lieben. Doch in dem kleinen Heidestädtchen heiraten und immer dort leben, das konnte er sich nicht vorstellen.
Nach seinem Studium fand Jo schnell eine Anstellung als Konstruktionsingenieur bei einem Großanlagenbauer für Kraftwerke, ausreichend weit entfernt von seiner kleinen Heidestadt, am Rhein.
Richtig zufrieden wurde Jo als Konstrukteur nicht, denn schon während des Studiums war das Konstruktionsbrett nicht zur großen Leidenschaft geworden. Bald schon bat Jo um die Erlösung vom Brett und ließ sich in die Projektabteilung versetzen, zuständig dort für Kleinkraftwerke.
Hier traf er Hartmut Schneider, der vor kurzem erst angeheuert hatte. Hartmut erzählte später bei einem Bier nach Dienstschluss mit Kollegen von seiner Vergangenheit, und dass er ein Jahr lang im südafrikanischen Goldbergbau als Techniker gearbeitet hatte. Jo Paul hörte gut zu, denn aus dem fernen Südafrika hatte er bislang noch nicht viel gehört, schon gar nicht aus erster Hand.
Die Ereignisse um die 68er Bewegung auf Deutschlands Straßen waren viel präsenter und berührten die politisch interessierte Generation weit mehr als das ferne Südafrika und seine Probleme.
Hartmut erzählte von den unvorstellbaren Mengen von Gestein und Abraum. Der Goldgehalt des abgebauten Erzes beträgt dort durchschnittlich 10 Gramm je Tonne Erz, und ist damit sehr niedrig. Eine sehr kostenaufwendige Technologie und Überwachung des Abscheideprozesses ist erforderlich, um alles Gold zu gewinnen, und nicht auf dem Abraum zu verlieren.
Die Goldadern sind meist sehr schmal und dünn, oftmals nicht dicker als 15 bis 20 cm. Und sie verlaufen fast immer schräg, was den Abbau nicht gerade erleichtert.
Um in Tiefen von 2500 bis 3500 m und Temperaturen um 50°C arbeiten zu können, darf man nicht Weißer sein. Schwarze arbeiten unter diesen Bedingungen einfach besser. Und sie sind außerdem viel billiger.
Jo erfuhr von den Rassenproblemen aus der Sicht von Schneider. „Ein privilegiertes Leben der weißen Rasse in diesem Land“, so fasste Schneider zusammen.
Doch so richtig konnte sich Jo Paul kein Bild von den dortigen Verhältnissen machen, auch weil Hartmut Schneider oftmals Fragen unpräzise beantwortete oder ihnen gar auswich. Am Ende war Jo nicht einmal sicher, ob Schneider jemals längere Zeit in Südafrika gelebt und dort gearbeitet hat.
Jahre nach diesem Gespräch stellte sich heraus, dass Schneider für die DDR in mehreren Firmen Westdeutschlands spioniert hatte. Jo war sich sicher, dass auch sein Name nicht stimmte. Die verliebte Vorstandssekretärin blieb verlassen zurück und schämte sich spürbar für diese unrühmliche Affäre.
Damit war Südafrika wieder ein sehr weit entferntes Land. Eigentlich blieben nur die guten klimatischen Bedingungen im Gedächtnis. Nur gutes Wetter, kein richtiger Winter, immer blauer Himmel. Unglaublich!
Ende 1981 hielt sich Jo Paul beruflich in Erlangen auf. Die dortigen Stadtwerke hatten ein neues Kraftwerk gebaut, und das musste in Betrieb gesetzt werden.
Die Kritik an Kohlekraftwerken kam gerade in Mode. Grüne Lehrer begannen, ihren Schülern zu vermitteln, dass Kraftwerke gefährlich sind, und dass man Angst haben muss vor ihnen.
Zu dieser Zeit war es der saure Regen, der dafür herhalten musste, dass große Waldgebiete geschädigt waren. Dieser saure Regen wurde auch vom Verbrennungsprozess der schwefelreichen Brennstoffe Kohle und schwerem Heizöl gefüttert. Dass auch Sonnenblumen davon beregnet wurden, war unvermeidbar. Seit dieser Zeit können Grüne keinen Frieden mehr mit Kraftwerken machen. Jo machte sich eher Sorgen um die Auftragslage in seiner Firma.
So dachte Jo Paul in diesem schneereichen Winter in Erlangen. An einem freien Wochentag nachmittags schlenderte Jo durch die Einkaufstrassen. In einem attraktiven Bücherladen in der Innenstadt wollte er sich ein wenig aufwärmen und seine Wetterjacke etwas abtrocknen lassen. Ein widerliches Wetter, nasser Schnee und eine Kälte, die langsam und unerbittlich die Hosenbeine hinauf kroch. Kein Wunder, dass der Buchladen so gut besucht war.
Jo mühte sich vorbei an den Stapeln der Neuerscheinungen, griff das eine oder andere Taschenbuch, lass ein paar Zeilen. Nichts, was ihn zum Kauf motiviert hätte. Er liebte Bücher, vor allem Zeitgeschichte und gute Krimis. Carlo Schmidts „Erinnerungen“ hatte er gerade durch, Kissinger angefangen, aber auch Dürrenmatt, Peter Bamm und Rudolf Hagelstange mochte er. Und von Erich Kästner besaß er alles, von Kishon vieles.
In dem ungewöhnlich großen Regal mit Büchern über „Reisen“ begann Jo ein wenig zu stöbern. Die Auswahl war beeindruckend vielfältig. Ein Bildband über Südafrika weckte sein Interesse.
Wunderschöne Aufnahmen von korallenrot blühenden Bäumen, von weiten, menschenleeren Stränden, weiß getünchten Kaphäusern in der Weinregion, fröhlichen Menschen, und fast immer blauer, fast wolkenloser Himmel. Und Tiere! Natürlich.
Die Autoren beschrieben unaufgeregt das Zusammenleben der unterschiedlichen Rassen.
War da nicht ein Gerücht in seiner Abteilung im Umlauf, dass sich die Firma um einen Großauftrag in Südafrika bewarb? Und das die Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss gut standen? „Natürlich kann man die Äpfel erst zählen, wenn sie im Korb liegen“, dachte Jo Paul. Ein solcher Auftrag würde die miese Auftragslage verändern.
Er entschied sich für den Band. Noch nie hatte er für ein Buch 89.- DM ausgegeben, denn bevorzugt kaufte er Taschenbücher. Letztlich erhielt er ein gewichtiges Buch zu einem erschwinglichen und fairen Kilopreis.
Mit einer schweren Tüte verließ Jo den Buchladen im Gefühl, in seine Zukunft investiert zu haben. Und er wollte sich um den Stand der Verhandlungen informieren. Vielleicht bot sich für ihn eine Chance.
Jo fand sehr bald heraus, dass seine Firma tatsächlich etwas Großes in Südafrika bauen wollte. Allerdings mit dem französischen Marktführer als Konsortialpartner.
Die Franzosen hatten sich in der Wirtschaft und bei Geschäften mit den unterschiedlichsten politischen Systemen in der Vergangenheit niemals von moralischen Zwängen leiten lassen. Abgerechnet wurde immer in $ oder FF. Und je anrüchiger das politische System, desto höher der Profit. Das galt auch für Waffenlieferungen in Krisengebiete. Frankreich tat sich da immer leichter als Deutschland. Außerdem boten die Franzosen oft die entscheidenden Finanz – und Finanzierungshilfen an.
In den Jahren 1976 bis 1984 bauten die Franzosen fast unbemerkt von der Welt für Südafrika das Atomkraftwerk Koeberg, nördlich von Kapstadt in Sichtweite des Tafelbergs.
Als Gegenleistung für diesen „Gefallen“, den Frankreich dem politisch weitgehend isolierten Südafrika tat, wollte die französische Industrie mit dem Auftrag zum Bau eines der lukrativen Kohle-Großkraftwerke belohnt werden. So sollte die Vormachtstellung der deutschen Kraftwerksbauer im südlichen Afrika gebrochen werden. Es gelang nicht ganz, weil Frankreich wegen des hohen technischen Standards der deutschen Industrie auf deren Mitarbeit angewiesen war.
Für eine Projektbesprechung hielt sich Jo Paul gerade im Hause auf, als die Neuigkeit über die Erteilung des großen Auftrags aus Südafrika von Telefon zu Telefon eilte. Endlich ein Auftrag, der Beschäftigung für einige Jahre garantierte.
In der Aufstellung der Mannschaft für Südafrika wollte er gerne berücksichtigt werden, darüber war er sich schnell im Klaren. Und er wollte gerne gefragt werden, ohne sich extra für eine Position bewerben zu müssen.
Jo glaubte an seine Chance, weil er englisch und französisch sprach, weil er berufliche Erfahrungen in Nordafrika und im westafrikanischen Nigeria gesammelt hatte. Warum also nicht auch Südafrika?
Jo Paul hatte sich nicht geirrt, er wurde nicht enttäuscht. Bei der Vergabe der für ihn wichtigen Positionen wurde er berücksichtigt. Mit seiner Dorothea konnte Jo schnell einig werden. Da die Ehe kinderlos geblieben war, brauchten beide nur für sich selbst zu überlegen.
Für ungefähr sieben Jahre nach Südafrika umziehen, das war die Anforderung.
Die Pauls begannen die Vorbereitungen auf den Umzug mit einem Elan und einem Optimismus, den beide an sich noch niemals erfahren hatten. In einem für beide wichtigen Punkt waren sich Dorothea und Jo einig. Sie wollten die Herausforderung annehmen und möglichst objektiv die Verhältnisse in Südafrika betrachten, aber sie wollten keine Touristen werden, niemals.
Die Presse berichtete nicht sehr viel über Südafrika, aber das gezeichnete Bild war nicht positiv. Die Artikel in den Zeitungen reichten Jo nicht für eine gefestigte eigene Meinung. In Gesprächen und Diskussionen bezogen Freunde und Verwandte fast ausnahmslos kritische Positionen, wenn es um Rassentrennung und Gewalt ging. Gewalt und Terror verbreiten Angst und Unsicherheit, bei Rassentrennung wusste niemand, wie sich das anfühlt.
Dieter, der direkte Nachbar und Freund der Pauls, politisch zuverlässig rechts der Mitte, ist der besorgteste unter den Freunden. Ihm bereitete die Unsicherheit um einen geeigneten neuen Nachbarn schon etwas Bauchschmerzen, aber auch die Angst vor Gewalt und Terror. Sie könnten den Freunden Schaden bereiten, und das gefiel ihm nicht.
„Du weißt, erinnerte er Jo, „dass der ANC im Prinzip eine Terrororganisation ist. Und außerdem ist er dem kommunistischen Lager zuzuordnen. Gut, Nelson Mandela ist noch im Gefängnis. Wer weiß, wie das Land aussehen würde, wenn er in Freiheit wäre.“ Jo erwiderte gelassen: „Dann würde er sich wohl im sicheren Ausland aufhalten, wie Oliver Tambo und die anderen auch. Die ANC – Führer sind alle weit von Südafrika weg im Ausland.“
Freund Helmut, weltreisenerfahren, war schon mal auf seiner ersten Reise auf dem schwarzen Erdteil, und zwar in Gambia. Er hatte etwas gelesen, was die anderen nicht wussten. „In Zimbabwe, dem früheren Rhodesien, hat es Unruhen gegeben zwischen den Anhängern von Nkomo und den Regierungstreuen unter Mugabe. Es sollen 200 bis 300 Schwarze erschlagen worden sein, einfach so aus Stammesfehden heraus. Kann sich das auch in Südafrika ereignen?“
Jo Paul war sich nicht so sicher, entwickelte aber aus seiner Sicht eine Meinung. „Meiner Ansicht nach sind mit der Gründung der Homelands die wesentlichen Stämme isoliert worden. Untereinander wird da nicht viel passieren, aber das kann sich natürlich schnell ändern, wenn es real um Macht geht. Aber in Wirklichkeit weiß ich noch viel zu wenig darüber, wie das mit Ciskei, Transkei und Bophutatswana – wenn ich das jetzt richtig ausspreche – und Venda funktioniert. Als eigenständige Länder oder Staaten sind sie ja international nicht anerkannt. Wir werden sehen.“
„Aber eines möchte ich klar zum Ausdruck bringen“, fuhr Jo fort. „Mord bleibt Mord, ist und bleibt ein Verbrechen, auch wenn er politisch motiviert begangen wird. Der Mord, der aus Vergeltung für eine politische Untat begangen wird, bleibt ein Mord. Für mich ist der Politiker wie auch der Widerstandskämpfer, der Morde anordnet oder duldet, ein Verbrecher!“
Mit Dieter und Helmut waren die Meinungen ausgetauscht. Alle wussten sie natürlich von den verschiedenen UNO-Resolutionen gegen die Apartheit, die im Wesentlichen wirkungslos geblieben sind. Und vom Handelsboykott, der aber von den wichtigsten Industrienationen nicht eingehalten wurde. U – Boote gegen Kohle lohnt immer, Volkswagen, Mercedes, BMW und die Japaner produzierten munter weiter und strichen die Gewinne ein. Nur die Schweden schienen konsequenter zu sein und unterstützen den ANC offen auch finanziell. Die offene Unterstützung der UDSSR schürt die Furcht, das südliche Afrika könnte ganz unter den Einfluss der Kommunisten geraten, sollte die Apartheit fallen. Die Informationen aus Presse und Fernsehen beschränkten sich allgemein mit Vorgängen in Soweto und Alexandra, wenn sie blutig genug waren.
„Letztlich ist unsere Hautfarbe weiß“, meinte Jo, „und damit sind wir offiziell immer willkommen, und der Rest wird sich finden.
Der zukünftige Wohnort hieß Ellisras, am Mogol – River gelegen, im Norden der Provinz Transvaal. Die kleine Farmerstadt liegt etwa 360 km oder knapp vier Autostunden nordwestlich von Johannesburg entfernt. Die Grenze zu Botswana bildet der Limpopo – Fluss, der oftmals so ausgetrocknet ist, dass selbst die Krokodile einen Sonnenbrand bekommen. Auf der Straße nach Norden zur 85 km entfernten Grenzstation Stockpoort überquert man nach 20 km den südlichen Wendekreis der Sonne und des Steinbocks, den TROPIC OF CAPRICORN. Am 21. Dezember steht hier die Sonne senkrecht über der Erde, im Herzen des südafrikanischen Buschfeldes.
Abschiede hatte es im Leben von Dorothea und Johannes Paul schon viele gegeben. Nur einmal waren sie – in ihr neues Haus - umgezogen, noch niemals waren sie umgesiedelt oder ausgewandert. Trotz Umzugscontainer und abschließendem Luftfrachtgepäckversand war das begleitende Fluggepäck noch sehr umfangreich geworden. So erlebte die rote Lieblingssuppenkelle von Dorothea ihren ersten interkontinentalen Flug in ihrem Handgepäck. Wenn das Jo mitbekommen hätte! Hat er aber nicht, und so verlief die Fahrt zum nahen Flughafen friedlich.
Jo war überrascht, dass dieser Abschied ihn emotional so berühren würde. Alle Freunde waren zum Abschied gekommen, hatten ein Zehn – Literfass Päffgen – Kölsch mitgebracht, und das wurde leer. Jo wollte auf seiner Trompete in der Abflughalle zum Abschied noch ein Lied schmettern, doch nach dem ersten Takt brach er ab. Zuviel Aufmerksamkeit von anderen Besuchern.
Mit feuchten Augen, den Trompetenkoffer in der linken Hand, die schwere Sporttasche in der rechten Hand, an der Spitze der Meute, schritt Jo zum Abflugschalter. Kein Blick mehr zurück, nur den linken Arm mit Trompete zum Abschied gehoben. Das war es!
LH 238 nach Zürich am 10. April 1984 war aufgerufen und zum Einsteigen bereit.
Schon im Mai schrieb Jo Paul einen langen Brief an seine Freunde und Verwandte, den ersten von vielen.
Liebe Freunde,
seit ungefähr vier Wochen kennen wir unsere neue Anschrift und das Haus, in dem wir die kommenden Jahre Leben werden. Aber nun von Anfang an.
Unser Aufenthalt in Zürich geriet leider zur Enttäuschung. Wir hatten geplant, alte Züricher Erinnerungen aus unserem Aufenthalt in 1973 aufzufrischen, und in einer wunderschönen alten Bierkneipe in der Nähe des Paradeplatzes Abschied von Europa zu nehmen. Leider war das Bierhaus Kropf wegen Renovierung geschlossen. Einen gleichwertigen Ersatz fanden wir im Mövenpick nicht.
Bis zum Abflug aus Zürich über Nairobi nach Johannesburg wurde uns die Zeit doch länger als uns lieb war. Als wir dann aber in der guten Stube der Swissair – DC 10 unsere Plätze eingenommen hatten und die extrem gelängten Arme wieder auf das normale Maß geschrumpft waren, fühlten wir uns schon wohler.
Der Flug war so angenehm, wie solch ein langer Flug halt sein kann. Keine Turbulenzen, ruhig, gewohnt hervorragender Service in Speisen und Getränken.
Pünktlich um 12 Uhr landete die Maschine in Johannesburg. Ohne Probleme passierten wir Passkontrolle und Zollabfertigung, und wir entdeckten auch gleich den schwarzen Fahrer und das Schild mit unserem Namen.
Der Wagen war etwas klein für unser umfangreiches Gepäck, und unter den Augen der allgegenwärtigen Polizei verstauten wir unsere Fracht. Beim dritten Versuch war alles so gestapelt, das hinten auf der Rückbank noch ein schmales Plätzchen für Dorothea blieb. Johannesburg hatte uns geschluckt.
Im Hotel fanden wir neben dem Willkommensgruß auch die Nachricht, dass ich bereits am nächsten Morgen mit auf die Baustelle fahren sollte. Nach einigen Telefongesprächen hatte ich auch einen Platz für Dorothea im Auto gesichert. Unsere Welt war (abends) um sieben wieder in Ordnung.
Kurz vor Sonnenaufgang wurden wir abgeholt. Auf der fast vierstündigen Fahrt gewannen wir unsere ersten Eindrücke von dem Land, dass nun unsere neue Heimat sein wird.
Von Johannesburg führt der Highway an Pretoria vorbei nach Norden, fast ausschließlich über eine leicht abfallende Hochebene, die von flachen Hügelketten unterbrochen wird. Auf den ersten einhundert Kilometern viele Felder, abgeerntet (Herbst!), von Mais oder Baumwolle, teilweise für die Aussaat der Winterfrucht vorbereitet. In dieser Gegend, die häufig unter langen Dürren zu leiden hat, haben viele Farmer teure Bewässerungsanlagen installiert, die um die Wasserpumpe im Kreis fahren. Aus der Vogelperspektive waren diese Felder sehr gut als kreisrunde Grünflächen auszumachen, als das Flugzeug die Landesgrenze zu Südafrika überflog.
Aber dann kommt der Busch! Niedrig wachsende Bäume, dazwischen Buschwerk, darunter dürres und jetzt trockenes Gras. Trockener als ein Martini aus purem Gin. Dieser Busch wird von Viehzüchtern als Farmen bewirtschaftet. In RSA ist es sehr populär, sich eine Farm zu kaufen und der Stadt, und sicher auch der Zivilisation zu entfliehen. Wer sich hier nach einer Tätigkeit in Industrie oder Handel auf die eigene Farm zurückzieht, hat hier nicht so sehr das Image eines Aussteigers als vielmehr eines Menschen, der ausgesorgt hat und sich nun seinen Traum erfüllt. Makler profitieren hier von enorm schnell steigenden Grundstück – und Landpreisen.
Zäune zur Straße hin vermitteln den Eindruck, ganz Südafrika sei eingefriedet, Nur ab und zu eine staubige Einfahrt deutet an, wie groß diese Farmen sind.
Faszinierend natürlich auch die für Europäer fremde Tierwelt. Da kreuzt plötzlich eine Pavian - Großfamilie die Straße, und man muss schon arg aufpassen, damit man den letzten nicht noch mit der Stoßstange am roten Hintern erwischt. Es tummeln sich wie Känguruhs hüpfende Hasen, Antilopen, Leguanarten und natürlich Schlangen. Eine Vielzahl von Vögeln, die ich leider noch nicht identifizieren kann. Der Busch lebt!
Auf dem Weg nach Ellisras sind wir auf halber Strecke bei Wimpy`s zum ersten südafrikanischen Frühstück eingekehrt. Spiegeleier, Bacon, kleines Steak, Boorewurst, Pommes, dazu Kaffee. Das hält schon den ganzen Tag vor.
Die Besprechung auf der Baustelle war für mich relativ unwichtig. Sehr viel wichtiger war, dass wir uns gleich ein Haus aussuchen konnten. Größe und Typ standen bereits fest. Drei Schlafzimmer, Wohn-Esszimmer von ca. 45 qm, ein Bad/WC und eine Dusche/WC, große Küche, alles zusammen ungefähr 125 qm Wohnfläche. Ausstattung: in jedem Schlafzimmer ein großer Einbauschrank, je ein weiterer im Flur und im Eingang, Küche voll eingerichtet. Lampen ganz geschmacklos, aber sie funktionieren.
Der Ärger lag im Detail. Dorothea war über viele Kleinigkeiten sauer, enttäuscht und erbost, aber ich konnte ihr erklären, dass auf den zweiten Blick und mit der vertrauten Einrichtung aus Deutschland alles anders und besser wirken würde.
Also, - to cut a long story short – gewählt haben wir schließlich dieses Grundstück. Eines mit vielen Bäumen und Schatten in den heißen Sommern.
Zufrieden, müde und geschafft, hungrig wie die Bären kamen wir gegen 21 Uhr zurück nach Johannesburg.
Und schon beim Abendessen nagten die ersten Zweifel über die richtige Hausauswahl. Letztlich siegte nach der ersten Flasche kühlem Rosé der Optimismus, mit dem wir ausgezogen sind. „Das schaffen wir!“
Eine Woche nach unserer Abreise aus Deutschland bekamen wir endlich unser Luftfrachtgepäck aus dem Zoll und einen Minibus von der Firma unter den Hintern. Hochbeladen ging es auf die erste Autofahrt in Südafrika, auf die lange Strecke in den Busch. Linksverkehr, Rechtssteuerung! Ich kam mir vor wie ein Pilot auf seinem ersten Alleinflug.
Unser Leben im Busch begann im gut eingerichteten Gästehaus. Dorothea war sehr zufrieden und freundete sich bald mit der schwarzen Mami und Maid Rahaba an, einer schwergewichtigen älteren Frau, die auch im Film „Vom Winde verweht“ hätte mitspielen können. Sie kamen überein, dass Rahaba an zwei Tagen in der Woche bei uns im künftigen Haushalt arbeiten wollte.
Als wir die Schlüssel für das ausgewählte Haus abholen wollten, mußten wir feststellen, dass das Haus nicht zu den Schlüsseln passte oder umgekehrt. Aufregung zum Quadrat! Das uns nun zugedachte Haus hatte keinen einzigen Baum!
Doch wir siegten. Nach der uns schon in Nigeria erprobten Methode, Namen des alten Mieters ausstreichen, unseren Namen eintragen, kleines Geschenk überreichen, die Schlüssel gleich mitnehmen, erhielten wir das vorab schon ausgewählte Grundstück.
Jetzt mussten nur noch die Möbel ankommen. Nach mit viel Geduld und Frust geführten Telefonaten staubte plötzlich unangemeldet das grüne Containerungetüm an meinem Bürofenster vorbei.
Nachdem ich noch schnell die Einspritzleitung des Motors flicken lassen konnte, fuhr ich mit drei Schwarzen und den Truck im Schlepptau zu unserem Haus.
Entladen war das Ding in zwei Stunden. Die großen Teile wurden gleich ausgepackt und die Verpackung gleich in den leeren Container geworfen. Rückwärts und mit guter Fahrkunst war der schwarze Truckfahrer in die Toreinfahrt bis vor das Haus gefahren. Bei der Abfahrt vorwärts fährt dieses …..loch den Pfosten des Gartentors zusammen. „ Sorry! Sorry Sir!“
Auf den ersten Blick hatten die Möbel den Transport gut überstanden. Diesen 7. Mai werden wir so schnell nicht vergessen.
Das Einrichten des Hauses und das Aufstellen der Möbel wurden begleitet von Flüchen und Beschimpfungen. Dorothea hatte da eine Vielzahl von Scheidungsgründen. Schließlich war die letzte Schraube in die Wand gedreht, wir waren fertig. Dorothea legte sich ein Stündchen aufs Ohr, ich entspannte mich bei Musik. Bis zum Einbruch der Dunkelheit schafften wir noch eine Stunde Tennis, dann eine Dusche, dann einen Drink, dann das Abendessen, danach … öffnete Jo seiner Dorothea die erste Flasche Stephinsky.
Damit nicht der Eindruck entsteht, es gäbe hier für mich nichts zu arbeiten. Meine Arbeitstage sind zehnstündig, an zwei Samstagen im Monat wird bis mittags gearbeitet. Das Haus haben wir nach Dienstschluss oft bis Mitternacht eingerichtet. Über die Deutsche Welle verfolge ich die Auseinandersetzungen um die 35 – Stundenwoche. Wahnsinn!!!!
Ganz oben auf dem Arbeitsprogramm steht jetzt das Anlegen des Gartens, oder besser gesagt, das Urbarmachen des Buschfeldes. Ca. 1150 qm Gartenfläche erfordern den Pionier. Die ersten Pflanzen wie Oleander, Hibiskus, Zitronen- und Orangenbäumchen und einige Büsche sind in der Erde, großer Grill und Grillplatz in der Planung.
Unser Beschäftigungsprogramm ließ noch keine Langeweile aufkommen. Zeit für Kontakte außerhalb des Büros hatten wir noch nicht. Einmal in der Woche, sonntags, spielen wir Tennis, in der Regel nachmittags. Es wird im Mai schon sehr früh dunkel.
Unsere Küchen – und Kellerkünste haben wir mit einem Abendessen zur Einweihung unseres Hauses angedeutet. Mit großem Erfolg bewirteten wir Kollegen und den General Manager unserer Firma.
Wie bei einem guten Essen schließe ich mit einem Edelschluck. Gemeint ist das Wetter. Seit wir hier angekommen sind, fast ausschließlich blauer Himmel, Tagestemperaturen zwischen 27 und 32°C, zur Nacht kühlt es dann doch schon bis 7°C ab, und man kann einen unglaublich intensiven Sternenhimmel genießen.
Merkt Euch! Nach unserer kurzen Erfahrung sind die Monate März bis Mai hervorragende Reisemonate. Ihr solltet Euch das Vormerken.
Es gibt viele Gründe, Euch zu sagen, dass wir uns hier sehr wohl fühlen – bislang!
Herzlichst
Dorothea und Jo
Die kurzen Wintertage vergehen wie im Flug. Erst auf der 13 km langen Fahrt ins Büro auf der Baustelle wird es gegen sieben Uhr hell. Sehr schnell steigt die Sonne über der Buschlandschaft auf und beginnt, die Nachtkälte zu vertreiben. Mit Tiefsttemperaturen bis 3 °C bei sternenklarem Himmel fühlt man schon einen Hauch von Winter. Ohne Heizung in seinem Passat fährt Jo nicht, auch abends nicht, wenn er gegen fünf Uhr das Büro verlässt und in die untergehende Sonne nach Hause fährt. Jeden Abend sieht er die riesige Scheibe der Sonne am Horizont abtauchen, und er bewundert das Farbenspiel, wie es nur der Himmel über dem südlichen Afrika hervorbringt.
Seit der Ankunft im April hatte es am Tropic of Capricorn noch keinen Tropfen geregnet. Die Luft war trocken und staubbeladen, das Buschfeld braun gefärbt und dürr, es ging kein Wind. Über den dirt roads, den ungeteerten Nebenstraßen, hielt sich eine Staubschicht, durch die man den Verlauf des Weges über viele Kilometer am Himmel verfolgen konnte.
Das Leben von Dorothea und Jo war nicht mehr so abwechslungsreich wie noch in Deutschland. Zwar hatte sich Dorothea mit dem Fertighaus abgefunden, das als Teil einer Wohnsiedlung nur für die weißen Südafrikaner und Ausländer gebaut wurde, aber sie vermissten Freunde und Verwandte schon sehr. Die Kneipe um die Ecke gab es hier im Busch nicht, und die Bürgersteige klappten bei Einbruch der Dunkelheit automatisch hoch.
Der eingesäte Rasen wollte nicht auflaufen, obwohl Dorothea gut wässerte. Die Pauls hätten doch auf den Rat einheimischer Kollegen hören sollen, und Kikuyu – Gras erst im August pflanzen lassen sollen. Sie hatten gehofft, dass der Cape – Rasen doch schneller grün wird. Insekten und Ungeziefer hielten auch in diesem Winter ihre Wachstumspause ein, und auch die wegen der buschnähe befürchteten Schlangen – und Skorpion-Migrationen fanden noch nicht statt.
Die Sportaktivitäten blieben zunächst auf Tennis an Sonntagen beschränkt. Dann waren die beiden Hartplätze vor allem während der Kirchgangzeit nur von Ausländern frequentiert. Zum Joggen fehlten Jo noch ein Partner und der Mut. Die Vielzahl der Hunde in südafrikanischen Haushalten macht vielleicht das Grundstück sicherer, den Jogger auf der Straße aber eher nicht. Der Tennisarm, den sich Jo beim Ausbau der Kellerbar Ende vergangenen Jahres in ihrem Haus in Deutschland zugezogen hatte, wollte trotz geringer Tennisaktivitäten nicht ausheilen.
Den Beginn seiner Golfkarriere hatte der Tennisarm allerdings nicht verzögert. Dorothea und Jo waren als leidenschaftliche Tennisspieler nach Südafrika gekommen, und die wollten sie auch bleiben. In den Tennisklubs Deutschlands begann die Elite, nach neuen sportlichen Herausforderungen und nach frischen gesellschaftlichen Spielwiesen zu suchen, nachdem der Tennisboom den Klubs zu viele gewöhnliche Mitglieder bescherte. Jetzt wurde das Golfspiel große Mode. Und so entwickelte sich bei beiden eine typisch deutsche Distanz zum Golfsport wegen der Exklusivität seiner Klubs. Außerdem fühlte sich Jo bei weitem noch nicht alt genug. „ Golf is a sport for old people, and I do not qualify yet!”
Der Mogol – Sportklub in Ellisras wurde von der neuen Kohlemine gegründet und eingerichtet. Der Mogol ist ein Fluss, der durch Ellisras fließt, wenn er Wasser führt. Etwa vierzig Kilometer flussaufwärts war ein Staudamm gebaut worden, um die Mine, das Kraftwerk und die Bürger gesichert mit Wasser zu versorgen.
Der Sportklub bot den Mitarbeitern der Mine und des Kraftwerks zu subventionierten Preisen und den Einwohnern zu erschwinglichen Beiträgen unterschiedliche Sportarten an. Rugby, Cricket, Tennis, Squash, Judo und Karate, ein Klubschwimmbad, einen 9 – Loch Golfplatz, der gerade auf 18 Löcher erweitert wurde. Die Mitglieder waren weiß, alle!
Jo`s Firma hatte einen respektablen Geldbetrag für die Ausrichtung eines Golftourniers gesponsert. An diesem Tournier nahmen viele Golfer vom Kunden und von Lieferanten auch aus Johannesburg teil, aber auch Klubmitglieder, die keinen Bezug zum Geschäft hatten, konnten mitspielen. Es war üblich in Südafrika, solche Geschäfte - fördernden Sportveranstaltungen zu sponsern.
Die Siegerehrung fand im Klubhaus statt, das im typisch südafrikanischen Buschfeldstil aus Natursteinen gebaut war. Eine rustikale, offene Dachkonstruktion aus geschälten Baumstämmen trug eine Grasabdeckung, die noch keine Patina gebildet hatte. Die Innenraumausstattung aus Holz war funktionell, eher etwas sehr grob. Auf einer großen Holztafel an der Hinterwand standen die Namen der bisherigen Präsidenten, der Klubkapitäne, der Vereinsmeister. Es waren noch sehr wenige Namen.
„Was könnte man aus diesem Klub alles machen“, dachte Jo. Ihm gefiel die rustikale Bauweise. Sie erinnerte ihn an die Strohdächer alter Bauernhäuser daheim.
Auf dem Weg zu seinem Wagen bemerkte Jo, dass einige wenige einheimische Klubmitglieder ungeniert gesponsertes Grillfleisch mit Weinflaschen und Bierdosen in den Kofferräumen ihrer Autos verschwinden ließen. Er war angewidert. Ist Golf nicht ein Gentleman – Sport? Von Golf als Sport würde er sich eines Tages herausfordern lassen, das war er seinem Sportsgeist schuldig. „ Aber Mitglied in diesem Klub mit diesen Mitgliedern werde ich niemals“, schrieb Jo an seine Freunde.
Wenige Tage später erfuhr Jo in einem Gespräch mit einem Golfer im Kraftwerk, dass dieses Benehmen bei einigen Einheimischen nicht unüblich ist.
In der ersten Augustwoche wurde die Ausstattung des Hauses abgeschlossen. Der nachträgliche Einbau von zwei Airconditioner Einheiten in zwei Schlafzimmer verursachte noch einmal gehörigen Dreck, aber dann war der Frühling da. Er dauerte drei Tage, dann begann die Sommerhitze. Jedenfalls für die noch unbekümmerten Europäer.
Dorothea hatte Poster mit Fotographien ihrer Heimatstadt geschenkt bekommen. Die ließ sie auf Spanplatten ziehen und hängte sie im Flur und in einigen Zimmern auf. Mit dem Blick auf den Dom gingen nun beide zu Bett.
Jetzt wurde es Zeit für ein Frühlingsfest.
Der neue, gemauerte Grill sollte eingeweiht werden. Jesahia, einer der beiden schwarzen Angestellten auf der Baustelle, hatte sich angeboten, den Grill zu mauern. Er habe schon als bricklayer bei einem kleinen lokalen Unternehmer gearbeitet, und warum sollte er sich nicht ein paar Rand extra verdienen. Er versorgte gegenwärtig die Büros mit frischem Filterkaffee aus der Küche, aber er wollte sich zum Safety Officer ausbilden lassen. Der Ehrgeiz, den Jesahia zeigte, hatte Jo imponiert.
Der Grillrost in den Maßen 95 x 45 cm war groß genug für die handelsüblichen Steaks. Selbst für die Riesenrumpsteaks von deutlich über einem Kilogramm, oder die mächtigen T – Bone Steaks, die Jo in der Metzgerei immer extra dick schneiden ließ. Außerdem hatte Dorothea noch Lammchops und ausreichend Boorewors eingekauft. Boorewors ist eine grobe frische Bratwurst, die auf keinem südafrikanischen Braai oder Grillfest fehlen darf, und übersetzt Bauernwurst heißt.
Mit diesem Angebot und einem gefüllten Kühlschrank mit kaltem Bier und Wein wurden die direkten Nachbarn empfangen. Pine Pinaar arbeitete bei dem Stahlbauunternehmen als Stahlbauingenieur, Anton war Boilermaker und war schon mehr als15 Jahre bei seiner Firma. Beide kamen mit der ganzen Familie, und sie waren stolz, bei einem Deutschen zu Gast zu sein.
Es wurde ein langer und auch feuchter Spätnachmittag.
Zur gleichen Zeit hatten im Garten die meisten Pflanzen ihren Platz gefunden. Dorothea war mit dem Fortschritt sehr zufrieden. Sie liebte ihren Garten, und dieser hier, dem wilden Buschfeld abgerungen, sollte mindestens so schön und gepflegt werden wie der in Deutschland. Die Gartenarbeit war ihr nie zu schwer und anstrengend, und sie wollte auch noch keine Hilfe von einem Gartenboy, solange der Rasen noch nicht zu einer geschlossenen Fläche gewachsen war. Im Winter wächst das Gras auch in Südafrika nur sehr langsam.
Schon bald nach dem Einzug in das neue Haus begann für Jo die zusätzliche Belastung durch häufige Dienstreisen nach Johannesburg. Großprojekte sind immer begleitet von zahlreichen Besprechungen und Meetings, und Südafrikaner lieben sie besonders. Um morgens pünktlich um 9 Uhr in Johannesburg sein zu können, ging es schon vor Sonnenaufgang auf die Piste. Wenn am Nachmittag noch Zeit blieb, wurde die zum Einkaufen von Lebensmitteln genutzt, die es im ländlichen Ellisras nicht zu kaufen gab. Im nagelneuen Einkaufszentrum Sandton City nicht weit vom Hauptbüro entfernt gab es für den verwöhnten Europäer alles zu kaufen.
Oftmals ließ es sich nicht vermeiden, die letzten Kilometer bei Dunkelheit nach Hause zu fahren. Dann war höchste Aufmerksamkeit auf der Straße erforderlich, weil Zäune für das zahlreiche Wild in dem Buschfeld nicht immer unüberwindbar waren. Ein Kudu springt aus dem Stand leicht über ein zwei Meter Hindernis.
Eine Übernachtung in Johannesburg kam für Jo für diese Dienstreisen noch nicht infrage, denn alleine fühlte sich Dorothea noch zu unsicher in der neuen Umgebung.
Während des einwöchigen Aufenthalts in Johannesburg gleich nach der Ankunft aus Deutschland im April bemühten sich Mitarbeiter aus dem Headoffice, Dorothea und Jo mit der Stadt vertraut zu machen. Nicht ohne Stolz zeigte ihnen Charles Popham, dass Europäer ihr Brot und frische Brötchen in der Astoria – Bäckerei einkaufen, dass der größte Bottlestore auf dem afrikanischen Kontinent Bennie Goldberg ist, dass deutsche Wurstwaren und Schweinefleisch gut und günstig bei Seamans in Randburg zu kaufen sind. Die Schweizer Stuben waren seine Empfehlung, wenn schweizer Gemütlichkeit beim Dinner gefragt war. Und er führte die Pauls durch sein kleines Haus in Wendywood, in dem seine Frau Roselle deutlich Regie führte.
Charles war für die Planung der Montageabläufe zuständig und hatte bereits das Pensionsalter erreicht. Er war ehrlich richtig glücklich, diese Aufgabe bei einer internationalen Firma gefunden zu haben. Er bekannte, dass seine Altersversorgung zum Leben nicht ausreiche.
„Spaziergänge auf der Straße machen Südafrikaner nur, um mit ihrem Hund um die Ecke zu gehen. Alle anderen Wege und Besorgungen werden mit dem Auto erledigt.“ Und Charles warnte: „Geht nicht alleine weite Strecken zu Fuß. Meidet die Stadtmitte, fahrt zum Carlton Center nur mit dem Auto. Die Umgebung dort hat schon zu viele Schwarze.“
Jo und Dorothea fühlten ihre ersten Beobachtungen bestätigt. Einer ihrer ersten Spaziergänge in Johannesburg führte durch Hillbrow, die Twist Street entlang, am Joubert Park vorbei bis zur Jeppe. Beide empfanden diesen Samstagnachmittag – Spaziergang als äußerst ungemütlich, sie kehrten bald verunsichert zum Hotel zurück, ohne einen wirklichen Grund für ihre Verunsicherung gefunden zu haben. Dass viele Passanten schwarzer Hautfarbe waren, war für ein afrikanisches Land ja nun nicht ungewöhnlich.
Obwohl das Carlton Center und das luxuriöse Carlton Hotel immer noch den besten Ruf genossen, zog es die weiße Bevölkerung Johannesburgs und auch einige europäische Firmenniederlassungen gen Norden, nach Sandton und Umgebung.
Die Aussicht vom 22. Stockwerk des Carlton mit dem Blick auf die Dächer der Stadt und die City Hall empfand Jo lange Zeit als spektakulär. Wann immer möglich, führte er Freunde hierher und zeigte ihnen einen Teil der Stadt aus der Vogelperspektive, jedenfalls so lange die Gegend als einigermaßen sicher empfunden wurde.
Der Stolz der weißen Johannesburger war das Einkaufszentrum Sandton City. In der Tat. Etwas Vergleichbares hatten die Pauls in Deutschland und auf ihren vielen Reisen noch niemals gesehen. Und das erfüllte natürlich auch die südafrikanischen Kollegen mit Stolz. Die gläsernen Fahrstühle im Atrium und in der Lobby des Luxushotels Sandton Sun, der Marmor – und Granitprunk glänzten mit poliertem Messing um die Wette. Das alles musste wohl gerade frisch aus den USA, vielleicht Las Vegas importiert worden sein. Hier konnte man in der wohl schönsten Bar Südafrikas, „Bulls and Bears,“ ab 17 Uhr viele Geschäftsleute und Manager beim Dämmerschoppen treffen. Leider wurde diese Bar nach der politischen Wende hinwegrenoviert. Jetzt lädt eine typisch afrikagestylte Bar ohne Atmosphäre nur noch Touristen zum Dämmerschoppen ein.
Charles hatte beklagt, dass Sandton City zu teuer für den normalen Südafrikaner sei. Einzig seine Postbox leistete er sich dort. Entsprechend war der Betrieb dort in den ersten Jahren. Als Deutscher musste man vorsichtig sein mit einigen Kommentaren, ein Landsmann könnte zuhören. Importe aus Europa gab es hier, und vor allem Brot und Brötchen aus der Astoriabäckerei, deren Wurzel die Bäckerei Burre in Detmold war. Jo traute seinen Augen nicht, als er ein Kölschglas der Gildenbrauerei im Gläserangebot eines Warenhauses entdeckte.
Für ein Jahrzehnt wurde die Kaffee – Bar des „House of Coffee“ am Eingang zum Supermarkt der Treffpunkt für Dorothea und Jo, wenn sie mitfuhr, um wie in einer anderen Welt einzukaufen, während Jo seine Zeit in Meetings absaß. Dorothea verbrachte geduldig Stunden mit ihren Einkaufsbeuteln an dieser Bar, wenn Jo die verabredete Zeit nicht einhalten konnte. Ein einziger, wenn auch stressiger Einkaufs – und Bummeltag in Johannesburg war eine willkommene Abwechslung.