Twelve Months of Romance - Kathinka Engel - E-Book

Twelve Months of Romance E-Book

Kathinka Engel

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Beschreibung

Ein ganzes Jahr mit KYSS, ein ganzes Jahr voller Romantik Im Frühling schmecken Küsse nach dem ersten Sonnenschein, im Sommer nach Vanille-Eis und langen Tagen am Strand. Im Herbst werden nach Pumpkin Spice duftende Kerzen angezündet, und im Winter prasselt das Kaminfeuer leise vor sich hin, bei einem heißen Kakao vorm Tannenbaum. Das Jahr ist voller Veränderungen, aber eines darf in keinem Monat fehlen – die richtige Lektüre. Zwölf deutschsprachige Autor:innen haben für jeden Monat des Jahres eine großartige Geschichte geschrieben. Sie sind voll fesselnder Romantik, herzzerreißender Momente und natürlich bis zum Rand gefüllt mit den Tropes, die wir alle lieben. Zum Selbstlesen oder Verschenken: Diese Anthologie lässt die Herzen höherschlagen, das ganze Jahr über.

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Seitenzahl: 375

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Kathinka Engel • Dominik Gaida • Basma Hallak • Franzi Kopka • Ivy Leagh • Kira Mohn • Kristina Moninger • Marie Niehoff • Anya Omah • Gabriella Santos de Lima • Antonia Wesseling • Alicia Zett

Twelve Months of Romance

12 Monate. 12 Autor:innen. 12 Geschichten.

 

 

 

Über dieses Buch

Liebesgeschichten, so abwechslungsreich wie die zwölf Monate des Jahres

 

Im Frühling schmecken Küsse nach dem ersten Sonnenschein, im Sommer nach Vanilleeis und langen Tagen am Strand. Im Herbst werden nach Pumpkin Spice duftende Kerzen angezündet, und im Winter prasselt das Kaminfeuer leise vor sich hin bei einem heißen Kakao vorm Tannenbaum. Das Jahr ist voller Veränderungen, aber eines darf in keinem Monat fehlen – die richtige Lektüre.

Zwölf Monate. Zwölf Geschichten voll fesselnder Romantik und herzzerreißender Momente. Zum Lachen, Weinen, Seufzen, Anschreien, Versöhnen … Zwölf Geschichten zum Verlieben.

 

Januar: Gabriella Santos de Lima

Isla hat Flugangst und will möglichst schnell die Reise nach New York überstehen, um Silvester bei ihrer Schwester zu verbringen. Die Rechnung hat sie ohne ihren Sitznachbarn Cameron-angepisst-Cooper gemacht.

 

Februar: Antonia Wesseling

Ein Blind Date und ein Tippfehler sorgen bei Liz und ihrer Oma am Valentinstag für ganz schön viel Liebeschaos. Und wohin mit den sechzehn Kilogramm an Schokoladen-Cupcakes?

 

März: Alicia Zett

Immer ist Robyn die Nummer fünf, aber endlich bringt die Zahl ihr Glück: Sie hat ein Meet-and-Greet mit ihrer Lieblingsautorin gewonnen. Doch auf der Buchmesse läuft nichts wie geplant …

 

April: Basma Hallak

Es ist ohnehin kein leichter Tag für Yara, als sie für das Restaurant ihres Vaters eine Bestellung in ihrem Büro abliefert. Und dann schließt sie sich mit einem irritierend blauäugigen Kollegen auch noch auf der Dachterrasse aus.

 

Mai: Kristina Moninger

Nele kellnert auf einer Traumhochzeit und bekommt einen überraschenden Kollegen an die Seite gestellt: ihren One-Night-Stand vom letzten Sommer, der so viel mehr war als das und sich einfach nicht mehr gemeldet hat.

 

Juni: Marie Niehoff

Zum Mittsommerfest kehrt Aurora aus Stockholm in ihre Heimat zurück. Dort wird sie mit allem konfrontiert, was sie zurückgelassen hat. Der Weite, den Wäldern und dem einen Menschen, der sie «Rora» nennt.

 

Juli: Dominik Gaida

Valerio arbeitet im Eiscafé seiner Tante in Positano an der Amalfiküste, wo er sich zu Hause, aber auch einsam fühlt. Als ein neuer Gast im Café auftaucht, will ihm der Mann mit den traurigen Augen nicht mehr aus dem Kopf gehen.

 

August: Kathinka Engel

An heißen Sommertagen erinnert sich ein Paar daran, wie aus einer zufälligen Begegnung die große Liebe wurde. Aber irgendwas scheint ganz und gar falsch zu laufen …

 

September: Franzi Kopka

Sadie und ihr bester Freund Jas sollen zwischen Pumpkin Spice Lattes und aussichtslosen Kürbis-Schnitzereien ihren Traumpartner finden, doch die Datingbörse von Edderton, Schottland, liefert überraschende Ergebnisse.

 

Oktober: Kira Mohn

Sammy hat sich doch nicht tatsächlich in ihre Catwoman-Latexhose gezwängt, um auf der Halloween-Party des Grauens mit einem Typen in Bierflasche-Kostüm verkuppelt zu werden? Zum Glück können erste Eindrücke täuschen …

 

November: Ivy Leagh

Heather organisiert ein Friendsgiving-Dinner im Haus ihrer Eltern, aber ein dunkles Geheimnis lastet auf ihr. Und der Brief ihrer Schwester, der oben in einer Schublade auf sie wartet, könnte alles zwischen ihr und ihrem Freund Judd verändern.

 

Dezember: Anya Omah

Seit Monaten fiebert Zola ihrem Quasi-Blind-Date (lange Geschichte!) entgegen, und dann bleibt sie doch tatsächlich in einem Fahrstuhl stecken – nur sie, der Scherbenhaufen ihrer Erwartungen und Santa Claus …

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion Kaja Sturmfels & Hannah Jarosch

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-02157-0

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Gabriella Santos de Lima, geboren 1997 in São Paulo, studierte Kreatives Schreiben in Hildesheim. Sie war jahrelang Flugbegleiterin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Mit ihren Romanen für junge Erwachsene stand sie auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Januar

Gabriella Santos de Lima

New Year’s Eve (Airplane Version)

1

Nicht sterben.

Du wirst nicht sterben.

Meine innerliche Stimme sprach mir gut zu, während ich mich ein weiteres Mal vergewisserte, dass ich den Sicherheitsgurt festgezogen hatte. Hatte ich.

Trotzdem war nichts gut. Rein. Gar. Nichts.

Um nicht einer kompletten Angstattacke zu verfallen, holte ich langsam, tief und gleichmäßig Luft. Dann konzentrierte ich mich auf diesen alles entscheidenden Fakt, so wie ich es vor jeder Reise tat: Die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes lag bei 0,000005 Prozent.

Ich war nie besonders gut in Mathe gewesen, doch das waren ganz schön viele Nullen hinter dem Komma. Dass ich sterben würde, war – rein logisch betrachtet – wirklich unwahrscheinlich. Es gab keinen Grund zur Sorge. Ganz im Gegenteil sogar. Eigentlich hätte ich mir eine Scheibe von meiner Schwester Alex abschneiden sollen, die auf diesen Tag seit Wochen hingefiebert hatte. Das hier war nämlich nicht nur irgendeine Reise, bei der ich meine ältere Schwester in ihrem erwachsenen New Yorker Leben besuchte. Das hier war mein Neuanfang, am allerletzten Tag des Jahres.

Wenn ich tatsächlich nicht sterben würde, würde ich sogar um Punkt Mitternacht am Times Square mit Alex und ihren Bekannten anstoßen. Vielleicht auch auf meinen sechsmonatigen Praktikumsplatz als Assistentin der erfolgreichen Galeristin Erin Sheridan. Ich, Isla Harrington, ein völlig durchschnittliches einundzwanzigjähriges Mädchen aus San Diego, hatte das geschafft. Verrückt, nicht wahr?

Trotz unendlich großer Panik saß ich genau deshalb mit etlichen anderen Passagieren in einer Metallröhre, die in wenigen Minuten in Richtung John F. Kennedy Airport abheben würde. Und dann einfach so in über zehn Kilometer Höhe über den Boden schweben würde. Bei dem Gedanken begannen meine Hände wieder so stark zu schwitzen, dass ich sie mir an der Jeans abwischen musste. Ich meine, ein Flugzeug wog über zweihundertvierzig Tonnen. Wie zum Teufel sollten die einfach so in der Luft schweben können? Ohne abzustürzen, durch die Wolken zu krachen und dann auf den Boden zu knallen?

Nicht sterben.

Du wirst nicht …

Als es in den Lautsprechern knackte, verstummte meine innere Stimme. Krampfhaft blinzelnd starrte ich nach vorne, wobei ich mit meinen schweißnassen Fingern den Sitzgurt weiterhin umklammerte.

«Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich bei uns an Bord. Mein Name ist Daniel Cullingham, und ich bin der Erste Offizier Ihres heutigen Fluges von San Diego nach New York. Unsere Flugzeit beträgt knapp sechs Stunden. Geplante Landung …»

«Sorry.»

«… auf die restliche Beladung Ihres Gepäcks, bevor …»

«Ich glaube, du sitzt auf meinem Platz.»

«… wir wünschen Ihnen eine angenehme Zeit an Bord!»

«Entschuldigung?»

Ich war so vertieft in die Durchsage gewesen, dass ich erschrak, als ich plötzlich etwas an der Schulter spürte. Augenblicklich hob ich den Kopf.

Dann starrte ich diesen hochgewachsenen Typen an, der ziemlich genervt auf mich herabsah.

«Sorry», sagte er, allerdings klang es nicht nach einer Entschuldigung, sondern eher nach einem Ich-habe-dich-dreimal-angesprochen-wie-konntest-du-das-nicht-mitbekommen. «Ich wollte dich nicht antippen, aber irgendwie hast du mich nicht gehört.»

«Ja, ähm.» Gott, ich hasste, wie piepsig meine Stimme klang. «Tut mir leid.»

«Okay», murmelte er. «Du sitzt trotzdem auf meinem Platz.»

«W…was?»

Statt mir zu antworten, kramte er bloß sein Handy aus der Hosentasche und hielt es mir unter die Nase.

«Dreiunddreißig B ist mein Platz», erklärte er, während ich sein Ticket überflog.

San Diego – New York, Boarding Time 2:25 pm, Cameron Cooper, 33 B

«Oh», flüsterte ich, wobei das Herz mir bis zum Hals schlug und ich beobachten konnte, wie Mr Cameron-angepisst-Cooper die Brauen zusammenzog.

«W…würde … Würde es dir etwas ausmachen, am Fenster zu sitzen, damit ich den Platz hier behalten kann?»

Ich hätte schwören können, ich hätte 33 B reserviert. Am Gang zu sitzen und im Notfall so schnell wie möglich einen der Ausgänge erreichen zu können, gab mir einen Hauch von Sicherheit. Doch die verwirrte Furche zwischen Cameron Coopers Brauen wurde tiefer, bevor er den Mund öffnete und ich mit einem Nein rechnete. Immerhin war er bestimmt eins neunzig, mit sehr langen Gliedern, die er auf dem Gangplatz zumindest nach dem Service ausstrecken könnte.

Wider Erwarten brach er allerdings im letzten Moment ab, um mich eine Spur zu intensiv zu mustern. Ich spürte, wie sein Blick an meinen verschwitzten Händen hängen blieb. An meinem panischen Gesicht. Und an meinen rot geränderten Augen. Ich konnte nicht anders, als auch ihn kurz zu betrachten. Seine Augen waren dunkelgrün und undurchdringlich, wobei sie in einem starken Kontrast zu seinen tiefbraunen Haaren standen. Er trug eine schlichte Jeans und ein weißes Shirt. Es war überoffensichtlich, dass er für seine definierte Statur ins Fitnessstudio ging. An seinem Bizeps erkannte ich sogar verblasste Dehnungsstreifen, als hätte er sich seine Muskeln zu schnell antrainiert. Alles in allem sah der Typ ziemlich gut aus, aber …

Wieso schaut er mich immer noch an?

Die Frage hämmerte in meinem Kopf, während mein Herz mir gegen die Rippen schlug. Ich wünschte, ich hätte behaupten können, mein rasender Puls wäre meiner Panik zuzuschreiben. Allerdings wäre das eine Lüge gewesen.

Cameron-angepisst-Cooper. Er war schuld.

Es lag nicht unbedingt daran, dass es zwischen uns funkte oder Ähnliches. Ich war einfach leicht einzuschüchtern, insbesondere dann, wenn der Blick eines gut aussehenden Mannes mich streifte, Typ Alle-Mädchen-in-der-Highschool-wissen-wie-er-heißt. Sein Blick brachte mich nicht dazu, in seinen Augen zu versinken und meinen Namen zu vergessen. Er machte mir bloß bewusst, dass ich ziemlich müde, panisch und garantiert nicht gut aussah. Zumindest nicht gut genug. So wie immer.

«Okay», sagte er plötzlich leise. «Kein Problem.»

2

Aber irgendwie war alles ein Problem.

Zuerst musste ich aufstehen, was mir wenig elegant gelang. Cameron-angepisst-Cooper quittierte meine Ungeschicklichkeit mit einem Augenrollen, von dem ich so tat, als hätte ich es nicht bemerkt.

Lässig schmiss er seinen Rucksack dann in die Gepäckablage, bevor er sich auf den Fensterplatz neben mir quetschte.

Keine Minute später blinzelte ich starr nach vorne und achtete darauf, ihn nicht anzusehen. Da niemand mehr im Gang stand oder einen Platz zum Verstauen für sein Handgepäck suchte, mussten wohl alle Passagiere an Bord sein. Trotzdem tat sich nichts. Es erklang keine weitere Durchsage, und unwillkürlich fiel mir auf, dass der Film zur Aufklärung der Sicherheitsregeln noch nicht abgespielt worden war. Als ich mich mit dem Oberkörper ein paar Zentimeter in Richtung Gang lehnte, erkannte ich, dass die zwei Flugbegleiterinnen entspannt an dampfenden Pappbechern mit dem Airline-Logo nippten.

Meine Hände waren immer noch feucht, doch ich widerstand dem Drang, sie mir an der Jeans trocken zu reiben. Stattdessen war ich versucht, mein iPad mit dem Stift hervorzukramen. Ich musste mich ablenken. Aber wenn ich jetzt zu zeichnen begann, würden die Menschen ringsum vielleicht mitbekommen, was genau ich in meiner Freizeit malte und anschließend auf Etsy in Stickerform verkaufte. Eigentlich hasste ich die leicht belustigten Blicke, die meistens daraufhin folgten. Als wäre ich nur eins: lächerlich. Andererseits ging es mir gerade wirklich nicht gut und …

«Meine Damen und Herren, hier spricht erneut Ihr Erster Offizier. Leider wird sich unsere geplante Abflugzeit aufgrund einer technischen Störung verzögern. Sobald wir nähere Informationen erhalten, melden wir uns wieder.»

Noch bevor die Pilotenstimme in den Lautsprechern verstummte, erklangen leise Flüche und lautes Aufseufzen.

Scheiß drauf, dachte ich, als ich mich nach unten beugte und nach dem iPad in meiner Tasche griff. Sollten die anderen mich doch verurteilen. Falls sie mich überhaupt bemerkten. Meine Panik war nicht auszuhalten. Und sie würde noch weniger auszuhalten sein, wenn ich anfing, genauer über das nachzudenken, was der Co-Pilot verkündet hatte.

Technische Störung.

Ich meine TECHNISCHE STÖRUNG. Hieß das nicht, das Flugzeug war kaputt? Musste es repariert werden? Was, wenn der zuständige Ingenieur einen Fehler beging, weil er so unter Zeitdruck stand? Was, wenn dieser Fehler fatal war und wir doch abstürzen würden? Was, wenn wir diese 0,000005 Prozent waren?

Meine Atmung beschleunigte sich, ohne dass ich genug Luft bekam.

Nicht sterben.

Du. Wirst. Nicht. Sterben.

Hastig entsperrte ich mein iPad, bevor ich die ProCreate-App öffnete. Innerhalb weniger Sekunden schien mir mein zuletzt angefangenes Projekt auf niedrigster Helligkeitsstufe entgegen. Eine hellblaue Streichholzschachtel, auf die ich folgenden Spruch gelettert hatte: Matches to burn down the patriarchy. Ich war mir sicher, dass dieses Motiv gut in meinem Etsy-Shop laufen würde. Es fehlten nur noch die Feinheiten, wie zum Beispiel die Schattierungen der Streichhölzer. Leicht zitternd setzte ich mich auf und machte mich an die Arbeit, doch leider war das nicht so einfach. Immerhin war es ziemlich kompliziert, meinen Illustrationen filigrane Details hinzuzufügen, wenn ich mich krampfhaft an den Apple-Pencil klammerte, als wäre er mein Anker.

Ich setzte gerade den ersten Schatten, als ich dieses Räuspern neben mir vernahm und aufsah. Lässig lehnte Cameron-angepisst-Cooper sich seitlich gegen das Fenster, wobei sein Blick wie hypnotisiert auf meinem iPad lag. Auf meiner Illustration. Auf meiner Kunst, die mir alles bedeutete, selbst wenn ich im entfernteren Familienkreis dafür belächelt wurde.

«Isla? Verkauft die nicht irgendwelche bunten und feministischen Sticker auf Etsy? Ich glaube, sie hat einen Sticker, der so etwas wie waiting for the fall of the patriarchy besagt. Ich würde sagen, dass sie darauf lange warten kann, haha …»

Ich wusste, dass mein Sitznachbar nichts davon sagte. Dass die Worte bloß das Echo meines Onkels bei einem unserer Familien-Barbecues waren. Trotzdem spürte ich Coopers grimmige Ablehnung förmlich in der Luft. Eigentlich hätte ich sie runtergeschluckt und vergessen, bis ich mich alleine in meinem Zimmer befand und dann vielleicht (wieder einmal) eine Sinneskrise durchlebte. Am Ende hätte ich mir womöglich zum hundertsten Mal eingeredet, dass ich den begehrten Praktikumsplatz in der New Yorker Kunstbranche gar nicht verdiente. Dass es sich um einen Irrtum handeln musste. Dass Erin Sheridan die falsche Person ausgewählt hatte.

Aber heute konnte ich das nicht.

«W…wenn du dich schon über meine Illustration lustig machen willst, solltest du dir die Worte wenigstens schon vor deinem Räuspern zurechtlegen, meinst du nicht?»

Ich wünschte, ich wäre cool rübergekommen, mit selbstbewusster Haltung und fester Stimme. Leider klang Letztere immer noch piepsig und viel zu unsicher.

Glücklicherweise kommentierte der Fremde neben mir dies nicht. Stattdessen fuhr er sich mit der Hand erschöpft über das Gesicht. «Gott», murmelte er. «Das hier ist echt nicht mein Job.»

«Job?»

Eiskalt überging er meine Frage. Ich beobachtete, wie er sich stattdessen ein wenig aufrichtete und dann auf mein iPad hinunternickte.

«Eigentlich wollte ich dich fragen, wie du irgendetwas auf deinem Bild schattieren willst, wenn du deinen Stift so verdammt fest umklammerst, dass er gleich sowieso in tausend Einzelteile zerspringt. Aber okay.»

Hitze stieg mir in die Wangen. Ich hatte gedacht, er hätte meine Zeichnung zu intensiv beobachtet. Stattdessen waren es meine Finger gewesen. Meine Finger, die so wie alles in mir förmlich vor Panik randalierten.

Großartig.

«Du brauchst keine Angst zu haben», sagte mein Sitznachbar. «Das ist alles Routine.»

«Routine?», wiederholte ich schrill, wobei ich nicht einmal versuchte, meine Angst abzustreiten. «Es gibt eine technische Störung.»

«Und auch das ist eine Routine.»

Ich starrte ihn an. «Wir könnten sterben. Ich glaube nicht, dass dir da diese Routinen etwas bringen.»

Er schwieg einen Moment. «Bist du mit dem Auto zum Flughafen gekommen?», fragte er dann.

«Was?»

«Beantworte einfach die Frage.»

Wie arrogant und genervt er klang. Dabei war er derjenige, der diese Unterhaltung durch seinen seltsamen Blick begonnen hatte.

«Du hörst dich wie ein Macho an», flüsterte ich, weil ich nicht anders konnte. «Ich meine: Beantworte einfach die Frage?»

«Na ja», schoss er sofort zurück. «Wenn du mit dem Auto zum Airport gefahren bist, kann ich dir erklären, dass die Wahrscheinlichkeit deutlich höher war, dabei zu sterben.»

«Wie aufmunternd», sagte ich trocken.

Abwehrend hob er die Hände. «Ich habe dir gesagt, dass das hier definitiv nicht mein Job ist.»

«Und ich habe immer noch nicht verstanden, was du damit meinst, weil …»

«Darf ich Ihnen ein Wasser anbieten?»

Ich verstummte, als mir plötzlich die fröhlich lächelnde Flugbegleiterin eine Plastikflasche entgegenstreckte.

«Danke», brachte ich gerade so heraus, ehe ich das Getränk annahm.

Anschließend wandte sich die brünette Frau meinem Sitznachbarn zu. Sie begann mit derselben Floskel, doch brach mitten im Satz ab. «Cameron?» Ihr gesamtes Gesicht hellte sich auf. «Ich wusste gar nicht, dass du auf unserem Flug bist. Warst du über die Feiertage bei deiner Familie?»

Ich verstand nicht, wieso mein Sitznachbar und Maggie – wie ich dem Namensschild der Flugbegleiterin entnehmen konnte – für die nächsten drei Minuten Small Talk führten. Sie stellte ihm Fragen, er antwortete mit «Ja» und «Gut» und «Stressig, aber schön», woraufhin sie von ihren Feiertagen erzählte, die sie offenbar zum ersten Mal mit der Familie ihres Freundes verbracht hatte.

«Wohin ging noch mal unser letzter gemeinsamer Flug?», fragte sie dann. «Punta Cana?»

«Kann sein», murmelte Cameron-angepisst-Cooper, bevor Maggie ihm schließlich das Wasser reichte.

«Sag einfach Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst», flötete sie freundlich, ehe sie sich den Reihen hinter uns widmete.

Ich presste meine Finger gegen die Rillen am Flaschendeckel, bis Maggie außer Hörweite war. Diesmal räusperte ich mich. «Eine Bekannte?»

«Arbeitskollegin trifft es wohl besser.»

Arbeitskollegin?

Verwundert starrte ich ihn an, so lange, bis er von allein weitersprach.

«Ich bin Pilot.» Er seufzte. «Maggie und ich arbeiten bei derselben Airline. Das hier ist eigentlich mein Arbeitsplatz, okay? Nur mit den Passagieren habe ich normalerweise kaum was zu tun.»

Er ist Pilot?

Einige Momente lang blinzelte ich ihn nur an, weil ich mir im Leben nicht vorstellen konnte, dass sich jemand freiwillig täglich in diese Tötungsmaschine setzte. Seltsamerweise hielt er meinen Blick fest. Als hätte er keine Angst, dass jemand zu genau hinsah.

«Lass mich raten.» Plötzlich klang seine Stimme eine Spur zu bitter. «Mein Job ist auf irgendeine verdrehte Weise sexy, und jetzt kannst du dich nicht entscheiden, ob du mich attraktiv finden sollst, obwohl du mich eigentlich ziemlich scheiße findest.»

«Nah», widersprach ich ironisch. «Ärzte sind viel heißer als Piloten. Immerhin habe ich Angst vor Flugzeugen. Blut macht mir hingegen überhaupt nichts aus.»

Da hatte ich ihn.

Cameron-angepisst-Coopers Mundwinkel zuckten zwar nicht – das belustigte Funkeln in seinen dunklen Augen konnte er allerdings nicht verstecken. Ich wusste nicht, wen es mehr überraschte: ihn oder mich.

«Gut», erwiderte er. «Da wir das geklärt haben: Was machst du denn beruflich?»

«Wird das hier etwa …», gespielt theatralisch schnappte ich nach Luft, «… eine normale Unterhaltung?»

«Ich befürchte schon.» Schlagartig wurde er ganz ernst. «Ich meine, ich könnte dir die App zeigen, die alle meine Flüge aufzeichnet, damit du siehst, dass ich schon Hunderte Male geflogen bin, ohne dass mir auch nur irgendetwas passiert ist – und das auch mit einigen vorher eingehenden technischen Störungen. Aber etwas sagt mir, dass dich das kein bisschen beruhigen würde.» Er zuckte mit den Schultern. «Also müssen wir uns unterhalten.»

«Wir müssen uns unterhalten?»

«Das lenkt dich ab, und alles, was dich ablenkt, lenkt dich von deiner Angst ab. Aber wenn du stattdessen weiter deinen Apple-Pencil umklammern willst, bis er explodiert, nur zu.»

Da.

Da war es schon wieder.

Dieses leicht amüsierte Funkeln in seinen Augen, ohne dass seine Miene eine einzige weitere Regung zeigte. Trotzdem veränderte es etwas in seinem Gesicht.

Sein Blick wurde weicher, heller.

Es war das erste Mal, dass ich Cameron Cooper anschaute, ohne gleich wegsehen zu wollen.

3

Unsere Maschine blieb zweieinhalb Stunden regungslos am Boden stehen.

Der Pilot meldete sich drei weitere Male über die Lautsprecheranlage, woraufhin die anderen Passagiere immer nervöser und aufgebrachter wurden. Die Luft lud sich auf, war erfüllt von leisen Telefonaten, in denen hoffnungsvoll davon erzählt wurde, dass man es ja vielleicht doch noch vor Mitternacht nach New York schaffen würde. Cameron-angepisst-Cooper und ich riefen niemanden an. Ich schrieb meiner Schwester bloß eine kurze Nachricht, in der ich sie über die Verspätung informierte, bevor ich mich wieder dem Gespräch mit ihm widmete. Er war immer noch kurz angebunden und wortkarg, und ich sah ihn kein einziges Mal lächeln, doch …

Ich konnte trotzdem nicht aufhören, mich mit ihm zu unterhalten.

Zum Großteil lag es daran, dass er mir immer weitere Fragen stellte. Um mich abzulenken, natürlich. Das wusste ich. Trotzdem erkundigte er sich nach dem Grund meiner Reise, und ich erzählte ihm von Alex, davon, dass sie es dieses Jahr nicht zu Weihnachten nach Hause geschafft hatte, doch ich es nur halb so schlimm fand. Denn immerhin würde ich sie jetzt in New York besuchen und ziemlich lange bleiben, wenn alles gut ging.

Vielleicht würde New York auch mein Zuhause werden.

«Keinen Schimmer, wie ich das Praktikum bekommen habe», gestand ich, als ich ihm davon berichtete. «Ich habe Kunst studiert, aber ich habe eben nicht Kunst in Rhode Island oder New York studiert. Eigentlich ist nichts in meinem Lebenslauf besonders. Irgendwie hat es trotzdem gereicht, keine Ahnung.»

Nachdem ich verstummt war, ging er nicht, wie davor, sofort zur nächsten Frage über. Stattdessen sah er mich mit einer hochgezogenen Braue an.

«Irgendetwas muss besonders sein, wenn du – ich zitiere – einen der begehrenswertesten Kunstpraktikumsplätze des Landes erhalten hast.»

«So spektakulär ist das jetzt auch nicht», murmelte ich. «Es ist ja nur ein Praktikumsplatz.»

«Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass du ziemlich gut darin bist, dich schlechtzureden.»

Ich verzog das Gesicht. «Du kennst mich gerade mal zehn Minuten. Ich glaube, das reicht nicht für tiefgehende Spekulationen über mich.»

«Es sind eher sechzig Minuten. Außerdem weiß ich, dass du mich garantiert schon nach drei Sekunden in eine Schublade gesteckt hast.»

«Und die wäre?»

Er zuckte mit den Achseln. «Keine Ahnung. Arschloch vielleicht?»

«Zu meiner Verteidigung», begann ich. «Du bist wirklich ziemlich grimmig.»

«Ist das erste Mal, dass ich das in meinem Leben höre.»

«Haha», machte ich. «Sehr witzig.»

«Aber im Ernst.» Mit einem Mal setzte er sich auf. «Vielleicht solltest du einen Vorsatz fürs neue Jahr fassen. Positiver über sich selbst reden oder so.»

«Glaubst du etwa an Vorsätze?»

«Weiß nicht. Ich meine, Dieses-Jahr-ziehe-ich-im-Fitnessstudio-voll-durch-damit-ich-endlich-nicht-mehr-aussehe-wie-ein-Lauch ist schon etwas Schwachsinn.»

Das war mal dein Vorsatz, nicht wahr?

Die Frage lag mir auf der Zunge, denn es war offensichtlich, dass es so gewesen sein musste. Die Art, wie er es sagte, die verblassten Dehnungsstreifen an seinem Bizeps. Angestrengt sah ich auf meinen hochgeklappten Tisch, weil mein Blick sonst bestimmt versehentlich an Letzteren hängen geblieben wäre.

«Ist schon krass, dass so viele Neujahrsvorsätze nur mit unserem Aussehen zu tun haben», flüsterte ich stattdessen. «Oder?»

«Ja.»

Er sagte nur das, aber ich konnte nicht widerstehen. Etwas in mir schrie danach, ihn wieder anzuschauen. Ich verstand nicht, wieso. Mein Sitznachbar war ein Fremder. Nächste Woche hätte ich ihn bestimmt wieder vergessen. Trotzdem wollte, vielmehr noch musste ich ihn anblicken, wenn er so ernst klang und ich mir sicher war, dass mehr dahintersteckte. Aber natürlich konnte ich nicht herausfinden, was das genau war. Immerhin waren wir das wirklich: Fremde in einem Flugzeug, das weiterhin auf dem Boden stand.

«Und?», fragte ich, weil ich diese seltsame Intensität zwischen uns nicht aushielt. «Hast du etwa schon einen Vorsatz fürs nächste Jahr?»

«Klar», sagte er betont locker. «Vielleicht nicht ganz so sehr wie ein grimmiges Arschloch rüberzukommen?»

Ich rollte mit den Augen, und dem Himmel sei Dank fanden wir danach wieder zu leichteren Gesprächsthemen zurück. Diesmal erfuhr ich persönliche Dinge über ihn. Dass er tatsächlich aus San Diego stammte und seine Familie über die Feiertage besucht hatte, doch seit fünf Jahren in New York lebte. Cameron Cooper war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte seine Pilotenausbildung in Miami absolviert und wirklich kein Fünkchen Angst vor einem Absturz. Oder vor einer technischen Störung. Oder Turbulenzen.

«Du bist aber ganz schön tough», sagte ich belustigt. Doch Cameron lächelte nicht. Natürlich nicht.

Wenn er etwas tief zu fühlen schien, veränderte sich sein Blick, wurde dunkler oder heller.

Ich fragte ihn nach seinen Neujahrsplänen, doch nicht, wieso er nie lächelte. Warum er so grimmig war. Wieso es ihn kein bisschen überraschte, dass ich ihn als Arschloch abstempelte. Ob er wirklich eins war.

Ich wusste nur, dass wir erst aufhörten zu reden, als es wieder in den Lautsprechern knackte.

«Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass die Störung behoben wurde. In wenigen Minuten werden wir starten. Wir rechnen mit einer voraussichtlichen Landung in New York um kurz nach Mitternacht und entschuldigen uns vielmals für die Verspätung.»

Eine Landung kurz nach Mitternacht.

Mein erstes Silvester in New York, und ich würde es gar nicht in New York verbringen.

4

Nach der Durchsage des Piloten ging alles ganz schnell.

Die Kabine wurde für den Start vorbereitet, ehe die Crew sich vergewisserte, dass alle Passagiere angeschnallt waren. Letzteres erinnerte mich daran, dass wir gleich wirklich losfliegen würden, was wiederum ein unangenehmes Ziehen in meinem Magen auslöste.

«Du musst mir was erzählen», bat ich.

«Ich erzähle dir die ganze Zeit etwas.»

«Nein, etwas richtig Spannendes. Das lenkt mich ab.»

«Also hast du jetzt verstanden, dass du dich ablenken musst?»

Ich schnaubte. «Du bist so besserwisserisch.»

«Das war nicht die Antwort auf meine Frage.»

«Natürlich», sagte ich leise. «Ich wollte malen, bevor du mich angesprochen hast. Schon vergessen?»

Das Flugzeug verließ das Gate, bevor «Cabin Crew, prepare for departure» ertönte.

Nicht sterben.

Du wirst nicht sterben.

Du wirst WIRKLICH nicht sterben.

Ich kniff die Augen zusammen, während Gedanken sich in meinem Kopf überschlugen und ich mir schwor, mir ein Leben in New York aufzubauen, um nicht ganz so schnell wieder in einen Flieger steigen zu müssen.

Ich hörte, wie mein Sitznachbar neben mir seufzte. «Was willst du denn wissen?»

«Keine Ahnung.» Meine Atmung wurde flacher, während ich überlegte, ob es bei jedem Start so unter mir vibriert hatte wie jetzt. «Erzähl mir, wieso du Pilot geworden bist.»

«Ich dachte, du findest den Beruf nicht sexy.»

Da war eine Spur belustigte Herausforderung, auf die ich leider nicht eingehen konnte, weil die Maschine zu rollen begann und ich kurz vorm Hyperventilieren stand.

«Finde ich auch nicht», presste ich hervor. «Glaub mir. Gerade steht er auf der Liste der unsexysten Berufe auf Platz eins.» Fest krallte ich die Nägel in meine Jeans, die Augen immer noch geschlossen, weil ich spürte, wie wir mit mindestens zweihundert Sachen die Startbahn entlangrasten.

Nicht sterben.

Du wirst nicht …

«Du wirst nicht sterben», flüsterte plötzlich eine Stimme, die nicht in meinem Kopf war, bevor ihr Besitzer meine Hand mit seiner berührte. «Sieh mich an.»

Vehement schüttelte ich den Kopf, während wir abhoben, und es wackelte und ruckelte, und ich war mir sicher, dass ich DEFINITIV sterben würde.

«Ich verspreche dir, dass du nicht sterben und mehr als genug Zeit haben wirst, dich in deinem restlichen Leben nicht mehr ganz so schlechtreden zu können.»

«Das ist nicht witzig», erwiderte ich und öffnete widerwillig die Augen.

«Das war kein Witz, sondern mein völliger Ernst.»

Womöglich hätte ich ihm ein weiteres Mal zu verstehen gegeben, dass er mich gar nicht so gut kennen konnte, um einen Satz wie diesen zu sagen. Aber ich befand mich in einer Ausnahmesituation. Ich war schon damit überfordert, genug Luft zu bekommen.

«Wann hört das Scheißding endlich auf zu wackeln?», stöhnte ich.

«Sobald wir die Reiseflughöhe erreicht haben.»

Ich stieß ein erneutes Schnauben aus. «Danke für die Info, Captain.»

«Bin nur Co-Pilot, aber danke dir für die Blumen.»

«Gott, du bist schrecklich.»

«Das höre ich tatsächlich öfters.»

Da schwebte keine Herausforderung mehr zwischen seinen Worten. Seine Stimme war tief und klang mit einem Mal viel zu ernst. Eigentlich war ich zu beschäftigt damit, krampfhaft geradeaus zu starren und nicht zu sterben. Doch ich konnte nicht anders. Irgendetwas in mir wollte erneut, dass ich den Kopf nach links wandte und ihn in genau diesem Moment ansah.

Cameron Cooper.

Er wirkte eine Spur zu nachdenklich, wobei dieser Zug genauso schnell von seinem Gesicht verschwand, wie er gekommen war. So als wollte er ihn überspielen. Ich fragte mich, was dahintersteckte, allerdings verkniff ich es mir erneut.

Fremde in einem Flugzeug.

Als das Anschnallzeichen endlich – endlich – erlosch, atmete ich erleichtert aus.

«Der schlimmste Part ist geschafft», sagte er, wobei er allerdings vergaß, dass vor uns noch knapp fünf Stunden Flugzeit lagen.

Den Großteil davon verbrachten Cameron und ich überraschenderweise weiterhin vertieft in eine angenehm vor sich hinplätschernde Unterhaltung. Wir plauderten über nichtiges Zeug, ohne uns zu lange anzusehen. Als wäre das gefährlich.

Ich verstand nicht, wieso.

Aber auch das fragte ich nicht.

Ich stellte keine der wichtigen Fragen.

Wir kannten uns ein paar Stunden. Wir waren wirklich nichts weiter als Fremde. Und trotzdem wusste ich, dass er ebenfalls eine ältere Schwester hatte, die meine Streichholz-Illustration garantiert lieben würde. Es war nur ein Nebensatz, aber in seiner rauen Stimme, die die ganze Zeit über ernst blieb, hörte es sich an wie ein Kompliment. Wir nippten an unseren Sodas, bevor er gähnte und ich gegen Mitte des Fluges beschloss, dass ich ihn genug mit meiner Panik gequält hatte.

«Ich glaube, ich versuche mich noch mal an meinen Streichhölzern. Dieses Mal sollte ich die Schattierungen schaffen, ohne den Stift zu zerquetschen.»

«Okay», flüsterte er, bevor ich mein iPad wieder aus der Sitztasche kramte.

Für zwei, drei lange Sekunden spürte ich seinen dunklen Blick weiterhin auf mir. Keine Ahnung, wieso mein Herz so laut pochte. Keine Ahnung, wieso mir wärmer wurde. Doch ich dachte auch nicht weiter darüber nach, weil nun der Moment kam, in dem er die Augen schloss und ich den Stift ansetzte.

In der restlichen Flugzeit finalisierte ich nicht nur meine Streichholzschachtel, sondern entwarf vier weitere Sticker im selben Farbschema. Ich überlegte, sie als Bundle anzubieten, und widerstand dem Drang, darüber nachzudenken, wie meine Zukunft aussehen würde. Immerhin gab es in Alex’ Wohnung nicht genug Platz für meine Versandstation, so wie ich sie mir in meinem Kinderzimmer bei meinen Eltern aufgebaut hatte. Eine eigene Wohnung in New York zu suchen, war unumgänglich, aber wer fand schon eine bezahlbare Wohnung in New York? Insbesondere dann, wenn die Person keine durchschnittlich gut bezahlte Festanstellung besaß, sondern eine befristete Praktikumsstelle? Ich verharrte mit meinem Apple-Pencil über dem Bildschirm, während meine Gedankenspirale mich in sich einsaugen wollte. Ich war sogar gewillt, nachzugeben, doch …

Vielleicht solltest du einen Vorsatz fürs neue Jahr fassen. Positiver über sich selbst reden oder so.

Erschrocken wandte ich mich nach links, doch mein Sitznachbar schlummerte lediglich friedlich vor sich hin. Ich war mir sicher, dass die Stimme eines fremden Mannes garantiert nicht wie ein Echo in mir nachhallen sollte.

Scheiße.

Hastig erhob ich mich, um ein wenig Abstand zu gewinnen. Mir die Beine in Richtung Toilette vertreten erschien mir wie eine gute Idee. Die Flugbegleiterinnen lächelten mich an, ehe ich im Waschraum verschwand.

Kurz darauf betätigte ich die Spülung und spritzte mir am kleinen Waschbecken gerade Wasser ins Gesicht, als dieses Knistern in dem Lautsprecher ertönte.

«Sehr geehrte Fluggäste …»

Wieder war es der Erste Offizier, der uns darüber informierte, dass der Sinkflug soeben eingeleitet wurde. Vierzig Minuten, verkündete er. Dann würden wir landen. Ich trocknete mir die Hände ab, trat aus dem engen Raum und wollte gerade einen weiteren Schritt in Richtung Kabine machen, als das Flugzeug plötzlich fiel.

DAS FLUGZEUG STÜRZTE AB. DIE TECHNISCHE STÖRUNG WURDE NICHT BEHOBEN. ICH WÜRDE STERBEN, GENAUSO WIE …

«Hab dich.»

Mein Herz pochte mir bis zum Hals, als ich plötzlich eine starke Hand an meiner Schulter spürte, die mir Halt gab. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich wieder dem Gesicht entgegen, das so grimmig und faszinierend zugleich war. In derselben Sekunde fiel mir auf, dass das Flugzeug wieder ruhig durch die Nacht glitt. Es war nur ein kleiner Ruck gewesen. Eine winzige Turbulenz, die wahrscheinlich niemanden beunruhigt hatte außer mich.

Alles ist in Ordnung.

Bis es das mit einem Mal nicht mehr war.

Schlagartig realisierte ich nämlich, dass Cameron und ich uns zu nah waren. Viel, viel, viel zu nah. Näher als Flugzeugnähe, wo Sitznachbarn sich versehentlich minütlich mit den Oberschenkeln streiften. Mein Sitznachbar hatte mich absichtlich berührt. Und hielt mich immer noch fest, seine Finger an meiner Schulter. Sein Griff war fest und sanft zugleich, selbst wenn das eigentlich keinen Sinn ergab. Mein Blick zuckte von meiner Schulter hoch zu seinem Gesicht.

Oh Gott.

Sein Blick.

Wie dunkel er war.

Ich schluckte, er musste es auch gespürt haben. Dieses Etwas zwischen uns. Ruckartig ließ er mich nämlich los und steckte die Hand in seine Jeanstasche, so als befürchtete er, er könnte mich sonst wieder berühren.

«W…was machst du hier?», fragte ich.

«Ich …» Er musste sich räuspern, seine Stimme klang unendlich rau. «Ich hab mir ein Wasser geholt.»

Cameron schaute auf seine andere Hand hinunter. Tatsächlich umklammerten seine Finger eine Plastikflasche. Sie hatte dieselbe Tönung wie meine Streichholzschachtel.

Ich wusste nicht, wieso mir das so auffiel.

5

ZEHN», rief eine Weile später plötzlich jemand von vorne, als wir wieder auf unseren Plätzen saßen.

Ich lehnte mich ein wenig näher in Camerons Richtung, um so einen besseren Ausblick aus dem Fenster zu haben. Trotz meiner riesigen Flugangst wollte ich den Anblick von New York bei Nacht nicht verpassen.

«NEUN!»

Alle Lichter im Flugzeug gingen an.

«ACHT!»

«Weniger als fünf Minuten», flüsterte er mir zu.

«SIEBEN!»

Die Passagiere zählten kollektiv bis Mitternacht runter, doch mir war nur wichtig, dass ich bald endlich wieder sicheren Boden unter mir spüren würde.

«SECHS!»

Aber gerade als wir uns New Yorks Skyline noch weiter näherten, stellte ich fest, dass es zweifellos einen Vorteil hatte, an Silvester um kurz vor zwölf in dieser riesigen Stadt zu landen. Offiziell fehlten noch einige Sekunden bis Mitternacht, doch ich beobachtete trotzdem, wie unzählige Raketen über Wolkenkratzern explodierten.

«FÜNF!»

«Wow», hauchte ich.

«VIER!»

«Krass», flüsterte Cameron zurück, der seit unserer Begegnung im hinteren Bordabteil noch eine Spur penibler darauf achtete, mich auf gar keinen Fall zu berühren.

Als hätte er dieses Etwas zwischen uns tatsächlich ebenfalls gespürt.

Dieses Etwas zwischen uns, das keine explosive Rakete oder ohrenbetäubendes Feuerwerk war. Aber dieses Etwas, das vielleicht ein Funke sein könnte.

«DREI!»

«Und?», fragte er leise. «Bist du bereit für New York?»

«ZWEI!»

Ein Kribbeln breitete sich in mir aus.

«EINS!»

«Ja», flüsterte ich.

Ringsum ertönte ein Gemisch aus Neujahrswünschen, und Cameron wandte seinen Blick vom Fenster ab. Als er mich ansah, bemerkte ich, wie sein Kehlkopf hüpfte.

«Frohes neues Jahr», sagte er, während hinter ihm ein kunterbuntes Farbspiel am Himmel aufging.

Sein Blick verhakte sich mit meinem, mein Herz pochte mir bis zum Hals. Das Flugzeug sank tiefer und tiefer, und einen Moment lang hatte ich keine Angst vor einem Absturz, sondern davor, in New York heil anzukommen, nur um dann am Erwachsenenleben kaputtzugehen. Dabei sah Cameron mich immer noch an. Und ich nur ihn. Dann setzten wir auf der Landebahn auf, und alle jubelten. Erst da gelang es mir, ihm ebenfalls ein frohes neues Jahr zu wünschen.

«Siehst du», meinte er wenig später, als der Airbus seine Parkposition erreicht hatte. «Du bist nicht gestorben. Ich hab’s dir gesagt.»

Ich hob eine Braue. «Vielleicht sollte dein Jahresvorsatz lauten, weniger allesbesserwisserisch zu sein.»

«Weniger Macho, weniger Arschloch, weniger allesbesserwisserisch», zählte er auf. «Ich würde sagen, ich habe die Qual der Wahl.»

Als ich lachte, zuckten seine Mundwinkel – kein Lächeln, schon gar kein richtiges Lachen, doch definitiv ein Fast-Grinsen.

In den nächsten Minuten wurde es hektisch um uns herum. Menschen erhoben sich, um ihre schweren Taschen und Koffer aus den Gepäckablagen zu stemmen und dann aus dem Flugzeug zu verschwinden. Über uns wurden wahrscheinlich weiterhin Raketen in die Luft gejagt, doch von dem Neujahrszauber war in dieser Kabine nichts mehr zu spüren. Menschen stiegen aus und eilten dann weiter, so, wie sie es immer taten.

Es war ein neues Jahr, aber immer noch dieselbe Welt.

«Danke», sagte ich, kurz bevor ich aufstand.

Mein Noch-Sitznachbar deutete eine abwinkende Geste an. «Nicht dafür», erwiderte er, aber ich dachte an all die unzähligen Minuten, in denen er mich durch seine Fragen davon abgehalten hatte, vor Angst fast umzukommen.

Für mich war das nicht nichts.

Ich erhob mich wie in Zeitlupe, während er nicht einmal versuchte, zu übertünchen, wie er mich dabei beobachtete. Sicherlich regte ich die Passagiere weiter hinter uns auf, weil ich den Weg blockierte, doch … Keine Ahnung.

War das tatsächlich alles?

«Und du?», witzelte ich deshalb. «Bleibst du hier sitzen?»

«Ich gehe mit der Crew raus. Geht schneller.»

«Ach so, okay.» Keine Ahnung, wieso meine Finger sich krampfhaft ineinander verhakten. «Na dann, mach’s gut?»

Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass meine Verabschiedung wie eine Frage klang. Und da war dieser Moment, diese klitzekleine Sekunde, in der er den Mund öffnete und ich mir sicher war, dass er mich nach meiner Nummer fragen würde.

Allerdings überlegte er es sich im allerletzten Moment wohl doch anders, denn …

«Wie heißt du eigentlich?»

Wie ich hieß? Wusste er das denn nicht? Nein, erinnerte ich mich. Nein, darüber hatten wir gar nicht geredet. Er wusste persönliche Details über mich, wie zum Beispiel, dass ich viel zu gut darin war, mich kleinzureden.

Aber er kannte meinen Namen nicht.

«Isla», sagte ich.

«Isla», wiederholte er leise, doch bei ihm, mit dieser rauen Stimme, klang mein Name irgendwie anders.

«Also dann», sagte ich, wobei ich ein Winken andeutete.

Und da war ebenfalls dieser verräterische Teil in mir, der dachte, nein, hoffte sogar, er würde mich aufhalten, jetzt endlich nach meiner Nummer fragen. So wäre das doch im Film gewesen, nicht wahr?

Doch das hier war nur mein Leben. Und ich war noch immer viel zu aufgewühlt, um auch nur darüber nachzudenken, den Mut aufzubringen, ihn selbst um seine Nummer zu bitten.

«Mach’s gut, Isla», flüsterte er.

Seine Stimme hallte in mir wider, während ich ihm den Rücken zukehrte. Keine Ahnung, ob er mir hinterhersah. Keine Ahnung, ob er auch dieses seltsame Gefühl im Bauch hatte. Allerdings gab ich alles, um mich an diesem Gedanken nicht aufzuhängen. Er war mein Sitznachbar gewesen. Wir hatten uns unterhalten. Wir hatten uns verabschiedet. Wir würden uns nie wiedersehen.

Ich beantwortete die Nachrichten meiner Freundinnen, Eltern und Schwester, wartete geduldig auf meinen Koffer und stellte mir vor, wie ich in spätestens zwei Stunden den Rest der Neujahrsnacht am Times Square verbringen würde. Mit Alex. In New York, wo vielleicht wirklich alles gut werden könnte.

***

Es war 01:04 Uhr, als ich die U-Bahn-Station erreichte. Ich blickte auf die Anzeigetafel. Zwei Minuten noch. Neben mir telefonierte eine Frau und lachte über etwas, das ihr Gesprächspartner zu ihr sagte. Da bemerkte ich etwas in meinem Augenwinkel – nicht etwas, jemanden.

Blinzelnd wandte ich mich nach links. Es war derselbe Moment, in dem auch er den Kopf hob.

«Isla?», fragte er überrascht.

«Cameron?», fragte ich zurück.

«Fuck», murmelte er.

Ich verstand nicht, wieso sein Fluchen so erleichtert klang. Ich verstand auch nicht, wieso er plötzlich mit dem Rucksack über der Schulter auf mich zukam. Drei Schritte entfernt blieb er vor mir stehen, bevor er sich in den Nacken fasste. Über dem Shirt trug er jetzt einen Pullover, und seine Augen wirkten müde, aber irgendwie auch so wach.

«Ich weiß, es klingt komisch und vielleicht willst du das gar nicht, aber …» Er holte tief Luft. «Ein Teil von mir hat mich gerade ziemlich gehasst, weil ich mich nicht getraut habe, dich nach deiner Nummer zu fragen. Also …»

Er verhaspelte sich ein bisschen, während ich heftig schluckte. Der Boden unter uns vibrierte, weil gleich die Bahn einfahren würde. Und ganz ehrlich? Ich wusste nicht, ob alles in New York gut gehen würde. Ob ich eine Wohnung finden würde. Ob ich genug Geld verdienen würde. Ich hatte keine Ahnung, ob ich Cameron Cooper womöglich wirklich kennenlernen würde. Herausfinden würde, was hinter seiner grimmigen Fassade steckte und wieso er sich selbst ständig als Arschloch betitelte, aber mir gesagt hatte, ich sollte mich weniger schlechtreden. Würde ich erfahren, wieso er mit diesem merkwürdigen Unterton über das «heiße» Ansehen seines Jobs geredet hatte? Oder wieso sein Lächeln so selten war? Keine Ahnung. Ich hatte ebenfalls keine Ahnung, ob er diesen Einblick in sein Leben überhaupt zulassen würde. Ob ich es wollen würde.

Ich wusste so wenig.

Aber dafür wusste ich, dass die Bahn direkt vor unseren Nasen hielt und ich tatsächlich hier war. Ich hatte mich getraut, meinen Traum zu verfolgen, indem ich mich als Assistentin von Erin Sheridan beworben hatte. Ich hatte mich getraut, von zu Hause auszuziehen. Ich hatte mich getraut, in den Flieger zu steigen.

Ich hatte mich getraut, hier zu sein.

Und jetzt, jetzt traute ich mich noch ein bisschen mehr.

«Ja», sagte ich. «Ja, ich würde dir gerne meine Nummer geben.»

Cameron-angepisst-Cooper lächelte nicht, aber er ließ seine Mundwinkel zucken, und seine gesamte Miene hellte sich auf.

Als sich die Türen öffneten, stiegen wir ein.

«Happy New Year!», rief ein leicht betrunkener Fahrgast uns zu, während wir uns wie automatisch nebeneinandersetzten.

Antonia Wesseling wurde 1999 geboren. Schon als Kind erfand sie Geschichten und fing später an, Jugendbücher zu veröffentlichen. Mittlerweile ist sie Bestsellerautorin von New-Adult-Romanen. Außerdem bloggt sie auf YouTube (@tonipure), auf Tiktok und Instagram (@antoniawesseling) über Bücher, das Schreiben und andere Themen, die ihr wichtig sind.

Februar

Antonia Wesseling

Ein Match kommt selten allein

Liz

Seit ich denken kann, verbringe ich meine Freitage bei Oma Wilma. Mit einer Tasse Holundertee und selbst gebackenen Keksen haben wir nicht nur für jeden Französischtest gelernt, sondern auch meinen ersten Liebeskummer besprochen.

Vor einigen Monaten nahm meine Oma mich schließlich für ein Gespräch beiseite. «Liz, ich muss dich etwas fragen.»

Ich rechnete bei ihrer ernsten Miene mit weiß Gott was und war beinahe erleichtert, als Oma bloß wissen wollte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn ihr wöchentlicher Häkelkurs nicht nur zu ihr ins Wohnzimmer verlegt werden, sondern auch an unseren Freitagen stattfinden würde.

«Nun ja, wenn du damit hoffst, mich loszuwerden, dann musst du dir aber etwas Besseres einfallen lassen», habe ich gescherzt. «Dir ist hoffentlich klar, dass ihr nun eine Teilnehmerin mehr gewonnen habt.»

So fing es also an, und die Häkelgöttinnen Agnes, Susi, Helga und Oma Wilma versuchen seitdem, mir ihr Handwerk näherzubringen. Man würde meinen, dass ein knappes halbes Jahr reicht, um sich die notwendigen Skills im Häkeln anzueignen. Doch was das grüne Ding in meiner Hand angeht, das eigentlich eine Schildkröte werden sollte … Nun ja, ich bin mittlerweile felsenfest davon überzeugt, dass sich an seiner Entwicklung zum dreibeinigen Frosch nichts mehr ändern lässt. Vielleicht bin ich aber auch ungewöhnlich talentfrei. Was nicht weiter schlimm ist, denn im Grunde genommen profitiere ich bei meiner Kursteilnahme ja vor allem von den gebündelten Lebensweisheiten vier weiser Frauen im besten Alter.

«Sollte unsere Liz mal einen Jungen mitbringen, muss er erst einmal an ihren Omas vorbei», bemerkt Susi gerade und widerspricht damit direkt meinem Gedanken. Vergiss, was ich gesagt habe … Manche dieser Lebensweisheiten sind kein bisschen weise, sondern vor allem: absolut überflüssig.

«Definitiv», stimmt Helga zu.

«Ihr überseht da einen wesentlichen Punkt. Eure Liz hat gar nicht vor, jemanden kennenzulernen», werfe ich nur beiläufig ein, während ich versuche, einen besonders hartnäckigen Knoten zu entwirren.

Wenn sich vier Frauen, von denen zwei bereits an der Achtzig kratzen, etwas in den Kopf gesetzt haben, ist allerdings jeder Widerspruch zwecklos.

«Ich finde, du solltest nicht nur mit deinen Omas Zeit verbringen, sondern auch mal auf eine Feier gehen», hält Helga dagegen.

Ich schnaufe. «Vielleicht habe ich im Häkeln meine Bestimmung gefunden.» Amüsiert hebe ich meine Froschkröte in die Luft. Ja, eindeutig meine Bestimmung.

«Beim Häkeln lernst du aber nie jemanden kennen», fällt mir jetzt auch noch meine Oma in den Rücken.

Empört sehe ich sie an. «Was soll das denn heißen? Du sagst doch selbst, dass du keinen Mann brauchst.»

«Das ist etwas anderes», weicht meine Oma aus. «Ich hatte eine große Liebe im Leben. Deinen Großvater. Du bist einundzwanzig, mein Kind. Da steht dir die Welt offen.»

«Das Alter spielt dabei doch gar keine Rolle», lenke ich von mir ab. «Weißt du, was ich denke? Du beharrst nur darauf, dass ich jemanden kennenlerne, weil du dir insgeheim selbst einen Partner wünschst.»

Mit diesem Kommentar stoße ich in ein ungeahntes Wespennest. Plötzlich sind Omas Freundinnen außer sich vor Begeisterung.

«Oh ja, das wäre doch mal was. Unsere Wilma geht auf ein romantisches Rendezvous.»

«Date», korrigiere ich. «Heute nennt man so was eher ein Date.»

«Richtig», wirft Susi ein. «Meine Enkelin hat ihre Freundin auch über so ein Date kennengelernt. Und jetzt erwarten die beiden ihr erstes Kind.»

«Die beiden?», will Helga wissen. «Wie können zwei Frauen denn gemeinsam ein Kind bekommen?»

«Oh, das ist ganz einfach», erklärt Susi. «Heutzutage gibt es da verschiedene Wege. Das nennt sich dann Regenbogenfamilie.»

Helga nickt interessiert. «Das ist ja großartig. Und wie kommt man zu so einem Date? Der Rudi hat mich damals bei den Pfadfindern angesprochen. Macht man das heute noch so?»