Über das Helle - Stefanie Jaksch - E-Book

Über das Helle E-Book

Stefanie Jaksch

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Beschreibung

LET THERE BE LIGHT Krisen, Kriege, Klimawandel – sie haben die Welt fest im Griff, das wird uns Tag für Tag vor Augen gehalten. Beim Scrollen durch Social-Media-Feeds, in den Abendnachrichten, im Podcast, der uns eigentlich ZERSTREUUNG versprach. Wenn wir ehrlich sind, faszinieren und beschäftigen uns Katastrophenmeldungen mehr als die guten Neuigkeiten – so funktioniert die AUFMERKSAMKEITSÖKONOMIE. Und wir haben uns in gewisser Weise an das apokalyptische Dauerfeuer und die ALLTÄGLICHEN UNTERGANGSFANTASIEN gewöhnt. So sehr, dass wir auf das Helle in unserem Leben vergessen. Tatsächlich ist unsere Gegenwart nicht dazu angetan, uns MUT zu machen und den OPTIMISMUS nicht zu verlieren. Doch die Autorin Stefanie Jaksch begibt sich auf die Suche: nach dem LICHT IN DUNKLEN ZEITEN. DIE RENAISSANCE DES OPTIMISMUS Mit FASZINIERENDER KLARHEIT geht Stefanie Jaksch DEM HELLEN AUF DEN GRUND und erzählt dabei von der ENTDECKUNG DES FEUERS, dem Mythos des "HELLEN KÖPFCHENS", dem POTENZIAL DER DUNKELHEIT, von BLENDENDER POLITIK und anderen Schattenseiten. Sie schreibt über RESILIENZFORSCHUNG und den Zusammenhang von PSYCHISCHER GESUNDHEIT und Licht. Und sie stellt die Fragen, deren Antworten wir alle herbeisehnen: Wo und wie setzt sich das Helle heute durch? Wie schaffen wir es, ZUVERSICHT zu bewahren? Und wann betrügt uns unsere Hoffnung auf ein Happy End? WIDERSTANDSKRAFT JETZT! So sehr wir uns BESSERE ZEITEN wünschen, manchmal auch zurück wollen in solche, die vermeintlich sorgenfrei waren, desto deutlicher rückt das Jetzt in den Vordergrund. Um an ein Morgen glauben zu können, brauchen wir POSITIVE ZUGÄNGE zu großen Herausforderungen. Was Stefanie Jaksch auf ihrer REISE ZUM LICHT findet: Menschen, die, wie sie selbst, das Dunkle nicht gewinnen lassen wollen und: HOFFNUNG. "Über das Helle" ist ein Buch, das den WIDERSTAND in uns erweckt. Ein Buch, auf das wir gewartet haben.

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Seitenzahl: 197

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Für SRA

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Inhalt

3 Uhr: Dunkel

4 Uhr: Sehen

Am Anfang war nicht das Licht

Globale Helligkeit

Eine Frage der Wahrnehmung

Emotionale Gutmenschen?

5 Uhr: Glauben

Toxische Wahlverwandtschaften

More money, fewer problems

Glauben, reloaded

Moderne Lichtgestalten

6 Uhr: Fürchten

Im Bann der Einsamkeit

Im Maschinenraum der Angst

Die Einseitigkeit des Wissens

Weil sie Frauen sind

7 Uhr: Fühlen

Die süße Macht des Aufhörens

In Schwesterlichkeit verbunden

Die schwierigste Übung

Die Schönheit des Dazwischens

8 Uhr: Hell

Danke an …

Über die Autorin

Impressum

3 Uhr: Dunkel

 

 

Nur ein bisschen noch. Fünf Minuten. Drei Minuten. Eine vielleicht? Vorbei, seufze ich in die Kissen und kneife meine Augenlider noch einmal trotzig wie ein Kind zusammen, bevor ich aufgebe. Ich starre in die Nacht, in den lichtlosen Raum über mir, nichts ist zu hören außer dem leisen Luftholen und unrhythmischen Schnarchen des Wolfs, mit dem ich seit einigen Jahren zusammenlebe. In unserem Schlafzimmer gibt es keine Uhr, aber mein Körper braucht auch keine, um zu wissen, dass es eigentlich zu früh ist, um aufzustehen. Was ich ebenfalls weiß: dass ich, einmal wach, nicht mehr in den Schlaf finden werde, dass mein Gehirn nun anspringt. Dass es mich geweckt hat, weil seit gestern Abend zu viele Baustellen in mir arbeiten. Weil ich wieder einmal nicht dafür gesorgt habe, vor dem Zubettgehen ein bisschen Ruhe einzuplanen, zu lange noch erst auf meinen Laptop gestarrt, dann doch noch schnell einen Blick aufs Smartphone gewagt habe – und natürlich prompt hängen geblieben bin an einigen Desaster-News, die sich in meine Träume geschlichen haben. Im Aufwachen sind mir die Erinnerungen daran realer als der Rest der Welt, der nur unscharf und in Graustufen an mich heranschwappt.

Keinen Schlaf finden zu können, verdunkelt für mich alles, besonders aber mein Gemüt, und ist – hält der Zustand länger als ein paar Tage an – mit einer eigenartigen Versagensangst verbunden. Warum ich? Warum fällt mir das vermeintlich Einfachste zurzeit nicht leichter? Wut gesellt sich dazu, eine der manchmal dunkelsten Empfindungen, auch und vor allem dem Wolf an meiner Seite gegenüber. Was erlaubt er sich eigentlich, so ohne Probleme in den Schlaf zu finden, einen eigenen Rhythmus zu haben, der ihm erlaubt, sich hinzulegen und sofort in tiefen Schlummer zu fallen? Als wäre Schlaf ein Hochleistungssport, den man beherrscht oder eben nicht.

Die längste Zeit, die ein Mensch offiziell dokumentiert ohne Schlaf verbracht hat, beträgt 264 Stunden, das sind elf Tage, und bis heute hält diesen zweifelhaften Rekord aus dem Jahr 1965 der damals 17-jährige Randy Gardner aus San Diego, USA. Aus einem Grund, der sich mir nicht erschließt, hat ein Brite aus Penzance im Jahr 2007 einen weiteren Weltrekordversuch gestartet, den er per Video dokumentierte. Er überbot Gardners Leistung um zwei Stunden, darf sich aber bis heute nicht über die Nennung als Rekordhalter freuen, da die Kategorie „Längste Zeit ohne Schlaf“ im Guinness-Buch der Rekorde schon längst nicht mehr existiert: „aus gesundheitlichen Bedenken“.1 Das ist auch von jemandem ohne medizinisches Vorwissen nicht von der Hand zu weisen, wurde aber auch wissenschaftlich belegt: Denn in Laborversuchen, bei denen man Mäuse wachhielt und weckte, sobald sie einschliefen, starben die Versuchstiere nach durchschnittlich sieben Tagen. Vermutlicher Grund dafür: multiples Organversagen.2 Wie ich da so liege, frage ich mich, wie lange ich es wohl aushalten könnte ohne Schlaf, vermutlich keine 48 Stunden. Mir läuft bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Ich kenne mich, innerhalb weniger Tage ohne meine normale Dosis Schlaf von sieben bis acht Stunden pro Nacht werde ich zu einem kränklichen, weinerlichen Etwas, bin unkonzentriert, breche schnell in Tränen aus und glaube, dass die Welt dem Untergang nahe ist. Ich finde mich selbst lächerlich, wie ich mir das so überlege, im Warmen, in der Sicherheit meiner Wohnung, in einem insgesamt recht aufgeräumten Leben.

Ja, ich habe eine Phase des beruflichen Komplettumbruchs hinter mir, habe mir manche Sicherheiten selbst unter den Füßen weggezogen in einem Mix aus Vertrauen und Wagemut. Und sicher, die letzten Jahre mit Pandemie, näher an uns heranrückenden Kriegen und sich immer stärker radikalisierender Weltpolitik sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Wie auch, wenn erstmals Menschen rund um den Globus gleichzeitig in eine grundlegende Verunsicherung geworfen waren und es immer noch sind – eine Verunsicherung, die wir nicht mehr von uns weghalten können. Weil sie uns plötzlich ganz direkt betrifft. Nicht nur wegen Corona. Wir haben in den letzten Jahrzehnten in einer erstaunlich sicheren Blase gelebt. Doch die Folgen des Klimawandels werden in den letzten Jahren auch in Europa mit Dürreperioden, Hitzerekorden und Unwettern in bisher unbekanntem Ausmaß spürbar, während ganze Länder in anderen Regionen der Erde schon seit langer Zeit unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden. Auswirkungen, die auch auf das Konto der Industrienationen gehen. Auf einmal können auch wir uns nicht mehr sicher fühlen oder uns zurückziehen auf ein „Ach, zu uns kommt das schon nicht“. Es ist alles zu uns gekommen: das Virus, die Angst, die Einsamkeit, die Verletzlichkeit, der Tod. Und auch die Erkenntnis: Wir Menschen sind nur bedingt solidarisch.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die allwöchentlichen Demonstrationen der „Querdenker:innen“ und Corona-Maßnahmengegner:innen in ganz Europa – eine Petrischale gefüllt mit einer reaktionären, von Wut und Hass getriebenen Soße, in der es sich ‚besorgte Bürger:innen‘ nicht nehmen ließen, mit Rechtsradikalen zu marschieren. Ich erinnere mich an meinen Unglauben, an meinen mir ebenfalls gerecht vorkommenden Zorn auf Menschen, die ich nicht mehr verstand und die mich wohl umgekehrt auch nicht verstanden.

Und auch der Krieg steht wieder vor unseren Toren. Ich lebe in Wien, das sind gerade einmal 1000 Kilometer Luftlinie bis Kiew – für jeden Sommerurlaub nehmen wir gern größere Entfernungen in Kauf. Während ich hier liege und nachdenke über all die Gründe, warum ich nicht schlafen kann, kämpfen Menschen in der Ukraine um ihr Leben. Und nicht nur dort: „Bewaffnete Konflikte“, wie es so seltsam verharmlosend heißt, gibt es zahllose überall auf der Welt. Und von den allerwenigsten wissen wir wirklich: So sind über 2,5 Millionen Menschen aus Nigeria auf der Flucht vor der Terrorgruppe Boko Haram. Im Sudan tobt seit 2023 ein Krieg, der das Land an die Grenzen des Zusammenbruchs gebracht hat, die Hälfte der rund 47 Millionen Einwohner:innen ist arbeitslos. Und in Kolumbien sind in über 50 (!) Jahren bewaffnetem Konflikt zwischen wechselnden Regierungen und Guerilla rund 450000 Menschen getötet worden – die meisten davon Zivilist:innen. Diese Liste könnte ich noch lange weiterführen, aber sie hilft nicht, das Leid der Menschen begreiflich oder gar spürbar zu machen. Aber dennoch: Sie ist wichtig, um nicht zu vergessen, dass die Verunsicherung, die wir Europäer:innen seit einigen Jahren spüren, in anderen Teilen der Welt schon lange alltäglich ist – und weitaus schlimmere Ausmaße annimmt.

In vielen Teilen der Welt leiden Menschen Hunger, werden ihre Grundrechte mit Füßen getreten, müssen Frauen, queere Personen, solche mit anderer Hautfarbe oder anderem Glauben um ihre Unversehrtheit fürchten, sitzen Journalist:innen und unliebsame Regimegegner:innen für kritische Berichterstattung in Isolationshaft oder werden dort „weißer Folter“ unterzogen: Schlafdeprivation, rund um die Uhr dem Licht ausgesetzt.

Ich setze mich auf und bin wütend, auf mich, weil ich mir wieder einmal selbst auf den Leim gegangen bin. Weil ich mein Gedankenkarussell nicht rechtzeitig gestoppt habe, und noch viel mehr, weil ich klein beigegeben habe und mich in die Negativspirale, die wir alle kennen, hineingedreht habe. Ich bin wütend, weil es so viel schwerer scheint, so viel mehr Energie braucht, sich dem Hellen zuzuwenden, als sich von Negativität verschlingen zu lassen. Es reicht. Es muss doch einen Mittelweg geben zwischen übertriebenem (Zweck-)Optimismus und selbstmitleidigem Pathos.

Ich steige vorsichtig aus dem Bett, der Wolf brummt undeutlich etwas vor sich hin, bevor er sich umdreht und weiterschläft, während ich auf Zehenspitzen ins Arbeitszimmer schleiche, die dunklen Gedanken abzuschütteln versuche und mich auf das Jetzt zu besinnen.

Das Jetzt, wie sieht es aus, frage ich mich, während ich mich langsam auf meinem Bürostuhl drehe. Seit ich denken kann, bin ich Frühaufsteherin, meine produktivste Zeit des Tages ist sein Anbruch, wenn (fast) alles noch schläft, sich vor dem Fenster noch keine Autolawinen durch die Stadt wälzen, wenn die meisten Wohnungen noch nicht von Lichterschein erhellt sind, wenn die Nacht noch ihre Ausläufer verteidigt. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, im Dunkeln zu sitzen und einfach nur zu schauen, dabei den ein oder anderen Gedanken kommen und gehen zu lassen, Gedanken zum sich anbahnenden Tag, Gedanken zu alten und neuen unbeantworteten Fragen, Gedanken, die mich manchmal schrecken und manchmal ermutigen. Für die erste, vorsichtige Phase der Wachheit schalte ich kein Licht ein, lasse mich viel lieber noch von der Dunkelheit umhüllen, empfinde sie als tröstlich, wie eine Decke, die mich wärmt und mir vorläufige Gleichgültigkeit gegenüber allen Bemühungen schenkt, die wir mit einem erfolgreichen Tag verbinden. Die Abwesenheit von Licht signalisiert mir in diesen Stunden: Du musst nichts, nimm dir noch Zeit, bleib noch ein Weilchen, das Zeichen, das Tagwerk zu beginnen, ist noch nicht gekommen (oder ich habe es übersehen).

Dieser paradiesische Zustand ändert sich schlagartig, sobald sich der erste Silberstreif am Horizont blicken lässt. Nichts verheißt uns, zumindest uns erfolgsgetriebenen Mitteleuropäer:innen, Geschäftigkeit oder ist uns so sehr Gebot, endlich mit dem Tun zu beginnen, den Müßiggang sausen zu lassen, wie der Anfang eines neuen Tages. Carpe diem!, schallt es uns, die wir unsere eigenen Motivationstrainer:innen sind, immer wieder entgegen, sitz nicht auf der faulen Haut, mach etwas aus dem Tag, aus dem Monat, dem Jahr, deinem Leben! Daran lässt sich nichts ändern, Lebewesen sind nun einmal so gepolt, auch Pflanzen recken sich gottergeben dem Licht entgegen. In Ländern, die dem Polarkreis näherliegen, tut man sich im Sommer mitunter schwer, Schlaf zu finden; wenn die Sonne nicht untergeht, muss zu fast gewaltsamen Verdunkelungsmethoden gegriffen werden. Denn wer nicht schläft, muss etwas tun.

„Mehr Licht!“, so will es die Legende, war Goethes letzte Forderung auf dem Sterbebett,3 und auch wenn ich bezweifle, dass es ausgerechnet diese zwei Worte waren, die dem Dichtergenie entfuhren, bevor er sein Lebenslicht aushauchte, so verstehe ich doch den Zweck ihrer mythischen Überhöhung: Auch wenn wir noch so viel geschafft haben, auch wenn wir noch so erfolgreich sind, es gibt wohl kaum einen Menschen, der trotz aller Mühsal die Möglichkeit, einen weiteren Tag zu erleben, ausschlagen würde. Mehr Licht, mehr Möglichkeiten, mehr Beweise für die eigene Existenz – und vor allem ihre Gewichtigkeit, ihre Relevanz, ihre Wirkmächtigkeit. Denn die im Dunkeln sieht man nicht; gesehen werden wollen wir aber alle, zumindest solange wir keinen ‚Dreck am Stecken‘ oder sinistre Absichten haben – das ist aber eine ganz andere Geschichte, und ihre Protagonist:innen bevorzugen aus anderen Gründen als ich die Dunkelheit. Dass ich mich im lichtlosen Raum ab und an sehr wohl fühle, heißt aber nicht, dass ich ihn generell bevorzuge oder frei von Geltungsdrang bin; wir alle streben letztendlich dem Hellen entgegen, und ich möchte glauben, das ist in den meisten Fällen auch gut so.

Einen guten Freund von mir, Norbert Trawöger, kann man mit Fug und Recht als die Inkarnation des Frohsinns, des Optimismus und des Strebens Richtung Licht beschreiben. Der Flötist, Anton-Bruckner-Spezialist und bekennende Luftikus ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich nun hier sitze, im nächtlichen Noch-Nicht meines Arbeitszimmers, und meinen Gedanken rund um Licht und Dunkel freien Lauf lasse. Seine Abschiedsformel „Alles Helle dir!“, mit der er gerne Gespräche, Briefe und Nachrichten beendet, traf mich beim ersten Mal unvorbereitet. Ein „Tschüss“, ein „Servus“, ein „Bis dann“ ist man gewohnt; ein „Freu mich auf nächstes Mal“ ist meist das Höchste der Gefühle im Alltagsstress, das wir erwarten können oder zu hören bekommen. Ein „Alles Gute dir“ hören wir selten, meist nur zu besonderen Anlässen, und dann nur als Floskel. Als mir aber erstmals das sehr bewusst gesetzte „Alles Helle dir“ auf meinem Smartphone entgegenleuchtete, musste ich innehalten. Es dauerte tatsächlich ein paar Sekunden, bis ich diesen kurzen Satz erfasst und eingeordnet hatte, und auch dann noch blieb die Wendung den ganzen Tag über bei mir und entfaltete erst über die Zeit ihre ganze Palette an Bedeutungen, Möglichkeiten, Spielräumen.

Ich bin jedes Mal wieder berührt von dieser ganz und gar freudvollen, optimistischen Herangehensweise an einen Abschied, die mir vermittelt, dass auf der anderen Seite der Kommunikation jemand ist, der mir nur Gutes wünscht. Daraufhin mit etwas beschwingterem Schritt des eigenen Weges zu gehen, ist die fast unabänderliche Folge, eine Art self-fulfilling prophecy.

Die drei Worte „Alles Helle dir“ lassen mich innehalten, lösen ein stutzendes Wundern, stille Freude und angenehme Angefasstheit in mir aus. Vielleicht, weil ich mich erkannt gefühlt habe? Denn ich bin, trotz gelegentlicher Verzweiflungsmomente, eine unverbesserliche Optimistin. Und eventuell sogar ein wenig ertappt? Ich mag zwar keine unsagbaren Reichtümer mein Eigen nennen, aber ich habe es wohl dennoch recht glücklich getroffen. In eine klassisch mittelständische Familie geboren, in eine Zeit prosperierender Wirtschaft, in einem Land, in dem mir – weiblich, heterosexuell, weiß – erst einmal viele Türen offenstehen.

Muss, darf, soll man mir also mehr Glück, mehr Helles wünschen? Verdiene ich das überhaupt? Missverstehen Sie mich bitte nicht: Ich bin mir dessen bewusst, dass ich diese Zeilen schreibe, während Millionen Menschen keine Garantie auf körperliche wie psychische Unversehrtheit haben, für die Dunkelheit nichts Tröstliches hat, für die Helligkeit auch das Aufflammen von Geschossen und Raketen bedeutet und damit lebensbedrohlich ist. Kriege toben, Pandemien sind keine Horrorszenarien mehr, sondern erlebte Wirklichkeit, rechte Parteien greifen mit menschenverachtenden Ideologien überall nach der Macht, hetzen gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen. Und ich möchte trotzdem über das Helle reden? Ja, will ich. Weil es das Helle ja gibt, ungeachtet der oft entmutigenden Weltlage. Und weil das eben mein Weg ist, mich mit all dem auseinanderzusetzen, den ich gerne mit allen, die offene Augen, Ohren und Herzen haben, gehe.

Die hat Nerven, höre ich Sie murmeln – und ich kann es nachvollziehen. Sicher steht es jedem zu, meine Gedanken als intellektuelles Geschwafel abzutun, als Beschäftigungstherapie für eine Privilegierte, die sich in zumindest relativer Sicherheit wiegen darf. Das kann und werde ich Ihnen nicht verübeln. Und dennoch suche ich so wie alle anderen auch immer wieder nach Trost, nach Halt in einer Welt, die mir manchmal wie eine abschüssige Rampe vorkommt, die wir alle entlangstolpern; auch meine Realität ist brüchig, durchzogen von Sorgen, von Verlusten und Herausforderungen. „Ich brauche Trost“, nennt es Gabriele von Arnim. „Ein Gefühl, das mich wärmt, behütet, mich sichert in mir. Weil mich angeht, was mich erschreckt.“4

Nicht selten ergreift mich die blanke Wut beim Lesen der Nachrichten, so sehr, dass ich nachts keinen Schlaf finde oder mitten am Tag in Tränen ausbreche, weil systemischer Machtmissbrauch und Unterdrückungsmechanismen, Kapitalismus und Misogynie, Falschinformationen und Hassreden stets über die guten Meldungen triumphieren wollen. Skandal und Häme stechen Besonnenheit und Sorgfalt öfters aus, als uns allen lieb sein kann und sollte. Und natürlich gehe auch ich dieser Kakophonie des Negativen, des Dunklen immer wieder auf den Leim, auch wenn ich versuche, mich dagegen zu wappnen. Es bedarf Energie und bewusster Suche nach dem Positiven, dem Mutmachenden, dem Schönen.

Mich dem Hellen zuzuwenden, trotzig hoffnungsvoll, ist eine von vielen Formen meines persönlichen Widerstands – und vielleicht sogar dessen Rückgrat. Etwas in mir weigert sich beständig, dem Dunklen das Feld zu überlassen, will sich nicht beugen, nicht klein beigeben in der Vielstimmigkeit des Weltwahnsinns, will Menschen nicht verloren geben. Das heißt nicht, dass ich hell erleuchteten Räumen oder vermeintlich strahlenden Vorbildern bedingungslos vertraue. Eine solche Naivität erlaubt mir mein Alter nicht (mehr). Und ja, natürlich weiß ich, dass es das Licht nicht ohne das Dunkel gibt.

Das erscheint bestechend einfach und ist es doch nicht, denke ich mir, während ich in die Küche gehe, ohne das Licht anknipsen zu müssen. Denn der kurze Weg hierher ist in meinen Körper eingeschrieben, hunderte, vielleicht tausende Male in den letzten Jahren gegangen, die Entfernungen zwischen den Räumen und die Position der Möbel längst eingeprägt. Nur der Bildschirm meines Smartphones, das mich wie fast überallhin begleitet, leuchtet mir bläulich entgegen und präsentiert mir die ersten Schlagzeilen des neuen Tages oder vielleicht die letzten dieser Nacht. Ich blinzle in Richtung der Baustellenlaterne, die den Hinterhof seit einigen Wochen in gleißendes Licht taucht, selbst um diese nachtschlafende Unzeit.

Also auch hier keine wirkliche Dunkelheit, natürlich nicht, in diesem städtischen Ballungsraum. Das Erleben absoluter Dunkelheit ist mittlerweile derart selten, dass es inzwischen sogar touristisch beworbene Orte gibt, an denen es absolut keine menschengemachten Lichtquellen gibt. Solche Dark-Sky-Gebiete und Sternenparks garantieren in Deutschland aktuell einen atemberaubenden Blick gen Himmel, erst vollständige Lichtlosigkeit macht es möglich, die Sterne und manchmal sogar die Milchstraße in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Dass man sich dafür an abgeschiedene Plätze begeben muss, lässt uns schnell vergessen, dass die Elektrifizierung – zumindest in unseren Breitengraden – oft noch nicht einmal 100 Jahre zurückliegt.

Ich setze mich an den Küchentisch, das Licht von draußen wirft einen harten Schlagschatten ins Zimmer. In unseren Breitengraden, das sagt sich so leicht. Doch wir sind nicht das Maß aller Dinge, wir Menschen in Wien, Österreich, Europa, in unserer relativen Sicherheit, in unserem relativen Wohlstand. Kaum eine Ressource ist global paritätisch oder gar gerecht verteilt, Licht, Helles, Hoffnung machen dabei keine Ausnahme. Je länger ich darüber nachdenke, desto unruhiger werde ich, sobald ich tiefer tauche, dorthin, wo das Licht nicht mehr hinreicht, führen mich die Tatsachen unweigerlich zu Themen wie Verteilungsgerechtigkeit, Globalisierung, Kolonialismus, Klassismus. Mir wird klar: Es wird nicht ganz so leicht, über das Helle zu schreiben, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber ich will, und ich muss, und ich fordere, dass alles ans Licht kommt, was sich versteckt, dass wir dort anpacken, wo es schmerzt, dass wir die Scheinwerfer dorthin richten, wo Handlungsbedarf ist.

Ich atme ein, ich atme aus, ein bisschen Zeit bleibt mir, bleibt uns noch, bis sich der Ort, an dem ich leben darf, dank der Erdrotation aus dem Kernschatten der Nacht herausdreht, ein paar Stunden sind es noch bis Sonnenaufgang, bis zur Helligkeit, bis zum Ende der Schatten.

1https://www.derstandard.at/story/2000082079528/wie-lange-ueberlebt-ein-mensch-ohne-schlaf

2https://www.spektrum.de/frage/wie-lange-kann-man-wach-bleiben/1321562

3https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/wiejohann-wolfgang-von-goethe-unsere-welt-verliess-15275980.html

4von Arnim: Der Trost der Schönheit. Rowohlt 2023, S. 10

4 Uhr: Sehen

 

 

Für einen Moment das Licht anzuschalten, kann ein schmerzvoller Prozess sein, besonders dann, wenn die Augen sich von einem Moment auf den anderen auf eine komplett andere Helligkeit einstellen müssen. Ich vergesse das gerne, und so ächze ich beinahe jeden Morgen genervt auf, wenn ich das erste Mal kurz eine Lampe anschalte, weil ich zum Beispiel meine Brille suche, die ich wieder nicht an ihren angestammten Platz gelegt habe, und ich, kurzsichtig wie ich bin, im Dunkeln noch weniger erkenne. Umso irritierender ist es, wie viel dunkler man seine Umgebung wahrnimmt, sobald die Lichtquelle wieder erlischt. Wo vorher zumindest Schemen und leichte Nuancen erkennbar waren, herrscht plötzlich undurchdringliches Schwarz, bis sich die Augen wieder daran gewöhnt haben.

Ich merke, ich will darin einen größeren Zusammenhang sehen, eine größere Tragweite. Wie oft haben wir das Glück, dass uns jemand den Mantel der Selbsttäuschung entreißt? Dass jemand uns mit einem kleinen Halbsatz zum Beispiel unsere Privilegiertheit, unsere Scheinheiligkeit, unsere Verdrängungsmechanismen vor Augen führt? Sie uns wie einen Spiegel vorhält, in dem wir uns selbst bis zur Unkenntlichkeit verstellt scheinen?

Egal, ob die kleine Notlüge dem Partner gegenüber, das unbedacht ausgesprochene und verletzende Vorurteil, das wir gern als Ironie tarnen, oder eine echte Lebenslüge – alles, was dem Dunkel, dem Unwissen, dem Verdrängten entzogen und ans Licht gezerrt wird, tut erst einmal weh. „Genau hinschauen ist nicht immer lustig, aber (…) es ist unvermeidlich (…). Wer als Künstler die Augen zudrückt, ist (…) ganz und gar fehl am Platz.“5, so die Autorin und Fotografin Valerie Fritsch, und ich würde diese Worte in einem Anflug von Radikalität auf uns alle ausweiten wollen, auch mir zur Aufgabe machen. Denn was kann ich von anderen fordern, das ich nicht mir selbst ebenso auferlege?

Natürlich wird auch andersherum ein Schuh daraus – nicht alles, was aus dem Dunklen ins Helle befördert wird, muss per se schlecht sein. Weil wir unsere unschönen Eigenschaften gerne beiseiteschieben, braucht es das Zutun und die Ermutigung anderer, sich auf ungewohnte Art zu exponieren und Seiten an sich und anderen zu entdecken, die einen vielleicht sogar selbst überraschen. Dass andere mit leuchtendem Beispiel vorangehen, kann Signalwirkung haben – man denke nur an den Beginn der deutschlandweiten Demonstrationen, die als Reaktion auf die Recherchen des Journalist:innen-Kollektivs Correctiv zu einem Geheimtreffen rechtsradikaler Vereinigungen entstand. Ausgangspunkt war eine Demonstration am 15. Januar 2024 in Essen, zu der nur etwa 500 Personen erwartet wurden, zu der aber schließlich rund 6700 Menschen kamen. Kurz darauf gingen millionenfach Bürger:innen in zig großen und kleinen Städten gegen die menschenverachtende Politik der AfD, gegen Rechtsradikalismus und Hass auf die Straße.

Wer es eine Nummer kleiner haben möchte: Es muss nicht immer gleich ein Flächenbrand aus einem kleinen Funken werden. Manchmal reicht es schon, wenn im privaten Kreis jemand zum richtigen Zeitpunkt eine Ermutigung ausspricht. Die dazu führt, sich beispielsweise ehrenamtlich zu engagieren, die uns einen neuen Weg einschlagen lässt, die etwas in uns erweckt, dem wir nachgehen wollen. Oder dass wir eben einmal nicht schweigen, wenn die immer gleichen Mechanismen beim Familientreffen greifen; dass wir rassistische oder frauenfeindliche „Witze“ einmal nicht mehr tolerieren. Das mag im ersten Moment unangenehm für alle sein, aber mit ein wenig Offenheit kommt vielleicht sogar eine überraschende Auseinandersetzung in Gang.

Am Anfang war nicht das Licht

Wenn mir Licht also zum Leitgedanken werden soll, will ich wenigstens ein bisschen mehr darüber wissen. Licht, denke ich, Licht, was heißt das, wann sagen wir das, was bedeutet uns Licht? Licht, frage ich also, und das Wörterbuch fragt zurück: Licht oder licht? Bleiben wir beim Substantiv, das zunächst einmal die menschlich wahrnehmbare Intensität der jeweils herrschenden Helligkeit bezeichnet, darüber hinaus auch die Quelle eben dieser Helligkeit, sei es nun eine Kerze oder ein Scheinwerfer, Tageslicht oder Grubenlampen. In der Mehrzahl verwenden wir den Begriff ‚Lichter‘ jedoch im verwandten, aber doch ein wenig anderen Kontext: Die Lichter der Großstadt oder Lichter am Himmel kennzeichnen die Fähigkeit von Leuchtkörpern, über weite Strecken nicht an Strahlkraft zu verlieren; wenn etwas mit Lichtern versehen ist, meint dies gemeinhin, dass Akzente gesetzt wurden, zum Beispiel die Lichtreflexionen durch schimmernde Gegenstände, aber auch im übertragenen Sinn bei der Interpretation einer Komposition durch eine:n Musiker:in und deren individuelle Betonung ausgewählter Passagen. High-Lights, wenn Sie so wollen.

Was womöglich weniger bekannt ist: Berichtet jemand von den Lichtern eines Rehs oder eines Fuchses, so sind damit die Augen eben dieser Wildtiere gemeint. Das erinnert mich daran, dass die alten Griechen davon ausgingen, dass beim Sehen Lichtanteile nicht etwa auf unsere Augen treffen und uns damit erkennen lassen, was vor uns liegt, sondern umgekehrt davon überzeugt waren, dass es unsere Augen sind, die Strahlen aussenden, die unsere Umgebung und Gegenstände abtasten – und uns damit zu klarer Sicht verhelfen, uns Farben erkennen und Dinge identifizieren lassen. Die Wissenschaft hat diesen Irrtum längst aufgedeckt, und das ausgehend vom arabischen Raum, der für einige Jahrhunderte eine Vorreiterrolle im Bereich der Optik eingenommen hat. Zentrale Figur war der als Alhazen bekannte Forscher Abu Ali al-Hasan ibn Al-Haitham, der in einfachen Versuchsanordnungen bewies, dass Licht von Gegenständen abstrahlt und uns erst dieses Phänomen die Welt wahrnehmen lässt. Ebenso formulierte er bereits die Gesetze der Lichtbrechung und -reflexion und baute eine Art Camera obscura, bevor Johannes Kepler diesen Begriff im Jahr 1604 erstmals prägte.

Auch wenn die antike Idee des Augenlichts lange schon widerlegt ist: Mich rührt diese Vorstellung auf seltsame Art, ja, sie scheint mir nicht einmal sehr abwegig. Denn Hand aufs Herz: Vermessen wir nicht immer noch alles um uns herum, gerade auch andere Menschen, erst einmal nach Augenschein, verlassen wir uns nicht auch auf das, was wir sehen, nicht auf das, was wir verifizieren können, schätzen und verschätzen uns tastend bei Entfernungen, Gefahrenpotenzialen und Sympathien?