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Wie wird man reicher, weiser und vor allem glücklicher? Und wer kann darauf eine Antwort geben? Der renommierte Finanzjournalist William Green hat für Über die Kunst, reicher, weiser und glücklicher zu sein Hunderte von Stunden exklusiver Interviews mit mehr als 40 der reichsten Investoren der Welt geführt. Das Ergebnis ist ein einmaliges und gleichsam tiefgründiges Werk, das zeigt, welche Eigenschaften und Fähigkeiten nötig sind, um im Leben erfolgreich zu sein. Die größten Investoren sind Außenseiter und Individualisten, die überlieferte Weisheiten infrage stellen und deren Erfolg in hohem Maße auf ihrer Fähigkeit beruht, rationaler, strenger und objektiver zu denken. Sie sind Meister darin, ihre Chancen auf langfristigen Erfolg an den Märkten und im Leben bewusst zu maximieren und gleichzeitig das Risiko von Katastrophen zu minimieren. Sie ziehen tiefe Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Bereichen, haben ein bemerkenswertes Gespür für Trends, üben sich in asketischer Disziplin und haben eine hohe Toleranz für Schmerzen. Aber sind diese Fähigkeiten übertragbar? Und haben sie uns außer dem Geldverdienen noch etwas beizubringen? Green zeigt, dass die besten Investoren uns nicht nur lehren, wie wir reich werden können, sondern auch, wie wir unsere Fähigkeit verbessern, Entscheidungen zu treffen, Risiken einzuschätzen, kostspielige Fehler zu vermeiden, Widerstandsfähigkeit aufzubauen und Unsicherheit zu unserem Vorteil zu nutzen. Lernen Sie die Denkweise vieler der größten Anlageexperten kennen, von Sir John Templeton bis zu Buffetts Vize Charlie Munger, von ETF-Erfinder Jack Bogle bis zum Mathematik-Professor Ed Thorp, von Will Danoff bis zum indischen Value-Investment-Guru Mohnish Pabrai, von Bill Miller bis Laura Geritz, die in Unternehmen in der ganzen Welt investiert, von Joel Greenblatt, dem Gründer von Gotham Capital, bis hin zu Howard Marks, dessen Shareholder-Letters selbst Warren Buffett nie verpasst. Dieses Buch erklärt, wie sie denken, warum sie erfolgreich sind, und liefert damit wertvolle Erkenntnisse, die Sie nicht nur finanziell, sondern auch beruflich und persönlich bereichern werden.
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Seitenzahl: 606
ÜBER DIE KUNST REICHER, WEISER UND GLÜCKLICHER ZU SEIN
WIE DIE BESTEN INVESTOREN DER WELT AN DER BÖRSE UND PRIVAT ERFOLGREICH SIND
WILLIAM GREEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
1. Auflage 2021
© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Richer, Wiser, Happier« im Verlag Scribner.
Copyright © 2021 by William Green
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Prof. Dr. Fritz Söllner
Redaktion: Petra Sparrer
Korrektorat: Manuela Kahle
Umschlaggestaltung: Catharina Aydemir, in Anlehnung an das originale Cover-Design
Satz: Daniel Förster, Belgern
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-95972-536-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-018-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-019-7
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:
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Für Lauren, Henry, Madeleine und Marilyn
EinführungWie die besten Investoren denken
Kapitel 1Der Mann, der Warren Buffett geklont hat
Kapitel 2Der Wille, seinen eigenen Weg zu gehen
Kapitel 3Alles ist im Wandel
Kapitel 4Der widerstandsfähige Investor
Kapitel 5Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung
Kapitel 6Das große Abenteuer von Nick und Zak
Kapitel 7Nützliche Gewohnheiten
Kapitel 8Seien Sie kein Narr!
EpilogJenseits des Reichtums
Danksagungen
Anmerkungen zu Quellen und weiterführender Literatur
Großes Lob für Über die Kunst, reicher, weiser und glücklicher zu sein
Anmerkungen
Ein Vierteljahrhundert lang habe ich mich intensiv mit dem Geldanlegen beschäftigt. Dabei sah es anfänglich gar nicht danach aus, dass ich dafür eine Leidenschaft entwickeln würde. Ich hatte weder Kurse für Betriebswirtschaft noch für Volkswirtschaft belegt. Ich hatte kein Gefühl für Zahlen und keine Ahnung von den esoterischen Mysterien der Buchführung. Nachdem ich Oxford mit einem Abschluss in Englischer Literatur verlassen hatte, schrieb ich Romanbesprechungen für Zeitschriften und Berichte über Trickbetrüger und Mörder. Ich war ein aufstrebender Schriftsteller, träumte hochfliegend von literarischem Ruhm und hielt die Wall Street schlicht für ein Spielcasino voller gieriger Spekulanten, die nichts als Geld im Kopf hatten. Immer wenn mir die New York Times ins Haus flatterte, warf ich den Wirtschaftsteil weg, ohne ihn auch nur durchgeblättert zu haben.
1995 kam ich dann an etwas Geld, das ich anlegen wollte – die Hälfte des Erlöses aus dem Verkauf eines Apartments, das ich zusammen mit meinem Bruder besessen hatte. Ich begann, viel über Aktien und Anleihen zu lesen, weil ich mein unverhofftes Vermögen unbedingt vergrößern wollte. Dadurch erwachte in mir erneut eine gewisse Neigung zum Glücksspiel, die schon einmal kurz aufgeflammt war, als ich in den 1980er-Jahren als Teenager in England lebte. Mit 15, als ich Schüler in Eton war, schlich ich mich an Sommernachmittagen häufig aus der Schule und verbrachte viele Stunden bei dem örtlichen Buchmacher in der Nähe von Windsor Castle. Dort wettete ich auf Pferde, während meine Klassenkameraden Cricket spielten oder zum Rudern gingen. Eigentlich sollte ich ein vornehmer englischer Gentleman werden, wie Boris Johnson, Prinz William und die anderen Eton-Schüler seit sechs Jahrhunderten. Stattdessen hatte ich ein illegales Wettkonto unter dem Namen Mike Smith.
Nicht die Faszination für diesen Sport oder eine Begeisterung für Pferde war der Grund für mein Interesse an Pferderennen, sondern der Wunsch, reich zu werden ohne zu arbeiten. Ich ging sehr ernsthaft an die Sache heran, machte mir ausführliche Notizen über Pferde und Rennstrecken und verwendete verschiedenfarbige Stifte, um meine Gewinne und Verluste zu markieren. Meinen 16. Geburtstag verdarb ich mir durch einen Streit mit meinen Eltern, die sich geweigert hatten, mir ein Abonnement für Timeform zu kaufen, ein teures Informationssystem zur Rennpferde-Bewertung. Ich war empört, dass sie mir diesen offensichtlichen Weg zu ungeahntem Reichtum versperrten. Kurz danach, nach einer Serie enttäuschender Verluste, gab ich die Pferderennen ein für alle Mal auf.
Als ich ein Jahrzehnt später begann, mich über das Geldanlegen zu informieren, entdeckte ich, dass die Börse ähnlichen Nervenkitzel bot. Allerdings mit wesentlich höheren Erfolgschancen. Aktien erschienen mir als das perfekte Mittel, Geld einfach dadurch zu verdienen, anderen gedanklich etwas voraus zu haben. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was ich tat. Aber ich hatte einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Als Journalist konnte ich meiner neuen Leidenschaft frönen, indem ich viele der besten Geldanleger am Markt interviewte.
Für Forbes, Money, Fortune und Time interviewte ich in den folgenden Jahren die Crème de la Crème der Investorenlegenden und kam dabei immer wieder auf dieselben, grundlegenden Fragen zurück, die mich bis heute faszinieren: Welche Prinzipien, Methoden, Einsichten, Gewohnheiten und Persönlichkeitsmerkmale ermöglichen dieser winzigen Minderheit von Investoren, sich langfristig auf dem Markt zu behaupten und ungeheuer reich zu werden? Und was wichtiger ist: Was können Sie und ich von diesen Ausnahmeerscheinungen lernen und wie können wir nachvollziehen, mit welchen Methoden sie Gewinne erzielen? Um diese Fragen geht es in diesem Buch.
Mich begeisterte, dass viele der Investoren, die ich traf, faszinierende, eigenartige, ja sogar exotische Persönlichkeiten waren. Ich flog auf die Bahamas, um einen Tag mit Sir John Templeton zu verbringen, der in einem karibischen Idyll namens Lyford Cay lebte und als der beste Stock-Picker[1] des 20. Jahrhunderts galt. Nach Houston reiste ich für ein Gespräch mit Fayez Sarofim, einem geheimnisvollen, ägyptischen Milliardär mit dem Spitznamen »die Sphinx«. An den Wänden in seinem Büro hingen Gemälde von El Greco und Willem de Koning und der Fußboden bestand aus einem Mosaik, das aus einer syrischen Kirche des 5. Jahrhunderts stammte. Ich unterhielt mich mit Markt Mobius (dem Kahlkopf), der in den Entwicklungsländern mit einem Privatjet mit vergoldeten Armaturen und Leguanledersitzen herumflog, den er von einem Geschäftsmann aus dem Nahen Osten erworben hatte, dem das Geld ausgegangen war. Ich interviewte Michael Price, der Polo spielte, mehrere hundert Millionen Dollar besaß, Vorstandsvorsitzende terrorisierte, die nur Unterdurchschnittliches leisteten, und an der Wall Street als der »übelste Mistkerl« galt. Ich traf Helmut Friedlaender, der in den 1930er-Jahren aus Deutschland geflohen war und dabei unterwegs nur Halt gemacht hatte, um seine jüngere Schwester mitzunehmen und einen Hut zu kaufen, »weil Gentlemen nicht ohne Hut reisen.« Er trank erlesenen Château Pétrus aus Bordeaux, sammelte wertvolle mittelalterliche Bücher und handelte mit allem – von Terminkontrakten auf Kaffee bis zum Empire State Building. In seinen Neunzigern sagte er mir, er habe »stürmisch gelebt«.
Was ich damals lernte, war unbezahlbar. Jack Bogle, der Erfinder des Indexfonds und Gründer von Vanguard, einer Investmentgesellschaft, die heute 6,2 Billionen Dollar verwaltet, unterhielt sich mit mir über entscheidende Lektionen, die er von seinem Mentor und Helden, einem Pionier der Fondsanlage namens Walter Morgan, gelernt hatte: »Lassen Sie sich niemals zu etwas hinreißen. Gehen Sie nie ein übertriebenes Risiko ein … Achten Sie auf niedrige Kosten.« Und: »Die Masse der Geldanleger liegt immer falsch.« Bogle erklärte mir auch, warum man »kein Genie« sein muss, um als Geldanleger Erfolg zu haben.1
Peter Lynch, der erfolgreichste Manager der Investmentgesellschaft Fidelity, erzählte mir, wie er an die Spitze gelangt war, indem er härter als jeder andere gearbeitet hatte. Er sprach aber auch über die vollkommene Unvorhersehbarkeit der Marktentwicklung und die Notwendigkeit, bescheiden zu sein. »In der Schule bekommen Sie viele Einser und Zweier, an der Börse eine Menge Sechser. Und wenn Sie in sechs oder sieben von zehn Fällen richtig liegen, dann sind Sie schon sehr gut.« Lynch erinnerte sich an seinen ersten Fehlschlag, einen Modehersteller, der mit seinen hochfliegenden Plänen »nur wegen Bonnie und Clyde« gescheitert war. Dieser Film hatte die Damenmode unerwartet verändert und das gesamte Inventar des Unternehmens »entwertet«. Ned Johnson, der Multimilliardär, der Fidelity zu einem Investmentgiganten gemacht hatte, lachte und sagte zu Lynch: »Sie haben alles richtig gemacht, ab und zu geht es eben schief.«
In den chaotischen Tagen nach den Anschlägen vom 11. September 2002, als die Finanzmärkte ihre schlimmste Woche seit der Weltwirtschaftskrise erlebten, flog ich nach Baltimore, um Bill Miller zu besuchen, der in einer bisher nie dagewesenen Glückssträhne den S&P-500-Index 15 Jahre lang ohne Unterbrechung geschlagen hatte. Wir verbrachten ein paar Tage zusammen und reisten in seinem Privatjet, den er sich zum Teil deswegen gekauft hatte, damit sein zentnerschwerer Irischer Wolfshund mit ihm fliegen konnte. Die Wirtschaft taumelte, ein Krieg in Afghanistan zeichnete sich ab und sein Investmentfonds war seit dem Höchststand um 40 Prozent eingebrochen. Aber Miller blieb entspannt und setzte gelassen Hunderte von Millionen Dollar auf am Boden liegende Aktien, die in der Folge stark ansteigen sollten.
Eines Morgens stand ich neben ihm, als er in seinem Büro anrief und sich nach dem Stand der Dinge erkundigte. Der Aktienanalyst am anderen Ende der Leitung teilte ihm mit, dass AES, ein Unternehmen, dessen Papiere Miller gerade erst gekauft hatte, schreckliche Umsatzzahlen veröffentlicht hatte. Der Aktienkurs halbierte sich, was Miller noch vor dem Mittagessen 50 Millionen Dollar Verlust einbrachte. Er verdoppelte sein Investment umgehend und setzte darauf, dass irrationale Investoren auf die schlechten Nachrichten überreagiert hatten. Wie er mir erklärte, besteht Geldanlegen darin, seine Chancen immer wieder neu zu berechnen: »Es geht nur um Wahrscheinlichkeiten. Es gibt keine Sicherheit.«2
Und dann gab es da noch Bill Ruane, einen der erfolgreichsten Stock-Picker seiner Generation. Als Warren Buffett 1969 aus der Investmentgesellschaft, in er damals Teilhaber war, ausstieg, empfahl er Ruane als seinen Nachfolger. Bis zu seinem Tod im Jahr 2005 erzielte Ruanes Sequoia-Fonds erstaunliche Gewinne. Er gab praktisch nie Interviews, aber wir sprachen einmal länger über die vier Grundprinzipien des Geldanlegens, die er in den 1950er-Jahren von einem Starinvestor namens Albert Hettinger gelernt hatte. »Diese einfachen Regeln waren enorm wichtig für mich«, sagte Ruane. »Sie bildeten seither die Grundlage für den Großteil meiner Anlagephilosophie … Und sie sind das Beste, was ich den Leuten raten kann.«
Erste Regel, so warnte Ruane: »Nehmen Sie keine Kredite auf, um Aktien zu kaufen.« Er erinnerte sich an ein frühes Erlebnis, als er, um die Hebelwirkung von Krediten ausnutzen, »600 Dollar borgte und sie um ein Vielfaches vermehrte.« Dann »brach der Markt ein« und es erwischte ihn so schlimm, dass er alles verkaufen musste und »fast wieder ganz am Anfang stand.« Seine erste Lehre daraus: »Geliehenes Geld anzulegen, ist unvernünftig.« Sein zweiter Grundsatz: »Auf die Kräfte achten, die die Märkte antreiben.« Das heißt, extrem vorsichtig vorzugehen, »wenn Sie sehen, dass die Märkte verrücktspielen,« entweder weil die Herde der Anleger in Panik gerät oder weil sie die Kurse auf Höhen treibt, die nicht gerechtfertigt sind. Drittens sollten Sie Prognosen zur Marktentwicklung vergessen: »Ich bin überzeugt, dass niemand weiß, wie der Markt sich entwickeln wird … Es kommt darauf an, eine vielversprechende Geschäftsidee zu erkennen und in ein Unternehmen zu investieren, das billig ist.«
Für Ruane war die vierte Regel die wichtigste von allen: Investieren Sie in eine kleine Anzahl von Aktien, mit denen Sie sich so intensiv beschäftigt haben, dass Sie einen Informationsvorsprung haben. »Ich versuche, so viel wie ich kann über sieben oder acht gute Geschäftsideen zu lernen«, sagte er. »Und wenn man dann wirklich ein Unternehmen findet, das sehr billig ist, warum sollte man dann nicht 15 Prozent seines Geldes darin investieren?« Für durchschnittliche Geldanleger gibt es aber sicherere Wege zum Erfolg. »Für die meisten Leute ist ein Indexfonds die beste Lösung«, stellte Ruane fest. Aber Anleger, die den Markt schlagen wollten, sollten sich seiner Meinung nach auf wenige Aktien konzentrieren. »Ich kenne niemanden, der in viele Aktien investiert und wirklich Erfolg damit hat – außer Peter Lynch.«
Als wir 2001 miteinander sprachen, sagte mir Ruane, dass 35 Prozent des Vermögens von Sequoia in einer einzigen Aktie angelegt waren: Berkshire Hathaway. Dieses Unternehmen war während der Dotcom-Manie aus der Mode geraten und Buffett, der Präsident und Vorstandsvorsitzende, geriet in den Verruf, kein gutes Händchen mehr zu haben. Ruane sah, was andere nicht erkannten: »ein wunderbares Unternehmen«, das großartige Wachstumsaussichten hatte und vom »klügsten Mann des Landes« geleitet wurde.
Ich begann zu verstehen, dass die besten Investoren intellektuelle Außenseiter sind. Sie haben keine Angst davor, althergebrachte Weisheiten in Frage zu stellen und anders zu handeln. Sie profitieren von den Irrtümern und Fehlern von Leuten, die weniger rational, folgerichtig und leidenschaftslos denken als sie. Einer der besten Gründe, sich mit den Investoren zu beschäftigen, die in diesem Buch vorgestellt werden: Man kann auf diese Weise nicht nur lernen, wie man reich wird, sondern auch besser zu denken und zu entscheiden.
Die Gewinne, die man durch intelligentes und erfolgreiches Geldanlegen erzielen kann, sind so extrem hoch, dass sich viele brillante Menschen davon angezogen fühlen. Aber der Preis, den man zu zahlen hat, wenn man falsch liegt, ist auch extrem hoch – was bei Professoren, Politikern oder anderen Spezialisten selten so ist. Die Einsätze, um die es geht, erklären vielleicht, warum die besten Investoren in der Regel vorurteilslose Pragmatiker sind, die sich unablässig bemühen, ihre Denk- und Entscheidungsprozesse zu verbessern.
Diese Einstellung verkörpert Buffetts Partner Charlie Munger, der geradezu beängstigend klug ist. Er stellte einmal fest: »Ich überlege mir, was funktioniert und was nicht und warum das so ist.« Munger, eine der Hauptpersonen dieses Buchs, hat sich bei seinen Bemühungen um bessere Entscheidungen in vielen Bereichen umgesehen und sich Analyseinstrumente aus so verschiedenen Disziplinen wie der Mathematik, der Biologie und der Verhaltenspsychologie angeeignet. Zu seinen Vorbildern gehören Charles Darwin, Albert Einstein, Benjamin Franklin und Carl Gustav Jacobi, ein Mathematiker des 19. Jahrhunderts. »Ich habe viel von vielen toten Leuten gelernt«, erzählte mir Munger. »Mir war immer klar, dass es eine Menge toter Menschen gibt, die ich näher kennenlernen sollte.«
Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass die besten Investoren so etwas wie eigenwillige, praktische Philosophen sind. Sie versuchen nicht, die abstrusen Rätsel zu lösen, die viele tatsächliche Philosophen fesseln, wie etwa: »Existiert dieser Stuhl wirklich?« Stattdessen suchen sie nach dem, was der Ökonom John Maynard Keynes »Weltweisheit« genannt hat, mit der sie dann drängenderen Problemen auf den Leib rücken. Zum Beispiel: »Wie kann ich kluge Entscheidungen über die Zukunft treffen, wenn die Zukunft nicht bekannt ist?« Sie suchen bei der Lösung solcher Probleme nach Unterstützung, wo immer sie sie finden können: Wirtschaftsgeschichte, Neurowissenschaft, Literatur, Stoizismus, Buddhismus, Sport, Verhaltenswissenschaft, Meditation oder sonst irgendetwas, das hilfreich sein kann. Ihr unbedingter Wille, herauszufinden, »was funktioniert«, macht sie zu wichtigen Vorbildern für unsere eigenen Bemühungen um Erfolg, nicht nur an der Börse, sondern in allen Lebensbereichen.
Man kann sich die fähigsten Investoren auch als meisterhafte Spieler vorstellen. Es ist kein Zufall, dass viele Spitzenfinanzmanager Karten spielen – zum Vergnügen und wegen des Gewinns. Templeton finanzierte seinen Collegebesuch während der Weltwirtschaftskrise teilweise mit seinen Pokergewinnen. Buffett und Munger sind leidenschaftliche Bridgespieler. Mario Gabelli, ein Milliardär und Investmentmagnat, erzählte mir, wie er damals, als er ein armer Junge aus der Bronx war und als Träger von Golfschlägern in einem vornehmen Golfclub arbeitete, zwischen den Spielrunden Geld beim Kartenspielen verdiente. »Ich war damals elf oder zwölf«, erinnerte er sich, »und alle dachten, sie könnten gegen mich gewinnen.« Lynch, der in der Schule, im College und in der Armee Poker gespielt hatte, sagte mir. »Zu lernen, wie man Poker oder Bridge spielt, oder irgendetwas anderes, das einem hilft, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen und seine Entscheidungen entsprechend zu treffen … ist besser, als all die Bücher zu lesen, die es über den Aktienmarkt gibt.«
Meiner Erkenntnis nach ist es hilfreich, das Geldanlegen und das Leben als Spiele anzusehen, bei denen man bewusst und systematisch seine Erfolgsaussichten maximieren muss. Die Regeln sind nicht genau greifbar und das Ergebnis ist unsicher. Aber es gibt gute und schlechte Arten, diese Spiele zu spielen. Damon Runyon, der vernarrt in Glücksspiele war, schrieb einmal: »Das ganze Leben ist ein Glücksspiel, bei dem die Chancen sechs zu fünf gegen uns stehen.«[2] Das mag stimmen. Aber mich fasziniert, dass Templeton, Bogle, Ruane, Buffett, Munger, Miller und die anderen Giganten, mit denen wir uns in den folgenden Kapiteln beschäftigen, kluge Wege gefunden haben, die Chancen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Und mein Ziel ist es, Ihnen zu zeigen, wie sie das gemacht haben.
Schauen wir uns beispielsweise Ed Thorp an, den wahrscheinlich besten Spieler in der Geschichte des Geldanlegens. Bevor er Hedgefonds-Manager wurde, hatte er sich in Spielerkreisen einen unsterblichen Ruf erworben, indem er sich ein raffiniertes System ausdachte, mit dem man das Casino beim Blackjack schlagen konnte. Wie Thorp mir während eines dreistündigen Frühstücks mit Eiern Benedikt und Cappuccino darlegte, weigerte er sich, die »konventionelle Meinung« zu akzeptieren, es sei mathematisch unmöglich, beim Blackjack einen Vorteil gegenüber dem Kartengeber zu haben. Thorp, der »Vater des Kartenzählens«, verschaffte sich diesen Vorteil, in dem er die Änderung der Wahrscheinlichkeiten berechnete, die sich ergaben, wenn bestimmte Karten »aus dem Pack verschwunden« und »nicht länger verfügbar« waren. Zum Beispiel bot ihm ein Kartenpack mit Assen bessere Chancen als ein Pack ohne Asse. Wenn die Chancen für ihn besser aussahen, setzte er mehr ein, wenn das Casino bessere Chancen hatte, setzte er weniger ein. Langfristig wirkte sich sein kleiner Vorteil enorm zu seinen Gunsten aus. Auf diese Weise machte er ein Glücksspiel, bei dem man nur verlieren konnte, zu einem einträglichen »Mathematikspiel«.
Bei seinem nächsten Coup überlegte sich Thorp, wie man das Casino beim Roulette schlagen konnte. Er und sein Partner Claude Shannon bauten den ersten tragbaren Computer, den Thorp heimlich mit seinem großen Zeh in seinem Schuh einschalten konnte. Dieser Computer, der die Größe einer Zigarettenschachtel hatte, ermöglichte ihm, »die Position und die Geschwindigkeit der Kugel und des Rouletterads sehr genau zu messen«, sodass er vorhersagen konnte, wo die Kugel wahrscheinlich landen würde. Jahrhundertelang war Roulette ein Spiel für Einfältige gewesen, bei dem die Spieler nie im Vorteil sein konnten, weil die Kugel immer mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in jedem der 38 Zahlenfächer landen kann. »Aber mit etwas mehr Messung und etwas mehr Wissen, können wir die Wahrscheinlichkeit, was passieren wird, ein bisschen besser einschätzen … So gelang es uns, ein reines Glücksspiel zu einem Spiel zu machen, bei dem wir einen kleinen Vorteil hatten. Und dieser Vorteil ergab sich aus unseren zusätzlichen Informationen.«
Wenn Sie nicht gerade ein Casinobesitzer sind, dann wird diese subversive Gabe von Thorp auf Sie unwiderstehlich wirken. Es war nie das Geld allein, das ihn bewegte, sondern vor allem die Freude an der Lösung »interessanter Probleme«, die alle Experten für unlösbar hielten. »Für mich spielt es keine besondere Rolle, wenn viele Leute etwas behaupten«, sagte Thorp. »Es gilt, unabhängig zu denken, vor allem, wenn es um etwas Wichtiges geht, und zu versuchen, selbst eine Lösung zu finden. Es geht darum, sich die Fakten anzuschauen und konventionellen Meinungen auf den Grund zu gehen.«
Thorps Erlebnisse zeigen: Wenn man seinen finanziellen Erfolg steigern will, kommt es entscheidend darauf an, Spiele zu vermeiden, bei denen man im Nachteil ist. »Glücksspiele spiele ich nicht, wenn ich nicht im Vorteil bin«, sagte Thorp. Alle anderen, die diesen Grundsatz auch anwenden wollen, tun gut daran, sich der Realität so illusionslos wie möglich zu stellen. Thorp: Wenn ich zum Beispiel von Technologie wenig Ahnung habe und auch nicht über die finanzwirtschaftlichen Grundkenntnisse verfüge, die notwendig sind, um ein Unternehmen zu bewerten, dann sollte ich der Versuchung widerstehen, selbst Einzelaktien für mich auszuwählen. Andernfalls wäre ich wie der Trottel am Roulettetisch, der hofft, dass ihm das Schicksal trotz seiner Illusionen hold ist. Wie Jeffrey Gundlach, ein kühl kalkulierender Milliardär, der ungefähr 140 Milliarden Dollar an Anleihen verwaltet, zu mir sagte: »Hoffnung ist keine Methode.«
Ein anderer häufiger Fehler, der die Chancen zu Lasten vieler argloser Geldanleger beeinflusst, besteht darin, fürstliche Honorare an mittelmäßige Fondsmanager, Aktienhändler und Finanzberater zu zahlen, deren Leistungen diese Ausgaben nicht rechtfertigen. »Wenn man laufend Gebühren, Handelsprovisionen, Beraterhonorare und andere Arten von Kosten zahlt, dann schwimmt man gegen den Strom«, sagte Thorp. »Wenn man all das nicht bezahlt, schwimmt man mit dem Strom.« Eine auf der Hand liegende Methode, mit der durchschnittliche Geldanleger ihre Chancen auf langfristige Erfolge erhöhen können, besteht darin, Indexfonds zu kaufen und zu halten, die nur minimale Gebühren berechnen. »Man braucht sich nicht weiter darum zu kümmern und schneidet trotzdem besser ab als vielleicht 80 Prozent aller Leute, die dies nicht tun.« Ein Index wie der S&P 500 wird laut Thorp »wahrscheinlich« langfristig ansteigen, angetrieben »vom Wachstum der amerikanischen Wirtschaft.« Deswegen hat man, anders als Spieler in einem Casino, »einen automatischen Vorteil«, nur weil man sich zu minimalen Kosten an der Aufwärtsbewegung des Markts beteiligt.
Thorps Hedgefonds schlug indessen die Marktindizes zwei Jahrzehnte lang ohne ein einziges Quartal mit Verlusten, weil er sich auf wenig bekannte Anlagemöglichkeiten konzentrierte, die »nicht richtig verstanden worden waren.« Zum Beispiel konnte er wegen seiner ausgewöhnlichen mathematischen Fähigkeiten Optionsscheine, Optionen und Wandelanleihen mit konkurrenzloser Präzision bewerten. Andere Hauptpersonen dieses Buchs wie Howard Marks und Joel Greenblatt verschafften sich ähnliche Vorteile, indem sie sich auf unbeliebte oder vernachlässigte Nischen der Finanzmärkte spezialisierten. Wie wir sehen werden, gibt es viele Möglichkeiten, Gewinne zu machen, aber bei allen muss man auf irgendeine Weise im Vorteil sein. Als ich Thorp fragte, wie ich wissen könne, ob ich im Vorteil sei, gab er mir diese ernüchternde Antwort: »Wenn es keine rationalen Gründe gibt, zu glauben man sei im Vorteil, ist man es wahrscheinlich auch nicht.«
Als ich vor 25 Jahren meine Anlegerlaufbahn begann, sehnte ich mich danach, finanziell unabhängig und niemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Die besten Investoren hatten das Geheimnis zum Erfolg enträtselt, was mir damals fast wie ein Wunder vorkam. Aber heute habe ich erkannt, dass es in vieler Hinsicht eine wertvolle Hilfe sein kann zu verstehen, wie diese Menschen denken und warum sie Erfolg haben – in finanzieller, beruflicher und persönlicher Hinsicht.
Als ich zum Beispiel Thorp fragte, wie ich meine Chancen auf ein glückliches und erfolgreiches Leben maximieren könne, erläuterte er mir seinen persönlichen Ansatz mit Ausführungen über Gesundheit und Fitness. Thorp, der 84 war, aber 20 Jahre jünger aussah, stellte fest: »Ihnen sind bestimmte genetische Karten zugeteilt worden … Das kann man als Zufall ansehen. Aber es liegt bei Ihnen, wie Sie diese Karten ausspielen.« Dazu gehört die Entscheidung, auf Tabak zu verzichten, sich jährlich medizinisch durchchecken zu lassen, seine Impfungen regelmäßig auffrischen zu lassen und Sport zu treiben. In seinen Dreißigern war Thorp »in einem schrecklichen Zustand« und bekam kaum noch Luft, wenn er auch nur 400 Meter gejoggt war. Deswegen begann er, regelmäßig zu laufen, zuerst jeden Samstag 1600 Meter, dann steigerte er sich allmählich solange, bis er 21 Marathons gelaufen war. Er hat immer noch zweimal pro Woche einen Termin mit seinem persönlichen Fitnesstrainer und geht viermal wöchentlich fünf Kilometer spazieren. Aber als ihm einmal jemand vorschlug, mit dem Fahrradfahren zu beginnen, schaute er sich die Zahl »der Todesfälle pro hundert Millionen Fahrradkilometer« an und »entschied, dass das Risiko zu hoch war.«
Als ich im Juni 2020 wieder mit ihm sprach, war die Welt fest im Griff einer Pandemie, die damals schon mehr als 100 000 Amerikanern das Leben gekostet hatte. Thorp erklärte mir, wie er die Sterblichkeitsraten weltweit analysiert und dabei besonders auf »ungeklärte Todesfälle« geachtet hatte, die das Virus wahrscheinlich verursacht hatte. Er berichtete, er habe Schlussfolgerungen aus der Grippeepidemie von 1918 gezogen, bei der sein Großvater starb, er habe die »tatsächliche Sterblichkeitsrate« geschätzt und Anfang Februar, noch bevor in den Vereinigten Staaten ein Todesfall verzeichnet worden war, vorhergesagt, dass das Coronavirus unser Land im Laufe der nächsten zwölf Monate 200 000 bis 500 000 Leben kosten würde.
Thorps methodische Vorgehensweise ermöglichte seiner Familie, rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen, als erst wenige Amerikaner – und am wenigsten unsere Regierung – das Ausmaß der Bedrohung erkannt hatten. »Wir legten vorsichtshalber Vorräte aller Art an, einschließlich Masken«, sagte er. »Ungefähr einen Monat später erwachten die Leute und begannen, die Läden leer zu räumen.« Drei Wochen bevor die Regierung den nationalen Notstand erklärte, begab sich Thorp in seinem Haus in Laguna Beach selbst in Quarantäne und »traf sich mit niemandem mehr« außer seiner Frau. »Es ist sinnlos, Angst zu haben«, sagte er mir. Aber er verstand die Risiken und handelte entschlossen, um seine Überlebenschancen zu verbessern. Thorp ist wahrscheinlich der Einzige, den ich je getroffen habe, der tatsächlich seine eigene »Sterbewahrscheinlichkeit« berechnet hat.[3]
Diese Gewohnheit – nämlich leidenschaftslos über Fakten, Zahlen und Wahrscheinlichkeiten nachzudenken, sorgfältig zwischen Risiken und Chancen abzuwägen und vor allem und auf jeden Fall Katastrophen zu vermeiden – erklärt zum Großteil, warum die geschicktesten Investoren lange und gut leben. Thorps Ansicht nach sollten alle Aspekte unseres Verhaltens von »grundsätzlicher Rationalität« geleitet sein. Er weiß zum Beispiel, dass er wahrscheinlicher eine schlechte Entscheidung trifft, wenn er in einem »emotionalen Zustand« ist. Wenn er also »gereizt oder wütend auf jemanden ist«, dann tritt er einen Schritt zurück und fragt sich: »Was weiß ich eigentlich genau? Ist mein Gefühl gerechtfertigt oder nicht?« Eine solche, gelassene Analyse zeigt ihm oft, dass seine negative Reaktion ungerechtfertigt war. »Wir ziehen oft voreilige Schlüsse, auch wenn wir das nicht sollten«, stellte er fest. »Sich mit Urteilen und Schlüssen zurückzuhalten ist deshalb ein wesentliches Element rationalen Verhaltens.«3
All das lässt mich glauben, dass die wahren Titanen der Finanzwelt uns dabei helfen können, reicher, weiser und glücklicher zu werden. Ich möchte Ihnen zeigen, wie sie sowohl an der Börse als auch im Leben Erfolg haben, indem sie unendlich viele Möglichkeiten finden, ihre Erfolgschancen zu optimieren.
Immer zu versuchen, seine Chancen bestmöglich auszunutzen, ist eine außergewöhnlich effektive Verhaltensweise und sie zeigt sich in allem, was sie tun – wie sie sich ihre Zeit einteilen, wie sie sich eine ruhige Umgebung schaffen, in der sie nachdenken können, mit wem sie Zeit verbringen und von wem sie sich fernhalten, wie sie aus Fehlern lernen und vermeiden, diese zu wiederholen, wie sie mit Stress und Missgeschick umgehen, wie sie über Ehrlichkeit und Anstand denken, wie sie Geld ausgeben und verschenken und wie sie versuchen, ein Leben zu führen, das auch jenseits des Geldverdienens Bedeutung und Sinn hat.
Mein Buch ist auf der Basis der wichtigsten Interviews entstanden, die ich in der Vergangenheit mit vielen der weltbesten Investoren geführt habe. Aber ich habe auch Hunderte Stunden damit verbracht, mehr als 40 Investoren gezielt für dieses Buch zu interviewen – überall, von Los Angeles bis London, von Omaha bis Mumbai. Zusammen haben die Personen, denen Sie gleich begegnen werden, Billionen von Dollars im Auftrag von Millionen von Menschen verwaltet. Ich hoffe sehr, dass das Beispiel dieser außergewöhnlichen Investoren Ihr Leben erleuchten und bereichern wird. Ich würde darauf wetten.
Ein Mann von Klugheit wird immer Wege einschlagen, die von bedeutenden Männern begangen wurden, und immer die trefflichsten Vorbilder wählen, damit seine Tüchtigkeit, auch wenn sie nicht hinreicht, doch dadurch einigen Glanz erhält.
Niccolò Machiavelli, Der Fürst
Ich glaube an den Grundsatz, sich das Beste anzueignen, was sich andere Leute ausgedacht haben. Ich glaube nämlich nicht, dass man sich einfach hinsetzen und versuchen kann, selbst alles herauszufinden. Niemand ist so intelligent.
Charlie Munger
7 Uhr morgens am ersten Weihnachtsfeiertag. Mohnish Pabrai steigt in einen Minivan in Mumbai, während die Sonne am dunstigen Himmel aufgeht. Wir fahren stundenlang die Westküste Indiens entlang durch das Unionsterritorium Dadra und Nagar Haveli. Ab und zu vollführt unser Fahrer waghalsige Manöver und quetscht sich zwischen Bussen und Lastwagen hindurch. Von allen Seiten hupt es und ich schließe mit angstverzerrtem Gesicht die Augen. Pabrai, der in Indien aufwuchs, bevor er zum Studieren in die USA ging, lächelt gelassen. Gefahren begegnet er stets mit Ruhe. Immerhin räumt er ein: »In Indien ist die Unfallrate hoch.«
Es war eine interessante Fahrt, auf der ich Erstaunliches sah. An einer Stelle fuhren wir an einem untersetzten Mann vorbei, der am Straßenrand Ziegelsteine auf den Kopf einer dünnen Frau stapelte, damit diese sie tragen konnte. Weiter im Landesinneren sahen wir mit Gras gedeckte, niedrige Hütten, die einem früheren Jahrtausend anzugehören schienen. Schließlich erreichten wir unser Ziel, eine ländliche Schule namens JNV Silvassa.
Pabrai, einer der bedeutendsten Investoren seiner Generation, war von seinem Zuhause in Irvine, Kalifornien, hierher gereist, um 40 Teenagerinnen zu besuchen. Sie nahmen an einem Programm seiner wohltätigen Stiftung Dakshana teil, die sich um die Ausbildung begabter Kinder aus benachteiligten Familien in ganz Indien kümmert. Dakshana finanziert für diese Mädchen zwei Schuljahre, um sie auf die berüchtigte, schwere Aufnahmeprüfung der Indian Institutes of Technology (IIT) vorzubereiten. Die Absolventen dieser elitären Ingenieurshochschulen sind bei Unternehmen wie Microsoft oder Google hochbegehrt.
Mehr als zwei Millionen Schüler im Jahr bewerben sich bei den IIT, aber weniger als 2 Prozent werden angenommen. Aber Dakshana hat den Zugangscode entschlüsselt. Innerhalb von zwölf Jahren haben 2146 Dakshana-Schüler einen Studienplatz bei den IIT erhalten, was einer Akzeptanzrate von 62 Prozent entspricht. Pabrai sieht Dakshana (das Wort aus dem Sanskrit bedeutet »Talent«) als einen Weg, den am stärksten benachteiligten Gruppen der indischen Gesellschaft zu helfen. Die meisten Dakshana-Schüler kommen aus ländlichen Familien, die mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssen. Viele gehören zu den niedrigeren Kasten, darunter die »Unberührbaren«, die seit Jahrhunderten unter Diskriminierung leiden.1
Jedes Mal, wenn Pabrai ein Klassenzimmer von Dakshana betritt, bricht er das Eis, indem er dieselbe mathematische Aufgabe stellt. Jeder, der diese Aufgabe gelöst hat, hat danach einen Studienplatz an den IIT bekommen und somit erscheint ihm dies ein guter Weg abzuschätzen, wie talentiert die Schüler einer Klasse sind. Die Aufgabe ist so schwer, dass sie fast niemand löst und Pabrai glaubte nicht, dass eine der Schülerinnen in Silvassa ihr gewachsen sein würde. Dennoch schrieb er die Aufgabe mit Kreide an die Tafel des Klassenzimmers: n sei eine Primzahl ≥ 5. Beweise, dass n2-1 immer durch 24 teilbar ist. Dann lehnte er sich in einem wackeligen Plastikstuhl zurück, während die Mädchen versuchten, die Antwort zu finden.[4] Ich fragte mich, was sie wohl von diesem extravaganten, legendären Mann dachten, einem großen, stämmigen, kahl werdenden Geschäftsmann mit üppigem Schnurrbart, bekleidet mit einem Dakshana-Sweatshirt und rosa Jeans.
Nach zehn Minuten fragte Pabrai: »Hat jemand eine Lösung?« Ein 15-jähriges Mädchen namens Alisa antwortete: »Ja, aber es ist nur eine Vermutung.« Ihre Zurückhaltung wirkte nicht sehr überzeugend, aber Pabrai bat sie, nach vorne zu kommen und ihm ihre Lösung zu zeigen. Sie gab ihm ein weißes Blatt Papier und stand bescheiden mit gesenktem Kopf vor ihm, während sie auf sein Urteil wartete. An der Wand über ihr hing ein Plakat, auf dem in amüsant verdrehtem Englisch geschrieben stand: So lange du an dich selbst glaubst, kann dich nichts in die Irre leiten.
»Sie ist korrekt«, sagte Pabrai. Er schüttelte Alisa die Hand und bat sie, der Klasse ihre Lösung zu präsentieren. Später erzählte er mir, sie sei das Problem so elegant angegangen, dass sie bei der IIT-Aufnahmeprüfung unter die besten 200 kommen könnte. Pabrai sagte ihr, dass sie »ganz sicher« aufgenommen werden würde. »Du musst nur weiter hart arbeiten.« Ich erfuhr später, dass Alisa aus dem Distrikt Ganjam im Bundesstaat Odisha stammte, einem der ärmsten Indiens, und in eine Kaste hineingeboren worden war, die von der Regierung »sonstige rückständige Gruppen« genannt wird. In ihrer alten Schule war sie von 80 Schülern die Beste gewesen.
Pabrai bat Alisa, sich mit ihm fotografieren zu lassen. »Du wirst mich vergessen«, scherzte er. »Aber dann kann ich dir sagen: Hier ist unser Bild!« Die Mädchen lachten vor Freude, aber ich konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Wir hatten etwas Wunderbares miterlebt: Ein der Armut entrissenes Kind hatte gerade bewiesen, dass sie Grips genug hat, sich und ihrer Familie zu Wohlstand zu verhelfen. Angesichts der Umgebung, in der sie aufgewachsen war und ihrer geringen Chancen war das beinahe ein Wunder.
Später an diesem Morgen bestürmten die Schülerinnen Pabrai mit Fragen. Schließlich fasste sich eine ein Herz und fragte, was wahrscheinlich jeder wissen möchte: »Wie haben Sie es geschafft, so viel Geld zu verdienen?«
Pabrai lachte und antwortete: »Ich mache Geld mit dem Zinseszinseffekt.«
Er überlegte, wie er das erklären sollte und sagte dann: »Ich habe ein großes Vorbild. Warren Buffett. Wer hat diesen Namen schon einmal gehört?« Niemand meldete sich. Verständnislose Gesichter. Deshalb erzählte Pabrai den Schülerinnen von seiner 18-jährigen Tochter Momachi und wie sie nach dem Schulabschluss mit einem Sommerjob 4800 Dollar verdient hat. Pabrai hat das Geld für sie auf einem Rentenkonto angelegt. Er bat die Schülerinnen auszurechnen, was mit diesem kleinen Kapital passieren würde, wenn es in den nächsten 60 Jahren um 15 Prozent pro Jahr wachsen würde. »Es verdoppelt sich alle fünf Jahre. Das ergibt zwölf Verdoppelungen«, sagte er. »Im Leben dreht sich alles um Verdopplungen.«
Nach einer Minute hatten die Schülerinnen ausgerechnet: In sechs Jahrzehnten, wenn Momachi 78 Jahre alt ist, sind ihre 4800 Dollar mehr als 21 Millionen Dollar wert. Im Klassenzimmer herrschte große Verwunderung über das fantastische Ausmaß dieses mathematischen Zusammenhangs. »Werdet Ihr den Zinseszinseffekt wieder vergessen?«, fragte Pabrai. Und 40 arme Teenagerinnen aus dem ländlichen Indien riefen mit einer Stimme: »Niemals!«
Vor nicht allzu langer Zeit hatte auch Mohnish Pabrai noch nichts von Warren Buffett gehört. Er ist in bescheidenen Verhältnissen in Indien aufgewachsen und wusste nichts über Geldanlagen, Wall Street oder die Großfinanz. Er wurde 1964 in Bombay (dem heutigen Mumbai) geboren, wo seine Eltern in einem Vorort für 20 Dollar im Monat eine winzige Wohnung gemietet hatten. Sie zogen später nach Neu-Delhi und Dubai.
In Pabrais Familie gab es viele außergewöhnliche Charaktere. Pabrais Großvater war ein berühmter Zauberer, der unter dem Namen Gogi Pasha durch die Welt reiste und sich als geheimnisvoller Ägypter ausgab. Als Kind trat Pabrai zusammen mit ihm auf. Seine Aufgabe war es, ein Ei in der Hand zu halten. Pabrais Vater, Om Pabrai, war ein Unternehmer, der die seltene Fähigkeit besaß, Unternehmen zu gründen, die Bankrott machten. Neben vielen anderen Projekten besaß er eine Schmuckfabrik, gründete einen Radiosender und hatte einen Versandhandel für Zauberkästen. Wie sein Sohn war er ein unverbesserlicher Optimist. Aber seine Unternehmen waren gefährlich unterkapitalisiert und zu stark fremdfinanziert.
»Ich erlebte, wie meine Eltern mehrmals alles verloren«, sagte Pabrai. »Und wenn ich sage ›alles‹, dann meine ich, dass sie nicht genug Geld hatten, das Essen für den nächsten Tag zu kaufen und die Miete zu bezahlen … Ich will das niemals mehr durchmachen müssen, aber ich sah, dass es ihnen nichts ausmachte. Tatsächlich besteht die wichtigste Lektion, die ich von ihnen gelernt habe, darin, dass sie sich nie unterkriegen ließen. Mein Vater sagte immer: ›Man könnte mich nackt auf einem Felsen aussetzen und ich würde sofort ein neues Geschäft aufmachen.‹«
Als Kind war Pabrai ein schlechter Schüler. In einer Klasse mit 65 Schülern war er einmal der 62., und er litt unter einem geringen Selbstbewusstsein. In der 9. Klasse machte man mit ihm einen Intelligenztest, der sein Leben veränderte. »Ich ging zu dem Mann, der den Test durchgeführt hatte und fragte ihn nach dem Ergebnis? Er sagte, ›Dein IQ ist mindestens 180. Du gibst Dir einfach keine Mühe.‹ Es war, wie wenn jemand einem Pferd die Peitsche gegeben hätte und es losgaloppierte. Das war mein großer Wendepunkt. Man muss den Menschen sagen, dass etwas in ihnen steckt.«
Nach der Schule ging Pabrai auf die Clemson Universität in South Carolina. Dort entdeckte er den Aktienmarkt. Er belegte einen Investmentkurs und hatte bis zum Examen immer Spitzennoten. Sein Professor versuchte, ihn zu überzeugen, sein Hauptfach zu wechseln und statt Computertechnik Finanzen zu studieren. »Ich schlug seinen Rat in den Wind. Damals hielt ich all diese Finanzheinis für Deppen, die keine Ahnung haben. Und dieser kinderleichte Investmentkurs, den ich besuchte und der zehn Mal leichter war als mein Kurs in technischer Mechanik … Warum sollte ich dasselbe Fach wie diese Verlierer wählen?«
Nach dem Studium begann Pabrai, bei Tellabs zu arbeiten. 1990 gründete er die Technologieberatungsgesellschaft TransTech, die er mit 70 000 Dollar an Kreditkartenschulden und 30 000 Dollar von seinem 401(k)-Konto finanzierte.[5] Für die meisten Leute wäre dieses Risiko zu hoch gewesen, aber er war schon immer eine Spielernatur. In der Tat haben wir einmal einen ganzen Flug lang über seine Erlebnisse an den Blackjack-Spieltischen in Las Vegas geredet, an denen er stur ein »extrem langweiliges« Kartenzählsystem anwendet, das sich ein Spieler mit einem Doktortitel in Finanzen ausgedacht hat. Pabrai hat vor, 1 Million Dollar zu gewinnen und dann in allen Casinos Spielverbot zu bekommen. Bis zum Jahr 2020 gelang es ihm, aus 3000 Dollar 150 000 Dollar zu machen und er wurde lebenslang »eines kleinen, schäbigen Casinos« verwiesen.
TransTech florierte und hatte schließlich 160 Mitarbeiter. Bis 1994 legte Pabrai 1 Million Dollar Ersparnisse auf die Seite. Zum ersten Mal hatte er eine »Kriegskasse,« die er investieren konnte. In diesem Jahr kaufte er sich das Buch One Up on Wall Street von Peter Lynch, um sich die Zeit am Flughafen London-Heathrow zu vertreiben. Damals hörte er zum ersten Mal von Warren Buffett. Staunend erfuhr er, dass der Präsident und Vorstandsvorsitzende von Berkshire Hathaway seit seinem 20. Lebensjahr während der vergangenen 44 Jahre, mit seinen Geldanlagen Gewinne von 31 Prozent pro Jahr erzielt hatte. Dank der Magie des Zinseszinseffekts bedeutete das, dass ein Investment von 1 Dollar 1950 bis zum Jahr 1994 auf die Summe von 144 523 Dollar angewachsen war. Pabrai kam zu dem Schluss, dass Buffett kein Dummkopf war.
Als Junge hatte Pabrai die Geschichte von dem Inder gehört, der das Schachspiel erfunden haben soll. Er zeigte sein Spiel dem König, der ihm eine Belohnung anbot. Der Erfinder bat um ein Reiskorn auf dem ersten Spielfeld des Schachbretts, zwei auf dem zweiten Spielfeld, vier auf dem dritten Spielfeld und so weiter bis zum 64. Spielfeld. Der König, der wenig Ahnung von Arithmetik hatte, gewährte ihm seine Bitte. Pabrai, der viel Ahnung von Arithmetik hat, sagte, der König habe dem Erfinder 18 446 744 073 709 551 615 Reiskörner geschuldet, die heute einen Wert von 300 Billionen Dollar hätten. Als er sich an diese Geschichte erinnerte, wurde ihm sofort klar, dass Buffett den Zinseszinseffekt gemeistert hatte. In 44 Jahren hatte er sein Geld 18 Mal verdoppelt und war nahe daran, der reichste Mann auf der Welt zu werden.
Das brachte Pabrai auf einen Gedanken: Was wäre, wenn er herausfinden könnte, wie Buffett Aktien auswählt und seine Methode nachahmen könnte? Auf diese Weise begann das, was Pabrai als ein »30 Jahre dauerndes Spiel« bezeichnete, mit dem er aus seiner Million Dollar 1 Milliarde Dollar machte. »Es hat mich nicht gereizt, reich zu werden«, sagte er. »Es hat mich gereizt, das Spiel zu gewinnen. Warren geht es um dasselbe wie mir – nämlich anhand der Ergebnisse zu beweisen, dass ich das Bestmögliche getan habe und der Beste bin, weil ich das Spiel fair und nach den Regeln gespielt und gewonnen habe.«
Wir können alle von Pabrai und seiner Methode, ein Milliardär zu werden, lernen – und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Geldanlage, sondern in allen Lebensbereichen. Er hat nicht versucht, das Rad neu zu erfinden, indem er sich zum Beispiel einen neuen Algorithmus ausdachte, um winzige Preisanomalien an den Märkten auszunutzen. Stattdessen identifizierte er den fähigsten Spieler in diesem besonderen Spiel, analysierte, warum er so erfolgreich war und kopierte sein Vorgehen dann sorgfältig bis ins Detail. Pabrais Bezeichnung für diese Methode ist Klonen. Wir könnten sie auch Nachbildung, Nachahmung oder Reproduktion nennen. Die Bezeichnung spielt keine Rolle. Es ist eine Methode für Leute, denen es mehr darum geht zu gewinnen, als respektabel oder intellektuell zu erscheinen.2
Durch das Klonen von Buffett – und später von dessen umfassend gebildetem Partner Charlie Munger – wurde Pabrai einer der führenden Investoren unserer Zeit. Von 2000 bis 2018 erzielte sein Flaggschiff-Hedgefonds einen Wertzuwachs von überwältigenden 1204 Prozent gegenüber den 159 Prozent, um die der S&P500-Index im selben Zeitraum gestiegen ist. Wenn man ihm 100 000 Dollar anvertraut hätte, als er im Juli 1999 mit der Vermögensverwaltung begann, wäre diese Summe bis zum 31. März 2018 (nach Kosten und Gebühren) auf 1 826 500 Dollar angewachsen.[6]
Und doch basiert der Erfolg von Pabrai, sowohl als Investor als auch als Wohltäter, ausschließlich auf den guten Ideen anderer, die er übernommen hat. »Ich ahme hemmungslos andere nach«, sagte er. »Alles in meinem Leben ist geklont.« Bewusst, systematisch und voller Freude hat er die Gedanken von Buffett, Munger und anderen untersucht, nicht nur, um auf Investmentideen zu kommen, sondern auch, um Einsichten zu gewinnen, wie er sein Unternehmen führen, wie er Fehler vermeiden, wie er sich ein Renommee erwerben, wie er Geld spenden, wie er Beziehungen gestalten, wie er sich seine Zeit einteilen und wie er ein glückliches Leben führen kann.3
Pabrais Bekenntnis zur Nachahmung wirft eine ganze Reihe provozierender Fragen auf. Wird Originalität überschätzt? Sollten die meisten von uns, statt nach Neuerungen zu streben, ihre Anstrengungen darauf richten nachzumachen, was sich klügere und vernünftigere Leute schon erarbeitet haben? Wenn die Nachahmung solch eine wirkungsvolle Methode ist, warum wird sie dann nicht von mehr Menschen angewandt? Hat diese Methode auch Nachteile? Und wie können wir von ihr profitieren, ohne uns dabei selbst aufzugeben?
Während der vergangenen sieben Jahre habe ich viel Zeit mit Pabrai verbracht. Ich bin mit ihm mehrmals nach Omaha zur Jahreshauptversammlung von Berkshire Hathaway gefahren. Ich habe ihn in seinem Büro in Kalifornien interviewt. Wir sind fünf Tage lang durch Indien gereist und haben uns dabei sogar ein Schlafwagenabteil im Nachtzug von Kota nach Mumbai geteilt. Und wir haben uns auf der ganzen Welt zusammen den Bauch übervollgeschlagen – von dem koreanischen Grillrestaurant bei ihm zu Hause bis zu einer Imbissbude am Straßenrand von Jaipur in Indien.
In dieser Zeit habe ich die großen Vorteile seiner Methode des Nachmachens, Nachvollziehens und oft auch des Verbesserns der Erfolgsstrategien anderer schätzen gelernt. Pabrai, der eifrigste Nachahmer, den ich je getroffen habe, hat die Kunst, sich Ideen anderer anzueignen, so weit entwickelt, dass es fast schon wieder originell ist. Seine Gedanken haben mich sehr beeinflusst. Tatsächlich besteht ein wichtiges Ziel meines Buchs darin, Ideen mit meinen Lesern zu teilen, die ich als »nachahmenswert« bezeichne.
Wenn Pabrai auf ein Thema trifft, das ihn fasziniert, dann widmet er sich ihm mit voller Leidenschaft. Im Fall von Buffett gab es mehr als genug Material dafür, zu dem unter anderem die Aktionärsbriefe von Berkshire Hathaway während mehrerer Jahrzehnte und einflussreiche Bücher wie etwa Buffett: The Making of an American Capitalist von Roger Lowenstein gehörten. Pabrai hat alles verschlungen. Er begann auch, jedes Jahr nach Omaha zur Jahreshauptversammlung von Berkshire Hathaway zu pilgern, die der in über 20 Jahren kein einziges Mal versäumte. Schließlich entwickelte sich eine persönliche Beziehung zwischen Pabrai und Buffett. Durch Buffett freundete er sich auch mit Munger an, der ihn inzwischen zum Essen in sein Haus in Los Angeles und zum Bridgespielen in seinen Club einlädt. Aber am Anfang musste sich Pabrai auf seine Lektüre beschränken. Und je mehr er las, desto mehr war er überzeugt, dass Buffett mit Mungers Unterstützung die »Gesetze des Geldanlegens« aufgestellt hatte, die »genauso fundamental wie die Gesetze der Physik« waren.
Buffetts Methode, Geld anzulegen, schien »so einfach« und »so erfolgreich« zu sein, dass Pabrai sie für die einzig richtige Methode hielt. Aber als er sich mit anderen Investmentmanagern beschäftigte, stellte er überrascht fest, dass sich fast keiner von ihnen an die Gesetze Buffetts hielt. Sie kamen ihm vor »wie eine Gruppe von Physikern, die nicht an die Schwerkraft glaubten … Aber ob man nun an die Schwerkraft glaubt oder nicht, sie wird einen verdammt noch Mal anziehen.«
Für Pabrai war offensichtlich: Die meisten Fondsmanager hielten zu viele Aktien, bezahlten zu teuer für sie und kauften und verkauften zu oft. »Diese gemanagten Fonds sitzen auf ein paar hundert oder tausend Aktienpositionen. Wie könnte man 200 Unternehmen finden, deren Aktien sich alle verdoppeln? Und wenn ich mir anschaue, welche Aktien sie halten, dann stelle ich fest, dass sie Papiere besitzen, deren Kurs-Gewinn-Verhältnis über 30 liegt. Mir war klar, dass man sie übers Ohr gehauen hatte.«
Pabrai hatte ein Buch des Managementgurus Tom Peters gelesen, in dem er das Beispiel von zwei Selbstbedienungstankstellen anführt, die sich an derselben Straße gegenüberlagen. Das Geschäft der einen floriert, weil sie guten Service bietet, wie zum Beispiel die kostenlose Reinigung der Windschutzscheibe. Die andere beschränkt sich auf das unbedingt notwendige Minimum an Kundendienst. Was wird passieren? Natürlich werden die Kunden mit der Zeit nur noch zur ersten Tankstelle mit dem besseren Service gehen. Dieser offensichtliche Fehler der zweiten Tankstelle versetzte Pabrai in Erstaunen, denn schließlich wäre nichts einfacher gewesen, als die bessere Geschäftsstrategie zu kopieren, die sie so klar vor Augen hatte.
»Menschen haben irgendetwas Eigenartiges in ihrer DNS, das sie davon abhält, gute Ideen anderer einfach zu übernehmen«, sagte Pabrai. »Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, die Welt innerhalb und außerhalb der eigenen Branche aufmerksam zu beobachten und dass man sich, wenn man sieht, dass jemand etwas Schlaues tut, dazu zwingen muss, es nachzumachen.« Das klingt offensichtlich, wenn nicht gar banal. Aber diese Gewohnheit war ausschlaggebend für Pabrais Erfolg.
Mit dem Eifer eines zutiefst Überzeugten entschied er sich, Geld so zu investieren, »wie Warren sagte, dass man es investieren solle.« Angesichts der Tatsache, dass Buffett einen Durchschnittsertrag von 31 Prozent pro Jahr erzielt hatte, ging Pabrai naiv davon aus, es könne nicht allzu schwer sein, 26 Prozent pro Jahr zu schaffen. So würde sich seine Million Dollar alle drei Jahre verdoppeln und in 30 Jahren auf 1 Milliarde Dollar angewachsen sein. Um sich an dieses Ziel zu erinnern, das er mit Hilfe des Zinseszinseffekts erreichen wollte, wählte er das Autokennzeichen COMLB 26.[7] Selbst wenn er sein Ziel von 26 Prozent pro Jahr weit verfehlte, könnte er trotzdem gute Ergebnisse erzielen. Wenn er zum Beispiel im Durchschnitt 16 Prozent pro Jahr schaffte, würden aus seiner Million Dollar in 30 Jahren immerhin 85,85 Millionen Dollar werden. So viel kann der Zinseszinseffekt bewirken.
Natürlich hatte er keinen MBA von einer berühmten Universität wie Wharton oder Columbia. Er war kein amtlich geprüfter Finanzanalyst und hatte keine Erfahrung an der Wall Street.[8] Aber Pabrai, der sein ganzes Leben als ein einziges großes Spiel ansieht, ging davon aus, durch die konsequente Anwendung der Methode von Buffett gegenüber all den Narren im Vorteil zu sein, die es versäumten, dem Weisen von Omaha zu folgen. »Ich will nur Spiele spielen, von denen ich weiß, dass ich sie gewinnen kann«, sagt Pabrai. »Wie gewinnt man ein Spiel? Man muss natürlich gemäß den Regeln spielen. Und man ist dann im Vorteil und wird gewinnen, wenn man gegen Spieler spielt, die die verdammten Regeln nicht einmal kennen.«
Pabrais Auffassung nach basierte Buffetts Methode der Aktienauswahl auf drei Kernkonzepten, die er von Benjamin Graham gelernt hatte, dem Schutzheiligen der wertorientierten Geldanlage, der Buffett an der Universität Columbia unterrichtet und später eingestellt hatte. Erstens: Immer wenn man eine Aktie kauft, dann kauft man einen Anteil an einem aktiven Unternehmen, hinter dem gewisse Werte stehen, und nicht bloß ein Stück Papier, mit dem Spekulanten Handel treiben.
Zweitens sah Graham den Aktienmarkt als eine Art »Abstimmungsmechanismus« und nicht als »Bewertungsmechanismus,« was bedeutet, dass die Aktienkurse oft nicht dem wahren Wert der jeweiligen Unternehmen entsprechen. Wie Graham in The Intelligent Investor[9] schrieb, ist es hilfreich, sich den Markt als einen Manisch-Depressiven vorzustellen, der »sich oft von seinem Enthusiasmus oder seinen Ängsten fortreißen lässt.«
Drittens sollte man nur dann eine Aktie kaufen, wenn ihr Kurs unter ihrem konservativ geschätzten, wirklichen Wert liegt. Die Differenz zwischen dem wahren Wert eines Unternehmens und dem Kurs seiner Aktien stellt, in Grahams Worten, eine Art »Sicherheitspolster« dar.
Aber was bedeutet all das in der Praxis? Grahams Erkenntnis, der Markt neige zu irrationalen Stimmungsschwankungen, hat wichtige Konsequenzen. Für Meisterinvestoren wie Buffett oder Munger besteht das Wesen des Börsenspiels darin, sich von den Verrücktheiten der anderen Marktteilnehmer zu lösen und geduldig zu warten, bis der bipolare Markt ihnen, wie Munger das nannte, »ein falsch bewertetes Spiel« bietet. Hektische Aktivität wird nicht belohnt. Stattdessen geht es bei der Geldanlage vor allem darum, auf die seltenen Momente zu warten, in denen die Chancen, Geld zu gewinnen, viel höher sind als die Chancen, Geld zu verlieren. Wie Buffett gesagt hat: »Man muss nicht wie wild hinter jedem Ball herlaufen. Man kann warten, bis man eine gute Vorlage bekommt. Das Problem für einen Fondsmanager besteht darin, dass ihm seine Fans andauernd zurufen: ›Lauf los, du Faulpelz!‹«
Buffett ist über die Zurufe der Menge vollkommen erhaben und dreht mitunter jahrelang Däumchen. Zum Beispiel kaufte er zwischen 1970 und 1972 fast nichts, als euphorische Anleger die Kurse in schwindelerregende Höhen trieben. Dann, als der Markt 1973 zusammenbrach, kaufte er eine größere Beteiligung am Unternehmen, das die Washington Post herausgab, die er vier Jahrzehnte lang hielt. In seinem klassischen Aufsatz »The Superinvestors of Graham-and-Doddsville« schrieb Buffett, der Markt habe dieses Unternehmen damals mit 80 Millionen Dollar bewertet, »obwohl man die Unternehmenswerte an einen der mindestens zehn potenziellen Käufer für nicht weniger als 400 Millionen Dollar hätte verkaufen können … Man sollte nicht versuchen, ein Unternehmen, das 83 Millionen Dollar wert ist, für 80 Millionen Dollar zu kaufen. Man braucht eine sehr große Marge. Wenn man beispielsweise eine Brücke baut, dann legt man sie so aus, dass sie Vierzehntonner aushält, obwohl tatsächlich nur Fünftonner darüberfahren. Und dasselbe Prinzip gilt auch für das Geldanlegen.«
In unserer hektischen Zeit erkennen nur wenige Leute die Vorteile dieser ruhigen und wählerischen Strategie, die zwar nur seltene, dafür aber entscheidende Aktivitätsausbrüche erfordert. Munger, ein 90-Jähriger, den Pabrai »für den intelligentesten Menschen« hält, den er je getroffen hat, verkörpert diese Methode. »Man muss sich wie ein Mann verhalten, der mit seinem Fischspeer am Flussufer steht. Die meiste Zeit tut er gar nichts. Wenn aber ein fetter, saftiger Lachs vorbeischwimmt, spießt er ihn auf. Dann tut er wieder gar nichts. Es kann ein halbes Jahr dauern, bis der nächste Lachs vorbeischwimmt.«
Die wenigsten Fondsmanager denken und handeln so. Stattdessen gehen sie, wie Pabrai sagt, »viele Wetten, kleine Wetten und häufige Wetten« ein. Aber es gibt am Markt einfach nicht genug überzeugende Gelegenheiten, um ein solches Ausmaß an Aktivität zu rechtfertigen. Deshalb wartet Pabrai wie seine beiden Idole lieber auf die saftigsten Lachse. Während eines Gesprächs in seinem Büro in Irvine sagte er: »Die wichtigste Fähigkeit, die man zum Geldanlegen braucht, ist Geduld – sehr viel Geduld.« Als der Markt 2008 zusammenbrach, tätigte er zehn Investments in zwei Monaten. In normalen Zeiten ist er typischerweise viel weniger aktiv. Im Jahr 2011 kaufte er nur zwei Aktien, drei 2012 und 2013 gar keine.
2018 besaß Pabrais Offshore-Hedgefonds überhaupt keine US-Aktien, weil keine billig genug erschien. Stellen Sie sich das einmal vor: Unter etwa 3700 Unternehmen, deren Anteile an den großen US-Börsen gehandelt werden, fand Pabrai keine einzige, unwiderstehliche Kaufgelegenheit. Statt sich mit amerikanischen Aktien zufriedenzugeben, die ihm überwertet erschienen, zog er mit seinem Fischspeer zu den ergiebigeren Fischgründen Indiens, Chinas und Südkoreas. Wie Munger gerne sagt, gibt es beim Fischen zwei Regeln. Regel Nummer Eins: »Fische dort, wo Fische sind.« Und die Regel Nummer zwei: »Vergiss niemals Regel Nummer eins.«
Dann kam es im Frühjahr 2020 auf dem US-Markt zu einem Kurssturz, als der COVID-19-Virus unter den Investoren Angst und Schrecken verbreitete. Der Einzelhandel lag am Boden, Geschäfte schlossen auf unbestimmte Zeit und die Verbraucher mussten im Lockdown daheimbleiben. Im Zentrum dieses Bebens stand Seritage Growth Properties, ein Immobilienunternehmen, zu dessen Mietern viele Einzelhändler zählten, die ihre Miete nicht länger zahlen konnten. »Der Markt hasst diese kurzfristigen Unruhen und Probleme«, sagt Pabrai. Er nutzte die Panik aus und kaufte zu einem außergewöhnlich günstigen Preis eine Beteiligung von 13 Prozent an Seritage. Er geht davon aus, dass er am Ende das Zehnfache seines Einsatzes verdienen wird, wenn sich die Ängste legen und auch andere erkennen, wie viel die Premiumimmobilien von Seritage wert sind.[10]
Buffett, Munger und Pabrai verfolgen nicht als Einzige eine Strategie, die sich durch große Geduld und sorgfältige Aktienauswahl auszeichnet. Zu ihrem elitären Klub gehören große Investoren wie Francis Chou, einer der bekanntesten Fondsmanager Kanadas. Als ich ihn 2014 zum ersten Mal interviewte, hielt er 30 Prozent seines Fondsvermögens in Form von Bankguthaben und hatte seit Jahren keine Aktien in nennenswertem Umfang gekauft. »Wenn es kaum etwas zu kaufen gibt, muss man sehr vorsichtig sein«, sagte er mir. »Man kann nichts erzwingen. Man muss einfach Geduld haben und dann kommen die Kaufgelegenheiten schon von selbst.« Er warnte: »Wenn man andauernd am Markt aktiv sein will, dann spielt man das Spiel wie ein Dummkopf und wird Verluste machen.«
Wie lange kann er durchhalten, ohne zu kaufen? »Nun, ich kann zehn Jahre warten, vielleicht sogar länger«, antwortete Chou. In der Zwischenzeit analysiert er Aktien, die für den Kauf nicht billig genug sind, spielt Golf und liest zwei- bis vierhundert Seiten am Tag. Um emotionalen Abstand vom täglichen Drama an den Märkten zu gewinnen, nutzt er die Technik, von sich in der dritten anstatt in der ersten Person zu denken.
Wie Chou führt Pabrai sein Leben auf eine Weise, die zu seiner heroisch-inaktiven Investmentstrategie passt. Als ich ihn in seinem Büro in Irvine besuchte, trug er Shorts, Turnschuhe und ein kurzärmliges Hemd. Er sah weniger wie ein auf Hochtouren laufender Börsianer aus als wie ein Urlauber, der sich überlegt, ob er am Strand entlangschlendern soll. Da er Buffett klont, der ihm einmal die leeren Seiten seines kleinen, schwarzen Terminkalenders gezeigt hatte, hält Pabrai sich seinen Terminkalender praktisch völlig frei, damit er seine Zeit damit verbringen kann, zu lesen und Unternehmen zu analysieren. Typischerweise plant er für seine Arbeitstage im Büro keine Telefonate und keine Konferenzen. Eines seiner Lieblingszitate stammt von dem Philosophen Blaise Pascal: »Alle Probleme der Menschheit sind auf die Unfähigkeit der Menschen zurückzuführen, ruhig und allein in einem Zimmer zu sitzen.«
Laut Pabrai stellt es eine Herausforderung dar, dass »starke Motoren nicht dazu geeignet sind, im Leerlauf zu verharren und nichts anzutreiben.« Seiner Meinung nach haben die Aktionäre von Berkshire Hathaway sehr davon profitiert, dass Buffett leidenschaftlich online Bridge spielt, da dieser Zeitvertreib der »natürlichen Neigung zur Tat« entgegenwirkt. Pabrai spielt auch online Bridge und er reagiert sich beim Fahrradfahren und beim Racquetball ab.[11] Wenn es nichts zu kaufen gibt und auch keinen Grund, etwas zu verkaufen, dann kann er sich mehr seiner wohltätigen Stiftung widmen. Er sieht einen Vorteil darin, dass sein Investmentteam aus einer einzigen Person besteht: ihm selbst. »Sobald man weitere Personen im Team hat, wollen sie aktiv sein und irgendetwas tun – und dann geht’s abwärts.« In vielen Bereichen ist der Drang nach Aktivität eine Tugend, aber wie Buffett 1998 bei der Jahreshauptversammlung von Berkshire Hathaway sagte: »Wir werden nicht dafür bezahlt, irgendetwas zu tun, sondern nur dafür, Recht zu haben.«
Pabrai, ein Einzelgänger mit einem Hang zur Misanthropie, war wie geschaffen für das so wunderbar lukrative Metier, allein in einem Raum zu sitzen und ab und zu eine unterbewertete Aktie zu kaufen. Als er sein Technologieunternehmen leitete, heuerte er zwei Organisationspsychologen an, um sein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Sie fanden heraus, dass er vollkommen ungeeignet war, eine größere Zahl von Mitarbeitern zu führen. »Ich bin nicht dieser fürsorgliche Vorgesetzte, der sich um einen Haufen Sensibelchen kümmern, sie aufbauen und motivieren kann und all den anderen Mist.« Das Investmentgeschäft hingegen war für ihn wie ein dreidimensionales Schachspiel, bei dem das Ergebnis – und das war wesentlich – nur von ihm abhing.
Eines der ersten Unternehmen, das Pabrai interessierte, war ein winziges, indisches Technologieunternehmen: Satyam Computer Services, dessen Aktien er 1995 kaufte. Er hatte viel Ahnung von dieser Branche, in der er selbst tätig war, und er hielt die Aktien für »extrem billig«. Pabrai sah voller Erstaunen dabei zu, wie der Kurs der Aktie innerhalb von fünf Jahren um das Hundertvierzigfache stieg. Er verkaufte im Jahr 2000, als das Unternehmen hoffnungslos überbewertet war und machte dabei einen Gewinn von 1,5 Millionen Dollar. Danach platzte die Technologieblase der späten 1990er-Jahre und die Aktie verlor mehr als 80 Prozent an Wert. Amüsiert von seinem Glück verglich sich Pabrai scherzhaft selbst mit Forrest Gump, der ein Vermögen »mit irgendeinem Obstgeschäft« verdient hatte – nämlich mit Apple Computers.
Mit Glück und Verstand machte Pabrai aus seiner Million Dollar in weniger als fünf Jahren 10 Millionen Dollar. Da ihm klar war, dass er noch viel lernen musste, schrieb er an Buffett und bot ihm an, umsonst für ihn zu arbeiten. Buffett antwortete: »Ich habe viel über die optimale Einteilung meiner Zeit nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich allein am besten arbeiten kann.« Also verfolgte Pabrai seinen Plan B. Einige Freunde hatten von seinen Aktientipps profitiert und baten ihn, ihr Vermögen zu verwalten. 1999 gründete er eine Investmentgesellschaft mit 900 000 Dollar von acht Leuten und 100 000 eigenen Dollar. Etwa ein Jahr später verkaufte er seine Technologieberatungsgesellschaft TransTech für 6 Millionen Dollar, um sich ausschließlich auf Geldanlagen konzentrieren zu können.
Von 1956 bis 1969 hatte Buffett Investmentgesellschaften mit spektakulärem Erfolg gemanagt. Deshalb tat Pabrai das, was für ihn auf der Hand lag: Er klonte jedes Detail des Gesellschaftsmodells von Buffett. Beispielsweise berechnete Buffett keine jährliche Verwaltungsgebühr, sondern beanspruchte eine Erfolgsprämie in Höhe von 25 Prozent aller Gewinne, die die »Schwelle« von 6 Prozent pro Jahr überstiegen. Wenn er einen Ertrag von Prozent oder weniger erwirtschaftete, verdiente er keinen Cent. Aber überdurchschnittliche Erträge wurden fürstlich honoriert. Pabrai übernahm dieses Entlohnungsmodell, durch das sich eine Interessenharmonie zwischen Anlegern und Management erreichen ließ, die ihm erlaubte, »sein Geschäft ehrbar zu betreiben«.[12]
Tatsächlich hatte Buffett sein Gebührenmodell von Graham abgeschaut, der es in den 1920er-Jahren verwendete. Buffett kannte sich selbst mit dem Klonen aus und sagte: »Wenn man von anderen Leuten lernen kann, braucht man nicht so viele eigene Ideen zu haben. Man orientiert sich einfach an dem Besten von dem, was man sieht.« Natürlich besteht die Herausforderung zum Großteil darin herauszufinden, was das Beste ist, den Rest zu verwerfen und nicht etwa blindlings alles nachzuahmen. Beispielsweise war Graham ein überzeugter Anhänger der Diversifizierung, wohingegen Buffett reich wurde, indem er nur auf eine sehr kleine Zahl unterbewerteter Aktien setzte. Das ist ein wichtiger Punkt. Buffett bediente sich großzügig bei den Ideen anderer, aber er modifizierte den von Graham übernommenen Ansatz so, dass er zu seinen eigenen Vorstellungen passte.
Nach Buffetts Vorbild stellte sich Pabrai ein ungewöhnlich kleines Investmentportfolio zusammen. Er war der Meinung, mit zehn Aktien seien seine Anlagen weit genug gestreut. Wenn man so wenige Aktien kauft, kann man sich auch leisten, wählerisch zu sein. Pabrai schaut sich Hunderte von Aktien an und verwirft sehr schnell fast alle, oft in weniger als einer Minute.[13] Buffett ist ein Meister dieser Blitzauslese. »Er sucht nach einem Grund, Nein zu sagen, und wenn er ihn gefunden hat, ist er fertig«, sagt Pabrai. Tatsächlich stellte Buffett fest: »Der Unterschied zwischen erfolgreichen und sehr erfolgreichen Leuten besteht darin, dass sehr erfolgreiche Leute zu fast allem Nein sagen.«
Von Buffett übernahm Pabrai einige simple Auslesekriterien, die ihm die Aktienauswahl erleichtern. Erstens, so Pabrai, bestehe eine der »Grundregeln« Buffetts darin, nur in Unternehmen zu investieren, die »im Bereich der eigenen Kompetenz« liegen. Wenn Pabrai ein Unternehmen analysiert, dann stellt er sich zuerst die Frage: »Verstehe ich dieses Geschäft wirklich?« Er zwingt sich dazu zu entscheiden, ob das betreffende Unternehmen zum Zentrum seines Kompetenzbereichs gehört, nahe an dessen Rand oder vielleicht sogar außerhalb davon liegt.
Zweitens muss das Unternehmen so sehr unterbewertet sein, dass es einen beträchtlichen »Sicherheitsabstand« zwischen tatsächlichem Wert und Aktienkurs gibt. Pabrai verzichtet darauf, komplizierte Excel-Tabellen zu erstellen, die ihn dazu verleiten könnten zu denken, er könne die Zukunft genau vorhersagen. Er sucht nach Investments, die so billig sind, dass man ohne zu überlegen zugreifen kann. Und das bedeutet in der Regel, weniger als 50 Cent für jeden Dollar an Vermögenswerten zu zahlen. »Ich habe ein sehr einfaches Auswahlkriterium: Wenn sich eine Aktie nicht offensichtlich innerhalb kurzer Zeit – sagen wir, in zwei oder drei Jahren – verdoppeln wird, dann bin ich nicht interessiert.«
Drittens änderte Buffett unter dem Einfluss von Munger seine Anlagestrategie allmählich: Er kaufte nicht mehr nur Aktien, die einfach billig waren, sondern wählte zunehmend Aktien von Unternehmen aus, die besser als die Konkurrenz waren. Das bedeutet unter anderem, dass die Unternehmen einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil haben und von fähigen und ehrlichen Managern geführt werden sollten. Munger wies Pabrai darauf hin, dass Graham, der darauf fixiert war, billige Aktien zu kaufen, seine größten Gewinne mit GEICO gemacht hatte. »Er hat kein Geld damit verdient, weil es ein billiges Unternehmen war«, sagt Pabrai, »sondern weil es ein großartiges Unternehmen war.«[14]