Über die Natur der Dinge. [Was bedeutet das alles?] - Lukrez - E-Book

Über die Natur der Dinge. [Was bedeutet das alles?] E-Book

Lukrez

0,0
5,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Alles auf der Welt – auch was wir nicht sehen – besteht aus Atomen. Und alles zerfällt irgendwann wieder in Atome. Auch wir, unser Körper und unsere Seele. Es kann nach dem Tod also gar nichts anderes geben als: nichts! Die Furcht vor dem Tod ist damit genauso unsinnig wie eine Furcht vor Göttern. Der römische Dichter und Philosoph Lukrez wollte seinen Zeitgenossen diese Ängste nehmen und sie durch seine Dichtung zu einem Zustand der Seelenruhe führen. Diese Auswahlausgabe ermöglicht Einblicke in sein Lehrgedicht "De rerum natura", in die antike Naturphilosophie wie die epikureische Philosophie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 94

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lukrez

Über die Natur der Dinge

Ausgewählt und aus dem Lateinischen übersetzt von Eva Marie Noller

Reclam

E-Book-Leseproben von einigen der beliebtesten Bände unserer Reihe [Was bedeutet das alles?] finden Sie hier zum kostenlosen Download.

 

 

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961823-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014046-8

www.reclam.de

Inhalt

Einleitung

Über die Natur der Dinge – eine Auswahl

Literaturhinweise

[7]Einleitung

»Nahezu unlesbar«? – De rerum natura und die Herausforderungen der Lektüre

»Es ist ein seltsames Verhängnis, dass dieses ungemeine, an ursprünglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgängern weit überlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und verwaist fühlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat.« So äußerte sich der Althistoriker Theodor Mommsen im Jahr 1856 in seiner Römischen Geschichte (S. 260) über den Dichter Lukrez und sein Werk De rerum natura. Mommsens Urteil spiegelt in exemplarischer Weise das (scheinbare) Paradox wider, das von der Antike bis in die moderne Forschung hinein den Blick auf dieses Gedicht bestimmt hat: Wie ist die hochpoetische Form in lateinischen Hexametern mit seinem Inhalt in Einklang zu bringen, der nach Mommsen »undankbarer« nicht hätte sein können? Dieser »undankbare Inhalt« des Gedichts lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Lukrez stellt das System der epikureischen Philosophie dar und rückt dabei besonders die Physik ins Zentrum, das heißt die Lehre von der Natur und ihren Erscheinungen.

Blendet man jene kritischen Perspektiven einmal aus und fragt nicht danach, was und wie Dichtung sein muss, sondern danach, was Dichtung kann, so wird deutlich: De rerum natura macht das Unsichtbare anschaulich. Die epikureische Physik basiert nämlich auf der Annahme, dass die gesamte Welt – bis hin zur Seele des Menschen – aus [8]unsichtbar kleinen Atomen aufgebaut ist. Die Herausforderung besteht nun darin, diese nicht sichtbare Ebene der Welt so zu beschreiben, dass man sie sich vorstellen und sie verstehen kann. De rerum natura wird daher der Gattung des Lehrgedichts zugeordnet, also einer Form der Dichtung, die darauf ausgerichtet ist, einem Rezipienten Wissen über einen bestimmten Sachverhalt zu vermitteln. Diese Gattung hat in der griechisch-römischen Antike eine lange Tradition,1 das Lehrgedicht des Lukrez aber ist das früheste vollständig überlieferte Lehrgedicht in lateinischer Sprache.

Um besser zu verstehen, welches Konfliktpotential Form und Inhalt von De rerum natura bergen, gilt es, sich näher mit der philosophischen Schule des Epikureismus zu befassen und darauf aufbauend genauer in den Blick zu nehmen, wie Lukrez diese Philosophie in seinem Werk zur Darstellung bringt.

Doch zuvor zum Autor selbst.

Titus Lucretius Carus – eine (un)mögliche Biographie

Trotz der zeitlichen Distanz erscheinen uns manche Autoren der Antike recht greifbar. Diese Nähe ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass neben den von ihnen selbst verfassten Werken auch Zeugnisse anderer Autoren über sie überliefert sind oder wir, wie im Fall Ciceros, sogar [9]seine umfangreiche Briefkorrespondenz lesen können. Freilich sollte man in all diesen Fällen eine gewisse kritische Vorsicht walten lassen: Auch wenn ein »Ich« spricht bzw. schreibt, haben wir es doch mit (literarischen) Texten zu tun, und es ist nicht unproblematisch, diese Texte als uneingeschränkt glaubwürdige, historische Quelle zum Beispiel für »den Menschen« Cicero, wie er »wirklich« war, zu lesen. Es ist immer zu bedenken, dass Texte (nicht nur solche, die Aussagen über Personen treffen) unterschiedliche Aspekte in den Vorder- bzw. Hintergrund stellen und Informationen vorenthalten können; sie können beschönigen, verzerren oder erfinden. Für Lukrez gibt es nur sehr spärliche biographische Zeugnisse.

Seine Lebensdaten lassen sich ungefähr für den Zeitraum 98–55 v. Chr. ansetzen. Lukrez lebte in der späten römischen Republik, einer Zeit, die von großen politischen Konflikten und Umwälzungen geprägt war und an deren Ende der Übergang zur Staatsform des Prinzipats stand. Das Ende der Republik ist vor allem mit Gaius Iulius Caesar (100–44 v. Chr.) verbunden, der als Mitglied des ersten Triumvirats und späterer Alleinherrscher eine immer stärkere Machtkonzentration in Rom herbeiführte. Ungefähr zu dieser Zeit, zu der das endgültige Ende der Republik sich durch die anhaltende, auch gewaltsame Destabilisierung anbahnte, starb Lukrez.

Auch in der lange andauernden Phase der politischen Krise entstand in Rom Literatur, darunter die Dichtungen des Catull, insbesondere aber die umfangreichen Prosaschriften Ciceros (vor allem Reden und philosophische Schriften), Caesars (unter anderem die Commentarii de bello Gallico) und Sallusts (Geschichtsschreibung). Auch [10]Lukrez war kein Unbekannter, wie sich aus einem Brief Ciceros an seinen Bruder Quintus (2,10; datiert auf das Jahr 54 v. Chr.) rekonstruieren lässt. In diesem Brief hebt der berühmte Redner die besondere Begabung (ingenium) und Kunstfertigkeit (ars) hervor, die aus Lukrez’ Versen ersichtlich werde. Auch bekannte Autoren späterer Zeit, wie Vergil oder Ovid, nehmen implizit oder explizit Bezug auf De rerum natura. Über Lukrez und sein Leben ist daraus aber so gut wie nichts zu erfahren. Es hat fast den Anschein, als existierte er außerhalb seiner Dichtung nicht.

Wie so häufig trägt der Mangel an greifbaren Fakten zur Legendenbildung bei. Im 4. Jahrhundert schrieb der Kirchenvater Hieronymus in seiner Chronik auch über Lukrez. Im Eintrag zum Jahr 94 v. Chr. heißt es: »Der Dichter T. Lucretius wird geboren. Er verfiel später durch einen Liebestrank dem Wahnsinn. Und nachdem er in den Zeiten zwischen seinen Wahnanfällen eine größere Anzahl von Büchern geschrieben hatte [gemeint ist De rerum natura], die Cicero später herausgab, tötete er sich im 44. Jahr seines Lebens selbst« (Hieronymus wertete den erwähnten Brief Ciceros an seinen Bruder als Indiz dafür, dass Cicero die Texte herausgegeben habe).

Schenkt man Hieronymus Glauben, so ist De rerum natura das Werk eines Liebeskranken. Lukrez habe in den Phasen geistiger Zurechenbarkeit daran gearbeitet. Wie kam Hieronymus zu einer solchen Annahme? Wahrscheinlich durch seine Lektüre von De rerum natura. Es scheint, als habe der Kirchenvater einen Teil besonders genau gelesen, nämlich eine Passage im 4. Buch, in der Lukrez die Liebe und die daraus entstehenden Leiden beschreibt (s. S. 56 f.). Hieronymus zieht aus dem Werk Rückschlüsse [11]auf dessen Autor, deutet es also biographisch. Ohne die eigene Erfahrung, so nahm er vielleicht an, könne es kaum möglich sein, so eindrücklich über die abgründigen und gefährlichen Seiten der Liebe zu schreiben. Wenn wir die aus literaturwissenschaftlicher Sicht fragwürdige Vermischung von Dichtung und Leben einmal außer Acht lassen – diese Form der Rezeption durch Hieronymus macht eines deutlich: De rerum natura ist ein Werk, dessen Lektüre Eindruck hinterlässt.

De rerum natura von außen – Titel, Geschichte, philosophischer Hintergrund

De rerum natura ist der Titel, unter dem das Gedicht des Lukrez firmiert, und zwar schon in den ältesten erhaltenen Abschriften (sonst wurden antike Werke häufig schlicht nach ihren Anfangsworten bezeichnet – eigene Buchtitel, wie wir sie heute kennen, waren eigentlich kaum gebräuchlich). Wie er adäquat ins Deutsche zu übertragen ist, dafür gibt es unterschiedliche Lösungen. Wörtlich übertragen bedeutet De rerum natura »Über die Natur der Dinge«, die rerum natura ist aber auch schlicht der lateinische Ausdruck für das, was wir als »Schöpfung« bezeichnen. Im Wort natura schwingen nämlich weit mehr Bedeutungen mit als in unserem Wort »Natur«: Es verweist nicht nur auf das Wesen und die Eigenschaften einer Sache (ihre »Natur«, also das, was geworden bzw. entstanden ist), sondern impliziert auch einen dynamischen Aspekt, der vom Ursprung des Wortes natura herrührt: Natura leitet sich vom Verb nasci (»entstehen«, »erzeugt werden«) ab und [12]bezeichnet damit auch das Werden, das heißt den Prozess der Entstehung einer Sache.

Aus einer philosophiegeschichtlichen Perspektive ergibt sich noch ein anderes Bild. Die griechischen Philosophen, die sich lange vor Lukrez mit Fragen nach dem Ursprung und der Erklärung aller Dinge beschäftigten, brachten eine Vielzahl von Werken ganz unterschiedlicher philosophischer Traditionen hervor, die aber alle den gleichen Titel tragen: Perí phýseos, was nichts anderes ist als die griechische Version von De rerum natura.

Diese Vielschichtigkeit des Titels De rerum natura spiegelt sich auch in den deutschen Übersetzungen wider: Hermann Diels orientierte sich 1923 mit »Von der Natur« an den griechischen Vorläufern, Georg Büchner wählte 1956 mit »Welt aus Atomen« einen auf den Inhalt bezogenen Titel, und Klaus Binder übertrug 2014 De rerum natura wörtlich mit »Über die Natur der Dinge«.

Wir können Lukrez’ Text wie auch die anderen antiken Texte heute nur noch lesen, weil sie immer wieder abgeschrieben und so weiter überliefert wurden. Der Text von De rerum natura hat es nur durch viele Zufälle in die heutige Zeit geschafft. Man hat nicht wie von manchen anderen Werken Hunderte Abschriften gefunden, sondern zunächst, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, nur eine einzige Handschrift, vermutlich in einem Kloster in Süddeutschland (wie der Lukreztext gefunden und gerettet wurde und welchen enormen Einfluss er auf die geistesgeschichtliche Entwicklung Italiens und ganz Europas nahm, legte Stephen Greenblatt 2011 in The Swerve: How the World Became Modern dar [2012 auf Deutsch erschienen unter dem Titel Die Wende – wie die Renaissance begann]). [13]Dass das Werk aber auch in der Zeit nach seiner Wiederentdeckung noch nicht der »Gefahrenzone« der Vernichtung entkam, liegt an seinem Inhalt.

De rerum natura vermittelt die wesentlichen Säulen der epikureischen Philosophie. Epikur, der Begründer dieser philosophischen Schule, wirkte im 2. Jahrhundert v. Chr. und hat den (zweifelhaften) Ruf errungen, eine Philosophie der Lust begründet zu haben. Diese Zuschreibung greift aber zu kurz: Die drei Säulen der epikureischen Philosophie – Physik (Naturlehre), Kanonik (Erkenntnislehre) und Ethik (Verhaltenslehre) – dienten nicht dazu, dem Menschen ein ungezügeltes Schwelgen in Genüssen zu ermöglichen und die sinnliche Lust als Hauptziel eines erfüllten Lebens zu proklamieren. Ziel der epikureischen Philosophie ist es vielmehr, den einzelnen Menschen zu einem Leben frei von Unlust, das heißt von schädlichen Formen der inneren Erregung wie Furcht (vor allem vor den Göttern und dem Tod), maßloser Begierde oder Schmerz anzuleiten. Hat der Mensch einen solchen Zustand des Seelenfriedens (ataraxía, »Unerschütterlichkeit«), der zugleich auch der Zustand der höchsten Lust (hedoné bzw. voluptas) ist, erreicht, lebt er in Glückseligkeit (eudaimonía, eigentlich: »einen guten Daimon habend«).

Ein weiteres Schlagwort, das im Zusammenhang mit dem Epikureismus meist fällt, lautet: láthe biósas – »Lebe im Verborgenen«. Im Epikureismus wird gefordert, der Einzelne solle sich nicht politisch engagieren und im Gemeinwesen einbringen – vielmehr solle er ein Leben in Zurückgezogenheit und Abgeschiedenheit vom »Tagesgeschäft« führen. Auch diese Forderung muss man modifizieren, denn in bestimmten Situationen, die eine Gefahr [14]für das Gemeinwesen darstellen, ist der epikureische Weise durchaus aufgefordert, sich einzubringen.

Der epikureische Hedonismus und das zurückgezogene Leben des Einzelnen spielen in De rerum natura aber nicht die Hauptrolle. Lukrez befasst sich mit den Grundlagen der epikureischen Philosophie, der Physik.2 Die zentrale Annahme der epikureischen Naturlehre besteht darin, dass alles aus Atomen (átomos, »unteilbar«), also für das menschliche Auge unsichtbaren Teilchen besteht.3 Durch dieses Wissen lassen sich scheinbar unerklärliche und damit furchteinflößende Naturphänomene wie Erdbeben rational erklären, aber auch die Furcht vor dem Tod und vor allem vor dem, was nach dem Tod kommt, beseitigen. Anders als beispielsweise die Stoa geht der Epikureismus nämlich davon aus, dass auch die Seele sterblich ist. Lukrez beschreibt ihre atomare Struktur im Detail (s. S. 46–49) und hebt [15]